Stefan Schmid Integration als Ideal – Assimilation als Realität Vorstellungen von jungen Deutschen und türkischstämmigen Migranten über ein Leben in Deutschland V&R unipress 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-783-9 2010, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr-und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Titelbild: »Deutschpinsel« Michael Möller, Quelle Fotolia Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 0 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Theoretischer Hintergrund der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Migration aus sozialpsychologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Soziale und personale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Soziale und personale Identität in der Migrationssituation . 1.1.3 Soziale Wahrnehmung und Stereotype . . . . . . . . . . . 1.1.4 Soziale Wahrnehmung und Stereotype in der Migrationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5 Intergruppenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5.1 Theorie des realistischen Gruppenkonfliktes und Kontakthypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5.2 Instrumentelles Modell des Gruppenkonfliktes . . . . . . . 1.1.6 Intergruppenkonflikt in der Migrationssituation . . . . . . 1.2. Migration aus Perspektive der Akkulturationsforschung . . . . . . 1.2.1 Akkulturation und Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.1 Akkulturation als strategische Problembewältigung – Berry’s Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.2 Akkulturation als eine Leistung auf Gegenseitigkeit – Das interaktive Akkulturationsmodell (IAM) . . . . . . . . . . 1.2.1.3 Akkulturation als lebensbereichsspezifische Anpassungsleistung – das erweiterte relative Akkulturationsmodell (relative acculturation extended model) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Akkulturation als Stressbewältigung . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Akkulturation als Veränderung der kulturellen Identität . . 1.2.3.1 Akkulturation als Übergang von der Herkunftskultur zur Aufnahmekultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 16 16 18 18 19 20 20 22 23 31 32 32 36 40 42 47 48 6 Inhalt . . 50 . . 50 . . . . . . 55 58 63 . . . . . . 69 73 73 . . 77 2 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Qualitative Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Hypothesen der qualitativen Studie . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Stichproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Erhebungsinstrument: Strukturiertes Interview . . . . . 3.1.3.1 Migrationsbezogene Alltagssituationen als Kernelemente der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.2 Aufbau und Ablauf der Interviews . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Auswertung der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.1 Situationsbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.2 Personenbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Quantitative Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Hypothesen der quantitativen Studie . . . . . . . . . . . 3.2.2 Stichproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Item- und Skalenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 91 91 96 98 . . . . . . . . . . 98 113 118 119 121 128 128 133 135 142 . . . . . . 147 147 148 . . . . . . 174 191 191 1.2.3.2 Akkulturation als Identifikation mit zwei Kulturen . . . 1.2.3.3 Qualität der ethnischen Identität als zentrale Größe im Akkulturationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Akkulturation als langfristiger und generationsübergreifender Prozess . . . . . . . . . . . . 1.3. Türkischstämmige Migranten in Deutschland . . . . . . . . . 1.3.1 Akkulturationsorientierungen in Deutschland . . . . . 1.3.2 Kulturelle und soziale Identität von türkischstämmigen Migranten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Migration aus Sicht des interkulturellen Lernens . . . . . . . . 1.4.1 Kultur als Gegenstand von Lernprozessen . . . . . . . . 1.4.2 Zentrale Kulturunterschiede zwischen Deutschen und Türken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Ergebnisse der qualitativen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Situationsbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Zusammenfassung der Ergebnisse: Situationsbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Personenbezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1 Interviews mit Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 4.1.3.2 Interviews mit Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Zusammenfassende Bewertung der Hypothesen . . . . . . 