00 STARGET 4 I 05 KLINISCHE FÄLLE Für meine zweite Rückbetrachtung habe ich, im Vergleich zur letzten Veröffentlichung in STARGET 2/2005, einen weitaus älteren Patientenfall ausgewählt. Er soll ein Beleg dafür sein, dass wir Implantologen durchaus in bestimmten Fällen eine „lebenslange“ Haltbarkeit unserer Implantatversorgungen versprechen können. Autor: Dr. med. dent. Klaus Schneider, D-84036 Landshut Fortbildungsgesellschaft für Implantologie und ästhetische Zahnheilkunde mbH Innere Münchener Str. 17 D-84036 Landshut Tel. ++49 871 27 68 130 Ausgangssituation 1994 Tel. ++49 871 27 68 131 Weiblicher Patient, Nichtraucher, zum Zeitpunkt der Implantation im Unterkiefer 56 Jahre alt, nur einmal jährliche Kontrolluntersuchung für das Bonusheft. Die Brücke von 35/34 auf 43/45 war komplett sichtbar beweglich, die Zähne 11, E-Mail: [email protected] 12 und 27 wiesen Lockerungsgrad II auf. Die restlichen Oberkieferzähne waren fühlbar beweglich (Lockerungsgrad I). Das Orthopantomogramm vom Oktober 1994 (Abb.1) zeigt auf den ersten Blick nicht so massive Knocheneinbrüche wie in unserem ersten Patientenfall. Es galt abzuwägen, welche Zähne extrahiert werden sollen und welche Zähne nach Parodontalbehandlung noch erhaltungswürdig waren. Sollen Implantate mit eigenen Zähnen verbunden werden? Was kann man dem Patienten versprechen? Wichtig ist in dem Zusammenhang auch unsere eigene Überzeugungskraft, unsere eigene persönliche Vorhersagbarkeit? – Implantationen im Rückblick (2) WAS SIND UNSERE IMPLANTATIONEN VON DAMALS HEUTE NOCH WERT? WIE HABEN SICH DIE OPMETHODEN VERÄNDERT? WIE IST DER ZUFRIEDENHEITSGRAD UNSERER PATIENTEN? AUS ALTEN FEHLERN LERNEN BZW: WAS SOLLTE MAN BEIBEHALTEN? Abb.1: Orthopantomogramm vom März 1994 1 1 Situation. Damals war ich erst ein halbes Jahr selbständig – ein junger „Zugereister“ aus Schwaben, der in Bayern eine alteingesessene Praxis übernahm. Der renommierte Praxisvorgänger stand der Implantologie ablehnend gegenüber und seine Patienten waren entsprechend „gebrieft“. Abb.1: Orthopantomogramm vom März 1994 KLINISCHE FÄLLE STARGET 4 I 05 00 Abb. 2: OPG vom Juni 1994 1994 war die Öffentlichkeitsarbeit der Implantatfirmen nicht ausgeprägt, es gab wenige Patienten und Behandler in Landshut, die anderen Mut gaben, sich für diese „neue und risikoreiche“ Versorgung zu entscheiden. Wie konnte ich also meiner Patientin die Skepsis verübeln, als ich ihr freudestrahlend meinen Vorschlag zur Lösung all ihrer Zahnprobleme unterbreitete? Letztlich gab dann die Aussicht auf einen festsitzenden Zahnersatz den Ausschlag für die folgende Behandlung. Behandlungsablauf operativ 1994 Aufgrund der sehr eingeschränkten Kaufähigkeit der Patientin war eine zügige Vorgehensweise erforderlich. Nach intensiver professioneller Zahnreinigung, damals noch ausschließlich mit Handinstrumenten durchgeführt, und Abformungen für den Interimsersatz, folgten bereits in der zweiten Sitzung am 24.03.1994 die Entfernung der Unterkieferbrücke und die Extraktion der Zähne 35, 34, 43 und 45 in Lokalanästhesie. Es wurde postoperativ ein einfacher Interimsersatz