Botulinum feiert Geburtstag

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Botulinum feiert Geburtstag
Vor 20 Jahren erfolgte in Deutschland die Erstzulassung zur medizinischen Anwendung: spannende Info
Erfolgsstory des Botulinum-Proteins:
Der schwäbische Arzt Justinus Kerner beschrieb im Jahr 1815 zum ersten Mal das Auftreten von Lähmungserscheinungen
nach dem Verzehr verdorbener Würste. Die eigentliche Ursache wurde aber erst im Jahr 1895 durch den belgischen Mediziner
Emile van Ermengem entdeckt: Bakterien bilden ein Protein, das die Lähmungserscheinungen auslöst. Die Bakterien nennt er
Bacillus botulium (botulus= lat. Wurst), das Protein Botulinumtoxin („Wurstgift“). Der Amerikaner Alan Scott kam 1973 als Erster
auf die Idee, Botulinum therapeutisch zu nutzen.
Seine Theorie: Ein Stoff, der Muskeln lähmen kann, kann bei richtiger Dosierung verkrampfte Muskeln entspannen!!
Dr. Scott setzte Botulinum mit so großem Erfolg zur Behandlung hyperaktiver, spastischer Muskeln ein, dass im Dezember
1989 die erste Zulassung für bestimmte Spasmus-Erkrankungen durch die FDA (Food and Drug Administration = USAmerikanische Zulassungsbehörde) in den USA erfolgt.
Das heutzutage als Medikament zugelassene Botulinumprotein ist durch Herstellung, Reinheit und Dosierung nicht mehr mit
dem „Gift“ der Entdeckertage zu vergleichen, die erste Zulassung in Deutschland erfolgte 1993, also vor 20 Jahren.
Zahlreiche Indikationen sind in den letzten 20 Jahren hinzu gekommen.
Botulinum ist als Medikament für folgende Erkrankungen derzeit in Deutschland zugelassen:

Lidkrampf (Blepharospasmus)

Hemifazialer Spasmus (einseitig auftretende, unwillkürliche Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur
zervikale Dystonie ( „Schiefhals“)

umschriebene Spastiken bei Kindern mit Spitzfuß oder bei Patienten nach Schlaganfall

primäre Hyperhidrosis axillaris (krankhaft gesteigertes Schwitzen im Bereich der Achseln)

Chronische Migräne

Überaktive Blase mit Harninkontinenz bei neurologischen Erkrankungen oder bei „Reizblase“

Botulinum wurde 2006 erstmalig in Deutschland zur Faltenbehandlung zugelassen.
Inzwischen sind drei zugelassene Produkte von renommierten Herstellern in Deutschland auf dem Markt.
Für diese gilt, dass als Grundlage für ihre Zulassung eine Vielzahl an Studien, die die Sicherheit des Wirkstoffes belegen,
durchgeführt wurden.
Die Firma Allergan hat im Jahre 2012 die Zulassung zur Testung ihrer Botulinumchargen mit einem speziell entwickelten
zellbasierten Wirksamkeitstest erhalten. Der Cell-Based Potency Assay, kurz CBPA, arbeitet mit menschlichen Zellen und
benötigt keine Versuchstiere mehr.
Botulinum gegen Depressionen
Im Februar 2012 erschien im Journal of Psychiatric Research der Artikel: „Facing depression with botulinum toxin: A
randomized controlled clinical trial“ von M.A. Wollmer et al.
In einer doppelblinden, placebo-kontrollierten Studie an 30 Patienten untersuchten Neurologen aus der Schweiz und
Deutschland den Einfluss einer Behandlung der "Zornesfalte" (Glabellaregion) mit Botulinumtoxin auf Symptome einer
Depression. Zur Objektivierung der Befunde wurden validierte Rating Scales herangezogen.
Dabei ergab sich, dass eine einmalige Behandlung der Glabellaregion einen deutlichen und über den Beobachtungszeitraum
von 16 Wochen eher zunehmenden verbessernden Effekt zeigte bei Patienten, die auf vorangehende antidepressive
Behandlung nicht ausreichend angesprochen hatte.
Als zugrundeliegender Mechanismus wird ein Biofeedback-Mechanismus zwischen mimischer Gesichtsmuskulatur und
Gemütszustand vermutet.
In vorangehenden Studien konnte gezeigt werden, dass negative Emotionen wie Ärger, Angst und Traurigkeit mit einer
erhöhten muskulären Aktivität der „Zornesfaltenmuskeln“ Corrugator und Procerus einhergehen (Ekman und Friesen, 1978). Bei
Patienten mit Depressionen konnte eine Überaktivität dieser Muskeln festgestellt werden (Schwartz et al 1976).
Weiterhin konnte in mehreren Arbeiten eine Steigerung des Wohlbefindens und eine Verringerung negativer Gefühle
beobachtet werden (Sommer et al 2003, Heckmann et al 2003, Davis et al 2010). 2009 konnte eine Arbeitsgruppe mittels MRT
Untersuchungen Hinweise auf zentralnervöse Feedbackmechanismen zwischen mimischer Muskulatur und Hirnstammregionen,
die an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind, nachweisen: nach Entspannung der mimischen Muskulatur mit Botulinum
zeigte sich eine Modulation in der Aktivierung von Hirnstammregionen, die für Gefühle verantwortlich sind. Die Autoren
schlossen daraus, dass durch Feedbackmechanismen durch Entspannung der Gesichtsmuskulatur eine Beeinflussung
zentraler „Gefühlsschaltstellen“ möglich sei (Hennenlotter et al, 2009).
Aufgrund der noch kleinen Fallzahlen werden noch weitere Studien notwendig sein, um eine endgültige Aussage zu
ermöglichen.
Insgesamt handelt es sich aber um eine sehr interessante Beobachtung, die viele Anwender durch Beobachtungen im eigenen
Patientenklientel bestätigen können.
Links:
www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022395612000386
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