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mensch+umwelt
Informationen aus dem GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit
Heft 3
Dezember 2004
Cholesterinbiosynthese
vollständig entschlüsselt
Letztes Enzym der Biosynthese identifiziert
Neues Wissen aus dem Datendschungel
Digitale Literaturanalyse
Rechts oder links – das ist die Frage
Zilien steuern Asymmetrieachse
AIDS mit seinen eigenen Waffen schlagen
Impf-Virus als Hoffnungsträger
An der Zelle statt am Tier
Tierschutzforschungspreis an GSF-Wissenschaftler
Nobelpreisträger überreicht GSF-Doktorandenpreise
Produktives Netzwerk
Ausgezeichnet mit dem Paula und Richard von Hertwig-Preis
Überfall im Auge – Uveitis
✍
Liebe Leserinnen, liebe Leser
ie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hat an der GSF seit jeher einen hohen Stellenwert. Ein
neues koordiniertes Förderprogramm wird nun die Attraktivität der Forschungseinrichtung für qualifizierte
Doktorandinnen und Doktoranden weiter erhöhen und ihnen bestmögliche Arbeitsbedingungen bieten.
Erstmals im Jahr 2005 vergibt die GSF 35 Stipendien für Promotionen innerhalb der Forschungsprogramme der
programmorientierten Förderung. Als interdisziplinäre Forschungseinrichtung bietet die GSF hervorragende Arbeitsmöglichkeiten und möchte für ihre Doktorandinnen und Doktoranden eine Campusatmosphäre schaffen, in der sie
sich mit der GSF und der Helmholtzgemeinschaft identifizieren können. Zu diesem Zweck werden den Doktoranden
bewusst auch instituts- und disziplinübergreifende Veranstaltungen von hoher wissenschaftlicher Qualität angeboten, die den Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen Programmen der GSF ermöglichen. Neben der wissenschaftlichen Ausbildung legen die Betreuer des Programms auch Wert auf die Vermittlung von Kenntnissen zum
Beispiel in Projektmanagement, Betriebswirtschaft oder der Präsentation wissenschaftlicher Fragestellungen in der
Öffentlichkeit. Die vielseitige Förderung bildet somit eine gute Ausgangsbasis für die weitere berufliche Laufbahn
und soll später im Lebenslauf möglichst vieler Jungwissenschaftler als karrierefördernder Meilenstein erscheinen.
D
Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting
Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer
Impressum:
Herausgeber:
GSF – Forschungszentrum für
Umwelt und Gesundheit GmbH
in der Helmholtz-Gemeinschaft
Redaktion:
Sonja Duggen, Cordula Klemm,
Michael van den Heuvel, HeinzJörg Haury, GSF-Öffentlichkeitsarbeit, Neuherberg,
Ingolstädter Landstraße 1,
85764 Neuherberg,
Telefon: (089) 3187 - 2804
unter Mitarbeit von
Monika Wiedemann und
Brigitte Schmid
E-Mail: [email protected]
World Wide Web:
http://www.gsf.de/Aktuelles/
mensch+umwelt/
Fotos und Zeichnungen:
Ulla Baumgart, Holger Maier,
BMU, Jerzy Adamski, Fabian
Mühlberger, Bernd Müller,
Michael van den Heuvel,
Gerhard Przemeck, Sven Reese,
F. M. Schmidt, Hartmut Gerhards,
Antonio Cosma, Gerd Sutter
Titelbild: Im Genomanalysezentrum der GSF wird das Erbgut
im großen Maßstab analysiert.
Verschiedene GSF-Institute nutzen die Ausstattung, um den Ursachen menschlicher Erkrankungen auf die Spur zu kommen.
Foto: Bernd Müller
Ein attraktives
Umfeld für den
wissenschaftlichen Nachwuchs:
Die GSF vergibt
35 Promotionsstipendien an Hochschulabsolventen
aus aller Welt.
Layout:
Karl-Heinz Krapf
Belichtung und Druck:
Gerber + Ulleweit
Gedruckt auf Recyclingpapier
Mensch+Umwelt erscheint dreimal
jährlich. Der Bezug ist kostenlos.
Auszüge aus diesem Heft dürfen ohne jede weitere Genehmigung wiedergegeben werden, vorausgesetzt,
dass bei der Veröffentlichung die
GSF genannt wird. Um ein Belegexemplar wird gebeten. Alle übrigen
Rechte bleiben vorbehalten.
ISSN 0949-0671
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mensch+umwelt 3/2004
Das GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit erarbeitet wissenschaftliche
Grundlagen, um die Gesundheit des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen
nachhaltig zu schützen. Ziel ist es, Risiken für Mensch und Umwelt zu erkennen, Mechanismen der Krankheitsentstehung zu entschlüsseln, Grenzen der Belastbarkeit von Mensch
und Umwelt abzuschätzen und Konzepte zur dauerhaften Prävention und Heilung zu
entwickeln.
Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V., der größten
öffentlichen Forschungsorganisation Deutschlands, bringen wir unsere Arbeiten in die
Programme der Forschungsbereiche „Erde und Umwelt“ sowie „Gesundheit“ ein.
Die GSF ist eine Einrichtung des Bundes und des Freistaates Bayern. Ihr gehören rund
1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Das Gesamtbudget beträgt 140 Millionen Euro.
Cholesterinbiosynthese
vollständig entschlüsselt
Das letzte unbekannte Enzym der Biosynthese wurde identifiziert
Z
uviel Cholesterin im Blut lässt die Arterien verkalken. Ohne geht es jedoch auch nicht: Cholesterin
regelt die Verformbarkeit der Zellmembranen.
Mangelt es an diesem Metaboliten, können Brustkrebs,
Prostatakrebs oder Alzheimer entstehen. Ist die Biosynthese schon während der Embryogenese gestört, können Fehler in der Körpersymmetrie der Kinder auftreten,
das Herz etwa befindet sich dann rechts, die Leber links.
Außerdem ist es möglich, dass Finger zusammenwachsen (Syndactylie), sich sechs Finger an einer Hand entwickeln (Polydactylie) oder
dass die Kinder einen geringeren Intelligenzquotienten
haben.
■ Die Stärke der Anomalien
variiert deutlich: Während
manche Babys schon tot geboren werden, können Kinder
mit einer Syndactylie – bis auf
diese Bürde – normal leben.
Forscher des Genomanalysezentrums der GSF haben eine
wichtige Entdeckung gemacht, mit der diese Missbildungen vermutlich verhindert
werden können: Sie identifizierten das letzte unbekannte
Enzym der Cholesterinbiosynthese. „Zu Beginn unserer Arbeit waren zwar alle Schritte,
Intermediate und Produkte
der Biosynthese bekannt, das
zwölfte Enzym auf dem Weg
zum Cholesterin fehlte aber
noch“, sagt Jerzy Adamski,
Leiter der Arbeitsgruppe. Um
Medikamente entwickeln zu
können, muss man alle Zwischenschritte kennen.
Schließlich soll nur eine bestimmte Stufe aktiviert oder
gehemmt werden.
■ „Ein Enzym ist uns unter
vielen anderen Proteinen bei
der Charakterisierung aufgefallen, weil bekannt war, dass
es in der Maus die Steroidbiosynthese katalysiert“, so
Adamski. Damals bekannt als
17beta-Hydroxysteroiddehydrogenase 7 (HSD17B7), reduziert es tatsächlich nicht nur Estron zu Estradiol, sondern auch Zymosteron zu Zymosterol, ein Zwischenprodukt der Cholesterinbiosynthese. Die Arbeitsgruppe um
Adamski stellte nun Mausmutanten her, um zu untersuchen, welche Folgen es hat, wenn die Enzyme fehlen.
Denn arbeitet eines der Enzyme der Cholesterinbiosynthese nicht, sind die Tiere missgebildet. Auch Versuche
mit Hefe zeigen: Ohne das dem HSD17B7 entsprechende
Protein Erg 27 kann die Mutante nur mit einem Ergosterol-Zusatz – einem Analogon des Säuger-Cholesterins –
leben. Das letzte unbekannte Enzym der Cholesterinbiosynthese war entdeckt.
■ Die Pharmaindustrie kann mit diesem Wissen Medikamente entwickeln, die den Cholesterinmangel spezifisch
an bestimmten Stufen der Biosynthese kompensieren.
„Uns stellte sich nun die Frage, warum sich während der
Embryogenese nur bestimmte Gewebe anormal entwickeln, wenn doch Cholesterin – wie bisher angenommen – in jeder Zelle gebildet wird“, erläutert Adamski.
Um dieser Frage nachzugehen, schleusten die Forscher
mit fluoreszierenden Farbstoffen markierte RNA-Sequenzen, so genannte Sonden, in die Zellen eines
Mausembryos. Überall dort,
wo sich die Sonden, die
komplementär zu den DNAAbschnitten der Cholesterinbiosynthese sind, an Basen
angelagert hatten, leuchtete
das Erbgut.
