Grenzen überschreiten in der Parodontologie

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Grenzen überschreiten in der Parodontologie
Frühjahrstagung 2016 der DG-PARO zusammen mit der ÖGP
ZÄ Annika Kroeger
Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Zentrum
für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Welschnonnenstraße 17, 53111 Bonn
[email protected]
In Kooperation mit der österreichischen Gesellschaft für Parodontologie (ÖGP) fand
am 19. und 20.Februar 2016 in Salzburg die Frühjahrstagung der Deutschen
Gesellschaft für Parodontologie statt. Die Konferenzräume des Wyndham Grand
Hotels waren am Samstag von 248 Teilnehmern gut besucht.
Die Workshops
Bereits am Freitagnachmittag wurden Grenzen in der Parodontologie überschritten:
Das Programm begann mit drei Workshops, die von Industriepartnern unterstützt
wurden. Herr PD Dr. Kebschull (Bonn) thematisierte die Problematik der Parodontitis
bei Furkationsbefall und stellte zahnerhaltende Operationen als Therapievorschlag
vor (OralB®). Prof. Dr. Dr. h.c. Jentsch (Leipzig; Abb. 3) referierte zum Thema
‚Professionelles Management von paropathogenen Keimen‘ (PerioChip ®). Ein
weiterer Workshop beschäftigte sich mit der Aggressiven Parodontitis: PD Dr.
Kapferer-Seebacher (Innsbruck; Abb. 4) bearbeitete das Thema ‚Parodontitis! Eine
Erbkrankheit?‘ und PD Dr. Graetz (Kiel; Abb. 5) referierte unter dem Titel
‚Aggressive Parodontitis und Langzeiterfolg! Ein Unding?‘ über die klinische
Bewältigung dieser Form von Parodontitis (CP GABA®).
Preise und Forschungsförderung
Im Rahmen dieses Workshops wurden auch die DG PARO/CP GABAForschungsförderungen 2015 vergeben. Jeweils € 10.000 gingen an Prof. Dr.
Thomas Kocher und Dr. Manuela Gesell Salazar, Universität Greifswald für das
Projekt „Beyond proteomics - Gaining insight into the functional activity of the oral
microbiome in periodontal disease” sowie PD Dr. Arne Schäfer, Charité Berlin für
das Projekt In welchem Umfang beruht die parodontale Entzündung auf
Unterschieden genspezifischer Methylierungsmuster? Ferner wurden die DG PARO
meridol® Preise 2015 verliehen. In der Kategorie Grundlagenforschung ging der mit
€ 2.000 dotierte 1. Preis an PD Dr. Arne Schäfer, Charité Berlin für die Arbeit „A.
Schäfer, G. Bochonek, A. Jochens, D. Ellinghaus, H. Dommisch, E. GüzekdenurAkcakant, C. Grätz, I. Harks, Y. Jockel-Schneider, K. Weinspach, J. Meyle, P.
Eickholz, G. Linden, N. Cine, et al.: Genetic evidence for plasminogen as a shared
genetic risk factor of coronary artery disease and periodontitis“. Der 2. Mit € 1.000
dotierte Platz ging an PD Dr. Moritz Kebschull, Universität Bonn für die Publikation
„M. Kebschull, R.T. Demmer, B. Grün, P. Guarnieri, P. Pavlidis, P.N. Papapanou:
Gingival tissue transcriptomes identify distinct periodontitis phenotypes”. In der
Kategorie Klinische Forschung wurden Frau Dr. Yvonne Jockel-Schneider,
Universität Würzburg für die Publikation „Y. Jockel-Schneider, I. Harks, I. Haubitz, S.
Fickl, M. Eigenthaler, U. Schlagenhauf, J. Baulmann: Aterial stiffness and pulse
wave reflection are increased in patients suffering from severe periodontitis“ mit dem
1. Preis und Frau PD Dr. Pia-Merete Jervoe-Storm, Universität Bonn für die Arbeit
„PM Jervoe-Storm, S. Jepsen, P. Jöhren, R. Mericske-Stern, N. Enkling: Internal
bacterial colonization of implants: association with peri-implant bone loss“ mit dem 2.
Preis ausgezeichnet (Abb. 6).
