DONNERSTAG, 29. JUNI 2017 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 ** D 2,50 E URO B Nr. 149 Zippert zappt Z KOMMENTAR n der Koalition gärt der Streit über die inzwischen schon legendäre „Ehe für alle“. Die SPD ist unbedingt dafür, weil die CDU dagegen ist und weil jeder das Recht haben soll, in der Ehe unglücklich zu werden. Angela Merkel hat die Angelegenheit urplötzlich zur Gewissensentscheidung erklärt und damit ihre Partei verärgert, weil viele Abgeordnete unsicher sind, wo sie ihr Gewissen gerade hingelegt haben oder woher sie auf die Schnelle eins bekommen sollen. Vollkommen ungeklärt ist auch noch, ob nicht doch eine Grundgesetzänderung nötig ist, wenn auf einmal alle Unionsabgeordneten ihrem Gewissen oder einer vergleichbaren Einrichtung gehorchen müssen. Rechtsexperten aller im Bundestag vertretenen Parteien prüfen außerdem, wie weit das neue Gesetz eigentlich gehen kann. Ist eine Ehe zwischen Union und SPD tatsächlich möglich, oder stößt da die Natur doch an ihre Grenzen? Anders gefragt: Sollten ein CDUAbgeordneter und ein CSUPolitiker einen kleinen Sozialdemokraten adoptieren dürfen, auch wenn keiner von beiden homosexuell ist? Ein Lob ffür die Kleinen I THEMEN WIRTSCHAFT Warum der Brexit für deutsche Fischer gefährlich wird Seite 10 POLITIK Geldstrafe? Dann lieber in den Knast! Seite 8 FINANZEN Ein Jahresgehalt von 100.000 Euro – wie schafft man das? Seite 13 FEUILLETON Sexualität als Weg in die Freiheit: „Die Verführten“ im Kino JACQUES SCHUSTER I GETTY IMAGES/FIFA, GETTY IMAGES/PICTURE PRESS RM/JINX Löw, noch einmal neu Joachim Löw ist nicht mehr jener putzige Kerl mit dem lustigen Akzent, als der er 2006 startete; spätestens seit dem Gewinn der WM 2014 ist der Trainer der Nationalmannschaft allem entwachsen. Beim Confed Cup in Russland überrascht er die Fußballwelt mit einer No-Name-Truppe. Dafür gab es zunächst Kopfschütteln, das sich aber langsam in anerkennendes Nicken verwandelt. Denn dahinter steckt ein Plan, der Deutschland bei der WM 2018 noch stärker machen könnte. Seite 18 Italien droht mit Abweisung von Flüchtlingsschiffen Zahl der Asylbewerber steigt rasant, täglich bringen Boote der Hilfsorganisationen neue Migranten. Rom klagt: Aufnahmekapazitäten sind bald erschöpft. Premier Gentiloni fordert von EU-Partnern Hilfe W egen der stetig steigenden Anzahl von Migranten erwägt Italien, notfalls Rettungsschiffe mit Flüchtlingen abzuweisen. Das erfuhr die WELT aus hohen Regierungskreisen in Rom. Alle Rettungsschiffe, die nicht unter italienischer Flagge oder im EU-Auftrag im Mittelmeer fahren, könnten keine Anlaufgenehmigung erhalten. VON CONSTANZE REUSCHER, CHRISTOPH. B. SCHILTZ UND MANUEL BEWARDER AUS ROM, BRÜSSEL UND BERLIN Es dürfte sich bei diesen Schiffen vor allem um die Rettungsboote von Nichtregierungsorganisationen (NGO) handeln, die im eigenen Auftrag fahren. Sie werden im zentralen Einsatzkommando der italienischen Küstenwache in Rom erfasst und koordiniert, genau wie alle anderen Rettungseinsätze. Sie kreuzen meist vor der libyschen Küste, wo sie Migranten aufnehmen und dann nach Italien auf EU-Territorium bringen. Wie die WELT weiter erfuhr, beauftragte Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni den italienischen EU-Botschafter in Brüssel, Maurizio Massari, den Flüchtlingsbeauftragten Dimitris Avramopoulos über die Familiennachzug bleibt ausgesetzt Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit dem untergeordneten subsidiären Schutz bleibt in Deutschland ausgesetzt. Der Innenausschuss des Bundestags beschloss, über Anträge von Grünen und Linken zur Abschaffung der Regelung nicht mehr vor der Sommerpause abzustimmen. Betroffen sind vor allem Syrer. Sie dürfen Kinder, Ehepartner oder Eltern nicht nachholen wie andere Flüchtlinge. Seite 4 „ernsthafte Lage, in der Italien sich befindet“, in Kenntnis zu setzen. Italien könnte in diesem Sommer an den Rand seiner Kapazitäten bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge kommen. In Dutzenden Rettungseinsätzen der EUSchiffe und NGOs sind in den vergangenen vier Tagen mehr als 10.