Um noch unbekannte
Proteine zu identifizieren,
werden die Eiweiße extrahiert und mit 2D-Elektrophorese und Silberfärbung nachgewiesen. Dr. Gabriele Möller
betrachtet ein 2D-Gel eines
Nieren-Proteinextraktes.
Foto: Bernd Müller
Das nun entdeckte Enzym
17beta-Hydroxysteroiddehydrogenase 7 (HSD17B7)
katalysiert die Umwandlung
von Zymosteron in Zymosterol.
Grafik: Jerzy Adamski
■ Die Doktorandin Daniela
Laubner fand heraus, dass
beim Embryo anders als angenommen nur bestimmte
Bereiche gefärbt waren.
Cholesterin wird hier nur beispielsweise im Gehirn, im
Gesicht, im neuronalen Gewebe sowie an Händen und
Füßen produziert. Genau dort also, wo bei Neugeborenen auch Defekte beobachtet werden können. Dabei
führt der Funktionsverlust eines bestimmten Enzyms zu
einer charakteristischen Fehlbildung. „Interessant ist,
dass diese nicht um so schlimmer ist, je früher die Cholesterinsynthese gestört ist“, betont Adamski. Anscheinend können häufig andere Enzyme aufgrund ihrer
Multifunktionalität den Ausfall des defekten Enzyms
teilweise kompensieren.
mensch+umwelt 3/2004
3
Neues Wissen aus de
Gemeinsam Erkenntnisse aus digitaler Lite
S
Während verschiedener Entwicklungsstadien der Maus findet die
Cholesterinbiosynthese nur in einigen Geweben statt. Etwa wie
hier angefärbt im Gehirn, im Gesicht und im Bereich der Finger. Ist
die Biosynthese gestört, sind eben
diese Körperteile missgebildet.
tundenlanges Surfen
durch digitale Bibliotheken, um Informationen
über Gen-Expressionsmuster
oder Interaktionen zwischen
Proteinen zu bekommen, können Wissenschaftler in Zukunft
verkürzen: Ein paar Klicks mit
der Maustaste und beispielsweise ein Gewebeprofil für ein
bestimmtes Gen wird erstellt.
„Damit ein Wissenschaftler so
schnell an das in über 15 Millionen Publikationen verstreute
Wissen kommt, mussten wir
die Datenflut zunächst strukturieren“, erklärt Dr. Holger Maier
vom GSF-Institut für Experimentelle Genetik.
■ Software, die versucht, das
menschliche Sprachverständnis
nachzuahmen, befindet sich noch in
einem frühen Entwicklungsstadium.
Zu variabel sind Sprache und Stil
der Autoren, als dass ein Programm das Wissen aus dem Geflecht herausfiltern könnte. Eine
Reihe von Wissenschaftlern mit dieser Aufgabe zu beschäftigen, würde
zwar sehr gute Ergebnisse liefern,
wäre aber sehr zeitaufwändig und
vor allem teuer. Statistische Verfahren aber, die sich darauf beschränken Schlüsselbegriffe zu erkennen,
können Millionen von Publikationen
innerhalb kurzer Zeit verarbeiten.
■ LitMiner, ein in der Arbeitsgruppe
BioDV (Biologische Datenverarbei-
Foto: Jerzy Adamski
■ Das Team um Adamski hat damit zwei herausragende Erkenntnisse gewonnen: Embryos müssen
wie Erwachsene ihr Cholesterin
selber produzieren. Deshalb war
es in der Vergangenheit auch sinnlos, der Mutter Cholesterin zu geben, um den Embryo zu behandeln: Die Feto-Plazentale-Schranke
lässt den Metaboliten nicht zum
Embryo durch.
■ Der heranreifende Mensch bildet jedoch – und das ist die zweite
Neuigkeit – im Gegensatz zum
adulten Organismus das Cholesterin nur in bestimmten Organen.
■ „Statt direkt das fehlende Cholesterin im Embryo ersetzen zu
wollen, könnten nun etwa spezifische Enzyme ergänzt werden“, erklärt Adamski. Der Therapie wurden neue Wege eröffnet.
■ Sonja Duggen
Literatur:
G. E. Herman et al.: Disorders of cholesterol
biosynthesis: prototypic metabolic malformation syndromes. Hum. Mol. Genet. 12 (2003)
R75-88.
D. Laubner, R. Breitling and J. Adamski: Embryonic expression of cholesterogenic genes is
restricted to distinct domains and colocalizes
with apoptotic regions in mice. Brain. Res.
Mol. 115 (2003) 87-92.
Z. Marijanovic et al.: Closing the gap: Identification of human 3-ketosteroid reductase, the
last unknown enzyme of mammalian cholesterol biosynthesis. Mol. Endocrinol. 17 (2003)
1715 - 1725.
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mensch+umwelt 3/2004
Diese Bildschirmaufnahme zeigt die Web-Benutzerschnittstelle von WikiGene. Abgebildet ist eine Zusammenfassung und Kurzübersicht zum
menschlichen Gen HNF4A.
Auf dieser Internetseite
ist die WebBenutzerschnittstelle
von LitMiner
zu sehen.
Man sieht eine Liste von
Geweben
und Organen, die mit
dem Begriff ‚MODY’ – einer Diabetes-Form – assoziiert sind. Die
Aufstellung der damit verknüpften Gewebe und Organe wurde
vollautomatisch mit Hilfe einer
statistischen Co-Zitierungsanalyse auf der Basis von etwa
zwölf Millionen PubMed-Abstracts erzeugt.
Eine Seite weiter: Hier sind Gene
aufgelistet, die mit der Bezeichnung
‚MODY’ assoziiert sind.
Fotos: Holger Maier
m Datendschungel
eratur verknüpfen
tung) am Institut für Experimentelle
Genetik entwickeltes Werkzeug,
kann Texte statistisch analysieren.
Mit Hilfe dieses Systems definierten
die Forscher zunächst die vier Kategorien ‚Gen oder Protein’, ‚Gewebe
oder Organ’, ‚Krankheit oder Phänotyp’ und ‚chemische Stoffe’. Dann
ordneten sie alle vorkommenden
charakteristischen Begriffe und
Symbole diesen bestimmten Gruppen zu und berücksichtigten dabei
auch ihre Synonyme und verschiedene Schreibweisen.
■ Die so entstandenen Listen umfassen etwa 50 Millionen Vermerke.
„Für jedes Gen berechneten wir
nun, wie häufig es gemeinsam mit
einem anderen Gen, einer Krankheit, einem chemischen Stoff oder
mit einem Gewebe oder Organ in
dem selben Artikel gefunden wurde“, so Maier. Werden nämlich zwei
Begriffe mit einer spezifisch biologischen oder medizinischen Bedeutung gemeinsam in einer Zusammenfassung erwähnt, so kann mit
hoher Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden, dass dies
nicht zufällig geschieht, sondern
dass ein Zusammenhang zwischen
diesen Begriffen besteht. Kommen
bestimmte Wortpaare besonders
häufig gemeinsam vor, kann der
Forscher diese Publikationen per
Knopfdruck auswählen und muss
dann nur noch diese Vorauswahl
sichten.
■ Die Arbeitsgruppe BioDV hofft,
dass sich in Zukunft dank LitMiner
auch einige aufwändige Laborexperimente erübrigen werden. Das System kann nämlich auch verdecktes
Wissen aufspüren und so möglicherweise neue Genfunktionen aufklären. „Angenommen, es gäbe 50
Publikationen über einen Einfluss
von Gen A auf Gen B und weitere 60
Veröffentlichungen über einen Einfluss von Gen C auf Gen D. Weiter
angenommen, es existierten außerdem zehn Texte über eine Beziehung zwischen Gen B und Gen C,
dann könnte ein Einfluss von Gen A
auf Gen D abgeleitet werden, obwohl hierzu kein einziger Text publiziert wurde und auch nie ein entsprechendes Experiment durchgeführt wurde“, erklärt Maier. Ein
menschlicher Experte müsste schon
sehr mit einem Gebiet vertraut sein
und einen großen Überblick über
die Literatur haben, um
solche verdeckten Beziehungen aufspüren zu können.
■ Auch wenn die erzielten Vorhersagen immer
unter dem Vorbehalt gesehen werden müssen, dass
sie nicht auf einem wirklichen Verständnis der Texte
beruhen, ist es Maier und
seinen Kollegen dennoch
gelungen, eine große Menge an Informationen einzelnen Wissenschaftlern
zugänglich zu machen.
Doch die Forscher haben
noch größere Visionen: Sie
wollen die gesamte wissenschaftliche Literatur
strukturieren. Grundlage
für ihr Vorhaben ist das
webbasierte Annotierungssystems „WikiGene“,
das von jedem Wissenschaftler aufgerufen werden kann und leicht zu erlernen ist. WikiGene basiert auf der gleichen Technik und der gleichen Idee
wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia, bei der viele
tausend freiwillige Autoren
gemeinsam Artikel erstellen und bearbeiten.
