Die Anwendung der Theorie der zentralen Orte in - Student

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Die Anwendung der Theorie der zentralen Orte
in der Raumplanung der Bundesrepublik Deutschland
(mit Fallbeispiel Berlin-Brandenburg)
Beth, Andreas
4. Semester
Archäol. / Geogr.
Matr.-Nr.: 120144
LV-Nr.: 04 050, PS, Mi 12-14
Sem.: Einf. in. d. Kultur- u. Sozialgeogr.
Ltg.: Dipl.-Geogr. Chr. Breßler
Wintersemester 1997 / 98
(Februar/März 1998)
zorefera.sam / anwzorp.doc
„[...] forscht man in landschaftsgeschichtlichen Bereichen,
werden auch bei heute solitär erscheinenden Standorten die
Standortprobleme sehr differenziert zu betrachten sein. Die
Regel sind sehr komplexe Standortsysteme, in denen sich Ursachen und Wirkungen aus allen Daseinsbereichen überlagern und von denen analytische Forschung [...] immer nur
Teilbereiche zu erfassen vermag, aber nie die ganze Wirklichkeit in ihrer Vielseitigkeit im betroffenen Raum einbeziehen kann.[...]
[...] Etwa in den gleichen Jahren, in denen man sich um die
wissenschaftliche Klärung des Begriffs Wirtschaftsraum im
Rahmen der Wirtschaftsgeographie bemühte, setzte auch die
Diskussion um den zentralen Ort ein.[...] Das Generalschema
ist aus ökonomischer und geographischer Sicht einleuchtend
und wirkt überzeugend. So wurde das System des zentralen
Ortes schnell anerkannt und zur weit verbreiteten methodologischen Richtschnur für die Behandlung der Themen der
städtischen Siedlungsgeographie. [...]
[...] Von landesplanerischem Belang sind die zentralörtlichen
Wirtschaftsräume, weil in ihnen der optimale Verwaltungsmittelpunkt zu finden ist, was freilich problematisch wird in
den Entscheidungen, die bei Neugliederungen, Zusammenlegungen und bei der Auswahl von konkurrierenden zentralen
Orten zu treffen sind. [...]“
(zitiert aus: Otremba, E., 1982, Der Raum und
sein Wirkungsgefüge. In: Grundriß der Raumordnung,
S. 19, 21-22)
zorefera.sam / anwzorp.doc
4
Definition
Raumordnung:
Sinne des
die Aufden
Die Raumordnung ist eine staatliche Aufgabe, die den in der Verfassung
niedergelegten Grundwerten der Gesellschaft verpflichtet ist. Sie entwickelt
und vertritt die für eine ausgewogene Entwicklung des Staatsgebietes maßgeblichen materiellen Ziele und die für deren Verwirklichung notwendigen
raumrelevanten Instrumente. Sie trifft damit koordinierende Vorsorge für
eine geordnete Gesamtgestaltung des Territoriums, wobei sie den wirtlichen, kulturellen und sozialen Erfordernissen entsprechen und die Gegebenheiten der Natur berücksichtigen soll5. [...]
schaft-
Kernpunkt der programmatischen Aussagen des ROG ist, daß die Verbesserung der Lebensbedingungen in den sog. strukturschwachen und zurückgebliebenen Gebieten mit dem grundsätzlichen Ziel einer Angleichung an
allgemeinen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse an strukturstärkere Räume durch den Ausbau von Gemeinden mit zentralörtlicher
Bedeutung -den zentralen Orten- erfolgen soll.
[...] Das erklärte Ziel raumordnerischer Maßnahmen ist es, die räumlichen
Ungleichgewichte abzubauen, um Chancengleichheit und Lebensqualität in
allen Regionen des Bundesgebietes zu schaffen. Als wichtiges Instrument
gilt hierbei das System der zentralen Orte6.
die
1
2
3
4
5
nach: Wörterbuch der Allgemeinen Geographie, s.v. „Raumordnung“
ebenda; s.v. „Raumordnungspolitik“
ROG, verabschiedet 1965
sog. AAA-Mittel; Anreiz-, Anpassungs- und Abschreckmittel; vgl. Abb. 8
nach: KLUCZKA, G.; Grundlagen, Entwicklung und Probleme der Raumordnung., 1980, In: GR 32 ,H. 4,
S. 140-145
6
Die Raumordnung bezeichnet die in einem Staatsgebiet angestrebte räumliche Ordnung von Wohnstätten, Wirtschaftseinrichtungen, der Infrastruktur
usw., beziehungsweise auch die Tätigkeit des Staates, die zur planmäßigen
Gestaltung des Raumes führt und sich in der Raumordnungspolitik auswirkt1.
Hierbei stellt die Raumordnungspolitik2 die Gesamtheit der staatlichen
Maßnahmen zur Erreichung einer leitbildgerechten Ordnung im
Bundesraumordnungsgesetzes3 dar. Die Raumordnungspolitik hat
gabe, raumplanerische Konzeptionen mit Hilfe der zur Verfügung stehenstaatlichen Mittel4 in die Realität umzusetzen.
ebenda, S. 144
zorefera.sam / anwzorp.doc
5
1.
Zur Theorie der zentralen Orte (nach Walter Christaller)
Die Theorie der zentralen Orte versucht, die Beziehungen und Wechselwirkungen, die
zwischen einer Stadt und ihrem Umland auftreten, zu erklären (zentralörtliche StadtUmland-Beziehungen). Mit dem Grundgedanken, ökonomisch-theoretische Grundlagen
der Stadtgeographie aufzuzeigen sowie Zahl, Größe und Verteilung städtischer Siedlungen zu charakterisieren, entwickelte Walter Christaller in seiner Dissertation die Theorie
der zentralen Orte7. Er selbst bezeichnete die Entwicklung dieser Theorie als „ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen“8.
2.
Zentrale Orte und Zentralität
Um mit den Begriffen Zentraler Ort und Zentralität zu arbeiten, d.h., die Theorie der
zentralen Orte bzw. die Zentralität empirisch zu überprüfen, muß gewährleistet sein, daß
diese „Eigenschaften“ auch meßbar sind. Deshalb bedarf es der Definition und der Auslegung der Begriffe9.
2.1
Bedeutungsüberschuß
Christaller erkannte, daß Städte Siedlungsschwerpunkte mit besonderen Voraussetzungen zur Versorgung der Bevölkerung sind. Darüber hinaus konstatierte er aber auch, daß
von dieser Ausstattung zur Versorgung auch Wirkungen auf das die Stadt umgebende
Umland ausgehen und es somit zu einer Verflechtung zwischen Stadt und Umland führt.
Wenn folglich Versorgungseinrichtungen einer Stadt außer von der innerstädtischen Bevölkerung auch von der Bevölkerung des Umlandes genutzt werden, weisen solche Siedlungsschwerpunkte einen Bedeutungsüberschuß auf10.
2.2
„Absoluter“ und „relativer“ Zentralitätsbegriff
Christaller bezeichnet Städte mit Siedlungsschwerpunkt als zentral, wobei er einerseits
eine Ort als „Mittelpunkt eines Gebietes“ charakterisiert („absoluter“ Zentralitätsbegriff11) und andererseits die Eigenschaft, „Bedeutungsüberschuß zu haben“ als Definition
heranzieht („relativer“ Zentralitätsbegriff). Das Problem ist, daß trotz seiner Definitionen zentrale Orte und Umland nicht eindeutig bestimmt sind. Denn welche Indikatoren
7
4)
8
9
10
vgl. HEINRITZ, bei KÖCK (Hrsg.), Städte und Städtesysteme (= Handbuch des Geographieunterrichts, Bd.
1992, S. 67
CHRISTALLER, 1933
im Folgenden werden die von Christaller selbst definierten Begriffe erklärt und z. T. verwendet
CHRISTALLER, Die zentralen Orte in Süddeutschland, 1933 (auch reprographischer Nachdruck ,
Darmstadt 1968)
sollen zur Charakterisierung und Abgrenzung solcher zentraler Orte herangezogen werden (sog. „Operationalisierung“) ?
Man versuchte, den Begriff des Bedeutungsüberschusses als „obsolet gewordenes Konzept12“ zu bezeichnen und Zentralität als absoluten Begriff zu verwenden. Dennoch sind
beide Definitionen noch heute im Gebrauch. So wird „das hierarchische System zentraler
Orte aus dem ‘Bedeutungsüberschuß’ eines Ortes gegenüber seinem Umland (Einzugsgebiet) abgeleitet13“ und auch heute noch mit dieser Definition, z.B. im Landesentwicklungsgesetz von Nordwürttemberg (Baden-Württemberg) unter dem Begriff „Siedlungsschwerpunkt“ angewandt.
Folglich muß hingenommen werden, daß die Zentralität von Siedlungen bzw. deren Wirken zweideutig und widersprüchlich erscheinen mag.
3.
Annahmen und Voraussetzungen zur Theorie
Die Theorie der zentralen Orte basiert auf einigen Annahmen und Voraussetzungen, die
Christaller in seiner Dissertation zugrunde legte, um seine Theorie in einem vereinfachten System darzustellen. Diese Voraussetzungen bezogen sich auf die Ausstattung des
untersuchten Raumes, der Verhaltensprinzipien der Anbieter und Nachfragenden sowie
auf die vorherrschende Marktform14.
3.1
Homogenität des Raumes
Unter der Homogenität des untersuchten Raumes versteht man die absolute Gleichverteilung bzgl. der Produktions- und Nachfragebedingungen, der Kaufkraft und auch der
Nachfrage (Bedürfnisse) der gleich verteilten Bevölkerung, der Produktionsfaktoren und
der Einkommen.
Christaller konstatierte darüber hinaus die Infrastruktur des Verkehrs als in allen Richtungen gleich, wobei sich die Transportkosten direkt proportional zur Entfernung entwickeln (Abb. Aa-b). Damit ist gemeint, daß für ein Produkt, das ein Unternehmer als
Dienstleistung zum Kunden transportiert bzw. zu dessen Erwerb ein Nachfragender einen
bestimmten Fahrtweg auf sich nimmt, der Preis dieses Produktes um so höher liegt, je
größer die Entfernung zum Kunden bzw. Anbieter ist. Insofern bestehen also aufgrund
der Homogenitätsannahme keine räumlichen Unterschiede.
3.2
Gewinn- und Nutzungsmaximierungsprinzip
11
a.a.O., S. 23
BOBEK, zit. bei HEINRITZ, vgl. Fn. 7, S. 68
SCHLIEBE, Raumordnung und Raumplanung in Stichworten, 1985, S. 73
vgl. SCHÄTZL, Wirtschaftsgeographie, 1.Theorie, 5. Aufl., 1993, S. 69
12
13
14
Christaller legt zugrunde, daß alle Unternehmer im untersuchten Raum als Anbieter von
Gütern maximalen Gewinn anstreben (Gewinnmaximierungsprinzip); demgegenüber zielt
das Verhalten der Nachfragenden auf maximalen Nutzen ab (Nutzungsmaximierungsprinzip). Dabei besitzen aber alle Marktbeteiligten den gleichen Informationsstand und
handeln nach dem Rationalprinzip15.
