Erworbene Störungen des Skelettsystems

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Osteologie des Kindes- und Jugendalters
Erworbene Störungen des
Skelettsystems
Osteoporose und Rachitis/Osteomalazie
S. Bechtold-Dalla Pozza
Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie, Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU München
Schlüsselwörter
Osteoporose, Rachitis, Osteomalazie, Glukokortikoide, Zytokine
Zusammenfassung
Die Osteoporose stellt ein weltweites Gesundheitsproblem dar. Im Kindesalter tritt sie
sehr viel seltener als im Erwachsenenalter
auf, die Ursachen sind mannigfaltig. Bisher
wurden zahlreiche Kandidatengene für die
Knochendichte gefunden, die mit der individuellen Knochendichte assoziiert zu sein
scheinen. Neben der primären Osteoporose
gibt es eine Vielzahl von Erkrankungen, die
von einer sekundären Osteoporose begleitet
werden. Die zugrundeliegenden Pathomechanismen sind vielseitig. Unter anderem
greifen Zytokine in das Gleichgewicht zwischen Osteoblasten und Osteoklasten ein.
Neben krankheitsbedingtem Knochenmasseverlust beeinflussen Lebensstil und Ernährungsverhalten die Knochenentwicklung. Bei
mehr als 60 Prozent der Kinder und JugendliKorrespondenzadresse
Priv.-Doz. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza
Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU München
Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie
Lindwurmstr. 4, 80337 München
Tel.: 089/51 60-28 12, Fax: 089/51 60-39 21
E-Mail: [email protected]
Osteoporose ist ein wohl bekanntes, weltweites Gesundheitsproblem, das vor allem
ältere Menschen betrifft. Aber auch Kinder
können von Knochenverlust und Osteoporose betroffen sein. In schweren Fällen
des Knochenverlustes erleidet das Kind
Frakturen. In weniger schweren Fällen
wird das Kind seine genetisch vorgegebene
maximale Knochenmasse nicht erreichen
und möglicherweise später im Erwachse-
chen in Deutschland liegt eine ungenügende
Versorgung mit Vitamin D vor. In schwereren
Fällen kann es zu einer Rachitis, bei verschlossenen Wachstumsfugen zu einer Osteomalazie
kommen. Neben einer frühen Diagnose einer
Störung der Knochenentwicklung sind präventive und therapeutische Strategien notwendig,
um die Knochengesundheit im Kindesalter zu
erhalten.
Keywords
Osteoporosis, rickets, osteomalacia, glucocorticoids, cytokines
Summary
Osteoporosis is a well-known worldwide
health problem. Usually adults, especially the
elderly, are affected. However, children could
also develop osteoporosis or less severe forms
of reduced bone mass. The underlying pathomechanism is multifactorial. Several candiAcquired disturbance of the skeletal system
Osteoporosis and rickets/osteomalacia
Osteologie 2013; 22: 108–112
eingereicht: 24. Februar 2013
angenommen: 20. März 2013
nenalter unter den Folgen einer niedrigeren Knochenmasse leiden. Sechzig Prozent
der Bevölkerung sind unzureichend mit
Vitamin D versorgt. Eine Empfehlung zur
Vitamin-D-Versorgung über die Nahrung
wurde von der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung (DGE) unlängst ausgegeben.
Senioren, Menschen mit dunkler Hautfarbe und all jenen Personen, die sich kaum
draußen bewegen, legt sie darüber hinaus
date genes have been found being associated with lower bone mineral density. Besides primary osteoporosis forms a large
number of chronic diseases are accompanied
by bone loss. The child may not reach his or
her genetically-determined peak bone mass
or develop fractures. The mechanism involved in the pathogenesis of secondary
bone loss includes among others elevated
cytokines influencing the balance between
modelling and remodelling. Glucocorticoid
induced osteoporosis is the most common
form of secondary osteoporosis. Glucocorticoids have direct and indirect effects on the
skeleton. They impair the replication, differentiation and function of osteoblasts and
induce apoptosis of mature osteoblasts and
osteocytes, leading to suppression of bone
formation. Glucocorticoids promote osteoclastogenesis and therefore increase bone
resorption. Besides disease related bone loss,
lifestyle changes including food and amount
of weight bearing activity have an influence
on bone health. Due to a survey in Germany
about 60 % of children and adolescents have
insufficient vitamin D levels leading possibly
to rickets or osteomalacia, especially those
with a migration background. Early recognition as well as preventive and therapeutic
strategies are warranted to provide bone
health in children.
ans Herz, von Oktober bis April Vitamin D
einzunehmen.