Das Besondere daran: Jeder Benutzer kann alle Artikel verändern, auch
solche, die von anderen erstellt
wurden. WikiGene greift diese Idee
auf: Es stellt die von LitMiner vorhergesagten Gen-Beziehungen
übersichtlich dar und ermöglicht es
interessierten Forschern diese Vorhersagen zu überprüfen. Offensichtlich falsche Beziehungen können
gelöscht und neue Beziehungen hinzugefügt werden, um so die Qualität
nach und nach zu verbessern. „Wir
hoffen, dass sich möglichst viele
Freiwillige beteiligen. Denn selbst
größere Einrichtungen sind überfordert, sollten sie alle veröffentlichten
Erkenntnisse systematisieren“, so
Maier.
■ In einer weltweiten Gemeinschaftsaktion aber könnte jeder Interessierte Daten miteinander verknüpfen oder bestehende Assoziationen löschen und so dazu beitragen, dass genregulatorische Kaskaden und Netzwerke entdeckt und visualisiert werden. Damit Informatio-
Statt sich im Bücherwald zu verirren,
können Wissenschaftler nun mit Hilfe von
LitMiner sogar neue Erkenntnisse aus
dem digitalen Datendschungel schürfen.
Foto: mvdh
nen nicht dauerhaft zerstört werden,
protokolliert WikiGene sämtliche
Veränderungen. „Wir verbinden mit
diesem Projekt zwei Vorzüge miteinander: den großen Durchsatz der
statistischen maschinellen Literaturanalyse mit dem Qualitätsvorteil der
Mitarbeit menschlicher Experten“,
betont Maier. Dass dieses Konzept
funktionieren kann, liegt am Profit
des Einzelnen: Jeder Wissenschaftler, der ein wenig Zeit investiert, um
Daten zu sammeln und zu strukturieren, hat im Gegenzug freien Zugriff auf alle Daten, die andere beigetragen haben.
■ Sonja Duggen
Literatur:
H. Shatkay, R. Feldman: Mining the biomedical
literature in the genomic era: an overview.
J. Comput. Biol. 10(6) (2003) 821-55.
Links:
LitMiner: http://andromeda.gsf.de/litminer
WikiGene: http://andromeda.gsf.de/wiki
Wikipedia: http://www.wikipedia.org
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Rechts oder links –
das ist die Frage
AIDS mit sein
Impf-Virus gibt Hoffnung auf n
Feine Zilien im Primitivknoten steuern die korrekte
Asymmetrieachse im Embryo
meck häufig Rechts-links-Vertauschungen.
Etwa jeder zweite Embryo war betroffen,
die Entscheidung ‚rechts oder links’ also offensichtlich völlig zufällig. Die systematische Suche nach der Ursache des Fehlers
führte zum Primitivknoten. Diese Struktur
in Form einer winzigen Keule wird sehr
früh im Embryo angelegt und ist vermutlich zentraler Organisator der Entwicklung.
Der Knoten besteht aus vielen kleinen Zellen mit jeweils einer Zilie, und der geordnete Schlag der Zilien bewegt das Fruchtwasser von rechts nach links, wie japanische
Wissenschaftler entdeckten. Offenbar trägt
das zur korrekten Ausbildung der Rechtslinks-Achse im Embryo bei.
■ Will man eine derart kleine Struktur
wie den nur rund 80
Mikrometer großen
Primitivknoten untersuchen, kommt man
mit einem herkömmlichen Mikroskop
nicht weit. Kein Problem in einer multidisziplinären Einrichtung wie der GSF:
„Hier sind so viele
Experten versammelt, man muss nur
ein paar Häuser weiDie Herzdrehung ist bei allen Wirbeltieren und dem Mentergehen. Das ist ein
schen gleich. Ein symmetrisch angelegter Herzschlauch
Riesenvorteil“, betont
krümmt sich erst nach rechts und bildet dann eine Schlei- Przemeck. Er wendete sich ans Institut für
fe nach links. Ein weiteres Merkmal der Links-Rechts DifPathologie, das über
ferenzierung ist eine Rotation des Embryos gegen den
ein Raster-ElektroUhrzeigersinn, wodurch bei der Maus der Schwanz auf
nenmikroskop (REM)
verfügt, und fand zuder rechten Körperseite zu liegen kommt (vereinfachte
gleich in Prof. Ulrich
Grafik: Gerhard Przemeck
Darstellung).
Heinzmann einen
Mitstreiter für seine
„lechts und rinks verwechsert“, kann das
Studie. Die REM-Aufnahmen zeigten, dass
schwere Erkrankungen oder gar den Tod
der Primitivknoten von Delta-1-Mutanten
bedeuten. Besonders, wenn das Herz beungleichmäßig geformt ist und zusätzlich
troffen ist.
große, zilienlose Zellen besitzt. Vermutlich
■ Schon sehr früh in der Embryonalentverhindert die geringe Zahl der Flimmerwicklung dreht sich der anfangs symmetrihärchen einen gleichmäßigen Strom des
sche Herzschlauch nach rechts und bildet
Fruchtwassers, was zu einem Rechtsdann eine Schleife nach links. Diese Schritlinks-Defekt führen kann. Dieser überrate entscheiden über die korrekte Anordschende Befund der GSF-Wissenschaftler
nung der inneren Strukturen des ‚Pumpweist dem Molekül Delta 1 auch für die
werks’. Ein Vertauschen von rechts und
korrekte Lateralisation in der Embryonallinks ist fatal: In die Körperperipherie wird
entwicklung eine wichtige Rolle zu, zuminsauerstoffarmes Blut gepumpt, in die Lundest bei Mäusen. Ob das auch für den
ge sauerstoffreiches. Kinder, die mit dieMenschen gilt, bleibt zu prüfen.
sem Fehler geboren werden, sind so nicht
■ Sibylle Kettembeil
lebensfähig, können heute aber mit einer
Operation oft gerettet werden.
■ Auch bei Tieren gibt es solche FehlentLiteratur:
wicklungen. Immer wieder stieß Dr. Gerhard
G. K. H. Przemeck et al.: Node and midline dePrzemeck vom GSF-Institut für Experimenfects are associated with left-right development
telle Genetik auf Rechts-links-Defekte, als er
in Delta 1 mutant embryos. Development 130
Mausembryonen für ein eigentlich ganz an(2003) 3-13.
deres Projekt – über das Molekül Delta 1 –
S. Pfister et al.: Interaction of the MAGUK family
präparierte. Delta 1, wie sein zugehöriges
member Acvrinp 1 and the cytoplasmic domain
Gen seit langem ein Forschungsschwerof the Notch ligand Delta 1. J. Mol. Biol. 133
punkt im gesamten Institut, spielt zwar be(2003) 229-235.
kanntermaßen bei einer Reihe embryonaler
M. Hrabé de Angelis, J. 2nd McIntyre, A. Gossler:
Entwicklungsprozesse eine Rolle, war aber
Maintenance of somite borders in mice requimit der Lateralisation nie in Verbindung geres the Delta homologue DII1. Nature 386
bracht worden. Bei Embryonen von Maus(1997) 717-721.
mutanten, denen das Gen fehlt, fand Prze-
„M
anche meinen, lechts und rinks
kann man nicht velwechsern.
Werch ein Illtum!“ An Biologie hat
der Dichter Ernst Jandl wohl nicht gedacht,
als er seine Sentenz formulierte. Und doch –
auch die Natur kann sich irren mit rechts
und links, etwa bei der Anordnung der Organe in unserem Körper. Herz und Milz liegen
zum Beispiel normalerweise links, die Leber
rechts. Auch doppelt vorhandene Organe
sind unterschiedlich ausgeprägt: drei Lungenlappen rechts, zwei links. Diese genetisch gesteuerte Asymmetrie ist für Anordnung und Orientierung der Organe wesentlich. Werden in der Embryonalentwicklung
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mensch+umwelt 3/2004
Die Arbeitsgruppe vom GSF-Institut
für Molekulare Virologie: Silja Bühler,
Rashmi Nagarai und Antonio Cosma.
Foto: IMV
S
pritzen statt Schlucken – gelänge
es, HIV durch therapeutisches
Impfen statt durch hoch wirksame antivirale Medikamente (HAART)
in Schach zu halten, könnten Millionen
Infizierte aufatmen, denn die medikamentöse Therapie bremst zwar die Virusvermehrung effektiv und kann den
Ausbruch von AIDS lange hinauszögern. Aber die meisten Patienten müssen sich mit erheblichen Nebenwirkungen abfinden, oft gibt es Probleme
mit Resistenzen und die Behandlung
ist kostspielig. Diese Nachteile soll eine neue therapeutische Impfung mit
gentechnisch veränderten Viren vermeiden, die am GSF-Institut für Molekulare Virologie entwickelt wurde. Eine erste klinische Studie zu dieser
Impfung schlossen die Wissenschaftler vor kurzem mit ermutigenden Ergebnissen ab: Obwohl in der klinischen Phase-1 Studie lediglich Verträglichkeit und Sicherheit des Impfstoffs getestet wurden, steigerte die
Impfung bei einigen Probanden zumindest kurzfristig auch die Immunreaktion gegen das HIV-Protein Nef.
