T h e m e n d e r W i ss e ns c h a f t Am Rand der Erkenntnis Interdisziplinäre Forschung im Exzellenzcluster Universe VON ANDREAS MÜLLER Die Erforschung des Universums stellt die moderne Naturwissen- Astrophysik: So entsteht ein Neutronenstern schaft vor eine große Herausforderung. Die Vorgänge vom Urknall Um die Komplexität der Forschung und bis heute sind nur mittels unterschiedlichster Bereiche der Physik die Verzahnung der physikalischen Dis­ zu verstehen. In einem interdisziplinären und internationalen For- ziplinen zu veranschaulichen, genügt es, im Folgenden ein einziges stellares Ob­ schungsprojekt, dem Exzellenzcluster Universe, versuchen die For- jekt zu betrachten: den Pulsar im Krebs­ scher am Campus Garching/München den kosmischen Geheimnissen nebel (Abb. 1). Dieser Neutronenstern, katalogisiert als NP 0532, ist etwa 6500 auf die Spur zu kommen. Lichtjahre von der Erde entfernt und steht D as Universum ist voller Rätsel: der Urknall, Dunkle Energie und Dunkle Materie, Schwar­ ze Löcher, der Ursprung der fundamen­ talen Kräfte und der Materie, Raum und Zeit – jeder dieser Schlüsselbegriffe steht für ein Mysterium, für das die mo­ derne Wissenschaft bisher höchstens den Ansatz eines Verständnisses entwi­ ckelt hat. Der Kosmos ist auch ein Ort der Ex­ treme: einerseits wahrhaft astrono­ mische Distanzen, andererseits Quan­ teneffekte auf atomarer Skala; fast leerer 36 Sterne und Weltraum März 2008 Raum hier und ultrakompakte Him­ melskörper dort; mancherorts extreme Hitze und fast überall sonst Tempera­ turen nahe des absoluten Nullpunkts; sowohl Teilchen, die das Universum mit Lichtgeschwindigkeit durchströmen, als auch solche, die kaum einen Stern ver­ lassen können. All diese ausgeprägten Gegensätze machen die Astronomie zu einer aufregenden, interdisziplinären Wissenschaft – zur Grundlagenfor­ schung an der Grenze des Denkbaren und zur Hochleistungstechnologie an der Grenze des Machbaren. von uns aus gesehen im Sternbild Stier. Wie dieser außergewöhnliche Himmels­ körper entstehen konnte, erklärt die As­ trophysik. Der Krebsnebel-Pulsar stellt – wie je­ der Neutronenstern – ein Gebilde am Ende der stellaren Entwicklung dar. Er ist das Überbleibsel eines massereichen Sterns. Dieser erreichte aufgrund seiner gro­ßen Masse im Innern eine Tempera­ tur, die das Verschmelzen von Atomker­ nen zu schweren Elementen bis hin zum Eisen ermöglichte. Mit diesem Element, das sich im Zentralbereich ansammel­ te, wurde die Fusionskette unterbrochen Abb. 1: Der Krebsnebel im Sternbild Stier und der in seinem Zentrum vorhandene Neutronenstern sind ein astrophysikalisches Labor par excellence, an dem sich das Zusammenspiel verschiedener physikalischer Teilrichtungen demonstrieren lässt. Die KompositAufnahme, gewonnen mit dem Weltraumteleskop Hubble, gibt den realen Farbeindruck des Nebels wieder. Abb. 2: Geht der Brennstoff eines Sterns zur Neige, versiegt dessen zentrale Energiequelle, und er wird instabil. Ein Gravitationskollaps setzt ein: Die nach innen stürzenden Gasmassen quetschen den Zentralbereich des Sterns zu einem kompakten Objekt zusammen. Abhängig von der Restmasse des kollabierenden Sterns entsteht entweder ein Weißer Zwerg, ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. pgrav kollabierender Stern Sternrestmasse < 1,46 Sonnenmassen pgrav pgrav < 1,5… 3,0 Sonnenmassen > 3,0 Sonnenmassen kompaktes Objekt Weißer Zwerg Neutronenstern und der Stern geriet in eine folgenschwere Energiekrise, die ihn entscheidend verän­ derte. Mit dem Versiegen der zentralen Ener­ giequelle geriet das Kräftegleichgewicht aus den Fugen. Die Gravitationskraft ge­ wann nun die Oberhand über die Zentri­ fugalkraft, den Gasdruck und den Strah­ lungsdruck, sodass der Stern in sich zu­ sammenfiel. Ein Gravitationskollaps setzte ein, das heißt, eine Stoßwelle lief von außen nach innen durch den Stern. Als die Stoßwelle auf den kompakten Ei­ senkern traf, wurde sie wieder nach außen reflektiert. Dieser Vorgang leitete die Ex­ plosion des kollabierenden Sterns ein. Als Supernova vom Typ II erreichte er dabei ein Vielfaches seiner vorherigen Leucht­ kraft. Die ehemals äußeren Schichten des Sterns verteilten sich weit in die Umge­ bung und bildeten schließlich einen far­ benprächtigen Supernova-Überrest – den heute sichtbaren Krebsnebel (Abb. 1). Die Explosion bei der Entstehung des Krebsnebel-Pulsars war so gewaltig, Schwarzes Loch SuW-Grafik, Quelle: A. Müller Nasa, Esa und Allison Loll/Jeff Hester (Arizona State University) pgrav dass sie trotz der riesigen Entfernung am irdischen Himmel hell aufleuchtete. Chinesische Astronomen registrierten sie im Jahr 1054 als »neuen Stern«. Sie­ benhundert Jahre später fiel dem fran­ zösischen Astronomen Charles Messier der nebelartige Supernova-Überrest auf. Er trug ihn als erstes Objekt in seinen Katalog der nebelartigen Objekte ein. Deshalb ist der Krebsnebel noch heute als Messier 1 oder kurz M 1 bekannt. Kernphysik: Exotisches Verhalten von Materie