108 Osteologie des Kindes- und Jugendalters Erworbene Störungen des Skelettsystems Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie S. Bechtold-Dalla Pozza Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie, Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU München Schlüsselwörter Osteoporose, Rachitis, Osteomalazie, Glukokortikoide, Zytokine Zusammenfassung Die Osteoporose stellt ein weltweites Gesundheitsproblem dar. Im Kindesalter tritt sie sehr viel seltener als im Erwachsenenalter auf, die Ursachen sind mannigfaltig. Bisher wurden zahlreiche Kandidatengene für die Knochendichte gefunden, die mit der individuellen Knochendichte assoziiert zu sein scheinen. Neben der primären Osteoporose gibt es eine Vielzahl von Erkrankungen, die von einer sekundären Osteoporose begleitet werden. Die zugrundeliegenden Pathomechanismen sind vielseitig. Unter anderem greifen Zytokine in das Gleichgewicht zwischen Osteoblasten und Osteoklasten ein. Neben krankheitsbedingtem Knochenmasseverlust beeinflussen Lebensstil und Ernährungsverhalten die Knochenentwicklung. Bei mehr als 60 Prozent der Kinder und JugendliKorrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU München Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie Lindwurmstr. 4, 80337 München Tel.: 089/51 60-28 12, Fax: 089/51 60-39 21 E-Mail: [email protected] Osteoporose ist ein wohl bekanntes, weltweites Gesundheitsproblem, das vor allem ältere Menschen betrifft. Aber auch Kinder können von Knochenverlust und Osteoporose betroffen sein. In schweren Fällen des Knochenverlustes erleidet das Kind Frakturen. In weniger schweren Fällen wird das Kind seine genetisch vorgegebene maximale Knochenmasse nicht erreichen und möglicherweise später im Erwachse- chen in Deutschland liegt eine ungenügende Versorgung mit Vitamin D vor. In schwereren Fällen kann es zu einer Rachitis, bei verschlossenen Wachstumsfugen zu einer Osteomalazie kommen. Neben einer frühen Diagnose einer Störung der Knochenentwicklung sind präventive und therapeutische Strategien notwendig, um die Knochengesundheit im Kindesalter zu erhalten. Keywords Osteoporosis, rickets, osteomalacia, glucocorticoids, cytokines Summary Osteoporosis is a well-known worldwide health problem. Usually adults, especially the elderly, are affected. However, children could also develop osteoporosis or less severe forms of reduced bone mass. The underlying pathomechanism is multifactorial. Several candiAcquired disturbance of the skeletal system Osteoporosis and rickets/osteomalacia Osteologie 2013; 22: 108–112 eingereicht: 24. Februar 2013 angenommen: 20. März 2013 nenalter unter den Folgen einer niedrigeren Knochenmasse leiden. Sechzig Prozent der Bevölkerung sind unzureichend mit Vitamin D versorgt. Eine Empfehlung zur Vitamin-D-Versorgung über die Nahrung wurde von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) unlängst ausgegeben. Senioren, Menschen mit dunkler Hautfarbe und all jenen Personen, die sich kaum draußen bewegen, legt sie darüber hinaus date genes have been found being associated with lower bone mineral density. Besides primary osteoporosis forms a large number of chronic diseases are accompanied by bone loss. The child may not reach his or her genetically-determined peak bone mass or develop fractures. The mechanism involved in the pathogenesis of secondary bone loss includes among others elevated cytokines influencing the balance between modelling and remodelling. Glucocorticoid induced osteoporosis is the most common form of secondary osteoporosis. Glucocorticoids have direct and indirect effects on the skeleton. They impair the replication, differentiation and function of osteoblasts and