■ „Ziel des Impfens ist es, das Immunsystem bereits HIV-infizierter Patienten
mit Hilfe eines Vektor-Impfstoffs so zu
stimulieren, dass der Ausbruch von
AIDS hinausgezögert oder sogar verhindert wird“, erklärt Professor Volker
Erfle, Direktor des GSF-Instituts für
Molekulare Virologie, der die Studie
gemeinsam mit Professor Frank Goebel, dem Leiter der AIDS-Ambulanz
an den Münchner Innenstadt-Kliniken
und Wissenschaftlern des Münchner
Klinikums Rechts der Isar initiierte und
durchführte. Als Impf-Vektor nutzen
die Forscher harmlose MVA-Viren, in
die der Bauplan für das HIV-Protein
Nef eingeschleust wurde. Nef wurde
als Zielstruktur gewählt, weil es im Lebenszyklus des Virus eine entscheidende Rolle spielt: Es wird von infi-
nen eigenen Waffen schlagen
neue HIV-Therapie
zierten Zellen bald nach der Infektion gebildet und sorgt für eine möglichst effektive Vermehrung des Virus. Ohne Nef
bricht AIDS nicht aus. Funktioniert die
Impfung, schlägt sie den Erreger mit seinen eigenen Waffen: Die eingeimpften
Vektoren befallen Körperzellen und regen sie zur Bildung von Nef an, wodurch
die Immunantwort gegen Nef stimuliert
wird.
■ Dass das Immunsystem prinzipiell
HIV auch aus eigener Kraft kontrollieren
kann, zeigen so genannte LTNP-Patienten (long-term non-progressors), die
seit mindestens fünf bis zehn Jahren
das Virus auch ohne Therapie in Schach
halten. Dies gelingt ihnen, weil ihr Immunsystem anders auf eine HIV-Infektion reagiert: „Bei diesen Patienten bleibt
die Anzahl der CD4-positiven T-Zellen
nach der Infektion konstant erhöht“, erläutert Dr. Antonio Cosma vom GSF-Institut für Molekulare Virologie. „Normalerweise steigt die Zahl der CD4-Zellen
nach der Infektion zwar an, fällt dann
aber auf sehr niedrige Werte ab“. CD4positive T-Zellen sind so genannte Helferzellen, die das Immunsystem stimulieren und dadurch schützende Immunantworten aktivieren. HIV attackiert diese Zellen, daher sinkt ihre Zahl nach einer Infektion in der Regel ab. „Unsere
Idee war nun, durch die Impfung die
Immunantwort so anzuregen, dass
der CD4-Level hoch bleibt“, erläutert
Cosma.
■ Alle geimpften Patienten waren seit
längerem HIV-infiziert und wurden mit
HAART behandelt, was auch während
der klinischen Phase-1 Studie zunächst fortgesetzt wurde. Mehr als ein
Jahr nach Beginn der Impfungen sind
laut Cosma die ersten Ergebnisse ermutigend: „Von zehn geimpften Patienten stieg bei acht die Zahl der Nefspezifischen CD4-Zellen nach der Impfung an.“ Bei keinem der Patienten
war dieser Zelltyp vorher nachweisbar, es zeigte sich somit eine deutliche Immunreaktion auf die Zielstruktur HIV-Nef. Der am besten auf die
Impfung ansprechende Patient schafft
es seit über einem halben Jahr, das
Virus aus eigener Kraft zu kontrollieren, nachdem die medikamentöse
Therapie abgesetzt wurde. Allerdings
waren die anderen Patienten, die mit
einer Therapie-Unterbrechung einverstanden waren, nicht so erfolgreich
und mussten wieder anti-virale Medikamente erhalten. Eine Verbesserung
erhoffen sich die Wissenschaftler
durch Fortführung der Impftherapie.
■ Monika Gödde
Typische MVA-Plaques sind auf
den Fibroblasten des Hühnerembryos
entstanden.
Foto: Gerd Sutter
Die Abwehr ist aktiviert: Die MVANef-Impfung bewirkte eine typische
Nef-spezifische CD4-Immunreaktion.
Grafik: Antonio Cosma
Literatur:
N. L. Letvin: Progress Toward an HIV Vaccine.
Annu Rev Med (2004).
C. J. Pitcher et al.: HIV-1-specific CD4+ T cells are
detectable in most individuals with
active HIV-1 infection, but decline with prolonged
viral suppression. Nat Med 5 (1999) 518- 25.
A. Cosma et al.: Therapeutic vaccination with
MVA-HIV-1 nef elicits Nef-specific T-helper cell responses in chronically HIV-1 infected individuals.
Vaccine 22 (2003) 21-29.
An der Zelle statt am Tier
Der Felix-Wankel-Tierschutzforschungspreis geht dieses Jahr an einen GSF-Wissenschaftler
P
Für die Etablierung der Hühner Zell-Linie DT40 als genetisches Modellsystem erhielt Jean-Marie Buerstedde, Direktor des GSF-Instituts für Molekulare Strahlenbiologie, den
Foto: F. M. Schmidt
Felix-Wankel-Tierschutzforschungspreis.
rof. Jean-Marie Buerstedde wurde mit dem diesjährigen FelixWankel-Tierschutzforschungspreis ausgezeichnet. Der Direktor
des GSF-Instituts für Molekulare Strahlenbiologie erhielt den
mit 30 000 Euro dotierten Preis für seine Arbeiten zur Etablierung der
Hühner Zell-Linie DT40 als genetisches Modellsystem.
■ Um die Funktionen von vielen neu entdeckten Gene aufzuklären,
werden oft so genannte ‚knock-out-Mausstämme’ hergestellt; ihre
Gene sind durch homologe Rekombination zerstört. Diese Experimente sind jedoch aufwändig und haben die Anzahl der Maus-Tierversuche erheblich erhöht. Dabei kann im Prinzip die Funktion vieler
Gene auch in Zellkulturexperimenten untersucht werden. Humane
Zell-Linien eignen sich aufgrund geringer Rekombinationsaktivität allerdings nur bedingt, während sich, wie Buerstedde zeigen konnte,
Genknock-outs in DT40 Zellen sehr einfach durchführen lassen. Daher setzen heute viele Labors diese Zell-Linie erfolgreich für die Untersuchung von einzelnen Genen und genetischen Netzwerken ein.
DT40 kann sicher nicht alle ‚knock-out-Experimente’ in Tieren ersetzen, da zum Beispiel Genfunktionen im Zusammenhang mit komplexen Krankheiten nicht vollständig in Zellkultur aufklärbar sind. Dennoch haben die Arbeiten mit DT40 dazu geführt, dass ‚Knock-outs’ in
Mäusen nicht automatisch als einzig sinnvolle Experimente in Angriff genommen werden.
■ Der Felix-Wankel-Forschungspreis wurde 1972 gestiftet und wird
in der Regel jährlich durch die Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen. Mit ihm sollen in erster Linie Arbeiten ausgezeichnet
werden, die dazu beitragen, Versuche am lebenden Tier zu ersetzen
und dem Tierschutzgedanken allgemein dienlich und förderlich sind.
■ Beatrix Leser
mensch+umwelt 3/2004
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Berichte + Publikationen
Eine Auswahl
zentrale Frage. Sie zeigen, wie die Wahl des Erhebungsverfahrens die Ergebnisse beeinflussen kann, dass – mit Einschränkungen – aufwändige Interviews durch schriftliche Befragungen ersetzt werden können und dass
Patienten auch die Möglichkeit nutzen, schwierigen Bewertungsentscheidungen auszuweichen.
■ A. Icks, B. Haastert, A. Gandjour, J. John, H. Löwel, R. Holle, G.
Keine einfache Formel für Krebs:
Selenmangel führt nicht automatisch zu malignen Tumoren
elen ist ein Spurenelement, das in Form der Aminosäure SeS
lenocystein in etwa 25 verschiedene, zum großen Teil lebensnotwendige Proteine eingebaut wird. Viele der Selenoproteine sind
Enzyme, die das sehr reaktive Selenocystein als essentiellen Baustein für die katalytische Wirkung im aktiven Zentrum tragen. Viele
der Selenoenzyme wiederum spielen eine zentrale Rolle im RedoxMetabolismus der Zelle wie zum Beispiel Glutathionperoxidasen
und Thioredoxinreduktasen und sorgen für die Reduktion reaktiver
Sauerstoffspezies und die Aufrechterhaltung des lebensnotwendigen reduzierenden Milieus innerhalb der Zelle.