mit Halteklammer an 47 eingegliedert. Zur Bestimmung der Implantatlänge bzw. zur Vermessung der knöchernen Alveolarfortsatzhöhe (Abstand Oberkante Kanal des Nervus alveolaris inferior und Oberkante des Kieferkamms) wurden an den festgelegten Implantatpositionen auf einer tiefgezogenen Kunststoffschiene Metallkugeln bekannter Dimension befestigt. Mit dieser auf dem Kiefer aufgesetzten Schablone wurde ein OPG erstellt. (Abb.2) Bei bekanntem Vergrößerungsfaktor des Röntgengerätes (bei uns 1:1,2) konnte dann die Höhe des Alveolarfortsatzes errechnet werden. Die Schablone wurde bei der damaligen Implantation auch intraoperativ verwendet. Nach Entfernen der Metallkugeln wurde die Kunststoffschablone an den entsprechenden Stellen perforiert. Mit der Schablone ist es möglich, auch in späteren Phasen der Implantation die Implantatposition zu überprüfen. (Siehe Foitzik: „Das ITI® Dental Implant System“, 1994). Die möglichst parallele Ausrichtung der Implantate erfolgte 1994 noch ausschließlich mit Hilfe der Messlehren. Die enossale Implantation am 06.06.1994 (Abb.3) erfolgte ebenfalls unter Lokalanästhesie. Folgende Straumann Implantate wurden eingesetzt: • in regio 36 ∆ 4,1 / 10 mm • in regio 35 ∆ 4,1 / 8 mm • in regio 32 ∆ 4,1 / 16 mm • in regio 42 ∆ 4,1 / 14 mm • in regio 45 ∆ 4,1 / 10 mm Der Knochen war ausreichend dimensioniert. Es erfolgten keine Augmentationsmaßnahmen. Die Knochenqualität betrug I in regio 35 II. Der Patientin wurden Isocillin 1,2 mega, Chlorhexamed Lösung 0,12 % sowie Tabalon als auch Prothesenkarenz verordnet. Eine Woche später erfolgte die Nahtentfernung. Die Prothese wurde ausgeschliffen und weichbleibend unterfüttert. Die Einheilzeit habe ich mit 3 Monaten entsprechend den damaligen Vorgaben des ITI geplant. 2 3 Abb. 3: Das postoperative OPG vom 06.06.1994 00 STARGET 4 I 05 KLINISCHE FÄLLE Abb. 4+5: Einsetzen der prothetischen Arbeit am 20.09.1994. Behandlungsablauf prothetisch 1994 4 5 Am 02.08.1994 wurden die Oberkieferzähne beschliffen und provisorisch versorgt. Die Abformung der Implantate war problemlos, da alle Implantate transgingival einheilten und somit keine Zweit-OP erforderlich war (02.08.1994). Es kamen Octaköpfe zur Anwendung, die mit individuellem Löffel, Impregum und verschraubten Abformhilfen ins Labor übertragen worden. Nach einer Gerüst- und später einer Rohbrandeinprobe wurde die UK-Brücke auf Implantaten in einem Stück spannungsfrei am 20.09.1994 eingegliedert. Alle Verschraubungen erfolgten axial. Die Schraubenkanäle wurden mit Wachs und Komposit verschlossen. Zeitgleich wurde die OberkieferKonstruktion eingesetzt (Abb. 4). Schwierigkeiten nach Eingliederung Die Patientin klagte jedoch noch Wochen nach der Eingliederung über „Spannungen“ im Bereich des Unterkiefers. Die Schmerzursache war meines Erachtens die komplette Verblockung der ImplantatSuprakonstruktion. Die prothetische Versorgung ließ keine Verwindung des Unterkiefers zu. Ich entschloss mich am 11.05.1995 schweren Herzens zur Trennung der Arbeit zwischen dem Brückenglied 41 und der Implantatkrone 42. Die Trennstelle wurde vom