4.2 Ergebnisse der quantitativen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 205 211 . . . 239 239 258 . . 280 283 6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 5 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die türkischstämmigen Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Wechselwirkungen zwischen Deutschen und türkischstämmigen Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Ausblick und praktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . Vorwort Mit zunehmender Mobilität, mit globaler Vernetzung und mit den steigenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten berufliche Chancen im Ausland wahrzunehmen hat auch die Akkulturationsthematik an Bedeutung zugenommen. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union versucht mit mehr oder weniger Erfolg seine ausländischen Mitbürger in seine Kultur zu integrieren oder hofft zumindest auf eine gelungene Akkulturation. Dabei wird meist unterstellt, dass allein die ausländischen Mitbürger Akkulturationsleistungen zu erbringen haben. Sie sollen sich an das anpassen ,was in der Aufnahmegesellschaft an Werten, Normen, Gesetzen, Sitten und Gebräuchen sowie Verhaltensregeln üblich ist. Übersehen wird dabei die im Alltagsleben wirksame wechselseitige Beeinflussung von Migranten und Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft. Auf diesen Annahmen baut die in diesem Buch dargestellte Analyse auf. Sehr detailliert wird der aktuelle Stand der internationalen Migrationsforschung dargestellt und die dabei gewonnenen Ergebnisse diskutiert. Im Resultat zeigten alle Studien bei Migranten aber ebenso bei Einheimischen ein starkes Bestreben nach kultureller Integration. Allerdings bedienten sich die meisten Untersucher der Fragebogentechnik, die bei den befragten Personen eher Idealvorstellungen bezüglich der Akkulturation erfasst und dabei das reale Akkulturationsverhalten im Alltagsleben ausblendeten. Hinzu kommt, dass die meisten Studien zur Akkulturation von Migranten mit Personen durchgeführt wurden, die über ein eher niedriges Bildungsniveau verfügten, geringen sozialen Status besaßen, sich in marginalisierten Lebenslagen befanden und ein schlechtes allenfalls mittelmäßiges Integrationsniveau erreicht hatten. Vor dem Hintergrund dieser defizitären Forschungslage wird vom Autor ein neues Untersuchungsdesign entwickelt. Die untersuchten Zielgruppen bestehen aus Deutschen und aus türkischen Migranten mit gehobenem Bindungsniveau, was bei Migranten in der Regel als Indikator für eine gelungene Integration gewertet wird. Den Probanden wurden konkrete alltagsnahe Situationen zur Beurteilung vorgelegt, in denen die handelnden Personen in ein Dilemma geraten waren und sich zwischen zwei antagonistischen Handlungsvarianten 10 Vorwort entscheiden mussten, die in Deutschland und in der Türkei unterschiedlich bewertet werden. Die Dilemmasituationen waren von den Probanden so zu bearbeiten, dass Lösungswege aufgezeigt wurden, die zudem begründet werden sollten. Im Ergebnis zeigt sich, dass zwar bei den Deutschen wie bei den türkischen Migranten ein Integrationsorientierung als Idealvorstellung vorhanden ist, die aber an Bedeutung verlor sobald es darum ging für die Dilemmasituationen konkrete Verhaltensplanungen vorzulegen. In diesem Fall überwogen eindeutig die Anpassungserwartung der Deutschen und die Assimilationsorientierung der Migranten. Während in den Dilemmasituationen die sich auf die Lebensbereiche Arbeitswelt und öffentliches Leben beziehen hohe Übereinstimmungen zwischen Deutschen und türkischen Migranten zeigen, differieren die präferierten Verhaltensstrategien in den Lebensbereichen Familie, Erziehung und Freundschaft erheblich voneinander. Mithilfe eines neuartigen »Salienzmodell der Akkulturation« werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten erklärt und näher begründet. Darüber hinaus wird im Vorlauf der Analyse deutlich, wie stark kulturelle Unterschiede in Form einer wahrgenommenen symbolischen Bedrohung die Akteure in ihren Handlungen beeinflussen und zwar bei den Migranten ebenso wie bei den Einheimischen. Mit der in diesem Buch dokumentierten