Reaktive Sauerstoffspezies werden für viele pathologische Prozesse
wie zum Beispiel die Initiation und Aufrechterhaltung von Entzündungsprozessen verantwortlich gemacht. Chronische Entzündungen sind wiederum der Nährboden, auf dem bestimmte Tumoren
entstehen. Deshalb werden reaktive Sauerstoffspezies auch oft mit
der Entstehung und Entwicklung von malignen Tumoren in Beziehung gesetzt. Im Umkehrschluss wird Tumorpatienten von vielen
Ärzten die Einnahme von Selenpräparaten empfohlen.
Dass biologischen Zusammenhänge komplexer sind und sich nicht
auf die einfache Formel „Selenmangel = Krebs“ bringen lassen,
geht aus einer Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen von Prof. Georg Bornkamm am Institut für Klinische Molekularbiologie und Tumorgenetik der GSF, der Gruppe von Dr. Dietrich Behne am HahnMeitner-Institut in Berlin und der Gruppe von Dr. Siegfried Janz der
National Institutes of Health (NIH) hervor, die im April 2004 in Cancer Research veröffentlicht wurde. Um die Bedeutung des Selenmangels für die Entstehung von Krebs zu untersuchen, haben sich
die Autoren auf das Mausplasmozytom konzentriert, einem Tumor,
der als Paradebeispiel für das Zusammenspiel zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen bei der Tumorentstehung
gilt. Damit ein Mausplasmozytom entsteht, müssen verschiedene
Umstände zusammentreffen: Etwa die Entwicklung eines durch
Plastik oder höherkettige Kohlenwasserstoffe (Pristan) induzierten
Fremdkörpergranuloms, genetische Prädisposition (Balb/c) sowie
die Haltung der Mäuse unter nicht zu sauberen Hygienebedingungen, damit sich eine aktive Darmflora und Peyer´sche Plaques im
Darm ausbilden. Die Wissenschaftler untersuchten die Entstehung
von Plasmozytomen in Mäusen, die entweder mit normaler oder
mit selenarmer Kost ernährt wurden. Nach dreimaliger Pristanapplikation entwickelten wie erwartet etwa 50 Prozent der Mäuse in
der Kontrollgruppe innerhalb von zehn Monaten ein Plasmozytom,
wohingegen überraschenderweise die selenarm ernährten Mäuse
gegenüber der Entstehung von Plasmozytomen geschützt waren,
obwohl ihre Zellen eine höhere Raten an Mutationen aufwies. Die
histologische Untersuchung zeigte, dass sich bei ihnen auch bei
mehrmaliger Pristanapplikation kein typisches entzündliches Granulom entwickelt, das als Nährboden für das Plasmozytom dient.
Der Grund hierfür ist, dass Monozyten und neutrophile mononukleäre Zellen von selenarm ernährten Mäusen nicht oder viel
schwächer auf Locksubstanzen wie Chemokine und Thioredoxin
reagieren.
Diese Arbeit macht deutlich, dass man in jedem einzelnen Fall genau auf das Zusammenspiel verschiedener Mechanismen bei der
Tumorentstehung achten muss und sich strikt vor Verallgemeinerungen hüten sollte.
Diese Publikation ist erschienen in:
■ K. Felix, S. Gerstmeier, A. Kyriakopoulos, O. M. Howard, H. F. Dong, M. Eckhaus, D. Behne, G. W. Bornkamm, S. Janz: Selenium deficiency abrogates inflammation-dependent plasma cell tumors in mice. Cancer Research 64 (2004)
2910-2917
■ T. Hammerschmidt, H. P. Zeitler, M. Gulich, R. Leidl:
A comparison of different strategies to collect standard gamble utilities.
Medical Decision Making 24(5) (2004) 493-503
Die Autoren untersuchen am Beispiel von Patienten mit Diabetes mellitus
unterschiedliche Erhebungsverfahren zur Bewertung des Gesundheitszustands – eine bei der Analyse der Wirtschaftlichkeit von Behandlungen
8
mensch+umwelt 3/2004
Giani, W. Rathmann, KORA Study Group: Cost-effectiveness of different screening procedures for type 2 diabetes: The KORA survey 2000. Diabetes Care 27 (2004) 2120-2128
Ein im Rahmen des KORA Survey 2000 gemeinsam mit dem Deutschen
Diabetes-Zentrum durchgeführtes Teilprojekt hat gezeigt, dass bei den 55bis 74-jährigen Personen der Augsburger Bevölkerung die Prävalenz des
unentdeckten Diabetes ebenso hoch war wie die des bekannten Diabetes.
Basierend auf den Studiendaten wurden nun mit Hilfe von gesundheitsökonomischen Entscheidungsmodellen verschiedene Screening-Strategien bezüglich ihrer Kosten-Effektivität für die Erkennung von Typ-2-Diabetikern
verglichen. Dabei zeigte sich, dass eine Einschränkung der HbA1c-Messung
und des oralen Glukose-Toleranztests auf Personen mit Risikofaktoren zwar
vordergründig Kosten spart, aufgrund der geringeren Sensitivität letztlich
aber doch weniger kosteneffektiv ist.
■ E. Mahabir, K. Jacobsen, D. Peters, J. Needham, J. Schmidt:
Mouse antibody production test: Can we do without it? Journal of Virological
Methods 120 (2004) 239-245
In dieser Studie wird die Sensitivität verschiedener Nachweismethoden für
die zwei in Versuchstierhaltungen häufig vorkommenden, für Mäuse pathogenen Viren MHV und MMV, beschrieben. Die routinemäßig verwendeten
Methoden Maus-Antikörper-Produktionstest, Virus Plaque Test und PCR
zeigten sehr große Sensitivitätsunterschiede. Die Relevanz dieser Differenzen für den Virusnachweis in biologischen Materialien wird diskutiert.
■ G. A. Drexler, S. Rogge, W. Beisker, F. Eckardt-Schupp, M. Z.
Zdzienicka, E. Fritz: Spontaneous homologous recombination is decreased
in Rad51C-deficient hamster cells. DNA Repair 3 (2004) 1335-1343
Homologe Rekombination (HR) ist bekannt als Mechanismus, der in der
Meiose zum Austausch genetischen Materials mütterlicher beziehungsweise väterlicher Herkunft führt. HR in mitotischen Zellen ist überwiegend für
die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB) verantwortlich. HR-Defekte sind eng assoziiert mit erhöhter genomischer Instabilität und Tumorigenese. Die Autoren haben einen neuen episomalen pGrec Rekombinations-Vektor konstruiert, der zwei mutierte Allele des eGFP Gens (enhanced
green fluorescent protein) enthält. Allein HR kann das funktionelle eGFP
Gen wiederherstellen. Die grüne Fluoreszenz der Zellen ist ein Zeichen für
seltene spontane Rekombinationsereignisse. Mit diesem Vektor analysierten die Wissenschaftler die chinesische Hamsterzell-Mutante CL-V4B
(rad51C), deren phänotypische Merkmale, genomische Instabilität und erhöhte Empfindlichkeit gegen clastogene und DNA-vernetzende Agenzien,
die Frage aufwarfen, ob sie rekombinationsdefekt ist. Wir konnten zeigen,
dass die HR-Rate in der Mutante signifikant vierfach niedriger ist als in den
isogenen Wildtypzellen. Das bedeutet, dass das RAD51C Gen eine wichtige,
aber keine essentielle Rolle für HR spielt.
■ G. A. Drexler, S. Wilde, W. Beisker, J. Ellwart, F. Eckardt-
Schupp, E. Fritz: The rate of extrachromosomal homologous recombination
within a novel reporter plasmid is elevated in cells lacking functional ATM protein. DNA Repair 3 (2004) 1345-1353
Das ATM Protein, das homozygot inaktiviert in Ataxia telangiectasia (A-T)
Patienten ist, gilt als Schlüsselprotein bei der Regulation der zellulären Antworten auf exogene Agenzien wie ionisierende Strahlen. Es wird ebenfalls
benötigt für die Kontrolle der physiologischen Prozesse des zellulären DNA
Metabolismus. Es konnte gezeigt werden, dass auch unbehandelte A-T-Zellen unter anderem spontane genomische Instabilität und Defekte im Telomermetabolismus zeigen. Mit dem Rekombinationsvektor haben die Autoren etwa 40-fach erhöhte extrachromosomale Rekombinationsraten in A-TZellen im Vergleich zu den isogenen, mit dem ATM-Gen komplementierten
und sich wie Wildtyp verhaltenden Kontrollzellen nachweisen können. Die
Befunde zeigen, dass spontane Hyper-Rekombination in A-T-Zellen unabhängig vom Chromatinstatus ist. Es ist denkbar, dass die starke Erhöhung
der extrachromosomaler Rekombination eine wichtige Rolle für die Instabilität der Telomere sowie für den Verlauf viraler Infektionen von A-T-Zellen
spielt.
■ N. Kawakami, S. Lassmann, Z. Li, F. Odoardi, T. Ritter, T.