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet worden. Allein am Dienstag waren es mehr als 5000. Aus Regierungskreisen erfuhr diese Zeitung, dass „es weiterhin eine Aufstockung der Erstaufnahmeplätze gibt“. Schulen, Sporthallen, Kasernen, ausgediente Fabrikhallen würden in den nächsten Wochen dazu umfunktioniert. Damit wird die Zahl der 200.000 bisherigen Plätze in den Einrichtungen um mehrere Zehntausend erhöht. Nach Angaben aus informierten EUKreisen hatte Italiens Premierminister Paolo Gentiloni die Belastung seines Landes kürzlich beim Treffen der EUStaats- und -Regierungschefs auf den Tisch gebracht. Gentiloni führte aus, dass 14 verschiedene NGOs Flüchtlinge DAX Im Minus Seite 17 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Dow Jones ��.�� Uhr ��.���,�� �,���� ��.���,�� Punkte US-$ Punkte –�,��% ↘ +�,��% ↗ +�,��% ↗ N24 TALK STUDIO FRIEDMAN HEUTE AB 17.15 UHR Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt DIE WELT digital Lesen Sie DIE WELT digital auf allen Geräten – unter edition.welt.de, auf Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle. [email protected] ANZEIGE „Deniz Yücel muss freigelassen werden“ Seite 21 nach Sizilien bringen. Er forderte, die „Frontstaaten“ zu entlasten, und wurde dabei von Griechenland unterstützt. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen blieb Gentiloni in seinen Forderungen allerdings unpräzise. Er deutete an, dass es eine Möglichkeit wäre, Italien ähnlich wie die Türkei finanziell zu unterstützen. Dabei ginge es nur um einen Bruchteil der der Türkei zugesagten sechs Milliarden Euro, die Rede ist von etwa fünf Prozent. Denkbar wäre, hieß es in Brüssel, die Flüchtlinge an die maltesische oder französische Küste zu bringen. Die Nichtregierungsorganisation Sea W Watch zeigt Verständnis für die Drohung Italiens. „Italien wird alleingelassen“, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. „Es ist Aufgabe der EU, zu helfen und eine Lösung zu finden, stattdessen macht man die Grenzen zu Italien zu und nimmt kaum Flüchtlinge ab.“ Das führe zum „„Verrat der europäischen Idee“ – und dazu, „dass uns jetzt das Leben schwer gemacht wird“. Man betreibe „nichts anderes als Lebensrettung auf hoher See“. nnerhalb von nur wenigen Wochen haben sich in zwei Bundesländern Koalitionen gebildet, die einen Regierungswechsel ermöglichen und damit die Aussicht auf eine Wende in der bisherigen Politik bieten – in Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein. Die Machtwechsel zeigen: Die Demokratie ist stabil und lebendig. Kaum etwas in ihr ist starr und unverrückbar. Diese Tatsache lässt sich auf zwei Umstände zurückführen, die zumindest als fragwürdig, wenn nicht sogar als anrüchig gelten: auf die Wechselstimmung der Wähler und die Beweglichkeit der kleinen Parteien. Wie oft in der Geschichte der Bundesrepublik hat man den Wechselwähler gescholten? Wie oft haben die großen Parteien die mangelnde Zuverlässigkeit der kleinen gegeißelt, zumal dann, wenn diese den Bündnispartner austauschten. Gerade nach den jüngsten Regierungsbildungen ist es Zeit, die oftmals Attackierten zu loben: Wechselwähler mögen den Parteien verdächtig sein. Sie aber machen den Parlamentarismus erst möglich. Und die angeblichen Umfallerparteien – meist galt das Wort der FDP – haben mit ihren Koalitionswechseln die Demokratie bereichert. Es sind die Umfaller, die die Regierungsfähigkeit herstellen und die Mehrheitsfähigkeit einer großen Partei erst vervollständigen, indem sie deren Programm und ihr personelles Angebot komplettieren. Gäbe es die Kleinen und ihre Beweglichkeit nicht, hätten sich die fast immer etwa gleich starken Blöcke der Großen kaum im Machtbesitz ablösen können. Was für ein Albtraum! Vor allem mit Blick auf die LiberaV len herrschte lange Zeit der reine Hochmut. Schaut man auf die Politik der Bundesregierung oder der bisherigen Landesregierungen in NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein, so W muss man feststellen: Es ist nicht wahr, wie man aus