Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Kinder- und Jugendhilfe FACHTAGUNG am 20./21. 01. 2015 in Frankfurt am Main Thomas Berthold / Bundesfachverband UMF e.V. Ablauf Einführung Inobhutnahme Clearing Altersfestsetzung Vormundschaft Hilfeplanverfahren Folgeunterbringung Vorstellung B-UMF Der Bundesfachverband UMF setzt sich seit 1998 für die Rechte von jungen Flüchtlingen ein – insbesondere für alleinreisende Jugendliche. Ziel ist die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der jungen Menschen mit anderen hier lebenden Kindern und Jugendlichen. Der Verband setzt sich aus Geschäftsstelle und Vorstand, Fachkräften und involvierten Organisationen zusammen. Vorstellung B-UMF Laufende Projekte: Verbesserung der Aufnahmebedingungen Pädagogische Konzepte in der Jugendhilfe Lebenssituation von begleiteten Minderjährigen Familienzusammenführung unter Dublin III Übergänge aus der Jugendhilfe in die Selbstständigkeit Beratung, Tagungsarbeit Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit UMF – was heißt das eigentlich? Einige junge Menschen, die nach Deutschland flüchten werden durch Migrationsregime, die Jugendhilfe oder eigene Entscheidung zu UMF. UMF-sein ist eine Abgrenzung zu anderen Gruppen von Flüchtenden und Migrierenden. UMF-sein kann eine große Chance darstellen. Unbegleitet!?! Minderjährig!?! Flüchtling!?! UMF = besonders schutzbedürftige Personen ( u.a. Art. 17 EUAufnahmerichtlinie) Sonderrechte und besonderen Schutzbedarf! Unbegleitet: unter 18jährige, die ohne Personen- und Erziehungssorgeberechtigte ins Bundesgebiet einreisen bzw. zurück bleiben. Minderjährig: Inobhutnahme bis 18, Handlungsfähigkeit ab 16 Flüchtling: im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention / Selbstdefinition …..die Zuschreibung UMF ist negativ konnotiert! Entwicklung des Zugangs: Zahlen vom BAMF 2008 2009 2010 Alle Erstantragssteller_ Innen 22.085 27.649 41.332 2011 45.741 2012 2013 2014 64.539 109.580 173.072 <16 324 405 535 714 598 638 1.008 >16 439 899 1.413 1.412 1.498 1.848 3.390 763 1.304 1.948 2.126 2.096 2.486 4.398 UM gesamt UM 2014 nach Herkunft (Top-Twelve) & Entscheidungen (Quelle: BAMF) 1 Afghanistan 2 Schutzquote Erledigungen formelle Ablehnungen AufenthG V+VII Abschieb.verbote § 60 § 4 I AsylVfG Schutz Subsidiärer Familienasyl) (Art. 16a GG und Anerkennungen Flüchtlingsschutz insgesamt gem. § 3 AsylVfG ENTSCHEIDUNGEN über Erstanträge Erstanträge Die 12 stärksten Herkunftsländer im Jahr 2014 (Top Twelve) 1.052 487 163 1 42 179 75 27 79,1 % Eritrea 922 127 68 3 50 4 1 1 98,4 % 3 Syrien,Arab. Rep. 657 366 290 10 62 - - 4 98,9 % 4 Somalia 568 104 24 1 34 11 24 10 67,3 % 5 Irak 147 88 71 1 3 1 7 5 86,4 % 6 Ägypten 144 55 1 1 - - 49 4 3,6 % 7 Guinea 88 16 4 - 1 4 7 - 56,3 % 8 Gambia 63 4 - - - - 3 1 - 9 Marokko 55 32 - - - 1 27 4 3,1 % 10 Äthiopien 47 30 - - 2 12 16 - 46,7 % 11 Pakistan 37 31 8 - - - 21 2 25,8 % 12 Iran, Islam. Rep. 36 13 10 - 1 - - 2 84,6 % 4.398 1.544 669 18 214 228 326 89 73,1 % Gesamt (einschl. übrige HKL) Übersicht Zugangszahlen UMF Inobhutnahmezahlen des Bundesfachverband UMF e.V. und dem statistischen Bundesamt sowie die Zahl der Asylerstanträge (BAMF) 2009 bis 2013 Inobhutnahmezahlen Asylerstanträge Jahr Bundesfachverband UMF