Joh 6,68 Beerdigung Viktor Stumpf „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Liebe Angehörige, liebe Gemeinde, in den langen vergangenen Tagen haben sich viele gefragt, wohin sie denn gehen sollen. Uns alle hat durch den plötzlichen Tod von Viktor Stumpf eine große Unruhe ergriffen. Noch nicht recht begreiflich ist, dass er nicht mehr in sein Haus im Hegefeld zurückkommen wird. Nicht verständlich ist noch, dass man nicht mehr mit ihm an einem Tisch sitzen wird bis an den Tag, an dem wir nach Gottes Gnade am Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Noch ist nicht recht vorstellbar, wie das Leben im Haus und in der Familie nun ohne ihn weitergehen soll. Es wird erst noch deutlich werden, dass er nicht mehr auf dem Grundstück wirken wird, dass er nicht mehr den freundlichen Gruß über die Straße sagen wird. So vieles ist noch nicht klar. Die Tage waren nun lange und voll Unruhe und ziellos. Wohin sollen wir gehen? Es war gut, dass Sie, jeder auf seine Weise, sich auf den Weg gemacht hat, um in der Familie zusammen zu sein, die nun so viel ärmer geworden ist. In aller Unruhe hat es so doch eine erste gute Richtung gegeben in unserem Suchen und umher Gehen. Es war gut, dass immer jemand da war, die Verwandten, Nachbarn, Freunde, die Geschwister und Bekannte. Es war gut, dass Menschen zusammen gekommen sind, um zu reden, um zu schweigen, um in den Arm zu nehmen, um zu singen, um zu beten, um einfach da zu sein und zuzuhören, um zu helfen. Das ist eine erste Antwort auf die unruhige Frage, wohin wir gehen sollen und können. Petrus fragt Jesus hier im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums aber noch etwas anderes, nämlich wo der Weg Gottes mit uns Menschen zu finden sei. Und eigentlich kennt er die Antwort schon. Sie ist erst einmal eine seltsame Antwort: „Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Das klingt nicht sehr konkret. Das ist etwas Höheres als alles, was wir in unserer Unruhe zuwege bringen. Natürlich können und sollen wir in der Not füreinander da sein. Natürlich können und sollen wir in diesen krisenvollen Tagen uns beistehen und helfen. Aber alle unsere Wege und Taten sind doch nur vorläufig und endlich wie unser irdisches Leben selber. Ewiges Leben ist noch mehr als das. „Du hast Worte des ewigen Lebens“, sagt Petrus zu Christus, du hast noch mehr für uns als das, was wir füreinander haben. Bei dir ist Leben auch nach dem Tod, bei dir ist Zukunft auch nach dem Sterben, bei dir ist eine Ruhe, die wir hier niemals vollständig erleben werden. Auf sie gehen wir zu, auf das Licht, auf die zukünftige Stadt, auf das Reich, auf den Frieden. Die Frage des Petrus bleibt also nicht ohne Antwort. Wir bleiben nicht ohne Antwort. Wir hören Jesu Worte des ewigen Lebens, oft eher ganz allgemein, und heute wie in diesen Tagen ganz persönlich über unserem lieben Verstorbenen. Er hat ja eigentlich sein Leben lang eine Antwort zu geben versucht auf die frage, wohin der Weg gehen soll. Sein Leben war unruhig. 1952 kam er in AbaiDorf in Kasachstan zur Welt. Aber die Familie lebte dort noch nicht lange, 1941 die Deportation unter Stalin, der Neubeginn, die Kommandantura, alle schrecklichen Erfahrungen lagen auf den rußlanddeutschen Familien. Viktor Stumpf wuchs mit zwei Brüdern auf Doch durch den plötzlichen Unfalltod des Vaters 1970 veränderte sich vieles. Zwar verkürzte sich der Dienst in der Armee, aber verschiedene Ortswechsel folgten, 1972 dann die Heirat mit Ihnen, liebe Frau Stumpf. Sie kannten sich schon aus Schulzeiten, zwei Töchter und zwei Enkelkinder gehören zur Familie. Bedingt durch die Politik Gorbatschows tauchte im Leben vieler dann die Frage auf: Sollen wir auch nach Deutschland gehen? Im Jahr 1992 reiste die Familie dann aus, über etliche Stationen konnte 2003 das Haus in Goßfelden bezogen werden. Praktisch jeder Quadratzentimeter trägt die Handschrift von Viktor Stumpf. Er wollte alles gut machen, auch auf der Arbeit bei der Stadt Marburg. Aber das galt nicht nur nach außen hin, sondern vor allem auf die Menschen hin. Er liebte es, mit den Menschen zusammen zu sein. Er nahm Kontakt zu den anderen auf. Er war gerne lustig. Es freute ihn, wenn anderen seine Mahlzeiten schmeckten. Als ob er irgendwie etwas geahnt hätte, lud er vor Weihnachten noch einmal alle Geschwister zu sich ein. Und an Weihnachten gab es noch ein letztes gemeinsames Fest. Das klagte er schon über gesundheitliche Schwierigkeiten. Dennoch kam sein Tod urplötzlich und völlig unerwartet. Damit ist die Frage „Wohin sollen wir gehen?“ wieder in ganz neuer Weise gestellt. Sie gilt besonders Ihnen im Hause, aber auch uns allen, die wir durch den Tod erschüttert worden sind in der Grundsicherheit unseres Lebens. Petrus wendet sich mit seiner Frage an den, von dem er weiß, dass er ihm wird helfen können. Er fragt, er bittet, er betet zu Jesus, von dem er weiß, dass dieser das sagt, was diese Zeit überdauert. Ewiges Leben, Gottes ewige Verbindung mit den Seinen, Weg, Wahrheit und Leben, ein Bleiben in der Liebe, Auferstehung, alles ist in Jesu Worten zu finden. Ewig sagt er uns zu, dass die Trauernden getröstet werden sollen, ewig, dass uns nichts scheiden kann von seiner Liebe, weder Tod noch Leben, weder Hohes noch Tiefes. Und so können seine Worte, die anders als Himmel und Erde, nicht vergehen, beginnen, als der Fels zu tragen, der sie für uns sind. Und so umhüllen sie uns schon jetzt und beginnen, unseren Kummer zu stillen und den Weg zu weisen, den Gott mit uns gehen wird. Dann einmal, in Gottes großer Ewigkeit, werden wir sie ganz verstehen, in der Freude, die niemand von uns nehmen kann. Amen.