den Volksparteien bis heute hört, dass die Trophäen des Liberalismus längst Gemeinbesitz der großen Parteien geworden seien. Um den Freisinn in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft steht es ohne die FDP schlecht in Deutschland. Ähnliches gilt für die Grünen, deren umwelt- und bürgerrechtspolitische Ideen zuweilen übertrieben und unbequem sein mögen, aber als solche durchaus ihren Wert besitzen. Doch selbst wer an dieser Stelle widerspricht, muss eingestehen: Für die Demokratie ist es gut, dass es Parteien gibt, die anderen in den Sattel helffen und den Machtwechsel hin zu einer nötigen Kurskorrektur ermöglichen. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zeigen es. Chefs der großen Fraktionen im Europaparlament schreiben an Erdogan und Yildirim D ie Vorsitzenden der größten Fraktionen im Europaparlament haben in einem Schreiben an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim die Freilassung des WELT-Reporters Deniz Yücel gefordert. „Deniz Yücel muss freigelassen werden“, erklärten die Vertreter der Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen, Konservativen und Grünen in dem Brief. Sie mahnten die Türkei zur Einhaltung der Europäischen Konvention für Menschenrechte. In dem Schreiben drückten die Unterzeichner, darunter auch die beiden deutschen Europaabgeordneten Manfred Weber (CSU) und Ska Keller (Grüne), ihre Sorge über „das Ausmaß der Reaktionen“ auf den Putschversuch im vergangenen Jahr aus. Jede Demokratie habe „das Recht und die Pflicht, sich gegen jene zu verteidigen, die ihre Grundfesten untergraben“, erklärten die Unterzeichner. Dabei müsse aber der Rechtsstaat respektiert werden, und die Reaktion müsse „verhältnismäßig“ sein. Darüber hinaus sei die Türkei als Mitglied des Europarats zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet. Mit der Schließung von fast 200 Medien, der Entziehung von Berichterstattungslizenzen sowie der Festnahme von mehr als 200 Journalisten riskiere die Türkei hingegen, „sich von Europa zu entfernen“. Die Türkei könne nur „in Partnerschaft mit Europa“ stark sein. Seit dem Putschversuch liegen die Beitrittsverhandlungen mit der EU de facto auf Eis. Yücel war im Februar festgenommen worden. Dem deutsch-türkischen Journalisten werden wegen seiner Artikel zum Kurdenkonflikt und dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli vergangenen Jahres „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ vorgeworfen. Das Auswärtige Amt bemüht sich um seine und die Freilassung weiterer deutscher und deutsch-türkischer Journalisten in Haft. DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Tel. 030 / 2 59 10 Fax 030 / 2 59 17 16 06 E-Mail [email protected] Anzeigen 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Tel. 0800 / 9 35 85 37 Fax 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] ISSN 0173-8437 149-26 ZKZ 7109 „Sie und Ihre Stiftung haben etwas Einmaliges geschaffen und dafür möchte ich Ihnen nochmals ganz herzlich danken. Durch Ihre Unterstützung ist es mir möglich, mein Leben mit meinem Kind wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, Danke!“ Familie Z. aus Celle Die 2009 gegründete Town & Country Stiftung fühlt sich dem Dienst am Gemeinwohl verpflichtet und möchte durch ihr Engagement der Gesellschaft ein menschlicheres Gesicht geben. Wir helfen und unterstützen • • • • • unverschuldet in Not geratene Bauherren, benachteiligte Kinder, Kunst und Kultur, die Volks- und Berufsbildung und Town & Country Stiftung bürgerliches Engagement. Stiftung bürgerlichen Rechts www.tc-stiftung.de A 3,40 & / B 3,40 & / CH 5,00 CHF / CZ 96 CZK / CY 3,40 & / DK 26 DKR / E 3,40 & / I.C. 3,40 & / F 3,40 & / GB 3,20 GBP / GR 3,50 & / I 3,40 & / IRL 3,20 & / L 3,40 & / MLT 3,20 & / NL 3,40 & / P 3,40 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,40 € © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über http://www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung/ipe_lizenzierung_1746131.html DIE WELT-2017-06-29-ip-5 a50e739d5d6fd67c88f4e97e2219b697