LLP/ERASMUS 2011/12 Zeitraum: SoSe 2012 Gastland: Gastuniversität: Université Claude Frankreich Bernard Lyon 1 Programm: Erasmus via Fachbereich 16 - Medizin studierte Fächer an Gasthochschule: Neurologie, Dermatologie, Pädiatrie, Gynäkologie/Geburtshilfe Name:* Email:* (* Angaben werden vor Veröffentlichung auf unserer Webseite gelöscht.) Datum: LLP/ERASMUS ERFAHRUNGS – BERICHT (ausformulierte Version) Das Sommersemester 2012, mein 8. Studiensemester, verbrachte ich in Lyon. Von Anfang Januar bis Ende Juni studierte ich an der Université Claude Bernard Lyon 1, Faculté de Médecine et Maïeutique Lyon-Sud, Charles Mérieux. Ich wollte gerne Erfahrungen an einer anderen europäischen Hochschule sammeln und meine Französischkenntnisse auffrischen und verbessern und auch die Fachsprache erlernen. Dies war mir vor allem auch deshalb wichtig, da ich gerne zumindest zeitweise in internationalen Organisationen im französischsprachigen Afrika arbeiten möchte. Anreise Seit dem Frühling dieses Jahres gibt es eine TGV-Direktverbindung von Frankfurt nach Lyon. Die Fahrt dauert 6 Stunden und kostet mit dem Europa-Spezial nur 39 Euro. Formalitäten: Mein Konto hatte ich bei der LCL-Bank. Wenn man das Konto bei der Filiale in der Rue de la République eröffnet (Ansprechpartnerin Amélie Charoin), gibt es Vergünstigungen für ErasmusStudenten. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es für Medizinstudenten noch bessere Angebote bei der Société Générale gibt. Für die öffentlichen Verkehrmittel gibt es ein Abonnement Campus für ca. 26€ pro Monat. Die Karte kann man in den TCL-Boutiquen erwerben (Kosten 5€, Passfoto mitbringen) und an den Automaten, die an allen Métro-, Funiculaire- und Tramhaltestellen zu finden sind, aufladen. Was die Wohnsituation in Lyon betrifft, kann ich nur jedem empfehlen, die Bewerbung für einen Wohnheimsplatz bei der Anmeldung mitzuschicken, damit man zumindest für den Anfang eine Unterkunft hat und dann in Ruhe suchen kann. Gute Seiten im Internet sind www.appartager.fr (es lohnt sich für ein paar Tage eine Premium-Mitgliedschaft zu erwerben und somit die Telefonnummern angezeigt zu bekommen und die Leute direkt anzurufen, auf Emails antworten leider nur die wenigsten) und www.leboncoin.fr. Ich hatte leider ziemlich Pech bei der WG-Suche und habe die ganzen 6 Monate zur Untermiete bei einer sehr launischen älteren Dame gewohnt, wo ich zwar ein schönes Zimmer hatte, mich aber nie wirklich wohl gefühlt habe, wenn sie auch zuhause war. Vom Preis her muss man meiner Erfahrung nach mit 400€ pro Monat rechnen, man kann aber oft bei der CAF eine finanzielle Unterstützung zur Miete bekommen (APL oder aides au logement unter www.caf.fr ). Dafür beantwortet man Fragen im Internet, druckt am Ende einen vierseitigen Bogen aus, füllt ihn aus bzw. lässt einen Teil vom Vermieter ausfüllen und schickt ihn mitsamt der notwendigen Dokumente an die CAF. Für den ersten Monat gibt es kein Geld. Die Höhe der Unterstützung ist u.a. auch von der Wohngegend abhängig (wer direkt im Zentrum wohnt, bekommt weniger Zuschuss als Leute die ein bisschen außerhalb in einem weniger beliebten Viertel wohnen). Studium Die Anmeldung an der Uni war absolut problemlos. Die Mitarbeiterinnen in der Scolarité sind sehr freundlich und hilfsbereit und haben mir immer umgehend auf meine Emails geantwortet. Das Medizinstudium in Frankreich ist anders aufgebaut als in Deutschland: Ab dem dritten Studienjahr haben die Studenten jeden Vormittag Praktika im Krankenhaus und nachmittags finden Vorlesungen statt. Während des Semesters absolvierte ich vier sechswöchige Praktika in den Fächern Neurologie, Dermatologie, Gynäkologie/Geburtshilfe und Pädiatrie. Auch