Quelle: Theresa Patzschke von Dr. Wiebke Kathmann Stress und Leistungsdruck sind längst keine Phänomene mehr, die nur Erwachsene treffen. Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden darunter, wie eine aktuelle Studie, das Kinderbarometer 2009, zeigt [1]. Die Fragen zur somatischen und psychischen Gesundheit offenbarten, dass Stresssymptome bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen neun und vierzehn weit verbreitet sind. Fast ein Drittel der rund 1000 befragten Kinder fühlte sich durch die Erwartungen von Eltern und/oder Schule überfordert. Dies äußerte sich am häufigsten in Form von Kopf- (37 Prozent) oder Bauchschmerzen (20 Prozent). Als bedenklich bezeichnete Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, Köln, beim 16. Kongress für Jugendmedizin Anfang März in Weimar zudem, dass viele Kinder zur Schule gehen würden, obwohl sie sich krank fühlen. Aus pädiatrischer Sicht seien dagegen eine kurze Auszeit bis zum Abklingen der Symptome und vor allem eine Aufarbeitung der Beschwerden mit den Eltern ratsam. Erlaubt die Beziehung mit den Eltern dies, sind die Kinder ausgeglichener, psychisch gesünder und leistungsfähiger, wie die Daten des Kinderbarometers zeigen. Nach Aussagen der Leiterin der Studie, Anja Beisenkamp vom ProKids-Institut in Herten, ist das richtige Maß an Achtsamkeit seitens der Er- wachsenen entscheidend. „Generell wirken sich gute Ernährung, genügend Pausen und Interesse an Hausaufgaben und anderen schulischen Belangen positiv auf das allgemeine Wohlbefinden der Kinder aus.“ Bauchschmerzwelle in Klausurzeiten Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, aber auch Unruhe, Ess- und Schlafstörungen sind Pädiatern gerade aus Zeiten mit hoher Klassenarbeitsdichte bestens bekannt. Hinter ihnen verbirgt sich nicht selten eine Belastungssituation, die den Kinder- und Jugendarzt in seiner Kompetenz im Sinne der psychosomatischen Grundversorgung herausfordert. Diese Kompetenz zu stärken, war Ziel des Weimarer Kongresses, wie der wissenschaftliche Leiter Dr. Uwe Büsching betonte. „Ist der Arzt nicht qualifiziert, so bewahrheitet sich die Beschreibung der somatoformen Störungen nach ICD 10 – F45. Wenn ein Patient also wiederholt mit körperlichen Symptomen im Sinne einer somatoformen Störung in die Praxis kommt, ist dies nicht ein Charakteristikum der somatoformen Störung, sondern ein Merkmal unseres medizinischen Versorgungssystems und spiegelt wider, dass der Arzt nicht in der Lage ist, die Hintergründe zu erkennen und mit dem Betroffenen in angePädiatrix 4/2010 5 messener Art darüber zu sprechen.“ Empathie und Herstellung einer hilfreichen Beziehung zwischen den jungen Patienten und ihrem Arzt werden laut Büsching in Zukunft auch im Sinne der Prävention chronischer und psychischer Erkrankungen zunehmend von Bedeutung sein. Dies gelte insbesondere für die Phase der Adoleszenz. Die Überwindung dieser schwierigen Entwicklungsphase sei noch keine Garantie dafür, dass sich Probleme von allein lösten. „Jugendliche leisten Enormes in dieser Entwicklungsdekade. Ein über 50-Jähriger wäre mit so einer massiven Umgestaltung seines Lebens – berufliche Ungewissheit, kompletter Umbau von Beziehungsstrukturen, Entscheidungsdruck, ohne auf eigene Erfahrungen zurückgreifen zu können, verfremdete Wahrnehmung durch ein unüberschaubares Medienangebot und Diskrepanz zwischen biologischer und sozioökonomischer Reife – überfordert. Da kann und sollte es nicht verwundern, dass auch mancher Jugendliche vorübergehend oder langfristig diesen Anforderungen nicht gewachsen ist“, so Büsching. Die Situation wird noch verkompliziert, wenn er, statt sich Hilfe zu suchen, den Eindruck der Beratungsresistenz erweckt und unangemessen, das heißt nicht im Rahmen der gesellschaftlichen Normen, reagiert, sondern mit Aggression und Rückzug. „Dann ist ein Blick hinter die vermeintlich harte Schale angesagt und die Jugendlichen sollten darin unterstützt werden, sich Beratungs- und Hilfestrukturen gegenüber zu