Fallbeispiel - Department für Psychiatrie und Psychotherapie

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ADHS und
Persönlichkeitsstörungen bei
Jugendlichen: (wie) passt das
zusammen?
OA Dr. M. Fuchs
Univ. Klinik f. Kinder- und Jugendpsychiatrie
Department für Psychiatrie und Psychotherapie
kurze Vorstellung…
• OA Dr. Martin Fuchs
– Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, Facharzt für
Kinder- und Jugendpsychiatrie
– Pychotherapeutische Medizin in
Ausbildung (Systemische
Familientherapie)
• Arbeitsplatz: Medizinische
Universität Innsbruck, Univ. Klinik
f. Kinder- und Jugendpsychiatrie
• Klinik: OA Station B, OA
Ambulanz
• Forschung: Epidemiologie, PS
• Lehre: MUI, AZW (Pflegeberufe),
Pädagogische Hochschule Tirol
• Partnerschaft, 1 Tochter, 1 Sohn
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universität innsbruck---kongress 30.01.2015
ADHS und Persönlichkeitsstörungen
im Jugendalter
?
[email protected]
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Ziel und Gliederung
• Persönlichkeitsstörungen
bei Jugendlichen
– Situation aktuell (DSM-5)
– Wrap-up des bisher gehörten
• ADHS bei Jugendlichen
– Situation aktuell (DSM-5)
• ADHS und PS
– Gemeinsames Vorkommen?
– Neurobiologie: „common
ground“?
• Implikationen für
Diagnostik und Behandlung
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Persönlichkeitsstörungen im
Jugendalter
[email protected]
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Fallbeispiel
• Weibl. Jugendliche
• Rez. Suizidale Krisen, zuletzt
mehrere Kurzaufenthalte,
auch im
Unterbringungsbereich
• Aufenthalt in therapeutischer
WG
• Somatisch und hirnorganisch
keine path. Befunde
• Neurokognitive
Leistungsdiagnostik: oberer
Durchschnittsbereich
– Gymnasium abgebrochen
– Derzeit kein
Ausbildungsverhältnis
[email protected]
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Fallbeispiel
•
Klinische Symptomatik:
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
•
Mass. SV an beiden UA und OS (Rasierklingen,
Zigaretten)
Ritualisierte SV zum Spannungsabbau (vorher
Duschen, besondere Musik)
2 Suizidversuche, chron. Suizidgedanken
ohne Konkretisierung
Hochgradige Affektlabilität, Affektregulation
kaum möglich
Gefühle von innerer Leere
Identitätsstörung: ausgeprägt instabiles
Selbstbild, wenige rasch wechselnde Ziele
Depressive Episoden mit Anhedonie, soz.
Rückzug, Antriebsminderung
On/off-Beziehung mit jungem Mann
Cannabis-Konsum zum Spannungsabbau
Wutausbrüche, verlässt Visitengespäche
schreiend
Beginn d. Symptomatik m. 13 Jahren
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Fallbeispiel
• 16-jährige junge Frau mit
dem Vollbild einer
Borderline-PS
• Bestätigung durch SKID-II,
AIDA
• Erster Kontakt mit KJP (mit
ähnlich ausgeprägter Klinik!)
mit 13 Jahren
• 2012 Diagnose:
– „F43.2 Depressive
Anpassungsstörung mit
Borderline Persönlichkeitsentwicklungsstörung“
[email protected]
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Fallbeispiel
• Ein Leben zeitweise im
Minenfeld:
–
–
–
–
Nähe-Distanz
Zurückweisung
Intoxikationen
Konflikte und
Konfliktbewältigung
– Partnerschaft
– Soziale Bühnen:
Arbeitsplatz, Schule,
Freundeskreis…
[email protected]
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„He who must not be named“?
•
Pat. erfüllt klinisch 9 von den
geforderten 9 Kriterien für eine
Borderline-PS nach DSM-5, erfüllt
auch im korrespondierenden
strukturierten klinischen Interview
(SKID-II) alle geforderten Kriterien
– Symptomatik verursacht mass.