Techniker ausgearbeitet und ein Approximalkontakt aufgebrannt. Das Spannungsgefühl legte sich in den nächsten Tagen und seit die- ser Zeit ist die Patientin im Unterkieferbereich vollkommen beschwerdefrei. Pfeilervermehrung im Oberkiefer Erst im Juli 2004 (!) gab es wieder Behandlungsbedarf. Die Patientin klagte über Beschwerden im Bereich des Zahnes 13. Sowohl klinisch als auch röntgenologisch war ein kariöser Defekt am Kronenrand erkennbar. Außerdem zeigte sich eine erbsengroße apikale Aufhellung. Ich entschloss mich, die Oberkieferkonstruktion 16–13 abzunehmen; ein vorhandenes Geschiebe zwischen 13 und dem Brückenglied 12 erleichterte mir das Vorgehen. Der Zahn 13 wurde endodontisch behandelt (mit Lightspeed und Simplifill). In unserem Praxislabor (seit 2001 unter der Leitung von ZT Sven Draeger) wurde ein Cosmopost-Stift (Keramik) angefertigt und später adhäsiv befestigt. Um eine Überlastung der Konstruktion zu verhindern und um eine bessere Mundhygiene in dieser Region zu ermöglichen, braucht man meines Erachtens mehr Pfeiler. Die Patientin war sehr gerne zu einer erneuten Implantation bereit; sie hatte im Unterkiefer gute Erfahrungen damit gemacht. Am 29.07. 2004 wurden folgende Straumann Implantate gesetzt: • in regio 14 ∆ 4,1 / 12 mm • in regio 15 ∆ 4,1 / ebenfalls 12 mm. Die provisorische Versorgung wurde durch die Umarbeitung der alten Versorgung von 16 auf 13 gewährleistet (Abb. 6). KLINISCHE FÄLLE Am 02.11.2004 erfolgte die „ClickAbformung“ der Implantate mit den vorgefertigten Kunststoffabformhilfen der Firma Straumann sowie die Abformung des beschliffenen Stumpfes 13 mit Impregum (Firma Espe). Die Implantate, versorgt mit einem vom Labor ausgewählten verschraubten Abutment, wurden am 22.11.2004 mit Einzelkronen belastet. Die Kronen 14 und 15 wurden mit Harvard-Zement, die Krone 13 mit Ketac-Cem eingegliedert. Status quo nach 11 Jahren Tragezeit der Unterkiefer-Suprakonstruktion Die Patientin, inzwischen 67 Jahre alt, stellt sich am 22.02.2005 wieder einmal zur Nachkontrolle in unserer Praxis vor. Es wurde ein OPG angefertigt und im Rahmen der professionellen Zahnreinigung ein SBI und PBI erstellt. ((Abkürzung für die Übersetzer: SBI = Sulkusblutungsindex , PBI = Plaqueindex.)) Die Mundhygiene der Patientin ist unverändert gut, es zeigen sich keinerlei Taschenbildung weder an den Implantaten noch an den eigenen Zähnen. Alle Zähne und Implantate sind klinisch fest, der SBI beträgt 18 %, der API 29 %. Auf dem klinischen Bild ist die gute ästhetische Einheilung der Implantate 14 und 15 zu sehen. Das Röntgenbild zeigt die unverändert gute Knochensituation um die 11 Jahre alten Implantate des Unterkiefers (Abb. 7–9). STARGET 4 I 05 00 Was würde man heute anders machen? Welche Lehren kann man aus diesem Fall ziehen? 