Inmitten des heute etwa sieben Lichtjahre messenden Krebsnebels befindet sich noch immer der kompakte SupernovaÜberrest. Dieser Neutronenstern rotiert pro Sekunde 30 Mal um seine eigene Ach­ se. Das charakteristische Blinken des Pul­ sars kommt dadurch zustande, dass die gerichtete Strahlung aus der Atmosphäre des Neutronensterns zufällig die Erde streift – und zwar im Rhythmus der regel­ mäßigen Periode von 0,033 Sekunden. In Kürze m Einige der Grundfragen der Natur lassen sich nur klären, wenn Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. m Der Exzellenzcluster Universe ist ein solcher Zusammenschluss von Physikern verschiedener Teildisziplinen. Die meisten der beteiligten Institute befinden sich auf dem Campus der Technischen Universität München in Garching. Gemeinsam wollen sie sieben große Fragen der Kosmologie beantworten: Wie verhält sich Materie bei extrem hohen Energien und geringen Distanzen? Gibt es eine Symmetrie zwischen Materie und Kräften? Woher kommen die Teilchenmassen und ihre Hierarchie? Was sind kosmische Phasenübergänge, und wie kommt die Materie ins Universum? Was sind Dunkle Materie und Dunkle Energie? Wie sind Schwarze Löcher entstanden, und wie entwickeln sie sich? Wie wurde das Universum mit schweren Elementen angereichert? m Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird hier beispielhaft am Pulsar im Krebsnebel verdeutlicht. m Weitere Informationen finden sich als Weblinks unter www.suw-online. de/artikel/941176 Im Prinzip ist der Krebsnebel-Pulsar ein kosmischer Leuchtturm. Es ist sogar der einzige Pulsar, dessen Blinken nicht nur im Bereich der Radiowellen, son­ dern auch im sichtbaren Licht beobach­ tet wurde. Die hohe Rotationsfrequenz hängt mit der Entstehungsgeschich­ te des Neutronensterns zusammen: Im Gra­vi­ta­tions­kollaps (Abb. 2) verrin­ gert sich das Trägheitsmoment des ster­ benden Sterns rapide; da aber der Dreh­ impuls eine Erhaltungsgröße ist, muss die Drehgeschwindigkeit extrem zuneh­ men. Der Effekt ist analog zur Pirouette einer Eiskunstläuferin, die sich schnel­ ler dreht, wenn sie die Arme eng an ihre Körperachse anlegt. Wenngleich der kompakte Himmels­ körper nur rund 30 Kilometer Durch­ messer hat, vereint er in sich etwa die Masse unserer Sonne! Wie es möglich ist, dass 1030 Kilogramm in einem Volu­ men so groß wie eine Metropole stabil gehalten werden, das erklären Kern- und Quantenphysik. Sterne und Weltraum März 2008 37 Je Die Neutronisierung der Sternmaterie ist also in der Sprache der Kernphysik ein umgekehrter Betazerfall: Protonen fan­ gen Elektronen ein, und daraus entstehen Neutronen und Elektron-Neutrinos: p + e– n + Je Dieser Umwandlungsprozess hat ent­ scheidende Konsequenzen für die Che­ mie des Sterns: Wenn Protonen zu Neu­ tronen werden, verringert das die Ord­ nungszahl des chemischen Elements. Die kollabierende Sternmaterie wird durch wiederholte umgekehrte Betazerfälle zu einem Gemisch immer leichterer Ele­ mente verändert. Am Ende bleiben im Wesentlichen Neutronen übrig. Um zu verstehen, was mit einer kom­ pakten Ansammlung von Neutronen ge­ schieht, ist die Quantenphysik von Be­ deutung. Denn sie erklärt eine Teilchenei­ genschaft, die Spin genannt wird. Es handelt sich dabei um einen Drehimpuls, der dem Teilchen selbst zugeschrieben werden muss. Schon in der Chemie ist der Spin des Elektrons von großer Bedeu­ tung, weil er die Struktur der Atomhülle und den Aufbau des Periodensystems der Elemente steuert. Der Grund dafür ist ein tief liegendes Prinzip der Natur, das nach dem Quan­ tenphysiker Wolfgang Pauli benannt wur­ de. Das Pauli-Prinzip hat zur Folge, dass 38 Sterne und Weltraum März 2008 Plasmaphysik: Heißes, leuchtendes Material Plasma bezeichnet neben Gas, Festkörper und Flüssigkeit einen vierten Aggregat­ zustand der Materie. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Ansammlung ge­ ladener Teilchen, nämlich positive Ionen und negative Elektronen. Plasmen sind von großer Bedeutung in der Astrophy­ sik, weil an vielen Orten im Kosmos idea­ le Bedingungen für sie herrschen: vom irdischen Polarlicht, über die Sonnen­ korona und die Sonne selbst, über hei­ ße Materieflüsse in der Umgebung eines Schwarzen Lochs bis zum »Urplasma«, aus dem die kosmische Hintergrund­ strahlung hervorging. Etwa 99 Prozent der leuchtenden Materie im Kosmos ist Plasma. Bei unserem hier betrachteten Parade­ objekt, dem Krebsnebel, ist das Plasma di­ rekt zu sehen: das diffuse bläuliche Glim­ men im Zentrum des Nebels kommt von Elektronen – auch dieses Elektronengas ist ein Plasma. Die negativ geladenen Ele­ mentarteilchen bewegen sich mit hohen Geschwindigkeiten vor dem Hintergrund interstellarer Magnetfelder und geben dabei Synchrotronstrahlung ab. Diese Strahlungsform ist nach dem Teilchenbe­ schleunigertyp Synchrotron benannt, in dem sie beobachtet wurde. Die Plasma-Eigenschaft ist in der Re­ gel untrennbar mit hohen Temperaturen verbunden, weil große Hitze die Atome und Moleküle in ihre