Mathematische Modelle im Bauingenieurwesen

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Leseprobe
Kerstin Rjasanowa
Mathematische Modelle im Bauingenieurwesen
Mit Fallstudien und numerischen Lösungen
ISBN: 978-3-446-42125-7
Weitere Informationen oder Bestellungen unter
http://www.hanser.de/978-3-446-42125-7
sowie im Buchhandel.
© Carl Hanser Verlag, München
2.4 Fallstudie: Berechnung einer Streichwehranlage
2.4
71
Fallstudie: Berechnung einer Streichwehranlage
Praktische Aufgabe
Unter einem Streichwehr versteht man einen zur Fließrichtung parallel oder nahezu parallel angeströmten seitlichen Überfall. Er hat zur
Aufgabe, im Unterwasser eine vorgegebene Höhe hu des Wasserstandes nicht zu überschreiten, indem ein Teil des Zuflusses Qo über das
Wehr abgeleitet wird. Streichwehre dienen z. B. als Entnahme- und
Entlastungsbauwerke in natürlichen Gewässern und künstlichen Gerinnen. Betrachtet wird hier der Fall eines durchweg strömenden Abflusses
ohne Fließwechsel (vollkommener Überfall).
In einem Gerinne mit bekannten Abmessungen und bekannter Neigung
I soll im Unterwasser mit dem vorgegebenen Abfluss Qu die vorgegebene Höhe hu des Wasserstandes nicht überschritten werden. Das Streichwehr mit der Höhe w muss mindestens eine solche Länge L erhalten,
dass es die Differenz von Zufluss und Abfluss
ho
Mathematisches Modell
2 ,
L 2g µ h3/2 ,
3
(2.40)
wobei der hier verwendete Überfallbeiwert µ aus dem Überfallbeiwert
des normalen Überfalls durch Multiplikation mit einem Abminderungsfaktor (σ = 0.95 bei konstantem Gerinnequerschnitt) hervorgeht (siehe
[27]). Diese Näherung ist nur für strömendes Abflussverhalten, d. h. für
Froude-Zahlen F ro im Oberwasser mit
vo
< 0.75
F ro = √
gho
(2.41)
zulässig. Für Froude-Zahlen F ro > 0.75 kann vor dem Streichwehr ein
Fließwechsel vom Strömen zum Schießen stattfinden, und der Abfluss
kann nicht nach Gleichung (2.40) berechnet werden.
w
I
Qu
vu
Bild 2.17 Streichwehranlage
abführen kann. Zu berechnen ist diese Länge L (siehe Bild 2.17).
Q =
h2
h1
Qo
vo
Q = Q o − Qu
Aufgrund der komplizierten Strömungsvorgänge wird ein Streichwehr
näherungsweise wie ein normaler Überfall betrachtet. Die Höhe des
Wasserstandes an seinem Anfang beträgt h1 = ho − w und an seinem
Ende h2 = hu −w (siehe Bild 2.17). Für den Abfluss gilt die Überfallformel von Poleni mit der gemittelten Überfallhöhe h = (h1 + h2 )/2
2
L
Durchfluss
hu
72
2 Nichtlineare Gleichungen und Gleichungssysteme
Energieerhaltung
Zur Ermittlung der noch unbekannten Höhe ho des Wasserstandes wird
die Bernoulli-Gleichung wie in (2.34) mit vo und vu als Fließgeschwindigkeiten im Ober- bzw. Unterwasser benutzt:
vo2
v2
+ ho + z = u + hu + hv ,
2g
2g
(2.42)
wobei z = IL wieder der geodätische Höhenunterschied zwischen Oberund Unterwasser und hv die Reibungsverlusthöhe nach ManningStrickler wie in Gleichung (2.33) darstellt. Meist ist die Reibungsverlusthöhe etwa von der gleichen Größe wie der geodätische Höhenunterschied z. Daher können beide Terme in (2.42) vernachlässigt werden.
Bei einem rechteckigen Gerinnequerschnitt der Breite b und der Höhe h
des Wasserstandes ist die Fließgeschwindigkeit v = Q((hb) und damit
vo =
Bestimmungsgleichung
Qo
ho b
bzw.
Qu
hu b
vu =
(2.43)
Setzt man die Gleichung (2.43) in (2.42) ein, so ergibt sich als Bestimmungsgleichung für die gesuchte Oberwasserhöhe ho
Q2u
Q2o
+ ho =
+ hu
2gb2 h2o
2gh2u b2
=
f (ho ) = h3o −
Q2u
+ hu
2gh2u b2
bzw.
>
h2o +
Q2o
= 0.
2gb2
(2.44)
Die Forderung (2.41) an die Froude-Zahl bedeutet nach dem Einsetzen
von vo aus (2.43) und Umstellen nach ho
=
Qo
√
0.75 b g
>2/3
< ho .
(2.45)
Zusammen mit der natürlichen Bedingung ho > w bedeutet das
7=
max
Qo
√
0.75 b g
8
>2/3
,w
< ho .
(2.46)
Außerdem muss die gesuchte Oberwasserhöhe ho die Bedingung
ho < hu
(2.47)
erfüllen, da es in dem Gerinne nicht zu schießendem Abfluss kommen
darf.