induce apoptosis of mature osteoblasts and osteocytes, leading to suppression of bone formation. Glucocorticoids promote osteoclastogenesis and therefore increase bone resorption. Besides disease related bone loss, lifestyle changes including food and amount of weight bearing activity have an influence on bone health. Due to a survey in Germany about 60 % of children and adolescents have insufficient vitamin D levels leading possibly to rickets or osteomalacia, especially those with a migration background. Early recognition as well as preventive and therapeutic strategies are warranted to provide bone health in children. ans Herz, von Oktober bis April Vitamin D einzunehmen. Rachitis/Osteomalazie Bereits vor mehr als 500 Millionen Jahren wurden große Mengen an Vitamin D2 in Kieselalgen (Phytoplanktonart) gebildet. „Ergosterol“ als Bestandteil der Zellmem- © Schattauer 2013 Osteologie 2/2013 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 109 S. Bechtold-Dalla Pozza: Erworbene Störungen des Skelettsystems – Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie bran nahm große Mengen an UV-Licht auf und schützte dadurch die RNA und DNA der Ein- und Mehrzeller. Vitamin D hat sich im Laufe der Zeit zu einem zentralen Bestandteil eines komplexen Hormonsystems entwickelt, das neben knöchernen auch regulatorische Funktionen auf Ebene der Gene und in der Immunologie hat (1, 2). Bei der Knochenbildung wird zunächst organische Grundsubstanz (Matrix) angelegt, die dann in einem zweiten Schritt mineralisiert wird. Eine Störung der Mineralisierung der Knochenmatrix wird Rachitis oder Osteomalazie genannt (3). Rachitis bezeichnet dabei eine gestörte Mineralisation des Knochens, die zur Desorganisation der Wachstumsfuge führt. Osteomalazie ist eine verminderte Mineralisation des synthetisierten Osteoids in der Kortikalis und Spongiosa. Im Kindes- und Jugendalter können beide Defekte nebeneinander auftreten, bei Erwachsenen nach Schluss der Epiphysen nur eine Osteomalazie. Die Diagnose wird anhand der klinischen Symptomatik, radiologischen Veränderungen und erhöhter alkalischer Phosphatase gestellt. Ein subklinischer VitaminD-Mangel noch ohne Symptome einer Rachitis/Osteomalazie wird selbst in hochentwickelten Ländern sehr häufig gefunden. Ein Mangel wird definiert als ein 25-Hydroxy-Vitamin-D-Serumspiegel unter 20 ng/ml. Die Vitamin-D-Konzentration unterliegt großen saisonalen Schwankungen. Ziel sollte es aber sein, den Vitamin-D-Spiegel dauerhaft über 30 ng/ml zu halten (4). Hierfür ist eine tägliche Zufuhr von etwa 600–1000 IE Vitamin D erforderlich. In der KIGGS-Erhebung zeigten ca. 63 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zwei und 17 Jahren eine nicht ausreichende Vitamin-D-Versorgung mit Spiegeln von unter 20 ng/ml. Jugendliche mit Migrationshintergrund hatten ein besonders hohes Risiko für unzureichende Vitamin-D-Spiegel (5). Eine Rachitis kann darüber hinaus Symptom einer chronischen Erkrankung mit Malabsorption (Zöliakie, zystische Fibrose, Morbus Crohn), einer granulomatösen Erkrankung (Sarkoidose, Tuberkulose), einer hepatobiliären Erkrankung oder die Folge einer Medikamenteneinnahme (Glukokortikoide, Anti- konvulsiva, Fungizide, AIDS-Medikamente) sein. Osteoporose Osteoporose ist die Folge einer Imbalance zwischen Knochenmodelling und Knochenremodelling. Im Kindesalter übersteigt die Knochenneubildung die Knochenresorption, was einen Nettozuwachs an Knochen zur Folge hat. Eine unzureichende Bildung oder ein übersteigerter Abbau führt zum Knochenverlust. Folge ist eine erniedrigte Anzahl oder Dicke der Trabekel bzw. eine zu dünne Kortikaliswand. Primäre Osteoporose Die primäre Osteoporose tritt zumeist im