Italien droht mit Abweisung von Flüchtlingsschiffen

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DONNERSTAG, 29. JUNI 2017
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Nr. 149
Zippert zappt
Z
KOMMENTAR
n der Koalition gärt der
Streit über die inzwischen
schon legendäre „Ehe für
alle“. Die SPD ist unbedingt
dafür, weil die CDU dagegen ist
und weil jeder das Recht haben
soll, in der Ehe unglücklich zu
werden. Angela Merkel hat die
Angelegenheit urplötzlich zur
Gewissensentscheidung erklärt
und damit ihre Partei verärgert,
weil viele Abgeordnete unsicher
sind, wo sie ihr Gewissen gerade hingelegt haben oder woher
sie auf die Schnelle eins bekommen sollen. Vollkommen
ungeklärt ist auch noch, ob
nicht doch eine Grundgesetzänderung nötig ist, wenn auf
einmal alle Unionsabgeordneten ihrem Gewissen oder
einer vergleichbaren Einrichtung gehorchen müssen.
Rechtsexperten aller im Bundestag vertretenen Parteien
prüfen außerdem, wie weit das
neue Gesetz eigentlich gehen
kann. Ist eine Ehe zwischen
Union und SPD tatsächlich
möglich, oder stößt da die Natur doch an ihre Grenzen? Anders gefragt: Sollten ein CDUAbgeordneter und ein CSUPolitiker einen kleinen Sozialdemokraten adoptieren dürfen,
auch wenn keiner von beiden
homosexuell ist?
Ein Lob
ffür die Kleinen
I
THEMEN
WIRTSCHAFT
Warum der Brexit
für deutsche Fischer
gefährlich wird
Seite 10
POLITIK
Geldstrafe? Dann
lieber in den Knast!
Seite 8
FINANZEN
Ein Jahresgehalt von
100.000 Euro – wie
schafft man das?
Seite 13
FEUILLETON
Sexualität als Weg
in die Freiheit: „Die
Verführten“ im Kino
JACQUES SCHUSTER
I
GETTY IMAGES/FIFA, GETTY IMAGES/PICTURE PRESS RM/JINX
Löw, noch
einmal neu
Joachim Löw ist nicht mehr jener putzige Kerl mit dem lustigen Akzent, als der er
2006 startete; spätestens seit dem Gewinn der WM 2014 ist der Trainer der Nationalmannschaft allem entwachsen. Beim Confed Cup in Russland überrascht er
die Fußballwelt mit einer No-Name-Truppe. Dafür gab es zunächst Kopfschütteln,
das sich aber langsam in anerkennendes Nicken verwandelt. Denn dahinter steckt
ein Plan, der Deutschland bei der WM 2018 noch stärker machen könnte. Seite 18
Italien droht mit Abweisung
von Flüchtlingsschiffen
Zahl der Asylbewerber steigt rasant, täglich bringen Boote der Hilfsorganisationen neue Migranten.
Rom klagt: Aufnahmekapazitäten sind bald erschöpft. Premier Gentiloni fordert von EU-Partnern Hilfe
W
egen der stetig steigenden Anzahl von
Migranten erwägt Italien, notfalls Rettungsschiffe
mit
Flüchtlingen abzuweisen. Das erfuhr die
WELT aus hohen Regierungskreisen in
Rom. Alle Rettungsschiffe, die nicht unter italienischer Flagge oder im EU-Auftrag im Mittelmeer fahren, könnten keine Anlaufgenehmigung erhalten.
VON CONSTANZE REUSCHER, CHRISTOPH. B.
SCHILTZ UND MANUEL BEWARDER
AUS ROM, BRÜSSEL UND BERLIN
Es dürfte sich bei diesen Schiffen vor
allem um die Rettungsboote von Nichtregierungsorganisationen (NGO) handeln, die im eigenen Auftrag fahren. Sie
werden im zentralen Einsatzkommando
der italienischen Küstenwache in Rom
erfasst und koordiniert, genau wie alle
anderen Rettungseinsätze. Sie kreuzen
meist vor der libyschen Küste, wo sie
Migranten aufnehmen und dann nach
Italien auf EU-Territorium bringen. Wie
die WELT weiter erfuhr, beauftragte Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni den
italienischen EU-Botschafter in Brüssel,
Maurizio Massari, den Flüchtlingsbeauftragten Dimitris Avramopoulos über die
Familiennachzug
bleibt ausgesetzt
Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit dem untergeordneten
subsidiären Schutz bleibt in
Deutschland ausgesetzt. Der Innenausschuss des Bundestags
beschloss, über Anträge von Grünen und Linken zur Abschaffung
der Regelung nicht mehr vor der
Sommerpause abzustimmen.
