Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung

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RECHT + POLITIK
recht + politik
20. JUNI 2016
u n a b h ä ng ig e s Fo r um f ür g ut e R e c ht s p o li t ik
Thema in dieser Ausgabe
„Straftaten dürfen sich nicht lohnen.“ Diese Kernaussage des Rechtsinstituts der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung verfügt zweifellos über intuitive Eingängigkeit. Dass die Vermögensabschöpfung in der
Rechtsanwendungspraxis dennoch nur selten in einem förmlichen Verfahren durchgeführt wird, hat einen
wesentlichen Grund in der großen Komplexität und Unübersichtlichkeit der Rechtsmaterie. Dem möchte
ein Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz nun begegnen. Der
genaue Blick auf die Reformvorschläge offenbart allerdings, dass diese, statt die erwünschte größere Praxistauglichkeit des Instruments herzustellen die Funktionsfähigkeit der Strafjustiz substanziell beeinträchtigen könnten. Aus Sicht der Strafjustizpraxis dürfen Wahrheitserforschung, Schuldfeststellung und
Strafzumessung als Kernaufgaben des Strafprozesses nicht zugunsten vermögensrechtlicher Nebenentscheidungen vernachlässigt werden.
REFORM DER STRAFRECHTLICHEN VERMÖGENSABSCHÖPFUNG
Mit dem Gesetzentwurf
soll das Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung umfassend novelliert werden. Die jeweiligen Regelungsbereiche im
StGB (materielle Anordnungsvoraussetzungen für
Einziehung und Verfall: §§
73 ff.) und in der StPO
(Maßnahmen der vorläufigen Sicherung: §§ 111b ff.;
prozessuale Regelungen für
die Anordnung von Einziehung und Verfall im subjektiven bzw. objektiven Verfahren: §§ 430 ff.; vollstreckungsrechtliche Vorschriften: §§ 459g, 459h i. V. m.
§§ 459 ff.) werden teilweise
neu strukturiert. Das
„äußerst komplexe und
unübersichtliche Regelwerk“ (S. 1) soll
„systematisiert, gestrafft
und vereinfacht“ (S. 53)
und dadurch leichter verständlich und einfacher
handhabbar werden.
Sprachlich wird der Begriff
„Verfall“ durch den der
„Einziehung von Taterträgen“ ersetzt. Bislang bestehende Regelungslücken
sollen konsequent geschlossen werden. In die-
sem Sinne wird die bislang
auf bestimmte Taten der
Organisierten Kriminalität
begrenzte erweiterte Einziehung von Taterträgen
auf jedwede Anlasstaten
ausgedehnt (§ 73a Abs. 1
StGB-E), der Kreis der
Drittbegünstigten vergrößert (§ 73b StGB-E), die
Möglichkeit der nachträglichen Vermögensabschöpfung eröffnet (§ 75 Abs. 1, §
76a Abs. 1 StGB-E) und der
Anwendungsbereich der
selbständigen Anordnung
erweitert (§ 76a StGB-E).
Das bisher bestehende
Konzept der Rückgewinnungshilfe mit einem staatlichen Auffangrechtserwerb
wird durch ein vollstreckungsrechtliches Opferentschädigungssystem ersetzt (§§ 459g ff. StPO-E).
Danach sollen Opfer von
Straftaten Ersatz für die
ihnen entstandenen Schäden unmittelbar von der
Staatsanwaltschaft aus den
beim Täter, Teilnehmer
oder bei Dritten sichergestellten Vermögenswerten
erlangen. Eine langwierige
zivilprozessuale Durchsetzung von Opferansprüchen
soll dadurch hinfällig werden. Insgesamt sollen sich
neben der besseren Wahrnehmung von Opferinteressen durch die Stärkung
der Vermögensabschöpfung
auch positive Auswirkungen auf den staatlichen
Haushalt ergeben (S. 3 f.,
64).
Der Gesetzentwurf begegnet in mehreren Punkten
teils massiven Bedenken:
Gesetzliche
Verankerung der formlosen Einziehung
In der gerichtlichen Praxis
stellt die formlose Einziehung von Tatmitteln und
Taterträgen im Rahmen
der Hauptverhandlung die
mit Abstand bedeutendste
Form der Vermögensabschöpfung dar. Erfahrungsgemäß kommt es bislang in
höchstens einem von zehn
Fällen zu einer förmlichen
Einziehungsanordnung; in
allen anderen Fällen erfolgt
die Einziehung formlos mit
Zustimmung des/der Betroffenen. Lediglich im Bereich der Wirtschaftsstraftaten liegt die Quote förmlicher Einziehungsanord-
„Dürften Straftäter deliktisch erlangte
Vermögenswerte dauerhaft behalten,
würde nicht nur das Vertrauen der
Bevölkerung in die Gerechtigkeit und
die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung nachhaltig Schaden nehmen. Eine
Duldung strafrechtswidriger Vermögenslagen durch den Staat würde zudem
einen Anreiz zur Begehung gewinnorientierter Straftaten setzen und zugleich
die Reinvestition von Verbrechensgewinnen in kriminelle Unternehmungen
befördern.“
Gesetzentwurf, S. 49
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REFORM DER STRAFRECHTLICHEN VERMÖGENSABSCHÖPFUNG
„Der Grundsatz ‚Keine
Strafe ohne Schuld‘ (nulla
poena sine culpa) ist in der
Garantie der Würde und
Eigenverantwortlichkeit des
Menschen (Art.1 Abs.1
GG und Art.2 Abs.1 GG)
sowie im Rechtsstaatsprinzip
verankert. Er gebietet, dass
Strafen oder strafähnliche
Sanktionen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere
der Tat und zum Verschulden des Täters stehen. Straftatbestand und Strafrechtsfolge müssen sachgerecht
aufeinander abgestimmt sein.