Kindesalter in Zusammenhang mit einer Osteogenesis imperfecta auf. Daneben wird versucht, Kandidatengene für die Entwicklung weiterer Osteoporoseformen zu finden (wie z. B. Osterix oder Noggin). Sekundäre Osteoporose Als Folge einer Vielzahl von akuten oder chronischen Erkrankungen (▶Tab. 1) kann es zu einem Verlust an Knochenmasse kommen. Die Erkrankungen müssen nicht unmittelbar zu einer Osteoporose führen. Ein wichtiges Charakteristikum ist, dass der Knochenverlust schleichend vonstatten geht. Das kann zur Folge haben, dass der Knochenverlust erst dann erkannt wird, wenn bereits eine Fraktur aufgetreten ist oder eine Knochendichtemessung durchgeführt wurde (▶ Abb. 1). Zumeist tragen viele Faktoren zur Ätiologie der Knochenentwicklungsstörung bei chronischen Erkrankungen bei. Zu ihnen zählen die Inflammation, die Gabe von Medikamenten, u. a. Glukokortikoide, die mangelnde körperliche Aktivität, Malnutrition und Endokrinopathien (z. B. Hypogonadismus). Bei Malabsorption oder Malnutrition tritt ein Mangel an wichtigen Nährstoffen auf (u. a. Fett, Zink, Kalzium, Vitamin D). Häufige Krankenhausaufenthalte, Vermeidung von Sonnenlicht aufgrund phototoxischer Reaktionen unter immunsuppressiver Therapie und geringe Aktivität im Freien durch eingeschränkte Mobilität steigern zudem das Risiko für einen erniedrigten Vitamin-D-Spiegel. Der zugrundeliegende Pathomechanismus des sekundären Knochenverlustes bei chronischen Erkrankungen ist nur zum Teil verstanden. Rezeptoraktivator von NFκB-Ligand (RANKL), ein Mitglied der TNF-Zytokinfamilie, wird auch von aktivierten T-Zellen exprimiert. Durch Bindung an RANK, das von den Osteoklasten gebildet wird, kommt es zur Bildung und Differenzierung von Osteoklasten sowie Suppression ihrer Apoptose. Die physiologische Regulation erfolgt über Osteoprotegerin (OPG), das von den Osteoblasten gebildet wird und ein Antagonist von Tab. 1 Beispiele für sekundäre Osteoporoseformen Table 1 Examples of secondary osteoporosis Inflammation • juvenile idiopathische Arthritis • systemischer Lupus erythema- Ernährung • entzündliche Darmerkrankung • Anorexia nervosa • Malabsorption und Maldiges- todes tion neurologisch-motorisch endokrin hämatologisch-onkologisch renal • Zöliakie • Vitamin-D-Mangel • Epilepsie • Duchenne • spinale Verletzungen • Hypogonadismus • Hyperthyreose • Ullrich-Turner-Syndrom • Wachstumshormonmangel • Cushing • Sichelzellanämie • Thalassämie • Hämophilie • ALL • chronisch metabolische Azidose Stoffwechsel iatrogen Osteologie 2/2013 • chronische Niereninsuffizienz • nephrotisches Syndrom • Galaktosämie • Diabetes mellitus • zystische Fibrose • Homozystinurie • Glykogenosen • Antikonvulsiva • Methotrexat • Glukokortikoide © Schattauer 2013 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 110 S. Bechtold-Dalla Pozza: Erworbene Störungen des Skelettsystems – Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie Abb. 1 Infolge einer rheumatischen Erkrankung (Inflammation, Medikation, Immobilisation) verändertes Handskelett Fig. 1 Skeletal changes of the hand due to rheumatic disease (inflammation, medication, immobilisation) RANKL ist. Das Verhältnis von RANKL und OPG bestimmt die Osteoklastenaktivität. Bei vielen chronischen Erkrankungen beeinflussen vermehrte T-Zellaktivierung mit Zytokinproduktion (IL-6, IL-1, TNF-α), Glukokortikoide (GC), Gonadotropinmangel, erhöhtes PTH und fehlende mechanische Reize das Gleichgewicht und verschieben es zugunsten von RANKL. Proinflammatorische Zytokine (wie TNF-α) induzieren ferner die Apoptose der Osteozyten (6). Akute Stressreaktionen führen über die Ausschüttung von endogenen Glukokortikoiden zu einer vermehrten RANKL-Bildung. Lang anhaltender