Katholische Jugend im Dritten Reich Der Schein trügt Das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan vom Juli 1933 schien auf den ersten Blick frühere Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus zu beenden. Es sicherte der katholischen Kirche das Recht zu, „ihre Angelegeneheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen“. Religionslehre blieb an den Schulen ordentliches Lehrfach, katholische Bekenntnisschulen sollten beibehalten oder gar neu eingerichtet werden. Katholische Verbände mit religiösen, karikativen und rein kulturellen Zwecken blieben bestehen. Die Hoffnung der Kirche war, durch dieses Konkordat eine Rechtsgrundlage gegen die befürchtete Kirchenfeindlichkeit der neuen Regierung zu schaffen. Im Gegenzug akzeptierte sie, dass Geistliche und Ordensleute sich nicht mehr politisch betätigen durften. Trotz der erklärten weltanschaulichen Ablehnung des Nationalsozialismus durch die Kirche waren Teile der katholischen Jugendverbände (wohl ebenso wie Teile der katholischen Bevölkerung) von der nationalen Hochstimmung 1933 nicht unbeeindruckt. „Antiliberalismus, Antiparlamentarismus, Führerkult und Reichsmythos hatten auch bei Teilen der ‚bewegten’ katholischen Jugendgeneration Anklang gefunden“ (Klönne). Aber schon Ende 1933 war sichtbar, dass die Regierung nicht beabsichtigte, die Festlegungen des Konkordats zu respektieren. Zwar betrieb sie offiziell eine kirchenfreundliche Politik (vgl. Einführung des Schulgebets 1933), doch auf der unteren Ebene, in den Gemeinden, hatte ein Kleinkrieg gegen katholische Vereine und Veröffentlichungen begonnen, den die Regierung von untergeordneten Stellen (Gestapo, SA, Hitlerjugend) führen ließ. Da die katholischen Jugendgruppen 1933/34 gegenüber allen Eingliederungsvorschlägen in die staatlichen Jugendorganisationen eine eindeutig ablehnende Haltung einnahmen, bildete sich schnell ein alltäglicher, emotionaler Gegensatz zwischen ihnen und der Hitlerjugend heraus. Die katholischen Jugendverbände unterlagen nun vielerlei Beschränkungen. Die Doppelmitgliedschaft in Hitlerjugend und katholischen Jugendverbänden war verboten, durch regionale Verbote wurde der Aktionsradius eingeschränkt, Repressalien gegenüber Eltern und Nachteile in Ausbildung und Beruf waren keine Seltenheit. Der Brief Kardinal Bertrams an Kardinalstaatssekretär Pacelli, den späteren Papst Pius XII., vom 2. September 1933 führt auf: „Vereinsleben und Kundgebungen der katholischen Jugendvereine und Jungmännervereine werden in zahllosen Fällen auf schärfste überwacht, ungünstig beurteilt, vielfach behindert. Den katholischen Vereinen wird oft verboten, sich zu betätigen in Sport, Wanderungen, öffentlichem vereinsmäßigen Auftreten, Kundgebungen und Werbeversammlungen.“ Im April 1934 verfügte die Münchener Polizeidirektion: „Das Tragen von einheitlicher Kleidung, von uniformähnlichen Bekleidungsstücken sowie von Abzeichen, durch welche die Zugehörigkeit zu einer katholischen Jugend- oder Jungmänner-Organisation zum Ausdruck gebracht wird, ist verboten. Zuwiderhandlungen ... werden mit Haft bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe ... bestraft.“ Die Unterdrückung wächst Nach vielfältigen Beschränkungen in den Jahren 1933 bis 1936 wurden die katholischen Jugendverbände zwischen 1937 und 1939 aufgelöst und verboten. Am 6. Februar 1939 wurde das Jugendhaus Düsseldorf, Zentralstelle der katholischen Jugend, von 140 Gestapo-Beamten besetzt. Von nun an war jegliche katholische verbandliche Jugendarbeit strafbar. Auf diese Entwicklung hatte sich die Kirche vorbereitet. Mit ihren „Richtlinien für die katholische Jugendseelsorge“ vom 6. April 1936 hatten die Bischöfe den Rückzug der Verbandsmitglieder in die Pfarrjugendseelsorge vorbereitet: Die Mitglieder der aufgelösten Jugendverbände gingen nun als Kernscharen in die „Pfarrjugend“ über. Aus Jungschargruppen wurden oftmals