Insoweit deckt sich der
Schuldgrundsatz in seinen
die Strafe begrenzenden
Auswirkungen mit dem
Verfassungsgrundsatz des
Übermaßverbots. Er schließt
die strafende oder strafähnliche Ahndung einer Tat ohne
Schuld des Täters aus (…).
Strafe ist die Auferlegung
eines Rechtsnachteils wegen
einer schuldhaft begangenen
rechtswidrigen Tat. Sie ist –
neben ihrer Aufgabe abzuschrecken und zu resozialisieren – eine angemessene
Antwort auf strafrechtlich
verbotenes Verhalten (…).
Mit der Strafe wird ein
rechtswidriges sozialethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel soll den
schuldhaften Normverstoß
ausgleichen; es ist Ausdruck
vergeltender Gerechtigkeit
(…).
Dem Schuldgrundsatz unterliegen auch Sanktionen,
die wie eine Strafe wirken
(vgl. BVerfGE 22, 125
[131]; 27, 36 [40ff.]; 35,
nungen mit bis zu 40 %
deutlich höher. Ohne Zweifel stellt die formlose Einziehung – auch mit Blick auf
den zeitlichen und personellen Aufwand eines förmlichen Verfahrens – die praktikabelste, schnellste und im
Sinne des Präventions- und
Ausgleichscharakters der
Einziehung wünschenswerteste Vorgehensweise dar.
Dass der Gesetzentwurf
daran etwas ändern wollte,
ist nicht ersichtlich. Die große praktische Relevanz der
formlosen Einziehung sollte
daher im Gesetzestext einen
Niederschlag finden. Andernfalls könnte der – falsche – Eindruck entstehen,
der Gesetzgeber habe bei
der Gesamtnovellierung der
Vermögensabschöpfung bewusst auf eine Kodifizierung
der formlosen Einziehung
verzichtet, weil er diese
Verfahrensweise nicht befürworte. Gesetzestechnisch
ließe sich eine entsprechende Klarstellung am einfachsten dadurch erreichen, dass
an § 73 StGB-E folgender
Absatz 4 angefügt wird:
(4) Einer Anordnung der Einziehung bedarf es nicht, soweit
der Täter oder Teilnehmer sich
mit der formlosen Einziehung
einverstanden erklärt.
In allen weiteren Einziehungsvorschriften könnte
dann auf § 73 Abs. 4 StGB-E
verwiesen werden. Alternativ könnte an jedes Anordnungsgebot der Halbsatz
„,soweit sich der Täter oder
Teilnehmer nicht mit der formlosen Einziehung einverstanden
erklärt“ angefügt werden.
Erweiterung des Anwendungsbereichs des erweiterten Verfalls
Nach dem geltenden § 73d
StGB hat das Tatgericht –
über die angeklagte Tat und
die dadurch erlangten Vermögenspositionen hinausgehend – den Verfall von weiteren Vermögensgegenständen des Täters oder Teilnehmers anzuordnen, „wenn
Umstände die Annahme
rechtfertigen, dass diese
Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen
erlangt worden sind.“ Dieser sog. erweiterte Verfall,
der die Einziehung umfangreicher Vermögenspositionen des Betroffenen erlaubt,
ohne dass diese mit der
angeklagten Tat in einem
unmittelbaren Zusammenhang stehen müssen, hat
nach der Rechtsprechung
des BGH und des BVerfG
keinen Strafcharakter, sondern dient dem Ausgleich
unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen und hat danach eine „vermögensordnende und normstabilisierende“ Funktion. Als
Maßnahme mit „präventivem
Charakter“ verletze die Anordnung nicht das Schuldprinzip oder die Unschuldsvermutung. Im Wege einer
gebotenen verfassungskonformen Auslegung lässt der
BGH allerdings nicht ausreichen, „dass die Herkunft des
Verfallsgegenstands mit den
Erkenntnismöglichkeiten des
Gerichts nicht feststellbar
ist“ (BT-Drs. 11/6623, S. 8),
sondern verlangt nach erschöpfender Beweiserhebung und Beweiswürdigung
die uneingeschränkte Überzeugung des Tatgerichts von
der – wie auch immer gearteten – deliktischen Herkunft des Gegenstands
(BGHSt 40, 371 ff.; BVerfGE 110, 1, 13 ff.). Im
rechtswissenschaftlichen
Schrifttum wird diese Beweiserleichterung, die eine
Zuordnung des Gegenstands zu einem konkreten
Delikt nicht erfordert, sondern eine „mittelbare“
Beweisführung ausreichen
lässt, scharf kritisiert (vgl.
Fischer, StGB, 63. Aufl.
2016, § 73d Rn. 6 f. m. w.
N.). Der Gesetzgeber war
bei Einführung des erweiterten Verfalls der Auffassung, dass es sich bei diesem Institut „um eine besonders schwerwiegende
Eingriffsbefugnis handelt“
und es deshalb „für seine
Anwendung in einem bestimmten Kriminalitätsbereich jeweils einer besonderen Rechtfertigung“ bedürfe (BT-Drucks. 11/6623,
S. 6). Vor diesem Hintergrund ist der Anwendungsbereich des erweiterten
Verfalls bislang auf bestimmte Anlasstaten der
Organisierten Kriminalität
beschränkt, in deren Bereich es erfahrungsgemäß
zu wiederholten und gewerbsmäßigen Tatbegehungen kommt, die aber nur
teilweise aufgeklärt und
verfolgt werden können, so
dass mit dem Vorhandensein von aus gleichartigen
Taten herrührenden Erträgen zu rechnen ist.