3.3
Wirtschafts-/ Marktform
Unter den Anbietern, die jeweils nur ein Produkt (Gut) anbieten, gilt vollständige Konkurrenz, d.h., es gibt weder Monopole noch Kartelle eines oder nur weniger Unternehmer, um den Marktpreis von einzelnen oder mehreren Gütern künstlich zu erhöhen. Ohnehin gilt nach Christaller für Anbieter und Nachfragende im selben Raum und zur selben Zeit auch derselbe Marktpreis. Außerdem setzt Christaller ein polypolistisches Verhalten voraus16, d.h., ein Kunde wird verschiedenen Güter nicht nur in einem zentralen
Ort nachfragen, wenn einige dieser Güter in anderen zentralen Orten nach deren Rational- und Nutzungsmaximierungsprinzip preiswerter zu erwerben sind.
3.4
Spezialisierungsausschluß und Minimierungsprinzip
Eine weitere Prämisse der Theorie der zentralen Orte bildet der Spezialisierungsausschluß. Danach ist eine Spezialisierung des Angebots von verschiedenen Gütern auf je
nur einzelne wenige Standorte nicht möglich. Alle jeweils angebotenen Güter besitzen
gleiche Qualität, eine Diversifizierung der Produktpalette eines Anbieters aufgrund von
Nachfragerückgang seitens der Kunden ist von vornherein ausgeschlossen17.
Desweiteren soll die Anzahl der Standorte der verschiedenen Anbieter eines Gutes, die
den gesamten bestimmten Raum versorgen, auf ein Minimum beschränkt sein (Minimierungsprinzip). Daraus folgt, daß mit möglichst wenigen Anbietern an einem Standort
möglichst viele Konsumenten erreicht werden und eine „ungesunde“ Konkurrenz unter
mehreren Anbietern eines z.B. weniger nachgefragten Gutes vermieden wird.
4.
Herleitung des Systems der zentralen Orte
Christaller gestaltete seine Theorie so, daß er dazu ein veranschaulichendes Modell, das
System der zentralen Orte, entwickeln konnte. Im Folgenden werden die einzelnen Anteile an diesem System unter Verwendung der oben angeführten Prämissen verdeutlicht und
erklärt.
15
16
ebenda
ebenda
4.1
Marktgebiet des Anbieters / Innere Reichweite
Der Anbieter handelt als wirtschaftender Mensch oder homo oeconomicus18 nach dem
oben angeführten Gewinnmaximierungsprinzip.Da ein größeres Absatzgebiet auch größeren Gewinn verspricht, ist ein Unternehmer bestrebt, sein Marktgebiet und die Entfernung zu seinen Konkurrenten mit gleichem Gut möglichst groß zu halten. Nach dem Rationalprinzip verhalten sich alle anderen Anbieter ebenso, um möglichst viele der räumlich gleich verteilten Bevölkerung als Konsumenten zu gewinnen, wobei die Konsumenten stets den nächstgelegenen Standort aufsuchen, um Kosten zu sparen. Deshalb ordnen
sich die Standorte der Anbieter so an, daß ,,sie auf den Ecken gleichseitiger Dreiecke
liegen [Abb. Ba], die sich ohne weiteres zu Sechsecken gruppieren“19.
Da alle Marktbeteiligten den gleichen Informationsstand besitzen, haben z.B. die Anbieter auch keine Kostenvor- oder -nachteile. Daraus folgt wiederum, daß ein Gut eines
jeden Anbieters ein mindestens so großes Gebiet „abdecken“ muß, also bis zu mindestens
einer solchen Entfernung reicht bzw. vom Konsumenten nachgefragt wird, daß der Anbieter für sein Gut ein entsprechenden Mindestabsatz, sprich Gewinn erzielt. Christaller
nennt diese Mindestreichweite eines Gutes, Produktes oder einer Dienstleistung die „innere (untere) Reichweite“. Diese innere Rechweite entspricht ebenfalls dem Mindestabstand, den ein Anbieter gegenüber seinen Konkurrenten haben muß, um noch Gewinn zu
erzielen (Abb.Aa-b).
4.2
Distanzbereich des Konsumenten / Äußere Reichweite
Gegenüber der inneren Reichweite, die sich auf das Mindestmarktgebiet des Anbieters
bezieht, definierte Christaller auch eine sog. „äußere (obere) Reichweite“. Darunter
versteht er „jene Distanz, die ein Konsument gerade noch zurückzulegen bereit ist, um
einen bestimmten Angebotsstandort aufzusuchen“20. Das Einzugsgebiet des Konsumenten bzgl. des bestimmten Anbieters in einem Standort wird dadurch begrenzt, daß der
Konsument nur innerhalb einer solchen Entfernung ein Gut nachfragt, in der die Transport-/Fahrtkosten für ihn nicht zu hoch sind. Die äußere Reichweite endet demnach dort,
„wo die Summe aus Preis der Ware plus Transportkosten gleich ist dem für den Erwerb
des betreffenden Gutes zur Verfügung stehenden Betrags“21.
5.
Entstehung hexagonaler Marktgebiete
17
CHRISTALLER, 1933
vgl. HEINRITZ, bei KÖCK, 1992, S. 69
CHRISTALLER, 1933, S. 69
HEINRITZ, bei KÖCK, 1992, S. 68
a.a.O., S. 69
18
19
20
21
Aufgrund der Homogenitätsannahme Christallers ergibt sich die Kreisfläche als günstigste Begrenzung des Marktgebietes. Diese Marktgebiete liegen theoretisch zunächst
gänzlich voneinander getrennt vor (siehe Abb. Ba bzw. Punkt 4.1.). Dies ergibt sich aus
den äußeren Reichweiten, die durch den Distanzbereich des Konsumenten (siehe Punkt
4.2.) gegeben sind. Wenn sich aber, wie in Abb. Ba gezeigt, die äußeren Reichweiten der
verschiedenen Anbieter nur gerade berühren, bleiben Gebiete unversorgt22.
Eine ausreichende Versorgung erhalten diese Gebiete nur dann, wenn sich die äußeren
Reichweiten (Kreise), wie in Abb. Bb überschneiden. Daraus folgt aber auch, daß ein
Mindestumsatz für den Anbieter des jeweiligen Gutes nicht mehr gewährleistet ist.
deshalb entwickelte Christaller die hexagonale Form der Marktgebiete (Abb. Bc), welche
„die Versorgung des Gesamtraumes zu minimalen Transportkosten ermöglicht“ 23. Die
Grenzen eines jeden Hexagons stellen nun die innere Reichweite eines Gutes des Anbieters dar. Somit ist ein Mindestumsatz für den Unternehmer noch immer gesichert.
An den Berührungspunkten dreier angrenzender hexagonaler Marktgebiete der (hier)
höchsten Zentralität ergibt sich die Möglichkeit, ein weiteres anderes Gut anzubieten.
Fortführend ergeben sich daraus sechs weitere Standorte weniger hoher Zentralität (BStandorte), die wiederum ein hexagonales System bilden. Mit Einbeziehung weiterer
Produkte läßt sich das System beliebig erweitern (siehe Abb. Bc sowie Abb. Ca-c)24.
6.
Reichweiten und Zentralität
Das System der zentralen Orte baut auf den oben angegebenen Annahmen auf. Innere
und äußere Reichweiten, die für jedes Gut, Produkt oder jede Dienstleistung nach Christaller unter den Standorten gleich sind, erfahren bei verschiedenen Gütern aber eine unterschiedliche Ausprägung.
6.1
Güter des episodischen Bedarfs
Güter sind nicht alle gleich häufig gefragt, so daß das geometrische System der zentralen
Orte unterschiedliche Größenordnungen aufweist (hierarchisches System), d.h., ein Gut
mit geringerer Nachfrage bedeutet z.B. eine größere innere Reichweite (Marktgebiet), als
dies bei einem Gut höherer Nachfrage der Fall wäre. Daraus folgend wird aber auch die
Zentralität eines Gutes definiert.
Ist die Nachfragehäufigkeit eines Gutes gering, muß die untere Reichweite dieses Gutes
größer sein, um das Gewinnmaximierungsprinzip beim Unternehmer erfüllen zu können.
Beispiele solcher Güter sind beim episodischen (langfristigen) Bedarf u.a. Wohnungsein-
22
23
vgl. SCHÄTZL, 1993, S. 71
a.a.O., S. 72
richtungen und elektrische Geräte. Sie werden seltener gekauft, da sie nur langfristig der
Erneuerung bestimmter Teile, der Reparatur oder Neuanschaffung bedürfen.
6.2
Güter des periodischen Bedarfs
Gegenüber Gütern des episodischen Bedarfs bewirkt ein etwas stärker nachgefragtes Gut
eine kleinere innere Reichweite, um die wirtschaftliche Existenz seines Anbieters zu
sichern. Daraus folgt, daß Güter des periodischen (mittelfristigen) Bedarfs zwar in zentralen Orten höchster Attraktivität anzutreffen sind, aber auch in Orten mit geringerer
Zentralität angeboten werden. Beispiele solcher Güter sind u.a. Waschmittel, Kosmetika
oder Schreibwaren. Solche Güter werden wöchentlich bis monatlich vom Konsumenten
nachgefragt.
6.3
Güter des täglichen Bedarfs
Güter des täglichen (kurzfristigen) Bedarfs, wie z.B. Brot, Milch und Fleisch, haben eine
sehr kleine innere Reichweite, da mit den Bedarfszeiträumen von oben nach unten die
Nachfrage für ein Gut steigt. Das heißt für einen Anbieter (z.B. Bäcker), daß hier der
Mindestgewinn für ein Gut (z.B. Brot) im Vergleich mit einem Gut geringerer Nachfrage
(z.B. Hochzeitstorte) im gleichen Zeitraum schneller erwirtschaftet wird25.
Solche Abstufungen der „Nachfragehäufigkeit“ können auch auf andere zentrale Einrichtungen (z.B. des Staates) angewandt werden. Nach dem Muster des täglichen, periodischen und episodischen Bedarfs können Bildungseinrichtungen (Hauptschulen, Gymnasien, Hochschulen), Einrichtungen des Gesundheitswesens (Krankenhäuser der Grund-,
Regel- und Zentralversorgung) oder auch Einrichtungen der Justiz (Amts-, Land-, Oberlandesgericht) nach einem hierarchischen System gegliedert werden.
7.
Hierarchisches Modell des Systems der zentralen Orte
Aus den unterschiedlichen Reichweiten und der Nachfragehäufigkeit eines Gutes, das
schließlich die Zentralität eines Standortes charakterisiert, ergibt sich ein abgestuftes
System, das hierarchische System der zentralen Orte. Die Hierarchie als Grundprinzip im
räumlichen Ordnungssystem hat zuerst Christaller im zwischenstädtischen System festgestellt und als besagte Theorie der zentralen Orte formuliert26.
