mensch+umwelt Informationen aus dem GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit Heft 3 Dezember 2004 Cholesterinbiosynthese vollständig entschlüsselt Letztes Enzym der Biosynthese identifiziert Neues Wissen aus dem Datendschungel Digitale Literaturanalyse Rechts oder links – das ist die Frage Zilien steuern Asymmetrieachse AIDS mit seinen eigenen Waffen schlagen Impf-Virus als Hoffnungsträger An der Zelle statt am Tier Tierschutzforschungspreis an GSF-Wissenschaftler Nobelpreisträger überreicht GSF-Doktorandenpreise Produktives Netzwerk Ausgezeichnet mit dem Paula und Richard von Hertwig-Preis Überfall im Auge – Uveitis ✍ Liebe Leserinnen, liebe Leser ie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hat an der GSF seit jeher einen hohen Stellenwert. Ein neues koordiniertes Förderprogramm wird nun die Attraktivität der Forschungseinrichtung für qualifizierte Doktorandinnen und Doktoranden weiter erhöhen und ihnen bestmögliche Arbeitsbedingungen bieten. Erstmals im Jahr 2005 vergibt die GSF 35 Stipendien für Promotionen innerhalb der Forschungsprogramme der programmorientierten Förderung. Als interdisziplinäre Forschungseinrichtung bietet die GSF hervorragende Arbeitsmöglichkeiten und möchte für ihre Doktorandinnen und Doktoranden eine Campusatmosphäre schaffen, in der sie sich mit der GSF und der Helmholtzgemeinschaft identifizieren können. Zu diesem Zweck werden den Doktoranden bewusst auch instituts- und disziplinübergreifende Veranstaltungen von hoher wissenschaftlicher Qualität angeboten, die den Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen Programmen der GSF ermöglichen. Neben der wissenschaftlichen Ausbildung legen die Betreuer des Programms auch Wert auf die Vermittlung von Kenntnissen zum Beispiel in Projektmanagement, Betriebswirtschaft oder der Präsentation wissenschaftlicher Fragestellungen in der Öffentlichkeit. Die vielseitige Förderung bildet somit eine gute Ausgangsbasis für die weitere berufliche Laufbahn und soll später im Lebenslauf möglichst vieler Jungwissenschaftler als karrierefördernder Meilenstein erscheinen. D Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer Impressum: Herausgeber: GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit GmbH in der Helmholtz-Gemeinschaft Redaktion: Sonja Duggen, Cordula Klemm, Michael van den Heuvel, HeinzJörg Haury, GSF-Öffentlichkeitsarbeit, Neuherberg, Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Neuherberg, Telefon: (089) 3187 - 2804 unter Mitarbeit von Monika Wiedemann und Brigitte Schmid E-Mail: [email protected] World Wide Web: http://www.gsf.de/Aktuelles/ mensch+umwelt/ Fotos und Zeichnungen: Ulla Baumgart, Holger Maier, BMU, Jerzy Adamski, Fabian Mühlberger, Bernd Müller, Michael van den Heuvel, Gerhard Przemeck, Sven Reese, F. M. Schmidt, Hartmut Gerhards, Antonio Cosma, Gerd Sutter Titelbild: Im Genomanalysezentrum der GSF wird das Erbgut im großen Maßstab analysiert. Verschiedene GSF-Institute nutzen die Ausstattung, um den Ursachen menschlicher Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Foto: Bernd Müller Ein attraktives Umfeld für den wissenschaftlichen Nachwuchs: Die GSF vergibt 35 Promotionsstipendien an Hochschulabsolventen aus aller Welt. Layout: Karl-Heinz Krapf Belichtung und Druck: Gerber + Ulleweit Gedruckt auf Recyclingpapier Mensch+Umwelt erscheint dreimal jährlich. Der Bezug ist kostenlos. Auszüge aus diesem Heft dürfen ohne jede weitere Genehmigung wiedergegeben werden, vorausgesetzt, dass bei der Veröffentlichung die GSF genannt wird. Um ein Belegexemplar wird gebeten. Alle übrigen Rechte bleiben vorbehalten. ISSN 0949-0671 2 mensch+umwelt 3/2004 Das GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen, um die Gesundheit des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zu schützen. Ziel ist es, Risiken für Mensch und Umwelt zu erkennen, Mechanismen der Krankheitsentstehung zu entschlüsseln, Grenzen der Belastbarkeit von Mensch und Umwelt abzuschätzen und Konzepte zur dauerhaften Prävention und Heilung zu entwickeln. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V., der größten öffentlichen Forschungsorganisation Deutschlands, bringen wir unsere Arbeiten in die Programme der Forschungsbereiche „Erde und Umwelt“ sowie „Gesundheit“ ein. Die GSF ist eine Einrichtung des Bundes und des Freistaates Bayern. Ihr gehören rund 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Das Gesamtbudget beträgt 140 Millionen Euro. Cholesterinbiosynthese vollständig entschlüsselt Das letzte unbekannte Enzym der Biosynthese wurde identifiziert Z uviel Cholesterin im Blut lässt die Arterien verkalken. Ohne geht es jedoch auch nicht: Cholesterin regelt die Verformbarkeit der Zellmembranen. Mangelt es an diesem Metaboliten, können Brustkrebs, Prostatakrebs oder Alzheimer entstehen. Ist die Biosynthese schon während der Embryogenese gestört, können Fehler in der Körpersymmetrie der Kinder auftreten, das Herz etwa befindet sich dann rechts, die Leber links. Außerdem ist es möglich, dass Finger zusammenwachsen (Syndactylie), sich sechs Finger an einer Hand entwickeln (Polydactylie) oder dass die Kinder einen geringeren Intelligenzquotienten haben. ■ Die Stärke der Anomalien variiert deutlich: Während manche Babys schon tot geboren werden, können Kinder mit einer Syndactylie – bis auf diese Bürde – normal leben. Forscher des Genomanalysezentrums der GSF haben eine wichtige Entdeckung gemacht, mit der diese Missbildungen vermutlich verhindert werden können: Sie identifizierten das letzte unbekannte Enzym der Cholesterinbiosynthese. „Zu Beginn unserer Arbeit waren zwar alle Schritte, Intermediate und Produkte der Biosynthese bekannt, das zwölfte Enzym auf dem Weg zum Cholesterin fehlte aber noch“, sagt Jerzy Adamski, Leiter der Arbeitsgruppe. Um Medikamente entwickeln zu können, muss man alle Zwischenschritte kennen. Schließlich soll nur eine bestimmte Stufe aktiviert oder gehemmt werden. ■ „Ein Enzym ist uns unter vielen anderen Proteinen bei der Charakterisierung aufgefallen, weil bekannt war, dass es in der Maus die Steroidbiosynthese katalysiert“, so Adamski. Damals bekannt als 17beta-Hydroxysteroiddehydrogenase 7 (HSD17B7), reduziert es tatsächlich nicht nur Estron zu Estradiol, sondern auch Zymosteron zu Zymosterol, ein Zwischenprodukt der Cholesterinbiosynthese. Die Arbeitsgruppe um Adamski stellte nun Mausmutanten her, um zu untersuchen, welche Folgen es hat, wenn die Enzyme fehlen. Denn arbeitet eines der Enzyme der Cholesterinbiosynthese nicht, sind die Tiere missgebildet. Auch Versuche mit Hefe zeigen: Ohne das dem HSD17B7 entsprechende Protein Erg 27 kann die Mutante nur mit einem Ergosterol-Zusatz – einem Analogon des Säuger-Cholesterins – leben. Das letzte unbekannte Enzym der Cholesterinbiosynthese war entdeckt. ■ Die Pharmaindustrie kann mit diesem Wissen Medikamente entwickeln, die den Cholesterinmangel spezifisch an bestimmten Stufen der Biosynthese kompensieren. „Uns stellte sich nun die Frage, warum sich während der Embryogenese nur bestimmte Gewebe anormal entwickeln, wenn doch Cholesterin – wie bisher angenommen – in jeder Zelle gebildet wird“, erläutert Adamski. Um dieser Frage nachzugehen, schleusten die Forscher mit fluoreszierenden Farbstoffen markierte RNA-Sequenzen, so genannte Sonden, in die Zellen eines Mausembryos. Überall dort, wo sich die Sonden, die komplementär zu den DNAAbschnitten der Cholesterinbiosynthese