Rachitis/Osteomalazie
Bereits vor mehr als 500 Millionen Jahren
wurden große Mengen an Vitamin D2 in
Kieselalgen (Phytoplanktonart) gebildet.
„Ergosterol“ als Bestandteil der Zellmem-
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bran nahm große Mengen an UV-Licht auf
und schützte dadurch die RNA und DNA
der Ein- und Mehrzeller. Vitamin D hat
sich im Laufe der Zeit zu einem zentralen
Bestandteil eines komplexen Hormonsystems entwickelt, das neben knöchernen
auch regulatorische Funktionen auf Ebene
der Gene und in der Immunologie hat
(1, 2).
Bei der Knochenbildung wird zunächst
organische Grundsubstanz (Matrix) angelegt, die dann in einem zweiten Schritt
mineralisiert wird. Eine Störung der Mineralisierung der Knochenmatrix wird
Rachitis oder Osteomalazie genannt (3).
Rachitis bezeichnet dabei eine gestörte
Mineralisation des Knochens, die zur Desorganisation der Wachstumsfuge führt.
Osteomalazie ist eine verminderte Mineralisation des synthetisierten Osteoids in der
Kortikalis und Spongiosa. Im Kindes- und
Jugendalter können beide Defekte nebeneinander auftreten, bei Erwachsenen nach
Schluss der Epiphysen nur eine Osteomalazie. Die Diagnose wird anhand der klinischen Symptomatik, radiologischen Veränderungen und erhöhter alkalischer Phosphatase gestellt. Ein subklinischer VitaminD-Mangel noch ohne Symptome einer
Rachitis/Osteomalazie wird selbst in hochentwickelten Ländern sehr häufig gefunden. Ein Mangel wird definiert als ein
25-Hydroxy-Vitamin-D-Serumspiegel unter 20 ng/ml. Die Vitamin-D-Konzentration unterliegt großen saisonalen Schwankungen. Ziel sollte es aber sein, den Vitamin-D-Spiegel dauerhaft über 30 ng/ml zu
halten (4). Hierfür ist eine tägliche Zufuhr
von etwa 600–1000 IE Vitamin D erforderlich. In der KIGGS-Erhebung zeigten ca.
63 Prozent der Kinder und Jugendlichen
zwischen zwei und 17 Jahren eine nicht
ausreichende Vitamin-D-Versorgung mit
Spiegeln von unter 20 ng/ml. Jugendliche
mit Migrationshintergrund hatten ein besonders hohes Risiko für unzureichende
Vitamin-D-Spiegel (5). Eine Rachitis kann
darüber hinaus Symptom einer chronischen Erkrankung mit Malabsorption (Zöliakie, zystische Fibrose, Morbus Crohn),
einer granulomatösen Erkrankung (Sarkoidose, Tuberkulose), einer hepatobiliären
Erkrankung oder die Folge einer Medikamenteneinnahme (Glukokortikoide, Anti-
konvulsiva, Fungizide, AIDS-Medikamente) sein.
Osteoporose
Osteoporose ist die Folge einer Imbalance
zwischen Knochenmodelling und Knochenremodelling. Im Kindesalter übersteigt die Knochenneubildung die Knochenresorption, was einen Nettozuwachs
an Knochen zur Folge hat. Eine unzureichende Bildung oder ein übersteigerter Abbau führt zum Knochenverlust. Folge ist
eine erniedrigte Anzahl oder Dicke der
Trabekel bzw. eine zu dünne Kortikaliswand.
Primäre Osteoporose
Die primäre Osteoporose tritt zumeist im
Kindesalter in Zusammenhang mit einer
Osteogenesis imperfecta auf. Daneben
wird versucht, Kandidatengene für die Entwicklung weiterer Osteoporoseformen zu
finden (wie z. B. Osterix oder Noggin).