In kleineren Zentren werden allein Güter mit einer niedrigen Reichweite angeboten, wohingegen größere oder große Zentren zwar auch diese stark nachgefragten Güter anbie-
24
25
26
vgl. SCHÄTZL, 1993, S. 73.
wobei hier die absoluten Preise nicht Gegenstand der Theorie sind
vgl. LICHTENBERGER, Stadtgeographie, Bd. 1, Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse, 2. Aufl.,
1991, S. 144
ten, darüber hinaus aber auch Güter mit geringerer oder sogar geringer Nachfrage. Hinzu
kommt, daß mit der Zahl der verschiedenen angebotenen Güter auch die Zentralität eines
Standortes steigt (siehe dazu Abb. Da-b).
Das System der zentralen Orte ist demnach eine sowohl regelhaft bestimmte als auch in
Bezug auf die jeweiligen Reichweiten eines Gutes relative Menge von zentralen Orten
unterschiedlicher Attraktivität und Rangstufen27.
Das bedeutet, weder die zufällige historische Entwicklung eines Standortes wird berücksichtigt, noch werden real existierende Standorte mit speziellen Gütern (z.B. Ruhrgebiet)
oder Agglomerations- und Fühlungsvorteile im Dienstleistungssektor miteinbezogen
(z.B. Medien/Hamburg, Hi-Tech/München, Finanzen/Frankfurt am Main).
8.
Zur Geschichte der Raumordnung
Raumordnung als eingangs definierte Aufgabe des Staates existiert nachweislich wirkend
erst seit dem späteren 19. und frühen 20. Jahrhundert. Es kann aber z.B. durchaus die
Bildung des Zweckverbandes Groß-Berlin von 1912, die gleichnamige Einheitsgemeinde
von 1920 oder der im selben Jahr vorgenommene Zusammenschluß von Gemeinden und
Landkreisen zum Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk als ansatzweise Gliederung des
Raumes verstanden werden28. Der Begriff „Raumordnung“ findet sich erstmals 1935 in
der „Reichsstelle für Raumordnung“, die selbst jedoch nicht nachweislich wirkte29.
8.1
Raumordnung in der Bundesrepublik
Raumordnung im heutigen begrifflichen Sinn lassen die sog. „Aufbaugesetze“ der Länder der jungen Bundesrepublik bis 1950 erkennen. Unmittelbar nach dem Krieg herrschten zwei gegengerichtete Entwicklungstendenzen vor, die dazu führten, daß die Landesplanung sich zwar formal weiterentwickelte, politisch aber in den Hintergrund trat. Zum
einen lag durch Kriegszerstörungen, durch Schaffung neuer Länder wie beispielsweise
Baden-Württemberg, Hessen oder Niedersachsen und durch den damals knappen nutzbaren Raum aufgrund von Flüchtlingsströmen und der Abschnürung Mitteldeutschlands
objektiv gesehen ein „Planungsbedarf“ vor; zum anderen war die Landesplanung und
Raumordnung aber als Instrument der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und Repräsentationspolitik stigmatisiert, was besonders von der sich erholenden Privatwirtschaft betont wurde30.
27
28
29
30
vgl. HEINRITZ, bei KÖCK, 1992, S. 71
KLUCZKA, a.O., 140
ebenda
FÜRST/RITTER, Landesentwicklungsplanung und Regionalplanung, 1993, S. 11
Als materielle Weiterentwicklung der Landesplanung können Raumplanungsentwürfe für
Schleswig-Holstein (1947/48), Niedersachsen (1950) und Hessen (1951), die Neugründung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL, 1947) oder auch die
Veröffentlichung der Grundsatzschrift31 durch die Arbeitsgemeinschaft der Landesplaner
1953 angesehen werden32. 1955 setzte die Bundesregierung zwei Ausschüsse ein, die die
Raumordnung auf Bundesebene konkretisieren sollten, nämlich den Sachverständigenausschuß für Raumordnung (SARO) sowie einen interministeriell koordinierenden Arbeitskreis für Raumordnung (IMARO). Desweiteren institutionalisierte sich 1957 die
„Konferenz für Raumordnung“ (KRO), die zwischen Bund und Ländern koordinieren
sollte (Abb. 2).
Die Ergebnisse der SARO-Kommission, die als Gutachten 1961 veröffentlicht wurden33,
zeichneten sich durch eine differenzierte Ist-Analyse in Teil 1 und eine erste konkrete
Raumordnungskonzeption in Teil 2 aus34. Andererseits empfahl die Kommission in Teil
3 staatliche Zurückhaltung und eine Kommunalisierung der Landesplanung, befürwortete
folglich eine Einschränkung der Bundesraumordnungskompetenz.
Entgegen diesem Gutachten forderten Wissenschaftler, die Industrie beim Deutschen
Industrie- und Handelstag, die SPD und der Deutsche Städtetag eine Förderung der Verdichtungsräume, was sich 1965 im § 2 Abs. 1 Satz 6 des eingangs erwähnten [Definition]
Raumordnungsgesetzes (ROG) mit einer „besonderen planerischen Zuwendung für Verdichtungsräume“ und mit „ballungsfreundlichen Tönen“35 im Bundesraumordnungsbericht von 1966 äußerte.
Im Jahre 1975 ist in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern das Bundesraumordnungsprogramm (BROP) aufgestellt und von der Ministerkonferenz für Raumordnung
(MKRO)36 und der Bundesregierung verabschiedet worden. Damit trug man in besonderer Weise zur Konkretisierung der Raumordnungsziele bei. Das BROP ist auf das allgemeine Leitziel „Verbesserung der Lebensqualität“ ausgerichtet und versucht, dieses Ziel
auf verschiedene Teilbereiche in Teilzielen zu übertragen. Damit beschreibt das Programm die Leitlinien (Abb. 1 u. 3), nach denen die bestehende Struktur und deren Entwicklung durch den Staat beeinflußt werden soll, nicht aber die künftige räumliche Struktur der Bundesrepublik selbst37.
31
32
33
34
ve
35
36
Titel: „Landesplanung - Begriffe und Richtlinien“ ( abgedruckt bei Umlauf, 1958, 160 ff.)
FÜRST/RITTER, 1993, S.14
Titel: „Die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland“, 1961
Befürwortung einer Begrenzung der Ballungsprozesse und räumlicher Dezentralisierung (s.v. „aktiSanierung“)
FÜRST/RITTER, 1993, S. 15
Die MKRO wurde gem. § 8 BROG geschaffen. Im Gegensatz zu ihrem Vorläufer, der KRO, ist es
eine Bund-Länder-Kommission auf Ministerebene. Über Empfehlungen und Entschließungen verstärkt sie den Einfluß der Landesplanung gegenüber höhergeordneterer Planungsebenen und
verschafft Landesplanern eine wirksamere administrative Unterstützung ( nach: FÜRST/RITTER,
1993, S. 15 ).
37
STORBECK, Der Zielkatalog der Raumordnung, In: Grundriß der Raumordnung ( ARL ), 1982,
S. 226
Mitte der siebziger Jahre verlor die Raumplanung an Bedeutung und Einfluß. Durch Gebietsreform gestärkte Gemeinden setzten sich gegen Verrechtlichung und Interventionsdichte der Raumplanung, die trotz der Arbeit der MKRO vorherrschte, zur Wehr. Ebenso
konnten die Fachressorts der verschiedenen Planungsebenen aufgrund der mit der Ölkrise
1973/74 ausgelösten Finanzkrise des Staates weite Bereiche aktueller oder künftiger Planungen als obsolet betrachten. Zudem löste die aufkommende Umweltschutzbewegung
Zweifel am auf wirtschaftlichen Wachstum gerichteten Konzept der Raumplanung aus38.
Ende der siebziger Jahre bis Ende der achtziger Jahre stagnierte die Raumplanung zwar
institutionell, aber gleichzeitig erneuerten sich konzeptionelle Richtungen, d.h., „die Regionalebene wurde als wichtigste räumliche Steuerungsebene wiederentdeckt, das Planungsinteresse verlagerte sich vom Erstellen von Plänen zum Planungsprozeß und zur
Planumsetzung; die Planungsinhalte wurden mehr von „endogenen Entwicklungsstrategien“ und von der „ökologisch orientierten Planung“ bestimmt; die zu dichten verbindlichen Planzielen wurden als Hemmnis für eine Planung verstanden, die durch Kooperation, Überreden und Überzeugen wirken sollte39“.
Die institutionalisierte Raumplanung reagierte darauf mit neuen Instrumenten der Planung (z.B. „Teilraumgutachten“ in Bayern), mit neuen verfahrensrechtlichen Regelungen
(z.B. Umweltverträglichkeitsprüfung im Raumordnungsverfahren) und mit neuen Inhalten wie beispielsweise der Stärkung ökologischer Belange in der Raumordnung.
Die erwähnten neuen Instrumente fanden Ausdruck in den Plänen und Programmen
(Abb. 3 u. 12), in der Novellierung des BROG 1989 (vgl. Abb. 9) und in einigen Landesplanungsgesetzen wie in denen von Nordrhein-Westfalen (Abb. 20 u. 21), Thüringen und
Brandenburg (vgl. Abb. 39).
8.2
Territorialplanung in der DDR
Die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands verlief zunächst ähnlich; die Raumordnung versuchte, an den Vorkriegsstand in Organisation, Instrumenten und Aufgaben wieder anzuknüpfen. Mit einer Verwaltungsreform allerdings, die zur Auflösung der Länder
in der DDR und zur Schaffung von 15 Bezirken führte, endete die parallele Entwicklung.
Die raumbezogene Planung wurde immer mehr zu einem Bestandteil der „sozialistischen“ Planung der Volkswirtschaft. Es entstand das besondere System der Territorialplanung in der DDR40 (vgl. Abb. 4).
Die aus der „komplex-territorialen Planung“ gewachsene Territorialplanung bestand bis
1958. Sie war dadurch gekennzeichnet, daß auch in den Bezirken und Kreisen vollständige Volkswirtschaftspläne erstellt wurden. 1964 wurden mit der Schließung dörflicher,
städtischer und auch (über)regionaler Planungsinstitutionen bei den Räten der Bezirke
38
39
FÜRST/RITTER, 1993, S. 16
ebenda
die ersten beiden Büros dem Ministerium für Bauwesen und dessen Bezirksbauämtern
untergeordnet; die Aufgaben der Gebietsplanung wurden in Büros für Territorialplanung
wahrgenommen, die den Bezirksplanungskommissionen unterstellt waren.
Im institutionellen Gefüge war auf zentraler Ebene die Abteilung für Territoriale Planung
der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR verantwortlich für die territoriale Koordinierung des Volkswirtschaftsplanes und für die Standortverteilung der Produktivkräfte. Dies bedeutete im einzelnen die räumliche Zuordnung großer Investitionsvorhaben, die Koordinierung der Bezirke untereinander, die Übereinstimmung von Ressourcen mit Produktionsanforderungen und die Wohnungsbauverteilung41 (vgl. Abb. 4).
Für empirische Datenerfassung, Analysen und prognostische Konzeptionen war der
Kommission eine Forschungsleitstelle für Territorialplanung zugeordnet.