Leidensdruck
– behindert die Entwicklung
•
Warum bekommt Pat. mit 13 Jahren
die Diagnose „F43.2 Depressive
Anpassungsstörung mit Borderline
Persönlichkeitsentwicklungsstörung“ ?
•
Warum soll man die Störung nicht
beim Namen nennen?
[email protected]
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Larrivee, Dialogues Clin Neurosci. 2013
Mögliche Erklärung: 2 hartnäckige
Mythen
• 2 grundlegende Irrtümer
verhinderten lange eine
vernünftige Diskussion:
• Persönlichkeit ist ab dem
Erreichen der Volljährigkeit (18.
Geburtstag) stabil, nur vorher
findet Entwicklung (deshalb
Persönlichkeitsentwicklungsstörung) statt,
möglicherweise eine Entwicklung
„zum guten“
• Eine PS stellt für Betroffene ein
lebenslanges „Schicksal“ dar und
ist nur sehr eingeschränkt
therapier- bzw. veränderbar
Schmeck, 2008
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Persönlichkeit
• Trait-Merkmale von
Persönlichkeit („Big Five“) erst
ab dem 4.-6. Lebensjahrzehnt
einigermaßen stabil
• Wahrscheinlich verändert sich die
Persönlichkeit im Schnitt
zwischen 20 – 40 Jahren mehr als
im Jugendalter
• Längsschnittdaten zeigen keinen
wesentlichen Anstieg der
Stabilität von Persönlichkeit mit
dem 16. oder 18. Lebensjahr
Specht 2011, Roberts 2006, Asendorpf 2002
• „Persönlichkeit verändert sich im
Lauf des Lebens ständig, aber
wird mit dem Alter visköser.“
Andrew Chanen, Basel 2014
[email protected]
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Epidemiologie: Verläufe im
Längsschnitt
•
50% - 70% aller erwachsenen
psychiatrischen Patienten weltweit
waren im Jugendalter bereits
symptomatisch
Jones 2013, Copeland 2011, Kessler 2007, Kim-Cohen 2003
•
•
•
Trennung in „KJP-Welt“ und
„Erwachsenen-Welt“ mittels 18.
Geburtstag macht in Kenntnis
epidemiologischer Längsschnittdaten
keinen Sinn!
Aber: Symptome sind im Längsschnitt
häufig wenig stabil („heterotypic
continuity“)
Besonders Persönlichkeitsstörungen
zeigen hohe kurzfristige Stabilität
aber geringe Stabilität über längere
Zeiträume von bspws. 10 Jahren
Schmeck, Schlüter-Müller 2009
[email protected]
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Borderline-PS im Jugendalter
•
Punktprävalenz im Jugendalter ca.
1,5%
Johnson, 2008
•
„Heavy User“: 10% aller ambulanten,
bis zu 50% der stationären Diagnosen
Kaess, 2014
•
Diagnosegruppe in KJP mit
schlechtestem psychosozialem
Outcome und niedrigster
Lebensqualität
Kaess, 2014
•
Diagnostische Stabilität im
Jugendalter vergleichbar mit
Erwachsenenalter
Kaess, 2014
•
Natürlicher Verlauf: onset in
Pubertät, peak in später Adoleszenz,
danach lineare Abnahme
Cohen, 2005
[email protected]
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Borderline-PS im Jugendalter
• Diagnostische Stabilität bei
kategorialer Diagnosestellung
nicht sehr hoch: 85% der
Erwachsenen „remittieren“ nach
10 Jahren, 99% nach 16 Jahren
Gunderson, 2011; Zanarini, 2012
• Aber: negative psychosoziale
Auswirkungen bleiben stabil!
