stadt stadt - Landtag NRW

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STADT
THOMAS PAAL STADTRAT
Landtag Nordrhein-Westfalen
Postfach 10 11 43
40002 Düsseldorf
[email protected]
11III11
MÜNSTER
LANDTAG
NORDRHEIN-WESTFALEN
16. WAHLPERIODE
STELLUNGNAHME
16/2712
14.04.2015
A09, A19
"Anonyme Krankenkarte - Anhörung A09 - 21.04.2015"
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu den drei Forderungen des Antrags nehme ich wie folgt Stellung:
1. Für alle Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
für Leistungen nach den §§ 4 und 6 AsylbLG die Einführung einer Krankenversicherungs-Karte in Kooperation mit der Gesetzlichen Krankenversicherung analog
dem Bremer Modell prüfen.
Bisherige Praxis
Zurzeit ist für diese Leistungen üblicherweise vor einem Arztbesuch ein Krankenbehandlungsschein des Sozialamtes einzuholen. Das erfordert in der Regel den Weg zur Sachbearbeitung in der wirtschaftlichen Hilfe des Amtes. Die Krankenscheine sind häufig zeitlich ab
dem Ausstellungszeitpunkt befristet und bei notwendiger Weiterbehandlung durch einen
Facharzt ist ein neuer Krankenschein auszustellen. In dieser Konstellation trifft es wohl tatsächlich zU,dass
zu, dass über die Ausgabe eines Krankenscheins in der Praxis oft nicht-medizinisches Verwaltungspersonal entscheidet.
Dieses verwaltungsaufwendige und komplizierte Prozedere - wenn es denn in Kommunen
noch so gehandhabt wird - halte ich für unwürdig, es verschlechtert für erkrankte Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge den Gesundheitsschutz und die Krankenbehandlung, weil mit dem Weg "über das Amt" eine zusätzliche Schwelle eingebaut wird, und
führt zumindest faktisch zu einer Diskriminierung, weil bei ihnen anders als bei allen anderen
erkrankten Menschen in Deutschland, Verwaltungskräfte entscheiden, ob eine Ärztin oder ein
Arzt aufgesucht werden darf.
Es entsteht auf beiden Seiten im Übrigen Aufwand, der Menschen erspart bleibt und dann
entfällt, wenn die Betroffenen über eine Krankenversichertenkarte verfügen.
Dezernat für Recht, Soziales, Integration, Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz
48127 Münster· Stadthaus 1 . KIemensstraße 10· Tel. 0251/492-7050 . Fax 0251/492-7704 . E-Mail: [email protected]
-2Praxis in Münster
In Münster wünschen wir so schnell wie möglich die Einführung einer KrankenversichertenChipkarte der gesetzlichen Krankenversicherung für die Leistungsberechtigten nach §§ 4 und
6 AsylbLG. Zur gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen in Münster hat der Rat der
Stadt am 10.12.2014 einen entsprechenden Beschluss gefasst, um die medizinische Regelversorgung für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu verbessern und deren Krankenbehandlung auf eine gesetzliche Krankenversicherung in Anlehnung an das so
genannte "Bremer Modell" zu übertragen. Nach einem ersten intensiven Austausch mit der
AOK Bremen/Bremerhaven stockt der Prozess der Einführung in Münster, da nach Intervention einer nord rhein-westfälischen AOK keine örtliche Lösung, sondern nur eine Regelung
zumindest auf Landesebene möglich ist.
Schon jetzt praktizieren wir Beratung und Leistung, die darauf gerichtet sind, den Menschen
unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Recht auf medizinische Versorgung zuzubilligen.
Dazu werden die Krankenscheine gleich für jeweils ein ganzes Quartal ausgestellt. Bei der
Ankunft in Münster und danach in dem vierteljährlichen Turnus geben die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Sozialdienstes den Flüchtlingen Krankenscheine für die hausärztliche
und zahnärztliche Behandlung. Sie informieren die Leistungsempfänger mit Unterstützung
des "Gesundheitswegweisers" über das grundsätzliche Verfahren. So gewährleisten sie, dass
die Flüchtlinge sich bei Unklarheiten über das Gesundheitssystem direkt an die zuständigen
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wenden können. Weil gerade die ersten Schritte in das
medizinische Regelversorgungssystem in Deutschland schwer sind, bietet der Gesundheitswegweiser für Migrantinnen und Migranten in sechs Sprachen elementare Basisinformationen
für einen gesunden Start in einer neuen Stadt.