theoretischen und empirischen Arbeit und den gewonnenen Erkenntnissen wird deutlich, wie viel noch erforscht, entwickelt und kritisch analysiert werden muss um die Komplexität der Entstehungsprozesse, der Wirksamkeit und der Handlungssteuerung von Akkulturationsorientierung und akkulturationsbezogener Fremdbilder nachvollziehen und verstehen zu können. Die Lektüre dieses Buches ist für Akkulturationsforscher ebenso ein Gewinn, wie für Migrationsberater, Fachkräfte in der Migrationsarbeit, Politiker und alle Personen die beruflich mit Integrationsthemen zu tun haben, seien es Deutsche oder Personen mit Migrationshintergrund. Prof. Dr. Alexander Thomas Köln, im Dezember 2009 0 Einfïhrung »und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein rçmischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mdchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jïdischer Gewïrzhndler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begrïndet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionr, ein Graubïndner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein schwarzwlder Flçzer, ein wandernder Mïllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein franzçsischer Schauspieler ein bçhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt.[….]Es waren die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Vçlker dort vermischt haben.« (Zuckmayer, Des Teufels General S.66). Migration ist kein spezielles Phänomen unserer Zeit. Migrationsbewegungen bestimmten stets die Zusammensetzung der Bevölkerung in dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Die geographische Lage im Zentrum Europas begünstigt (e) über Jahrhunderte den Transit und Zuzug von Fremden. Die scheinbare Homogenität der deutschen Gesellschaft ist also nur der momentane Status eines fortlaufenden Migrationsprozesses. Die heutige besondere Bedeutung erlangt die Migrationsthematik wohl hauptsächlich aus vier Gründen: Moderne und kostengünstige Transport- und Kommunikationsmittel senken für immer mehr Menschen die Entscheidungsschwelle zur Migration. Ferne Länder sind schneller erreichbar und der Kontakt zur Heimat leichter aufrecht zu erhalten. Dadurch steigt die Zahl der Migranten deutlich an (Süssmuth et al., 2004). Massenmedien und Internet lassen ein konkretes (Wunsch-) Bild entstehen, was die Migranten in den Aufnahmeländern zu erwarten haben. Dies erhöht die Anzahl der Migrationswilligen weiter. In den Aufnahmeländern vermitteln die Medien selbst Personen, die nie Kontakt mit Migranten im Alltag haben ein Bild für Probleme und Herausforderungen, die aufgrund von Ein- 12 Einfïhrung wanderung entstehen. Dies führt dazu, dass sich die Anzahl der Personen erhöht, die sich durch Einwanderung betroffen oder gar beeinträchtigt sehen.Die Unterschiede in der Verteilung des Wohlstandes zwischen Nord- und Südhalbkugel sind enorm und werden durch den weltweiten Klimawandel eher noch zunehmen. Daher sind schon jetzt Abwanderungsprozesse aus besonders betroffenen Regionen zu beobachten, die in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen werden (Süssmuth et al., 2004). Die Globalisierungsprozesse werden auch von den Menschen in Europa als bedrohlich und kaum kontrollierbar eingeschätzt (European Commission, 2008). Insbesondere nicht-europäische Einwanderer werden oft als Repräsentanten dieser Entwicklung gesehen und als eine Bedrohung und Konkurrenz um knappe Ressourcen empfunden. Die gesteigerte Bedeutung der Migrationsthematik heutzutage lässt sich demzufolge auf das größere Ausmaß der Wanderungsbewegungen und eine kritische Aufmerksamkeit durch breitere Bevölkerungsschichten, die Veränderungen durch Zuwanderung befürchten, zurückführen. Unter 10 Personen die heute in Deutschland leben, ist eine Person ausländischer Herkunft. Betrachtet man Ballungsräume wie München, Köln oder Berlin, so sind es sogar zwei bis drei. Mit diesem Anteil an ausländischen Mitbürgern liegt Deutschland im europäischen Vergleich an dritter Stelle – in absoluten Zahlen sogar an der Spitze (7.3 Millionen) (Statistisches Bundesamt 2006). Trotz dieser Zahlen eröffnete erst ein verändertes Bewusstsein in Politik und Gesellschaft seit Ende der neunziger Jahre Raum für die Einsicht, dass das Land in Europa mit den meisten ausländischen Mitbürgern de facto ein Einwanderungsland ist. In der Zeit davor wurden Migranten als vorübergehende Gäste betrachtet, deren Selbstverständnis ebenfalls