sind, an Basen angelagert hatten, leuchtete das Erbgut. Um noch unbekannte Proteine zu identifizieren, werden die Eiweiße extrahiert und mit 2D-Elektrophorese und Silberfärbung nachgewiesen. Dr. Gabriele Möller betrachtet ein 2D-Gel eines Nieren-Proteinextraktes. Foto: Bernd Müller Das nun entdeckte Enzym 17beta-Hydroxysteroiddehydrogenase 7 (HSD17B7) katalysiert die Umwandlung von Zymosteron in Zymosterol. Grafik: Jerzy Adamski ■ Die Doktorandin Daniela Laubner fand heraus, dass beim Embryo anders als angenommen nur bestimmte Bereiche gefärbt waren. Cholesterin wird hier nur beispielsweise im Gehirn, im Gesicht, im neuronalen Gewebe sowie an Händen und Füßen produziert. Genau dort also, wo bei Neugeborenen auch Defekte beobachtet werden können. Dabei führt der Funktionsverlust eines bestimmten Enzyms zu einer charakteristischen Fehlbildung. „Interessant ist, dass diese nicht um so schlimmer ist, je früher die Cholesterinsynthese gestört ist“, betont Adamski. Anscheinend können häufig andere Enzyme aufgrund ihrer Multifunktionalität den Ausfall des defekten Enzyms teilweise kompensieren. mensch+umwelt 3/2004 3 Neues Wissen aus de Gemeinsam Erkenntnisse aus digitaler Lite S Während verschiedener Entwicklungsstadien der Maus findet die Cholesterinbiosynthese nur in einigen Geweben statt. Etwa wie hier angefärbt im Gehirn, im Gesicht und im Bereich der Finger. Ist die Biosynthese gestört, sind eben diese Körperteile missgebildet. tundenlanges Surfen durch digitale Bibliotheken, um Informationen über Gen-Expressionsmuster oder Interaktionen zwischen Proteinen zu bekommen, können Wissenschaftler in Zukunft verkürzen: Ein paar Klicks mit der Maustaste und beispielsweise ein Gewebeprofil für ein bestimmtes Gen wird erstellt. „Damit ein Wissenschaftler so schnell an das in über 15 Millionen Publikationen verstreute Wissen kommt, mussten wir die Datenflut zunächst strukturieren“, erklärt Dr. Holger Maier vom GSF-Institut für Experimentelle Genetik. ■ Software, die versucht, das menschliche Sprachverständnis nachzuahmen, befindet sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Zu variabel sind Sprache und Stil der Autoren, als dass ein Programm das Wissen aus dem Geflecht herausfiltern könnte. Eine Reihe von Wissenschaftlern mit dieser Aufgabe zu beschäftigen, würde zwar sehr gute Ergebnisse liefern, wäre aber sehr zeitaufwändig und vor allem teuer. Statistische Verfahren aber, die sich darauf beschränken Schlüsselbegriffe zu erkennen, können Millionen von Publikationen innerhalb kurzer Zeit verarbeiten. ■ LitMiner, ein in der Arbeitsgruppe BioDV (Biologische Datenverarbei- Foto: Jerzy Adamski ■ Das Team um Adamski hat damit zwei herausragende Erkenntnisse gewonnen: Embryos müssen wie Erwachsene ihr Cholesterin selber produzieren. Deshalb war es in der Vergangenheit auch sinnlos, der Mutter Cholesterin zu geben, um den Embryo zu behandeln: Die Feto-Plazentale-Schranke lässt den Metaboliten nicht zum Embryo durch. ■ Der heranreifende Mensch bildet jedoch – und das ist die zweite Neuigkeit – im Gegensatz zum adulten Organismus das Cholesterin nur in bestimmten Organen. ■ „Statt direkt das fehlende Cholesterin im Embryo ersetzen zu wollen, könnten nun etwa spezifische Enzyme ergänzt werden“, erklärt Adamski. Der Therapie wurden neue Wege eröffnet. ■ Sonja Duggen Literatur: G. E. Herman et al.: Disorders of cholesterol biosynthesis: prototypic metabolic malformation syndromes. Hum. Mol. Genet. 12 (2003) R75-88. D. Laubner, R. Breitling and J. Adamski: Embryonic expression of cholesterogenic genes is restricted to distinct domains and colocalizes with apoptotic regions in mice. Brain. Res. Mol. 115 (2003) 87-92. Z. Marijanovic et al.: Closing the gap: Identification of human 3-ketosteroid reductase, the last unknown enzyme of mammalian cholesterol biosynthesis. Mol. Endocrinol. 17 (2003) 1715 - 1725. 4 mensch+umwelt 3/2004 Diese Bildschirmaufnahme zeigt die Web-Benutzerschnittstelle von WikiGene. Abgebildet ist eine Zusammenfassung und Kurzübersicht zum menschlichen Gen HNF4A. Auf dieser Internetseite ist die WebBenutzerschnittstelle von LitMiner zu sehen. Man sieht eine Liste von Geweben und Organen, die mit dem Begriff ‚MODY’ – einer Diabetes-Form – assoziiert sind. Die Aufstellung der damit verknüpften Gewebe und Organe wurde vollautomatisch mit Hilfe einer statistischen Co-Zitierungsanalyse auf der Basis von etwa zwölf Millionen PubMed-Abstracts erzeugt. Eine Seite weiter: Hier sind Gene aufgelistet, die mit der Bezeichnung ‚MODY’ assoziiert sind. Fotos: Holger Maier m Datendschungel eratur verknüpfen tung) am Institut für Experimentelle Genetik entwickeltes Werkzeug, kann Texte statistisch analysieren. Mit Hilfe dieses Systems definierten die Forscher zunächst die vier Kategorien ‚Gen oder Protein’, ‚Gewebe oder Organ’, ‚Krankheit oder Phänotyp’ und ‚chemische Stoffe’. Dann ordneten sie alle vorkommenden charakteristischen Begriffe und Symbole diesen bestimmten Gruppen zu und berücksichtigten dabei auch ihre Synonyme und verschiedene Schreibweisen. ■ Die so entstandenen Listen umfassen etwa 50 Millionen Vermerke. „Für jedes Gen berechneten wir nun, wie häufig es gemeinsam mit einem anderen Gen, einer Krankheit, einem chemischen Stoff oder mit einem Gewebe oder Organ in dem selben Artikel gefunden wurde“, so Maier. Werden nämlich zwei Begriffe mit einer spezifisch biologischen oder medizinischen Bedeutung gemeinsam in einer Zusammenfassung erwähnt, so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dies nicht zufällig geschieht, sondern dass ein Zusammenhang zwischen diesen Begriffen besteht. Kommen bestimmte Wortpaare besonders häufig gemeinsam vor, kann der Forscher diese Publikationen per Knopfdruck auswählen und muss dann nur noch diese Vorauswahl sichten. ■ Die Arbeitsgruppe BioDV hofft, dass sich in Zukunft dank LitMiner auch einige aufwändige Laborexperimente erübrigen werden. Das System kann nämlich auch verdecktes Wissen aufspüren und so möglicherweise neue Genfunktionen aufklären. „Angenommen, es gäbe 50 Publikationen über einen Einfluss von Gen A auf Gen B und weitere 60 Veröffentlichungen über einen Einfluss von Gen C auf Gen D. Weiter angenommen, es existierten außerdem zehn Texte über eine Beziehung zwischen Gen B und Gen C, dann könnte ein Einfluss von Gen A auf Gen D abgeleitet werden, obwohl hierzu kein einziger Text publiziert wurde und auch nie ein entsprechendes Experiment durchgeführt wurde“, erklärt Maier. Ein menschlicher Experte müsste schon sehr mit einem Gebiet vertraut sein und einen großen Überblick über die Literatur haben, um solche verdeckten Beziehungen aufspüren zu können. ■ Auch wenn die erzielten Vorhersagen immer unter dem Vorbehalt gesehen werden müssen, dass sie nicht auf einem wirklichen Verständnis der Texte beruhen, ist es Maier und seinen Kollegen dennoch gelungen, eine große Menge an Informationen einzelnen Wissenschaftlern zugänglich zu machen. Doch die Forscher haben noch größere Visionen: Sie wollen die gesamte wissenschaftliche Literatur strukturieren. Grundlage für ihr Vorhaben ist das webbasierte Annotierungssystems „WikiGene“, das von jedem Wissenschaftler aufgerufen werden kann und leicht zu erlernen ist. WikiGene basiert auf der gleichen Technik und der gleichen Idee wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia, bei der viele tausend freiwillige Autoren gemeinsam Artikel erstellen und bearbeiten. Das