Kapitel 2 Java: Der Einstieg Im vorigen Kapitel haben wir die Syntax der Sprache Mini-Java kennengelernt. Bevor wir in Kapitel 3 ausführlich auf Syntax und Semantik der Programmiersprache Java eingehen werden, soll dieses Kapitel zunächst einige grundlegende Vorbemerkungen zu Java machen, sowie zu den beiden zugrundeliegenden Sprachkonzepten, der imperativen und der objektorientierten Programmierung. 2.1 2.1.1 Grundlegendes zu Java Historisches • 1990-1991: Entwicklung der Programmiersprache OAK durch James Gosling von Sun Microsystems (zunächst für Toaster, Mikrowellen etc.; unabhängig vom Chip, extrem zuverlässig) • Umbenennung in Java • 1995: α und β Release • von IBM, SGI, Oracle und Microsoft lizensiert 2.1.2 Eigenschaften von Java • durch den Bytecode (Zwischensprachencode) unabhängig von der Plattform • Syntax an C und C++ angelehnt • objektorientiert • streng typisiert • unterstützt parallele Abläufe (Nebenläufigkeit / Threads) 19 • Graphical User Interface (GUI) • netzwerkfähig • modularer Aufbau • Nachteil: Effizienz leidet (ca. 5–10mal langsamer als C und C++) Selbstständig laufende Anwendung Quellprogramm Java-Compiler ? Java-Bytecode auf dem Server Java-Interpreter ? Ablauf des Programms Applet Quellprogramm Java-Compiler ? Java-Bytecode auf dem Server Übertragung per Internet ? Bytecodes auf dem Rechner des Benutzers (Client) Java-Interpreter im Browser oder Applet-Viewer ? Ablauf des Programms Abbildung 2.1: Vom Quellprogramm zum Ablauf Abbildung 2.1 zeigt die notwendigen Schritte, um ein Java-Programm (selbstständig laufende Anwendung) bzw. ein Applet ablaufen zu lassen. Ein Applet ist eine in ein HTML-Dokument eingebettete Anwendung, die auf dem Rechner des Anwenders abläuft. Wir beschränken uns in diesem Skript auf selbstständig laufende Anwendungen. 2.1.3 Sicherheit • keine Pointerarithmetik wie in C 20 • Garbage Collection1 • Überprüfungen zur Laufzeit (Datentypen, Indizes, etc.) durch Mechanismen zur Verifizierung von Java-Bytecode bei der Übertragung • dennoch ist die (Netz-)Sicherheit umstritten 2.1.4 Erstellen eines Java-Programms 1. Quellprogramm erstellen: class Hello { public static void main(String[] args) { System.out.println("Hello World"); } } Dieses Programm besteht aus der Klasse Hello. Der Klassenname muss mit dem Dateinamen übereinstimmen, d.h. das oben gezeigte Programm muss in der Datei Hello.java abgelegt sein. Die Klasse Hello enthält eine Methode namens main. Ein Java-Programm muss eine main-Methode enthalten, denn die main-Methode wird bei der Interpretation aufgerufen. 2. Übersetzen eines Programms: > javac Hello.java liefert eine Datei Hello.class, die das Programm in Bytecode enthält. 3. Interpretation des Bytecodes: > java Hello 2.2 2.2.1 Grundzüge imperativer Sprachen Das Behältermodell der Variablen Imperative Programmierung geht aus vom Modell eines Speichers, aufgegliedert in einzelne Variablen, in denen Werte abgelegt werden können. Der Speicher bzw. die Variablen werden verändert durch Befehle bzw. Anweisungen, die selbst vom aktuellen Speicherinhalt abhängen. Ein typisches Beispiel ist die Anweisung x = y + z. 1 Ein Garbage Collector entfernt automatisch Objekte, Felder und Variablen, auf die keine Referenz mehr vorhanden ist, aus dem Speicher (siehe Arnold & Gosling [1], S. 12, Kapitel 1.6). 