vielfach davon geprägt war, dass sie nur eine begrenzte Zeit aus Erwerbsgründen in Deutschland leben. Die Option der Rückkehr ins Herkunftsland wurde meist offen gehalten und diente als Sicherheit, wenn das Leben im Aufnahmeland besonders schwer fiel. Mit einer wachsenden Anzahl von Migranten der zweiten und dritten Generation begann sich das Bild zu verändern: Diese Migranten waren eigentlich keine Einwanderer (außerhalb Deutschlands ist der Begriff »Migranten zweiter Generation« oft unbekannt), denn sie waren in Deutschland aufgewachsen, kannten ihr »Herkunftsland« nur vom Urlaub und lebten nicht mehr mit der Option des gepackten Koffers für die Rückkehr in die Heimat. Für sie kann Deutschland so sehr Heimat sein wie das Herkunftsland der Eltern. Durch die Präsenz von Migranten in Schulen, Kindergärten, beim Einkaufen, in den Medien und in der Arbeit kann nicht mehr geleugnet werden, dass aus den Gästen Mitbürger geworden sind. Im Zuge dieses Wandels gesellte sich zu den Forderungen an die Migranten, wie Erlernen der Sprache und Anpassung an die Lebensweise der Aufnahmekultur, die Einsicht, dass das Gelingen von Integration auch von Leistungen der Aufnahmegesellschaft abhängt. Die Angebote von Einfïhrung 13 Orientierungs- und Sprachkursen im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes von 2004 sind erste Anzeichen einer veränderten Denkweise, die Integration als eine Leistung auf Gegenseitigkeit versteht. Damit sich die Anstrengungen der Aufnahmegesellschaft nicht darauf beschränken, die Bemühungen der Migranten, sprich Orientierungskurse und Sprachkurse zu finanzieren, sind vertiefte Kenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Migranten und der Aufnahmegesellschaft nötig. Darüber hinaus müssen auf Migrantenseite Belastungen, Herausforderungen und günstige Bewältigungsstrategien identifiziert werden, um möglichst gezielte Unterstützungen in unterschiedlichsten Lebensbereichen anbieten zu können. Umgekehrt ist es nötig zu erkennen, welche Haltungen und Vorstellungen über Migranten und deren Leben in Deutschland bei Deutschen vorherrschen, und welche Wissens- und Kompetenzdefizite bei Deutschen eine realistische Einschätzung und gelingende Interaktionen mit Migranten erschweren. Die vorliegende Studie liefert einen Beitrag für ein differenzierteres Verständnis der Herausforderungen von Migranten und Deutschen im Laufe des Integrationsprozesses und der dabei entstehenden Interaktionsdynamik zwischen beiden Gruppen. Aufgrund ihres starken Einflusses auf die Intergruppenbeziehungen zwischen Einheimischen und Migranten stehen die Akkulturationsorientierungen und Fremdbilder beider Gruppierungen im Fokus der Untersuchung. 1 Theoretischer Hintergrund der Untersuchung Zur theoretischen Begründung dieser Studie werden Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus vier unterschiedlichen Bereichen herangezogen: (1) Die Interaktion zwischen Migranten und Angehörigen der Aufnahmegesellschaft wird aus der Perspektive der Sozialpsychologie analysiert. (2) Erkenntnisse zum Umgang mit kritischen Lebensereignissen und der Akkulturationsforschung ergänzen diese Analyse, da sie die Bedeutung von individuellen Bewältigungsstrategien im Umgang mit einschneidenden Veränderungen beschreiben bzw. die Auswirkungen von individuellen Einstellungen auf den Integrationsprozess berücksichtigen. (3) Türkische Migranten in Deutschland stellen eine Zielgruppe der vorliegenden Studie dar. Um die universellen Erkenntnisse aus der sozialpsychologischen Analyse, der Akkulturationsforschung und den Untersuchungen zu kritischen Lebensereignissen auf die spezifische Situation dieser Migrantengruppe übertragen zu können, wird ein Überblick zum aktuellen Forschungsstand der sozialen Situation türkischstämmiger Migranten und deren Interaktion mit Deutschen gegeben. (4) Migrationsprozesse bringen zwangsläufig interkulturelle Kontakte zwischen Personen der Aufnahmekultur und den Einwanderern mit sich. Damit diese Interaktionen erfolgreich verlaufen können, ist interkulturelles Lernen der Akteure erforderlich. Die Inhalte dieser Lernprozesse sind kulturspezifisch bestimmt. Um also ein umfassendes Verständnis der Herausforderungen im Rahmen des Integrationsprozesses an Deutsche und türkischstämmige Migranten zu gewinnen, werden abschließend die spezifischen Anforderungen an das interkulturelle Lernen von Deutschen und türkischstämmigen Migranten beschrieben.