e.V. Stat. Bundesamt BAMF 2009 3015 1949 1304 2010 4248 2822 1948 2011 3820 3482 2126 2012 4316 4727 2096 2013 5548 6600 2486 Problemaufriss - Durchsetzung von Rechtsansprüchen - Qualitätsmangel in zahlreichen Bereichen Spannungsfeld Jugendhilfe – Aufenthaltsrecht Mangelhafte Qualifikation der Vormünder Altersfestsetzungsverfahren Jugendhilfe und dann? Erschwerter Zugang zu Ausbildung Mangelhafte Qualität im Asylverfahren (Anhörung) Kindeswohl als zentrales Prinzip Art. 3 UN-KRK: Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Art. 24 (2) GRC: Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Kindeswohlvorrang „Die UN-Kinderrechtskonvention ist Grundlage für den Umgang mit Minderjährigen, die als Flüchtlinge unbegleitet nach Deutschland kommen. Wir werden die Handlungsfähigkeit im Asylverfahrens- und Aufenthaltsrecht auf 18 Jahre anheben und dadurch den Vorrang des Jugendhilferechts für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge festschreiben.“ Koalitionsvertrag, CDU/CSU/SPD, 2013 Inobhutnahme § 42 (1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn 1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder ... 3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen. Inobhutnahme (2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Inobhutnahme (3) […] Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten. Inobhutnahme (4) Die Inobhutnahme endet mit 1. der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten, 2. der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch. Weitere Hilfen und Leistungen UMF sind leistungsberechtigt – wie alle anderen Kinder auch. Das Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 SGB VIII) gilt auch für UMF bzw. deren Vormünder. Hilfen für junge Volljährige sind ebenfalls für UMF vorgesehen. Weitere Hilfen Zum Weiterlesen: DIJuF, DIJuF-Rechtsgutachten 09.11.2010, J 4.300 Sch, www.bumf.de. BAG LJÄ, Handreichung zur Inobhutnahme von UMF, 2014, www.b-umf.de. Exkurs: Clearingphase Perspektivabklärung Ort der Ruhe / des Innehaltens / des Ankommens Erstorientierung Antrag auf Vormundschaft Gesundheitliche Versorgung und Prophylaxe Klärung der familiären Situation (Familienzusammenführung) Psycho-Soziale Versorgung Aufarbeitung Bildungssituation + Bildungszugang Aufenthaltsrechtliche Klärung Asylantrag ja / nein Altersfestsetzung Feststellen der Minderjährigkeit: Das JA muss sich davon überzeugen, dass es sich bei dem Jugendlichen um einen Minderjährigen handelt. (Grundlage für IO) Es gibt kein Verfahren das Alter festzustellen, alle Verfahren geben nur Näherungswerte wieder. Medizinische Altersfestsetzungsverfahren beruhen auf keiner medizinischen Indikation und stellen somit einen Eingriff in körperliche Unversehrtheit dar. Altersfestsetzung Gegenwärtig werden Inaugenscheinnahmen, Inaugenscheinnahmen mit Interview und medizinische Untersuchungen (Handwurzel, Zähne, Schlüsselbein) durchgeführt. Es gibt kein einheitliches Verfahren/ Standards in den Bundesländern und Kommunen. Familiengerichte, Verwaltungsgerichte und Ordnungsbehörden können med. Gutachten in Auftrag geben. Konsequenzen: Verlust des Anspruchs auf Jugendhilfemaßnahmen, Unterbringung, Abschiebung… Altersfestsetzung Aus unserer Perspektive müssen folgende Mindeststandards