Durch die Streichung der
bislang in § 73d StGB vorgesehenen Beschränkung
auf Anlasstaten, die ausdrücklich auf diese Vorschrift verweisen und dem
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Bereich der Organisierten
Kriminalität zuzuordnen
sind, wird der Anwendungsbereich des erweiterten
Verfalls im neuen § 73a Abs.
1 StGB-E auf jedwede Anlasstaten erstreckt (S. 61, 67
ff.). Die Begründung hierfür,
es könne das „Vertrauen
der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung (…) Schaden nehmen,
wenn Straftäter deliktisch
erlangte Vermögenswerte
dauerhaft behalten dürfen“ (S. 70), leuchtet zwar
auf den ersten Blick ein. Sie
steht aber auch in einem
Spannungsverhältnis zum
Vertrauen der Bevölkerung
in den Bestand der Eigentumsordnung, in den Erhalt
von Rechtsfrieden und die
Verhältnismäßigkeit der
Sanktionierung von Fehlverhalten. Da durch die Anordnung des erweiterten Verfalls noch lange Zeit nach
der Begehung einer Tat vermeintlich sichere Vermögenspositionen entzogen
werden können und für deren deliktische Herkunft
eine mittelbare Beweisführung ausreicht, begründet
diese Maßnahme einen
schweren Eingriff in Art. 14
GG. Der die bisherige Beschränkung auf Delikte der
Organisierten Kriminalität
tragende Gedanke der wiederholten und gewerbsmäßigen Tatbegehung lässt sich
auf andere Deliktsbereiche
nicht pauschal übertragen.
Mit dem Wegfall der Begrenzung können sich in
Zukunft auch aus Bagatelldelikten als Anlasstaten massive vermögensrechtliche
Konsequenzen für den Täter
oder Teilnehmer ergeben,
die in ihrer Belastung weit
über die der strafrechtlichen
Sanktion hinausreichen.
Durch die zusätzliche Ausweitung des Kreises der
Drittbegünstigen, u. a. auf
Erben und Pflichtteilsberechtigte (§ 73b Abs. 1 Nr. 3
StGB-E), werden weitere, an
der Anlasstat gänzlich unbeteiligte Personen dieser Belastung ausgesetzt. Dadurch
entfaltet die erweiterte Einziehung eine ungleich größere Breitenwirkung als nach
geltender Rechtslage und
kann zu einer Inkriminierung
umfangreicher Vermögenspositionen auch „unbescholtener Bürger“ führen, zumal
für eine vorläufige Beschlagnahme nach §§ 111b ff. StPO
die bloße Annahme ausreicht, dass das Tatgericht
später eine Überzeugung
von der deliktischen Herkunft der Gegenstände oder
Forderungen gewinnen wird.
Diese mit der beabsichtigten
Neuregelung einhergehenden weitreichenden, für
Betroffene geradezu unabsehbaren Konsequenzen
dürften vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Einschätzung der bisherigen Rechtslage durch
den Gesetzgeber und des
BVerfG nicht mehr den Anforderungen an eine verhältnismäßige Schrankenregelung i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S.
2 GG genügen.
Ausweitung des Kreises
der Drittbegünstigten
Gemäß § 73 Abs. 3 StGB ist
nach geltendem Recht der
Verfall auch anzuordnen,
wenn der Täter oder Teilnehmer für einen anderen
gehandelt und dieser
dadurch etwas erlangt hat.
Die höchstrichterliche
Rechtsprechung fasst darunter nicht nur Fälle der echten Stellvertretung, sondern
alle Fälle, in denen der Täter
oder Teilnehmer faktisch für
den anderen und in dessen
Interesse handelt, sowie
Fälle, in denen der Täter
oder Teilnehmer primär im
eigenen Interesse einem
Dritten Tatvorteile unentgeltlich oder aufgrund eines
bemäkelten Rechtsgeschäfts
zuwendet, um sie dem Zugriff des Geschädigten zu
entziehen oder die Tat zu
verschleiern (vgl. Fischer, a.
a .O., § 73 Rn 30, 35). Der
Entwurf nimmt in Anspruch,
mit § 73b StGB-E lediglich
die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen des
Handelns für einen anderen
klarstellend gesetzlich zu
regeln (S. 59 f., 71 f.).
Diese Auffassung kann nicht
geteilt werden. Zum einen
ist die Auslegung des § 73
Abs. 3 StGB durch den BGH
seitens des rechtswissenschaftlichen Schrifttums
massiver Kritik ausgesetzt
und wird mit dem Entwurf
eine denkbar weite Auslegung des § 73 Abs. 3 StGB
gesetzlich perpetuiert. Zum
anderen geht § 73b Abs. 1
Nr. 2 lit. b) StGB-E offenbar
über die Auslegung des BGH
hinaus, indem eine Einziehungs- oder Verschleierungsabsicht des Zuwendenden nicht erforderlich ist.
Außerdem regelt der Entwurf in § 73b Abs. 1 Nr. 3
StGB-E gänzlich neu den
Zugriff auf Vermögen, das
vom Täter oder Teilnehmer
auf einen Erben oder Pflichtteilsberechtigten übergegan-
311 [320]; 74, 358
[375f.]). Strafähnlich ist
eine Maßnahme freilich nicht
schon dann, wenn sie mit
einer Einbuße an Freiheit
oder Vermögen verbunden
ist und damit faktisch die
Wirkung eines Übels entfaltet. Bei der Beurteilung des
pönalen Charakters einer
Rechtsfolge sind vielmehr
weitere, wertende, Kriterien
heranzuziehen, insbesondere
der Rechtsgrund der Anordnung und der vom Gesetzgeber mit ihr verfolgte Zweck
(…).