Ziemssen, W. E. Klinkert, J. W. Ellwart, M. Bradl, K. Krivacic, H.
Lassmann , R. M. Ransohoff, H. D. Volk, H. Wekerle, C. Linington, A. Flugel: The activation status of neuroantigen-specific T cells in the target organ determines the clinical outcome of autoimmune encephalomyelitis. J.
Exp. Med. Jan 19; 199(2) (2004) 185-97
Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Projekts der Abteilung für Neuroimmunologie des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in dem die Funktion
und das Schicksal autoaggressiver T-Zellen im Verlauf der T-Zell-vermittelten Experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (tEAE) der Lewisratte
analysiert werden. Mit den retroviral konstruierten T-Zellen, die das Gen
des Green Fluorescent Proteins (GFP) exprimieren und die die Autoren
mittels Fluoreszenz-aktivierter Zell-Sortierung (FACS) isolierten, untersuchten die Wissenschaftler das Verhalten und die Wirkung unterschiedlich pathogener T-Zelllinien im Verlauf der tEAE.
■ W. S. Tirsch, P. Stude, H. Scherb, M. Keidel: Temporal order of
nonlinear dynamics in human brain. Brain Research Reviews 45 (2004)
79-95
In dieser Arbeit wird die etwa Ein-Minuten-Periodizität des menschlichen Wach-EEGs mit Hilfe der nicht linearen, dynamischen Systemtheorie (Chaosanalyse) beschrieben.
■ P. Zhu, E. Martin, J. Mengwasser, P. Schlag, K-P. Janssen, M.
Göttlicher: Induction of HDAC2 expression upon loss of APC in colorectal tumorigenesis. Cancer Cell, May vol. 5 (2004) 455-463
Die Acetylierung von Histonproteinen hat einen wesentlichen Einfluss
auf die Organisation von DNA in Chromatin. Bei vielen Formen von
Krebs erwartet man eine therapeutische Modulation dieser Organisation
von Chromatin durch Hemmung der Histondeacetylasen durch kleine
Moleküle wie Buttersäure oder Valproinsäure. Bei einigen Formen der
Leukämie wurde der Grund für die fehlerhaft Organisation von Chromatin im Austausch von Bruchstücken zwischen Chromosomen und der
Bildung von Hybridproteinen identifiziert. Gründe für fehlerhafte Acetylierung im Karzinomen epithelialen Ursprungs waren bisher nahezu unbekannt. Die vorliegende Publikation zeigt, dass im Rahmen der Darmkrebsentstehung die Histondeactelyase 2 vermehrt gebildet wird, wenn
der Tumorsuppressor des Darms, APC, verloren geht. Diese Entdeckung
stellt eine Verbindung zwischen der Funktion von APC und der Modifikation von Chromatin her. Zusätzlich wird einem einzigen Mitglied aus der
Familie der Histondeacetylasen eine spezifische Funktion zugeordnet
und dieses Mitglied, die HDAC2, als besonders aussichtsreicher Kandidat für die Suche nach spezifischen chemischen therapeutischen
Hemmstoffen identifiziert.
■ P. Bernhardt, W. Friedland, H. G. Paretzke: The role of atomic
inner shell relaxations for photon-induced DNA damage. Radiation and Environmental Biophysics 43 (2004) 77-84
Mit Hilfe des biophysikalischen Simulationsprogramms PARTRAC wurde der Einfluss von Ionisationen innerer Schalen von Atomen in der
DNA mit anschließender Relaxation auf die dadurch in der Zelle induzierten Schäden durch Photonenstrahlung unterschiedlicher Energie detailliert untersucht. Diesen Prozessen wird in der Literatur eine herausragende biologische Wirkung zugesprochen. Es zeigte sich, dass die Anzahl der Prozesse dieser Art bei nicht zu niedrigen Photonenenergien
(> 1 keV) im Vergleich zur Anzahl der induzierten DNA-Doppelstrangbrüche klein ist. Auch folgt ihre Abhängigkeit von der Photonenenergie
nicht den gemessenen Werten der biologischen Wirksamkeit für biologische Endpunkte wie Chromosomenaberrationen, Mutationen und Zellinaktivierung. Daraus ist zu folgern, dass Ionisationen innerer Schalen
von DNA-Atomen im Allgemeinen nicht ausschlaggebend für die Strahlenwirkung sind.
■ U. A. Fill, M. Zankl, N. Petoussi-Henss, M. Siebert, D. Regulla:
Adult female voxel models of different stature and photon conversion
coefficient for radiation protection. Health Phys. 86 (2004) 253-272
Die Erstellung dreier Voxelmodelle aus medizinischen Bilddaten von
Frauen unterschiedlicher Statur wird skizziert und Tabellen von Organdosiswerten bei externem Einfall von Photonenstrahlung für diese unterschiedlichen Modelle werden präsentiert. Diese Arbeit stellt erstmalig
Organdosen für realistische Menschmodelle von Frauen zusammen und
erlaubt die Abschätzung von Organdosen abhängig von der Statur.
■ U. C. Gerstmann, G. Rosner, P. Schramel: Bioavailability of
239+240Pu and 137Cs in aerosols and deposited dusts: a comparativ study
by fractional extraction. Radiat. Environ. Biophys. 43 (2004) 111-117
Die Bioverfügbarkeit von Plutonium und 137Cs in Luftstäuben, in abgelagertem Staub und in der obersten Bodenschicht wurde untersucht.
Durch sequenzielle Extraktion wurde gefunden, dass sich sowohl Plutonium als auch 137Cs am leichtesten aus dem Luftstaub lösen lassen, wobei ein größerer Anteil von Plutonium organisch gebunden ist. 137Cs in
Luftstaub ist biologisch deutlich höher verfügbar als in abgelagerten
Stäuben und im Boden.
■ W. F. Heidenreich, T. I. Bogdanova, A. G. Biryukov, N. D.
Tronka: Time trends of thyroid cancer incidence in Ukraine after the Chernobyl accident. J. Radiol. Prot. 24 (2004) 283-293
In der Arbeit wird das Auftreten von Schilddrüsentumoren bei Ukrainern, die zur Zeit des Reaktorunfalls von Chernobyl Kinder waren, mit
einer Technik untersucht, die viele Unsicherheiten der Dosimetrie vermeidet. Das zusätzliche absolute Risiko pro Dosis nimmt nach drei Jahren etwa linear bis zumindest neun Jahren nach dem Unfall zu und ist
kaum abhängig vom Alter der Kinder zum Zeitpunkt des Unfalls.
Patente + Technologietransfer
Müll schluckt Dioxine:
Intelligenter Einsatz von Abfällen vermindert Dioxinbildung
issenschaftler des GSF-Instituts für Ökologische Chemie haben ein
neues Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Bildung von
Dioxinen im Abgas von Verbrennungsanlagen erheblich reduzieren lässt.
Durch Beimischung unproblematischer Schwefelverbindungen erreichten sie im Labor eine Dioxinminderung bei der Verbrennung des Materials von bis zu 99 Prozent. Da auch der ganz normale Hausabfall erhebliche Mengen an Schwefelverbindungen enthalten kann, eröffnet dieses
Verfahren völlig neue Perspektiven im Sinne einer Kreislaufwirtschaft für
Müllverbrennung aber auch für andere Verbrennungsanlagen wie etwa
Kohlekraftwerke. Eine Erteilung
des Patentes in USA und Europa
und somit auch in Deutschland
wird in Kürze erfolgen.
Dass bei der Verbrennung von Abfällen im Abgas Dioxine entstehen
können, ist altbekannt, stellt aber
die Rauchgasreinigungstechnik
der Müllverbrennungsanlagen
auch heute noch vor große Herausforderungen. Dass aber durch
Zugabe bestimmter Abfälle die
Manchmal ist es nützlich, dass
Bildung von Dioxinen deutlich reder normale Hausmüll aus einem
duziert werden kann, ist neu. Im
Gemisch unterschiedlicher MateLabor stellten Dr. Dieter Lenoir
und Dr. Karl-Werner Schramm
rialien besteht: Schwefel- und
vom GSF-Institut für Ökologische stickstoffhaltige Verbindungen
Chemie zunächst eine repräsentareduzieren die Dioxinbildung im
tive Mischung an Hausmüll zuAbgas von Verbrennungsanlagen
sammen. Bei deren Verbrennung
Foto: BMU
entstanden übliche Dioxinmengen erheblich.
in Höhe von durchschnittlich 52
Pikogramm pro Gramm Brennstoff. In einem zweiten Schritt mischten
die Wissenschaftler dem Hausmüll nacheinander verschiedene schwefelhaltige Verbindungen in unterschiedlich hohen Gewichtsanteilen von
ein bis zehn Prozent bei. Das Ergebnis überraschte selbst die Wissenschaftler am GSF-Institut für Ökologische Chemie: „Bereits mit einer Zugabe von nur fünf Gewichtsprozenten Amidosulfonsäure reduzierte sich
die Dioxinbildung um 97 Prozent“, betont Lenoir. Natürlich handelt es
sich bei diesen so genannten Inhibitoren allesamt um für die Umwelt ungefährliche Verbindungen, die bei der Verbrennung rückstandsfrei eliminiert werden.