Stress hat eine gesteigerten Apoptose von Osteoblasten und Osteozyten zur Folge (7). Glukokortikoidinduzierte Osteoporose Das Auftreten einer Osteoporose bei endogenem Hyperkortisolismus wurde bereits von Cushing beschrieben. Nach Einführung der Glukokortikoide in der Pharmakotherapie wurde sehr schnell offensichtlich, dass die Osteoporose eine der schwerwiegendsten Nebenwirkungen dieser Therapie ist. Pathophysiologisch werden unter Therapie mit Glukokortikoiden die Osteoblasten in Anzahl und Funktion gehemmt bei gleichzeitig inadäquat hoher Osteoklastenaktivität (v. a. in der Frühphase). Dies lässt sich zum einen durch eine bevorzugte adipogene Differenzierung der osteoblastären Vorläuferzellen und zum anderen durch eine beschleunigte Apoptose der Osteoblasten erklären. Ferner hemmen die Glukokortikoide die Osteoblastendifferenzierung durch den Wnt/β-Catenin-Signalweg, indem Dickkopf, ein Antagonist der Wnt-Bindung an seinen Rezeptor, vermehrt gebildet wird (8). Auch die Lebenszeit der Osteozyten ist verkürzt. Glukokortikoide erhöhen die Synthese von Kollagenase 3, einer Matrixmetalloproteinase, die zu einem Abbau von Kollagen Typ I und II führt (9). Glukokortikoide steigern die Expression von RANKL und vermindern die OPG-Bildung (10). Histomorphometrisch finden sich verminderte Knochenbildungs- und Knochenresorptionsparameter („low turn-over“), eine verminderte Anzahl ausgedünnter Trabekel und ein dünnerer Kortex (11). Ferner ist die Kalziumabsorption im Darm gehemmt und die Kalziumausscheidung im Urin erhöht. Ein milder Hyperparathyreoidismus kann sich entwickeln (12). Ein weiterer Pathomechanismus, der zur Entwicklung einer Osteoporose beiträgt, ist die Störung der WH-IGF-I- und der gonadalen Achse (13). IGF-I hat einen anabolen Effekt auf die Knochenbildung. Niedrige Spiegel führen zu einer reduzierten Osteoblastenaktivität (14). Als Ausdruck einer verminderten Knochenformation finden sich erniedrigte Spiegel an alkalischer Phosphatase oder Osteokalzin (15). Der Knochenverlust ist besonders stark in den ersten zwölf Monaten und pendelt sich dann auf ein individuell niedriges Niveau ein. Die supprimierende Wirkung auf den Knochenumsatz ist bei Dexamethason im Vergleich zu Prednison mehr als zehnfach höher (16). Der entscheidende klinische Endpunkt ist die Frakturrate. Daten aus England bei Kindern, die mit Glukokortikoiden behandelt wurden, verdeutlichen, dass das Frakturrisiko bei längerer und häufigerer Anwendung um den Faktor 1,32 erhöht war. Nicht differenzieren konnte diese Studie zwischen dem Effekt der Grunderkrankung (Zytokine, Malnutrition, Immobilisation) und dem der Glukokortikoide auf den Knochen (17). Nicht trennen lässt sich ein direkter Effekt der Glukokortikoide auf den Knochen von einem indirekten einer steroidbedingten Myopathie. Krankheitsbeispiele Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Eine Vielzahl von Studien konnte in der Vergangenheit belegen, dass eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) mit einer Reduzierung der Knochenmasse und Knochendichte einhergeht. Bereits bei neu diagnostizierten Patienten, die noch nicht mit Glukokortikoiden behandelt wurden, liegt eine verminderte trabekuläre Knochendichte vor. Bezieht man aber die erniedrigte Knochenmasse auf die verminderte Muskelmasse, so zeigen sich nahezu „Normalwerte“ für die Knochenmineralmasse (18). Durch Inflammation, verminderte körperliche Aktivität und Malnutrition scheint es zu einem frühen Verlust an Muskelmasse zu kommen (19). Zusätzlich stimulieren erhöhte Konzentrationen zirkulierender Zytokine (IL-1, IL-6, IL-7, TNF-α, TNF-β und RANKL) und Wachstumsfaktoren (PDGF) die Osteoklastogenese und stören gleichzeitig