Sekundäre Osteoporose
Als Folge einer Vielzahl von akuten oder
chronischen Erkrankungen (▶Tab. 1) kann
es zu einem Verlust an Knochenmasse
kommen. Die Erkrankungen müssen nicht
unmittelbar zu einer Osteoporose führen.
Ein wichtiges Charakteristikum ist, dass
der Knochenverlust schleichend vonstatten
geht. Das kann zur Folge haben, dass der
Knochenverlust erst dann erkannt wird,
wenn bereits eine Fraktur aufgetreten ist
oder eine Knochendichtemessung durchgeführt wurde (▶ Abb. 1).
Zumeist tragen viele Faktoren zur Ätiologie der Knochenentwicklungsstörung bei
chronischen Erkrankungen bei. Zu ihnen
zählen die Inflammation, die Gabe von
Medikamenten, u. a. Glukokortikoide, die
mangelnde körperliche Aktivität, Malnutrition und Endokrinopathien (z. B. Hypogonadismus). Bei Malabsorption oder
Malnutrition tritt ein Mangel an wichtigen
Nährstoffen auf (u. a. Fett, Zink, Kalzium,
Vitamin D). Häufige Krankenhausaufenthalte, Vermeidung von Sonnenlicht aufgrund phototoxischer Reaktionen unter
immunsuppressiver Therapie und geringe
Aktivität im Freien durch eingeschränkte
Mobilität steigern zudem das Risiko für einen erniedrigten Vitamin-D-Spiegel.
Der zugrundeliegende Pathomechanismus des sekundären Knochenverlustes bei
chronischen Erkrankungen ist nur zum
Teil verstanden. Rezeptoraktivator von NFκB-Ligand (RANKL), ein Mitglied der
TNF-Zytokinfamilie, wird auch von aktivierten T-Zellen exprimiert. Durch Bindung an RANK, das von den Osteoklasten
gebildet wird, kommt es zur Bildung und
Differenzierung von Osteoklasten sowie
Suppression ihrer Apoptose. Die physiologische Regulation erfolgt über Osteoprotegerin (OPG), das von den Osteoblasten gebildet wird und ein Antagonist von
Tab. 1 Beispiele für sekundäre Osteoporoseformen
Table 1 Examples of secondary osteoporosis
Inflammation
• juvenile idiopathische Arthritis
• systemischer Lupus erythema-
Ernährung
• entzündliche Darmerkrankung
• Anorexia nervosa
• Malabsorption und Maldiges-
todes
tion
neurologisch-motorisch
endokrin
hämatologisch-onkologisch
renal
• Zöliakie
• Vitamin-D-Mangel
• Epilepsie
• Duchenne
• spinale Verletzungen
• Hypogonadismus
• Hyperthyreose
• Ullrich-Turner-Syndrom
• Wachstumshormonmangel
• Cushing
• Sichelzellanämie
• Thalassämie
• Hämophilie
• ALL
• chronisch metabolische Azidose
Stoffwechsel
iatrogen
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• chronische Niereninsuffizienz
• nephrotisches Syndrom
• Galaktosämie
• Diabetes mellitus
• zystische Fibrose
• Homozystinurie
• Glykogenosen
• Antikonvulsiva
• Methotrexat
• Glukokortikoide
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Abb. 1
Infolge einer rheumatischen Erkrankung
(Inflammation, Medikation, Immobilisation) verändertes Handskelett
Fig. 1
Skeletal changes of
the hand due to rheumatic disease (inflammation, medication,
immobilisation)
RANKL ist. Das Verhältnis von RANKL
und OPG bestimmt die Osteoklastenaktivität. Bei vielen chronischen Erkrankungen
beeinflussen vermehrte T-Zellaktivierung
mit Zytokinproduktion (IL-6, IL-1,
TNF-α), Glukokortikoide (GC), Gonadotropinmangel, erhöhtes PTH und fehlende
mechanische Reize das Gleichgewicht und
verschieben es zugunsten von RANKL.
Proinflammatorische Zytokine (wie
TNF-α) induzieren ferner die Apoptose der
Osteozyten (6). Akute Stressreaktionen
führen über die Ausschüttung von endogenen Glukokortikoiden zu einer vermehrten RANKL-Bildung. Lang anhaltender
Stress hat eine gesteigerten Apoptose von
Osteoblasten und Osteozyten zur Folge (7).