Besondere daran: Jeder Benutzer kann alle Artikel verändern, auch solche, die von anderen erstellt wurden. WikiGene greift diese Idee auf: Es stellt die von LitMiner vorhergesagten Gen-Beziehungen übersichtlich dar und ermöglicht es interessierten Forschern diese Vorhersagen zu überprüfen. Offensichtlich falsche Beziehungen können gelöscht und neue Beziehungen hinzugefügt werden, um so die Qualität nach und nach zu verbessern. „Wir hoffen, dass sich möglichst viele Freiwillige beteiligen. Denn selbst größere Einrichtungen sind überfordert, sollten sie alle veröffentlichten Erkenntnisse systematisieren“, so Maier. ■ In einer weltweiten Gemeinschaftsaktion aber könnte jeder Interessierte Daten miteinander verknüpfen oder bestehende Assoziationen löschen und so dazu beitragen, dass genregulatorische Kaskaden und Netzwerke entdeckt und visualisiert werden. Damit Informatio- Statt sich im Bücherwald zu verirren, können Wissenschaftler nun mit Hilfe von LitMiner sogar neue Erkenntnisse aus dem digitalen Datendschungel schürfen. Foto: mvdh nen nicht dauerhaft zerstört werden, protokolliert WikiGene sämtliche Veränderungen. „Wir verbinden mit diesem Projekt zwei Vorzüge miteinander: den großen Durchsatz der statistischen maschinellen Literaturanalyse mit dem Qualitätsvorteil der Mitarbeit menschlicher Experten“, betont Maier. Dass dieses Konzept funktionieren kann, liegt am Profit des Einzelnen: Jeder Wissenschaftler, der ein wenig Zeit investiert, um Daten zu sammeln und zu strukturieren, hat im Gegenzug freien Zugriff auf alle Daten, die andere beigetragen haben. ■ Sonja Duggen Literatur: H. Shatkay, R. Feldman: Mining the biomedical literature in the genomic era: an overview. J. Comput. Biol. 10(6) (2003) 821-55. Links: LitMiner: http://andromeda.gsf.de/litminer WikiGene: http://andromeda.gsf.de/wiki Wikipedia: http://www.wikipedia.org mensch+umwelt 3/2004 5 Rechts oder links – das ist die Frage AIDS mit sein Impf-Virus gibt Hoffnung auf n Feine Zilien im Primitivknoten steuern die korrekte Asymmetrieachse im Embryo meck häufig Rechts-links-Vertauschungen. Etwa jeder zweite Embryo war betroffen, die Entscheidung ‚rechts oder links’ also offensichtlich völlig zufällig. Die systematische Suche nach der Ursache des Fehlers führte zum Primitivknoten. Diese Struktur in Form einer winzigen Keule wird sehr früh im Embryo angelegt und ist vermutlich zentraler Organisator der Entwicklung. Der Knoten besteht aus vielen kleinen Zellen mit jeweils einer Zilie, und der geordnete Schlag der Zilien bewegt das Fruchtwasser von rechts nach links, wie japanische Wissenschaftler entdeckten. Offenbar trägt das zur korrekten Ausbildung der Rechtslinks-Achse im Embryo bei. ■ Will man eine derart kleine Struktur wie den nur rund 80 Mikrometer großen Primitivknoten untersuchen, kommt man mit einem herkömmlichen Mikroskop nicht weit. Kein Problem in einer multidisziplinären Einrichtung wie der GSF: „Hier sind so viele Experten versammelt, man muss nur ein paar Häuser weiDie Herzdrehung ist bei allen Wirbeltieren und dem Mentergehen. Das ist ein schen gleich. Ein symmetrisch angelegter Herzschlauch Riesenvorteil“, betont krümmt sich erst nach rechts und bildet dann eine Schlei- Przemeck. Er wendete sich ans Institut für fe nach links. Ein weiteres Merkmal der Links-Rechts DifPathologie, das über ferenzierung ist eine Rotation des Embryos gegen den ein Raster-ElektroUhrzeigersinn, wodurch bei der Maus der Schwanz auf nenmikroskop (REM) verfügt, und fand zuder rechten Körperseite zu liegen kommt (vereinfachte gleich in Prof. Ulrich Grafik: Gerhard Przemeck Darstellung). Heinzmann einen Mitstreiter für seine „lechts und rinks verwechsert“, kann das Studie. Die REM-Aufnahmen zeigten, dass schwere Erkrankungen oder gar den Tod der Primitivknoten von Delta-1-Mutanten bedeuten. Besonders, wenn das Herz beungleichmäßig geformt ist und zusätzlich troffen ist. große, zilienlose Zellen besitzt. Vermutlich ■ Schon sehr früh in der Embryonalentverhindert die geringe Zahl der Flimmerwicklung dreht sich der anfangs symmetrihärchen einen gleichmäßigen Strom des sche Herzschlauch nach rechts und bildet Fruchtwassers, was zu einem Rechtsdann eine Schleife nach links. Diese Schritlinks-Defekt führen kann. Dieser überrate entscheiden über die korrekte Anordschende Befund der GSF-Wissenschaftler nung der inneren Strukturen des ‚Pumpweist dem Molekül Delta 1 auch für die werks’. Ein Vertauschen von rechts und korrekte Lateralisation in der Embryonallinks ist fatal: In die Körperperipherie wird entwicklung eine wichtige Rolle zu, zuminsauerstoffarmes Blut gepumpt, in die Lundest bei Mäusen. Ob das auch für den ge sauerstoffreiches. Kinder, die mit dieMenschen gilt, bleibt zu prüfen. sem Fehler geboren werden, sind so nicht ■ Sibylle Kettembeil lebensfähig, können heute aber mit einer Operation oft gerettet werden. ■ Auch bei Tieren gibt es solche FehlentLiteratur: wicklungen. Immer wieder stieß Dr. Gerhard G. K. H. Przemeck et al.: Node and midline dePrzemeck vom GSF-Institut für Experimenfects are associated with left-right development telle Genetik auf Rechts-links-Defekte, als er in Delta 1 mutant embryos. Development 130 Mausembryonen für ein eigentlich ganz an(2003) 3-13. deres Projekt – über das Molekül Delta 1 – S. Pfister et al.: Interaction of the MAGUK family präparierte. Delta 1, wie sein zugehöriges member Acvrinp 1 and the cytoplasmic domain Gen seit langem ein Forschungsschwerof the Notch ligand Delta 1. J. Mol. Biol. 133 punkt im gesamten Institut, spielt zwar be(2003) 229-235. kanntermaßen bei einer Reihe embryonaler M. Hrabé de Angelis, J. 2nd McIntyre, A. Gossler: Entwicklungsprozesse eine Rolle, war aber Maintenance of somite borders in mice requimit der Lateralisation nie in Verbindung geres the Delta homologue DII1. Nature 386 bracht worden. Bei Embryonen von Maus(1997) 717-721. mutanten, denen das Gen fehlt, fand Prze- „M anche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!“ An Biologie hat der Dichter Ernst Jandl wohl nicht gedacht, als er seine Sentenz formulierte. Und doch – auch die Natur kann sich irren mit rechts und links, etwa bei der Anordnung der Organe in unserem Körper. Herz und Milz liegen zum Beispiel normalerweise links, die Leber rechts. Auch doppelt vorhandene Organe sind unterschiedlich ausgeprägt: drei Lungenlappen rechts, zwei links. Diese genetisch gesteuerte Asymmetrie ist für Anordnung und Orientierung der Organe wesentlich. Werden in der Embryonalentwicklung 6 mensch+umwelt 3/2004 Die Arbeitsgruppe vom GSF-Institut für Molekulare Virologie: Silja Bühler, Rashmi Nagarai und Antonio Cosma. Foto: IMV S pritzen statt Schlucken – gelänge es, HIV durch therapeutisches Impfen statt durch hoch wirksame antivirale Medikamente (HAART) in Schach zu halten, könnten Millionen Infizierte aufatmen, denn die medikamentöse Therapie bremst zwar die Virusvermehrung effektiv und kann den Ausbruch von AIDS lange hinauszögern. Aber die meisten Patienten müssen sich mit erheblichen Nebenwirkungen abfinden, oft gibt es Probleme mit Resistenzen und die Behandlung ist kostspielig. Diese Nachteile soll eine neue therapeutische Impfung mit gentechnisch veränderten Viren vermeiden, die am GSF-Institut für Molekulare Virologie entwickelt wurde. Eine erste klinische Studie zu dieser Impfung schlossen die Wissenschaftler vor kurzem mit ermutigenden Ergebnissen ab: Obwohl in der klinischen Phase-1 