die Osteoblastenfunktion. Eine erhöhte Knochenresorption bei verminderter Knochenformation ist die Folge (20). Suppressor des Zytokinsignalweges 2 (SOCS2) ist erhöht bei einer Reihe von inflammatorischen Erkrankungen, so auch der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Über SOCS2 kommt es zu einer Störung der Chondrozytenentwicklung einerseits und andererseits zur Störung der GH-IGFI-Achse (21). Epidemiologische Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für pathologi- © Schattauer 2013 Osteologie 2/2013 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 111 S. Bechtold-Dalla Pozza: Erworbene Störungen des Skelettsystems – Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie sche Frakturen, die eine Risikosteigerung um den Faktor 1,4 bis 2,2 angeben (22) . nutrition zu ungenügender Zufuhr u. a. von Kalzium, Vitamin D, Zink und Proteinen. Diabetes mellitus Antikonvulsive Medikamente Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 wird aufgrund der metabolischen Erkrankung und damit einhergehender Stoffwechselentgleisung (HbA1c, Diabetesdauer) in der Literatur vielfach auf eine erniedrigte Knochendichte, verbunden mit einer erhöhten Frakturrate, hingewiesen. Diabetische Osteopathie und diabetische Osteoporose werden als Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus Typ 1 dargestellt (23). Ursächlich wird eine erhöhte Kalziumausscheidung über die Niere, ein erhöhtes PTH, erhöhte AGE (advanced glycation end products), Hyperglykämie und ein erniedrigtes IGF-I, Osteokalzin, Insulin und Amylin diskutiert (24). Es besteht jedoch keine einheitliche Meinung über die Wertigkeit von metabolischen Parametern wie HbA1c, Insulinbedarf, Hypoglykämierate, ketoazidotische Entgleisung oder Diabetesdauer für die Knochenentwicklung (25). Langzeituntersuchungen konnten im Kindesalter keine Auffälligkeiten in der Knochenmasse und -dichte zeigen (26), auch fehlen Angaben zur Frakturhäufigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes. Histomorphometrische Untersuchungen bei jungen Erwachsenen mit diabetesassoziierten Folgeerkrankungen wiesen Auffälligkeiten der Knochenmasse auf (27). Dies erklärt möglicherweise das bis zu sechsfach erhöhte Risiko für Hüftfrakturen bei Erwachsenen mit langjährigem Diabetes Typ 1 (28). Antikonvulsive Medikamente, die die Aktivität von Cytochrom P450 induzieren, wie Phenobarbital oder Phenytoin, sind zumeist mit einem negativen Effekt auf den Knochen über einen funktionellen Vitamin-D-Mangel vergesellschaftet (30). Duchenne-Muskeldystrophie Muskelabbau und Sarkopenie können zu einem Knochenverlust beitragen (▶ Abb. 2). Farr et al. konnten eine inverse Korrelation zwischen Fettgehalt der Muskulatur und der Knochenstabilität herstellen (31). Wie auch bei Immobilisation und Bettlägerigkeit tritt bei der Duchennschen Muskeldystrophie durch die fehlenden Kräfte auf den Knochen ein Knochenmasseverlust auf, möglicherweise vermittelt über das sympathische Nervensystem und β-adrenerge Rezeptoren auf den Osteoblasten (32). Versuche des Erhalts der Muskelfunktion durch Gabe von Glukokortikoiden haben zwar den Vorteil der Verlangsamung des Muskelabbaus, haben aber eine dadurch bedingte Osteopathie zur Folge. Dennoch konnte eine Langzeitstudie unter Verwendung von Deflazacort bei Patienten mit Duchennscher Muskeldystrophie trotz besserer körperlicher Aktivität keine erhöhte Frakturrate der unteren Extremität im Vergleich zu unbehandelten Patienten finden (33). Therapeutische Möglichkeiten Generell gilt es, Risikofaktoren im Zusammenhang mit sekundären Osteoporoseformen zu reduzieren. Glukokortikoide sollten so kurz und so niedrig dosiert wie möglich verabreicht