Genau die schwefel- und stickstoffhaltigen Verbindungen, die in den Labors des GSF-Forschungszentrums zum Einsatz kamen, finden sich aber
auch natürlicherweise in beinahe jeder Hausmüllmischung. Aber sie
könnten auch in Form von Gipsabfällen, Autoreifen, Abraummaterial
oder sogar bestimmten pharmazeutischen Abfällen dem normalen Verbrennungsmaterial zugesetzt werden. Damit ließe sich zweierlei erreichen: Zum einen wären sowohl die Dioxinbildung im Abgas als auch der
damit verbundene hohe Aufwand für die anschließende Rauchgasreinigung drastisch reduziert. Und zum anderen könnten Abfälle selbst quasi
als Wertstoffe für eine umweltfreundliche Entsorgung intelligent zum
Einsatz kommen.
Um Testreihen auf großtechnischen Maßstab anzuheben, suchen
Schramm und seine Kollegen nun nach einem Industriepartner, der seine Anlage zur Verfügung stellt.
W
„Verringerung von Dioxinen in Verbrennungsgasen“
Angemeldet beim Europäischen Patentamt unter der Nummer 01226389
und beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 19953418
Falls Sie mehr über die das Verfahren wissen möchten, wenden Sie sich
bitte an unseren Patente- und Technologietransfer oder direkt an:
Dr. Karl-Werner Schramm
GSF-Institut für Ökologische Chemie
Tel. 089/3187-3147
E-Mail: [email protected]
Auskunft über GSF-Patente sowie Informationen zum
Technologietransfer bei: Dr. Josef-K. Gerber
Patente & Technologietransfer
Tel.: 089/3187-2481, Fax: 089/3187-4000
E-Mail: [email protected]
mensch+umwelt 3/2004
9
Nobelpreisträger überreicht
GSF-Doktorandenpreise
Prof. Dr. Erwin Neher ist Festredner auf der Autumn Lecture 2004
wurde in diesem Jahr an Doktoranden aus den Instituten für Entwicklungsgenetik, Molekulare Virologie und
Molekulare Immunologie sowie der Klinischen Kooperationsgruppe Umweltdermatologie und Allergologie
verliehen.
■ Preisträgerin Dr. Clara Lubeseder-Martellato untersuchte das Guanylat-Bindungs-Protein-1 (GBP-1), ein
Eiweiß in Endothelzellen, das spezifisch während entzündlicher Reaktionen exprimiert wird. Sie konnte zeigen dass GBP-1 bei der Schuppenflechte, dem Kaposisarkom – einer Folgeerscheinung der Infektion mit
HIV – und nach Drogenkonsum überrepräsentiert ist.
■ Dr. Alexandra Tallafuß wurde für ihre Arbeit über die
Anlage und frühe Entwicklung von bestimmten Hirnarealen in embryonalen Zebrafischen ausgezeichnet.
Erwin Neher (li.), Nobelpreisträger für Medizin, und GSF-Geschäftsführer Hans Jahreiß bei
der Autumn Lecture 2004.
I
m Rahmen der Autumn Lecture anlässlich der Jahrestagung des Vereins der Freunde und Förderer der GSF (VdFF)
referierte der Nobelpreisträger
Prof. Erwin Neher über die „Regulation der Neurotransmitterund Hormonausschüttung durch
Kalzium und zyklisches AMP“.
Im Anschluss daran überreichte
Die Träger des Doktorandenpreises und ihre Betreuer: Vordere Reihe, v.l.n.r.: Laure
er die Doktorandenpreise 2004
Bally-Cuif, GSF-Institut für Entwicklungsgenetik, Clara Lubeseder-Martellato, Nobeldes VdFF und der bayerischen
preisträger Erwin Neher, Gerhard Mittler, Caren Vollmert, Heidrun Behrendt, KliniVolksbanken Raiffeisenbanken.
sche Kooperationsgruppe Umweltdermatologie und Allergologie der GSF. Hintere
Der vom VdFF ausgeschriebene
Reihe, v.l.n.r.: Michael Stürzl, Institut für Molekulare Virologie der GSF, Michael
Paula und Richard von HertwigMeisterernst, Institut für Molekulare Immunologie der GSF, Hans Jahreiß, KaufmänPreis für interdisziplinäre Zunischer Geschäftsführer der GSF und Carl-Heinz Duisberg, Vorsitzender des Vereins
sammenarbeit 2004 wurde am
der Freunde und Förderer der GSF.
Fotos: Ulla Baumgart
Abend bei einem gemeinsamen
Abendessen verliehen.
■ Der 1944 geborene Biophysi■ Dr. Gerhard Mittler erhielt den Doktorandenpreis für
ker Prof. Erwin Neher, Direktor des Max-Planck-Instituts
seine Arbeit über die Regulation der RNA-Polymerase
für biophysikalische Chemie in Göttingen, erhielt 1991 zuII-Transkription durch einen humanen Multiproteinsammen mit dem Mediziner und Zellphysiologen Prof.
komplex. Nicht alle Gene, die im menschlichen Erbgut
Bert Sakmann vom Max Planck-Institut für medizinische
vorhanden sind, werden auch abgelesen (transkribiert)
Forschung in Heidelberg den Nobelpreis für die Entund schließlich in Proteine übersetzt. Mittlers Arbeit
deckung von Ionenkanälen in der Zellhülle.
■ Gemeinsam mit GSF-Geschäftsführer Dr. Hans Jahreiß
untersucht an einem Beispiel wie die Transkription eiund dem Vorsitzenden des Vereins der Freunde und Förnes Gens durch einen Proteinkomplex reguliert wird.
■ Dr. Caren Vollmert wurde für die Entwicklung von
derer der GSF, Dr. Carl-Heinz Duisberg, überreichte
Methoden und Geräten zur in vitro Exposition von
Neher den Trägern des Doktorandenpreises Urkunden
menschlichen Keratinozyten von Probanden mit atopiund Schecks. Ausgezeichnet wurden wieder herausraschem Ekzem mit gasförmigen Schadstoffen ausgegende Dissertationsarbeiten auf den Gebieten Umweltzeichnet.
forschung, Biologie und Gesundheitsforschung. Der seit
■ Gülnilhal Yüksekdag
1997 verliehene und mit jeweils 1500 Euro dotierte Preis
10
mensch+umwelt 3/2004
Produktives Netzwerk
Forscherteam erhielt Paula und Richard von Hertwig-Preis
D
er mit 5000 Euro dotierte Paula
und Richard von Hertwig-Preis
für interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde in diesem Jahr an
sieben Wissenschaftler aus der GSF
und der Medizinischen Fakultät der
LMU München verliehen. Dr. Andrej
Khandoga, Andreas Stampfl, Dr. Shinji Takenaka, Prof. Holger Schulz, Roman Radykewicz, Dr. Wolfgang Kreyling und Prof. Fritz Krombach aus den
GSF-Instituten für Toxikologie und Inhalationsbiologie sowie der Chirurgischen Forschungsabteilung der LMU
München erhielten die Auszeichnung
für eine gemeinsame Publikation in
der Zeitschrift Circulation*. Die Veröffentlichung befasst sich mit den Auswirkungen kleinster Schadstoffpartikel
in der Luft auf die Leberfunktion.
■ Prof. Martin Göttlicher, Direktor des
GSF-Instituts für Toxikologie, würdigte
in seiner Festrede die Bedeutung der
Arbeit. Viele epidemiologische Studien
weisen darauf hin, dass erhöhte Luftverschmutzung und die damit vorkommenden kleinsten Schadstoffpartikel
(kleiner als 0,1 Mikrometer Durchmesser) in der Atemluft mit gesteigerten Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen zusammenhängen. In der jetzt
preisgekrönten Arbeit wurden die Auswirkungen der aus der Lunge in die
Leber einwandernden Kleinstpartikel
und ihre negativen Einflüsse auf die
Leberfunktion beziehungsweise ihre
Spätfolge auf die Herzblutgefäße untersucht: Mittlerweile ist bekannt, dass
ultrafeine Partikel aus der Lunge vor
allem in der Leber akkumulieren. Die
Leber ist an entscheidenden Funktionen wie der Glucosefreisetzung, der Fibrinogen-Produktion, der Umsetzung
von Hormonen oder der Freisetzung
von Cholesterin beteiligt. Die Einlagerung von Schadstoffen in der Leber
kann daher zur Beeinträchtigung dieser Funktionen oder zu Leberschäden
führen und dadurch bereits vorhandene Herzerkrankungen verschlimmern.
Außerdem konnte gezeigt werden,
dass ultrafeine Partikel BlutplättchenAkkumulation in den die Leber versorgenden Kapillaren induzieren.
