Podium Mittwoch, 12. Januar 2011 · Nr. 3 21 Emerging Markets kritisch betrachtet Optimistische Ertragserwartungen und unterschätzte Risiken – Was treibt den Aktienertrag wirklich? – Hohes Wachstum noch kein Erfolgsgarant E ntfesselteWachstumsdynamik, hohe Sparquoten und Devisenreserven sowie eine tiefe Verschuldung sind zweifellos ein gesunder Humus für optimistische Ertragserwartungen an Aktien aus Schwellenländern. Doch selbst wenn das wirtschaftliche Wachstum überdurchschnittlich ausfällt, ist Aktienertrag damit nicht garantiert, denn hohes Wachstum korreliert nicht, wie gemeinhin postuliert, positiv, sondern negativ mit dem Aktienertrag. Ein Plädoyer zur Richtigstellung der Fakten – und damit zur Vermeidung von gefährlichen Illusionen – ist angebracht. Fünf unterschätzte Faktoren sind zudem unbedingt zu beachten. Bis 2014 wird die Weltbevölkerung gemäss US Census Bureau auf 7155 Mio. zunehmen. 7,8% werden über 65 (ü65) und 26,7% unter 15 (u15) sein. In hoch entwickelten Volkswirtschaften reicht der Anteil der ü65 von 13% (USA) bis 23% (Japan), der Anteil der u15 von 12,5% (Japan) bis 19,4% (USA). unterdurchschnittlichen Aktienertrag. Der amerikanische Finanzprofessor Jay R. Ritter hat vor einigen Jahren in einem bemerkenswerten Aufsatz («Economic growth and equity returns») im «Pacific-Basin Finance Journal» geschrieben: «Countries with high growth potential do not offer good equity investment opportunities unless valuations are low.» Ein Einwand sei an dieser Stelle vorweggenommen: Dass Schwellenländeraktien 2005 bis 2009 jährlich 15% rentiert haben, während etwa die USA mit 0,7% p.a. fast stagnierten, steht nicht im Widerspruch zu Ritters Konklusion. Ökonomisches Wachstum ist nicht irrelevant für Investoren, aber der schwache bzw. meistens negative Zusammenhang zwischen Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens und dem realen Aktienertrag wird von zusätzlichen Faktoren stark beeinflusst. Neben einem positiven wirtschaftlichen Umfeld spielen folgende Faktoren bei der Performance von Schwellenländeraktien die massgebliche Rolle. Verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen: Die Öffnung der Kapitalmärkte bewirkt eine Verbesserung der Institutionen wie gesetzliche Grundlagen, Durchsetzungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten sowie Eigentums- und Anlegerschutz. Finanzielle Offenheit führt zur beschleunigten Entwicklung inländischer Geld- und Kapitalmärkte. Die Kreditaufnahme im Ausland hat erhöhten Wettbewerb der Banken, marktgerechte Zinsen, besseren Einsatz von Kapital, Ersatz von ineffizienten Finanzintermediären und letztlich die Reduktion von inländischen Zinsen zur Folge. Wachstumsillusion 8 in % 7 6 5 4 3 2 1 0 en lgi Be n lie ita de nd hla sc ut ich kre n Fra en eg w or n n Realer Aktienertrag (0 1900–2004) ien an Sp n n a de briA ien de alie ad s an ab US we ustr erl Gros nien Kan Ar h i c d A S u n tan Sa n Reales Wirtschaftswachstum pro Kopf (0 1900–2004) an Jap eiz hw Sc nd irla ark em n dä Quelle: Swiss Rock / Grafik: FuW, si Roman von ah ied In den Schwellenländern sind die Verhältnisse klar anders. In den Bric-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China) hat Indien mit 5,6% den tiefsten ü65sowie mit 29,8% den höchsten u15-Anteil, die anderen sind dazwischen.Wenn all die jungen Menschen in den Arbeitsprozess integriert werden, wird das wirtschaftliche Wachstum jahrzehntelang überdurchschnittlich sein. Seit noch nicht langer Zeit übertrifft das nationale Bruttoinlandprodukt (BIP) bzw. Volkseinkommen von China dasjenige Japans. Ist dies ein Anlass zum Feiern? Im Grunde nicht, denn ein Gleichstand des BIP dieser beiden Länder bedeutet lediglich, dass Japan mit 10% der Bevölkerung gleich viel erwirtschaftet wie das riesige, aber arme China. Das ProKopf-Einkommen, angepasst um Unterschiede in der Kaufkraft, ist trotz bekannter Schwächen ein geeignetes Mass, den Wohlstand von Ländern zu vergleichen. Ende 2008 lagen die USA mit 46 350$ weit vorn und China mit 5971 $ weit hinten in diesem Leistungsvergleich. Wenn China weiterhin mit 8% und Japan mit 1% pro Jahr wächst, wird das Pro-Kopf-Einkommen erst in 27 Jahren identisch