– „Diagnostic features decline,
functional impairment is
absolutely flat!“
Andrew Chanen, Basel 2014
• Subklinische Formen sind ähnlich
behandlungsbedürftig, werden
bei kategorialer Diagnosestellung
aber nicht erfasst, dimensionale
Modelle wünschenswert
Zimmerman 2012, Chanen 2013, Kaess 2014
[email protected]
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Bio-Psycho-Soziales Modell
• Neurobiologische Grundrisken:
– Heritabilität 40%, Komplexe
Genetik, Gen-Umwelt
Assoziationen Amad 2014, Kaess 2014
– Stressachse verstellt:
abgeschwächte Cortisol-Antwort
auf Stress, ähnlich NSSV Kaess 2014
• Psychologische Grundannahmen:
– Bindung, Emotions- und
Affektregulation, TOM,
Mentalisieren Allen & Fonagy 2008
– Psychodynamische Theorien:
„strukturelle Störung“ Kernberg 2000
• Umweltfaktoren
– Aversive Aufwuchsbedingungen in
Kindheit (Bindung stärkerer
Prädiktor als Trauma!) Kaess 2013
– Mobbingerfahrung Lereya 2013
[email protected]
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Behandlung
• Spezifische
Behandlungsansätze:
–
–
–
–
–
TFP: am Kongress
AIT: am Kongress
MBT: am Kongress
DBT
HYPE
[email protected]
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Botschaften an die Patienten:
Psychoedukation
• Deine Erkrankung ist wie eine
Welle, die anschwillt, groß
und heftig wird, aber nach
einer gewissen Zeit wieder
verebbt.
• So ist der Verlauf bei den
allermeisten Menschen mit
einer Borderline-PS.
• Wir müssen jetzt, wo die
Welle heftig und stark ist, gut
zusammenarbeiten.
• Eine Borderline-PS kann man
gut behandeln, aber deine
Mithilfe ist entscheidend.
[email protected]
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ADHS im Jugendalter
[email protected]
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ADHS Basics
• DSM-5:
– Störung der neuronalen und
mentalen Entwicklung
– Erkrankung über die gesamte
Lebensspanne
– Spektrum-Erkrankung
• Erste Symptome:
– vor dem 12. Lebensjahr
(DSM-5), vor dem 7.
Lebensjahr (ICD-10)
• Prävalenz:
– 4,8% in Kindheit und Jugend
KiGGS 2007
– 2,5% im Erwachsenenalter
Kessler 2006, Bernardi 2012
[email protected]
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Verlauf
• Verlauf:
– ca. 50-70% der Fälle persistieren
ins Jugendalter
– Davon persistieren 50-70% der
Fälle ins Erwachsenenalter
Spröber 2013
• Metaanalyse von follow-up
Daten:
•
– 15% Persistenz in das 25. LJ (alle
Kriterien nach DSM-4)
– 65% Persistenz in das 25. LJ
(Kriterien für „in partieller
Remission“)
Faraone 2006
Selbst Patienten in partieller Remission
zeigen im Vergleich zu Kontrollgruppen
schlechteres psychosoziales Outcome
im Längsschnitt
Faraone 2006
[email protected]
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ADHS Basics
• Klassische Symptomtrias:
– Unaufmerksamkeit
– Hyperaktivität
– Impulsivität
• Klinische Diagnose, rel.
umfangreiche Abklärung
• Integratives Bio-Psycho-Soziales
Krankheitsmodell
– Neurobiologisch determinierte
Grundrisken
– Soziale Rahmenbedingungen
– Lernerfahrungen
• Integratives Bio-Psycho-Soziales
Behandlungsmodell
– Psychotherapie
– Psychoedukation
– Psychopharmakotherapie
[email protected]
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ADHS: kontroversielle genetische
Befunde
• Familien, -Zwillings- und
Adoptionsstudien zeigen:
– Genetische Heretabilität: 6075%
• D.h. die Unterschiede bzgl.
ADHS-Kernsymptomatik in
untersuchten Stichproben sind
zu 60-75% erblich bedingt
– Nicht-geteilte
Umweltbedingungen: 20-25%:
• Hauptrisikofaktoren: niedriges
Geburtsgewicht, Rauchen in SS;
aber auch
Geburtskomplikationen,
Inkubator, Beatmung als
Säugling, Chirurg. Eingriff als
Säugling
– Geteilte Umweltbedingungen:
<5%
Cortese 2012
[email protected]
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ADHS im DSM-5: Neuerungen
• „Neurodevelopmental
Disorder“ bzw. „Störung der
neuronalen und mentalen
Entwicklung“
• Erstmanifestation vor dem 12.