Auf der Ebene der Bezirke waren Bezirksplankommissionen zuständig für Standortverteilungen von Industrie und Wohnsiedlungen sowie für andere allgemeine Planungsvorhaben und zentralgeleitete Aufgabenbereiche. Andererseits waren die den Räten der Bezirke unterstellten Kommissionen aber durch Weisungen der Staatlichen Plankommission
gebunden. Die Kreisplankommissionen waren der Bezirksplankommission vergleichbar
agierende Organe auf Kreisebene, hatten jedoch keine nachgeordneten Planungsgremien.
Daneben hatte die territoriale Planung Mitwirkungsfunktion bei der räumlichen Koordinierung der Volkswirtschaftspläne. Die Rolle der Territorialplanung im Planungsprozeß
bestand vor allem in der „Aufschlüsselung der Aufgaben und Mittel von Bereichen der
Infrastruktur und der örtlichen Wirtschaft auf die Bezirke und Kreise sowie in der Koordinierung und Entwicklung der zentral geleiteten Industrien mit den jeweiligen Bedingungen in Bezirken und Kreisen“42.
Insgesamt hatte die zentralistische, letztlich von den Direktiven der Staatspartei SED
geleitete Wirtschaftsplanung der DDR eine betont sektorale und zu geringe gesamträumliche Ausrichtung. In der zentralistischen Planwirtschaft hatte die Territorialplanung eine
dienende Funktion. Eine selbständige Ordnungsfunktion bzw. eine unabhängige Ausgleichsfunktion gegenüber anderen politischen Bereichen waren ihr nicht eingeräumt43.
Die Rolle der Territorialplanung in der Gesamtplanung schwächte sich darüber hinaus in
dem Maß ab, wie „konzeptionelle, perspektivische Vorgaben immer weniger gefragt“44
waren. Der Raumordnungsbericht, der der letzten Regierung der DDR 1990 vorgelegt
wurde, benennt neben anderen generellen Problemen der Raumstruktur
45
auch die „ein-
seitige städtebauliche Entwicklung zugunsten des absolut bevorzugten Standortes Berlin
(Ost) und der meisten Bezirksstädte - zu Lasten der Masse der übrigen Städte, ganz be40
41
42
43
44
45
( vgl. dazu Böhnisch/Mohs/Ostwald, 1976; Bräuninger, 1989 ) FÜRST/RITTER, S. 17
FÜRST/RITTER, 1993, S. 18
FÜRST/RITTER, 1993, S. 19
(vgl. dazu: Krautzberger, 1992, S. 93) FÜRST/RITTER, S. 20
ebenda
(vgl. dazu: Ostwald 1990, S. 187 f) FÜRST/RITTER, ebenda
sonders zu Lasten der Zentren in sächsischen und anhaltinischen Ballungsgebieten und
zu Lasten der kleinen Städte“.
Die Neubearbeitung der Generalbebauungsplanung in den Städten, die Ende der achtziger Jahre einsetzte und effizientere Flächennutzungsplanungen einleiten sollte, kam viel
zu spät, um „gewissermaßen von unten einen Anstoß zu einer neuen, räumlichen Planung“46 geben zu können.
8.3
Raumordnung zur Zeit der Wende
Die politische Wende vom Oktober 1989 wurde schon vor der eigentlichen staatlichen
Vereinigung von vielen Planern der territorialen und städtebaulichen Planung ungeachtet
der fehlenden institutionellen Regelungen und fehlender administrativer Instrumentarien
zur Durchführung von Planungen als neuer Abschnitt in der Raumplanung angesehen.
Auch aufgrund eines enormen „Nachfragedrucks“ entwickelten sich daraus Verfahren
und Kriterien für Standortentscheidungen und auch konzeptionelle Überlegungen, die
z.B. das vorläufige Landesentwicklungsprogramm für das Land Brandenburg vom Oktober 1990 prägten und einen Neubeginn der raumbezogenen Planungspolitik bedeutete 47
(vgl. dazu Abb. 28 und 29).
Mit dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
vom 18. Mai 1990 wurden von der DDR das BROG im wesentlichen eingeführt und die
wichtigsten Teile des Baugesetzbuches mit der Bauplanungs- und Zulassungsverordnung
der DDR übernommen. Mit dem Einigungsvertrag und der erfolgten Vereinigung am 3.
Oktober 1990 sind das Baugesetzbuch und das ROG insgesamt auch für die neuen Länder gültig.
Die Grundsätze für ein Zielsystem der Raumordnung in der Bundesrepublik sind im
BROG niedergelegt (vgl. dazu Abb. 1;3;18 u. 24). Die anzustrebende räumliche Entwicklung des Bundesgebietes wird auf Grundwerte der verfassungsmäßigen Ordnung zurückgeführt48. 1972 erschien eine umfassende und systematisch geordnete Übersicht über die
Ziele der Bundesländer49,die als Katalog von Zielen darüber Aufschluß gibt, „was in den
Raumordnungsprogrammen,
Landesentwicklungsprogrammen
und
Landesraumord-
nungsplänen sowie sonstigen sachlich relevanten Plänen an Beiträgen zu einem Zielsystem enthalten ist“50. Nach einer Analyse schälten sich die Ideen der Konzentration und
der menschengerechten Umwelt als „deutlich vorrangig“ heraus. Zur Idee der Konzentra46
47
48
49
zungs50
FÜRST/RITTER, 1993, S. 21
vgl. dazu: SCHERF, Die politisch-administrative Raumgliederung - Ergebnisse und aktuelle Proble
me. In: SCHERF/ VIEHRIG (Hrsg.), Berlin und Brandenburg, 1995, S. 23-38
ZINKAHN/BIELENBERG, Raumordnung des Bundes. Kommentar unter Berücksichtigung des
Landesplanungsrechts, 1965, S. 13 f.
WAGENER, Für ein neues Instrumentarium der öffentlichen Planung. In: Forschungs- und Sitberichte [d. ARL], 1972, 80, S. 23-54
BOESLER, K.A., Raumordnung, 1982, S. 97-101
tion (Abb. 3) gehörten die Ziele des Ausbaus von zentralen Orten und Entwicklungsachsen (A II), der gesunden Verdichtung und Bebauung (A IV 1 a,b); der Konzentration
öffentlicher Einrichtungen (A V 1,2), der Konzentration von Gewerbe und Industrie (A
VI 1 a) und des Ausbaus von Zentren- und Achsensystemen in Verdichtungsräumen (B
II) 51.
Natürlich haben einzelne Ziele ihre Gewichtigkeit verloren und sind andere in ihrer Bedeutung gestiegen. Was aber die Zielsetzungen allgemein angeht, kann man davon ausgehen, daß sich dieser Katalog schon aufgrund der die Raum- und damit bedingende
Finanzplanung implizierenden längerfristigen Fortdauer von raumordnerischen Konzepten nicht wesentlich verändert hat.
Die Entwicklung der Planungssysteme macht die zentralen Problemlagen deutlicher, mit
denen die raumordnerische Planung konfrontiert ist. Die territoriale Planung der DDR
veranschaulicht die Folgen für Raumentwicklung und Raumstruktur, wenn eine Raumordnungspolitik entweder nicht betrieben wird oder zur Gänze einer sektoral orientierten
Planungspolitik untergeordnet und deren Beschränkungen und Weisungen unterworfen
ist.
Die Geschichte der Landesplanung als Teil der Raumplanung in der Bundesrepublik
zeigt vor allem die Probleme im Verhältnis von Staat und Kommunen, die Probleme der
Koordination, die Fragen der Planungslegitimation, die Probleme der Realisierbarkeit
(Imple-mentation) und Umsetzung sowie die Problematik der Verrechtlichung52.
9.
Grundlagen siedlungsstruktureller Konzeptionen
Unter Siedlungsstruktur ist in einer weitgefaßten Definition die Verteilung und Zuordnung der Bevölkerung und ihrer „Aktivitätsstätten“ oder Aktionsräume zu verstehen,
wobei man unter Aktivitäten die wesentlichen Daseinsgrundfunktionen versteht. Konkret
bezeichnen diese Funktionen das Wohnen, Arbeiten, Versorgen, die Erholung, Bildung
und Erziehung sowie Verkehr und Kommunikation. Der Begriff der Siedlungsstruktur
wird damit sowohl als räumlich-physische Flächennutzung als auch als räumlichfunktionale Zuordnung dieser Nutzungen verstanden53.
9.1
Siedlungselemente und Planungsebenen
Als Gliederungselemente der Siedlungsstruktur werden einzelne Siedlungsgebilde unterschiedlicher Form und Größe bezeichnet. Diese Siedlungselemente lassen sich auf drei
51
52
dies.,
ebenda
ebenda; vgl. auch FÜRST/RITTER, Die Weiterentwicklung der Landesplanung nach 1945. In:
Landesentwicklungsplanung und Regionalplanung, 1993, S. 11-30
abstrakte (kombinierbare) Grundelemente zurückführen, die als Punkt- bzw. Zentralelemente, lineare Elemente in Form von Bändern oder Achsen und als Flächenelemente mit
Bereichen bestimmter Nutzung Bestand haben54 (vgl. dazu Abb. 14;18;20;27;30;32 u.33).
Diese Grundelemente lassen sich auf großräumiger (kleinräumiger) Planungsebene mit
planerisch-konzeptionellen Vorstellungen verbinden. Punkte lassen sich mit Planungskonzepten der zentralen Orte (z.B. Standorte öffentlicher Einrichtungen) oder anderer
Schwerpunkte ebenso verbinden wie lineare Elemente mit Verkehrs- und Siedlungsachsen (z.B. Straßen und Eisenbahnlinien) oder Flächen mit Vorranggebieten für bestimmte
Funktionen (z.B. Wohn-, Industrie-, Gewerbe-, Grün- oder Erholungsflächen). Auf der
kleinräumigen Planungsebene ist der Inhalt dieser Siedlungselemente also schon weitgehend konkretisiert55, die auf großräumiger Planungsebene signifikante Charakterisierungsmöglichkeit einer nationalen Siedlungsstruktur aber erfolgte erst mit Berechnungen
von sog. Rang-Potential-Funktionen der einzelnen Siedlungen56 wie beispielsweise die
Konstruktion von Zusammenhängen zwischen Rang-Größen-Verteilung und industriellem Reifegrad oder der Innovationsdynamik eines Landes57. Zur Feststellung der Siedlungsstruktur versucht man die optimale oder doch zumindest minimale oder maximale
Größe eines (zentralen) Ortes zu erforschen und die Bedeutung eines Ortes im Siedlungssystem zu fixieren58 (vgl. Abb. 7a-b;25).
9.2
Orientierungskriterien
Die Entwicklungsaussichten einzelner Orte werden dabei neben anderen Indikatoren der
Empirie (Abb. 5; 11;15 u.23) durch vier „Orientierungskriterien“59 der Siedlungsnetzanalyse festgestellt. Dabei umfaßt das „Lagekriterium“ Merkmale der Arbeitsplatz- und
Einwohnerdichte, der Intensität der interlokalen und interregionalen Verflechtung und
der Lage „in Bezug auf längerfristige und großräumige Tendenzen von Bevölkerungsund Kapitalbewegungen“. Beim „Zentralitätskriterium“ betrachtet man die Versorgung
eines Ortes mit zentralen Gütern unter dem „Soll-Ist-Aspekt“. Das Kriterium der „Wirt-
53
54
Dies
(z.B.