Samstags führten Vertreter des Junior Committees der DG PARO und der ÖGP
Youngsters durch das wissenschaftliche Hauptprogramm. In den Pausen, in denen
für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt wurde, stellten diverse Industriepartner
ihre neuesten Produkte vor.
Plastische Parodontalchirurgie – Bindegewebe oder Alternativen
Bindegewebe aus der Retorte
Der Referent Prof. Dr. Sanz, Universität Complutense, Madrid, Spanien,
thematisierte in seinem Vortrag plastisch-ästhetische Operationsmethoden bei
gingivalen Rezessionen. Zunächst betonte er, dass es kein Allgemeinrezept für die
Deckung von gingivalen Rezessionen gibt, sondern die Therapieoptionen vielfältig
seien. Die Entscheidung, welche die Richtige sei, sei abhängig von vielen Faktoren:
Beschaffenheit des gingivalen Gewebes des Patienten – die Biotypen sind hierbei zu
berücksichtigen, die Art der Läsion – lokalisierte oder generalisierte Bereiche, Grund
der Läsion – parodontal geschädigt oder resultierend aus traumatischen
Einwirkungen (wie falsche Zahnputztechniken, Zahnfehlstellungen, Fremdkörper wie
Piercings oder iatrogene Pathologien), und letztendlich auch der Wunsch des
Patienten. Auch Therapieziele seien zu differenzieren, da eine hundertprozentige
Wurzeldeckung nicht immer möglich ist – insbesondere bei Rezessionen der MillerKlasse IV. Jedoch stellen sowohl Bindegewebstransplantate als auch
Kollagenmembranen suffiziente und anerkannte Methoden dar. Der Vorteil bei
diesen seien aber - bei gleichem Ergebnis - geringere Morbidität und Komplikationen
nach der Operation, da die Entnahme eines Transplantates und somit die Eröffnung
eines zweiten Operationsfeldes entfällt, ein höherer Patientenkomfort und daraus
resultierend eine höhere Zufriedenheit.
BGT old school? Oder immer noch aktuell?
Einführend erläutert PD Dr. Wimmer, Medizinische Universität Graz, Österreich, die
historische Entwicklung parodontal-ästhetischer Operationen und die verwendeten
Ersatzmaterialien. Nach dem freien Schleimhauttransplantat, welcher ästhetische
Einschränkungen nach sich ziehe, war der koronale Verschiebelappen lange ‚Gold
Standard‘ der chirurgischen Wurzeldeckung. Wenn nun zusätzlich noch
Transplantate nötig seien, so gäbe es die Möglichkeiten von autologen Materialien
(subepitheliales/deepithelialisiertes Bindegewebe) oder allogene Ersatzmaterialien
(e.g. Kollagenmembranen). Um Vor- und Nachteile der Alternativen zu eruieren
unterscheidet Dr. Wimmer Parameter, die sich auf die Therapie auswirken –
Wurzeldeckung, Breite der keratinisierten Gingiva, Attachement zur Wurzel,
Vestibulumtiefe, und welche, die sich auf den Patienten beziehen – Ästhetik,
Komfort, Kosten und Langzeiterfolg. In verschiedenen Studien, welche vorgestellt
wurden, erziele das autogene Transplantat bessere Ergebnisse: höherer Gewinn an
keratinisierter Gingiva, höhere Deckung multipler Rezessionen und bessere
ästhetischer Resultate. Lediglich der gesteigerte Komfort des Patienten durch
geringere Operationszeit und der Wegfall eines Operationsfeldes ist für Herrn Dr.
Wimmer ein Argument für allogene Ersatzmaterialien. Jedoch überzeuge das
bewährte Bindegewebstransplantat bei den anderen genannten Parametern und
bleibe somit noch immer Mittel der Wahl.
