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Arbeitsstelle Bertolt Brecht (ABB)
am Institut für Literaturwissenschaft
Leiter: Prof. Dr. Jan Knopf
KIT-Campus Süd | Kollegium am Schloss, Bau II (20.12), Engesserstraße | Postfach 6980 | 76049 Karlsruhe
Karlsruhe, Samstag, 14. Mai 2016
Unverbindliche Stellungnahme zur Aufführung von Furcht und Elend des III. Reiches von
Bertolt Brecht im Max-Planck-Gymnasium, Karlsruhe-Rüppurr (Regie: Birgit Voigt), mündlich im Anschluss an die Vorstellung vom 15.02.2014 ähnlich vor den Darstellern/Innen
geäußert (hier: erweitert).
Die Aufführung hat (zunächst) gezeigt, dass es sich offenbar immer noch und wieder
lohnt, Brecht zu spielen, vor allem ein Stück – bzw. hier ein Zyklus von Kleindramen –, das
zwar aktualisierende Nachfolge gefunden hat (z. B. durch Kroetz mit Furcht und Hoffnung
der BRD), das aber wenig gespielt wird und noch weniger bekannt ist (der Titel wird vom
Verlag, s.o. immer noch falsch angegeben – ihr habt also keine >Schuld<! –; denn der Begriff »Drittes Reich« kann, da ihn die Polit-Gangster für sich selber reklamiert haben, nicht
mehr >wertfrei< verwendet werden; deshalb besser die sachliche Zählung). Damit habt ihr
ein für Brecht (im allgemeinen Bewusstsein) untypisches Stück gewählt, das sowohl inhaltlich (das heißt: politisch) brisant als auch künstlerisch (das heißt: ästhetisch und darstellerisch) herausfordernd ist, weil es sich nicht nach einem theoretischen Schema inszenieren
und spielen lässt und schon gar nicht mit Brechts Verfremdungstheorie (die wir gleich wieder vergessen).
Für den Themenbereich ist wichtig, wenn ich darauf verweise, dass mit der Szene Die jüdische Frau ein nicht nur für Brecht, sondern auch in der Weltliteratur ungewöhnliches
Psychogramm einer Frau vorliegt, die eine scheinbar völlig unspektakuläre >Lösung< für
ein existenzielles und zugleich für ein ihre Persönlichkeit sowie ihr Gefühlsleben erschütterndes Problem findet. Hervorzuheben ist die Art und Weise, wie sie ihren Abschied reKarlsruher Institut für Technologie (KIT)
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gelrecht inszeniert und das Verhalten ihres Partners vorab ins Kalkül einbezieht; dies stellt
ein grandioses Beispiel dar für ein humane Teilnahme forderndes Theater, das weder tränenselig noch mitleidsheischend ist, dennoch aber durchaus erschüttert, weil es die Folgen scheinbar nur oberflächlicher Änderungen im menschlichen Zusammenleben und seiner Verhaltensmuster eindringlich in ihren menschlichen Abgründen (die oft nur banale,
aber bösartige Anpassungen sind) offenlegt.
Mein Hinweis – dies als kleiner Exkurs –, dass Brecht sich dadurch auszeichne, starke
und selbstbewusste Frauen zu gestalten, wurde mit dem Einwand »Anna« mit Recht in
Zweifel gezogen bzw. relativiert. Mal ganz abgesehen davon, dass die Anna (das Dienstmädchen aus dem Kreidekreuz) so ganz doof denn auch nicht ist – sie durchschaut ihren
Theo schon, blickt aber politisch (noch) nicht durch –, ist es auch eine Kunst, doofe >Weiber< so auf die Bühne zu bringen, dass sie also solche erkannt werden können (und doch
ein Rest Zweifel bleibt).
Diese Befunde gelten auch weitgehend für das gesamte Stück, insofern es in scheinbar
banalen Alltagsbegegnungen unerbittlich die menschlichen Schädigungen und Verletzungen durch den politischen Terror heraustreibt, die weitgehend noch nicht mit Blut einher
kommen und dennoch Ausdruck höchster Gewaltanwendung sind (was viele Leute nicht
kapieren), tiefgreifende Defekte, die das alltägliche Leben verpesten und erlitten werden
müssen, auch wenn noch keine äußeren Verletzungen erkennbar sind. Es sind existenzielle Folgen politischer Unterdrückung, vor allem dann, wenn sich die Menschen ihr – aus
welchen Gründen auch immer – bloß anzupassen scheinen, also >schuldlos< erscheinen
(und sich so fühlen), aber schon ganz in den Gewaltzusammenhang verstrickt sind. Misstrauen, Hinterhältigkeit, Ausweglosigkeit sind dann nur die harmlosen Symptome des tatsächlichen Terrors.
Die Inszenierung und euer Spiel hat eben dies so umgesetzt, dass nicht nur ich den Eindruck hatte, sondern es beim Publikum entsprechend ankam. Ich habe hervorgehoben,
dass trotz der fast gleichen Gewandung (es kam der Einwand, alle hätten ein Einheitskostüm angehabt, was insgesamt auch der Fall war, aber doch durch einige Varianten auffiel),
die auf die Gleichmacherei des III. Reichs gezielt war, jede und jeder von euch die gegebene Individualität sowohl im Aussehen als auch im Spiel (zu der auch das Sprechen ge-
hörte) so bewahrt haben, dass ihr als Persönlichkeiten kenntlich geblieben seid und also
durch euer Spiel die geforderte Unterwerfung nicht vollzogen habt, vielmehr durch euer
Spiel das Widerständige, den Zorn über das Unrecht, aber auch das Unverständnis
(Rechtsfindung) über solche Verbiegungen von Menschenrecht (und damit verbunden von
Menschen) zum Ausdruck brachtet, was ich für eine sehr beachtliche Leistung halte.
Die Chöre waren sprachlich so gut eingeübt und vorgetragen, dass (fast) jedes Wort verständlich war (was fürs Theater sehr wichtig ist); die Lieder waren überzeugend intoniert,
das Lied der Moorsoldaten war als Rahmen gut platziert und für die gesamte Deutung eures Spiels prägend und überzeugend.
Ich hatte noch auf die unmögliche Kritik in den BNN hingewiesen, wobei ich mich frage,
wie ein solcher Unsinn durchgehen kann (ich bin jetzt auch für die Abschaffung der dritten
Wand – also lasst in Zukunft das Spiel nach hinten raus – oder so). Beweis ist sie allerdings dafür, dass bei Brecht immer noch das Bedürfnis besteht, ihm über die Theorie beizukommen. Euer Spiel hat dagegen bewiesen, dass der Zugang übers praktische Spiel
der beste ist, was sich sofort auch darin umsetzt, dass die Freude, mit der ihr angetreten
seid, sich auch in der Aufführung umgesetzt und entsprechend beim Publikum gewirkt hat.
Weiter so!
P.S.: Und hoffentlich sieht der Verlag das auch so.
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