Das Rechtsinstitut des erweiterten Verfalls gerät mit dem
Schuldgrundsatz nicht in
Konflikt, weil es keinen
strafenden oder strafähnlichen Charakter hat. Eine
an Wortlaut, Systematik
und Entstehungsgeschichte
des § 73d StGB orientierte
Auslegung ergibt, dass die in
der Vorschrift angeordnete
Entziehung deliktisch erlangter Vermögensvorteile
nicht bezweckt, dem Betroffenen die Begehung der
Herkunftstat als Fehlverhalten vorzuwerfen und ihm
deswegen vergeltend ein Übel
zuzufügen. Vielmehr verfolgt
die Regelung des § 73d
StGB vermögensordnende
und normstabilisierende
Ziele.“
BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 14.
Januar 2004 – 2 BvR
564/95 = BVerfGE
110, 1, 13 f.
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gen ist. Gerade letzteres
führt zu Eingriffen in Vermögenspositionen gutgläubiger
Dritter und begründet eine
nicht unerhebliche Gefahr
für die Rechtssicherheit.
Ermöglichung der nachträglichen Vermögensabschöpfung
Die nach geltender Rechtslage nicht vorgesehene nachträgliche Vermögensabschöpfung auch nach Abschluss des die Anlasstat
betreffenden Strafverfahrens
wird durch den Entwurf auf
zweierlei Weise ermöglicht:
In § 76a Abs. 1 StGB-E hebt
der Entwurf die Beschränkung der selbständigen Anordnung auf Fälle, in denen
tatsächliche Gründe einer
Verurteilung entgegenstehen, auf. Damit kann in Zukunft auch bei entgegenstehenden rechtlichen Gründen
eine selbständige Anordnung
ergehen. In den Fällen des
Strafklageverbrauchs (d. h.
eine Verurteilung wegen der
Tat ist bereits erfolgt, ohne
dass eine Vermögensabschöpfung angeordnet wurde) wird hierdurch eine
nachträgliche Vermögensabschöpfung ermöglicht (S. 61,
78). Eine durch das Tatgericht versehentlich oder
absichtlich unterlassene Vermögensabschöpfung kann
damit im selbständigen Verfahren nachgeholt werden
(S. 61). Zweitens soll die
Neufassung der Härteklausel
in § 75 Abs. 1 StGB-E, der
zufolge nur noch die Entreicherung des gutgläubigen
Betroffenen der Einziehungsanordnung entgegensteht, es
erlauben, Vermögenswerte
des Täters oder Teilnehmers, die bis zum Urteil
unentdeckt geblieben sind,
nachträglich im Strafvollstreckungsverfahren abzuschöpfen (S. 61).
In rechtspolitischer Hinsicht
problematisch erscheint,
dass die (zeitlich unbegrenzte) nachträgliche Vollstreckung einer zum Zeitpunkt
der Vermögenslosigkeit ergangenen Einziehungsanordnung und die nachträgliche
selbständige Anordnung der
Einziehung nach Strafklageverbrauch bis zum Eintritt
der Verfolgungsverjährung
die Resozialisierung des
Straftäters konterkarieren.
Während diesem zivilrechtlich die Möglichkeit der Privatinsolvenz eröffnet wird,
um nach einer Wohlverhaltensphase wirtschaftlich
wieder auf eigenen Füßen
stehen zu können, holt ihn
die durch die Einziehungsanordnung begründete Schuld
immer wieder ein. Das ver-
fassungsrechtlich verankerte Resozialisierungsgebot
(vgl. BVerfGE 34, 369, 382
f.; 35, 202, 235 f.; 89, 315,
322 ff.; 96, 100, 115 f.; 98,
169, 201 ff.) wird dadurch
geschwächt. Die vollstreckungsrechtliche Regelung
des § 459g Abs. 4 StPO-E,
die ein Unterbleiben der
träglichen Vermögensabschöpfung knüpft notwendig
an eine konkrete Anlasstat
an. Diese bildet die Voraussetzung der Anordnung, ist
ihre Legitimationsgrundlage
und entfaltet zugleich limitierende Wirkung. Hat der
Betroffene seine Strafe verbüßt, so ist der durch die
Vollstreckung erlaubt,
wenn diese die Wiedereingliederung des Verurteilten
erschweren würde oder
sonst unverhältnismäßig
wäre, gleicht diese Schwächung nur teilweise aus.
Anlasstat gesetzte Sachverhalt abgeschlossen und kann
allenfalls unter den engen
Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens
zuungunsten des Angeklagten (§ 362 StPO) nochmals
Gegenstand einer erneuten
Anknüpfung von Rechtsfolgen sein. Die verfassungsgerichtliche Würdigung, beim
Verfall handele es sich nicht
um eine sanktionsähnliche
Maßnahme, der Schuldgrundsatz und das Doppelbestrafungsverbot seien
folglich nicht berührt
(BVerfGE 110, 1, 13 ff.),
dürfte sich danach auf Fälle
Durch die nachträgliche
selbständige Anordnung
nach Strafklageverbrauch
wird außerdem der durch
die Strafverbüßung geschaffene Rechtsfrieden gestört
und das aus Art. 2 Abs. 1 i.
V. m. Art. 20 Abs. 3 GG
abgeleitete allgemeine
Rückwirkungsverbot verletzt. Das Institut der nach-
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der nachträglichen Anordnung nicht ohne weiteres
übertragen lassen, zumal die
Gesichtspunkte der Sicherstellung von Taterträgen und
Tatobjekten sowie der Opferentschädigung auch als
Strafzumessungsgrund eine
wichtige Rolle spielen.
Selbständige Einziehung
von Vermögen „unklarer
Herkunft“
Mit der Schaffung der Möglichkeit zur selbständigen
Einziehung von Vermögen
„unklarer Herkunft“ in § 76a
Abs. 4 StGB-E sollen erhebliche Abschöpfungslücken
geschlossen werden (S. 52).