In den Flüchtlingseinrichtungen unterstützen der Sozialdienst für Flüchtlinge des Sozialamtes
bzw. die freien Träger als Betreiber von Einrichtungen die Flüchtlinge dabei, niedergelassene
Ärzte im Umfeld aufzusuchen und führen sie dadurch in das Regelsystem ein. Die Unterstützung von Dolmetschern bzw. Sprachmittlern ist im Einzelfall möglich. Leistungsberechtigte
nach dem AsylbLG, die zur Miete wohnen, bekommen die Krankenscheine per Post.
Natürlich gilt auch in Münster, dass die Flüchtlinge mit den Krankenscheinen ärztliche und
zahnärztliche Behandlung bei akuten Erkrankungen, Schmerzen und Notfällen sowie für Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft oder die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen in Anspruch nehmen können. Bei darüber hinausgehenden Leistungen, wie z. B. der
Anschaffung von Hilfsmitteln oder bei geplanten Operationen und Krankenhausbehandlungen, muss die Kostenübernahme im Voraus beim Sozialamt beantragt werden.
Die niedergelassenen Ärzte rechnen die erbrachten ärztlichen Leistungen über die Krankenscheine mit der kassenärztlichen bzw. kassenzahnärztlichen Vereinigung und diese wiederum mit dem Sozialamt ab. Die Leistungen, die vorab beim Sozialamt zu beantragen sind,
rechnet das Sozialamt auf der Grundlage von Kostenvoranschlägen direkt mit den jeweiligen
Leistungserbringern ab ..
In einzelnen Fällen bindet das Sozialamt bei Anträgen auf medizinische Versorgung das Gesundheitsamt als Gutachter in den Genehmigungsprozess ein. Die Ärztinnen und Ärzte des
Gesundheitsamtes nehmen dann Stellung zur medizinischen Notwendigkeit auf der Grundlage der entsprechenden gesetzlichen Regelungen.
Die Praxis in Münster und - wie ich hoffe - in vielen anderen Städten berücksichtigt, wie hoffentlich deutlich geworden ist, bereits wesentliche Züge des Verfahrens, das mit einer Krankenversicherungskarte nach dem "Bremer Modell" noch optimiert und nicht zuletzt wegen der
elektronischen Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden könnte.
-3Lösungsansätze I Empfehlungen
Um diesen zeitgemäßen und fälligen Schritt zu gehen, empfehle ich, auf Landesebene eine
Rahmenvereinbarung zur Einführung einer Krankenversicherungskarte analog dem "Bremer
Modell" mit der Gesetzlichen Krankenversicherung auszuhandeln und abzuschließen. Den
Kommunen sollte auf dieser Basis die Möglichkeit gegeben werden, in eigener Zuständigkeit
und in Abhängigkeit von den Gegebenheiten vor Ort, einer solchen Vereinbarung beizutreten.
Ich empfehle dies insbesondere aus folgenden Gründen:
-
Die Krankenbehandlung für die Leistungsberechtigten nach dem Asylb~werberleistungs­
gesetz wird effektiver und effizienter gestaltet und die Gesundheitsversorgung der Leistungsberechtigten verbessert.
-
Ein größtmögliches Maß an Gleichbehandlung zu anderen Beteiligten im Gesundheitswesen wird erreicht. Es wird vermieden, dass die Menschen als nicht gleichberechtigte Leistungsempfänger gekennzeichnet und damit in der Praxis diskriminiert werden.
-
Der Verwaltungsaufwand bei den Trägern der Leistung zur Sicherstellung der Krankenbehandlung wird reduziert und die Verwaltung von eher verwaltungsfremden Aufgaben
entlastet. Gerade die Kommunen, die bislang eine besonders restriktive Handhabung
praktizieren, dürften hier die größten positiven Effekte erzielen.
-
Die Kernkompetenz der Gesetzlichen Krankenversicherung kann für eine kostengünstige,
professionelle und bedarfsdeckende Krankenversorgung aktiviert werden.
Zu den Kostenaspekten
. Noch einige Anmerkungen zur Frage einer möglichen Ersparnis im Verwaltungsbereich auf
der einen und einer möglichen Kostensteigerung durch eine verstärkte Inanspruchnahme von
Leistungen auf der anderen Seite. Eine fundierte Berechnung einschließlich einer validen
Prognose wird abschließend nicht möglich sein, nicht einmal für eine einzelne Kommune.
Trotzdem ist es wichtig, den Schritt der Einführung einer KrankenverSiCherungskarte analog
dem "Bremer Modell" zu gehen, vor allem als Signal für einen gleichberechtigten Zugang zu
einer angemessenen Gesundheitsversorgung für die zu uns kommenden Menschen.