Lebensjahr
• ASD kein Ausschluss
• Erkrankung mit
Lebenszeitperspektive:
– Kriterien für Erwachsenenwelt
beschrieben
– Erwachsene und Jugendliche
>17 Jahre benötigen weniger
Kriterien zum Erfüllen der
Diagnose
[email protected]
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ADHS im Jugendalter:
Unaufmerksamkeit
• chaotische Organisation mit
gravierenden Planungs- und
Durchführungsproblemen in
verschiedenen
Lebensbereichen
• Schwierigkeiten zuzuhören
oder soziale Situationen
vollständig zu erfassen
• Wiederspruch zum im
Jugendalter zunehmenden
Autonomiebestreben und
dem Wunsch nach
Eigenverantwortung
• Misserfolge sozial, in
Ausbildung, beruflich
nach Spröber, 2013
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
ADHS im Jugendalter: Hyperaktivität
•
•
Verschiebung der äußeren
Hyperaktivität zu einer inneren
Unruhe und dem Gefühl, nicht
entspannen zu können
Sozial verträglichere Formen, um mit
motorischer Unruhe umzugehen, wie
– Wippen auf einem Stuhl , wiederholtes
Klicken eines Kugelschreibers,
rhythmisches Bewegen eines Beines
•
•
Techniken zur Selbststimulation, z.B.
Smartphone
Freizeitaktivitäten und
Ausbildungsberufe, die Bedürfnis
nach Bewegung befriedigen und dem
Vermeiden von
Gleichförmigkeit/Ruhe dienen
– z. B. risikoreiche Extremsportarten,
freiberufliche Tätigkeiten
nach Spröber, 2013
[email protected]
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ADHS im Jugendalter: Impulsivität
• niedrige
Frustrationstoleranz,
überschießende
Emotionen, plötzliche
Wutausbrüche,
Sprunghaftigkeit und
ausgeprägte Ungeduld
• impulsive Entscheidungen:
– Beziehung, Sexualität
– Drogenkonsum
– Ausbildung
• „Sensation Seeking“
nach Spröber, 2013
[email protected]
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ADHS: Besonderheiten der Therapie
im Jugendalter
•
•
Anspruchsvolle
Entwicklungsaufgaben,
Eigenverantwortung
Autonomiefindung vs. chronische
Erkrankung
– Infrage Stellen der Diagnose und
bisherigen Therapie
•
•
•
Selbstmedikation (Cannabis), geringe
Motivation zu Abstinenz oder
Konsumreduktion
Suchtartiges Computer/Videospiel u.
Internet-Verhalten
Komorbide Phänomene:
– Störungen des Sozialverhaltens 40%
– Affektive Störungen 50%
– Angststörungen 50%
– Persönlichkeitsstörungen ??
[email protected]
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ADHS und Persönlichkeitsstörungen
im Jugendalter
?
[email protected]
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Wie es lange gesehen wurde:
• KJP-Störungen unterscheiden
sich von
„Erwachsenenerkrankungen“
• Der 18. (oder 16.) Geburtstag
ist ein valides Instrument zur
Trennung von
Lebensabschnitten, die
offenbar nichts miteinander zu
tun haben
• Die Diagnose einer
Persönlichkeitsstörung wird
frühestens am 18. Geburtstag
verliehen, bis dahin hat sich
ADHS ausgewachsen
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Paradigmenwechsel im DSM-5
• ADHS wurde zur Erkrankung
mit Lebenszeitperspektive
• Altersbeschränkung für PS
wurde aufgehoben
• ADHS (aus klassischer Sicht
eine Erkrankung des
Kindesalters) und PS (aus
klassischer Sicht eine
„Erwachsenen-Erkrankung“)
rücken näher zusammen!
• Zusammenhang klinisch
und in Forschung schon
längst bekannt!