■ Der Preis erinnert an das Werk der
Wissenschaftler Paula und Richard
von Hertwig. Beide waren interdisziplinär in den Bereichen Genetik, Morphologie sowie Strahlenbiologie und
Strahlenschutz tätig. Mit dem Preis
würdigen der VdFF und das GSF –
Forschungszentrum für Umwelt und
Gesundheit herausragende fachübergreifende wissenschaftliche Leistungen entsprechend der Leitlinie der
GSF, interdisziplinäre Forschungsansätze auf das Spannungsfeld zwischen Umwelt und Gesundheit anzuwenden.
■ Gülnilhal Yüksekdag
* „Ultrafine particles exert prothrombotic but not inflammatory effects on the hepatic microcirculation in
healthy mice in vivo“, erschienen in Circulation 109 (2004) 1320-1325
Kurz notiert
■ Bayerns Kultusministerin Monika
Hohlmeier übergab am 16. September
das Gläserne Labor der GSF offiziell seiner Bestimmung. Das Schülerlabor wurde von der GSF mit großzügiger Unterstützung der Helmholtz-Gemeinschaft
eingerichtet und soll Schulklassen die
Möglichkeit geben, durch experimentelles Arbeiten ein tieferes Verständnis für
Naturwissenschaften zu entwickeln.
Als „die richtige Antwort auf PISA- und
OECD-Studie“ bezeichnete die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier das Gläserne Labor, als sie die EinFoto: mvdh
richtung offiziell eröffnete.
■ Die GSF erhält den Bayerischen
Frauenförderpreis 2004. Zusammen
mit zwei weiteren Unternehmen wird sie
für ihre Maßnahmen zur Verbesserung
der Chancengleichheit von Frauen und
Männern mit dem vom Bayerischen
Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vergebenen Preis ausgezeichnet.
■ Als neues Mitglied aus den Bereichen
Wissenschaft und Wirtschaft wurde
Prof. Stefan H. E. Kaufmann, MaxPlanck-Institut für Infektionsbiologie Berlin in den Aufsichtsrat der GSF berufen.
■ Das Institut für Strahlenbiologie steht
jetzt unter der Leitung von Prof. Friederike Eckhardt-Schupp. Die GSF-Wissenschaftlerin wurde zum 1. August als
kommissarische Direktorin eingesetzt.
■ Dr. Manfred Kirchner, Institut für
Ökologische Chemie, wurde in die Arbeitsgruppe „Passivsammler“ der VDI /
DIN-Kommission Reinhaltung der Luft
berufen.
■ PD Dr. Philippe Schmitt-Kopplin,
Institut für Ökologische Chemie, wurde
in das Editorial Board der international
renommierten Zeitschrift „Electrophoresis“ berufen.
Über den Preis für interdisziplinäre Zusammenarbeit freuten sich: Fritz
Krombach, Holger Schulz, Roman Radykewicz (vordere Reihe, von links),
Wolfgang Kreyling, Andrej Khandoga, der Vorsitzende des Vereins der
Freunde und Förderer der GSF Carl-Heinz Duisberg, Andreas Stampfl und
Foto: Ulla Baumgart
Shinji Takenaka (hintere Reihe, von links)
■ Prof. Thomas Meitinger, GSF-Institut
für Humangenetik, wurde in das Scientific Advisory Council für die neu geschaffene Forschungsabteilung Genetische
Medizin der Europäischen Akademie in
Bozen berufen.
mensch+umwelt 3/2004
11
Überfall im Auge
Uveitis – eine menschliche Autoimmunkrankheit wird am Modell Pferd aufgeklärt
D
ie Uveitis ist eine bis heute
nicht heilbare, sehr schmerzhafte Augenentzündung. In
Deutschland leiden rund 400.000
Menschen daran. Ähnlich wie die
Multiple Sklerose ist die Uveitis eine schubweise verlaufende Autoimmunkrankheit, die sich gegen
körpereigene Proteine richtet. Und
ebenso wird sie mit Cortison und
immunsuppressiven Medikamenten behandelt. Diese haben allerdings starke Nebenwirkungen, weshalb
Wissenschaftler die genauen Krankheitsmechanismen genauer erforschen
und neue Therapien entwickeln wollen. Im Rahmen einer gemeinsamen
Klinischen Kooperationsgruppe zwischen GSF und
LMU haben Forscher beider Organisationen viel
versprechende Ansätze
nicht nur zum Verständnis
der Uveitis, sondern darüber hinaus von Autoimmunkrankheiten allgemein
entwickelt.
■ Dr. Marius Ueffing und
Doktorandin Stefanie Hauck vom
GSF-Institut für Humangenetik (Leiter: Prof. Thomas Meitinger) sowie
Dr. Cornelia Deeg vom Institut für
Tierphysiologie der LMU (Prof.
Bernd Kaspers) machen sich zu
Nutze, dass auch Pferde spontan
an Uveitis erkranken. Auch bei ihnen bringen vermutlich Erreger wie
Viren oder Pilze das Immunsystem
dazu, plötzlich körpereigene Proteine anzugreifen. Die Folgen der heftigen Entzündungsreaktionen, so
Ueffing und Deeg, „gleichen einem
feindlichen Überfall durch eigene
Truppen: Aggressive Immunzellen
dringen ins Auge ein und zerstören
alles, was sie als vermeintlich
fremd erkennen. Infolgedessen löst
sich die Netzhaut in Teilen ab, die
Regelmäßigkeit der hochgeordneten Gewebestruktur geht völlig verloren. Es kommt zu regelrechten
Verwerfungen.“
■ Um autoantigen wirkende Proteine im Zusammenhang mit Uveitis
12
mensch+umwelt 3/2004
aufzuspüren, kombinierten die
Wissenschaftler immunologische
und proteomische Methoden.
Zunächst ‚zerlegten’ sie das gesamte Proteininventar der Netzhaut mit einem hochauflösenden
zweidimensionalen Trennverfahren, fixierten die getrennten Proteine auf einer Polymermatrix und inkubierten die so exponierten Proteine mit Blutserum der Pferdepati-
Aggressive Immunzellen
greifen plötzlich körpereigene Proteine an. Im erkrankten Auge (rechts)
löst sich die Netzhaut ab.
Fotos: Sven Reese, Hartmut Gerhards
enten. Die im Serum enthaltenen
Autoantikörper binden dann spezifisch an einzelne der aufgetrennten
Proteine und lassen sich über eine
zweite Immunbindungsreaktion
nachweisen. Die Zielproteine dieser doppelten Immunreaktion kann
man dann isolieren und mit einem
hochempfindlichen massenspektrometrischen Verfahren identifizieren. Auf diese Weise konnte die Arbeitsgruppe vier Autoantigene der
Pferde-Netzhaut nachweisen, die
an der Entstehung der Uveitis beteiligt sind.
■ Erstaunliches entdeckten die
Wissenschaftler, als sie einige
Uveitis-Pferde über längere Zeit
beobachteten: Die Immunreaktion
veränderte sich. Bei neuen Entzün-
dungsschüben kamen neben den
zuvor identifizierten noch andere
Antigene ins Spiel. Dabei erweiterte sich nicht nur das Antigen-Spektrum, sondern auch der Schwerpunkt verschob sich. Jetzt waren
vor allem die ‚neuen’ Antigene für
die Entzündungsreaktion verantwortlich, während die ‚alten’ an Bedeutung verloren. Offenbar, so interpretieren Ueffing und Deeg diesen Befund, steht am Anfang einer Uveitis die fehlgeleitete Immunreaktion
auf eines oder wenige Autoantigene und dehnt sich
dann auf weitere aus. „So
ein heißgelaufenes Immunsystem ist dann offenbar so fehlgesteuert, dass
es immer mehr eigene
Proteine als Fremdkörper
angreift.“
■ Die ‚neuen’ angegriffenen Proteine stammen
vermutlich aus den Zerstörungsreaktionen im entzündeten Auge.
Dort werden nun Eiweiße freigesetzt,
die sonst in Zellen
eingeschlossen
sind, ohne Kontakt
zum Immunsystem.
„Eine Theorie dazu
lautet, dass solche
Proteine bestimmte
Strukturen besitzen, die etwa auch
auf der Oberfläche von Bakterien
oder anderen Erregern zu finden
sind“, erläutern die Wissenschaftler, „und solche Strukturen zu erkennen, ist ja die Aufgabe des Immunsystems.“ Wiederum überraschend war die Feststellung, dass
die neu hinzukommenden Autoantigene auch für sich allein eine Uveitis auslösen können, wie sich im
Rattenmodell erwies.
■ Sibylle Kettembeil
Literatur:
C. A. Deeg et al.: The Uveitogenic Potential of
Retinal S-Antigen in Horses. Invest. Ophthalmol.
Vis. Sci. 45 (2004) 2286.
F. Steinbach et al.: Equine immunology:
offspring of the serum horse. Trends Immunol.
23(5) (2002) 223-225.
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