Stephan Schulmeister Aus einer Welt von Vertrauen und Sicherheit ins „Jeder ist seines Glückes Schmied“ Vortrag bei der NIC-Konferenz an der Donau-Universität Krems am 22. November 2012 Stephan Schulmeister Rahmenbedingungen im „golden age of capitalism“ 1950 bis ~1975 Ergebnis des Lernens aus der Weltwirtschaftskrise Soziale Marktwirtschaft: Integration von Gegensätzen durch „Arbeitsteilung: Politik – Ökonomie Staat – Markt Kooperation – Konkurrenz Ausbau des Sozialstaats Dominanz des Ziels der Vollbeschäftigung Liberalisierung der Gütermärkte, Regulation der Finanzmärkte> Gewinnstreben auf Realwirtschaft fokussiert Sozialpartnerschaft bzw. „Rheinischer Kapitalismus“ > Realkapitalistische „Spielanordnung“ Wissenschaftliches Fundament: Keynesianismus 1 26.11.2012 Stephan Schulmeister Performance im „golden age of capitalism“ 1950 bis ~1975 Vollbeschäftigung ab Ende der 1950er Jahre Stetig sinkende Staatsverschuldung Soziale Sicherheitssysteme: Vorsorge durch Handeln Selbsterfüllende Effekte des Vertrauens Beispiel: Reaktion auf den Anstieg der „Abhängigkeitsquote“ in den 1960er Jahren auf 65% (heute: 48%) Vorsorge durch Realkapitalbildung > Solidarischer Generationenvertrag Anreizbedingungen: Aktivitäten in der Realwirtschaft > „Aufeinander-angewiesen-sein“ von Unternehmen bis zu Systemen der sozialen Sicherheit Mensch als Individuum und als soziales Wesen 2 26.11.2012 Stephan Schulmeister Rahmenbedingungen im Zeitalter des Finanzkapitals seit ~1980 Wissenschaftliches Fundament: Neoliberalismus Renaissance wegen der politischen Machtverschiebungen als Folge der anhaltenden Vollbeschäftigung Klare/einseitige Prioritäten: Ökonomie vor Politik, Markt vor Staat, Konkurrenz statt Kooperation Ent-Fesselung der Finanzmärkte > Gewinnstreben verlagert sich zur „Finanzalchemie“ Dominanz der Ziele von Geldwert und stabilen Staatsfinanzen Rückbau des Sozialstaats Eigenvorsorge statt Solidarlösungen > Vertrauensschwund Entfremdung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften Realkapitalistische „Spielanordnung“ 3 26.11.2012 Stephan Schulmeister Performance im Zeitalter des Finanzkapitals seit ~1980 Steigende Arbeitslosigkeit > Prekäre Beschäftigung und hohe Mieten > Junge können nur schwer „flügge“ werden > „No-future-feeling“ > Selbsterfüllende Effekte des sinkenden Vertrauens Steigende Staatsverschuldung trotz bzw. wegen Schwächung des Sozialstaats Vorsorge durch Finanzkapitalbildung > Ent-Solidarisierung zwischen jung und alt Anreizbedingungen: Finanzalchemisten gewinnen, wenn die anderen verlieren (und sie agieren allein im Gegensatz zu Unternehmern) Mensch nur als Individuum wahr genommen 4 26.11.2012 Langfristige Entwicklung in (West)Europa Stephan Schulmeister 12 Arbeitslosenquote 10 Lohnquote 75 in % 8 70 6 65 4 2 60 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 85 Staatsschuld in % des BIP 75 65 55 45 35 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 8 6 4 in % 2 0 -2 Realzins -4 Quelle: Wifo-Datenbank. Wachstumsrate -6 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 5 26.11.2012 Stephan Schulmeister Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Performance ∅ ∅ 1960 1960/1970 1970 1970/2010 2010 EU15 8.200 4,0 12.100 1,8 24.800 Deutschland 9.500 3,5 13.400 1,8 27.500 Welthandel, in Mrd. $ 600 8,7 1.400 6,3 12.700 EU15 2,3 -0,5 2,2 4,2 9,7 Deutschland 0,9 -3,3 0,6 6,3 7,3 EU15 45,9 -2,8 34,4 2,2 81,6 Deutschland 18,4 -0,3 17,8 3,7 75,7 BIP/Kopf real, in € Arbeitslosenquote, in % Staatsschuldenquote, in % 6 26.11.2012 Stephan Schulmeister Standort im langen Entwicklungszyklus 1920er Jahre: Finanzkapitalismus & Neoliberalismus Talfahrt 1929/33: Börsen- und Bankenkrach, Sparpolitik, Lohnsenkungen, Abwertungswettläufe Lernen aus der Katastrophe (Talsohle) 1933 bis 1945 > Keynes/BrettonWoods/MarshallPlan/Sozialstaat/Sozialpartnerschaft > neue Spielanordnung Realkapitalismus & Soziale Marktwirtschaft Wirtschaftswunder > Machtverschiebung in den 1960er Übergang1968/1980:Friedman/Dollarverfall/Ölpreisschocks I und II/Inflation/Zinspolitik/.......> Finanzkapitalismus & Neoliberalismus ~1980 bis 2007 Talfahrt 2007/???: Implosion dieser Spielanordnung > Aktien, Anleihen, Rohstoffpreise, Zinsspekulation, Sparpolitik Am Beginn einer neuen Talsohle? 7 26.11.2012 Stephan Schulmeister Dollarkurs und Ölpreis Effektiver Dollarkurs (linke Skala) 1) Ölpreis (OECD Importpreis - rechte Skala) 140 100 130 1986 = 100 110 60 100 In $ 80 120 40 90 80 20 70 0 60 1970 1975 1980 1985 Q: Wifo-Datenbank. 1) Gegenüber DM, Franc, Pfund, Yen. 1990 8 1995 2000 2005 2010 26.11.2012 Aktienkurse in Deutschland, Großbritannien und den USA Stephan Schulmeister 400 DAX FTSE 250 350 S&P 500 1995 = 100 300 250 200 150 100 50 1/90 1/93 1/96 1/99 1/02 9 1/05 1/08 1/11 26.11.2012 Stephan Schulmeister Spekulationssystem: Erdölfutures 150 WTI Futures Preis (NYMEX) 50-Tage-Durchschnitt 130 Dollar per Barrel 110 90 70 50 30 01/2004 01/2005 01/2006 01/2007 01/2008 10 01/2009 01/2010 01/2011 26.11.2012 Stephan Schulmeister 1400 Futures-Preise: Weizen 2005 - 2011 (August, 26) 3/13/08, 1265.0 US cents per bushel 1200 1000 2/10/2011, 912.0 800 600 7/1/2011, 615.0 400 6/8/2010, 433.0 4/4/07, 425.0 200 1/2005 1/2006 1/2007 1/2008 11 1/2009 1/2010 1/2011 26.11.2012 Spekulationssystem für den Dollar-Euro-Kurs Stephan Schulmeister 4/22/2008, 1.601 Tageskurs 1.6 12/1/2009, 5/3/2011, 1.5100 1.4875 50-Tage-Durchschnitt 1.5 12/30/2004, 1.3623 1.4 1.3 10/3/2011, 1.3281 10/27/2008, 1.2446 1.2 11/14/2005, 1.1667 1.1 6/7/2010, 1.1959 1.0 0.9 1/31/2002, 0.8594 10/26/2000, 0.8271 0.8 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 12 2006 2007 2008 2009 2010 2011 26.11.2012 CDS-Prämien und Zinsen für griechische Staatsanleihen Stephan Schulmeister 26 4,500 24 4,000 22 20 Basic points 3,500 18 3,000 16 2,500 14 2,000 12 1,500 10 1,000 8 500 6 0 4 7/2009 In % 5,000 CDS Prämien (linke Skala) Anleihenzins (rechte Skala) 11/2009 3/2010 7/2010 11/2010 13 3/2011 7/2011 26.11.2012 Zinsen für Staatsanleihen der großen Euro-Länder Stephan Schulmeister Deutschland Spanien Italien Frankreich 7.5 6.5 Basispunkte 5.5 4.5 3.5 2.5 1.5 1/2010 4/2010 7/2010 10/2010 1/2011 14 4/2011 7/2011 10/2011 26.11.2012 Akkumulation der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften in Deutschland Stephan Schulmeister Realkapital Finanzkapital 300 Aktien, Investmentzertifikate, sonstige Beteiligungen In % des NPW 250 200 150 100 50 0 1960 1970 1980 1990 15 2000 2010 26.11.2012 Stephan Schulmeister 80 70 Handelsvolumen auf den globalen Finanzmärkten 45 Insgesamt Börsenderivate (Futures und Options) Derivatmärkte 40 OTC-Derivate Devisen (Spot) Kassamärkte 35 60 Aktien und Anleihen (Spot) 30 World-GDP = 1 World-GDP = 1 50 40 30 25 20 15 20 10 10 5 0 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 16 26.11.2012 Interest rate, growth rate, economic performance – Western Europe Unemployment rate In % 12 Gross public debt 95 10 85 8 75 6 65 4 55 2 45 In % Stephan Schulmeister 35 0 1951 8 1961 1971 1981 1991 Real long-term interest rate1) 2001 2011 Real growth rate1) 6 In % 4 2 0 -2 1) Gleitender 3-Jahresdurchnitt. 