Messdienergruppen. In dieser grundsätzlichen Zuordnung zur Pfarrei (und nicht mehr zu den Verbänden) waren sie rechtlich auf sicherem Gelände. Die überpfarrliche Koordinationsarbeit lag nun in den Händen der neu eingerichteten Bischöflichen Jugendämter. Jugendbündische Lebensformen wurden in dieser Zeit weitaus intensiver als vor dem Dritten Reich aufgenommen und existierten in diesem Organisationsrahmen in großem Umfang weiter. Davon zeugen die damals geradezu aufblühenden katholischen Jugendblätter („Junge Front“, später “Michael“ und „Die Wacht“), die auf vielfältige Weise die staatlichen Beschränkungen thematisierten. Neben den meist wöchentlichen Gruppenstunden fanden Bibelstunden, Singabende, aber auch Exerzitien, Jugendgottesdienste, Wallfahrten und kirchliche Nachtgebete statt. Besonders groß war die Beteiligung an den 1936 eingeführten jährlichen Bekenntnistagen am Dreifaltigkeitssonntag, die ebenso wie Prozessionen zu Demonstrationen der Zugehörigkeit zur Kirche wurden. Zwar war durch das Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936 und dessen Durchführungsverordnungen vom 25. März 1939 (Einführung der Jugenddienstpflicht) die Mitgliedschaft in der Staatsjugend verpflichtend, doch gingen viele der o.a. kirchlichen Veranstaltungen auf Kosten der Aktivitäten der Hitlerjugend. Diese war zudem zu einem schwerfälligen staatlichen Apparat geworden mit vormilitärischer Schulung, Disziplinierung und Indoktrination. Für den NS-Staat lag die riskante Bedeutung der katholischen Jugendarbeit darin, „dass hier eine populär verankerte, in der Jugendarbeit erfolgreiche ’Gegenkultur’ zur NSErziehung existierte, die weltanschaulichen und institutionellen Rückhalt hatte“ (Klönne). So verwundert die Reaktion des Staates nicht: Von der Gestapo verfolgt, wurden viele Pfarrer, Kapläne, Gruppenführer und Jugendliche, auch schon im Alter von 16 oder 18 Jahren, verhaftet. Die Vorwürfe lauteten auf illegale Gruppenbildung und Zersetzung der Staatsjugend und beriefen sich oftmals auf die „Verordnung des Herrn Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 als Rechtsgrundlage. Bei Handlungen des unmittelbar politischen Widerstandes (Verteilung hochverräterischer Flugblätter, Aufbau eines Radiosenders) reichten die Strafen in Einzelfällen bis zur Einweisung in ein Konzentrationslager oder zum Todesurteil. Die breite Masse der katholischen Jugendlichen war freilich an diesen risikoreichen Aktionen nicht beteiligt. Als 1939 der Krieg begann, zeigte sich erneut, was schon 1933 sichtbar war, was aber in seiner vordergründigen Gegensätzlichkeit heute kaum begreiflich zu machen ist: Viele dem NS-System und seiner Weltanschauung oppositionell eingestellte katholische Jugendliche, darunter auch solche, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden, sahen sich als Deutsche in der Pflicht und glaubten, im Krieg dem Reich einen patriotischen Dienst leisten zu müssen. Internet-Adressen angegebener Links: Konkordat: www.kirchenrecht-online.de/disziplinen/reichs.htm Gesetz über die Hitlerjugend: www.dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/jugend Einführung Jugenddienstpflicht: www.dhm.de/lemo/html/dokumente/hjdienst/index.html Verordnung zum Schutze von Volk und Staat: www.documentarchiv.de/smp.html Links innerhalb der website: Jugendbündische Lebensformen: Schwere Tage staatliche Beschränkungen: Gedicht von Thomas Klausner Gruppenführer: Schutzhaftbefehl gegen Wilhelm Massoth Nun sind Gesichter unsere Fahnen Rollt Eure Fahnen um den Schaft und geht wie stumme Boten; Die Macht ist über unsre Kraft, die Macht hat es geboten. Die Straße frei, der Lärm vergeht, wir ziehen in die Stille, Und wenn auch keine Fahne weht, es bleibt doch unser Wille: Wir wollen Deutschland, und wir mahnen das Volk an seine Kraft. Nun sind Gesichter unsre Fahnen und Leiber unser Schaft. Thomas Klausner Aus: Die Wacht, März 1935