Studie lediglich Verträglichkeit und Sicherheit des Impfstoffs getestet wurden, steigerte die Impfung bei einigen Probanden zumindest kurzfristig auch die Immunreaktion gegen das HIV-Protein Nef. ■ „Ziel des Impfens ist es, das Immunsystem bereits HIV-infizierter Patienten mit Hilfe eines Vektor-Impfstoffs so zu stimulieren, dass der Ausbruch von AIDS hinausgezögert oder sogar verhindert wird“, erklärt Professor Volker Erfle, Direktor des GSF-Instituts für Molekulare Virologie, der die Studie gemeinsam mit Professor Frank Goebel, dem Leiter der AIDS-Ambulanz an den Münchner Innenstadt-Kliniken und Wissenschaftlern des Münchner Klinikums Rechts der Isar initiierte und durchführte. Als Impf-Vektor nutzen die Forscher harmlose MVA-Viren, in die der Bauplan für das HIV-Protein Nef eingeschleust wurde. Nef wurde als Zielstruktur gewählt, weil es im Lebenszyklus des Virus eine entscheidende Rolle spielt: Es wird von infi- nen eigenen Waffen schlagen neue HIV-Therapie zierten Zellen bald nach der Infektion gebildet und sorgt für eine möglichst effektive Vermehrung des Virus. Ohne Nef bricht AIDS nicht aus. Funktioniert die Impfung, schlägt sie den Erreger mit seinen eigenen Waffen: Die eingeimpften Vektoren befallen Körperzellen und regen sie zur Bildung von Nef an, wodurch die Immunantwort gegen Nef stimuliert wird. ■ Dass das Immunsystem prinzipiell HIV auch aus eigener Kraft kontrollieren kann, zeigen so genannte LTNP-Patienten (long-term non-progressors), die seit mindestens fünf bis zehn Jahren das Virus auch ohne Therapie in Schach halten. Dies gelingt ihnen, weil ihr Immunsystem anders auf eine HIV-Infektion reagiert: „Bei diesen Patienten bleibt die Anzahl der CD4-positiven T-Zellen nach der Infektion konstant erhöht“, erläutert Dr. Antonio Cosma vom GSF-Institut für Molekulare Virologie. „Normalerweise steigt die Zahl der CD4-Zellen nach der Infektion zwar an, fällt dann aber auf sehr niedrige Werte ab“. CD4positive T-Zellen sind so genannte Helferzellen, die das Immunsystem stimulieren und dadurch schützende Immunantworten aktivieren. HIV attackiert diese Zellen, daher sinkt ihre Zahl nach einer Infektion in der Regel ab. „Unsere Idee war nun, durch die Impfung die Immunantwort so anzuregen, dass der CD4-Level hoch bleibt“, erläutert Cosma. ■ Alle geimpften Patienten waren seit längerem HIV-infiziert und wurden mit HAART behandelt, was auch während der klinischen Phase-1 Studie zunächst fortgesetzt wurde. Mehr als ein Jahr nach Beginn der Impfungen sind laut Cosma die ersten Ergebnisse ermutigend: „Von zehn geimpften Patienten stieg bei acht die Zahl der Nefspezifischen CD4-Zellen nach der Impfung an.“ Bei keinem der Patienten war dieser Zelltyp vorher nachweisbar, es zeigte sich somit eine deutliche Immunreaktion auf die Zielstruktur HIV-Nef. Der am besten auf die Impfung ansprechende Patient schafft es seit über einem halben Jahr, das Virus aus eigener Kraft zu kontrollieren, nachdem die medikamentöse Therapie abgesetzt wurde. Allerdings waren die anderen Patienten, die mit einer Therapie-Unterbrechung einverstanden waren, nicht so erfolgreich und mussten wieder anti-virale Medikamente erhalten. Eine Verbesserung erhoffen sich die Wissenschaftler durch Fortführung der Impftherapie. ■ Monika Gödde Typische MVA-Plaques sind auf den Fibroblasten des Hühnerembryos entstanden. Foto: Gerd Sutter Die Abwehr ist aktiviert: Die MVANef-Impfung bewirkte eine typische Nef-spezifische CD4-Immunreaktion. Grafik: Antonio Cosma Literatur: N. L. Letvin: Progress Toward an HIV Vaccine. Annu Rev Med (2004). C. J. Pitcher et al.: HIV-1-specific CD4+ T cells are detectable in most individuals with active HIV-1 infection, but decline with prolonged viral suppression. Nat Med 5 (1999) 518- 25. A. Cosma et al.: Therapeutic vaccination with MVA-HIV-1 nef elicits Nef-specific T-helper cell responses in chronically HIV-1 infected individuals. Vaccine 22 (2003) 21-29. An der Zelle statt am Tier Der Felix-Wankel-Tierschutzforschungspreis geht dieses Jahr an einen GSF-Wissenschaftler P Für die Etablierung der Hühner Zell-Linie DT40 als genetisches Modellsystem erhielt Jean-Marie Buerstedde, Direktor des GSF-Instituts für Molekulare Strahlenbiologie, den Foto: F. M. Schmidt Felix-Wankel-Tierschutzforschungspreis. rof. Jean-Marie Buerstedde wurde mit dem diesjährigen FelixWankel-Tierschutzforschungspreis ausgezeichnet. Der Direktor des GSF-Instituts für Molekulare Strahlenbiologie erhielt den mit 30 000 Euro dotierten Preis für seine Arbeiten zur Etablierung der Hühner Zell-Linie DT40 als genetisches Modellsystem. ■ Um die Funktionen von vielen neu entdeckten Gene aufzuklären, werden oft so genannte ‚knock-out-Mausstämme’ hergestellt; ihre Gene sind durch homologe Rekombination zerstört. Diese Experimente sind jedoch aufwändig und haben die Anzahl der Maus-Tierversuche erheblich erhöht. Dabei kann im Prinzip die Funktion vieler Gene auch in Zellkulturexperimenten untersucht werden. Humane Zell-Linien eignen sich aufgrund geringer Rekombinationsaktivität allerdings nur bedingt, während sich, wie Buerstedde zeigen konnte, Genknock-outs in DT40 Zellen sehr einfach durchführen lassen. Daher setzen heute viele Labors diese Zell-Linie erfolgreich für die Untersuchung von einzelnen Genen und genetischen Netzwerken ein. DT40 kann sicher nicht alle ‚knock-out-Experimente’ in Tieren ersetzen, da zum Beispiel Genfunktionen im Zusammenhang mit komplexen Krankheiten nicht vollständig in Zellkultur aufklärbar sind. Dennoch haben die Arbeiten mit DT40 dazu geführt, dass ‚Knock-outs’ in Mäusen nicht automatisch als einzig sinnvolle Experimente in Angriff genommen werden. ■ Der Felix-Wankel-Forschungspreis wurde 1972 gestiftet und wird in der Regel jährlich durch die Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen. Mit ihm sollen in erster Linie Arbeiten ausgezeichnet werden, die dazu beitragen, Versuche am lebenden Tier zu ersetzen und dem Tierschutzgedanken allgemein dienlich und förderlich sind. ■ Beatrix Leser mensch+umwelt 3/2004 7 Berichte + Publikationen Eine Auswahl zentrale Frage. Sie zeigen, wie die Wahl des Erhebungsverfahrens die Ergebnisse beeinflussen kann, dass – mit Einschränkungen – aufwändige Interviews durch schriftliche Befragungen ersetzt werden können und dass Patienten auch die Möglichkeit nutzen, schwierigen Bewertungsentscheidungen auszuweichen. ■ A. Icks, B. Haastert, A. Gandjour, J. John, H. Löwel, R. Holle, G. Keine einfache Formel für Krebs: Selenmangel führt nicht automatisch zu malignen Tumoren elen ist ein Spurenelement, das in Form der Aminosäure SeS lenocystein in etwa 25 verschiedene, zum großen Teil lebensnotwendige Proteine eingebaut wird. Viele der Selenoproteine sind Enzyme, die das sehr reaktive Selenocystein als essentiellen Baustein für die katalytische Wirkung im aktiven Zentrum tragen. Viele der Selenoenzyme wiederum spielen eine zentrale Rolle im RedoxMetabolismus der Zelle wie zum Beispiel Glutathionperoxidasen und Thioredoxinreduktasen und sorgen für die Reduktion reaktiver Sauerstoffspezies und die Aufrechterhaltung des lebensnotwendigen reduzierenden Milieus innerhalb der Zelle. Reaktive Sauerstoffspezies werden für viele pathologische Prozesse wie zum Beispiel die Initiation und Aufrechterhaltung von Entzündungsprozessen verantwortlich gemacht. Chronische Entzündungen sind wiederum der Nährboden, auf dem bestimmte Tumoren entstehen. Deshalb werden