1951 1961 1971 1981 17 1991 2001 2011 26.11.2012 Arbeit, Realkapital und Finanzkapital Stephan Schulmeister Arbeit Realkapital Finanzkapital Ökonomische Interessen Vollbeschäftigung Reallohnsteigerungen Hohe Rendite auf Realveranlagung: - niedrige Zinsen und Wechselkurse - Stabile Finanzmärkte Hohe Rendite auf Finanzveranlagung und –spekulation: - hohe Zinsen und Wechselkurse - Instabile Finanzmärkte Beispiele für Interessenkonflikte Lohnsteigerung Potentielle Partner für Interessenbündnis Realkapital Arbeit oder Finanzkapital Realkapital Ökonomisches Interesse am Staat Vollbeschäftigungspolitik soziale Sicherheit Bildung Daseinsvorsorge Konjunkturstabilisierung und Wachstumspolitik: Mächtige Notenbank Restriktive Geldpolitik Privatisierung der Sozialversicherung Politische Hauptinteressen Starker Sozialstaat starke Gewerkschaften schwacher Sozialstaat schwache Gewerkschaften kein Sozialstaat keine Gewerkschaften Zinssteigerung Reale Aufwertung 18 26.11.2012 Realkapitalismus und Finanzkapitalismus Stephan Schulmeister Realkapitalismus Finanzkapitalismus Implizites Bündnis Arbeit & Realkapital Realkapital & Finanzkapital Unternehmer/Gewerkschaften Korporatismus Konflikt Verhältnis Staat/Markt Komplementär Antagonistisch Wirtschaftspolitische Ziele Viele: von Vollbeschäftigung bis zur Einkommensverteilung Wenige: Geldwertstabilität, „solide“ Staatsfinanzen, sinkende Staatsquote Wirtschaftspolitisches „Machtzentrum“ Regierungen Notenbanken Wirtschaftswissenschaftliches Modell Keynesianismus Monetarismus/Neoliberalismus Diagnose/Therapie Systemisch Symptomorientiert Finanzielle Rahmenbedingungen Zinssatz<Wachstumsrate, „ruhige“ Finazmärkte Zinssatz>Wachstumsrate, „boom“ und „bust“ auf Finanzmärkten Gewinnstreben fokussiert auf Realwirtschaft (Positivsummenspiel) Finanzwirtschaft (Nullsummenspiel) Wirtschaftsmodell Soziale und regulierte Marktwirtschaft („Reine“) Marktwirtschaft Gesellschaftspolitische Ziele Chancengleichheit, individuelle Entfaltung, sozialer Zusammenhalt Rahmenbedingungen schaffen für: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ 19 26.11.2012 Stephan Schulmeister Leitlinien eines "New Deal“ für Europa Bessere Balance zwischen z z z Konkurrenz/Kooperation Ökonomie/Politik Markt/Staat Gewinnstreben > Realwirtschaft Globalisierung der Politik Balance technische/soziale Innovationen Ökologisierung der Wirtschaft Budgetkonsolidierung durch Expansion Sozialstaatlichkeit und europäische Identität EU-weite Solidarität statt „Rette sich, wer kann“ 20 26.11.2012 Stephan Schulmeister Langfristige globale Strategien Koordinierte Geldpolitik: Zins < Wachstumsrate Stabilitätsbänder für die wichtigsten Wechselkurse > Ziel: Globo als „Welt-ECU“ „Rückführung“ der Finanzderivate Finanztransaktionssteuer Stabilisierung der Rohstoffpreise, insbesondere für fossile Brennstoffe Notierung der Rohstoffe in „Währungsbündel“ Koordinierter Klimaschutz „Global Marshall-Plan“ 21 26.11.2012 Stephan Schulmeister Der Europäische Währungsfonds (EWF) Finanzierungsagentur der Eurostaaten Begibt Eurobonds zu festen Zinssätzen Unter der mittelfristigen Wachstumsrate Unbeschränkte Garantie aller Euro-Länder „Rückendeckung“ durch EZB (kauft ev. Eurobonds) Eurobonds = „Euroschatzbriefe“ = jederzeit flüssig, aber nicht handelbar (kein Spekulationsmittel) Mittelvergabe