wenn diese Fächerkombination nicht der Kombination der Praktika eines Semesters in Frankfurt entspricht, habe ich mich doch bewusst für diese Auswahl entschieden, weil die Praktika in Frankreich länger sind als in Frankfurt und ich in diesen vier Fächer gerne mehr Erfahrungen sammeln wollte. Mein erstes Praktikum absolvierte ich in der Neurologie in Lyon-Sud bei Professor Gonnaud. Die Station ist eine reine Funktionsabteilung ohne angeschlossene Bettenstation. Angeboten werden die ambulante Betreuung von Patienten mit Epilepsie, neuromuskulären Erkrankungen, chronischen Schmerzen, Kopfschmerzen, neuropathischen Schmerzen und Schlafstörungen. Zum Teil werden diese Sprechstunden von einem pluridisziplinären Team aus Arbeitsmedizinern, Psychologen, Psychiatern und Neurologen gehalten, um die Patienten bestmöglich zu beraten. Zudem umfasst das Leistungsspektrum viel elektrophysiologische Diagnostik: Elektromyografie und Elektroneurografie, Elektroencephalografie, Nervenleitgeschwindigkeiten und evozierte Potenziale. Auch ein Schlaflabor ist angeschlossen. Desweiteren sind die Ärzte für den Konsiliardienst im gesamten Uniklinikum Lyon-Sud und die Betreuung von Notfällen zuständig. Besonders gut gefallen hat mir die ausgesprochen freundliche Atmosphäre auf der Station. Es herrschte ein sehr angenehmes Arbeitsklima und es fiel mir leicht mich in das Team zu integrieren. Ausnahmslos alle Ärzte haben sich sehr viel Zeit für uns Studenten genommen und waren stets bereit Fragen zu beantworten und uns alles, was sie taten, zu zeigen und ausführlich zu erklären. Oft setzten sich diese Gespräche während des gemeinsamen Mittagessens in der Kantine fort. Einmal unterhielt ich mich mit dem Oberarzt über seine Entscheidung für das Fach Neurologie und er sagte mir, dass es ihn das Gehirn und schon immer fasziniert habe. Es gäbe noch so viel zu entdecken und zu erforschen und jeden Tag gäbe es neue Erkenntnisse. Man sei am Puls der Zeit und er sei sich sicher, dass er sich in seinem Fach niemals langweilen werde. Diese Begeisterung der Ärzte für ihr Fach war einfach ansteckend. Auch für das Praktikum der Dermatologie war ich in Lyon-Sud bei Professor Thomas eingeteilt. Ich verbrachte zunächst zwei Wochen auf einer Bettenstation und danach vier Wochen in der Ambulanz. Auf Station habe ich Patienten mit vielen verschiedenen Krankheitsbildern gesehen, von metastasierten Melanomen über autoimmune bullöse Dermatosen und Vaskulitiden bis zu Parasitosen. Die Krankheitsbilder fand ich sehr spannend, nur leider hatten die Ärzte überhaupt keine Lust uns Studenten etwas beizubringen oder zu erklären. Die Patienten wurden unter den Studenten aufgeteilt, man musste selbstständig eine Aufnahme machen und alles in das Computersystem eingeben sowie zugehörige Dokumente einscannen und eventuell noch ein EKG schreiben oder eine Hautbiopsie machen. Sobald man seine Aufgaben abgearbeitet hatte, durfte man nach Hause gehen und so war jeder nur darauf aus möglichst schnell fertig zu sein und auch die Stimmung zwischen den Studenten war nicht besonders gut. In der Ambulanz hat es mir besser gefallen. Es gab Sprechstunden mit verschiedenen Schwerpunkten der Dermatologie wie beispielsweise Hautkrebs, Akne, inflammatorische Hauterkrankungen und vaskuläre Erkrankungen mit Hautmanifestationen. Es war immer nur ein Student einem Arzt zugeteilt, was eine gute Betreuung ermöglichte. Ich sammelte einige Erfahrungen in der Dermatoskopie und ich durfte täglich Hautbiopsien durchführen. Das ist zwar nur ein sehr kleiner Eingriff, aber es war für mich eine sehr gute Übung. Desweiteren konnte ich an der allergologischen Sprechstunde teilnehmen und war auch zwei Mal im OP, wo ich mir