Der Entwurf hat z. B. bei
Flughafen- oder Verkehrskontrollen sichergestellte
Bargeldbeträge im Blick, „die
allem Anschein nach aus
Straftaten der Organisierten
Kriminalität herrühren.“
Könne eine konkrete Straftat nicht nachgewiesen werden, müsse das Geld nach
geltender Rechtslage zurückgegeben werden, und zwar
selbst dann, „wenn aufgrund
der Gesamtumstände kein
vernünftiger Zweifel daran
besteht, dass das Geld aus
(irgend-)einer Straftat herrührt“ (S. 52, 62, 78). Vor
diesem Hintergrund erlaubt
§ 76a Abs. 4 StGB-E die
selbständige Einziehung,
wenn das Gericht „aufgrund
der Gesamtumstände“ die
Überzeugung gewinnt, dass
der Gegenstand aus einer
der enumerativ aufgelisteten
Straftaten aus dem Bereich
der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus
herrührt. Prozessual abgesichert wird die Regelung
durch § 437 StPO-E. Danach
kann das Gericht seine
Überzeugung „insbesondere
auf ein grobes Missverhältnis
zwischen dem Wert des
Gegenstandes und den
rechtmäßigen Einkünften des
Betroffenen stützen“ und
soll bei seiner Entscheidung
insbesondere auch das Ermittlungsergebnis der Anlasstat, die Auffinde- und
Sicherstellungssituation und
die sonstigen persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigen. Die selbständige Einziehung von Vermögen „unklarer Herkunft“
integriert damit die Möglichkeiten des erweiterten Verfalls (§ 73d StGB, § 73a StGB
-E) in das selbständige Verfahren.
Mit dieser Einbettung in das
selbständige Verfahren geht
die Möglichkeit der selbständigen Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft
nochmals deutlich über die
Eingriffsintensität des erweiterten Verfalls hinaus. Wegen der Selbständigkeit des
Einziehungsverfahrens nach §
76a Abs. 4 StGB-E bedarf es
hier – anders als bei § 73d
StGB bzw. § 73a Abs. 1
StGB-E – der Durchführung
eines Verfahrens wegen der
Anlasstat, aus dem das Gericht Erkenntnisse zur Herkunft des einzuziehenden
Gegenstands gewinnen
könnte, nicht. Die Anforderungen an die Beweisführung
werden im selbständigen
Verfahren gegenüber dem
Normalfall der erweiterten
Einziehung also nochmals
abgesenkt. Das für die Verfolgung der Anlasstat maßgebliche komplexe Ineinandergreifen verschiedener
prozessualer Schritte
(Anfangsverdacht, Ermitt-
lungsverfahren, Anklage mit
Tatumgrenzung, vorläufige
gerichtliche Überprüfung im
Zwischenverfahren, Beweiserhebung in der Hauptverhandlung, rationaler Diskurs
der Verfahrensbeteiligten),
die auf die Erforschung der
materiellen Wahrheit zielen
und in der gerichtlichen
Überzeugungsbildung ihren
Abschluss finden, ist im Verfahren der selbständigen
Anordnung nicht vorgesehen.
Aufgrund welcher „Gesamtumstände“ (§ 76a Abs. 4 S. 1
StGB-E) das Gericht überhaupt zu einer entsprechenden Überzeugung soll gelangen können, ist fraglich. Die
Tatsachenbasis für eine derartige Überzeugung dürfte in
aller Regel sehr dünn sein,
wenn sie noch nicht einmal
hinreicht, ein Verfahren wegen der Anlasstat durchzuführen. Wie eine Überzeugung von der deliktischen
Herkunft mit der für eine
Verurteilung erforderlichen
Qualität („ohne vernünftige
Zweifel“) auf der Grundlage
der Feststellung eines Missverhältnisses zwischen dem
Wert des Gegenstands und
den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen sowie
von Erkenntnissen zu dessen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und der
Auffindesituation gebildet
werden soll, wenn das Ergebnis der Ermittlungen zur
Anlasstat (§ 437 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 StPO-E) eine Verurteilung gerade nicht rechtfertigt, bleibt dunkel. Jede nicht
fern liegende Möglichkeit
der legalen Erlangung des
Gegenstands würde solche
Zweifel begründen. Das die
„Angesichts des besorgniserregenden Ausmaßes des
illegalen Betäubungsmittelhandels und der zunehmenden Ausbreitung von organisierter Kriminalität wird
dem kriminalpolitischen
Instrument der Abschöpfung
der Gewinne aus Straftaten
national wie international
vermehrte Bedeutung beigemessen. Dem liegen nicht
nur generalpräventive Erwägungen zugrunde, sondern
auch die Erkenntnis, daß
kriminelle Organisationen
die Gewinne aus Straftaten
in die eigene Organisation
und damit in neue Straftaten
reinvestieren. Aus dieser
Sicht gewinnt das Ziel einer
effektiven Abschöpfung krimineller Gewinne eine neue
Dimension, die über die
bloße strafrechtliche Tatprävention hinausreicht. (…) §
73 d Abs. 1 StGBEntwurf ist als Blankettnorm ausgestaltet und soll in
den Allgemeinen Teil des
Strafgesetzbuches eingestellt
werden. Da es sich bei dem
neuen Institut des Erweiterten Verfalls um eine besonders schwerwiegende Eingriffsbefugnis handelt, bedarf
es für seine Anwendung in
einem bestimmten Kriminalitätsbereich jeweils einer besonderen Rechtfertigung.
Aus heutiger Sicht er-scheint
die Einführung des Erweiterten Verfalls nur für den
Bereich der Betäubungsmittelkriminalität angemessen.“
Bundestags-Drucksache
11/6623 vom 9. März
1990, S. 4, 6.