Bremen und Hamburg zeigen aus meiner Sicht, dass dieser Schritt lohnend ist und die finanziellen Auswirkungen nicht oder nicht so spürbar sind, als dass man die Chance einer Nutzung dieses geeigneten Instruments der Weiterentwicklung verpassen sollte. Zwar wird diese
Frage auch von der Bemessung und Angemessenheit der zu erstattenden Verwaltungskosten der Krankenkassen abhängen. Einige Aspekte sprechen aber auch vor dem Hintergrund
der Finanzwirkungen dafür, dass dieses Ziel konsequent angegangen werden sollte:
-
Die Gesundheitsleistungen nach dem AsylbLG umfassen nur noch während der ersten 15
Monate des Aufenthalts im Bundesgebiet die so genannte Basisversorgung. Bis zum vorletzten Monat trat diese Situation erst nach dem Bezug von Grundleistungen über eine
Dauer von insgesamt 48 Monaten ein. Der Kreis der Menschen, denen letztlich dieser Teil
der Gesundheitsversorgung noch verschlossen bleibt, ist also inzwischen deutlich geringer.
-
In einzelnen Fällen wurde zuletzt - auch im Zusammenhang mit hohen Krankheitskosten
im Einzelfall - versucht, die Kostenentwicklung in diesem Bereich zu ermitteln, u. a. gab
-4es eine Berichtsanforderung vom 28.10.2013 für den Ausschuss für Kommunalpolitik.
Zwar wurde deutlich, wie schwer es Kommunen fällt, hier verlässliche Daten zu liefern.
Für Münster kann ich jedoch feststellen, dass es trotz der seit vielen Jahren praktizierten
liberalen Handhabung nicht zu signifikanten Mehraufwendungen in Relation zu anderen
Kommunen kommt. So wandte Münster im Jahr 2012 bei alle Leistungsempfängern nach
§ 1 AsylbLG 28,7 % der Mittel im Bereich des AsylbLG für Krankenkosten auf, das Mittel
aller Kommunen, die Angaben machen konnten, lag bei 26,1 %. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass gerade Münster mit seinem Angebot der Gesundheitsversorgun~, insbesondere mit dem hierfür stark genutzten Universitätsklinikum, von hohen Zuweisungszahlen bei
stark erkrankten Menschen betroffen ist und dies auch für eine nennenswerte Zahl von
FOlgeantragstellern eine Rolle bei der erneuten AsylantragsteIlung spielt.
2. Für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus im Rahmen eines Modellversuchs einen "Anonymen Krankenschein" einführen und diesem Personenkreis die
Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung ermöglichen, ohne dass er dabei negative
Konsequenzen fürchten muss.
Vorbemerkungen
Das AsylbLG erfasst auch vollziehbar ausreisepflichtige Menschen ohne Papiere. Diese haben Anspruch auf Gesundheitsleistungen nach deli §§ 4 und 6 AsylbLG, werden aber durch
die behördliche Übermittlungspflicht der Sozialämter gegenüber der Ausländerbehörde (§ 87
Abs. 2 AufenthG) möglicherweise von einer Inanspruchnahme abgehalten. Sie müssen in
Kauf nehmen, dass ihre Identität nach § 11 Abs. 3 AsylbLG durch Datenabgleich mit der Ausländerbehörde geklärt werden kann.
Auch bei diesen Menschen steht die Stadt Münster dafür, sie gleich und würdevoll zu behandeln und ihnen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten, wozu
unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Recht auf medizinische Versorgung gehört. Im
Leitbild Migration und Integration Münster wurden u. a. Ziele für den Bereich der Gesundheit
formuliert. Als ein Leitziel ist dort festgehalten, dass die Stadt Münster für alle Zugewanderten
einen gleichwertigen Zugang zu Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen erreichen und entsprechende Vorsorge-, Beratungs- und Betreuungsangebote im Gesundheitsbereich ermöglichen will. Ein Teilziel ist es, dass alle Menschen die gebotene medizinische Hilfe erhalten,
unabhängig davon, ob ihr Aufenthaltsstatus gesichert ist oder nicht.
Zur gesundheitlichen Versorgung der Menschen ohne Papiere in Münster hat der Rat der
Stadt Münster am 10.12.2014 u. a. den Beschluss gefasst, die kommunale Gesundheitskonferenz zu bitten, das Thema zu bearbeiten und hierbei auch die hieran beteiligten Akteure
aus dem Gesundheitswesen und die örtlichen Flüchtlingsorganisationen mit einzubinden.