öffnen“, sagte Büsching. Nicht nur Eltern, sondern auch Pädiater hätten hier die Aufgabe, dem Jugendlichen aktiv Angebote zu machen, und sollten sich nicht hinter der Schutzbehauptung, der Jugendliche hätte seine Ängste und Verzweiflung nicht mitgeteilt, verstecken. Psychosomatik Somatoforme Störung nach ICD 10-F45: die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit der hartnäckigen Forderung nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und der Versicherung durch den Arzt, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Psyche + Soma = Psychosomatik Gemäß Weiterbildungsordnung für Ärzte Bayerns vom 24.4.2004 umfasst das Gebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Erkennung, psychotherapeutische Behandlung, Prävention und Rehabilitation von Krankheiten und Leidenszuständen, an deren Verursachung psychosoziale und psychosomatische Faktoren einschließlich dadurch bedingter körperlich-seelischer Wechselwirkungen maßgeblich beteiligt sind. Dies bedeutet, laut Prof. Ronald Schmid von der Kreisklinik Altötting, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, in der Kinderund Jugendmedizin: – die Beurteilung der körperlichen, sozialen, psychischen und intellektuellen Entwicklung des Kindes und Jugendlichen Zwei Drittel der psychosomatisch erkrankten Kinder können bei entsprechenden Kenntnissen in der kinderärztlichen Praxis behandelt werden. (Prof. R. Schmid) – die Erkennung und koordinierte Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter – die Durchführung und Beurteilung entwicklungs- und psychodiagnostischer Testverfahren – die Einleitung therapeutischer Verfahren – die Behandlung im familiären und weiteren sozialen Umfeld sowie häuslichen Milieu einschließlich der Hausbesuchstätigkeit und sozialpädiatrischer Maßnahmen – die Behandlung von psychogenen Symptomen, somatopsychischen Reaktionen und psychosozialen Zusammenhängen sowie von akuten und chronischen Schmerzzuständen Tabelle 1: Auslöser und Schutzfaktoren psychosomatischer Erkrankungen Belastungen Erkrankungen Schutzfaktoren Bindungsstörungen Bauch und Kopfschmerzen Familien mit kleiner Kinderzahl Überforderung in der Schule Sozial-/Kontakt-/familiäre Störungen ADHS mit Sozialstörung nur kurze Trennungen in den ersten Lebensjahren Überernährung Leistungs-/Versagens-/Schulangst Zuwendung zumindest eines Elternteils Bewegungsmangel Herzbeschwerden/Thoraxschmerzen mediale Überflutung Essstörungen (Adipositas, Anorexie) emotionale Unterstützung außerhalb der Familie Berufsausbildung/ Arbeitslosigkeit Regulationsstörungen (Schlaf, Füttern, Schreien) gute Schulleistungen Pollakisurie/Enuresis (eher sekundär) Erfolg bei Freizeitaktivitäten Pädiatrix 4/2010 Psychosomatik 6 Schmid bezweifelte in Weimar, dass Kinder- und Jugendärzte ausreichend gewappnet sind, die psychosomatische Grundversorgung sicherzustellen. Er machte dies an den zwei unten aufgeführten Fallbeispielen fest. Bei entsprechenden Kenntnissen könnten aber zwei Drittel der psychosomatisch erkrankten Kinder in der pädiatrischen Praxis behandelt werden. Fall 1: Intelligenzminderung oder Beziehungsstörung? Heute ist Franz W. ein Junge, der erfolgreich das Abitur gemeistert hat und nun mit dem Studium beginnt. Dass es dazu kommen würde, hätte auch Schmid als erfahrener Psychosomatiker einst nicht für möglich gehalten. Denn alles begann wenig hoffnungsvoll. Im Alter von zehn Monaten litt der Junge an Erbrechen und Gedeihstörungen in Form von Regurgitation. Er wies Entwicklungsstörungen auf, sein IQ lag bei unter 50. Ein Fall von verminderter Intelligenz? Keinesfalls, wie sich im Laufe der Jahre herausstellte. Aufgrund einer schweren Krankheit der Mutter war er vernachlässigt worden, er litt an Deprivation. Nachdem er in eine Pflegefamilie gegeben worden war, in der er sich geborgen und unterstützt fühlte, besserten sich seine Leistungen. Sein IQ stieg bis auf überdurchschnittliche Werte an: Mit 29 Monaten lag er bei 60, mit elf Jahren bei 120. Eine Lösung im Familienkonsens, wie