Glukokortikoidinduzierte
Osteoporose
Das Auftreten einer Osteoporose bei endogenem Hyperkortisolismus wurde bereits
von Cushing beschrieben. Nach Einführung der Glukokortikoide in der Pharmakotherapie wurde sehr schnell offensichtlich, dass die Osteoporose eine der schwerwiegendsten Nebenwirkungen dieser Therapie ist. Pathophysiologisch werden unter
Therapie mit Glukokortikoiden die Osteoblasten in Anzahl und Funktion gehemmt
bei gleichzeitig inadäquat hoher Osteoklastenaktivität (v. a. in der Frühphase).
Dies lässt sich zum einen durch eine bevorzugte adipogene Differenzierung der osteoblastären Vorläuferzellen und zum anderen
durch eine beschleunigte Apoptose der
Osteoblasten erklären. Ferner hemmen die
Glukokortikoide die Osteoblastendifferenzierung durch den Wnt/β-Catenin-Signalweg, indem Dickkopf, ein Antagonist der
Wnt-Bindung an seinen Rezeptor, vermehrt gebildet wird (8). Auch die Lebenszeit der Osteozyten ist verkürzt. Glukokortikoide erhöhen die Synthese von Kollagenase 3, einer Matrixmetalloproteinase,
die zu einem Abbau von Kollagen Typ I
und II führt (9). Glukokortikoide steigern
die Expression von RANKL und vermindern die OPG-Bildung (10). Histomorphometrisch finden sich verminderte Knochenbildungs- und Knochenresorptionsparameter („low turn-over“), eine verminderte Anzahl ausgedünnter Trabekel und
ein dünnerer Kortex (11). Ferner ist die
Kalziumabsorption im Darm gehemmt
und die Kalziumausscheidung im Urin erhöht. Ein milder Hyperparathyreoidismus
kann sich entwickeln (12). Ein weiterer
Pathomechanismus, der zur Entwicklung
einer Osteoporose beiträgt, ist die Störung
der WH-IGF-I- und der gonadalen Achse
(13). IGF-I hat einen anabolen Effekt auf
die Knochenbildung. Niedrige Spiegel führen zu einer reduzierten Osteoblastenaktivität (14). Als Ausdruck einer verminderten Knochenformation finden sich erniedrigte Spiegel an alkalischer Phosphatase
oder Osteokalzin (15). Der Knochenverlust
ist besonders stark in den ersten zwölf
Monaten und pendelt sich dann auf ein
individuell niedriges Niveau ein. Die supprimierende Wirkung auf den Knochenumsatz ist bei Dexamethason im Vergleich
zu Prednison mehr als zehnfach höher
(16).
Der entscheidende klinische Endpunkt
ist die Frakturrate. Daten aus England bei
Kindern, die mit Glukokortikoiden behandelt wurden, verdeutlichen, dass das Frakturrisiko bei längerer und häufigerer Anwendung um den Faktor 1,32 erhöht war.
Nicht differenzieren konnte diese Studie
zwischen dem Effekt der Grunderkrankung (Zytokine, Malnutrition, Immobilisation) und dem der Glukokortikoide auf
den Knochen (17). Nicht trennen lässt sich
ein direkter Effekt der Glukokortikoide auf
den Knochen von einem indirekten einer
steroidbedingten Myopathie.