Ladungsträger auf­ Aufbau eines Neutronensterns W ie bei einem normalen Stern wird ein Neutronenstern von außen nach innen immer dichter, nur dass hier die Grenze des Vorstellbaren erreicht wird: Ein Kubikzentimeter aus der äußeren Kruste wiegt bereits etwa zehn Kilogramm; ein Kubikzentimeter aus dem Sternkern wiegt hingegen etwa 500 Milliarden Kilogramm – das entspricht der Masse der weltweit erzeugten Menge an Obst in einem Jahr! Von außen nach innen verändern sich die Materieeigenschaften extrem: Die dünne er Eisenkruste wird aufgebrochen und im Wesentlichen zu einer Neutronenflüssigkeit. Weiter innen beginnt die Umwandlung Oberfläche von Elektronen beziehungsweise von Neutronen in Kaonen. Diese Teilchen unterliegen als Bosonen nicht dem Pauli-Prinzip und verringern den Entartungsdruck und damit auch die Maximalmasse des Neutronensterns. Tief im Sternkern könnte der enorme Druck die Teilchen weiter in ihre Substruktur zerlegen, sodass hier die Existenz Atmosphäre eines Quark-Gluon-Plasmas diskutiert wird. ~ 30 Kilometer A. Mü ll e– + gnosen einen schweren Neutronenstern finden, so fällt das Modell, das eine zu ge­ ringe Masse prognostiziert. Dieses Wech­ selspiel von Theorie und Experiment, von Kernphysik und Astronomie, ist eine sehr erfolgreiche Strategie der Naturwissen­ schaft. Que lle: p + n sich die Neutronen im Neutronenstern nicht beliebig nah kommen können. Es baut sich in der kompakten Neutronen­ sternmaterie ein Quantendruck auf, der Entartungsdruck genannt wird. Schon 1939 berechneten die Physiker J. Robert Oppenheimer (1904 – 1967) und Geor­ ge Michael Volkoff (1914 – 2000), dass eine Ansammlung von Neutronenstern­ materie nicht beliebig schwer sein kann. Sie fanden eine Grenzmasse von etwa 0,7 Sonnenmassen – die OppenheimerVolkoff-Grenze. Der Radius einer solchen Neutronenkugel könnte nur etwa 15 Ki­ lometer betragen. Diese Pionierarbeit ist letztlich ein ers­ tes einfaches Modell eines Neutronen­ sterns. Es ist deshalb vereinfacht, weil der Stern im Modell erstens ausschließlich aus Neutronen besteht und zweitens die Neutronen nicht miteinander in Wechsel­ wirkung treten. Mittlerweile sind moderne Neutronen­ sternmodelle verfügbar, die dem Inne­ ren des Sterns eine deutlich komplexere Struktur zugestehen. Zum Beispiel kön­ nen die Neutronen miteinander in Wech­ selwirkung treten, und/oder weitere exo­ tische Teilchen wie Kaonen und Hypero­ nen bereichern das Gemisch kompakter Materie. Möglicherweise bricht die mehr­ fache Kernmateriedichte im Zentrum des Neutronensterns den Verbund der Neu­ tronen auf und erzeugt ein Quark-GluonPlasma. Diese komplexe Physik verändert auch Grenzmasse und Grenzgröße des Neutronensterns. So werden gegenwär­ tig Maximalmassen zwischen 1,5 und 3,2 Sonnenmassen und ein typischer Radius von etwa zehn Kilometern diskutiert. Es ist Aufgabe der Astronomen, solche Vorhersagen der theoretischen Model­ le in der Natur durch Beobachtungen zu testen. Wenn sie etwa entgegen der Pro­ SuW-G rafik / Der Neutronenstern enthält extrem dicht gepackte Materie. Tief im Inneren herrscht sogar eine Dichte, die diejenige in einem Atomkern um ein Mehrfaches übersteigt. Ab Werten von etwa einer Million Kilogramm pro Kubikzentime­ ter verhält sich Materie völlig anders als unter Bedingungen auf der Erde. Wie die Bezeichnung Neutronenstern schon zum Ausdruck bringt, ist die Materie in diesem kompakten Gebilde neutronisiert wor­ den. Neutronen sind schwere, elektrisch neutrale Teilchen, die in normaler Mate­ rie zusammen mit den elektrisch positiv geladenen Protonen die Atomkerne bil­ den. Im Zuge des Sternkollapses werden – salopp gesprochen – die Elektronen der Atomhülle in den Atomkern gepresst, wo sie sich mit den Protonen zu Neutronen vereinen. In der Kernphysik ist uns der umge­ kehrte Prozess als Betazerfall vertraut: Ein Neutron n in einem Atomkern zerfällt da­ bei in ein Proton p, das im Kern verbleibt, und in ein Elektron e– sowie (aufgrund von Erhaltungssätzen) ein Elektron-Anti­ neutrino n– e, die beide den Kern verlassen: spaltet. Ein Gas mit einer festen Tempe­ ratur gibt wiederum elektromagnetische Strahlung ab, die Wärmestrahlung oder plancksche Strahlung heißt. Die detail­ lierte Erklärung dieser Strahlungsform durch Max Planck markiert die Geburts­ stunde der Quantenphysik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Je höher die Tempera­ tur des Plasmas ist, umso mehr verschiebt sich das Maximum der Strahlungsvertei­ lung in den Bereich höherer Energien. So strahlt ein Plasma von einer Million Grad typischerweise Röntgenstrahlung ab. Heißes Plasma und somit auch Rönt­ genemission finden wir auch im Krebsne­ bel, nämlich direkt an der Oberfläche des Pulsars (Abb. 3). Abbildung 3 wird so interpretiert, dass der weiße Fleck in der Bildmitte mit dem äußere Kruste Eisengitter, Elektronen innere Kruste Neutronenflüssigkeit, neutronenreiche Atomkerne äußerer Kern Nukleonen, Elektronen, Hyperonen, Kaonen innerer Kern Quark-Gluon-Plasma Quelle: Nasa/CXC/Asu, Hester et al. 2002 Abb. 3: Der Neutronenstern (heller Fleck im Zentrum) des Krebsnebels und seine Umgebung senden Röntgenstrahlung aus. Aufgenommen wurde sie hier mit dem US-amerikanischen Röntgensatelliten Chandra. Es handelt sich um ein Falschfarbenbild, bei dem die Intensität der Röntgenstrahlung eines bestimmten Energiebereichs jeweils einer Farbe zugeordnet wurde, hier mit zunehmender Intensität den Farben schwarz, blau und weiß. Die ausgedehnte blau-weiße Struktur um den Pulsar verrät eine hohe Aktivität in der Sternumgebung. Offensichtlich strahlt hier sehr heißes Plasma Röntgenstrahlung ab. Der Durchmesser des inneren Rings beträgt etwa ein Lichtjahr. Pulsar übereinstimmt. Gas stürzt nahe­ zu im freien Fall aus der Sternumgebung auf die magnetischen Pole und wird dort stark abgebremst. Dieser Ort wird mit zehn Millionen Grad so heiß, dass hier Röntgenstrahlung entsteht. Die Röntgenquelle ist allerdings nicht punktförmig, sondern ausgedehnt, wie Abbildung 3 beweist. Der Grund ist, dass vom Pulsar ein Materiestrom mit hoher Geschwindigkeit herausgeschossen wird. Trifft dieser Materiestrahl auf das inter­ stellare Gas in der Umgebung, so entsteht eine Stoßfront. Um den Pulsar bilden die­ se Fronten konzentrische Ringe aus. Die Entstehung solcher Strukturen lässt sich mit Computerrechnungen reproduzie­ ren, die im Prinzip das Ausbreiten einer schnell strömenden Flüssigkeit simulie­ ren. Typisch für die theoretische Plasma­ physik ist nämlich die Beschreibung des Plasmas als magnetisierte Flüssigkeit. Der entsprechende Zweig in der Theorie ist eine Hydrodynamik, die magnetische und elektrische Effekte berücksichtigt; sie heißt Magnetohydrodynamik. Die Magnetfelder in der Umgebung von Sternen werden unter dem Begriff Magnetosphäre zusammengefasst. Auch die Sonne hat eine Magnetosphäre, weil das Sonnenplasma turbulente magne­ tische Felder induziert, die weit in die Sonnenumgebung hinausreichen. Im Un­ terschied zur Sonne, die maximale Ma­ gnetfeldstärken von einem Tesla erreicht, haben Neutronensterne extreme Magnet­ felder von etwa hundert Millionen Tes­ la. Zum Vergleich: die stärksten Magnet­ felder im irdischen Labor erreichen etwa hundert Tesla. Der Ursprung dieser ex­ tremen Felder von Neutronensternen hat mehrere Gründe: Im Vorläuferstern exis­ tieren bereits schwache Magnetfelder, und zwar weil sie von bewegten, elektrischen Ladungen erzeugt werden. Diese Fel­der werden im Kollaps des Sterns mitgeris­ sen und verdichtet. Außerdem rotiert der Neutronenstern extrem schnell und wickelt die Feldlinien auf. Beides zusam­ men, Sternkollaps und Rotation, verstär­ ken die Magnetfelder enorm. Teilchenphysik: Fast lichtschnelle Partikel Der schnell rotierende, magnetisierte Neutronenstern induziert extrem starke elektrische Felder. Diese ziehen geladene Teilchen aus der Sternoberfläche und be­ schleunigen sie zu hohen Geschwindig­ keiten entlang der elektrischen Feldlinien. So entsteht ein Partikelstrom oder Stern­ wind, der von der Oberfläche des Neutro­ nensterns ausgeht. Die Energiequelle für die Magneto­ sphäre und die schnellen Teilchen ist letztlich die Rotationsenergie des Neu­ tronensterns. Durch die Aufwicklung der Magnetfelder entstehen Zonen, in denen Magnetfelder entgegengesetzter Polarität aneinanderstoßen. In diesen Bereichen brechen die Magnetfelder zusammen (Re­ konnexion) und übertragen die Feldener­ gie als kinetische Energie auf das Plasma. Um den Neutronenstern herum ent­ wickelt sich auf diese Weise eine Hülle schnell ausströmenden Plasmas. Dieser Wind trifft auf die Sternumgebung, das interstellare Medium, wo sich eine Stoß­ front ausbildet. Hier »reiten« die Teilchen gewissermaßen auf Stoßwellen, die fast so schnell sind wie das Licht und werden dadurch beschleunigt. Physiker nennen Sterne und Weltraum März 2008 39 Halbleiterphysik: Trickreiche Instrumente – e – ED' > ED e–’ Ee–> Ee–' Abb. 4: In einem Prozess namens Comptonisierung streuen Photonen (g) an den geladenen Partikeln eines heißen Plasmas (hier ein Elektron e–) und gewinnen dadurch zusätzliche Energie. Abb. 5: Das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte befindet sich in den chilenischen Anden auf dem Berg Cerro Paranal in einer Höhe von etwa 2600 Metern. Vier Großteleskope der 8-Meter-Klasse werden hier für optische und Nahinfrarot-Beobachtungen benutzt. Sie können zusammengeschaltet werden, um Strukturen am Himmel abzubilden, die so klein sind wie der 40 000ste Teil des Vollmonddurchmessers. SuW-Grafik, Quelle: A. Müller D’ Eso Wir kommen nun zu einem weiteren Zweig der Physik, der assoziiert ist mit der Frage, wie diese attraktiven Natur­ bilder (Abb. 1 und 3) eigentlich zustan­ de kommen: der Halbleiterphysik. Halb­ leiter sind Materialien, deren elektrische Leitfähigkeit gezielt durch Beigabe von D familie gehören, sprechen Physiker hier von leptonischen Jets. In der Magnetosphäre gibt es sehr ener­ giereiches Licht, so genannte Gamma­ photonen, die noch energiereicher