21 Sie bedeutet: Addiere die Variableninhalte von y und z und lege die Summe in der Variablen x ab. Während diese Semantikbeschreibung nun suggeriert, dass der einzige Effekt der Anweisung eine Änderung des Variableninhalts von x ist, ist in der Tat diese Vorstellung zu einfach: • nicht nur der Variableninhalt von x kann sich ändern, sondern auch der von y und z sowie aller möglicher anderer Variablen; • falls x ≡ y oder y ≡ z, dann ist dies unmittelbar einsichtig. Also ist “x = y + z” keine Gleichheit, die zwischen den Werten (Inhalten) von x, y und z gilt, und mittels der wir über Programme nachdenken und Beweise führen können. Das Prinzip der referential transparency“ (Werttreue), das in der ” funktionalen Programmierung gilt, ist in der imperativen verletzt. 2.2.2 Konsequenzen 1. Der Nachweis von Programmeigenschaften wird viel schwieriger, ebenso das Verstehen von Programmen. 2. Die Semantik eines Programms hängt von einem strikten Nacheinander der Ausführung der einzelnen Anweisungen ab. 3. Wiederverwendung von Programmteilen in anderem Kontext bedarf besonderer Vorsicht. 2.3 Klassen, Objekte und Methoden im Überblick Java-Programme werden aus Klassen aufgebaut. Aus einer Klassendefinition lassen sich beliebig viele Objekte erzeugen, die auch Instanzen genannt werden (vgl. Arnold & Gosling [1], Kapitel 1.6 und 1.7). Eine Klasse enthält folgende Bestandteile: • Objektvariablen (objektbezogene Datenfelder) • objektbezogene Methoden • Klassenvariablen (klassenbezogene Datenfelder) • klassenbezogene Methoden Datenfelder (Synonym: Attribute) enthalten den Zustand des Objektes oder der Klasse. Methoden sind Sammlungen von imperativ formulierten Anweisungen, die auf den Datenfeldern operieren, um deren Zustand zu ändern. 22 2.3.1 Klassen Beispiel der Deklaration einer einfachen Klasse: class Point { double x, y; } In der Klasse Point sind zwei Objektvariablen deklariert, die die x- und yKoordinate eines Punktes repräsentieren. double bedeutet, dass die Variablen vom Typ double2 sind. Bis jetzt gibt es noch kein Objekt vom Typ Point, nur einen “Plan”, wie ein solches Objekt aussehen wird. 2.3.2 Das Erzeugen von Objekten Objekte werden mit dem Schlüsselwort new erzeugt. Neu geschaffene Objekte bekommen innerhalb eines Bereiches des Speichers (welcher Heap genannt wird) einen Speicherplatz zugewiesen und werden dort abgelegt. Auf alle Objekte in Java wird über Objektreferenzen zugegriffen – jede Variable, die ein Objekt zu enthalten scheint, enthält tatsächlich eine Referenz auf dieses Objekt (bzw. auf deren Speicherplatz). Objektreferenzen haben den Wert null, wenn sie sich auf kein Objekt beziehen. Wir werden im folgenden Objekte und Objektreferenzen synonym verwenden, es sei denn, die Unterscheidung ist wichtig. Erzeugung und Initialisierung Point lowerLeft = new Point(); Point upperRight = new Point(); Wertzuweisung lowerLeft.x = 0.0; lowerLeft.y = 0.0; upperRight.x = 1280.0; upperRight.y = 1024.0; 2.3.3 Klassenvariablen class Point { double x, y; static Point origin = new Point(); } 2 Gleitkommazahlen 23 Wird eine Variable als static deklariert, so handelt es sich um eine Klassenvariable. Durch obige Deklaration gibt es genau eine Klassenvariable names Point.origin, egal ob und wie viele Point-Objekte erzeugt werden. Point.origin hat den Wert (0,0), weil dies die Voreinstellung für numerische Datenfelder ist, die nicht explizit auf einen anderen Wert initialisiert werden (das wird später noch genauer besprochen). Allerdings kann der Wert von Point.origin geändert werden. Ist dies nicht erwünscht, soll Point.origin also eine Konstante sein, so muss man den Modifizierer final benutzen. static final Point origin = new Point(); 2.3.4 Methoden Eine Methode ist eine Funktion bzw. Prozedur. Sie kann parameterlos sein oder Parameter haben. Sie kann einen Rückgabewert liefern oder als void deklariert sein, wenn sie keinen Wert zurückliefert. Methoden dürfen nicht geschachtelt werden. Innerhalb von Methoden dürfen lokale Variablen