SIS - Die Onleihe

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Thomas Hecker | Eva-Maria Krebs |
Sigrid Molderings | Jerzy Rasek
Praxisratgeber:
die ­strukturierte
Informations­­sammlung (SIS)
Richtig fragen – kompetent dokumentieren
pflege
kolleg
Die SIS und ihre Kernelemente
Hinweis
Diese sechs Themenfelder werden auch als »pflegerelevante Kontext­
kategorien« bezeichnet.
1.2.4
C2 Erste fachliche Einschätzung der pflege­
sensitiven Risiken und Phänomene, Risikomatrix
(Fachliche Einschätzung Teil 2)
Von Ihnen als Pflegefachkraft wird erwartet, dass Sie eine pflegebedürftige
Person gezielt auf gesundheitliche Gefahren und Gefährdungen hin beobachten. Aufgrund Ihrer Qualifikation nehmen Sie viele relevante Informationen sofort auf und richten Ihre Aufmerksamkeit auf eine tiefergehende
Untersuchung. Das Strukturmodell bietet Ihnen zur ersten Einschätzung
eine Übersicht (vgl. Tabelle 1), mit der Sie die ersten Ergebnisse Ihrer Beobachtung schnell darlegen können.
Wichtig
Als Pflegefachkraft entscheiden Sie, ob ein Risiko besteht und ob eine
tiefergehende Einschätzung erforderlich ist. Wenn Sie ein pflegebedürftige Person beobachten und ein Risiko eindeutig identifizieren, benötigen
Sie keine tiefergehende Einschätzung! Zum Beispiel müssen Sie, um festzustellen, dass jemand, der nur liegen kann und sich in dieser Position
nicht bewegt, nicht eigens tiefergehend einschätzen.
In der Matrix (Tabelle) sind die Aspekte Dekubitusgefahr, Sturzgefahr,
Risiko einer Mangelernährung, Schmerz und Inkontinenz vorgegeben. Die
häufigsten Risikofaktoren finden sich in den entsprechenden Expertenstandards (siehe Seite 69). Weil es individuelle Umstände sind, die zu Gefährdungen führen, hilft Ihnen die Matrix mit der Strukturierung nach den
Themenfeldern. Weitere beobachtete Risiken und Phänomene fügen Sie in
der Matrix unter »Sonstige« selbst hinzu.
19
Leben in sozialen
Beziehungen
Selbstversorgung
Krankheitsbezogene
Anforderungen &
Belastungen
Mobilität &
Beweglichkeit
kognitive und
­kommunikative
Fähigkeiten
Themenfeld:
nein
ja
nein
ja
nein
ja
nein
ja
Einschätzung
weiter
Einschätzung
weiter
ja
Einschätzung
weiter
nein
Einschätzung
weiter
nein
ja
nein
ja
nein
ja
nein
ja
Einschätzung
weiter
Inkontinenz
ja
Schmerz
Einschätzung
weiter
Sonstige
ja
Ernährung
nein
Sturz
nein
Dekubitus
ja
Risiko:
nein
Tabelle 1: Die Risikomatrix
Beratung
Beratung
Beratung
Beratung
Beratung
Beratung
20
Die strukturierte Informationssammlung als Teil des Struktur­modells 
Aus dem Alltag: »Probleme gibt es jetzt ja nicht mehr«
Darauf müssen Sie bei der Risikomatrix achten
Bei der Bearbeitung der Risikomatrix sind folgende Entscheidungen zu
treffen:
•• Liegt ein Risiko vor?
•• Besteht die Notwendigkeit einer weiteren (differenzierten) Einschätzung?
•• Ist eine Beratung erforderlich (ambulant)?
1.3
Aus dem Alltag: »Probleme gibt es jetzt ja nicht
mehr«
Jana, die Auszubildende, hat Spätdienst. Es ist der erste Tag in ihrem zweiten Praxiseinsatz. Mit ihrer Kollegin Valentina und der Wohnbereichsleitung Maria sitzt sie im Dienstzimmer. Valentina informiert Maria darüber,
dass sie gleich noch die SIS für eine Bewohnerin schreiben müsse. Jana
staunt: »Ihr habt schon die SIS? Die hatten wir erst letzte Woche in der
Schule. Ist ja ganz neu jetzt: Der Pflegeprozess ist abgeschafft. Probleme
gibt es nicht mehr. Ressourcen auch nicht.« Valentina flachst: »Schön, wenn
es keine Probleme mehr gibt …« und Maria denkt daran, dass sie selbst
noch das PESR-Format lernen musste: »Problem, Etiology, Symptom, Ressource«.
Tabelle 2: Das PESR-Format
P(roblem)
Was hat die pflegebedürftige Person?
E(tiology)/Einflussfaktoren
Warum hat sie es?
S(ymptome)
Wie zeigt es sich?
R(essource)
Welche Fähigkeiten/Potenziale hat die
pflegebedürftige Person?