sind als Röntgenstrahlung. Die Synchrotron­ strahlung, die zunächst im niederener­ getischen Bereich der Radiostrahlung entsteht, wird nochmals »energetisch verstärkt«: Astrophysiker nennen diesen Vorgang Comptonisierung, und meinen damit Lichtteilchen, die am heißen Plas­ ma zu höheren Energien gestreut wer­ den (Abb. 4). Die gestreute Synchrotron­ strahlung liegt schließlich im Bereich der Gammastrahlung. Aus dieser extrem hochenergetischen Strahlung materiali­ sieren Elektron-Positron-Paare, also Ma­ terie und Antimaterie. Aus Licht wird demnach Materie! Diese geladenen Teil­ chen folgen den elektrischen und magne­ tischen Feldlinien in der Umgebung des Neutronensterns. Dieser Abschnitt ver­ deutlicht direkt Aspekte der Teilchenphy­ sik, die uns schon bei der Kern- und Plas­ maphysik begegnet sind. das Fermi-Prozesse erster Ordnung. Das funktioniert nicht bis hinaus zu belie­ bigen Distanzen, sondern die gerichtete Bewegung der Teilchen geht in eine Zu­ fallsbewegung über. Dann endet die Stoß­ front, ein Übergangsbereich, der in Abbil­ dung 1 am Außenrand der inneren, dunk­ len Region liegt. Pulsare sind demnach gewaltige Teil­ chenbeschleuniger, weil die starken Magnetfelder in ihrer Umgebung die elektrischen Ladungen zu höchsten Ge­ schwindigkeiten beschleunigen. Tatsäch­ lich werden in Pulsarwinden die höchsten Teilchengeschwindigkeiten im gesamten Kosmos gemessen. Sie übertreffen sogar die schnellen Materiestrahlen in aktiven Galaxien (AGN) oder in Gammastrah­ lenausbrüchen (GRBs). Physiker drücken die Geschwindigkeit durch den Lorentz­ faktor g = 1/√1 – (y2/c2) aus, wobei y die Geschwindigkeit und c die Lichtgeschwin­ digkeit ist. Die dimensionslose Zahl g be­ trägt bei AGN knapp zehn und bei GRBs bis etwa tausend, bei den Pulsarwinden hingegen bis zu zehn Millionen! Beim Krebsnebel werden die Teilchen sogar in einem Materiestrahl hinausge­ schossen. Er ist im Röntgenfoto in Ab­ bildung 3 als längliche Struktur sichtbar, die von der Bildmitte (dem Pulsar) sich einerseits nach links unten und anderer­ seits nach rechts oben ausbildet. Dieser Materiestrahl, auch Jet genannt, besteht im Wesentlichen aus Elektronen und Po­ sitronen. Da diese Teilchen zur Leptonen­ 40 Sterne und Weltraum März 2008 Fremdatomen (Dotieren) beeinflusst werden kann. Halbleiter kommen in der modernen Astronomie bei der Strah­ lungsmessung in allen Wellenlängenbe­ reichen zum Einsatz, und zwar in so ge­ nannten Dioden. Dabei machen sich die Astronomen zunutze, dass diese Halb­ leiterbauteile elektromagnetische Strah­ lung in einen elektrischen Strom umwan­ deln. Vereinfacht gesagt ist der elektrische Strom umso stärker, je höher die Energie der Lichtteilchen ist. Damit aus dieser Grundidee ein as­ tronomisches Beobachtungsinstrument wird, muss die Strahlung aus dem Welt­ all eingefangen und auf einer Halbleiter­ oberfläche gebündelt werden. Diese Ar­ beit übernimmt in der optischen Astro­ nomie ein System mehrerer Linsen oder Spiegel. In der Röntgenastronomie ver­ wendet man hingegen speziell geform­ te Metallröhren, an deren Mantelfläche die streifend einfallende Röntgenstrah­ lung in einem Brennpunkt fokussiert wird (nach ihrem Erfinder Wolter-Tele­ skop genannt). Auf der Halbleiterober­ fläche entsteht ein Bild des kosmischen Objekts, das durch den inneren Photoef­ fekt im Halbleiter in eine elektrische In­ formation umgewandelt werden kann. Damit das Bild ausreichend hell wird, muss viel Licht eingefangen werden. Das erreichen die Astronomen mit einer aus­ reichend großen Öffnung (= Objektiv­ durchmesser) des Teleskops. Das gerade vorgestellte Prinzip ist heutzutage in jeder handelsüblichen Digi­ talkamera verwirklicht. Die wesentlichen Komponenten sind Objektiv, lichtemp­ findliche Halbleiterschicht, Bildspeicher und Energiequelle des Apparats. Die moderne, beobachtende Astrono­ mie ist eine schnell wachsende HightechIndustrie geworden. Die Halbleiter befin­ den sich in den Kameras, die an Großte­ leskope wie dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte Eso, an­ geschlossen sind (Abb. 5); sie fliegen auch auf weltraumgestützten Röntgensatel­ liten wie XMM-Newton der Europäischen Weltraumbehörde Esa mit. Die Halbleitertechnik kommt auch in der Teilchen- und Kernphysik zum Ein­ satz. Hier dient sie unter anderem dem Nachweis von Teilchen oder der präzi­ sen Messung der Lebensdauer von insta­ bilen Partikeln. Die Physiker der unter­ schiedlichen Forschungszweige müssen sich eine eigene Industrie aufbauen (ty­ pischerweise den Forschungsinstituten angegliedert), in der sie neue Halbleiter entwickeln, testen und zur Serienreife bringen. Das liegt daran, dass die Halb­ leiter der herkömmlichen, kommerzi­ ellen Industrie nur selten für die Wissen­ schaft geeignet sind. Spitzenforschung durch Exzellenzinitiative W ie betreibt man erfolgreich Spitzenforschung? Die drei wesentlichen Elemente sind fachlich hochqualifiziertes Personal, Kommunikation und gute lokale sowie internationale