Betroffen sind vor allem Syrer. Sie
dürfen Kinder, Ehepartner oder
Eltern nicht nachholen wie andere
Flüchtlinge.
Seite 4
„ernsthafte Lage, in der Italien sich befindet“, in Kenntnis zu setzen.
Italien könnte in diesem Sommer an
den Rand seiner Kapazitäten bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge kommen. In
Dutzenden Rettungseinsätzen der EUSchiffe und NGOs sind in den vergangenen vier Tagen mehr als 10.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet worden. Allein am Dienstag waren es mehr
als 5000. Aus Regierungskreisen erfuhr
diese Zeitung, dass „es weiterhin eine
Aufstockung der Erstaufnahmeplätze
gibt“. Schulen, Sporthallen, Kasernen,
ausgediente Fabrikhallen würden in den
nächsten Wochen dazu umfunktioniert.
Damit wird die Zahl der 200.000 bisherigen Plätze in den Einrichtungen um
mehrere Zehntausend erhöht.
Nach Angaben aus informierten EUKreisen hatte Italiens Premierminister
Paolo Gentiloni die Belastung seines
Landes kürzlich beim Treffen der EUStaats- und -Regierungschefs auf den
Tisch gebracht. Gentiloni führte aus,
dass 14 verschiedene NGOs Flüchtlinge
DAX
Im Minus
Seite 17
Dax
Schluss
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„Deniz Yücel muss freigelassen werden“
Seite 21
nach Sizilien bringen. Er forderte, die
„Frontstaaten“ zu entlasten, und wurde
dabei von Griechenland unterstützt.
Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen
blieb Gentiloni in seinen Forderungen allerdings unpräzise. Er deutete an, dass es
eine Möglichkeit wäre, Italien ähnlich
wie die Türkei finanziell zu unterstützen.
Dabei ginge es nur um einen Bruchteil
der der Türkei zugesagten sechs Milliarden Euro, die Rede ist von etwa fünf Prozent. Denkbar wäre, hieß es in Brüssel,
die Flüchtlinge an die maltesische oder
französische Küste zu bringen.
Die Nichtregierungsorganisation Sea
W
Watch zeigt Verständnis für die Drohung
Italiens. „Italien wird alleingelassen“, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. „Es ist Aufgabe der EU, zu helfen und
eine Lösung zu finden, stattdessen macht
man die Grenzen zu Italien zu und nimmt
kaum Flüchtlinge ab.“ Das führe zum
„„Verrat der europäischen Idee“ – und dazu, „dass uns jetzt das Leben schwer gemacht wird“. Man betreibe „nichts anderes als Lebensrettung auf hoher See“.
nnerhalb von nur wenigen Wochen
haben sich in zwei Bundesländern
Koalitionen gebildet, die einen Regierungswechsel ermöglichen und damit die Aussicht auf eine Wende in
der bisherigen Politik bieten – in
Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein. Die Machtwechsel zeigen:
Die Demokratie ist stabil und lebendig. Kaum etwas in ihr ist starr und
unverrückbar. Diese Tatsache lässt
sich auf zwei Umstände zurückführen, die zumindest als fragwürdig,
wenn nicht sogar als anrüchig gelten:
auf die Wechselstimmung der Wähler
und die Beweglichkeit der kleinen
Parteien.
Wie oft in der Geschichte der Bundesrepublik hat man den Wechselwähler gescholten? Wie oft haben die
großen Parteien die mangelnde Zuverlässigkeit der kleinen gegeißelt, zumal dann, wenn diese den Bündnispartner austauschten. Gerade nach
den jüngsten Regierungsbildungen ist
es Zeit, die oftmals Attackierten zu loben: Wechselwähler mögen den Parteien verdächtig sein. Sie aber machen
den Parlamentarismus erst möglich.
Und die angeblichen Umfallerparteien – meist galt das Wort der FDP – haben mit ihren Koalitionswechseln die
Demokratie bereichert.