werden. Hypogonadismus, ungenügende Nahrungszufuhr und mangelnde Bewegung müssen in der Behandlung chronisch kranker Kinder bedacht werden. Keine ausreichende Evidenz besteht für die Gabe von Vitamin D und Kalzium bei Vitamin-D-suffizienten Kindern zur Prophylaxe oder Therapie einer sekundären Osteoporose. Die therapeutischen Möglichkeiten bei Osteopathien im Kindesalter sind sehr limitiert. Neben dem Einsatz von Bisphosphonaten bei der Osteogenesis imperfecta stehen noch die Supplementierung von Vitamin D und Kalzium bei der Rachitis/Osteomalazie als etablierte Therapien zur Verfügung. Bisphosphonate sollten nur bei schweren Formen der Osteoporose eingesetzt werden. Eine alleinige Anorexia nervosa Die geschätzte Prävalenz in den Industrieländern liegt im Mittel bei 0,7 Prozent. Erkrankte haben eine – bezogen auf das Körpergewicht – niedrigere Knochenmasse und eine höhere Frakturrate im späteren Leben (29). Die niedrigere Knochenmasse ist dabei assoziiert mit einem verminderten Knochenumsatz. Ursächlich hierfür scheinen die reduzierte Muskelmasse, erniedrigte Fettmasse, der Hypogonadismus, verminderte IGF-I-Spiegel und erhöhte Kortisolspiegel zu sein. Daneben führt die Mal- Abb. 2 Periphere quantitative Computertomografie bei einem 13-jährigen Patienten mit Duchennescher Muskeldystrophie; deutlich verminderte Knochendichte peripher (links), die Muskelmasse ist mit Fettgewebe durchsetzt (rechts) Fig. 2 Peripheral quanitative computed tomography of a 13-year-old patient with Duchenne muscle distrophy: reduced bone mineral density at the distal radius (left), reduced muscle mass riddled with fat tissue Osteologie 2/2013 © Schattauer 2013 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 112 S. Bechtold-Dalla Pozza: Erworbene Störungen des Skelettsystems – Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie Literatur Fazit für die Praxis Bereits im Kindesalter kann eine Osteoporose, primär oder sekundär, auftreten. Gerade die höhere Überlebensrate und die bessere Lebensqualität nach chronischen Erkrankungen rücken die Knochengesundheit in den Fokus. Trotz eingeschränkter therapeutischer Möglichkeiten sollten die Patienten frühzeitig erkannt werden. Nur daraus lassen sich neue Erkenntnisse über die Entstehung und mögliche therapeutische Wege finden. Eine Herausforderung stellt auch die ungenügende Vitamin-D-Versorgung in Deutschland dar. Präventive Maßnahmen scheinen gerade bei Kindern und Adoleszenten mit Migrationshintergrund notwendig. Sie sollten nach Zeichen einer Rachitis bzw. Osteomalazie befragt werden, um eine gezielte Therapie zu beginnen. Reduktion der Knochenmasse oder -dichte stellt keine Indikation dar (34). Anabol wirkende Substanzen wie Wachstumshormon konnten bei chronischen Erkrankungen einen positiven Effekt für die Knochenentwicklung aufzeigen (35). Zugelassen hierfür sind sie aber nicht. Eine effektive Krankheitskontrolle durch Behandlung mit biologisch aktiven Medikamenten (z. B. TNF-α-Rezeptorantagonisten) kann sich positiv auf den Knochenmetabolismus auswirken. Eine Blockade des TNF-α-Rezeptors vermag das Verhältnis von RANKL zu OPG zu normalisieren (36). Der Immobilisation kann durch gezielte Krankengymnastik oder Vibrationstraining entgegengewirkt werden. Eingehende Analysen der Nahrungszufuhr bei chronischen Erkrankungen könnte eine weitere präventive Maßnahme für den Knochen darstellen. Konzepte zur Diagnostik und Therapie von Knochenverlusten bei chronischen Erkrankungen fehlen noch weitgehend. Interessenkonflikt Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 1. Dobnig H. Vitamin D. Osteologie 2011; 20: 289. 2. Pilz S, Kienreich K, Tomaschitz A. 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