Kontakte zwischen den Forschern. Fachkompetenz, Kommunikation und Netzwerk sind auch in der Wirtschaft ein Erfolgsrezept. Die deutsche Politik hat 2005 dieses Konzept unter dem Etikett Exzellenzinitiative ins Leben gerufen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erhielt 1,9 Milliarden Euro mit dem Auftrag, diese Mittel zur Förderung der Spitzenforschung zu verteilen. Die Laufzeit dieser Initiative ist zunächst auf fünf Jahre befristet. Es wird noch entschieden, ob die Exzellenzinitiative über Oktober 2011 hinaus weitergeführt wird. Dabei gibt es drei Förderungsmaßnahmen: Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Zukunftskonzepte. Alle diese so genannten Förderlinien werden zurzeit in Deutschland umgesetzt. Die Graduiertenschulen dienen der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und bieten optimale Bedingungen, um mit der Doktorarbeit abzuschließen. Diese Ausbildungszentren sind Quellen hochqualifizierten Personals. Die Exzellenzcluster sind an deutschen Universitäten angesiedelt und stellen international vernetzte Forschungseinrichtungen dar, die sich einem Forschungsprojekt der universitären Spitzenforschung widmen. An den Clustern werden ebenfalls Diplomanden und Doktoranden ausgebildet sowie Postdoktoranden und Professoren beschäftigt. In den Exzellenzclustern gibt es außerdem ein Austauschprogramm, damit qualifizierte Wissenschaftler aus dem Ausland ihre Kenntnisse und Methoden einbringen. Die Zukunftskonzepte dienen dem Ausbau der universitären Spitzenforschung, um sie langfristig international konkurrenzfähig zu machen. Die Exzellenz soll so einen dauerhaften Charakter erhalten und ausgebaut werden. Im Oktober 2006 wurden 18 Graduiertenschulen, 17 Exzellenzcluster und drei Zukunftskonzepte bewilligt. Kürzlich, im Oktober 2007, wurden weitere 21 Graduiertenschulen, 20 Exzellenzcluster und 6 Zukunftskonzepte in der zweiten Runde der Exzellenzinitiative ausgelobt. Zahl der bewilligten Förderlinien Graduiertenschulen Exzellenzcluster Zukunftskonzepte Oktober 2006 Oktober 2007 18 21 17 20 3 6 Summe 39 37 9 Interdisziplinarität am Krebsnebel-Pulsar Wir sind nun an einem einzigen Him­ melsobjekt sehr unterschiedlichen phy­ sikalischen Disziplinen begegnet: As­ tro-, Kern-, Plasma-, Teilchen- und Halbleiterphysik. Jede Disziplin für sich genommen erfordert ein hochspeziali­ siertes Fachwissen. Um jedoch das Himmelsobjekt Krebs­ nebel insgesamt zu verstehen, muss zwi­ schen den Fachdisziplinen ein Austausch stattfinden: Der Astrophysiker erklärt dem Kernphysiker, wie ein Neutronen­ stern entstehen kann, und der Kernphy­ siker erklärt dem Astrophysiker, weshalb dieses kompakte Objekt überhaupt stabil ist. Der Astrophysiker weiß, dass aus der Sternentwicklung ein schnell rotierender Neutronenstern hervorgeht und gibt den Plasma- und Teilchenphysikern die Aus­ gangssituation vor, die sie für Modelle der schnellen Teilchen und hochenerge­ tischen Strahlung in der unmittelbaren Umgebung des Pulsars benutzen können. So bildet sich ein facettenreiches Modell der Physik des Krebsnebel-Pulsars her­ aus. Daraus wiederum lässt sich ableiten, welche Strahlungsformen entstehen und wie sie astronomisch beobachtet werden könnten. Schließlich entwickeln die Halb­ leiterphysiker in enger Zusammenarbeit mit Beobachtern und Ingenieuren geeig­ nete astronomische Instrumente, um Fo­ tos des Himmelsobjekts zu gewinnen. Selbstverständlich gibt es in der Wis­ senschaft auch den umgekehrten Weg: Die Astronomen beobachten »ins Blaue hinein« und bilden ein kosmisches Objekt ab, das sie zunächst überhaupt nicht ver­ stehen. Auf der Grundlage der Beobach­ tungsdaten wird versucht, physikalische Parameter wie beispielsweise Dichte, Temperatur, Masse und/oder Leuchtkraft zu ermitteln. Aus diesen Eigenschaften entwickeln die Theoretiker ein physika­ Sterne und Weltraum März 2008 41 lisches Modell, das im Nachhinein die Be­ obachtung erklärt. Für das Gesamtverständnis ist eine fachübergreifende Arbeit unbedingt er­ forderlich. Was in der Wirtschaft gerne mit positiven Synergieeffekten bezeich­ net wird, erweist sich in der Physik als Voraussetzung für naturwissenschaft­ liche Erkenntnis. Der Exzellenzcluster Universe A Wie verhält sich Materie bei extrem hohen Energien und geringen Distan­ zen? B Gibt es eine Symmetrie zwischen Ma­ terie und Kräften? C Woher kommen die Teilchenmassen und ihre Hierarchie? D Was sind kosmische Phasenübergänge, und wie kommt die Materie ins Uni­ versum? E Was sind die dunklen Komponenten des Universums? F Wie sind Schwarze Löcher entstanden, und wie entwickeln sie sich? G Wie wurde das Universum mit schweren Elementen angereichert? Jede Frage begründet einen Forschungs­ bereich, eine Research Area. Die Wissen­ Lichten bergstr. H TUM Physik Mü nch en B1 1 Fre is ing Schon der Krebsnebel-Pulsar als einzelnes Himmelsobjekt hat den interdisziplinären Charakter der Physik herausgestellt. Die­ se Eigenschaft tritt umso klarer zutage, wenn Wissenschaftler