nach klaren Kriterien (auch Wachstums-, Beschäftigungs- und Umweltziele) 22 26.11.2012 Stephan Schulmeister „Richtiger“ Preispfad erschöpfbarer und umweltbelastender Ressourcen Erschöpfbarkeit und umweltbelastender Verbrauch = soziale Kosten wie Klimawandel Gleichgewichtspfad: Fossile Energieträger verteuern sich stetig und überdurchschnittlich (Derivat)Märkte versagen komplett > CO2-Steuern und Emissionshandel unzureichend Produzenten und Konsumenten reagieren auf starke und verläßliche Preissignale Lange Amortisationsperioden von Investitionen in die Energeieffizienz > Investitionsboom 23 26.11.2012 Stephan Schulmeister EU-Initiative: Geregelter Preispfad samt Abschöpfungssteuer für fossile Energie Ziel: Temperaturanstieg auf 2°C begrenzen No-regret-option: Preis je Tonne CO2 steigt um 370 € = 0.74 € (0.93 $ at 1 € = 1.25 $) pro Liter Rohöl > Ölpreis insgesamt in $ je Liter: 0.63 (bei 100$/Barrel) plus 0.93 = 1.56 $ Ölpreis je Barrel: 1.56*159 = 248 $ > Ziel bis 2020 erreichen: Preisanstieg um 12% pro Jahr > Diesel verteuert sich auf fast 4 € (wenn auch die indirekten Steuern proportional steigen) Eine EU-weite Steuer schöpft die Differenz zwischen Weltmarktpreis und EU-Preis ab > Rentiereinkommen der Ölproduzenten und Ölgesellschaften werden zu Regierungen umverteilt 24 26.11.2012 Stephan Schulmeister Sonstige Europäische Strategien I Geldpolitik plus EWF: Zins < Wachstumsrate Stabilisierung des Euro zu den wichtigsten anderen Währungen Langfristige Rohstoffpreisabkommen mit Entwicklungsländern Regulierung, Aufsicht und Transparenz über Derivatspekulation Beschränkungen für Amateurtrading Finanztransaktionssteuer „Rückbau“ der kapital“gedeckten“ Altersvorsorge 25 26.11.2012 Stephan Schulmeister Sonstige Europäische Strategien II Umweltinvestitionen als die Chance für eine offensiv-optimistische Politik: Thermische Gebäudesanierung, „Öko-Autos“, öff. Verkehr, etc. Transeuropäische Netze Innovative Arbeitszeitmodelle: z Milderung der Folgen von Konjunkturschwankungen z Langfristige Arbeitszeitverkürzung Abbau atypischer Beschäftigungsformen Sicherung sozialer Minimalstandards durch die EU Ent-Ökonomisierung des Bildungswesens 26 26.11.2012 Maßnahmen nationaler Wirtschaftspolitik I Stephan Schulmeister Kurzarbeitsmodelle und sonstige innovative Arbeitszeitverkürzungen Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung Bedarfsorientierte Grundsicherung Investitionen in die Infrastruktur vorziehen, bes. auf Ebene der Länder und Gemeinden Umweltinvestitionen als die Chance für eine offensiv-optimistische Politik: Thermische Gebäudesanierung, „Öko-Autos“, öff. Verkehr, etc. 27 26.11.2012 Maßnahmen nationaler Wirtschaftspolitik II Stephan Schulmeister Direkte Eingriffe in Finanzsektor: Zinsanpassungen, Kreditbereitschaft, „Durchleuchten“ spekulativer Aktivitäten > „Rückbau“ der kapital“gedeckten“ Altersvorsorge Investitionen in alle Bildungseinrichtungen Ausweitung der Vorschulerziehung Gemeinnütziger Wohnbau Gemeinsamer Wohnungsmarkt durch Internet Detto für den Einzelhandel 28 26.11.2012 Stephan Schulmeister Finanzierung der Maßnahmen Grundsatz: Nicht der Konsum, sondern das Sparen der Haushalte soll sinken. Kurzfristig: Solidarabgabe auf die Höhe der Wertpapierdepots und/oder Erhöhung der KESt auf 35% und/oder Erhöhung des Spitzensteuersatzes ab 100.000 € Generelle Vermögens- und Erbschaftssteuer ab Netto-Vermögen von 300.000 € EU-weite Finanztransaktionssteuer (1% bis 2% vom BIP) 29 26.11.2012