Seite 6
RECHT + POLITIK
REFORM DER STRAFRECHTLICHEN VERMÖGENSABSCHÖPFUNG
Einziehung anordnende Gericht müsste in einem aufwändigen selbständigen Verfahren die deliktische Herkunft des Gegenstands klären, was ihm „mittelbar“ (wie beim erweiterten
Verfall) wegen der defizitären Beweislage im Anlassverfahren aber kaum möglich ist. Unter dem Erledigungsdruck in der Praxis
besteht vor diesem Hintergrund die große Gefahr, dass
bloße Mutmaßungen und
kriminalistische Erfahrungswerte als Grundlage der
gerichtlichen Überzeugung
als ausreichend angesehen
werden.
allerdings nur für die Einziehung von Taterträgen vorgesehen, nicht für die Einziehung von Tatprodukten,
Tatobjekten und Tatmitteln
sowie bei der Sicherungseinziehung. Auch in diesen Fällen sollte zur Entlastung der
Hauptverhandlung die Möglichkeit der Abtrennung
eröffnet werden.
Nach § 422 StPO-E kann das
Gericht das Einziehungsverfahren allerdings nur mit
Zustimmung der Staatsan-
waltlichen Zustimmung
schränkt diese Ermessensfreiheit in nicht hinzunehmender Weise ein. Der
Entwurf verhält sich zu dieser Problematik nicht.
Rechte der Einziehungsbeteiligten
Schon nach bisheriger
Rechtslage sind von Einziehungen betroffene Dritte am
Strafverfahren zu beteiligen
und stehen ihnen weitreichende Rechte zu, u. a. auch
das Recht, Beweisanträge
Abtrennung der Einziehung
Der Gesetzentwurf erweitert insgesamt die Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung beträchtlich und
schränkt andererseits das
Ermessen des Gerichts, von
solchen Maßnahmen abzusehen, massiv ein. Die Einziehung von Taterträgen soll
nach dem klaren Anliegen
des Entwurfs in Zukunft den
verpflichtend anzuordnenden Regelfall darstellen.
Dadurch wird in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
die Durchführung des Strafverfahrens zusätzlich belastet. Um in Fällen, in denen
die Einziehung das Verfahren
„unangemessen erschweren
oder verzögern“ würde,
eine Entlastung zu schaffen,
sehen § 422 StPO-E die
Möglichkeit der Abtrennung
des Einziehungsverfahrens
von der Hauptsache und §
423 StPO-E die nachfolgende Entscheidung durch Beschluss vor. Eine derartige
Abtrennungsmöglichkeit ist
Im Bereich der Organisierten Kriminalität bewegt sich die
Summe der vorläufig gesicherten Vermögenswerte seit Jahren auf bescheidenem Niveau (Quelle: BKA, Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2014, S. 11). Aktuelle statistische Werte für die Gesamtsummen der Vermögensabschöpfung in Deutschland sind nicht verfügbar.
waltschaft abtrennen. Diese
Einschränkung ist aus gerichtlicher Sicht inakzeptabel. Grundsätzlich ist eine
Abtrennung von Verfahrensteilen aus Gründen der
Zweckmäßigkeit jederzeit
möglich (vgl. § 2 Abs. 2, §
237 StPO). Die Kompetenz
hierzu liegt nach Anklageerhebung beim in der Sache
zuständigen Gericht, das
darüber in Ausübung seiner
Befugnis zur Prozessleitung
und -gestaltung nach freiem
Ermessen entscheidet. Das
Erfordernis einer staatsan-
oder Befangenheitsanträge
zu stellen (vgl. §§ 431 ff.
StPO). In der Rechtsanwendungspraxis spielen diese
Beteiligungsrechte wegen
der geringen Anzahl von
Einziehungsanordnungen
gegen Drittbegünstigte bislang nur in Wirtschaftsstrafsachen wegen der dortigen
Betroffenheit juristischer
Personen eine signifikante
Rolle. Mit der deutlichen
Ausweitung von Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung bei Drittbegünstigten (§
73b StGB-E), der Einschränkung des Absehens hiervon
und der Ausdehnung der
Beteiligungsrechte auf sog.
Nebenbetroffene (§ 438
StPO-E) ist davon auszugehen, dass in Zukunft die Zahl
der Betroffenen, die am
Strafverfahren zu beteiligen
sind, erheblich ansteigen
wird. In der Folge ist mit
einer massiven Belastung von
Strafverfahren durch die
Einbindung von u. U. zahlreichen Dritten zu rechnen.
Unangetastet bleibt vom
Entwurf hingegen die schon
im geltenden Recht vorgesehene Anlehnung der Beteiligungsrechte der Einziehungsbeteiligten an denen des
Angeklagten. Diese Anlehnung ist methodisch verfehlt,
denn die prozessualen Rechte des Angeklagten gründen
überwiegend in der besonderen verfassungsrechtlichen
Absicherung seiner Position
(Stichworte: Menschenwürde, Unschuldsvermutung,
Selbstbela stungsfreihei t,
Recht auf effektive Verteidigung, Schuldgrundsatz).
Demgegenüber ist der Einziehungsbeteiligte (nur) in
seinem Eigentumsrecht berührt. Im Wege einer Gesamtnovellierung sollten vor
diesem Hintergrund die
Rechte des Einziehungsbeteiligten deutlich restriktiver als
die des Angeklagten ausgestaltet werden. Damit würden die mit der Ausweitung
des Kreises der Drittbegünstigten für das Strafverfahren
einhergehenden Mehrbelastungen zumindest teilweise
abgemildert.
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RECHT + POLITIK
REFORM DER STRAFRECHTLICHEN VERMÖGENSABSCHÖPFUNG
Durchführung der Opferentschädigung
Nach der Konzeption des
Entwurfs soll die Opferentschädigung in Zukunft im
Wege der Vollstreckung von
Einziehungsanordnungen
unmittelbar durch die
Staatsanwaltschaft erfolgen.