das Universum als Ganzes beschreiben wollen. Die entspre­ chende naturwissenschaftliche Disziplin, die Kosmologie, hat kein geringeres Ziel, als den Ursprung des Kosmos und das Zustandekommen der großräumigen, kosmischen Strukturen zu erklären! Die­ ser Herausforderung stellt sich der Excel­ lence Cluster for Fundamental Physics – The Origin and Structure of the Universe. Die Exzellenzcluster sind im Zuge der Ex­ zellenzinitiative entstanden (siehe Kasten auf Seite 41). Die Geschäftsstelle des Exzellenzclus­ ters Universe befindet sich am Campus Garching und gehört zur Technischen Universität München (Abb. 6). Zu die­ sem Exzellenzcluster zählen unterschied­ liche Institutionen im Raum Garching/ München, die gerade die oben dargestell­ te Vielfalt von Disziplinen abbilden: das Physik Department der Technischen Uni­ versität München (TUM), die Fakultät für schaftler im Cluster sind einer oder meh­ reren Research Areas (RAs) zugehörig. Innerhalb jeder RA und zwischen den RAs ist der wissenschaftliche Austausch ausdrücklich erwünscht, weil das gerade der interdisziplinären Forschung im Ex­ zellenzcluster Rechnung trägt. Die Research Areas A bis D behan­ deln vor allem Forschungsthemen der Teilchen- und Kernphysik. Die Physiker testen hier das Standardmodell der Teil­ chenphysik, das Quarks und Leptonen zu elementaren Bausteinen der Materie erklärt. Die Forscher entwickeln auch neue Konzepte, wie die Supersymmetrie und Quantengravitation, weil sie wissen wollen, was mit Materie und Fundamen­ talkräften passiert, wenn das Universum so heiß wird wie beim Urknall. Ähnliche Bedingungen wie beim Ur­ knall können auf der Erde in Teilchenbe­ schleunigern hergestellt werden. In den Zusammenstößen von Teilchenbündeln werden Dichten und Temperaturen er­ reicht, wie sie Sekundenbruchteile nach dem Urknall vorherrschten. An der Großforschungseinrichtung Cern (Con­ seil Européen pour la Recherche Nuc­ léaire) in der Schweiz entsteht derzeit ein Teilchenbeschleuniger der Superlative, der Large Hadron Collider (LHC). An der Entwicklung dieses Beschleunigers und weiterer Experimente am Cern arbeiten weltweit Tausende Forscher mit – darun­ ter auch Mitglieder des Münchner Exzel­ lenzclusters Universe. Voraussichtlich beginnt die wissenschaftliche Arbeit mit dem LHC Mitte 2008. Mit einem der dort durchgeführten Experimente namens Atlas soll das berühmte Higgs-Teilchen experimentell nachgewiesen werden (Abb. 7). Dieses Teilchen ist das letzte des Standardmodells der Teilchenphy­ sik, das bislang nicht gemessen wurde. Das Higgs-Boson ist dafür verantwort­ lich, dass alle anderen Teilchen des Stan­ dardmodells eine Masse haben. Weiterhin hoffen die Atlas-Forscher die so genannte Supersymmetrie nach­ zuweisen. Es handelt sich dabei um eine Symmetrie zwischen zwei fundamen­ talen Teilchengruppen, Fermionen und Bosonen, die zur Konsequenz hat, dass viel mehr Teilchen existieren sollten, als gemäß des Standardmodells der Teil­ chenphysik. Diese hypothetischen, neu­ en Teilchen heißen zum Beispiel Neutrali­ no, Higgsino oder Selektron und werden als Kandidaten für die rätselhafte Dunkle Materie im Kosmos diskutiert. Physik der Ludwig-Maximilians-Univer­ sität München (LMU), die Universitäts­ sternwarte München (USM), die Institu­ te der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), nämlich das Max-Planck-Institut für As­ trophysik (MPA), das Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik (MPE), das Max-Planck-Institut für Physik (MPP) und das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) sowie das Maier-Leibnitz-Laborato­ rium der LMU/TUM, das Halbleiterlabor der MPG und schließlich die Europäische Südsternwarte (Eso). An diesen Insti­ tutionen arbeiten Forscher, die dem Ex­ zellenzcluster angehören. Sie wollen die großen Fragen der Kosmologie gemein­ sam beantworten. Diese sieben, wissen­ schaftlichen Fragestellungen lauten: FRM Maschinenwesen U Imetum BBoollttz zm maannnns sttrr.. Ludwig -Prandt l-Str. H U Universe Cluster Pforte Isar IPP Kantine MPE Mathematik/ Informatik Eso 42 Sterne und Weltraum März 2008 Google Earth MPA Abb. 6: Die meisten der an dem Exzellenzcluster Universe beteilig­ten Institute befinden sich auf dem Campus Garching bei München. Rechnerarchitekturen am Rechenzent­ rum Garching und am Leibniz-Rechen­ zentrum; sie sind aber auch in internatio­ nale Kollaborationen eingebunden und partizipieren an internationalen Rechen­ zentren. Im Exzellenzcluster Universe arbeiten demnach Experimentatoren und Theo­ retiker aus unterschiedlichen Disziplinen der Physik Hand in Hand an einer Viel­ zahl von Projekten zusammen. Der Status Im August 2007 haben die Cluster-Koor­ dinatoren Stephan Paul (TUM) und An­ dreas Burkert (LMU/USM) sowie ihre Ad­ ministration ein eigenes Cluster-Gebäude am Campus Garching bezogen, das im September 2007 eingeweiht wurde. Der Exzellenzcluster hat bereits einige insti­ tutsübergreifende, wissenschaftliche Ver­ anstaltungen organisiert. Am 13. Oktober 2007 hat sich der Cluster bei der »Langen Nacht der Wissenschaft« der Öffentlich­ keit mit großem Erfolg vorgestellt. Der wissenschaftliche Betrieb im Ex­ zellenzcluster intensiviert sich von Tag zu Tag: An den Cluster-Institutionen und im Cluster-Gebäude selbst sind bereits seit Monaten Wissenschaftler des Exzel­ lenzclusters beschäftigt. 