[email protected]
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ADHS + PS: prospektive
Längsschnittdaten
• 52,1% v. ADHS Patienten
(7.-11.LJ) entwickelten PS
zwischen 16.-26.LJ
– 13,5% BPS (vs. 1,2% KG,
OR=13,6)
– auch andere PS (paranoid,
antisozial, ängstlich
vermeidend)
– Rate bei den Pat.
besonders hoch, deren
ADHS ins Jugendalter
persistierte
Miller 2008
[email protected]
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Miller, J Clin Psychiatry, 2008
Daten aus Erwachsenen-ADHS
Stichproben
• 372 erwachsene ADHSPatienten (33+/-10 Jahre) aus
deutscher Spezialambulanz
– Am häufigsten Cluster B:
•
•
•
•
35,2% histrione PS,
29,8% narzisstische PS,
27,2% BPS
Nur 5.7% antisoziale PS
Jacob 2007
• 60 erwachsene ADHS-Patienten
aus deutscher Spezialambulanz
– 25% mind. eine PS
– 21,7% ängstlich vermeidende PS,
18,3% BPS
– Schweregrad d. kindl. ADHS war
mit häufigerem Auftreten von PS
assoziiert
Mathies 2011
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Daten aus Borderline-Stichproben
• Borderline Patienten wurden
retrospektiv nach ADHS in
Kindheit oder Jugend befragt
(WURS)
– 59.8% Hinweise auf ADHS
Fossati 2002
• 118 Patientinnen mit BorderlinePS wurden retrospektiv nach
ADHS in Kindheit sowie
emotionalem Missbrauch in
Kindheit befragt
– 41% berichteten über ADHS in
Kindheit
– ADHS in Kindheit war signifikant
mit emotionalem Missbrauch
sowie massiverer BPSSymptomatik im
Erwachsenenalter assoziiert!
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Philipsen, 2008
Daten aus Gefängnissen
• Signifikanter
Zusammenhang zwischen
ADHS, Störung des
Sozialverhaltens bzw.
früher antisozialer PS:
–
Abram, 2003; Rösler 2004, 2009; Sevecke
2008; Plattner 2011; Stadler 2012
• Schlechte Prognose:
„Early Starter“: ADHS +
SSV vor dem 10. LJ
– männliches Geschlecht,
reduziertes Angsterleben,
reduzierte Impulskontrolle,
frühe Delinquenz,
Antisoziale PS
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Größte Studie: USA
• NESARC: USA-weite
epidemiologische Studie,
34.000 Probanden,
Durchschnittsalter 18,4
Jahre, Achse 1/2Störungen, in dieser
Publikation Fokus auf ADHS
– Lebenszeitprävalenz für
ADHS von 2,5%
– Komborbidität ADHS und PS:
62,8%
• Komorbidität ADHS und BPD:
33,69%
• BPD in Kontrollgruppe: 5,17%
Bernardi 2012
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
ADHS + PS
• Zahlreiche
epidemiologische Studien
(prospektiv, retrospektiv,
Borderline-Samples, ADHSSamples, forensische
Samples) belegen die enge
Verwobenheit von ADHS
und
Persönlichkeitsstörungen,
speziell von ADHS und
BorderlinePersönlichkeitsstörungen!
• Wie kann man sich das
erklären?
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
2 Zusammenhänge
• „Common Ground“
– Gemeinsame
Neurobiologische
Grundlagen
– Gemeinsame
Umweltfaktoren
– Gemeinsame
Neuropsychologische Muster
• Entwicklungsbedingt:
– schwere chronische
psychische Erkrankung
behindert
Entwicklungsaufgaben
• Identität
• Soziale Rolle
• Soziales Kommunizieren
[email protected]
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Common Ground: gemeinsame
Risikofaktoren
• Genetik: bei beiden
Störungen ähnlicher
genetischer Hintergrund
– holländische Zwillingsstudie:
ADHS+BPS 50% Heritabilität!
Distel 2011
• Umweltbedingungen:
– Niedriges Geburtsgewicht,
Rauchen in SS
Mathies 2014
• Missbrauchserfahrung in
Kindheit: kindliches ADHS
erhöht Wahrscheinlichkeit?
Philipsen 2008
• Mobbing: kindliches ADHS
erhöht Wahrscheinlichkeit?
Lereya 2013
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Common Ground: Impulsivität und
Emotionsregulation
• Impulsivität:
– Gefordertes Kriterium für
ADHS und für BPS
– Kriterienbeschreibung nach
DSM-5 überschneidet sich
weitgehend!