EBERLE, Die Bedeutung der Steuerungsinstrumente der Siedlungsstruktur in der räumlichen Pla
nung. In: Grundriß der Raumordnung [ Veröffentl. ARL ], 1982, S. 241
Bei der Betrachtung oder Verwendung dieser Elemente kommt es auf den Standpunkt und die Sicht
der Dinge an. Je nach Betrachtungsweise kann ein Punktelement auch ein Flächenelement sein.
trifft vor allem bei einem Wechsel der Betrachtungsweise von der großräumigen Planungsebene
Stadt als „Regional-Punkt“) zur kleinräumigen Planungsebene (z.B. als „Stadt-Flächenbereich“) zu.
Ebenso lassen sich lineare Elemente in Punkte zerlegen (und umgekehrt); dies geschieht z.B. dann,
wenn es sich um Entwicklungsachsen handelt, die sich aus einigen mehreren Orten zusammenset-
zen.
55
56
Schrif57
58
59
EBERLE, a.a.O.
BEUTEL, Konzentrations- und Verstädterungstendenzen in der Bundesrepublik Deutschland.
ten zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, 106, 1976
BERRY/HORTON, Geographic perspectives on urban systems, 1970
vgl. dazu auch: v. BÖVENTER, Standortentscheidung und Raumstruktur [Veröffentlichung ARL],
Abhandl., 76, 1979, S. 193 ff; RICHARDSON, The economics of urban size, 1973; ders., Theory
of the Distribution of City, Sizes - Review and Prospects. In: Regional Studies, 7, 1973, S. 239-251
aufgestellt durch: KLOTEN/HÖPFNER/ZEHENDER, Ortsgröße und regionale Wirtschaftspolitik.
Zur Abhängigkeit des Wirtschaftsgrades regionalpolitischer Maßnahmen von der Größe der geför-
schaftskraft“ wird am Pro-Kopf-Sozialprodukt und dessen Wachstumsraten gemessen,
und schließlich wird anhand der sektoralen Verteilung der Erwerbstätigen, der Veränderung dieser Anteile in der Vergangenheit und nach den prognostizierten Entwicklungstendenzen die „Dynamik der Erwerbsstruktur“ festgemacht.
9.3
Formale Gestaltungsmittel in der Raumordnung
Zu den formalen Gestaltungsmitteln der Raumordnung (Abb. 8 u.13) gehören auch die
räumlichen Organisationskonzepte. Zu ihnen zählt man die Bildung von Planungsregionen, die Ausweisung von Vorranggebieten, die Festlegung von Entwicklungspolen, Entwicklungsschwerpunkten und/oder Entwicklungszentren und die Ausweisung einer gegliederten Siedlungsstruktur60. Die Nutzung des Siedlungsnetzes als Instrumentenvariable der Raumordnung ist -wie in anderen nationalen Raumordnungspolitiken auch61- bedeutend für die Raumplanung der Bundesrepublik. Nach der MKRO „verfolgt die Raumordnung in Bund und Ländern das Ziel einer gegliederten Siedlungsstruktur“62 (Abb. 12).
Mit diesen Kriterien ist die als Organisationskonzept der Raumordnung besonders wichtige und häufig angewandte Theorie der zentralen Orte in die Siedlungsnetzüberlegungen
-und damit der Raumplanung und räumlichen Ordnung- einbezogen.
Das Ergebnis des Christaller´schen Modells63 (vgl. Abb. 6) war ein hierarchisches System zentraler Orte, deren unterschiedlicher Rang aus dem jeweiligen „Bedeutungsüberschuß“ hergeleitet wird, den der Ort gegenüber seinem Verflechtungsbereich hat.
Sehr eng verwandt mit zentralörtlichen Modellen der Güterversorgung ist die Darstellung
eines Siedlungssystems mit der oben erwähnten Definition der Siedlungselemente64 als
Arbeitsstättenmittelpunkte ihrer Wohnumgebung, d.h. als Kerne von sog. Arbeitsmarktregionen. Auch hier werden Zentren nach Mindestschwellen ihres Ausstattungsniveaus
mit Arbeitsplätzen (z.T. auch nach Ausstattungsstruktur als Arbeitsort) definiert und für
diese Zentren Pendlereinzugsbereiche abgeleitet oder empirisch ermittelt 65 (Abb. 13). Für
solche Arbeitsmarktzentren und ihre Regionen (Verflechtungsbereiche) liegt es nahe, sie
-im erweiterten Sinne einer Christaller´schen Deduktion- ebenfalls als hierarchisch aufgebaute Systeme zu verstehen.
9.4
Infrastrukturelle Kriterien zentralörtlicher Bedeutung
der
ten Orte.In:MÜLLER/DANS (Hrsg.): Schriften zu Regional- und Verkehrsproblemen in Industrie und
Entwicklungsländern, 1972, H. 9, S. 99 ff.
BRÖSSE, Raumordnungspolitik, 1975, S. 63 ff.
BOESLER, K.A, 1982, S. 127
Entschließung der MKRO. Zentralörtliche Verflechtungsbereiche mittlerer Stufe in der Bundesreblik Deutschland vom 15.6.1972
CHRISTALLER, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Ge- setzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen
Funktionen, 1933 (2. Aufl. 1968)
vgl. FN 32, EBERLE, 1982, S. 241
BOESLER, K.A., 1982, S. 130
60
61
62
pu63
64
65
Die unter dem Begriff „Infrastruktur“ als Gestaltungsmittel zusammengefaßte Gruppe
von Instrumenten66 ist durch ihre Gestaltungseffekte gekennzeichnet. Die Gestaltungsmittel und Kriterien67 der Raumplanung sind neben anderen in erster Linie Infrastrukturinvestitionen, zu denen im weitesten Sinne auch Industrie- und Gewerbeparks ( sog.
industrial estates ), Freizeitparks und ähnliche Einrichtungen gehören. Die Tatsache, daß
die „Er-scheinungsformen der Infrastruktur und der räumlichen Entwicklung [...] in einem wechselseitigen funktionalen Verhältnis zueinander“ stehen68, ist im Gegensatz zur
Diskussion um den Infrastrukturbegriff unumstritten. Nach einer Systematik von Infrastruktureffekten69 unterscheidet man Einkommens-, Versorgungs-, Mobilitäts-, Anreizund Wachstumseffekte, die als Folge von Gestaltungsmitteln in der Raumplanung erfolgen sollen.
Eines der Hauptziele der Raumordnungspolitik, der Bevölkerung in allen Teilräumen
gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen, ist somit durch den Abbau des regionalen
„Infrastrukturgefälles“70 zu erreichen. Für die Verteilung von Infrastruktureinrichtungen
stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, von denen die erste „die auf dem Leitbild der
flächendeckenden Versorgung basierende Ausrichtung der regionalen Siedlungsstruktur
auf ein dichtes Netz hierarchisch abgestufter zentraler Orte“ und die zweite Möglichkeit
„die mit dem Verzicht auf differenzierte zentralörtliche Stufung verbundene Konzentration des Angebots von Infrastruktureinrichtungen in wenigen, annähernd gleich großen
Entwicklungsschwerpunkten“71 darstellt.
10.
Die zentralen Orte im raumordnerischen Planungskonzept
Das früheste Beispiel der Anwendung der zentralörtlichen Theorie geht auf die 1941
veröffentlichte Siedlungskonzeption für die von den Deutschen während des Dritten Reiches besetzten Ostgebiete zurück, an der Christaller selbst mitgewirkt hat. In der Bundesrepublik der Nachkriegszeit wählte der damalige Interministerielle Ausschuß für Notstandsgebietsfragen ( später: für regionale Wirtschaftspolitik, IMNOS ) 16 besonders zu
fördernde Klein- und Mittelstädte aus. Bis 1966 hatte sich die Zahl der dann als Bundesausbauorte bezeichneten Gemeinden auf 64 erhöht72.
66
67
68
ten
69
70
BRÖSSE, 1975, S. 61
dazu gehören auch die oben erwähnten „Orientierungskriterien“ nach FN 38
BUHR, Die Abhängigkeit der räumlichen Entwicklung von der Infrastrukturausstattung. In: Schrifdes Vereins für Socialpolitik, N. F. 58, 1971, S. 103
a.a.O., S. 103-124
KRAFT/MEYER, Art. „Infrastruktur-Gefälle, Infrastruktur-Niveau“. In: HdRuR, 1966, Sp. 777-
791
71
72
BOESLER, K.A., 1982, 148
HOFMEISTER, Stadtgeographie, 1993, S. 98-100
Da Christaller seine Theorie der zentralen Orte in erster Linie nach Versorgungsprinzipien konzipierte (vgl. auch Abb. 17) und diese Theorie das Minimierungsprinzip73 bei
Angebotsstandorten hervorhob74, wurde seine Theorie zur Anwendung durch Planer als
geeignet betrachtet. Mit dem ROG von 1965 hielt das Konzept der zentralen Orte Einzug
in die Regional- und Landesplanung und wurde 1968 durch die MKRO bei der Festlegung einer Hierarchie für zentrale Orte in Klein-, Unter-, Mittel- und Oberzentren verwandt.
Der Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1972 steckte dann den Rahmen für die
Ausweisung und Förderung von zentralen Orten im Bundesgebiet ab. Die einzelnen Bundesländer benannten zentrale Orte, deren Einstufung jedoch von Land zu Land etwas
variierte (vgl. Abb. 7a-b). Hauptanliegen dieser Raumordnungsmaßnahme war die Förderung solcher Orte, die innerhalb eines Siedlungsnetzes des einzelnen Bundeslandes bestimmte zentralörtliche Funktionen zu versehen hatte. Im Zentralausschuß für deutsche
Landeskunde wurde für die BRD schon 1966 eine vierstufige zentralörtliche Bereichsgliederung mit weiteren drei Zwischenstufen erarbeitet75.
10.1
Die konkrete Planung durch MKRO und BROP
Das BROP als ein gemeinsam von Bund und Ländern in der MKRO erarbeiteter längerfristiger Orientierungsrahmen für die großräumige Entwicklung des Bundesgebietes
strebt einerseits eine funktionale Aufgabenteilung zwischen Siedlungsräumen und Freiräumen und innerhalb der Freiräume die Zuordnung unterschiedlicher Eignung an; andererseits sollen regionale Schwerpunkte gefördert werden, die hinsichtlich ihres Angebotes an Versorgungsleistungen und Arbeitsplätzen „ein solches Maß an Attraktivität aufweisen, daß sie ein Gegengewicht zu den bestehenden Verdichtungsräumen darstellen
und Abwanderungen aus peripheren Gebieten auffangen“ können76.
Bundeseinheitlich definiert wurde das Zentrale-Orte-Konzept durch eine Entschließung
der Ministerkonferenz für Raumordnung vom 8.2.1968, wobei zwischen vier Stufen von
zentralen Orten unterschieden wird (s.o.). Diese zentralen Orte werden als sog. „Versorgungskerne“ verstanden und „sollen soziale, kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen
besitzen, die über die eigenen Einwohner hinaus die Bevölkerung des Verflechtungsbereiches versorgen. Jedes höhere Zentrum hat zugleich auch die Aufgaben der zentralen
Orte niedrigerer Stufe“ 77.