2008 wird einen rapiden Zuwachs an wissenschaftlichen Beschäftigten bringen, weil dann weitere Nachwuchsforschungsgruppen (Junior Research Groups) in das Cluster-Gebäu­ de einziehen werden. Die ungeklärten Fragen um den Krebsnebel-Pulsar und die Geheimnisse des Universums stehen nun einer neu­ gierigen und entschlossenen Gemein­ schaft hervorragender Wissenschaftler aus aller Welt gegenüber. Die Spitzen­ forscher werden Antworten auf Fragen finden, die unsere eigene Existenz im Universum in neuem Licht erscheinen lassen werden. Der Rand der Erkenntnis wird sich morgen in ein Terrain ausbrei­ ten, das heute unbekannt, unerforscht M und rätselhaft ist. Cern/Atlas-Kollaboration In den Research Areas E bis G liegen die Schwerpunkte in der Astrophysik. E be­ handelt eines der größten Rätsel: Nur vier Prozent der Energieformen im Kosmos sind uns vertraut. 96 Prozent sind voll­ kommen unbekannt und werden mit der Dunklen Materie und der Dunklen Ener­ gie in Zusammenhang gebracht. Die Aus­ wirkungen dieser dunklen Komponenten des Kosmos sind astronomisch beobacht­ bar: Dunkle Materie hält Galaxien durch zusätzliche Gravitation zusammen. Dun­ kle Energie sorgt für eine beschleunigte Expansion des Universums. Das große Problem ist, dass völlig unklar ist, welche Physik sich hinter der Dunklen Materie und der Dunklen Energie verbirgt. Die Research Area F befasst sich mit extrem massereichen Schwarzen Lö­ chern, die im Zentrum einer jeden Ga­ laxie sitzen. Sie vereinen die milliarden­ fache Sternmasse in sich und müssen sich vor Jahrmilliarden entwickelt ha­ ben. Die Details dieser Entstehungsge­ schichte Schwarzer Löcher sind unver­ standen. Schließlich untersuchen die Wissenschaftler der Research Area G, wie die chemischen Elemente in den Kos­ mos gekommen sind. Gemeint sind da­ mit vor allem Elemente, die schwerer als Eisen sind, also beispielsweise Gold oder Blei. Sie entstehen in Roten Riesen und in Stern­explosionen und fanden durch mehrmalige Vermischungsprozesse ih­ ren Weg auf die Erde. Die Wissenschaftler des Exzellenzclus­ ters Universe haben Zugang zu vielen in­ ternationalen Instrumenten, darunter der bald startende Satellit zur Erforschung der kosmischen Hintergrundstrahlung Planck, das Tscherenkow-Teleskop Magic für den Bereich höchster Strahlungs­ energien, das High-Tech-Teleskop Large Binocular Telescope (LBT), das im Bau befindliche deutsche Röntgenteleskop eRosita, das tief im Untergrund des ita­ lienischen Gebirgsmassivs Gran Sasso befindliche Neutrinoexperiment Borexino, die Cern-Experimente Atlas zur Suche nach dem Higgs- und den super­ symmetrischen Teilchen, Compass zur Erforschung der Hadronen und Isolde zur Analyse von Isotopen uvm. Der Erfolg von Naturwissenschaften gründet sich nicht nur auf Experimente, sondern erfordert auch die theoretische Forschung. Theoretiker führen heutzu­ tage ihre Berechnungen nicht nur mit dem Stift auf einem Blatt Papier durch, sondern benutzen Hochleistungsrechner (»Supercomputer«), die ihre komplexen Rechnungen mannigfach lösen. Analy­ tik, Numerik und Visualisierung sind we­ sentliche Disziplinen der theoretischen Forschung. Die Wissenschaftler im Ex­ zellenzcluster Universe nutzen lokal die Abb. 7: Was hier aussieht wie eine industrielle Fabrikanlage, ist in Wahrheit ein Teil eines gigantischen physikalischen Experiments. Es handelt sich um einen zylinderförmigen Detektor, der A Toroidal LHC ApparatuS, kurz Atlas, getauft wurde und der Teil des unterirdischen Beschleunigerrings LHC am Cern ist. Atlas hat etwa die Größe eines fünfstöckigen Hauses. Die Beschleunigerstrahlen, die aus Protonen bestehen, treffen sich im Zentrum des Detektors. Dort lösen sie eine Kette von Ereignissen aus: Viele neue Teilchen entstehen, die mit einer komplexen Anordnung von Messgeräten registriert werden. Diese Messungen können mit Computersimulationen der Teilchenkollision verglichen werden. Literaturhinweise F. Pacini: Energy Emission from a Neutron Star. Nature 216, 567, (1967) J. Kirk, Y. Lyubarsky & J. Pétri: The theory of pulsar winds and nebulae. http://xxx.uni-augsburg.de/ abs/astro-ph/0703116 Ute Kraus: Röntgenpulsare. SuW 10/2006, S. 38–45 Hans-Thomas Janka: Supernova­ explosio­nen und rasende Neutronensterne. SuW 1/2007, S. 44–52 Andreas Müller promovierte 2004 im Fach Astronomie an der Universität Heidelberg über Schwarze Löcher und war von 2005 bis 2007 Postdoc in der Röntgengruppe am Max-Planck-Institut für extra­ terrestrische Physik in Garching. Seit August 2007 ist er der wissenschaftliche Koordinator im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. Sterne und Weltraum März 2008 43