sowohl die chirurgischen Eingriffe als auch die Nachsorge von Hauttransplantationen und chronischen Wunden anschaute. Als nächstes hatte ich das Praktikum in der Gynäkologie und Geburtshilfe bei Professor Raudrant ebenfalls in Lyon-Sud. Das Praktikum war sehr gut organisiert: Am ersten Tag gab es eine Einführung, in der sich alle Studenten für die jeweiligen Sprechstunden und Dienste eintrugen, sodass jeder durch alle Teilbereiche der Gynäkologie und Geburtshilfe rotierte. So war ich eine Woche auf der Entbindungsstation und in der Neonatologie, eine Woche auf der Station für Patientinnen mit Komplikationen während der Schwangerschaft, eine Woche in der geburtshilflichen Ambulanz, eine Woche in der gynäkologischen Ambulanz, eine Woche auf der gynäkologischen Station und eine Woche im OP. Besonders spannend waren die beiden 24-Stunden-Dienste im Kreißsaal, bei denen ich nicht nur zuschauen sondern auch mehrere „accouchements à quatre mains“ (Entbindungen mit vier Händen, also gemeinsam mit einer Hebamme) machen durfte. Auch sehr interessant fand ich die Betreuung genital beschnittener Frauen, für die in Lyon-Sud eine chirurgische Rekonstruktion angeboten wird. Generell war ich überrascht, wie viel ich als Studentin selbst machen durfte: Vollständige gynäkologische Untersuchung mit Palpation der Mammae und vaginaler Untersuchung mit Spekulum und Abstrich, endovaginalen Ultraschall, abdominalen Ultraschall mit Biometrie des Feten, die erste Untersuchung des Neugeborenen und nicht zuletzt die „accouchements à quatre mains“. Gerade in der Gynäkologie hätte ich nicht erwartet, dass ich die Patientinnen ganz selbstverständlich untersuchen durfte. Doch wenn die Ärzte die Patientinnen gefragt haben, ob es ihnen recht wäre, dass ich als Studentin sie untersuche, hat nie eine Patientin abgelehnt. Ich hatte den Eindruck, dass es für sie völlig selbstverständlich war, dass es an einer Uniklinik Studenten gibt, die eine möglichst gute klinische Ausbildung bekommen sollen. Ein bisschen enttäuscht war ich von der Bewertung des Praktikums. Der hierfür zuständige Arzt hat sich überhaupt nicht für uns Erasmus-Studenten interessiert und am Ende des Praktikums einfach jedem von uns dieselbe willkürlich gewählte Punktzahl in den Bewertungsbogen eingetragen, ohne uns auch nur ein Mal gesehen zu haben. Da ich mir viel Mühe gegeben habe und viel Zeit in das Praktikum investiert habe, fand ich das sehr schade. Zuletzt absolvierte ich mein Pädiatrie-Praktikum in den Urgences Pédiatriques im Hôpital FemmeMère-Enfant in Bron. Dort war ich zweimal eine Woche in den Soins Continus eingeteilt, einer Intensivstation, die den Hospitalisation des Urgences angeschlossen ist, und hatte in den restlichen Wochen insgesamt fünf 15-Stunden-Dienste in der Ambulanz. In den Soins continus war ich die einzige Studentin und mit jeweils einem Facharzt und einem Assistenzarzt für sieben Tage am Stück dort eingeteilt, sodass für eine Kontinuität in der Versorgung der Patienten gesorgt war. Es gab es viele interessante Krankheitsbilder zu sehen, wie Lyell-Syndrom, vasookklusive Krisen bei Sichelzellanämie, Neuroblastom und andere onkologische Krankheiten, verschiedene angeborene Stoffwechselerkrankungen und schwere Traumata. Zudem gab es viele Kinder mit schweren Behinderungen. In der Ambulanz musste ich sehr selbstständig arbeiten, was mich zu Beginn etwas Überwindung gekostet hat. Jeder Student hatte für die Dauer des Dienstes sein eigenes Behandlungszimmer und dort eigenständig Patienten anamnestiziert und untersucht. Die Ergebnisse sowie eine Verdachtsdiagnose wurden auf einem standardisierten Bogen notiert. Anschließend wurde der Patient einem der Ärzte vorgestellt und