sein. In einer ersten Annäherung sollten die Anteile am Welt-BIP die Grössenunterschiede in der Bevölkerung recht gut abbilden. Wie der grosse Wirtschaftshistoriker Angus Maddison gezeigt hat, war das ums Jahr 1700 auch schon so: China und Indien hatten zusammen einen Anteil von 47% am damaligen Welt-BIP. Das unterschied sich wenig vom Anteil um 1820 von 49% – bei einem Weltbevölkerungsanteil von 50%. Japan, Europa und die USA machten 29 bzw. 31% Anteil am Welt-BIP aus – bei einem Bevölkerungsanteil von gut 20%. Nach zwei Weltkriegen und wirtschaftlichen und politischen Irrungen betrug 1952 der Anteil Chinas und Indiens am WeltBIP 9,2%, bei einem Bevölkerungsanteil von 36%. Währenddessen erwirtschafteten Japan, die USA und Europa 60% des Welt-BIP mit einer Bevölkerung von 25%. Bild: PAWAn SHARmA/AP/KEyStOnE BIP pro Kopf als Messlatte Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen sieht die Wirtschaftsleistung verschiedener Schwellenländer (im Bild indien) nicht mehr so spektakulär aus. Das ist ein eindrückliches Beispiel für die gewaltigen Kosten der fehlgeleiteten (Wirtschafts-)Politik in Indien und China. Top-Performance seit 1988 Schwellenländeraktien haben sich seit 1988 im Wert versiebzehnfacht, während sich ein breit diversifiziertes Aktienweltportfolio «nur» verdreifacht hat. Die Öffnung hin zu globaler Interaktion, parallel zum stetig verbesserten sozial- und wirtschaftspolitischen Umfeld, wirkte sich positiv aus, und dieWachstumsaussichten bleiben – mit den üblichen bewältigbaren Erhitzungserscheinungen wie zum Beispiel Inflation – hervorragend. Der Leistungsausweis über die letzten beiden Jahrzehnte ist jedoch nicht ohne Schatten. Auch Anfang der Neunzigerjahre konnte ein sehr positives Bild der Perspektiven südamerikanischer und asiatischer Länder gezeichnet werden. Die Zweigeteilte Weltwirtschaft Märkte haben schnell und viel davon vorweggenommen und sich zwischen 1988 und 1994 im Wert versiebenfacht. Danach folgte eine zehnjährige Stagnation, mit heftigen Korrekturen in der Asienkrise. Erst 2004 wurde derWachstumstrend wieder aufgenommen. Es folgten eine neue, über 50%ige Abwärtskorrektur 2008 und eine sehr schnelle Aufholjagd danach. Eine falsche Gleichung Hohes ökonomisches Wachstum ist begleitet von einem attraktiven Aktienertrag – so die aktuell weit verbreitete Hypothese kollektiver Erwartungsbildung. Leider ist die Mehrheitsmeinung kein zuverlässiger Indikator für inhaltliche Substanz. Die historische Evidenz zeigt das Gegenteil: Die Korrelation von realem Aktienertrag und Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens ist negativ. Das heisst: Ein hohes ökonomisches Wachstum ist begleitet von einem Risikogerecht entschädigt? Oft waren die Ausländer bei der Liberalisierung währungsgeschützt, da liberalisierende Länder ihre Währung an den Dollar (oder Währungskörbe) gebunden haben. Selbstverständlich besteht immer auch ein Gefahrenpotenzial, wie Boom-BustKreditzyklen oder ein Zusammenbruch der Währungsanbindung. Ebenso wichtig sind der Abbau von Hemmnissen im grenzüberschreitenden Handel sowie globale Handelsvereinbarungen. Risikogerechte Entschädigung des Kapitals: Der Ertrag muss die effektiven Kapitalkosten von Unternehmen übertreffen. Sonst vernichtet Wachstum den Kapitalstock. Ein ökonomischer Mehrwert wird dann nicht geschaffen, und die Performance von Dividendenpapieren ist schlecht. Das war zum Beispiel ein Grund, weshalb Aktienanlagen in Deutschland bis weit in die Neunzigerjahre hinein im Vergleich zu Obligationen nicht überzeugten. Auch wenn die Qualität der Datensätze noch nicht auf westlichem Niveau ist, so kann konstatiert werden, dass die Bric-Länder Brasilien, China und Indien erst im neuen Jahrtausend in der Lage sind, echten ökonomischen Mehrwert zu realisieren. Russland als Gesamtmarkt genügt dieser Metrik nach wie vor nicht. Wachstumsüberraschungen: Märkte antizipieren und bewerten heute Ereignisse, die weit in der Zukunft liegen. Dass Schwellenländer überdurchschnittlich wachsen, ist nicht neu und begründet sich auch in der Demografie. Für die Aktien- performance spielen Überraschungen eine wichtige Rolle. Anleger und Finanzanalysten leiten