eingehalten werden: 4-Augen-Prinzip bestehend aus Fachpersonal Qualifizierte DolmetscherIn Klare Aufklärung der betroffenen Personen Dokumentation der Interviews Bescheiderstellung und Aufklärung weiteres Verfahren Altersfestsetzung Zum Weiterlesen: Bundesfachverband UMF, Handreichung zum Thema Altersfestsetzung, erscheint im April 2015. EASO, Praxis der Altersbestimmung in Europa, 2013. Vormundschaft Vormund wird durch Familiengericht bestellt, JA hat Bestellung unverzüglich zu veranlassen (§ 42 SGB VIII Abs. 3). Familiengericht muss die tatsachliche Verhinderung des Ruhens der elterlichen Sorge feststellen. Familiengericht kann Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB) einrichten. Vormundschaft endet sobald der Grund wegfällt (§ 1882 BGB). Vormundschaft richtet sich nach der Minderjährigkeit im Herkunftsland (Art. 24 EGBGB). Vormundschaft „Der Vormund hat das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen, insbesondere den Mündel zu vertreten.“ (§ 1793 Abs. 1 BGB) „Vormund hat das Recht und die Pflicht das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“ (Oberloskamp 2010) „Der Vormund hat mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll den Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten.“ (§ 1793 Abs. 1a BGB) Vormundschaft Vier relevante Formen: ehrenamtliche Einzelvormundschaft, Amts-, Vereins- und Berufsvormundschaft Zentrale Rolle des Vormunds im Helfernetz, an der Seite des Jugendlichen Aufgaben des Vormunds: Personen- und Vermögenssorge Pflege, Erziehung, Aufenthaltsbestimmung, Unterbringung Schule, Ausbildung Gesundheitsfürsorge Vertretung in allen rechtlichen Angelegenheiten (Aufenthaltsrechtliche Klärung) Vormundschaft Ca. 85% der Jugendlichen haben einen AV, daneben gibt es Ehrenamtler, Vereins- und Berufsvormünder – Ausgestaltung nach lokalen JH-Traditionen. Aufgaben werden sehr unterschiedlich wahrgenommen Qualität sehr unterschiedlich. Hohe Fallzahlen begrenzen die Möglichkeiten der AV, z.T. niedrigere Fallzahlgrenze bei UMF-Vormundschaft. Zentrales Problem ist die rechtliche Vertretung. Vormundschaft Rechtliche Grundlagen ergeben Position des Vormunds → an der Seite der Minderjährigen Haltung: Vertreter des Jugendlichen, nicht Vertreter einer Behörde Rechtliche Grundlagen implizieren die Verpflichtung sich den Ansichten anderer Behörden mglw. auch zu widersetzen Vormundschaft Zum Weiterlesen: Barbara Noske, Herausforderungen und Chancen – Vormundschaften bei UMF, 2010, www.b-umf.de. Handbuch Projekt Do It!, Diakonie Wuppertal, 2014. Eckpunkte zur Reform des Vormundschaftsrechts, www.dijuf.de Hilfeplangespräch Rechtliche Grundlage des HPG/HPV ist § 36 SGB VIII, es gibt keine Einschränkung bei UMF. Grundlage des ersten HPG ist das Clearingverfahren, ohne geht es nicht. Zentrales Instrument im Verfahren, ist das Gespräch aller relevanten „Parteien“ – selbstverständlich auch mit dem Jugendlichen. Grundsätzlich ist HPG gleich angelegt, wie bei anderen Kinder/Jugendlichen auch. Hilfeplangespräch Zum Weiterlesen: Christian Haase, Das Hilfeplanverfahren bei UMF, in: Dokumentation des Fachtags NRW 2011, www.b-umf.de Weiterführende Hilfe / Übergänge Bundesweite Unterschiede, sehr große Nachfrage von Fachkräften und große Unsicherheit. Tendenz: wenig / kurze Hilfen für junge Volljährige, abhängig von der Kommune. Häufige Aussage von Jugendlichen: Vertrauenspersonen zentral, mangelnde Kontinuität als Risiko. Konsequenzen aus Ende der Hilfen: Abbrüche Ausbildungsverhältnisse / Unterbringung in GU / Fehlende kontinuierliche Unterstützung. Aktuelles Gesetz zur Neubestimmung des Ausweisung- und des Bleiberechts. Gesetz zur bundesweiten Umverteilung von UMF. Gesetz zur Reform des Vormundschaftsrechts. Richtlinienumsetzungsgesetze zur Verfahrens- und Aufnahmerichtlinie. …und die Qualität der pädagogischen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen? – Ein paar Spiegelstriche zu Fragen der Pädagogik Beispiel Verteilung Pädagogische Anforderungen an ein Verteilverfahren: Wie kann Vertrauen zwischen Jugendlichen und Betreuer_in aufgebaut werden, wenn eine Verteilung in 7 – 10 Tagen bevorsteht? Welche Rolle übernehmen Fachkräfte, wenn ihre Arbeitsaufgabe „Vorbereitung der Verteilung“ heißt? Wie gehen Fachkräfte auf Jugendliche zu, die nicht an diesem Ort sein wollen? Beispiel Delinquenz Einige Einrichtungen und Kommunen stehen vor der Herausforderung des Umgangs mit delinquenten UMF. In Freiburg wurde über Wochen eine breite Debatte über die Taten von einer Gruppe von UMF geführt, ebenso in Bremen. In Hamburg gibt es massive Forderungen nach einer geschlossenen Unterbringung für einige/alle UMF. Welche Möglichkeiten bieten sich in der Arbeit mit diesen Jugendlichen? Tuschelrunde Tauschen Sie sich mit ihren Sitznachbar_innen über eigene pädagogische Erfahrungen mit UMF aus! Tuschelrunde: Dauer: 5 Minuten Was: Austausch mit den Nachbar_innen Abschluss: Zusammentragen einiger Eindrücke Welche Pädagogik? Häufige Ausgangsfrage: welche pädagogischen Konzepte gibt es für die Arbeit mit UMF? - Blick über den Tellerrand - Subjekt im Mittelpunkt - Selbstreflektion Es gibt keine UMF-Pädagogik, aber viele Erfahrungen in der pädagogischen Praxis mit UMF! Fragen an eine pädagogische Praxis Was bringen die Jugendlichen u.a. mit: Aufträge? Trauma / Erlebtes? Unklarheit über das Gegenüber / Behörden? Erfahrene Diskriminierung? Unmöglichkeit der Wahrheit? …? Fragen an eine pädagogische Praxis Was können die Fachkräfte mitbringen: Vermittler der neuen Situation. Raumbeschaffer. Auseinandersetzung ermöglichen. Fachliche Standards einfordern und ermöglichen. Hilfe bei rechtlichen Fragen. … Fragen an eine pädagogische Praxis Was für Strukturen brauchen wir: Monoethnische, multiethnische oder integrierte Gruppen? Besser irgendein Platz als gar kein Platz? Wie kann mit ausländerrechtlichen Restriktionen umgegangen werden? Müssen UMF in Städten leben? Wie gehen wir mit vorgegebenen zeitlichen Limitierungen (bspw. Verteilung) um? Pädagogik und UMF Zum Weiterlesen: Eva Stauf: Pädagogische Herausforderungen in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen, Dokumentation der Frühjahrstagung 2011 des B-UMF, www.b-umf.de Irmela Wiesinger: Die Arbeit mit jungen Flüchtlingen – eine Frage der professionellen Haltung, Vortrag anlässlich der Grundlagenschulung im Februar 2014, www.b-umf.de Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Kontakt Bundesfachverband UMF e.V. - Neue Anschrift & Rufnummer Paulsenstr. 55/56 12163 Berlin 030/8209743-0 [email protected]