Attachmentgewinn beim Parodontitis-Patienten
Attachmentgewinn durch Chirurgie – Regenerative Therapie in Grenzfällen
‚Die Komplexität eines Patientenfalles ist Resultat interdisziplinärer Aspekte ‘, so
Prof. Dr. Tonetti (Genua, Italien), Editor des ‚Journal of Clinical Periodontology‘. Es
stelle sich die Frage, was überhaupt als Grenzfall definiert wird. Schwierig wird die
Koordination verschiedener Fachbereiche, die sich auf eine Parodontitiserkrankung
und die Erhaltungswürdigkeit der Zähne auswirken, und somit allesamt in der
Befundung und Diagnostik abgedeckt werden müssen: Parodontologie mit
Attachmentverlust, Endodontie mit dem Zustand der Pulpa und die funktionale
Situation mit sekundären okklusalen Traumata. Darüber hinaus seien
patientenindividuelle Umstände nicht zu verachten – wie zum Beispiel das
Vorhandensein einer vollständigen Zahnreihe. Hier könne eine Extraktion einen
Dominoeffekt mit erheblichen Auswirkungen auslösen. Zusammenfassend sei also
zu sagen, dass nicht jeder als hoffnungslos eingestufte Zahn tatsächlich auch
entfernt werden muss, sondern neben interdisziplinärer Kompetenz des Behandlers
ebenso seine operative Technik die Prognose eines Zahnes bestimmt. Wirkliche
Grenzfälle, so Prof. Dr. Tonetti, sind parodontale Läsionen, die bereits den Apex
erreichen. ‚Jeder dieser Fälle bleibt ein kalkuliertes Risiko.‘
Attachmentgewinn durch Bewegung – was ist möglich im parodontal
geschädigtem Gebiss?
Dr. Göllner leitet als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie eine private Praxis in Bern,
Schweiz. In seinem Vortrag stellte er zahlreiche seiner Patientenfälle vor und
demonstrierte die vielfältige Reaktion des parodontalen Gewebes auf
kieferorthopädische Maßnahmen. Zunächst thematisierte er die kieferorthopädische
Behandlung parodontal geschädigter Gebisssituationen und deren Therapieerfolg
und stellte den Ansatz Zahnimplantate zur Zahnbewegung zu nutzen vor. Alternativ
zur Lückenversorgung mittels Implantaten zeigte er Fälle, welche kieferorthopädisch
geschlossen wurden und die Form der Zähne mittels Präparation und
Kompositaufbauten verändert wurde. Auch reine Gingivektomien bei
Ginigivawucherungen führe er regelmäßig durch und verhelfe so durch einen
minimalinvasiven Eingriff dem Patienten zu einem neuen Erscheinungsbild.
Weitreichend diskutierte er abschließend die altersbedingten Veränderungen des
Gesichtsprofils und auch die Zahnbewegung. Somit warf er einen kritischen Blick auf
die häufige oft frühzeitige Versorgung mit Implantaten insbesondere im sichtbaren
Zahnbereich, da auch Erwachsene im Verlauf des Alters eine drastische Änderung
erfahren und Langzeiterfolge in der Ästhetik umstritten seien.
Implantate und kein Knochen
Maßgeschneiderte allogene Transplantate – schöne neue Welt?
Das Prinzip des CAD/CAM Verfahrens wollte Herr Dr. Beuer, Fachzahnarzt der
Oralchirurgie in einer privaten Praxis in Landshut, auch für sich gewinnen. Die Idee
sei ein präoperativ angepasstes allogenes Knochentransplantat um
Operationszeiten zu verringern, bessere Passung und damit bessere Heilung zu
erzielen und den Patientenkomfort zu erhöhen. Das Vorgehen hierbei starte mit der
Anfertigung eines DVTs des zu augmentierenden Bereichs. Anhand dieser Daten,
welche dem Therapeuten in Form eines 3D-PDFs zur Verfügung stehen, könne ein
perfekt passendes Transplantat gefräst werden. Neben zahlreichen Vorteilen wie
keine Morbidität am Donorbereich, besserer Passung, geringerer Operationszeit,
äquivalente Komplikationsraten von allogener und autologer
Knochenaufbaumaterialien seien jedoch auch Nachteile zu nennen: Fremdmaterial
im Körper, hohe Kosten und der Dateityp stellt den Behandler vor neue
Herausforderungen. Insgesamt sei das Konzept noch nicht ausgereift aber verspricht
eine Erleichterung für Patienten und Behandler.
Kurze Implantate – der bessere Ansatz?