Dieser Beschluss bezieht die Menschen ohne Papiere ausdrücklich mit ein. Am 13. Mai 2015
wird sich die Kommunale Gesundheitskonferenz der Stadt Münster in einer Schwerpunktsitzung mit dieser Thematik befassen.
Die Landesgesundheitskonferenz hat sich in ihrer Entschließung vom 20.11.2014 "Für ein
solidarisches Gesundheitswesen in NRW - gesundheitliche Versorgung von Menschen in
prekären Lebenslagen verbessern" auch mit der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen befasst. Dabei 'hat sie zutreffend festgestellt, dass die derzeitigen Regelungen Lind die
weitaus überwiegende Praxis in Deutschland vorwiegend ordnungspolitischen Leitlinien folgen. Menschliche oder gesundheitspolitische Erwägungen treten in den Hintergrund. Diese
Aussagen, die für drittstaatsangehörige Menschen mit begrenztem Leistungsanspruch getrof-
- 5fen wurden, gelten natürlich in noch viel stärkerem Maße für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus.
Lösungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Papiere
bewegen sich daher in einem Spannungsfeld zu Regelungen des Aufenthaltsrechts, aber
auch des Asylbewerberleistungsgesetzes. Sie müssen daher nicht nur geeignet sind, humanitären und gesundheitspolitischen Vorstellungen zur Verbesserung der Versorgung von Menschen ohne Papiere zu dienen, sondern auch sicherstellen, dass die beteiligten Personen
und Institutionen sich in einem rechtlich sicheren Rahmen bewegen und keine Wertungswidersprüche zu anderen, z. B. leistungsrechtlichen Regelungen, entstehen.
Praxis in Münster
Obdachlosen und Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus (sogenannte Papierlose) und
damit ohne Krankenversicherung stehen in Münster ärztliche Sprechstunden und aufsuchende ärztliche und pflegerische Hilfen zur Verfügung. Sie werden organisiert durch das Malteserzentrum Münster - Malteser Migranten Medizin (MMM) - und die Mobilen Dienste der Bischof-Herrmann-Stiftung Münster. Die genannten Zielgruppen finden hier Ärzte, die eine Erstuntersuchung und medizinische Versorgung bei plötzlicher Erkrankung, Verletzung oder
einer Schwangerschaft sowie eine Vermittlung an Fach- und Beratungsstellen übernehmen.
Die Behandlung von Patienten in den Sprechstunden findet unter Wahrung der Anonymität
statt und ist grundsätzlich für die Patienten kostenfrei.
Die Angebote und Strukturen der Akteure in diesem Handlungsfeld sind gut ausgebaut, aufeinander abgestimmt und basieren auf großem ehrenamtlichem und trägerschaftlichem Engagement. Sie funktionieren so gut, dass die eigentlich möglichen Leistungen nach dem
AsylbLG praktisch nicht in Anspruch genommen werden. Die grundsätzliche Bereitschaft der
Stadt Münster, das Leitbild eines gleichwertigen Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen für
alle Zugewanderten sicherzustellen, tritt hier faktisch in den Hintergrund. Offenbar sind die
betroffenen Menschen trotz der prinzipiellen Option eines erweiterten Geheimnisschutzes im
Einzelfall nicht bereit, die vermeintliche Aufgabe ihrer Anonymität zu riskieren.
Lösungsansätze I Empfehlungen
Die Pflicht von Ärztinnen und Ärzten, medizinische Hilfe zu leisten, führt zwar regelmäßig
dazu, dass sie keine Beteiligung an einer ausländerrechtlichen Straftat leisten (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, Vor 95.1.4). Jedoch bewegen sie sich mit
weiteren Unterstützungshandlungen, die nicht im engeren Sinne zur medizinischen Versorgung zählen, in eine Grauzone zum Strafrecht. Ob dies bereits mit der Verschaffung von
Krankenscheinen verwirklicht wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Auszuschließen ist es aber
meines Erachtens nicht. Der' Antrag, zu dem hier Stellung genommen wird, greift dieses
Problem andeutungsweises zwar am Rande wie schon die Entschließung des Niedersächsischen Landtags vom 18.12.2014 auf, indem bundesrechtliche Änderungen bei der
Strafbarkeit von Beihilfehandlungen gefordert werden. Dies ersetzt eine rechtssichere Lösung
indes nicht. Der anonyme Krankenschein hat wie seine angesprochene Weiterentwicklung als
Chipkarte an dieser Stelle ein Fragezeichen.