73
CHRISTALLER, 1933, 2. Aufl. 1968
Minimierungsprinzip: möglichst viele Konsumenten (bei deren geringsten Transportkosten) bei
möglichst wenigen Anbietern (mit größtmöglichem Einzugsbereich und maximalem [Nutzungs]Gewinn)
eines gleichen Gutes.
75
SCHÖLLER, Die deutschen Städte. Erdkundl. Wissen, 17, 1967, S. 86-87; ders., Zentralitätsforschung, 1972
76
BOESLER, K.A., 1982, S. 149 u. 199
77
Raumordnungsbericht 1968 der Bundesregierung, BT-Drs. V/3958, 1968, S. 149 ff.
74
10.2
Die politische Kontroverse
Im Sinne der begrenzten Finanzplanung für Infrastrukturinvestitionen ließ sich für die
Investitionspolitik in der Bundesrepublik eine teilweise Abkehr vom Ausbau einer Vielzahl von zentralen Orten der verschiedenen Stufen und eine Hinwendung zum Prinzip
des räumlich konzentrierten Finanzmitteleinsatzes zum Abbau regionaler Disparitäten
konstatieren78. Aber schon seit zentrale Orte als räumliches Ordnungsprinzip Eingang in
die Landes- und Regionalplanung gefunden haben, besteht eine Kontroverse über die
zweckmäßige Zahl von zentralen Orten. Höhere Planungsebenen und stärker auf wirtschaftliche Zielsetzung ausgerichtete Fachplanungen bevorzugen das Schwerpunktprinzip mit wenigen zentralen Orten. Basisnahe und versorgungsorientierte Planungen befürworten dagegen eine demgegenüber größere Zahl. Ebenso tendiert die „politikferne“
Wissenschaft zu weniger und größeren zentralen Orten und die „politiknähere“ Planungspraxis zu einer größeren Zahl von kleineren Punktzentren79.
Es besteht offenbar ein „Basisdruck“ der örtlichen und regionalen Planungsebenen auf
Landesplanungen und Bundesplanungen. Dabei sind die Länder - im Gegensatz zum
Bund - den Forderungen der örtlichen Gebietskörperschaften nach einem zentralörtlichen
Status stärker ausgesetzt. Der Grund für das ausgeprägte Interesse der örtlichen Gemeinschaften an der planerischen Ausweisung als zentraler Ort ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß zentrale Orte in verstärktem Maße direkte staatliche Zuweisungen für den
Ausbau der Infrastruktur erhalten, im nicht zweckgebundenen Finanzausgleich besser
abschneiden und ihren Bürgern eine bessere Versorgung mit privaten und öffentlichen
Dienstleistungen anbieten können. Als Folge der Zuwendungen erhoffen sich die örtlichen Verwaltungen zentraler Orte außerdem von mehr Einwohnern und mehr Arbeitsplätzen zusätzliche Steuereinnahmen und gewähren last but not least den Bürgermeistern
und Spitzenbeamten höhere Gehälter.
Nach Auffassung der Regionalwissenschaften ist eine zu große Zahl von zentralen Orten
dem regionalen und gesamtwirtschaftlichen Wachstum abträglich (vgl. dazu Abb.22-24
inkl.Text). Studien wiesen nach, daß ein Mindestmaß an Agglomerationsvorteilen zur
Entwicklung von Regionen und Standorten schon vorhanden sein muß. In Zeiten mit
einem erheblichen Wachstum bei Bevölkerung und Beschäftigten ( sechziger Jahre )
wurden die Zuwachsraten als ausreichend für eine große Zahl von zentralen Orten angesehen80 und die Erarbeitung von Landesentwicklungsprogrammen und Regionalplänen
nicht unwesentlich erleichtert.
Als sich Bund und Länder bei der Erarbeitung des BROP auf eine beschränkte Zahl von
zentralen Orten einigen sollten, die für die Entwicklung des Bundesgebietes von besonderer Bedeutung sind, war eine Einigung nur in Kompromissen zu erzielen. Der Bund
78
79
vgl. Raumordnungsbericht 1974 der Bundesregierung, BT-Drs. 7/3582, 1974, S. 29 ff.
GANSER, Münchener Hefte, Beiträge zur Zentralitätsforschung, H. 34, 1985, S. 106
wollte die Zahl der Zentren im Interesse der Schwerpunktbildung beschränken. Die Länder sahen indes keine Möglichkeit, von den in ihren Landesplanungen bereits früher festgelegten Zentren-Systemen abzurücken. Auf dem Wege der Kompromißlösungen kam es
zur Entwicklung von Entwicklungszentren, -achsen und ausgeglichenen Funktionsräumen, verschiedensten Zwischenabstufungen von zentralen Orten und Kombinationen
verschiedenster anderer Planungskonzepte mit dem der zentralen Orte.
10.3
Die MKRO und das Zentrale-Orte-Konzept
Das von der MKRO beschlossene Konzept wurde von den einzelnen Bundesländern als
Träger der Landesplanung aus im Zusammenhang mit restriktiven Haltungen örtlicher
Planungsstellen schon genannten Gründen nicht schematisch angewandt, sondern teilweise erheblich modifiziert81.
Eine wesentliche Ausgestaltung und Festigung erfuhr das Zentrale-Orte-Konzept 1970
durch eine weitere MKRO-Entschließung, in der den Umlandfunktionen der zentralen
Orte bei den Schlüsselzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs eine
besondere Berücksichtigung zugute kam (vgl. Abb 16 b).
Mit einer weiteren Entschließung 1972 hob die MKRO die zentralen Orte mittlerer Stufe
mit ihren Verflechtungsbereichen „im Hinblick auf eine möglichst vollständige und
gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung in allen Teilräumen des Bundesgebietes“
innerhalb der vierstufigen Zentren-Hierarchie besonders hervor (vgl. Abb. 12). In Verbindung damit wurde ein Katalog für die über die Grundversorgung hinausgehende Mindestausstattung aufgestellt, der innerhalb einer Dekade für jedes Mittelzentrum erfüllt
sein soll. In dieser letztgenannten Entschließung findet auch der Zusammenhang zwischen den Daseinsgrundfunktionen Wohnen, Arbeiten und Versorgen stärkere Beachtung.
Die MKRO als koordinierendes Organ zwischen Bund und Ländern hat mit zwei Entschließungen (1968 und 1972) Vorschläge zur Konkretisierung der Forderungen aus dem
ROG gemacht, die den Ausbau von zentralen Orten zum Thema hat (s.o.). Nach Auffassung der MKRO sollte bundeseinheitlich ein Mindeststandard an Infrastruktur für die
Versorgung gewährleistet sein, und zwar in einem System zentraler Orte und Verflechtungsbereiche, das sich in vier -de facto drei- Stufen gliedert. Diese Gliederung unterteilt
sich in Oberzentren mit Einrichtungen des spezialisierten höheren Bedarfs für die Bevölkerung eines Oberbereiches, Mittelzentren mit Einrichtungen des gehobenen Bedarfs für
die Bevölkerung eines Mittelbereichs mit mehr als 20.000 Einwohnern in dünn besiedelten Gebieten ( sonst 40.000 EW und mehr) und in Unter- und Kleinzentren mit Einrichtungen der Grundversorgung für die Bevölkerung eines Nahbereichs mit mehr als 50.000
80
81
ebenda, S. 107
EBERLE, 1982, S. 249-257
EW. Dabei unterscheiden sich Unter- und Kleinzentren nur durch die Ausstattung der
Unterzentren82.
Nach den Vorstellungen der MKRO sollten Unter- und Kleinzentren u.a. über eine
Grund- und weiterführende Schule, Spiel- und Sportstätten, mindestens einen Arzt und
Apotheken verfügen und zudem Einzelhandels-, Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe
vorweisen können. Hierbei soll die Erreichbarkeit dieser Standorte mit dem öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV) innerhalb einer halben Stunde möglich sein.
Für Mittelzentren dezidierte die MKRO eine Mindestausstattung in den Bereichen Bildung (Gymnasium), Gesundheitswesen (Krankenhaus), Sport (Hallenbad), Handel/Banken (mehrere Warenhäuser/Geldinstitute) und Verkehr (direkter Anschluß an das
Bundesfernstraßennetz). Für die Bevölkerung eines Mittelbereichs müssen die Standorte
innerhalb einer Stunde83 bei der Benutzung des ÖPNV erreichbar sein. Bei der Errichtung neuer Verwaltungsdienststellen sollen auch diese Mittelzentren bevorzugt berücksichtigt werden.
Die Oberzentren sind die großstädtischen Regionalzentren mit einem kompletten Versorgungsangebot, das z.B. eine Universität, Kliniken, Theater, große Sportstätten, Warenhäuser und Spezialgeschäfte mit einschließt. Durch die Bündelung der Versorgungsinfrastruktur in einem System zentraler Orte, die wiederum an gebündelten Kommunikationsbändern oder -achsen liegen sollen, ist der Effekt beabsichtigt, daß Unternehmen, die
standortunabhängig produzieren können, sich durch die anziehende Wirkung besonders
in Mittelzentren ansiedeln84. Um siedlungsstrukturelle Effekte zu bewirken, soll im ländlichen Raum außerhalb der Mittelzentren eine gleich große Anzahl oder mehr an Versorgungsbevölkerung wohnen, wie im betreffenden Mittelzentrum selbst.
10.4
Das BROP und das Zentrale-Orte-Konzept
Das Raumordnungsprogramm des Bundes prüfte und klassifizierte flächendeckend für
die Bundesrepublik unter Anwendung eines Indikatorensystems die Gebiete nach dem
Angebot an Einrichtungen der Infrastruktur und nach ihrer Verfügbarkeit von Erwerbsmöglichkeiten („Erwerbsstruktur“; vgl. dazu Abb. 5;11). Die Zielvorstellung war und ist
in diesem Sinne, feststellbare Defizite durch Fördermaßnahmen abzubauen.
Dabei werden zur Erwerbsstrukturanalyse das Bruttoinlandsprodukt und das Einkommen
herangezogen; bei der Infrastrukturanalyse berücksichtigt man als Indikatoren empirisch
erfaßte Daten85 aus dem Bildungswesen (Realschüler und Gymnasiasten, Studenten an
82
83
zur
32,
84
85
KLUCZKA, 1980, S. 144-145. In: GR 32, 1980, H. 4
zur Thematik der Erreichbarkeit und distanzbedingter Zeitaufwendungen vgl.: GANSER, Beiträge
Zentralitätsforschung. In: Münchener Hefte, 1985,S. 112-117 einschließlich der drei Kartogramme
[hier: Abb. 22-24]; verschiedene Autoren (EBERLE, KISTENMACHER) in: Grundriß der Raumordnung [ARL], 1982; KLUCZKA, Grundlagen, Entwicklung und Probleme der Raumordnung. In: GR
H. 4, 1980, S. 140-145; BOESLER, K.A., Raumordnung, 1982
KLUCZKA, a.a.O., S. 145
vgl. Abb. 5
Hochschulen), dem Gesundheitswesen (Ärzte in freien Praxen, Krankenhausbetten), dem
Sozialwesen (Kindergartenplätze, Plätze in Einrichtungen der Altenhilfe), aus Sport und
Erholung (Zahl von Turn- und Sporthallen, Hallenbädern), aus dem Wohnungswesen
(Wohnflächen, Wohnungen mit Bad, WC und Zentralheizung), dem Verkehrswesen
(überregionale Straßen, Reisezeiten und -geschwindigkeiten im Eisenbahnfernverkehr,
Berufspendler mit öffentlichen Verkehrsmitteln) und aus Daten der Technischen Verund Entsorgung (öffentliche Kanalisation und Abwasserbeseitigung)86.