• Unterscheidung zwischen
„Borderline-Impulsivität“ und
„ADHS-Impulsivität“ klinisch
nicht möglich!
Mathies 2014
• Emotionale Dysregulation:
– Kriterium für BPS
– Kein Kernkriterium für ADHS,
aber als „Zugehöriges
Merkmal“ im DSM-5 explizit
erwähnt
ADHS
Aufmerksamkeitsdefizit
Motorische Unruhe
Desorganisation
BPS
Impulsivität
Emotionale Instabilität
Spannungszustände mit
Regulation durch SV
Wiederholte Suizidalität
Dissoziative Symptomatik,
paranoide Symptomatik
Bemühen, Verlassenwerden zu
vermeiden
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Kaskade ADHS + BPS?
•
gemeinsame Genetik bzw.
Vulnerabilität
•
•
•
Ungünstige Umweltbedingungen
(Trauma, Mobbing, Eltern auch
ADHS?)
–
•
•
•
Impulsivität
Emotionale Dysregulation
Gen-Umwelt Interaktion
ADHS
ADHS-Symptomatik erhöht Risiko für
traumatische Erfahrungen
schwere chronische psychische
Erkrankung behindert
Entwicklungsaufgaben
– Identität
– Soziale Rolle
– Soziales Kommunizieren
•
BPS im Jugendalter
•
schwere Verlaufsform?
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
KJP-Störungen entwickeln sich zu PS
• schwere chronische psychische
Erkrankung (wie ADHS) kann zu
Beeinträchtigung der
Persönlichkeits-Entwicklung und
dem Ausbilden einer PS führen
•
Z.B. Ramklint 2002
• Innsbrucker Daten:
– Retrospektive
Längsschnittstudie: 1000
ehemalige KJP Patienten 25
Jahre nachverfolgt
– 17,2% der ehemaligen KJP
Patienten entwickelten eine
PS im Erwachsenenalter
Fuchs 2014, submitted
[email protected]
universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Zusammenfassung
[email protected]
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Persönlichkeitsstörungen
• Diagnose von PS im
Jugendalter möglich und
sinnvoll
• Missverständnisse
verhinderten bisher neutrale
Diskussion
• Langzeitverlauf: „Diagnostic
features decline, functional
impairment is absolutely
flat!“
• Früherkennung und
Behandlung ist Chance für
Betroffene sowie für
Entstigmatisierung des
Störungsbildes
[email protected]
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ADHS
• Störung der neuronalen
und mentalen Entwicklung
mit Lebenszeitperspektive
– 50-70% Persistenz in Jugend
– Davon 50-70% Persistenz ins
Erwachsenenalter
• Klinische Symptomatik
ändert sich im Jugendalter
• Autonomiefindung vs.
chronische Erkrankung
• Erkrankung verhindert, dass
Jugendliche ihr Potential
ausschöpfen
• Komorbiditäten mitdenken!
[email protected]
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ADHS + (B)PS
• Zahlreiche Studien belegen
die enge Verwobenheit dieser
2 Störungen!
• 2 Zusammenhänge:
– Grundlegende gemeinsame
Muster (Neurobiologie,
Neuropsychologie)
– schwere chronische psychische
Erkrankung (wie ADHS) kann zu
Beeinträchtigung der
Persönlichkeits-Entwicklung
und dem Ausbilden einer PS
führen
• Subtyp von BPS mit ADHS als
Vorläufererkrankung?
– Schwerer Verlauf?
[email protected]
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Fazit für Praxis
• Jugendliche Patienten
mit BPS: an nie
diagnostiziertes ADHS
denken!
• Jugendliche Patienten
mit ADHS: an
PersönlichkeitsPathologie denken!
• In Abhängigkeit davon
Behandlung optimieren…
– Behandlungsprogramme
für ADHS + BPS nicht
verfügbar!