ihre Erwartungen oft aus der jüngeren Vergangenheit ab und sind somit prozyklisch. Im Nachgang der zehnjährigen Flaute von Schwellenländeraktien waren die Wachstumserwartungen zu Beginn des neuen Jahrzehntes sehr tief. Genauso wie sie gegen Mitte der Neunzigerjahre, bedingt durch das hohe Wachstum vorher, sehr optimistisch waren. Die positiven Wachstumsüberraschungen zwischen 2003 und 2007 haben die Märkte stark unterstützt. Attraktive Bewertung: Die Bewertung von Schwellenländertiteln, gemessen an Indikatoren wie KGV, Kurs-Buch- oder Kurs-Cashflow-Verhältnis, war in der ersten Hälfte des neuen Jahrzehnts deutlich tiefer als die entwickelter Märkte, ein Abbild auch der tiefen Wachstumserwartungen. Kein Wunder, dass die attraktiven Bewertungen gekoppelt mit positivenWachstumsüberraschungen im Anschluss zu boomenden Aktienmärkten geführt haben. Konsequenzen der Globalisierung: Die Skepsis gegenüber den Wachstumsperspektiven der USA ist gross. Es dominiert die Meinung, dass das inländische Malaise schlecht für die Aktienperformance in den USA sei. Dabei wird unterschlagen, dass die Gewinne von US-Unternehmen zu mehr als 40% aus dem Ausland kommen, Tendenz steigend. Kein Wunder, hat der S&P 500 in Dollar, aber auch in Euro deutlich besser abgeschnitten als die Mehrheit der europäischen Länder. Generell führt die Globalisierung dazu, dass Teile derWachstumsdynamik von Schwellenländern über Gewinntransfers zu global kompetitiv aufgestellten Unternehmen fliessen und ihre Aktien deutlich positiv beeinflussen. Die Dynamik von Schwellenländern wird Jahrzehnte anhalten. Das Aufholpotenzial besonders der Bric-Länder ist gross. Emerging Markets haben zweifellos ihre Berechtigung im Aktienteil. Für langfristige Anleger ist eine Grössenordnung von 20 bis 25% des Aktienportfolios sinnvoll. Indirekt anlegen oft besser Die Schwankungsrisiken nehmen trendmässig ab, sind aber deutlich höher als diejenigen von entwickelten Volkswirtschaften. Die Herausforderungen in diesen Ländern an Gesellschafts-, Gesundheits-, Wirtschafts- und Umweltpolitik bleiben enorm. Aktuell sind die Erwartungen zu Recht sehr optimistisch. Das lenkt weitere Kapitalströme in die Schwellenländer und stützt die Märkte. Doch positive Wachstumsüberraschungen werden so schwierig zu erzielen sein. Der Preis für das erwarteteWachstum ist gestiegen. Damit verbunden ist die relative Verschlechterung des Bewertungsniveaus im Vergleich zu anderen Aktiensegmenten, wie etwa exportorientierten Industriekonzernen der Schweiz und Deutschlands. Über hier hervorragend positionierte Unternehmen kann indirekt von der EmMaDynamik und erst noch von einer günstigeren Bewertung profitiert werden. Roman von Ah ist geschäftsführender Partner der bankenunabhängigen Fondsleitung Swiss Rock Asset Management. Up and Down Renditemangel im Westen – inflations- und Bewertungssorgen in Emma Auch dieses Jahr entwickelt sich die globale Wirtschaft mit zwei Geschwindigkeiten: Eher gemächlich kommen die Industrieländer voran, deren Wachstum und Inflation durch die anhaltenden Bilanzreparaturen in überschuldeten Ländern wie den USA, Grossbritannien, Spanien und Irland gebremst wird. Von anderem Kaliber ist das Wachstum in den Schwellenländern, deren Wirtschaft, allen voran in China, zu überhitzen droht und die Inflation anheizt. Diese Zweiteilung erschwert den Anlageentscheid für Investoren. Angesichts der anhaltend tiefen Zinsen werde die Renditejagd in den entwickelten Volkswirtschaften weitergehen, meint John Greenwood, Chefökonom von Invesco. Er empfiehlt Zinsprodukte wie Unternehmens- und Hochzinsanleihen sowie «rentenähnliche» Aktien, sprich Titel mit als sicher erachteter hoher Dividende. In den Emerging Markets dämpfen die steigenden Zinsen und der Inflationsdruck die Attraktivität der Zinsprodukte. Aktienseitig drängen sich mit Blick auf die Wachstumsdynamik Valoren von binnenwirtschaftlich orientierten Unternehmen auf − allerdings ist ihre Bewertung teilweise bereits hoch. Greenwood sieht zwei Alternativen: in Dollar lautende EmMaStaatsanleihen und Aktien von multinationalen Konzernen mit starkem Engagement in der aufstrebenden Welt. hF ©Horsch www.horschcartoons.de