reaktive Sauerstoffspezies auch oft mit der Entstehung und Entwicklung von malignen Tumoren in Beziehung gesetzt. Im Umkehrschluss wird Tumorpatienten von vielen Ärzten die Einnahme von Selenpräparaten empfohlen. Dass biologischen Zusammenhänge komplexer sind und sich nicht auf die einfache Formel „Selenmangel = Krebs“ bringen lassen, geht aus einer Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen von Prof. Georg Bornkamm am Institut für Klinische Molekularbiologie und Tumorgenetik der GSF, der Gruppe von Dr. Dietrich Behne am HahnMeitner-Institut in Berlin und der Gruppe von Dr. Siegfried Janz der National Institutes of Health (NIH) hervor, die im April 2004 in Cancer Research veröffentlicht wurde. Um die Bedeutung des Selenmangels für die Entstehung von Krebs zu untersuchen, haben sich die Autoren auf das Mausplasmozytom konzentriert, einem Tumor, der als Paradebeispiel für das Zusammenspiel zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen bei der Tumorentstehung gilt. Damit ein Mausplasmozytom entsteht, müssen verschiedene Umstände zusammentreffen: Etwa die Entwicklung eines durch Plastik oder höherkettige Kohlenwasserstoffe (Pristan) induzierten Fremdkörpergranuloms, genetische Prädisposition (Balb/c) sowie die Haltung der Mäuse unter nicht zu sauberen Hygienebedingungen, damit sich eine aktive Darmflora und Peyer´sche Plaques im Darm ausbilden. Die Wissenschaftler untersuchten die Entstehung von Plasmozytomen in Mäusen, die entweder mit normaler oder mit selenarmer Kost ernährt wurden. Nach dreimaliger Pristanapplikation entwickelten wie erwartet etwa 50 Prozent der Mäuse in der Kontrollgruppe innerhalb von zehn Monaten ein Plasmozytom, wohingegen überraschenderweise die selenarm ernährten Mäuse gegenüber der Entstehung von Plasmozytomen geschützt waren, obwohl ihre Zellen eine höhere Raten an Mutationen aufwies. Die histologische Untersuchung zeigte, dass sich bei ihnen auch bei mehrmaliger Pristanapplikation kein typisches entzündliches Granulom entwickelt, das als Nährboden für das Plasmozytom dient. Der Grund hierfür ist, dass Monozyten und neutrophile mononukleäre Zellen von selenarm ernährten Mäusen nicht oder viel schwächer auf Locksubstanzen wie Chemokine und Thioredoxin reagieren. Diese Arbeit macht deutlich, dass man in jedem einzelnen Fall genau auf das Zusammenspiel verschiedener Mechanismen bei der Tumorentstehung achten muss und sich strikt vor Verallgemeinerungen hüten sollte. Diese Publikation ist erschienen in: ■ K. Felix, S. Gerstmeier, A. Kyriakopoulos, O. M. Howard, H. F. Dong, M. Eckhaus, D. Behne, G. W. Bornkamm, S. Janz: Selenium deficiency abrogates inflammation-dependent plasma cell tumors in mice. Cancer Research 64 (2004) 2910-2917 ■ T. Hammerschmidt, H. P. Zeitler, M. Gulich, R. Leidl: A comparison of different strategies to collect standard gamble utilities. Medical Decision Making 24(5) (2004) 493-503 Die Autoren untersuchen am Beispiel von Patienten mit Diabetes mellitus unterschiedliche Erhebungsverfahren zur Bewertung des Gesundheitszustands – eine bei der Analyse der Wirtschaftlichkeit von Behandlungen 8 mensch+umwelt 3/2004 Giani, W. Rathmann, KORA Study Group: Cost-effectiveness of different screening procedures for type 2 diabetes: The KORA survey 2000. Diabetes Care 27 (2004) 2120-2128 Ein im Rahmen des KORA Survey 2000 gemeinsam mit dem Deutschen Diabetes-Zentrum durchgeführtes Teilprojekt hat gezeigt, dass bei den 55bis 74-jährigen Personen der Augsburger Bevölkerung die Prävalenz des unentdeckten Diabetes ebenso hoch war wie die des bekannten Diabetes. Basierend auf den Studiendaten wurden nun mit Hilfe von gesundheitsökonomischen Entscheidungsmodellen verschiedene Screening-Strategien bezüglich ihrer Kosten-Effektivität für die Erkennung von Typ-2-Diabetikern verglichen. Dabei zeigte sich, dass eine Einschränkung der HbA1c-Messung und des oralen Glukose-Toleranztests auf Personen mit Risikofaktoren zwar vordergründig Kosten spart, aufgrund der geringeren Sensitivität letztlich aber doch weniger kosteneffektiv ist. ■ E. Mahabir, K. Jacobsen, D. Peters, J. Needham, J. Schmidt: Mouse antibody production test: Can we do without it? Journal of Virological Methods 120 (2004) 239-245 In dieser Studie wird die Sensitivität verschiedener Nachweismethoden für die zwei in Versuchstierhaltungen häufig vorkommenden, für Mäuse pathogenen Viren MHV und MMV, beschrieben. Die routinemäßig verwendeten Methoden Maus-Antikörper-Produktionstest, Virus Plaque Test und PCR zeigten sehr große Sensitivitätsunterschiede. Die Relevanz dieser Differenzen für den Virusnachweis in biologischen Materialien wird diskutiert. ■ G. A. Drexler, S. Rogge, W. Beisker, F. Eckardt-Schupp, M. Z. Zdzienicka, E. Fritz: Spontaneous homologous recombination is decreased in Rad51C-deficient hamster cells. DNA Repair 3 (2004) 1335-1343 Homologe Rekombination (HR) ist bekannt als Mechanismus, der in der Meiose zum Austausch genetischen Materials mütterlicher beziehungsweise väterlicher Herkunft führt. HR in mitotischen Zellen ist überwiegend für die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB) verantwortlich. HR-Defekte sind eng assoziiert mit erhöhter genomischer Instabilität und Tumorigenese. Die Autoren haben einen neuen episomalen pGrec Rekombinations-Vektor konstruiert, der zwei mutierte Allele des eGFP Gens (enhanced green fluorescent protein) enthält. Allein HR kann das funktionelle eGFP Gen wiederherstellen. Die grüne Fluoreszenz der Zellen ist ein Zeichen für seltene spontane Rekombinationsereignisse. Mit diesem Vektor analysierten die Wissenschaftler die chinesische Hamsterzell-Mutante CL-V4B (rad51C), deren phänotypische Merkmale, genomische Instabilität und erhöhte Empfindlichkeit gegen clastogene und DNA-vernetzende Agenzien, die Frage aufwarfen, ob sie rekombinationsdefekt ist. Wir konnten zeigen, dass die HR-Rate in der Mutante signifikant vierfach niedriger ist als in den isogenen Wildtypzellen. Das bedeutet, dass das RAD51C Gen eine wichtige, aber keine essentielle Rolle für HR spielt. ■ G. A. Drexler, S. Wilde, W. Beisker, J. Ellwart, F. Eckardt- Schupp, E. Fritz: The rate of extrachromosomal homologous recombination within a novel reporter plasmid is elevated in cells lacking functional ATM protein. DNA Repair 3 (2004) 1345-1353 Das ATM Protein, das homozygot inaktiviert in Ataxia telangiectasia (A-T) Patienten ist, gilt als Schlüsselprotein bei der Regulation der zellulären Antworten auf exogene Agenzien wie ionisierende Strahlen. Es wird ebenfalls benötigt für die Kontrolle der physiologischen Prozesse des zellulären DNA Metabolismus. Es konnte gezeigt werden, dass auch unbehandelte A-T-Zellen unter anderem spontane genomische Instabilität und Defekte im Telomermetabolismus zeigen. Mit dem Rekombinationsvektor haben die Autoren etwa 40-fach erhöhte extrachromosomale Rekombinationsraten in A-TZellen im Vergleich zu den isogenen, mit dem ATM-Gen komplementierten und sich wie Wildtyp verhaltenden Kontrollzellen nachweisen können. Die Befunde zeigen, dass spontane Hyper-Rekombination in A-T-Zellen unabhängig vom Chromatinstatus ist. Es ist denkbar, dass die starke Erhöhung der extrachromosomaler Rekombination eine wichtige Rolle für die Instabilität der Telomere sowie für den Verlauf viraler Infektionen von A-T-Zellen spielt. ■ N. Kawakami, S. Lassmann, Z. Li, F. Odoardi, T. Ritter, T. Ziemssen, W. E. Klinkert, J. W. Ellwart, M. Bradl, K. Krivacic, H. Lassmann , R. M. Ransohoff, H. D. Volk, H. Wekerle, C. Linington, A. Flugel: The activation status of neuroantigen-specific T cells in the target organ determines the clinical outcome of autoimmune encephalomyelitis. J. Exp. Med. Jan 19; 199(2) (2004) 185-97 Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Projekts der Abteilung für Neuroimmunologie des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in dem die Funktion und das Schicksal autoaggressiver T-Zellen im Verlauf der T-Zell-vermittelten Experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (tEAE) der Lewisratte analysiert werden. Mit den retroviral konstruierten T-Zellen, die das Gen des Green Fluorescent Proteins (GFP) exprimieren und die die Autoren mittels Fluoreszenz-aktivierter Zell-Sortierung (FACS) isolierten, untersuchten die Wissenschaftler das Verhalten und die Wirkung unterschiedlich pathogener T-Zelllinien im Verlauf der tEAE. ■ W. S. Tirsch, P. Stude, H. Scherb, M. Keidel: Temporal order of nonlinear dynamics in human brain. Brain Research Reviews 45 (2004) 79-95 In dieser Arbeit wird die etwa Ein-Minuten-Periodizität des menschlichen Wach-EEGs mit Hilfe der nicht linearen, dynamischen Systemtheorie (Chaosanalyse) beschrieben. ■ P. Zhu, E. Martin, J. Mengwasser, P. Schlag, K-P. Janssen, M. Göttlicher: Induction of HDAC2 expression upon loss of APC in colorectal tumorigenesis. Cancer Cell, May vol. 5 (2004) 455-463 Die Acetylierung von Histonproteinen hat einen wesentlichen Einfluss auf die Organisation von DNA in Chromatin. Bei vielen Formen von Krebs erwartet man eine therapeutische Modulation dieser Organisation von Chromatin durch Hemmung der Histondeacetylasen durch kleine Moleküle wie Buttersäure oder Valproinsäure. Bei einigen Formen der Leukämie wurde der Grund für die fehlerhaft Organisation von Chromatin im Austausch von Bruchstücken zwischen Chromosomen und der Bildung von Hybridproteinen identifiziert. Gründe für fehlerhafte Acetylierung im Karzinomen epithelialen Ursprungs waren bisher nahezu unbekannt. Die vorliegende Publikation zeigt, dass im Rahmen der Darmkrebsentstehung die Histondeactelyase 2 vermehrt gebildet wird, wenn der Tumorsuppressor des Darms, APC, verloren geht. Diese Entdeckung stellt eine Verbindung zwischen der Funktion von APC und der Modifikation von Chromatin her. Zusätzlich wird einem einzigen Mitglied aus der Familie der Histondeacetylasen eine spezifische Funktion zugeordnet und dieses Mitglied, die HDAC2, als besonders aussichtsreicher Kandidat für die Suche nach spezifischen chemischen therapeutischen Hemmstoffen identifiziert. ■ P. Bernhardt, W. Friedland, H. G. Paretzke: The role of atomic inner shell relaxations for photon-induced DNA damage. Radiation and Environmental Biophysics 43 (2004) 77-84 Mit Hilfe des biophysikalischen Simulationsprogramms PARTRAC wurde der Einfluss von Ionisationen innerer Schalen von Atomen in der DNA mit anschließender Relaxation auf die dadurch in der Zelle induzierten Schäden durch Photonenstrahlung unterschiedlicher Energie detailliert untersucht. Diesen Prozessen wird in der Literatur eine herausragende biologische Wirkung zugesprochen. Es zeigte sich, dass die Anzahl der Prozesse dieser Art bei nicht zu niedrigen Photonenenergien (> 1 keV) im Vergleich zur Anzahl der induzierten DNA-Doppelstrangbrüche klein ist. Auch folgt ihre Abhängigkeit von der Photonenenergie nicht den gemessenen Werten der biologischen Wirksamkeit für biologische Endpunkte wie Chromosomenaberrationen, Mutationen und Zellinaktivierung. Daraus ist zu folgern, dass Ionisationen innerer Schalen von DNA-Atomen im Allgemeinen nicht ausschlaggebend für die Strahlenwirkung sind. ■ U. A. Fill, M. Zankl, N. Petoussi-Henss, M. Siebert, D. Regulla: Adult female voxel models of different stature and photon conversion coefficient for radiation protection. Health Phys. 86 (2004) 253-272 Die Erstellung dreier Voxelmodelle aus medizinischen Bilddaten von Frauen unterschiedlicher Statur wird skizziert und Tabellen von Organdosiswerten bei externem Einfall von Photonenstrahlung für diese unterschiedlichen Modelle werden präsentiert. Diese Arbeit stellt erstmalig Organdosen für realistische Menschmodelle von Frauen zusammen und erlaubt die Abschätzung von Organdosen abhängig von der Statur. ■ U. C. Gerstmann, G. Rosner, P. Schramel: Bioavailability of 239+240Pu and 137Cs in aerosols and deposited dusts: a comparativ study by fractional extraction. Radiat. Environ. Biophys. 43 (2004) 111-117 Die Bioverfügbarkeit von Plutonium und 137Cs in Luftstäuben, in abgelagertem Staub und in der obersten Bodenschicht wurde untersucht. Durch sequenzielle Extraktion wurde gefunden, dass sich sowohl Plutonium als auch 137Cs am leichtesten aus dem Luftstaub lösen lassen, wobei ein größerer Anteil von Plutonium organisch gebunden ist. 137Cs in Luftstaub ist biologisch deutlich höher verfügbar als in abgelagerten Stäuben und im Boden. ■ W. F. Heidenreich, T. I. Bogdanova, A. G. Biryukov, N. D. Tronka: Time trends of thyroid cancer incidence in Ukraine after the Chernobyl accident. J. Radiol. Prot. 24 (2004) 283-293 In der Arbeit wird das Auftreten von Schilddrüsentumoren bei Ukrainern, die zur Zeit des Reaktorunfalls von Chernobyl Kinder waren, mit einer Technik untersucht, die viele Unsicherheiten der Dosimetrie vermeidet. Das zusätzliche absolute Risiko pro Dosis nimmt nach drei Jahren etwa linear bis zumindest neun Jahren nach dem Unfall zu und ist kaum abhängig vom Alter der Kinder zum Zeitpunkt des Unfalls. Patente + Technologietransfer Müll schluckt Dioxine: Intelligenter Einsatz von Abfällen vermindert Dioxinbildung issenschaftler des GSF-Instituts für Ökologische Chemie haben ein neues Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Bildung von Dioxinen im Abgas von Verbrennungsanlagen erheblich reduzieren lässt. Durch Beimischung unproblematischer Schwefelverbindungen erreichten sie im Labor eine Dioxinminderung bei der Verbrennung des Materials von bis zu 99 Prozent. Da auch der ganz normale Hausabfall erhebliche Mengen an Schwefelverbindungen enthalten kann, eröffnet dieses Verfahren völlig neue Perspektiven im Sinne einer Kreislaufwirtschaft für Müllverbrennung aber auch für andere Verbrennungsanlagen wie etwa Kohlekraftwerke. Eine Erteilung des Patentes in USA und Europa und somit auch in Deutschland wird in Kürze erfolgen. Dass bei der Verbrennung von Abfällen im Abgas Dioxine entstehen können, ist altbekannt, stellt aber die Rauchgasreinigungstechnik der Müllverbrennungsanlagen auch heute noch vor große Herausforderungen. Dass aber durch Zugabe bestimmter Abfälle die Manchmal ist es nützlich, dass Bildung von Dioxinen deutlich reder normale Hausmüll aus einem duziert werden kann, ist neu. Im Gemisch unterschiedlicher MateLabor stellten Dr. Dieter Lenoir und Dr. Karl-Werner Schramm rialien besteht: Schwefel- und vom GSF-Institut für Ökologische stickstoffhaltige Verbindungen Chemie zunächst eine repräsentareduzieren die Dioxinbildung im tive Mischung an Hausmüll zuAbgas von Verbrennungsanlagen sammen. Bei deren Verbrennung Foto: BMU entstanden übliche Dioxinmengen erheblich. in Höhe von durchschnittlich 52 Pikogramm pro Gramm Brennstoff. In einem zweiten Schritt mischten die Wissenschaftler dem Hausmüll nacheinander verschiedene schwefelhaltige Verbindungen in unterschiedlich hohen Gewichtsanteilen von ein bis zehn Prozent bei. Das