[email protected]
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Literaturtipps
Kaess 2014
Mathies 2014
[email protected]
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[email protected]
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WORKSHOP
[email protected]
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Persönlichkeit
Persönlichkeitsstörungen
[email protected]
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Jugend
• Jugendalter für KJP spannende
Zeit mit einer Reihe von
einschneidenden
Veränderungen:
– ADHS: klin. Symptomatik ändert
sich stark: hyperkinetische
Symptome nehmen ab bzw. ändern
sich, Unaufmerksamkeit und
Impulsivität bleiben
Faraone 2006
– Geschlechterverteilung von
affektiven Störungen ändert sich in
Richtung der bekannten Verteilung
der Erwachsenenwelt
Hayward 2002, Fuchs 2013
– Essstörungen zeigen
Ersterkrankungsgipfel, insgesamt
konstante Prävalenz aber immer
jüngereres Ersterkrankungsalter
Herpertz-Dahlmann 2011
[email protected]
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„Synaptic Pruning“
•
Geburt: 100 Milliarden Neuronen mit
rel. wenigen synaptischen
Verbindungen
– Enorme Zunahme der Zahl der synapt.
Verbindungen in den ersten
Lebensjahren
– Mit zunehmender Hirnreifung rund um
Beginn der Pubertät völlige
Reorganisation: Abbau redundanter
Verbindungen durch Reduktion von
Synapsen (engl. „pruning“ =
Beschneidung)
– Ca. 50% der kortikalen Synapsen
werden in Pubertät abgebaut!
•
•
Gehirn wird effizienter, energetisch
ökonomischer, schneller durch
Reduktion auf wenige, dafür umso
besser eingespielte Verbindungen
Pathogenese von ASD?
–
„pruning“-Defizite bei autistischen
Patienten?
[email protected]
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Tang, Neuron 2014
Persönlichkeit
• Persönlichkeit und
Persönlichkeitseigenschaften
eines Menschen sind Ausdruck
der charakteristischen [..]
Verhaltensweisen und
Interaktionsmuster, mit denen
er gesellschaftlich-kulturellen
Anforderungen und
Erwartungen zu entsprechen
und seine
zwischenmenschlichen
Beziehungen auf der Suche
nach einer persönlichen
Identität mit Sinn zu füllen
sucht.
– Fiedler 2005
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Persönlichkeit
• Charakteristisches
Muster von Gedanken,
Gefühlen, Verhalten,
welches eine Person
einzigartig macht
• Nachweisbar ab 4.
Lebensjahr
• Entwicklung über
Lebensspanne
[email protected]
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Persönlichkeitsforschung
• „BIG FIVE“
– EXTRAVERSION
• kontaktfreudig
• zurückhaltend
– NEUROTIZISMUS
• überempfindlich
• entspannt
– GEWISSENHAFTIGKEIT
• gründlich
• unsorgfältig
– OFFENHEIT
• kreativ
• phantasielos
– VERTRÄGLICHKEIT
• friedfertig
• Streitsüchtig
Specht 2011, Roberts 2006, Asendorpf 2002
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universität innsbruck---kongress 30.01.2015
Persönlichkeit
• Trait-Merkmale von
Persönlichkeit („Big Five“) erst
ab dem 4.-6. Lebensjahrzehnt
einigermaßen stabil
• Wahrscheinlich verändert sich die
Persönlichkeit im Schnitt
zwischen 20 – 40 Jahren mehr als
im Jugendalter
• Längsschnittdaten zeigen keinen
wesentlichen Anstieg der
Stabilität von Persönlichkeit mit
dem 16. oder 18. Lebensjahr
Specht 2011, Roberts 2006, Asendorpf 2002
• „Persönlichkeit verändert sich im
Lauf des Lebens ständig, aber
wird mit dem Alter visköser.“
Andrew Chanen, Basel 2014
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Persönlichkeitsstörung
•
Persönlichkeitsstörungen sind
Störungen der Persönlichkeit und
des Verhaltens, bei denen bestimmte
Merkmale der
Persönlichkeitsstruktur in besonderer
Weise ausgeprägt, unflexibel oder
wenig angepasst sind.
– Erlebens- und Verhaltensmuster
aufgrund von
Entwicklungsbedingungen in der
Kindheit und späteren
Lebensabschnitten, genetischen
Faktoren oder erworbenen
Hirnschäden.
– weichen von einem flexiblen,
situationsangemessenen Erleben und
Verhalten in charakteristischer Weise
ab.