Krankheitsbeispiele
Chronisch entzündliche
Darmerkrankungen
Eine Vielzahl von Studien konnte in der
Vergangenheit belegen, dass eine chronisch
entzündliche Darmerkrankung (CED) mit
einer Reduzierung der Knochenmasse und
Knochendichte einhergeht. Bereits bei neu
diagnostizierten Patienten, die noch nicht
mit Glukokortikoiden behandelt wurden,
liegt eine verminderte trabekuläre Knochendichte vor. Bezieht man aber die erniedrigte Knochenmasse auf die verminderte Muskelmasse, so zeigen sich nahezu
„Normalwerte“ für die Knochenmineralmasse (18). Durch Inflammation, verminderte körperliche Aktivität und Malnutrition scheint es zu einem frühen Verlust an
Muskelmasse zu kommen (19). Zusätzlich
stimulieren erhöhte Konzentrationen zirkulierender Zytokine (IL-1, IL-6, IL-7,
TNF-α, TNF-β und RANKL) und Wachstumsfaktoren (PDGF) die Osteoklastogenese und stören gleichzeitig die Osteoblastenfunktion. Eine erhöhte Knochenresorption bei verminderter Knochenformation ist die Folge (20). Suppressor des
Zytokinsignalweges 2 (SOCS2) ist erhöht
bei einer Reihe von inflammatorischen Erkrankungen, so auch der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Über
SOCS2 kommt es zu einer Störung der
Chondrozytenentwicklung einerseits und
andererseits zur Störung der GH-IGFI-Achse (21). Epidemiologische Studien
zeigen ein erhöhtes Risiko für pathologi-
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sche Frakturen, die eine Risikosteigerung
um den Faktor 1,4 bis 2,2 angeben (22) .
nutrition zu ungenügender Zufuhr u. a. von
Kalzium, Vitamin D, Zink und Proteinen.
Diabetes mellitus
Antikonvulsive Medikamente
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1
wird aufgrund der metabolischen Erkrankung und damit einhergehender Stoffwechselentgleisung (HbA1c, Diabetesdauer) in der Literatur vielfach auf eine
erniedrigte Knochendichte, verbunden mit
einer erhöhten Frakturrate, hingewiesen.
Diabetische Osteopathie und diabetische
Osteoporose werden als Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus Typ 1 dargestellt
(23). Ursächlich wird eine erhöhte
Kalziumausscheidung über die Niere, ein
erhöhtes PTH, erhöhte AGE (advanced
glycation end products), Hyperglykämie
und ein erniedrigtes IGF-I, Osteokalzin,
Insulin und Amylin diskutiert (24). Es besteht jedoch keine einheitliche Meinung
über die Wertigkeit von metabolischen
Parametern wie HbA1c, Insulinbedarf,
Hypoglykämierate, ketoazidotische Entgleisung oder Diabetesdauer für die Knochenentwicklung (25). Langzeituntersuchungen konnten im Kindesalter keine
Auffälligkeiten in der Knochenmasse und
-dichte zeigen (26), auch fehlen Angaben
zur Frakturhäufigkeit bei Kindern und
Jugendlichen mit Diabetes. Histomorphometrische Untersuchungen bei jungen
Erwachsenen mit diabetesassoziierten
Folgeerkrankungen wiesen Auffälligkeiten
der Knochenmasse auf (27). Dies erklärt
möglicherweise das bis zu sechsfach erhöhte Risiko für Hüftfrakturen bei Erwachsenen mit langjährigem Diabetes Typ 1 (28).
Antikonvulsive Medikamente, die die Aktivität von Cytochrom P450 induzieren, wie
Phenobarbital oder Phenytoin, sind zumeist mit einem negativen Effekt auf den
Knochen über einen funktionellen Vitamin-D-Mangel vergesellschaftet (30).
Duchenne-Muskeldystrophie
Muskelabbau und Sarkopenie können zu
einem Knochenverlust beitragen (▶ Abb.
2). Farr et al. konnten eine inverse Korrelation zwischen Fettgehalt der Muskulatur
und der Knochenstabilität herstellen (31).
Wie auch bei Immobilisation und Bettlägerigkeit tritt bei der Duchennschen Muskeldystrophie durch die fehlenden Kräfte auf
den Knochen ein Knochenmasseverlust
auf, möglicherweise vermittelt über das
sympathische Nervensystem und β-adrenerge Rezeptoren auf den Osteoblasten
(32). Versuche des Erhalts der Muskelfunktion durch Gabe von Glukokortikoiden haben zwar den Vorteil der Verlangsamung
des Muskelabbaus, haben aber eine dadurch bedingte Osteopathie zur Folge.
Dennoch konnte eine Langzeitstudie unter
Verwendung von Deflazacort bei Patienten
mit Duchennscher Muskeldystrophie trotz
besserer körperlicher Aktivität keine
erhöhte Frakturrate der unteren Extremität
im Vergleich zu unbehandelten Patienten
finden (33).