Ergebnis überraschte selbst die Wissenschaftler am GSF-Institut für Ökologische Chemie: „Bereits mit einer Zugabe von nur fünf Gewichtsprozenten Amidosulfonsäure reduzierte sich die Dioxinbildung um 97 Prozent“, betont Lenoir. Natürlich handelt es sich bei diesen so genannten Inhibitoren allesamt um für die Umwelt ungefährliche Verbindungen, die bei der Verbrennung rückstandsfrei eliminiert werden. Genau die schwefel- und stickstoffhaltigen Verbindungen, die in den Labors des GSF-Forschungszentrums zum Einsatz kamen, finden sich aber auch natürlicherweise in beinahe jeder Hausmüllmischung. Aber sie könnten auch in Form von Gipsabfällen, Autoreifen, Abraummaterial oder sogar bestimmten pharmazeutischen Abfällen dem normalen Verbrennungsmaterial zugesetzt werden. Damit ließe sich zweierlei erreichen: Zum einen wären sowohl die Dioxinbildung im Abgas als auch der damit verbundene hohe Aufwand für die anschließende Rauchgasreinigung drastisch reduziert. Und zum anderen könnten Abfälle selbst quasi als Wertstoffe für eine umweltfreundliche Entsorgung intelligent zum Einsatz kommen. Um Testreihen auf großtechnischen Maßstab anzuheben, suchen Schramm und seine Kollegen nun nach einem Industriepartner, der seine Anlage zur Verfügung stellt. W „Verringerung von Dioxinen in Verbrennungsgasen“ Angemeldet beim Europäischen Patentamt unter der Nummer 01226389 und beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 19953418 Falls Sie mehr über die das Verfahren wissen möchten, wenden Sie sich bitte an unseren Patente- und Technologietransfer oder direkt an: Dr. Karl-Werner Schramm GSF-Institut für Ökologische Chemie Tel. 089/3187-3147 E-Mail: [email protected] Auskunft über GSF-Patente sowie Informationen zum Technologietransfer bei: Dr. Josef-K. Gerber Patente & Technologietransfer Tel.: 089/3187-2481, Fax: 089/3187-4000 E-Mail: [email protected] mensch+umwelt 3/2004 9 Nobelpreisträger überreicht GSF-Doktorandenpreise Prof. Dr. Erwin Neher ist Festredner auf der Autumn Lecture 2004 wurde in diesem Jahr an Doktoranden aus den Instituten für Entwicklungsgenetik, Molekulare Virologie und Molekulare Immunologie sowie der Klinischen Kooperationsgruppe Umweltdermatologie und Allergologie verliehen. ■ Preisträgerin Dr. Clara Lubeseder-Martellato untersuchte das Guanylat-Bindungs-Protein-1 (GBP-1), ein Eiweiß in Endothelzellen, das spezifisch während entzündlicher Reaktionen exprimiert wird. Sie konnte zeigen dass GBP-1 bei der Schuppenflechte, dem Kaposisarkom – einer Folgeerscheinung der Infektion mit HIV – und nach Drogenkonsum überrepräsentiert ist. ■ Dr. Alexandra Tallafuß wurde für ihre Arbeit über die Anlage und frühe Entwicklung von bestimmten Hirnarealen in embryonalen Zebrafischen ausgezeichnet. Erwin Neher (li.), Nobelpreisträger für Medizin, und GSF-Geschäftsführer Hans Jahreiß bei der Autumn Lecture 2004. I m Rahmen der Autumn Lecture anlässlich der Jahrestagung des Vereins der Freunde und Förderer der GSF (VdFF) referierte der Nobelpreisträger Prof. Erwin Neher über die „Regulation der Neurotransmitterund Hormonausschüttung durch Kalzium und zyklisches AMP“. Im Anschluss daran überreichte Die Träger des Doktorandenpreises und ihre Betreuer: Vordere Reihe, v.l.n.r.: Laure er die Doktorandenpreise 2004 Bally-Cuif, GSF-Institut für Entwicklungsgenetik, Clara Lubeseder-Martellato, Nobeldes VdFF und der bayerischen preisträger Erwin Neher, Gerhard Mittler, Caren Vollmert, Heidrun Behrendt, KliniVolksbanken Raiffeisenbanken. sche Kooperationsgruppe Umweltdermatologie und Allergologie der GSF. Hintere Der vom VdFF ausgeschriebene Reihe, v.l.n.r.: Michael Stürzl, Institut für Molekulare Virologie der GSF, Michael Paula und Richard von HertwigMeisterernst, Institut für Molekulare Immunologie der GSF, Hans Jahreiß, KaufmänPreis für interdisziplinäre Zunischer Geschäftsführer der GSF und Carl-Heinz Duisberg, Vorsitzender des Vereins sammenarbeit 2004 wurde am der Freunde und Förderer der GSF. Fotos: Ulla Baumgart Abend bei einem gemeinsamen Abendessen verliehen. ■ Der 1944 geborene Biophysi■ Dr. Gerhard Mittler erhielt den Doktorandenpreis für ker Prof. Erwin Neher, Direktor des Max-Planck-Instituts seine Arbeit über die Regulation der RNA-Polymerase für biophysikalische Chemie in Göttingen, erhielt 1991 zuII-Transkription durch einen humanen Multiproteinsammen mit dem Mediziner und Zellphysiologen Prof. komplex. Nicht alle Gene, die im menschlichen Erbgut Bert Sakmann vom Max Planck-Institut für medizinische vorhanden sind, werden auch abgelesen (transkribiert) Forschung in Heidelberg den Nobelpreis für die Entund schließlich in Proteine übersetzt. Mittlers Arbeit deckung von Ionenkanälen in der Zellhülle. ■ Gemeinsam mit GSF-Geschäftsführer Dr. Hans Jahreiß untersucht an einem Beispiel wie die Transkription eiund dem Vorsitzenden des Vereins der Freunde und Förnes Gens durch einen Proteinkomplex reguliert wird. ■ Dr. Caren Vollmert wurde für die Entwicklung von derer der GSF, Dr. Carl-Heinz Duisberg, überreichte Methoden und Geräten zur in vitro Exposition von Neher den Trägern des Doktorandenpreises Urkunden menschlichen Keratinozyten von Probanden mit atopiund Schecks. Ausgezeichnet wurden wieder herausraschem Ekzem mit gasförmigen Schadstoffen ausgegende Dissertationsarbeiten auf den Gebieten Umweltzeichnet. forschung, Biologie und Gesundheitsforschung. Der seit ■ Gülnilhal Yüksekdag 1997 verliehene und mit jeweils 1500 Euro dotierte Preis 10 mensch+umwelt 3/2004 Produktives Netzwerk Forscherteam erhielt Paula und Richard von Hertwig-Preis D er mit 5000 Euro dotierte Paula und Richard von Hertwig-Preis für interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde in diesem Jahr an sieben Wissenschaftler aus der GSF und der Medizinischen Fakultät der LMU München verliehen. Dr. Andrej Khandoga, Andreas Stampfl, Dr. Shinji Takenaka, Prof. Holger Schulz, Roman Radykewicz, Dr. Wolfgang Kreyling und Prof. Fritz Krombach aus den GSF-Instituten für Toxikologie und Inhalationsbiologie sowie der Chirurgischen Forschungsabteilung der LMU München erhielten die Auszeichnung für eine gemeinsame Publikation in der Zeitschrift Circulation*. Die Veröffentlichung befasst sich mit den Auswirkungen kleinster Schadstoffpartikel in der Luft auf die Leberfunktion. ■ Prof. Martin Göttlicher, Direktor des GSF-Instituts für Toxikologie, würdigte in seiner Festrede die Bedeutung der Arbeit. Viele epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass erhöhte Luftverschmutzung und die damit vorkommenden kleinsten Schadstoffpartikel (kleiner als 0,1 Mikrometer Durchmesser) in der Atemluft mit gesteigerten Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen zusammenhängen. In der jetzt preisgekrönten Arbeit wurden die Auswirkungen der aus der Lunge in die Leber einwandernden Kleinstpartikel und ihre negativen Einflüsse auf die Leberfunktion beziehungsweise ihre Spätfolge auf die Herzblutgefäße untersucht: Mittlerweile ist bekannt, dass ultrafeine Partikel aus der Lunge vor allem in der Leber akkumulieren. Die Leber ist an entscheidenden Funktionen wie der Glucosefreisetzung, der Fibrinogen-Produktion, der Umsetzung von Hormonen oder der Freisetzung von Cholesterin beteiligt. Die Einlagerung von Schadstoffen in der Leber kann daher zur Beeinträchtigung dieser Funktionen oder zu Leberschäden führen und dadurch bereits vorhandene Herzerkrankungen verschlimmern. Außerdem konnte gezeigt werden, dass