mit diesem gemeinsam nachuntersucht. Der erste Punkt war hier immer der klinische Gesamteindruck mit dem Ziel unsere intuitive Einschätzung der Patienten und die Unterscheidung von Notfällen und eher banalen Erkrankungen zu schulen. Der Arzt fällte anschließend eine Therapieentscheidung oder verordnete, wenn nötig, komplementäre Untersuchungen. Auf diese Weise habe ich viel Übung im Untersuchen von Kindern jeden Alters und einen sehr guten Einblick in die allgemeine Pädiatrie bekommen. Die Vorlesungen fanden nachmittags statt. Die Vorlesungen waren überwiegend an klinischen Fällen orientiert, wie sie auch in den Klausuren und im ECN, den épreuves classantes nationales, der Prüfung am Ende des französischen Medizinstudiums, zu bearbeiten sind. Die Qualität der Seminare war stark von dem Dozenten abhängig, ich hatte jedoch keine Probleme die Inhalte zu verstehen. Die Stundenpläne findet man auf der Uni-Homepage (http://lyon-sud.univ-lyon1.fr/) unter Formation – DCEM2 bzw. DCEM3 – Planning. DCEM steht für deuxième cycle des études de médecine, DCEM2 oder kurz D2 entspricht dem vierten Studienjahr, DCEM3 bzw. D3 dem fünften. Freizeit Lyon ist eine wunderschöne Stadt. Das Stadtzentrum liegt auf der Presqu’île zwischen Saône und Rhône. Zwischen dem Bahnhof Perrache und dem Hôtel de Ville befinden sich die Haupteinkaufsstraßen. Die pentes de la Croix-Rousse ist ein jüngeres und alternativeres Viertel. Es gibt viele kleine Boutiquen, Ateliers und Cafés. Abends ist das Viertel sehr belebt und es gibt viele Bars und Pubs. Ein wunderschöner Picknickplatz mit Blick über die Saône und die Fourvière ist der Jardin des Chartreux. Am Wochenende kann ich sehr empfehlen vormittags auf den Marché de la Croix-Rousse zu gehen (Métro Croix-Rousse, entlang des Bd de la Croix-Rousse). Dort findet man eine große Auswahl frischer Lebensmittel, die günstiger sind als im Supermarkt, und eine schöne Atmosphäre. Danach kann man schön die Hänge von Croix-Rousse runterbummeln, einen Blick in die vielen kleinen Boutiquen und Ateliers werfen und noch einen Kaffee in einem der gemütlichen Cafés trinken. Besonders schön finde ich die Boîte à Café am Place Forez, wo man sehr schön auf einem kleinen Platz in der Sonne sitzen kann, und das Café Cousu in der Passage Thiaffait, wo es eine „Formule Petit Déjeuner“ mit leckeren Tartines, Kaffee und Saft für 4,50€ gibt. Schön ist auch das Vieux Lyon. Auch hier gibt es viele Bars, Pubs und Cafés und um die Kathedrale Saint-Jean findet man zahlreiche Bouchons lyonnaises, in denen man traditionelle lyoneser Spezialitäten essen kann. Am 21. Juni zum Sommeranfang ist jedes Jahr die fête de la musique, eine Veranstaltung, wo Amateur- und Berufsmusiker in der ganzen Stadt auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in Cafés und Bars spielen. Veranstaltungen, Konzerte, Spectacles de Danse, Filmfestivals usw. findet man im Petit Bulletin, einer kostenlosen Zeitung, die an vielen Orten ausliegt. Fazit Insgesamt war mein Erasmussemester eine gute und bereichernde Erfahrung für mich. Während meine sprachlichen Erwartungen erfüllt und meine fachlichen Vorstellungen sogar übertroffen wurden, hatte ich im privaten Bereich teilweise weniger Glück. Dadurch, dass ich 6 Monate lang fast jeden Tag im Krankenhaus war und ausgesprochen viele praktische Tätigkeiten selbst ausführen durfte und musste, habe ich viel Sicherheit im Umgang mit Patienten gewonnen und viel klinische Erfahrung gesammelt. Ich hatte oft Angst, nach der Approbation mit den Aufgaben und der Verantwortung überfordert zu sein. Nach meiner Zeit in Frankreich habe bin ich überzeugt, dass ich in die Aufgaben hineinwachsen werde und traue mir selbst viel mehr zu.