Nach Auswertung und Klassifikation wurden die bundesdeutschen Flächen in Gebiete
mit Standorten größerer, mittlerer und geringerer Attraktivität usw. aufgeschlüsselt (vgl.
Abb. 19;24), wobei laut BROP Gebiete mit starken Strukturschwächen im großräumigen
Vergleich als „Schwerpunkträume mit besonderen Strukturschwächen“87 bezeichnet
werden (vgl. Abb. 16a-c).
Aus den verschiedenen Daten ergibt sich nach der Christaller´schen Terminologie aus
den unterschiedlichen Reichweiten und der Nachfragehäufigkeit von Gütern und Dienstleistungen bzw. Frequentierung und Inanspruchnahme von Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen ein abgestuftes System, eben das hierarchisch gegliederte System der
zentralen Orte. Analog dem Muster des täglichen, periodischen und episodischen Bedarfs gliedert man dabei auch die öffentlichen Institutionen des Staates; als Beispiel sei
die hierarchische Ordnung von Gerichten in Amts-, Landes- und Oberlandesgericht genannt, die mit den Spezifikationen eines zentralörtlichen Raumes konform läuft (Abb. 6
sowie Punkt 6.3.).
11.
Raumplanung in Berlin und Brandenburg
Die raumordnerische Aufgabe in der Region Berlin/Brandenburg ergibt sich aus der historischen Situation. Sie ist in Prozesse eingebunden, die mit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und des geteilten Berlins sowie der Neubildung des Landes Brandenburg unter den veränderten politischen Verhältnissen in Europa einsetzten.
Die geordnete Entwicklung eines Ballungsraumes erfordert eine enge Koordination zwischen den Planungen der Kernstadt und des Umlandes. Koordinierungsbedarf bei raumwirksamen Planungen in großstädtischen Verdichtungsräumen besteht heute vor allem
auf der Ebene der Regionalplanung und der Flächennutzungsplanung (vgl. Abb. 31; 34
u.35) sowie im Bereich des Nahverkehrs, der Ver- und Entsorgung, des Umweltschutzes
und der Grünflächenvorsorge.
86
87
erweiternd zur Indikatorauswahl vgl.: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Gesellschaftliche Indikatoren für die Raumordnung, 1976
von der MKRO als Drs. 7/3584 des Bundestages 1975 vorgelegt
So ist die Kernstadt in der Wasserversorgung, der Abwasser- und Müllbeseitigung, für
die Erholung ihrer Einwohner und die Entlastung ihrer Umwelt, zunehmend aber auch
für die Bereitstellung von Flächen für Wohn- und Gewerbegebiete auf das Umland angewiesen. Umgekehrt nehmen die Einwohner des Umlandes die Kultur88- und Sozialeinrichtungen, die Einkaufsmöglichkeiten, die Verkehrswege und nicht zuletzt die Arbeitsplätze der Kernstadt, sprich den größten Teil der allgemeinen Infrastruktur in Anspruch89.
Für den notwendigen Ausgleich der unterschiedlich gelagerten planerischen und finanziellen Interessen von Stadt und Umland wurden und werden eine Vielzahl organisatorischer Lösungsmodelle oder -konzepte diskutiert und erprobt.
11.1
Zum Leitbild und Konzept der regionalen Planung
Ein hochentwickelter, marktwirtschaftlich funktionierender, bisher jedoch strukturell
eingeschränkter Verdichtungsraum wie Berlin(West) muß nach Forderungen auf großräumiger Planungsebene mit dem zuvor zentralplanwirtschaftlich organisierten und strukturell sehr geschwächten Ballungskern Berlin (Ost; Abb. 27) raumorganisatorisch, politisch, wirtschaftlich und sozial zusammenwirken.
Beide „Ballungsteilkerne“ liegen in einem Verflechtungsbereich des Umlandes, der für
marktwirtschaftlich entwickelte Verdichtungsräume extrem dünn besiedelt und für eine
ausgewogene Arbeitsteilung im Sinne interregionaler Planung raumstrukturell zu
schwach ist90. Die weiter entfernt gelegenen ländlichen Regionen Brandenburgs (ohne
Verdichtungsraum Cottbus) sind zudem durch Deindustrialisierungs- und Entagrarisierungsprozesse extrem geschwächt. Sie entsprechen in Bezug auf die Unterschiede zu den
Ballungskernen einem Zentrum-Peripherie-Modell mit einem hohen wirtschaftlichen und
sozialen Gefälle91.
Demgegenüber verlangen die durchaus vorhandenen Potentiale der Bevölkerungs- und
Siedlungsstruktur und des natürlichen Raumes nach einer dem Gleichwertigkeitsziel der
Raumordnung angepaßten, ökologisch verträglichen und nachhaltigen Raumentwicklung,
sog. sustainable development, die es durch raumpolitische und -planerische Gestaltungsmittel und Entwicklungsinstrumente zu fördern gilt92.
Vor diesem Hintergrund wurde für Brandenburg das Konzept der Dezentralen Konzentration als Leitbild der räumlichen Entwicklung formuliert. Es wird auch im 1993 verabschiedeten Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen für die BRD als ein Prinzip
88
89
der
90
kar91
vgl. z.B. Abb. 40 zur Veranschaulichung funktionaler Gliederung der Berliner Innenstadt
Senatsverw. f. Stadtentw. u. Umweltschutz, Ref. Öffentlichkeitsarbeit, Räumliche Entwicklung in
Region Berlin - Planungsgrundlagen, 1990, S. 38
vgl. dazu: Senatsverwaltung für Stadtentw. u. Umweltschutz, „Projekt Planung“ [mit Übersichtsten und FNP], Referat Öffentlichkeitsarbeit / STADTFORUM, 1993
SAUPE, Die Spezifik der Aufgabe - Leitbilder. In: SCHERF/VIEHRIG (Hrsg.), Berlin und Brandenburg, 1995, S. 373
für die Siedlungsentwicklung empfohlen, und die in Brandenburg entwickelten Vorstellungen für einen Kranz von Entwicklungszentren93 in ausreichender Entfernung vom
Ballungskern Berlin sind in diese Grundsätze aufgenommen worden (vgl. Abb. 26c-d;2830;36-39).
11.1.1
Dezentrale Konzentration als Leitbild
Zur Umsetzung der dezentralen Konzentration wird der gesamte Planungsraum in zwei
Teilräume gegliedert, die man als engeren Verflechtungsraum (mit Berlin) und als äußeren Entwicklungsraum bezeichnet. Der engere Verflechtungsraum soll vor allem Ausgleichs-, Entlastungs- und Ergänzungsfunktionen für die Hauptstadt und Entwicklungsaufgaben für das Land Brandenburg übernehmen. Außerdem sollen die noch vorhandenen Freiräume weitestgehend erhalten bleiben (vgl. Abb. 41). Im äußeren Entwicklungsraum sollen gezielte Förderprogramme zur Erhaltung industrieller Kerne und zur Entwicklung innovativer Zentren eingesetzt werden, wobei der Niederlausitz als Bergbaugebiet besondere Förderung zugute kommen soll. Der Schutz großer ländlicher Gebiete
Brandenburgs als Natur-, Erholungs- und Kulturlandschaften zur Erhaltung und Erhöhung der Standortqualität des Gesamt-Planungsraumes Brandenburg-Berlin ist ein weiteres Ziel sowohl auf groß- als auch auf kleinräumiger Planungsebene.
11.1.2
Zentren i. S. d. Zentrale-Orte-Konzeptes
Grundlage des künftigen polyzentrischen Planungskonzeptes bilden die 40-100 km ringförmig um Berlin angeordneten Ober- und Mittelzentren, die Regionalen Entwicklungszentren des Städtekranzes (vgl. Abb. 39). Namentlich sind es die Städte Brandenburg
(Havel), Luckenwalde/Jüterbog, Cottbus, Frankfurt (Oder), Eberswalde und Neuruppin.
Sie sollen als Zentren mehrere Funktionen erfüllen. An Aufgaben gehören dazu die Ansiedlung von Unternehmen zur „Stärkung der Wirtschaftskraft, um als Entlastungsstandorte übergroßer Verdichtung im Großraum Berlin entgegenzuwirken“, die Ausstrahlung
von Entwicklungsimpulsen in die unmittelbare Umgebung94 „zur Vermeidung weiterer
Abwanderung aus den ländlichen Räumen“ und die „Entfaltung von Außenwirkung zu
außerhalb des Städtekranzes gelegenen Zentren und Wirtschaftsräumen“95.
Um diese Zielsetzung zu erreichen, sind gezielte Förderprogramme sowohl zum Ausbau
der Infrastruktur96 als auch zur Konzentration von Entwicklungen in diesen Zentren ein92
tier93
94
95
96
Bundesministerium f. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Raumordnungspolitischer Orienungsrahmen. Leitbilder für die räumliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, 1993
vgl. dazu auch: Senatsverw. f. Stadtentw. u. Umweltschutz, Ref. Öffentlichkeitsarbeit, Räumliche
Entwicklung in der Region Berlin - Planungsgrundlagen, 1993, S. 34-39
Zu solchen Impulsen können sog. pull-Faktoren und auch kleinräumig sog. trickle-down -Effekte
gezählt werden.
SAUPE, Die Spezifik der Aufgabe - Leitbilder. In: SCHERF/VIEHRIG (Hrsg.), Berlin und Brandenburg, 1995, S. 374
v.a. Städteschnellverkehr nach Berlin, ein überregionales Beispiel ist der umstrittene Bau der Transrapidstrecke, vorerst nur zwischen Hamburg und Berlin
zusetzen. Darüber hinaus werden im Leitbild der dezentralen Konzentration weitere im
Land peripher gelegene räumliche Entwicklungsschwerpunkte ausgewiesen (vgl. dazu
Abb. 38 u. 39), die durch eine regional und lokal zu unterscheidenende Abstufung von
Höchstfördersätzen bei der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit Bezug auf die wirtschaftsnahe Infrastruktur und der gewerblichen
Wirtschaft „die Verwirklichung des Konzepts der dezentralen Konzentration unterstützt
werden“97.
11.2
Verflechtungsbereich Berlin-Brandenburg
Schon ein Blick auf eine thematische oder auch physische Karte zeigt, daß die Entwicklung von Berlin und Brandenburg nicht getrennt voneinander erfolgen kann.