– persönliche und soziale Funktions- und
Leistungsfähigkeit ist meistens
beeinträchtigt
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Dimensional-kategoriales
Hybridmodell im DSM-5
•
Bekannte kategoriale Klassifikation
des DSM-IV-TR mit 3 Clustern und 10
verschiedenen PS
– Erheblicher Mangel an Reliabilität
– Erheblicher Mangel an Validität
untereinander
•
•
Hohe Überlappung der vermeintlich
spezifischen Kriterien
Extreme Heterogenität von Patienten
mit der gleichen PS-Diagnose
– Persönlichkeitsforschung nicht
berücksichtigt
•
•
•
Seit 15 Jahren Diskussion um ein
alternatives Modell
Alternatives Modell als zusätzliches
Tool enthalten, bekanntes
kategoriales Modell weiterhin gültig
ABER: Altersbeschränkung
aufgehoben!!!
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Dimensional-kategoriales
Hybridmodell im DSM-5
•
Grundlegende Elemente der
Persönlichkeitsfunktion beschrieben
– Selbst
– Interpersonell
•
Problematische
Persönlichkeitsmerkmale in 5
Merkmalsdomänen beschrieben
– In Anlehnung an Big Five
•
Weiterhin 5 spezifische PS enthalten
–
–
–
–
–
•
Vermeidend Selbstunsichere PS
Borderline PS
Narzisstische PS
Zwanghafte PS
Schizotype PS
Aber auch „merkmalsspezifizierte
PS“ d.h. dimensionale Beschreibung
der PS ohne Einengung auf die 5
spezifischen PS möglich
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Dimensional-kategoriales
Hybridmodell im DSM-5
•
•
Elemente der Persönlichkeitsfunktion
Selbst:
–
–
•
Interpersonell:
–
–
•
Identität: erleben der eigenen Person als
einzigartig, mit klaren Grenzen zwischen sich
und anderen; Stabilität des Selbstwerts und
der Selbsteinschätzung; Fähigkeit zur
Selbstreflexion
Selbststeuerung: Verfolgen von kohärenten
und sinnhaften kurz- und langfristigen Zielen;
Orientierung an konstruktiven und
prosozialen Maßstäben des Verhaltens;
Fähigkeit, eine Reihe von Emotionen zu
erleben und zu regulieren
Empathie: Verständnis und Anerkennung des
Erlebens und der Motive anderer; Toleranz
gegenüber unterschiedlichen Sichtweisen;
Verstehen der Wirkungen des eigenen
Verhaltens auf andere
Nähe: Tiefe und Dauer von (positiven)
Beziehungen mit anderen; Wunsch und
fähigkeit, anderen Menschen nahe zu sein;
gegenseitiger Rspekt, der sich im
Interpersonellen Verhalten zeigt
Ausmaß der Beeinträchtigung von 0-4
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Dimensional-kategoriales
Hybridmodell im DSM-5
• Fünf breite Domänen der
Variation von
Persönlichkeitsmerkmalen mit
jeweils zugeordneten
„Facetten)
– Negative Affektivität vs.
Emotionale Stabilität
– Verschlossenheit vs.
Extraversion
– Antagonismus vs.
Verträglichkeit
– Enthemmtheit vs.
Gewissenhaftigkeit
– Psychotizismus vs. Adäquatheit
• Vergleiche „Big Five“ in der PS
Forschung!
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Dimensional-kategoriales
Hybridmodell im DSM-5
•
•
•
•
•
Algorithmus:
A) mindestens mittelgradige
Beeinträchtigung eines der 4
Elemente der Persönlichkeitsfunktion
B) Eines oder mehrere
problematische PS Merkmale
C) – F) Rel. durchgängige
Beeinträchtigung, rel. Stabilität,
Ausschluss anderer psychischer
Störung als bessere Erklärung,
Ausschluss v. Intoxikation oder
somatischer Erkrankung
Nicht besser dadurch erklärbar, dass
sie als normal für eine individuelle
Entwicklungsphase oder eine
soziokulturelle Umgebung
verstanden werden
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universität innsbruck---kongress 30.01.2015
AIDA: Assessment of Identity
Development in Adolescence
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AIDA: Assessment of Identity
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