deklariert werden. class Point { double x, y; void clear() { x = 0.0; y = 0.0; } } Um eine Methode aufzurufen, gibt man ein Objekt und den Methodennamen, getrennt durch einen Punkt, an. lowerLeft.clear(); upperRight.clear(); Nun definieren wir eine Methode, die die Distanz zwischen dem Punkt, auf den sie angewendet wird und einem übergebenen Punkt p zurückgibt. (Math.sqrt() ist vordefiniert und liefert die Wurzel einer Zahl.) double distance(Point p) { double xdiff, ydiff; // Beispiel fuer lokale Variablen xdiff = x - p.x; ydiff = y - p.y; return Math.sqrt(xdiff*xdiff + ydiff*ydiff); } Aufruf: double d = lowerLeft.distance(upperRight); 24 2.3.5 Klassenbezogene Methoden Klassenbezogene Methoden werden durch das Schlüsselwort static deklariert, z.B. ist Math.sqrt() eine Klassenmethode der vordefinierten Klasse Math. “distance” als Klassenmethode static double distance(Point p1, Point p2) { double xdiff = p1.x - p2.x; double ydiff = p1.y - p2.y; return Math.sqrt(xdiff*xdiff + ydiff*ydiff); } Aufruf: double d = Point.distance(lowerLeft, upperRight); In der Klasse Point selbst kann man Point. weglassen, d.h. es reicht ein Aufruf der Form: double d = distance(lowerLeft, upperRight); 2.4 2.4.1 Vererbung, Pakete und Gültigkeitsbereiche Vererbung Klassen in Java können um zusätzliche Variablen und Methoden erweitert werden. Dies wird durch das Schlüsselwort extends angezeigt. Die entstehende Unterklasse besitzt dann alle Eigenschaften der Oberklasse und zusätzlich die in der jeweiligen Erweiterung angegebenen Eigenschaften. Dieses Konzept wird auch als Vererbung bezeichnet, weil die Unterklasse alle Eigenschaften der Oberklasse erbt. Zum Beispiel ist ein farbiger Punkt eine Erweiterung eines Punktes: class ColoredPoint extends Point { String color; } 2.4.2 Pakete Bei größeren Softwareprojekten ist es häufig ratsam, diese in verschiedene, unabhängige Teile aufzuteilen. Solche Teile werden als Module oder Pakete bezeichnet. Java besitzt einige Eigenschaften, die es erlauben, Software modular aufzubauen: Verschiedene (i.d.R. logisch zusammengehörige) Klassen können in einem Paket zusammengefasst werden. Die Klassendefinitionen können in verschiedenen Dateien enthalten sein. Der Paketname muss im Header jeder Datei angegeben sein: 25 A.java C.java package abc; public class A { ... } package abc; class C { ... } class B { ... } Um Definitionen aus anderen Paketen sichtbar zu machen, müssen sie mit dem Schlüsselwort import importiert werden: import abc.A; class test { A a; } Weitere Details zu Paketen folgen in Kapitel 7.2. 2.4.3 Gültigkeitsbereiche Bei dem Zugriff auf Definitionen anderer Klassen oder Pakete gelten Beschränkungen, die beachtet werden müssen. Die Zugriffsrechte werden durch Gültigkeitsmodifizierer geregelt, die sich folgendermaßen auf Datenfelder, Methoden und Klassen auswirken (für Klassen gibt es nur public und default): zugreifbar für Nicht-Unterklassen im selben Paket zugreifbar für Unterklassen im selben Paket zugreifbar für Nicht-Unterklassen in einem anderen Paket zugreifbar für Unterklassen in einem anderen Paket public ja default (package) ja protected ja private nein ja ja ja nein ja nein nein nein ja nein ja nein 26 2.5 Aufgaben Aufgabe 2.5.1 Erstellen Sie eine Klasse Circle, deren Instanzen Kreise im zweidimensionalen Raum repräsentieren. Ein Kreis ist z.B. bestimmt durch seinen Radius r und durch die x- und y-Koordinate seines Mittelpunktes in der Ebene. Implementieren Sie für diese Klasse folgende Methoden: (i) circumference berechnet den Umfang des Kreises. (ii) area berechnet den Inhalt des Kreises. Wie können die Methoden in einem Programm aufgerufen werden? 27