2.4 Fallstudie: Berechnung einer Streichwehranlage
73
Numerisches Verfahren
Gleichung (2.44) ist nichtlinear bezüglich der Unbekannten ho , da die
Funktion f auf ihrer linken Seite
=
f (x) = x3 −
Q2u
+ hu
2gh2u b2
>
x2 +
Wahl des Iterationsverfahrens
Q2o
2gb2
2
ein Polynom dritten Grades in x darstellt. Zu ihrer Lösung wird das
Bisektionsverfahren (siehe Abschnitt 2.1.4) vorgeschlagen, da für die
Unbekannte ho gemäß den Bedingungen (2.46) und (2.47) Intervallgrenzen bekannt sind. Findet man daher eine Lösung von (2.44) im angegeben Intervall, so erfüllt diese automatisch beide Bedingungen, sodass
die Forderung (2.41) an die Froude-Zahl nicht nachträglich überprüft
werden muss. Voraussetzung für ein erfolgreiches Bisektionsverfahren
ist die Stetigkeit der Funktion f , die sie als Polynom dritten Grades erfüllt. Außerdem muss die Funktion f an den Grenzen des Startintervalls
unterschiedliche Vorzeichen haben.
Als Abbruchkriterium wird |xk+1 − xk | < ε = 0.001 benutzt, da i. Allg.
die Angabe der Oberwasserhöhe mit einer Genauigkeit im cm-Bereich
genügt.
Abbruchkriterium
Ist die Oberwasserhöhe ho ermittelt, so berechnet man die mindestens
benötigte Länge L des Streichwehres aus Gleichung (2.40) wie folgt:
L =
3(Qo − Qu )
√
,
2 2g µ h3/2
h=
ho + hu
h1 + h2
=
− w.
2
2
(2.48)
y
2
In den Berechnungsbeispielen wurden folgende Eingangsgrößen gewählt:
Breite des Gerinnequerschnitts
Höhe des Wehres
Unterwasserhöhe
Überfallbeiwert
b = 4 [m],
w = 2 [m],
hu = 2.5 [m],
µ = 0.65.
1. Vorgegeben wird
Zufluss
Abfluss
max
Qo
√
0.75 b g
8
>2/3
,w
h0
+1
1
2
+2
Bild 2.18 Funktion f und
Intervallgrenzen, erstes
Berechnungsbeispiel
Qo = 16 [m3 /s],
Qu = 6 [m3 /s].
Die Intervallgrenzen für ho sind mit (2.46) und (2.47)
7=
f
4
Berechnungsergebnisse
≈ max(1.425, 2) = 2 [m]
x
74
2 Nichtlineare Gleichungen und Gleichungssysteme
und hu = 2.5 [m]. Die Funktionswerte von f haben dort unterschiedliche Vorzeichen:
f (2) ≈ −1.2579,
f (2.5) ≈ 0.7008.
Der Funktionsgraph (siehe Bild 2.18) zeigt die Intervallgrenzen und
das Vorhandensein einer Nullstelle in diesem Intervall.
Das Bisektionsverfahren ergibt nach k = 9 Iterationsschritten die
Oberwasserhöhe ho ≈ 2.3740 [m]. Daraus berechnet sich die erforderliche Länge des Streichwehres aus Gleichung (2.48) zu L ≈ 18.03
[m].
2. Vorgegeben wird
Zufluss
Abfluss
y
Qo = 27 [m3 /s],
Qu = 13 [m3 /s].
Die Intervallgrenzen für ho sind mit (2.46) und (2.47)
7=
1.5
max
Qo
√
0.75 b g
8
>2/3
,w
≈ max(2.021, 2) = 2.021 [m]
f
1.0
und hu = 2.5 [m]. Die Funktionswerte von f haben dort gleiche
Vorzeichen:
0.5
h0
1.9 2.0 2.1 2.2 2.3 2.4
Bild 2.19 Funktion f und
Intervallgrenzen, zweites
Berechnungsbeispiel
x
f (2.021) ≈ 0.0143,
f (2.5) ≈ 1.7838.
Deswegen hat die Funktion f möglicherweise keine Nullstelle im angegeben Intervall. Der Funktionsgraph (siehe Bild 2.19) zeigt die
Intervallgrenzen und f (x) > 0 in diesem Intervall.
Damit kann keine Oberwasserhöhe ho gefunden werden, sodass der
Abfluss Q = Qo − Qu = 14 [m3 /s] abgeführt wird und gleichzeitig
strömendes Abflussverhalten gewährleistet ist. In diesem Fall ist die
Gerinnebreite b oder die Höhe h des Wehres zu verändern.
Die Bestimmungsgleichung (2.44) hat die Lösung ho ≈ 2.013 [m],
die aber nicht im angegeben Intervall liegt und damit auch nicht die
Bedingung (2.45) erfüllt.
2.5
Fallstudie: Berechnung des internen
Zinsfußes
Praktische Aufgabe
Bei der aus der Investitionsrechnung bekannten Methode des internen Zinsfußes (siehe [20]) geht es um die Bewertung von Investitionen (z. B. für eine Immobilie), die im Laufe eines Betrachtungszeitraumes getätigt werden. Alle im Zusamenhang mit der Investition stehenden Einnahmen und Ausgaben sind zu berücksichtigen. Dabei können
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