Therapeutische
Möglichkeiten
Generell gilt es, Risikofaktoren im Zusammenhang mit sekundären Osteoporoseformen zu reduzieren. Glukokortikoide
sollten so kurz und so niedrig dosiert wie
möglich verabreicht werden. Hypogonadismus, ungenügende Nahrungszufuhr und
mangelnde Bewegung müssen in der Behandlung chronisch kranker Kinder bedacht werden. Keine ausreichende Evidenz
besteht für die Gabe von Vitamin D und
Kalzium bei Vitamin-D-suffizienten Kindern zur Prophylaxe oder Therapie einer
sekundären Osteoporose.
Die therapeutischen Möglichkeiten bei
Osteopathien im Kindesalter sind sehr
limitiert. Neben dem Einsatz von
Bisphosphonaten bei der Osteogenesis
imperfecta stehen noch die Supplementierung von Vitamin D und Kalzium bei
der Rachitis/Osteomalazie als etablierte
Therapien zur Verfügung. Bisphosphonate
sollten nur bei schweren Formen der Osteoporose eingesetzt werden. Eine alleinige
Anorexia nervosa
Die geschätzte Prävalenz in den Industrieländern liegt im Mittel bei 0,7 Prozent. Erkrankte haben eine – bezogen auf das Körpergewicht – niedrigere Knochenmasse
und eine höhere Frakturrate im späteren
Leben (29). Die niedrigere Knochenmasse
ist dabei assoziiert mit einem verminderten
Knochenumsatz. Ursächlich hierfür scheinen die reduzierte Muskelmasse, erniedrigte Fettmasse, der Hypogonadismus, verminderte IGF-I-Spiegel und erhöhte Kortisolspiegel zu sein. Daneben führt die Mal-
Abb. 2 Periphere quantitative Computertomografie bei einem 13-jährigen Patienten mit Duchennescher Muskeldystrophie; deutlich verminderte Knochendichte peripher (links), die Muskelmasse ist mit
Fettgewebe durchsetzt (rechts)
Fig. 2 Peripheral quanitative computed tomography of a 13-year-old patient with Duchenne muscle
distrophy: reduced bone mineral density at the distal radius (left), reduced muscle mass riddled with fat
tissue
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Literatur
Fazit für die Praxis
Bereits im Kindesalter kann eine
Osteoporose, primär oder sekundär, auftreten. Gerade die höhere Überlebensrate und
die bessere Lebensqualität nach chronischen Erkrankungen rücken die Knochengesundheit in den Fokus. Trotz eingeschränkter therapeutischer Möglichkeiten
sollten die Patienten frühzeitig erkannt werden. Nur daraus lassen sich neue Erkenntnisse über die Entstehung und mögliche
therapeutische Wege finden. Eine Herausforderung stellt auch die ungenügende Vitamin-D-Versorgung in Deutschland dar. Präventive Maßnahmen scheinen gerade bei
Kindern und Adoleszenten mit Migrationshintergrund notwendig. Sie sollten nach
Zeichen einer Rachitis bzw. Osteomalazie
befragt werden, um eine gezielte Therapie
zu beginnen.
Reduktion der Knochenmasse oder -dichte
stellt keine Indikation dar (34). Anabol
wirkende Substanzen wie Wachstumshormon konnten bei chronischen Erkrankungen einen positiven Effekt für die Knochenentwicklung aufzeigen (35). Zugelassen hierfür sind sie aber nicht. Eine effektive Krankheitskontrolle durch Behandlung
mit biologisch aktiven Medikamenten (z. B.
TNF-α-Rezeptorantagonisten) kann sich
positiv auf den Knochenmetabolismus auswirken. Eine Blockade des TNF-α-Rezeptors vermag das Verhältnis von RANKL zu
OPG zu normalisieren (36). Der Immobilisation kann durch gezielte Krankengymnastik oder Vibrationstraining entgegengewirkt werden. Eingehende Analysen der
Nahrungszufuhr bei chronischen Erkrankungen könnte eine weitere präventive
Maßnahme für den Knochen darstellen.
Konzepte zur Diagnostik und Therapie von
Knochenverlusten bei chronischen Erkrankungen fehlen noch weitgehend.
Interessenkonflikt
Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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© Schattauer 2013
Osteologie 2/2013
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