Es sind die Umfaller, die die Regierungsfähigkeit herstellen und die
Mehrheitsfähigkeit einer großen Partei erst vervollständigen, indem sie
deren Programm und ihr personelles
Angebot komplettieren. Gäbe es die
Kleinen und ihre Beweglichkeit nicht,
hätten sich die fast immer etwa gleich
starken Blöcke der Großen kaum im
Machtbesitz ablösen können. Was für
ein Albtraum!
Vor allem mit Blick auf die LiberaV
len herrschte lange Zeit der reine
Hochmut. Schaut man auf die Politik
der Bundesregierung oder der bisherigen Landesregierungen in NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein, so
W
muss man feststellen: Es ist nicht
wahr, wie man aus den Volksparteien
bis heute hört, dass die Trophäen des
Liberalismus längst Gemeinbesitz der
großen Parteien geworden seien. Um
den Freisinn in Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft steht es ohne die
FDP schlecht in Deutschland. Ähnliches gilt für die Grünen, deren umwelt- und bürgerrechtspolitische Ideen zuweilen übertrieben und unbequem sein mögen, aber als solche
durchaus ihren Wert besitzen.
Doch selbst wer an dieser Stelle widerspricht, muss eingestehen: Für die
Demokratie ist es gut, dass es Parteien gibt, die anderen in den Sattel helffen und den Machtwechsel hin zu einer nötigen Kurskorrektur ermöglichen.
Nordrhein-Westfalen
und
Schleswig-Holstein zeigen es.
Chefs der großen Fraktionen im Europaparlament schreiben an Erdogan und Yildirim
D
ie Vorsitzenden der größten Fraktionen im Europaparlament haben in einem Schreiben an den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim die Freilassung des WELT-Reporters
Deniz Yücel gefordert. „Deniz Yücel muss
freigelassen werden“, erklärten die Vertreter der Christ- und Sozialdemokraten,
Liberalen, Konservativen und Grünen in
dem Brief. Sie mahnten die Türkei zur
Einhaltung der Europäischen Konvention
für Menschenrechte. In dem Schreiben
drückten die Unterzeichner, darunter
auch die beiden deutschen Europaabgeordneten Manfred Weber (CSU) und Ska
Keller (Grüne), ihre Sorge über „das Ausmaß der Reaktionen“ auf den Putschversuch im vergangenen Jahr aus.
Jede Demokratie habe „das Recht und
die Pflicht, sich gegen jene zu verteidigen,
die ihre Grundfesten untergraben“, erklärten die Unterzeichner. Dabei müsse
aber der Rechtsstaat respektiert werden,
und die Reaktion müsse „verhältnismäßig“ sein. Darüber hinaus sei die Türkei
als Mitglied des Europarats zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet. Mit der Schließung von fast 200 Medien, der Entziehung von Berichterstattungslizenzen sowie der Festnahme von mehr als 200
Journalisten riskiere die Türkei hingegen,
„sich von Europa zu entfernen“. Die Türkei könne nur „in Partnerschaft mit Europa“ stark sein. Seit dem Putschversuch
liegen die Beitrittsverhandlungen mit der
EU de facto auf Eis.
Yücel war im Februar festgenommen
worden. Dem deutsch-türkischen Journalisten werden wegen seiner Artikel zum
Kurdenkonflikt und dem gescheiterten
Militärputsch vom 15. Juli vergangenen
Jahres „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ vorgeworfen. Das Auswärtige Amt bemüht sich um seine und die
Freilassung weiterer deutscher und
deutsch-türkischer Journalisten in Haft.
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ISSN 0173-8437
149-26
ZKZ 7109
„Sie und Ihre Stiftung haben etwas
Einmaliges geschaffen und dafür möchte
ich Ihnen nochmals ganz herzlich danken.
Durch Ihre Unterstützung ist es mir möglich,
mein Leben mit meinem Kind wieder in die
richtigen Bahnen zu lenken, Danke!“
Familie Z. aus Celle
Die 2009 gegründete Town & Country Stiftung fühlt sich
dem Dienst am Gemeinwohl verpflichtet und möchte
durch ihr Engagement der Gesellschaft ein
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unverschuldet in Not geratene Bauherren,
benachteiligte Kinder,
Kunst und Kultur,
die Volks- und Berufsbildung und
Town & Country Stiftung
bürgerliches Engagement.
Stiftung bürgerlichen Rechts
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GR 3,50 & / I 3,40 & / IRL 3,20 & / L 3,40 & / MLT 3,20 & / NL 3,40 & / P 3,40 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,40 €
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