Funktional zuständig ist hierfür der Rechtspfleger. Den
Opfern soll dadurch ein
aufwändiges Zivilverfahren
erspart werden.
Dieser Gleichlauf von Strafverfahren und Opferentschädigung ist im Grundsatz
zu begrüßen. Er ergänzt
schon im geltenden Strafverfahrensrecht bestehende
Möglichkeiten der Opferentschädigung (vgl. § 153a Abs.
1 S. 2 Nr. 1, § 153a Abs. 1 S.
2 Nr. 5, §§ 155a, 155b, §§
403 – 406c StPO). Viel zu
optimistisch dürfte aber die
Einschätzung des Gesetzentwurfs sein, hinsichtlich der
in Rede stehenden Anspruchshöhe stünden stets
verlässliche Erkenntnisquellen zur Verfügung, die Vollstreckungsbehörde sei
„mithin ohne weiteres in der
Lage, Anspruchsgrund und
Anspruchshöhe auf einer
hinreichend sicheren Tatsachengrundlage zu prüfen“ (S.
102). Gerade die Feststellung der exakten Schadenshöhe, ggf. unter Berücksichtigung etwaiger im Nachgang
zur Anzeigeerstattung bereits erhaltenen Versicherungsleistungen, ist häufig
nur mit erheblichem Aufwand möglich. Andererseits
sind solche Feststellungen
für die Schuld- und Straffrage oft nicht relevant, zumal,
wenn es um eine große Vielzahl von Geschädigten geht.
Die Erfahrung zeigt auch,
dass in den Ermittlungsakten
dokumentierte erste Schadensschätzungen von Geschädigten unter dem unmittelbaren Eindruck der Tat
häufig von späteren, auf
gründlicheren Nachforschungen, sachverständigen
Bewertungen oder Kostenvoranschlägen beruhenden
Schadensfeststellungen erheblich abweichen. Soweit
entsprechende Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung nicht protokolliert wer-
bereitet bereits die Anwendung des richtigen Schadensbegriffs erhebliche Schwierigkeiten. Müssten derlei auf
die Schadenshöhe bezogene
Fragen bereits im Strafverfahren geklärt werden, würde dieses in noch größerem
Maße „mit zivilrechtlichen
Fragen überfrachtet“ (S. 50),
was der Gesetzentwurf gerade verhindern möchte.
fachlichen Bedenken, diese
Aufgabe auf die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger
zu übertragen.
Bewertung des
lungsaufwands
Erfül-
Zurecht geht der Gesetzentwurf davon aus, dass durch
die Stärkung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
„die Zahl gerichtlicher Anordnungen der Einziehung
Dass eine belastbare Festvon Taterträgen beträchtlich
stellung der Schadenshöhe
steigen“ wird (S. 3, 63). Die
allein im Wege des VollstreVerlagerung der Opferentckungsverfahrens durch den
schädigung auf das VollstreMit der bereits ausgeführten Stärkung der strafrechtlichen Vermö- ckungsverfahren lässt zudem
gensabschöpfung und der beträchtlichen Steigerung der Zahl gericht- eine beträchtliche Mehrbelastung der Staatsanwaltlicher Anordnungen der Einziehung von Taterträgen und der
vorläufigen Sicherstellung von Vermögenswerten kann ein leicht
schaften erwarten, und zwar
erhöhter Personalbedarf einhergehen. Andererseits wird die Reform des – das ist zu ergänzen – nicht
gesetzlichen Regelungswerks die Abschöpfung deliktisch erlangter
nur der dortigen RechtspfleVermögenswerte erheblich erleichtern und vereinfachen, so dass mit gerinnen und Rechtspfleger,
erheblichen Mehreinnahmen zu rechnen ist. Der mit der Stärkung sondern auch der Staatsander Vermögensabschöpfung verbundene Mehraufwand für Gerichte, wältinnen und Staatsanwälte,
Staatsanwaltschaften und die Polizei wird deshalb ausgeglichen
soweit sie die Fachaufsicht
werden können. Darüber hinaus wird sich die Zunahme vermögens- ausüben (vgl. § 31 Abs. 2c
abschöpfender Maßnahmen positiv auf die öffentlichen Haushalte aus- RPflG). Dass der durch das
wirken.
strafvollstreckungsrechtliche
Modell der OpferentschädiGesetzentwurf, S. 3 f.
gung für den Rechtspflegerbereich generierte „gewisse
Rechtspfleger erfolgen und
den und keinen Eingang in
Mehraufwand“ durch die zu
mithin die Durchführung
die schriftlichen Urteilsgrünerwartenden erheblichen
eines differenzierten Zivilde finden, sind sie im VollMehreinnahmen wieder ausverfahrens ersetzen könne,
streckungsverfahren nicht
geglichen werde (S. 64), entdürfte vor diesem Hintererkennbar. Zu immateriellen
behrt jeder Grundlage. Wegrund nur auf sehr einfach
Schadenspositionen und
der fließen die generierten
gelagerte Fälle zutreffen.
mittelbaren Schäden (etwa
Mehreinnahmen unmittelbar
Trotz der zweifellos hervorVerdienstausfall) enthalten
dem Justizhaushalt zu, noch
ragenden Fähigkeiten vieler
die Strafakten in aller Regel
handelt es sich, soweit OpRechtspflegerinnen und
keinerlei bezifferte Angaben,
feransprüche bestehen, um
Rechtspfleger auf bestimmsondern allenfalls AnknüpMehreinnahmen des Staates.