Betrachtet man das Dichtegefälle98 zwischen dem Regionskern Berlin, dem Teilraum
Brandenburg als Umland im engeren Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg und dem
äußeren Entwicklungsraum Brandenburgs, so stellt Berlin eine Größe dar, deren Einfluß
weit über die Stadtgrenzen hinaus reicht.
Das durch historisch bedingte Ursachen in Berlin konzentrierte Industriepotential hat
nationale und internationale Bedeutung, und ein Großteil der Wirtschaftsunternehmen
Brandenburgs ist im Umland von Berlin angesiedelt. Mit der Beseitigung der Grenzen
innerhalb Deutschlands und auch der Bildung des unionistischen europäischen Wirtschaftsraumes können die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen Berlin und
seinem Umland (re)aktiviert werden; die Entscheidung des Deutschen Bundestages, Berlin wieder die Hauptstadtfunktion zu übertragen, erhöht lokal, überregional und global
den wirtschaftlichen und kulturellen Stellenwert dieser Stadt99. Es besteht Übereinstimmung darin, daß bei der Gestaltung der Region Berlin sowohl die Interessen der Hauptstadt als auch die der Städte und Gemeinden des Umlandes berücksichtigt werden müssen.
Die Verteilung der Siedlungen, Verkehrswege, Industrieanlagen u.ä. des Bundeslandes
Brandenburg ist ebenfalls das Ergebnis eines historischen Prozesses. In der Raum- und
Siedlungsstruktur spiegelt sich dabei in besonderem Maße die Entwicklung nach 1945
wider. Die Besonderheiten der Raumentwicklung in Brandenburg lassen sich auch hier
bei isolierter Betrachtung nicht vollständig erfassen. In der Verteilung der Bevölkerung
des Bundeslandes Brandenburg zeigen sich Merkmale, in denen sich die neuen Länder
auffällig von denen der alten Bundesrepublik unterscheiden100.
97
98
vgl. SAUPE, a.a.O., S. 376
vgl. SCHERF, Schlußbemerkungen [zu: SCHERF/VIEHRIG (Hrsg.) Berlin und Brandenburg, 1995, S.
393]
„Die Bevölkerungsdichtewerte zwischen den genannten drei strukturprägenden Teilräumen dieser
99
100
Großregion verhalten sich wie 37:2:1“
HOFFMANN, Brandenburg - Kleine Landeskunde, 1993, S. 86
ders., a.a.O., S. 83
Zum einen sind die ländlichen Regionen in der Mehrzahl dünner besiedelt und die Gemeinden auch meist kleiner. Zum anderen konzentriert sich die Bevölkerung stärker in
den Städten, so daß der Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Siedlungen
stärker ausgeprägt ist als in den alten Bundesländern. Desweiteren sind aufgrund fehlender oder einer geringen Zahl an Einrichtungen mit kommunalen Versorgungs- und/oder
Verwaltungsaufgaben für Gemeinde und Umland der wirtschaftlichen Stärkung ländlicher Gebiete Schranken gesetzt. Darüber hinaus sind die Übergänge von stark besiedelten zu offenen Räumen häufig klar abgegrenzt; Gebiete mit Verdichtungserscheinungen
heben sich in der Mehrzahl deutlicher von ihrem Umland ab als in den alten Bundesländern, was aber auch Ausdruck eines geringeren Zersiedlungsgrades der neuen Bundesländer ist.
In der zentralörtlichen Gliederung Brandenburgs sind die Mittelzentren noch einmal unterteilt. Damit werden Besonderheiten jener Siedlungen berücksichtigt, die im Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg liegen. Im Vergleich zu den übrigen Mittelzentren besitzen sie zumeist eine gute Verkehrsanbindung und gewisse Standortvorteile. Ihre Umlandfunktion ist jedoch eingeschränkt101.
12.
Schlußbemerkungen
Die räumlichen Entwicklungsbedingungen für eine ausgewogene Gestaltung des Raumes
und dessen Nutzung können unter marktwirtschaftlichen Bedingungen und der kommunalen Selbstverwaltung (im Gegensatz zur zentralstaatlichen Planung) durch eine gemeinsame -zwischen Berlin und Brandenburg gut aufeinander abgestimmte- Raumordnung, Umwelt-, Regional- und Landschaftsplanung „für die Gesamtheit der Region und
deren Teilräume in günstige Entwicklungsrichtungen gebracht werden“102.
Schwierigkeiten der Umsetzung des Leitkonzeptes bereitet auch die über die anfangs
genannten sechs regionalen Entwicklungszentren hinaus geforderte größere Zahl von
Städten mit zentralörtlicher und regionaler Bedeutung. Die Realisierung der raumordnerisch geforderten Ziele ist deshalb stark von gesellschaftspolitischer und wirtschaftspolitischer Unterstützung und von Impulsen abhängig, die von Berlin ausgehen.
Die Entwicklungsziele und -bedingungen werden in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen und demographischen Wachstumsfaktoren und -prozessen zu den wichtigsten Einflußfaktoren der Raumentwicklung in der Region Berlin-Brandenburg, Deutschland und
Europa gehören, weil Ziele, Methoden und Instrumentarien der Raum- und Umweltplanung in Wechselwirkung Richtung, Ausmaß und Tempo der Raumentwicklung bestim-
101
102
HOFFMANN, a.a.O., S. 89
SCHERF, ebenda
men. Die weitere Verwirklichung raumordnerischer Leitlinien auf Grundlage der dezentralen Konzentration und der zentralörtlichen Theorie nach Christaller im Verflechtungsraum der Metropole Berlin und des sie umgebenden Umlandes ist eine Frage der Koordinations- und Kooperationsfähigkeit103 der Länder Berlin und Brandenburg.
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dies, 7, S. 239-251
tigung des Landesplanungsrechts.
Schätzl, L., 1993: Wirtschaftsgeographie 1 Theo-rie. 5. Aufl.
Abbildungsnachweise
(Teil A): Abb. Aa,Ab, Ba, Bb, Bc; Ca :
Schätzl,L., 1993: Wirtschaftsgeographie 1.
Theorie, S. 70 (Abb. 2.15 und 2.16); S. 72
(Abb. 2.17 a-c);S. 74 (Abb. 2.18)
Abb. Cb :
Carter, H. / Vetter, F., 1980: Einführung
in die Stadtgeographie, S. 117
Abb. Cc :
Leser, H. (Hrsg.),1997: Wörterbuch Allgemeinen Geographie, s.v. „Christaller´sches
Modell“, S. 123
Abb. Da, Db :
Köck, H.-H. (Hrsg.), 1992, Städte und
Städtesysteme (= Handbuch des Geographieunterrichts, Bd.4), S. 200; 206
(Teil B): Abb. 1; 5; 7a-b; 10-15; 18-21 :
Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), 1982: Grundriss der
Raumordnung; (1) S. 355; (5) S. 110-111;
(7a-b) S. 251-254; (10) S. 238; (11) S. 121;
(12) S. 255; (13) S. 97-98; (14) S. 575; (15)
S. 120; (18) S.264; (19) S. 257; (20) S. 352;
(21) S. 362
Abb. 9; 26a-d; 27-35; 39-41 :
Scherf, K. / Viehrig, H. (Hrsg.), 1995: Ber-
lin und Brandenburg [Perthes Länderpro-file]; (9) S. 96; (26 a/b) S. 25/26, (26 c/d)
S.30/31; (27) S.204; (28) S.378; (29) S. 380;
(30) S. 305; (31) S. 379; (32) S. 337; (33)
S. 338; (34) S. 381; (35) S. 21; (39) S.384/
385; (40) S. 309; (41) S. 375
Abb. 22-25 :
Ganser, K.,1985: Beiträge zur Zentralitätsforschung. In: Münchener Hefte, H. 34;
(22) S. 113; (23) S. 114; (24) S. 116; (25)
S. 122-123
Abb. 3; 4; 8 :
Boesler, K.-A., 1982: Raumordnung; (3)
S. 48/49 ; (4) S. 116; (8) S. 120
Abb. 36-38 :
Hoffmann, R., 1993: Brandenburg. Kleine
Landeskunde; (36) S. 80; (37) S. 87; (38)
S. 85
Abb. 2; 16a-c :
Kluczka, G., 1980: Grundlagen, Entwicklung und Probleme der Raumordnung. In:
GR 32, H. 4, S. 140-145; (2) S. 141; (16a-c)
S. 144
Abb. 6 :
Heinritz, G., 1979: Zentralität und zentrale
Orte; (6) S. 55
Abb. 17 :
Leser, H. (Hrsg.), 1997: [ s.o.]; (17) S. 123
GLIEDERUNG
Definition: Raumordnung
3
1.
Zur Theorie der zentralen Orte (nach Walter Christaller)
4
2.
Zentrale Orte und Zentralität
4-5
3.
2.1
Bedeutungsüberschuß
4
2.2
„Absoluter“ und „relativer“ Zentralitätsbegriff
4-5
Annahmen und Voraussetzungen zur Theorie
3.1
Homogenität des Raumes
3.2
Gewinn- und Nutzungsmaximierungsprinzip
5-6
5
5-6
4.
3.3
Wirtschafts-/ Marktform
6
3.4
Spezialisierungsausschluß und Minimierungsprinzip
6
Herleitung des Systems der zentralen Orte
6-7
4.1
Marktgebiet des Anbieters / Innere Reichweite
6-7
4.2
Distanzbereich des Konsumenten / Äußere Reichweite
7
5.
Entstehung hexagonaler Marktgebiete
7-8
6.
Reichweiten und Zentralität
8-9
6.1
Güter des episodischen Bedarfs
8
6.2
Güter des periodischen Bedarfs
8 -9
6.3
Güter des täglichen Bedarfs
9
7.
Hierarchisches Modell des Systems der zentralen Orte
9
8.
Zur Geschichte der Raumordnung
10 - 15
9.
10.
11.
8.1
Raumordnung in der Bundesrepublik
10 - 12
8.2
Territorialplanung in der DDR
12 - 13
8.3
Raumordnung zur Zeit der Wende
13 - 15
Grundlagen siedlungsstruktureller Konzeptionen
15 - 18
9.1
Siedlungselemente und Planungsebenen
15 - 16
9.2
Orientierungskriterien
16
9.3
Formale Gestaltungsmittel in der Raumordnung
16 - 17
9.4
Infrastrukturelle Kriterien zentralörtlicher Bedeutung
17 - 18
Die zentralen Orte im raumordnerischen Planungskonzept
18 - 22
10.1
Die konkrete Planung durch MKRO und BROP
18 - 19
10.2
Die politische Kontroverse
19 - 20
10.3
Die MKRO und das Zentrale-Orte-Konzept
20 - 21
10.4
Das BROP und das Zentrale-Orte-Konzept
21 - 22
Raumplanung in Berlin und Brandenburg
11.1
11.2
12.
Zum Leitbild und Konzept der regionalen Planung
22 - 26
23 - 24
11.1.1 Dezentrale Konzentration als Leitbild
24
11.1.2 Zentren i. S. d. Zentrale-Orte-Konzeptes
24 - 25
Verflechtungsbereich Berlin-Brandenburg
25 - 26
Schlußbemerkungen
26
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise
Abbildungen
I
II
Anhang:
B
Teil A u.
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