Das umstrittene Thema des Kurzimplantats diskutierte PD Ass. Prof. Dr. Pommer,
Universitätsklinik Wien, Österreich, in seinem Vortrag, unterstützt von vielen
Patientenbeispielen. Der Vorteil eines Kurzimplantats sei die Vermeidung eines
eventuell alternativ notwenigen Sinuslifts, der einen weiteren Eingriff bedeutet und
die Dauer bis zur endgültigen Versorgung stark verlängert. Jedoch sei die Eignung
eines solchen Implantats immer patientenindividuell abzuschätzen. Ein Sinuslift
oder alternative prothetische Arbeiten sollten dabei immer in Betracht gezogen
werden. Summa Summarum gelte im Allgemeinen, dass die
Eigenschaftenkombination von geringer Länge und kleinem Durchmesser
kontraproduktiv für den Langzeiterhalt eines Implantates ist. Dies spiegele sich auch
in Studien wider – aus diesen gehen signifikant geringere Überlebensraten dieser
Implantatart hervor.
Grenzen des Zahnerhaltes
Wenn schon Zähne fehlen. Lückengebiss und Parodontitis: Wege aus der
Sackgasse
Prof. Dr. Wachtel, private Praxis in München, gab einige Ratschläge und
Therapievorschläge aus seiner langjährigen Berufserfahrung den Zuhörer an die
Hand, wie man mit parodontal vorgeschädigten Gebisses mit Lückensituationen
umgehen kann. Eine Versorgungsform biete dabei das Implantat. Jedoch sei dies
keine universelle Lösung, insbesondere da die Prävalenz an einer Periimplantitis zu
erkranken extrem hoch sei und man noch nicht wisse, wie man mit entzündeten
Implantaten umgehen soll. Auch eine nicht chirurgische Therapie soll insbesondere
bei vermeidlich hoffnungslosen Zähnen in Betracht gezogen werden. Elementar sei
der Versuch des Erhalts einer geschlossenen Zahnreihe um einen Dominoeffekt zu
umgehen. Auch die Brückenversorgung stelle eine berechtigte Alternative dar, wobei
man die fast 16-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit des Zahnverlusts gegenüber eines
gesunden Zahnes berücksichtigen sollte. Als abschließende Möglichkeit stellt Prof.
Dr. Wachtel das ‚stable base concept‘ vor. Hierbei sei die Lücke durch eine rein
gingival getragene Prothese geschlossen. Verankerungen an den Zähnen dienen
lediglich zur Vermeidung des Abziehens der Prothese. Grundvoraussetzung des
Erfolgs dieser Arbeit sei eine extrem genaue Abformung der Schleimhautsituation.
Aggressive Parodontitis! Langfristiger Zahnverlust garantiert?
Allgemeinanamnestisch gesunde Patienten, familiäre Disposition und rasch
fortschreitender Attachmentverlust seien die bereits bekannten Anzeichen einer
aggressiven Parodontitis. Erste Hinweise jedoch seien bereits im Milchzahn- oder
Wechselgebiss zu erkennen, so PD Dr. Graetz, Universität Kiel. Grundlegend für
eine positive Langzeitprognose sei eine sehr gute Diagnostik. Je früher die Diagnose
der Aggressiven Parodontitis gestellt werden könne, desto bessere Aussicht habe
der Patient. Darauffolgend sei der Erfolg abhängig von der Compliance des
Patienten. Regelmäßige engmaschige Nachsorge unterstütze eine Stabilität der
Situation. Wenn all diese Grundsätze konsequent eingehalten werden, der Patient
durch adäquate Aufklärung seiner Situation bewusst sei und mitarbeite, könne die
Zahnverlustrate der aggressiven die der chronischen Parodontitis angepasst werden
– etwa ein Zahn alle zehn Jahre.
Die Frühjahrstagung war ein sehr gelungenes Beispiel für die Zusammenarbeit von
ÖGP und DG PARO. Getreu dem Motto dieser Veranstaltung wurde das Ziel
Grenzen zu überschreiten in verschiedener Hinsicht erreicht, sowohl Ländergrenzen
durch internationale Referenten und Teilnehmer – unter anderem aus Deutschland,
Österreich, der Schweiz, Italien und den Niederlanden, als auch Altersgrenzen
zwischen Jung und Alt durch die aktive Präsenz des DG PARO-Junior Committees
sowie der ÖGP Youngsters und disziplinäre Grenzen durch Beiträge aus den
Fachbereichen Kieferorthopädie, Implantattherapie und Parodontologie. Die nächste
Frühjahrstagung der DG PARO sollte man sich schon vormerken: Sie wird am 10.
und 11.03.2017 dann wieder in Frankfurt am Main stattfinden.
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