Später setzen sich Maria und Jana zusammen. Wie unterscheidet sich denn
nun das neue System der SIS vom bisherigen? Die beiden veranschaulichen
21
22
Die strukturierte Informationssammlung als Teil des Struktur­modells
sich diesen Weg anhand des Fallbeispiels aus der »Grundsatzstellungnahme
Pflegeprozess und Pflegedokumentation«3:
»Frau Piontek, 80 Jahre alt, zeigt einen akuten Verwirrtheitszustand infolge
mangelnder Flüssigkeitszufuhr (sie trinkt zu wenig, hat ein vermindertes
Durstgefühl und Angst vergiftet zu werden), was sich durch nächtliche
Unruhe und Angstzustände mit abwehrendem Verhalten gegenüber dem
Pflegepersonal äußert. Frau Piontek kann durch gutes Zureden und Eingießen des Getränks vor ihren Augen zum Trinken veranlasst werden. Dasselbe passiert auch, wenn man ihr ihr Lieblingsgetränk Zitronenlimonade,
anreicht. Morgens zeigt sie eine größere Kooperationsbereitschaft als
abends«.
Maria und Jana ordnen die Bestandteile der Informationen den einzelnen
Rubriken zu. Es ergibt sich folgende Tabelle (vgl. Tabelle 3).
Tabelle 3: PESR-Format für Frau Piontek
Frau Piontek, 80 Jahre alt,
P(roblem)
Was hat die pflege­
bedürftige Person?
… zeigt einen akuten Verwirrtheitszustand infolge
mangelnder Flüssigkeitszufuhr …
E(tiology)/Einflussfaktoren
Warum hat sie es?
… aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen
­(Multiinfarktdemenz) und psychischen Erkrankung
(Angststörung).
S(ymptome)
Wie zeigt es sich?
Sie trinkt zu wenig, hat ein vermindertes Durstgefühl
und Angst vergiftet zu werden. Dies äußert sich durch
nächtliche Unruhe und Angstzustände mit abwehrendem Verhalten gegenüber dem Pflegepersonal.
R(essource)
Welche Fähigkeiten/
Potentiale hat der
­Pflegebedürftige?
Frau Piontek kann durch gutes Zureden und Eingießen
des Getränks vor ihren Augen zum Trinken veranlasst
werden. Dasselbe passiert auch, wenn man ihr Zitronenlimonade, Lieblingsgetränk, anreicht. Morgens
zeigt sie eine größere Kooperationsbereitschaft als
abends.
3Vgl. MDS e.V. (2005). Grundsatzstellungnahme Pflegeprozess und Dokumentation. Handlungsemp-
fehlungen zur Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Pflege. Essen, S. 21 f.
Aus dem Alltag: »Probleme gibt es jetzt ja nicht mehr«
Maria sagt: »An diesem Beispiel kannst Du gut erkennen, dass die Benennung des Problems den Handlungsbedarf begründet. Frau Piontek benötigt in irgendeiner Weise Hilfe, damit sie Flüssigkeit zu sich nimmt.
Betrachtet man nur das Problem, wird aber nicht klar, auf welche Weise.
Erst anhand der Ressource kann die genaue abgestimmte Handlungsweise
abgeleitet werden. In diesem Fall geht es ja vor allem darum, dass die Handlung von der Pflegebedürftigen akzeptiert wird.
Wie Du es hier bei uns vorher kennengelernt hast, hätten wir das nun in
dieses Schema eingetragen:
Problem
Ressource
Ziele
Maßnahmen
Das Ziel lautet dann etwa: »Frau Piontek nimmt in möglichst entspannter
Atmosphäre ausreichend Flüssigkeit zu sich (z. B. mind. 2000 ml täglich).«
Und die Maßnahme klingt vielleicht so: »Frau Piontek erhält über den Vormittag verteilt möglichst stündlich 200 ml Flüssigkeit. Eine Flasche Zitronensprudel mit Ihr zusammen öffnen und so eingießen, dass sie es sieht.
Währenddessen gut zureden und Kontakt halten.
Jeweils auf dieselbe Art auch nachmittags und abends etwa alle zwei bis drei
Stunden Nachts, wenn sie aufwacht, versuchen, ihr ein Getränk schmackhaft zu machen.
Ablehnung immer zulassen und einen späteren Zeitpunkt wählen. Trinkprotokoll führen und in den Übergaben immer auswerten, um Abweichungen rechtzeitig zu erkennen.«
Und nun hast Du gehört, der Pflegeprozess ist abgeschafft? Da möchte ich
Dir deutlich widersprechen«, sagt Maria zum Schluss.
»Aber das hat der Pflegedozent gesagt!«, wehrt sich Jana.
»Nun«, beruhigt Maria, »es ist ja nicht ausgeschlossen, dass sich Pflegedozenten irren können. Ihr habt die SIS besprochen?«
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