ten Fachgebieten handelt es
fungstatsachen. Auch der bei
Dass das Strafverfahren von
sich bei der deliktischen
der Bestimmung der Scha„zeitraubenden zivilrechtliSchadensbestimmung um
denshöhe zu berücksichtichen Fragen“, mit denen es
eine Materie, die abwägende
gende Grad eines etwaigen
„überfrachtet“ sei, entlastet
juristische Würdigungen
Mitverschuldens des Opfers
werde und die Vermögensvoraussetzt und damit typioder andere gegenzurechabschöpfung dadurch
scher Weise eine richterlinende Positionen lassen sich
„erheblich vereinfacht und
che Tätigkeit darstellt. Es
nicht ohne weiteres beziferleichtert“ werde (S. 63),
begegnet daher jedenfalls
fern. Bei Betrugsdelikten
ist nicht erkennbar. Das Ge-
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RECHT + POLITIK
REFORM DER STRAFRECHTLICHEN VERMÖGENSABSCHÖPFUNG
genteil ist der Fall. Eine erfolgreiche und gerechte Opferentschädigung im Vollstreckungsweg setzt vielmehr die vorgängige eingehende Klärung zivilrechtlicher Positionen im Strafverfahren voraus. Gerade die
zu erwartende Zunahme
von Einziehungsbeteiligten
wird außerdem zu einer
starken zusätzlichen Belastung des Strafverfahrens
führen. Die Einschätzung des
Entwurfs, dass der mit der
Stärkung der Vermögensabschöpfung verbundene
Mehraufwand für Gerichte,
Staatsanwaltschaften und
Polizei mit dem vorhandenen Personal ausgeglichen
werden könne (S. 3, 64), ist
aus der Luft gegriffen.
Tatsächlich ist zu besorgen,
dass mit der zusätzlichen
Belastung durch aufwändige
Nebenentscheidungen die
Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege in ihrem Kernbereich Schaden erleidet.
Schon heute agieren die
Strafgerichte in Deutschland
angesichts knapper personeller Ressourcen an der
Grenze der Belastbarkeit.
Von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und der
Gesetzgebung, zunehmend
auch in Umsetzung internationaler Vorgaben, aufgestellte Anforderungen verkomplizieren in immer weiterem
Maße das Strafverfahren,
machen es anfälliger für Verfahrensfehler und binden
Kapazitäten der Gerichte. In
der Personalbedarfsentwicklung spiegelt sich diese zunehmende, rechtsstaatlichen
Anforderungen geschuldete
Belastung nicht. Der Strafrechtspraxis gelingt es, mit
diesen Herausforderungen
umzugehen, indem sie sich
auf den Kernbereich ihrer
Aufgabe konzentriert. Mit
der beabsichtigten Reform
des Rechts der Vermögensabschöpfung wird das in
erheblichem Maße erschwert. Der Gedanke der
Konzentration von Ressourcen auf Wesentliches würde
dagegen auch für diesen
Bereich tragen: Anstelle
einer möglichst breiten obligatorischen Durchsetzung
der Vermögensabschöpfung
sollte den Gerichten ein
breites Anordnungsermessen eingeräumt werden.
Dabei könnte einzelfallbezogen gewichtet werden, ob
der zu erwartende Ertrag in
einem angemessenen Verhältnis zu dem betriebenen
Aufwand steht und andere
Verfahrensziele unverhältnismäßig beeinträchtigt werden.
Generell verfolgt der Gesetzentwurf das Ziel, die
Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung bis an die
Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen auszureizen. Wichtige, das Strafverfahren leitende Prinzipien
wie der Resozialisierungsgedanke, das Beschleunigungsgebot und die Herstellung
von Rechtsfrieden werden
den fiskalischen Interessen
u n t e rg e o r dn e t . D i e s e
rechtspolitische Priorisierung kann aus Sicht der
Strafrechtsanwendung nicht
geteilt werden. Das Strafverfahren muss auch in Zukunft
in erster Linie der auf die
angeklagte Tat bezogenen
Wahrheitserforschung,
Schuldfeststellung und Ahndung verpflichtet bleiben. Zu
dem in anderen aktuellen
Gesetzgebungsvorhaben
verfolgten Ziel einer praxisnahen Reform des Strafverfahrens (vgl. den Abschlussbericht der Expertenkommission von Oktober 2015 und daran anschließend den Referentenentwurf eines Gesetzes zur
effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung
des Strafverfahrens von
Mai 2016) steht der gegenständliche Gesetzentwurf
in krassem Gegensatz.
Markus Löffelmann
una b hä ng ig e s F o r um f ür g ut e R e c hts p o li tik
V.i.S.d.R.:
Dr. Markus Löffelmann
Neuburger Str. 64
85049 Ingolstadt
[email protected]
Zur Person des Verfassers dieses Beitrags:
Dr. Markus Löffelmann ist Richter am Landgericht München I. Zuvor
arbeitete er unter anderem als Staatsanwalt, Referent im Bundesministerium der Justiz und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht.
Beteiligen Sie sich an der rechtspolitischen Diskussion zum Thema Reform der Vermögensabschöpfung auf unserer Internetplattform www.recht-politik.de oder schicken Sie uns Ihre Meinung per E-Mail an [email protected].
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN ZUM THEMA

Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 9. März 2016, http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/
Dokumente/RefE_Reform_strafrechtliche_Vermoegensabschoepfung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95, http://www.bundesverfassungsgericht.de/
SharedDocs/Entscheidungen/DE/2004/01/rs20040114_2bvr056495.html

Bundestags-Drucksache 11/6623 vom 9. März 1990, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/11/066/1106623.pdf

Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und
des jugendgerichtlichen Verfahrens von Oktober 2015, http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/
Abschlussbericht_Reform_StPO_Kommission.pdf?__blob=publicationFile&v=2
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