Europa Konkret Treffpunkt Europa Veränderungen in Sofia nach dem EU-Beitritt Sprecher: Seit neuestem gibt es an den Straßenbahnhaltestellen in der bulgarischen Hauptstadt Sofia nicht nur wieder Kästen, in denen der Linienweg verzeichnet ist, sondern auch elektronische Säulen, die die Ankunftszeit der einzelnen Bahnen in Minuten angibt. Die Zahl der Pkws hat sich in den letzten zehn Jahren allein in Sofia vervierfacht auf über eine Million registrierte Fahrzeuge. Doch es sind nicht mehr Gebraucht-, sondern immer mehr Neuwagen, die über die mit Eurogeldern renovierten Straßen Bulgariens rollen. Über die vielen Veränderungen ist auch Daniel Kraft überrascht. Er arbeitet bei der Bundeszentrale für politische Bildung und war kürzlich mit einer Gruppe von Medienvertretern auf einer Studienreise in Rumänien und Bulgarien zu Besuch. Daniel Kraft: Für uns als diese Reisegruppe, die aus Rumänien nach Bulgarien gekommen ist, war jetzt gerade Sofia eine unheimlich tolle Erfahrung. Wir waren vorher in Bukarest, in Bukarest ist der Verkehr zusammengebrochen, es war unglaublich hektisch, ein totales Chaos, und wir kamen dann nach Sofia und hatten das Gefühl, es ist eigentlich so eine Art Naherholungsoder Luftkurort. Diese Überschaubarkeit, dieses aus unserer Perspektive Aufgeräumte. Und es hat sich natürlich unheimlich viel getan hier in Sofia. Es ist viel bunter geworden. Ich war selbst Anfang der neunziger Jahre schon mal hier in Sofia. Es ist fast nicht wiederzuerkennen gewesen. Unheimlich viel ist passiert, unheimlich viele neue Gebäude, unheimlich viel renoviert, man sieht viele Farben. Und trotzdem, so ist mein Eindruck, ist viel Altes positiv erhalten geblieben. Sprecher: Als Stellvertretende Ministerin für Europafragen begleitete Antoanetta Primatarova von Anfang an, also seit 1998, den Beitrittsprozess. Sie hat beobachtet, wie sich das strenge Monitoring seitens der Europäischen Kommission auf den Transformationsprozess in Bulgarien ausgewirkt hat. Antoanetta Primatarova: Die größten Probleme in Bulgarien, die es heute gibt, die hängen mit Politikbereichen zusammen, auf denen es keine europäischen Vorschriften gibt. Aus diesem Grunde wurden diese Bereiche zum Teil vernachlässigt. Zum Teil war das Bewusstsein da, dass diese Bereiche auch reformwürdig sind, aber da war es viel schwieriger, einen Konsensus zu erreichen, wie man das machen sollte, und da hat man am liebsten nichts gemacht. Eine Gemeinschaftsproduktion europäischer Rundfunkanstalten www.treffpunkteuropa.eu © Deutsche Welle Seite 1 von 2 Europa Konkret Treffpunkt Europa Sprecher: Es war auch so schon schwierig genug, die nötigen Reformen dort durchzusetzen, wo es unumgänglich war. Der Widerstand kam anfangs nicht nur aus den Kreisen der organisierten Kriminalität, die an internationaler Einflussnahme und der Schaffung einer rechtsstaatlichen Ordnung natürlich kein Interesse hatten, sondern auch von den einfachen Leuten, die so verarmt waren, dass jeder Versuch, unrentable Strukturen zu beseitigen, sie zunächst hart traf. Umso bemerkenswerter, dass laut einer Befragung, die Alpha Research seit zehn Jahren halbjährlich durchführt, die Zustimmung zum EU-Beitritt unter den Bulgaren immer über 80% lag. Dabei spielten nicht nur die Hoffnung auf die inzwischen eingetretene wirtschaftliche Sanierung eine Rolle, sondern auch die Hoffnung auf mehr innere Sicherheit, auf den Schutz der Bürgerrechte, der grundlegend ist für die Demokratisierung des Landes. Vladimir Zarev, ein Autor, der viel über die Folgen der Wende in Bulgarien geschrieben hat; unterstreicht in diesem Zusammenhang den vielleicht wichtigsten Effekt des EU-Beitritts seines Landes: Vladimir Zarev: Weggefallen ist das erniedrigende Gefühl, Bulgare zu sein. Wir haben unser Selbstbewusstsein wiedergefunden. Zwar sind die großen Probleme unseres Landes bedauerlicherweise noch nicht gelöst, wofür die Politiker eine große Schuld tragen. Doch die Menschen selbst haben das Gefühl, dass wir endlich dort sind, wo wir immer hingehörten, und zwar in Europa. Thomas Frahm Eine Gemeinschaftsproduktion europäischer Rundfunkanstalten www.treffpunkteuropa.eu © Deutsche Welle Seite 2 von 2