ultrafeine Partikel BlutplättchenAkkumulation in den die Leber versorgenden Kapillaren induzieren. ■ Der Preis erinnert an das Werk der Wissenschaftler Paula und Richard von Hertwig. Beide waren interdisziplinär in den Bereichen Genetik, Morphologie sowie Strahlenbiologie und Strahlenschutz tätig. Mit dem Preis würdigen der VdFF und das GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit herausragende fachübergreifende wissenschaftliche Leistungen entsprechend der Leitlinie der GSF, interdisziplinäre Forschungsansätze auf das Spannungsfeld zwischen Umwelt und Gesundheit anzuwenden. ■ Gülnilhal Yüksekdag * „Ultrafine particles exert prothrombotic but not inflammatory effects on the hepatic microcirculation in healthy mice in vivo“, erschienen in Circulation 109 (2004) 1320-1325 Kurz notiert ■ Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier übergab am 16. September das Gläserne Labor der GSF offiziell seiner Bestimmung. Das Schülerlabor wurde von der GSF mit großzügiger Unterstützung der Helmholtz-Gemeinschaft eingerichtet und soll Schulklassen die Möglichkeit geben, durch experimentelles Arbeiten ein tieferes Verständnis für Naturwissenschaften zu entwickeln. Als „die richtige Antwort auf PISA- und OECD-Studie“ bezeichnete die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier das Gläserne Labor, als sie die EinFoto: mvdh richtung offiziell eröffnete. ■ Die GSF erhält den Bayerischen Frauenförderpreis 2004. Zusammen mit zwei weiteren Unternehmen wird sie für ihre Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern mit dem vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vergebenen Preis ausgezeichnet. ■ Als neues Mitglied aus den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft wurde Prof. Stefan H. E. Kaufmann, MaxPlanck-Institut für Infektionsbiologie Berlin in den Aufsichtsrat der GSF berufen. ■ Das Institut für Strahlenbiologie steht jetzt unter der Leitung von Prof. Friederike Eckhardt-Schupp. Die GSF-Wissenschaftlerin wurde zum 1. August als kommissarische Direktorin eingesetzt. ■ Dr. Manfred Kirchner, Institut für Ökologische Chemie, wurde in die Arbeitsgruppe „Passivsammler“ der VDI / DIN-Kommission Reinhaltung der Luft berufen. ■ PD Dr. Philippe Schmitt-Kopplin, Institut für Ökologische Chemie, wurde in das Editorial Board der international renommierten Zeitschrift „Electrophoresis“ berufen. Über den Preis für interdisziplinäre Zusammenarbeit freuten sich: Fritz Krombach, Holger Schulz, Roman Radykewicz (vordere Reihe, von links), Wolfgang Kreyling, Andrej Khandoga, der Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer der GSF Carl-Heinz Duisberg, Andreas Stampfl und Foto: Ulla Baumgart Shinji Takenaka (hintere Reihe, von links) ■ Prof. Thomas Meitinger, GSF-Institut für Humangenetik, wurde in das Scientific Advisory Council für die neu geschaffene Forschungsabteilung Genetische Medizin der Europäischen Akademie in Bozen berufen. mensch+umwelt 3/2004 11 Überfall im Auge Uveitis – eine menschliche Autoimmunkrankheit wird am Modell Pferd aufgeklärt D ie Uveitis ist eine bis heute nicht heilbare, sehr schmerzhafte Augenentzündung. In Deutschland leiden rund 400.000 Menschen daran. Ähnlich wie die Multiple Sklerose ist die Uveitis eine schubweise verlaufende Autoimmunkrankheit, die sich gegen körpereigene Proteine richtet. Und ebenso wird sie mit Cortison und immunsuppressiven Medikamenten behandelt. Diese haben allerdings starke Nebenwirkungen, weshalb Wissenschaftler die genauen Krankheitsmechanismen genauer erforschen und neue Therapien entwickeln wollen. Im Rahmen einer gemeinsamen Klinischen Kooperationsgruppe zwischen GSF und LMU haben Forscher beider Organisationen viel versprechende Ansätze nicht nur zum Verständnis der Uveitis, sondern darüber hinaus von Autoimmunkrankheiten allgemein entwickelt. ■ Dr. Marius Ueffing und Doktorandin Stefanie Hauck vom GSF-Institut für Humangenetik (Leiter: Prof. Thomas Meitinger) sowie Dr. Cornelia Deeg vom Institut für Tierphysiologie der LMU (Prof. Bernd Kaspers) machen sich zu Nutze, dass auch Pferde spontan an Uveitis erkranken. Auch bei ihnen bringen vermutlich Erreger wie Viren oder Pilze das Immunsystem dazu, plötzlich körpereigene Proteine anzugreifen. Die Folgen der heftigen Entzündungsreaktionen, so Ueffing und Deeg, „gleichen einem feindlichen Überfall durch eigene Truppen: Aggressive Immunzellen dringen ins Auge ein und zerstören alles, was sie als vermeintlich fremd erkennen. Infolgedessen löst sich die Netzhaut in Teilen ab, die Regelmäßigkeit der hochgeordneten Gewebestruktur geht völlig verloren. Es kommt zu regelrechten Verwerfungen.“ ■ Um autoantigen wirkende Proteine im Zusammenhang mit Uveitis 12 mensch+umwelt 3/2004 aufzuspüren, kombinierten die Wissenschaftler immunologische und proteomische Methoden. Zunächst ‚zerlegten’ sie das gesamte Proteininventar der Netzhaut mit einem hochauflösenden zweidimensionalen Trennverfahren, fixierten die getrennten Proteine auf einer Polymermatrix und inkubierten die so exponierten Proteine mit Blutserum der Pferdepati- Aggressive Immunzellen greifen plötzlich körpereigene Proteine an. Im erkrankten Auge (rechts) löst sich die Netzhaut ab. Fotos: Sven Reese, Hartmut Gerhards enten. Die im Serum enthaltenen Autoantikörper binden dann spezifisch an einzelne der aufgetrennten Proteine und lassen sich über eine zweite Immunbindungsreaktion nachweisen. Die Zielproteine dieser doppelten Immunreaktion kann man dann isolieren und mit einem hochempfindlichen massenspektrometrischen Verfahren identifizieren. Auf diese Weise konnte die Arbeitsgruppe vier Autoantigene der Pferde-Netzhaut nachweisen, die an der Entstehung der Uveitis beteiligt sind. ■ Erstaunliches entdeckten die Wissenschaftler, als sie einige Uveitis-Pferde über längere Zeit beobachteten: Die Immunreaktion veränderte sich. Bei neuen Entzün- dungsschüben kamen neben den zuvor identifizierten noch andere Antigene ins Spiel. Dabei erweiterte sich nicht nur das Antigen-Spektrum, sondern auch der Schwerpunkt verschob sich. Jetzt waren vor allem die ‚neuen’ Antigene für die Entzündungsreaktion verantwortlich, während die ‚alten’ an Bedeutung verloren. Offenbar, so interpretieren Ueffing und Deeg diesen Befund, steht am Anfang einer Uveitis die fehlgeleitete Immunreaktion auf eines oder wenige Autoantigene und dehnt sich dann auf weitere aus. „So ein heißgelaufenes Immunsystem ist dann offenbar so fehlgesteuert, dass es immer mehr eigene Proteine als Fremdkörper angreift.“ ■ Die ‚neuen’ angegriffenen Proteine stammen vermutlich aus den Zerstörungsreaktionen im entzündeten Auge. Dort werden nun Eiweiße freigesetzt, die sonst in Zellen eingeschlossen sind, ohne Kontakt zum Immunsystem. „Eine Theorie dazu lautet, dass solche Proteine bestimmte Strukturen besitzen, die etwa auch auf der Oberfläche von Bakterien oder anderen Erregern zu finden sind“, erläutern die Wissenschaftler, „und solche Strukturen zu erkennen, ist ja die Aufgabe des Immunsystems.“ Wiederum überraschend war die Feststellung, dass die neu hinzukommenden Autoantigene auch für sich allein eine Uveitis auslösen können, wie sich im Rattenmodell erwies. ■ Sibylle Kettembeil Literatur: C. A. Deeg et al.: The Uveitogenic Potential of Retinal S-Antigen in Horses. Invest. Ophthalmol. Vis. Sci. 45 (2004) 2286. F. Steinbach et al.: Equine immunology: offspring of the serum horse. Trends Immunol. 23(5) (2002) 223-225.