Da die Beteiligten und Engagierten bei der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne
Papiere eine sichere Grundlage für ihr Handeln brauchen, befürworte ich die Umsetzung der
Vorschläge der Landesgesundheitskonferenz:
-
Verringerung der Informationsdefizite im Zusammenhang mit Rechten und Pflichten bei
der medizinischen Behandlung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Hier steht insbesondere die Vermittlung des Wissens um den sog. verlängerten Geheimnisschutz.
-6-
-
Aufbau einer Clearing lösung mit integriertem Fonds. Diese Lösung ist zwar nicht in das
Gesundheitssystem integriert und stellt offenkundig eine weitere niedrigere Stufe der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Papiere dar. Sie kann aber als Übergangslösung eine schnellere Verbesserung liefern, als dies ein langwieriger Einigungsprozess auf Bundesebene ermöglicht.
Eine Fondslösung bietet zudem den Vorteil, dass sie dort, wo schon Unterstützungsstrukturen bestehen, diese stärken und für die betroffenen Menschen einen annähernd gleichwertigen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sowie Vorsorge-, Beratungs- und Betreuungsangebote sichern kann.
Die Ausgestaltung einer solchen Lösung kann auch die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten
berücksichtigen. Dort, wo Strukturen oder Ansätze dafür schon bestehen, können und müssen sie genutzt werden. Eine Fonds-Lösung muss nicht zwangsläufig eine "Verwaltungskomponente" in Form von anonymen Krankenscheinen haben. Denkbar ist es auch, mit entsprechender Zweckbestimmung für eine ausreichende Finanzausstattung von Trägern oder Institutionen zu sorgen, durch die Sprechstunden und z. B. aufsuchende ärztliche und pflegerische Hilfen zur Verfügung gestellt werden. Die im Antrag sehr dominanten Themen von Anonymität und Übermittlungspflichten würden dadurch deutlich in den Hintergrund treten und
eine Konzentration auf ,die Kernaufgabe ermöglichen, nämlich den Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus einen Weg zu Ärztin oder Arzt bei notwendigen Behandlungen zu sichern.
Im Übrigen sehe ich in einer Fonds-Lösung eine gute Chance, für eine örtliche Verstärkung
des Fonds neben öffentlichen, auch private Mittel für die gesundheitliche Versorgung von
Obdachlosen und Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus zu aktivieren. Die Arbeit der
entsprechenden Initiativen in Münster zeigt, dass es eine Hilfsbereitschaft für die Menschen
gibt, durch die es zu nennenswerten Spenden und privatem Engagement für die Aufgabe
kommt. In dieser Situation bietet es sich an, etwaige Fremdmittel unbürokratisch in einen gemeinsamen Fonds zu lenken. Ein hierfür geeigneter Träger oder eine Initiative könnte in der
Tat den Einsatz der Mittel steuern und in dieser Form die Funktion einer Anlauf- und VergabesteIle übernehmen.
Unstreitig ist in jedem Fall, dass eine medizinische Behandlung und Beratung immer auch ein
Hilfsangebot beinhalten muss, das einen Weg zur Legalisierung des Aufenthalts aufzeigt oder
anbietet. Auch hierfür scheint eine solche Anlauf- und Vergabestelle eine geeignete Lösung
zu sein.
3. Für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass gewisse Übermittlungspflichten eingeschränkt werden.
Der verlängerte Geheimnisschutz bietet zwar ein großes Maß an Schutz der Anonymität von
Erkrankten ohne Papiere. Neben der Verbesserung des Wissens um diesen Schutz, einer
Forderung der Landesgesundheitskonferenz, besteht aber nach wie vor das auch von der
Bundesärztekammer thematisierte Risiko des Datenabgleichs mit der Ausländerbehörde
(siehe oben in der Vorbemerkung). Die Regelung in zwei unterschie'dlichen Gesetzen (§§ 87,
88 Aufenthaltsgesetz und § 11 Asylbewerberleistungsgesetz) erhöht das Risiko von Anwendungsfehlern oder unterschiedlichen Auslegungsansätzen.
-7Befriedigend lösbar erscheint dieser Aspekt nur über eine bundesgesetzliche Lösung, die
Datenübermittlungen zwischen ärztlichen oder ärztlich geleiteten Stellen und den Sozial behörden sicherstellt und gleichzeitig den Abgleich mit den Ausländerbehördendaten (§ 11 Abs.
3 Asylbewerberleistungsgesetz) ausschließt.
Mit freundlichen Grüßen
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Thomas Paal
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