1. Bei guter Zusammenarbeit mit dem Patienten sind sehr gute Langzeitergebnisse erzielbar. Dieser Fall ist ein Musterbeispiel dafür, dass bei optimaler Zusammenarbeit zwischen Patient und dem Behandlerteam ein „nach oben offenes“ Langzeitergebnis zu erzielen ist. Es ist zu sehen, dass nicht allein der chirurgische Teil zu einem erfolgreichen Ergebnis führt. An dieser Stelle möchte ich unserer Abteilung Prophylaxe (Leitung: Silvia Ostermaier) ein großes Kompliment machen. Durch die sinnvolle Platzierung von Implantaten sowie eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung ist auch der Erhalt der damals fraglichen Zähne 17, 26 und 47 geglückt. 2. Operative Vorgehensweise Jeder ästhetisch tätige Zahnarzt möchte sichtbare Implantatschultern verhindern. Das Implantat in regio 32 stört mich bei jeder Nachkontrolle. Unserer Patientin war und ist das nicht wichtig. Trotzdem halte ich es heute für richtig, zumindest die Implantate im Frontzahnbereich 2 mm tiefer zu setzen. Das Auge „isst“ schließlich mit. Damals galt: „Hauptsache lang und dick“, damit eine stabile Verankerung des Zahnersatzes möglich ist. Hier kamen Implantate von 14 6 Abb.7: Klinisches Bild am 22.02.2005. 7 00 STARGET 4 I 05 KLINISCHE FÄLLE Abb. 8: Klinisches Bild am 22.02.2005 8 9 Abb. 9: Orthopantomogramm vom 22.02. 2005. und 16 mm zur Anwendung. In den letzten Jahren verwende ich fast nur noch Implantate im Längenbereich zwischen 8 mm und 12 mm. Aus den meisten ITI-Veröffentlichungen war eindeutig zu entnehmen, dass ein Standarddurchmesser (4,1 mm) sowie eine Länge von 10 mm für eine ausreichende Stabilität sorgt. Das Implantat in regio 35 hätte dafür sicherlich länger sein können. Meine chirurgische Vorgehensweise ist heute gewebeschonender. Sowohl die Instrumente als auch das Nahtmaterial sind graziler geworden, die neueren Fälle werden zeigen, ob man dadurch bessere Resultate erzielen kann. 3. Suprakonstruktion Wichtig für die langfristige Patientenzufriedenheit ist meines Erachtens die vorausschauende Planung des Zahnersatzes. In diesem Fall war in der ursprünglichen Lösung ein Geschiebe zwischen dem Zahn 13 und dem Brückenglied 12 von Vorteil. Dies ermöglichte uns nach dem „Baukastenprinzip“ problemlos eine sinnvolle Pfeilerergänzung mit Hilfe von Implantaten. Ich würde heute nicht mehr alle Implantate miteinander verblocken, sondern, wie hier seit 1995 erfolgreich, die Suprakonstruktion in mehrere Segmente unterteilen. Damals traute ich den Implantaten (und vielleicht auch mir?) noch nicht soviel zu. Auch die Möglichkeiten des Labors waren noch begrenzt. Alle Suprakonstruktionen wurden direkt verschraubt. Dies führte zu dicken, unästhetischen Kronen in der Front und zu sichtbaren Schraubenkanä- len im Seitenzahngebiet. Heute verwenden wir verschraubte Abutments und zementieren in den meisten Fällen. Die Vorteile: Patient und Behandler bleiben eventuelle Schraubenlockerungen und damit nervende Sitzungen erspart. Die Ästhetik ist besser, die Arbeit günstiger, weil aufwändige Verschraubungen auf technischer Seite entfallen. 4. Das Wichtigste: Patientenzufriedenheit Auch hier wieder zu guter Letzt: Was sagt unsere Patientin nach 11 Jahren Erfahrung mit Implantaten? „Für mich sind die Implantate schon eine Selbstverständlichkeit geworden, ich habe kein Fremdkörperempfinden. Ich habe das Gefühl, komplett eigene Zähne zu haben.“ 10 Abb. 10: Klinisches Bild am 22.02.2005.