Schmid es nannte, ebnete seinen Weg ins Leben und Studium. Fall 2: Rezidivierende Bauchschmerzen Klara L. kam mit 17 wegen akuter nächtlicher Bauchkoliken zu Schmid in die Klinik. Bereits seit eineinhalb Jahren litt sie unter plötzlich auftretenden Oberbauchschmerzen. Diese traten oft nachts auf, waren morgens aber stärker. Anderthalb Jahre vorher hatte sie eine Appendektomie – wie Schmid betonte, ein häufiger Eingriff bei diesen Patienten. In letzter Zeit kam Schwindel als Symptom hinzu, was ebenfalls nach Schmids Erfahrung häufig ist. Die Schwester war wegen Bauchschmerzen bei Laktoseintoleranz in Therapie. Psychisch sei alles in Ordnung, sagte die Jugendliche. Die klinische Untersuchung blieb weitgehend ohne Befund. Es fand sich ein Druckschmerz lokal im Magenbereich. Das Labor brachte keine Hinweise; der Laktose- und Fruktosetest waren ohne Befund, ebenso der Nachweis auf Helicobacter pylori und die Gastroskopie. Sowohl die Langzeitblutdruckmessung als auch der Schellong-Test zur Abklärung des Schwindels waren unauffällig; es traten weder Bauchschmerzen noch Kollaps auf, klinisch gab es keine Korrelation zur Symptomatik. Schließlich erbrachten die wiederholten, intensiven Nachfragen in der psychologischen Diagnostik nach 18 Tagen einen Hinweis: Es bestanden massive Probleme. Klara hatte einen Freund, mit dem sie (eigentlich) nicht mehr zusammensein wollte. Sie hatte aber niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Als Lösung des Problems wurde eine begleitete Trennung verabredet. Diese war allerdings nicht von langer Dauer, weil Klara wieder mit dem Freund zusammenkam, erneut Symptome entwickelte und weiter behandelt werden musste. Neues Curriculum zur Psychosomatik Der Flyer zum Curriculum „Psychosomatische Grundversorgung“ wird erstmals am 20. – 22. Juni in Berlin beim Kongress ausgeteilt. Der große Stellenwert der psychosomatischen Grundversorgung wurde im letzten Jahr durch ein qualifikationsgebundenes Zusatzbudget aufgewertet. Speziell für Kinder- und Jugendärzte gibt es nun ein Curriculum, das über den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte angeboten wird und alle Aspekte, die speziell in der Psychosomatik von Kindern und Jugendlichen eine Rolle spielen, umfasst. Der erste Kurs soll im Oktober 2010 in Bad Orb stattfinden. In Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Thüringen sind die Kurse in Planung, wie Büsching zum aktuellen Stand kommentierte. Eine baldige Möglichkeit zur Teilnahme am Kurs „Psychosomatische Medizin“ des BVKJ ist also sichergestellt. Hintergrund für das Curriculum vom BVKJ ist, dass zum einen der Zugang bei Kindern mit somatoformen Störungen ein anderer ist, da die Eltern die entscheidenden Kontaktpersonen sind. Zum anderen ist die psychosomatische Medizin bei den etwa 20 Prozent chronisch Pädiatrix 4/2010 7 nen, und gelernt haben, mit ihnen umzugehen. Die Teilnahme am Kurs mit Nachweis der von der Bundesärztekammer geforderten 20 Stunden Vorträge, 30 Stunden Seminar und 30 Stunden Balint erlaubt anschließend die Abrechnung nach den psychosomatischen Ziffern 35 100 und 35 110 bis zu einem Gesamtwert von 3,50 Euro pro Patient pro Quartal. Auf diese Weise können Pädiater nun abrechnen, „worüber sie früher umsonst geredet haben“, so Büsching. „Regulationsstörungen oder MutterKind-Störungen im ersten halben Lebensjahr sind ja bereits ein Hinweis darauf, dass eine psychosomatische Erkrankung vorliegt.“ Eingehen auf die Problemsituation Ein weiteres Beispiel sind Nachtängste von Babys. Es ist wichtig, sich zu fragen, so Bü- Psychosomatik kranken Kindern und Jugendlichen ein großes Thema. „Diese Kinder mit Asthma, Neurodermitis, Diabetes, Rheuma und so weiter haben ja immer auch eine ganze Reihe Begleitprobleme“, so Büsching. „Hierfür ein Auge zu entwickeln, ist wichtig.“ Dies gelte auch für das Schwerpunktthema der Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS). Wichtig sei die frühe Wahrnehmung, um so bald wie möglich zu intervenieren und so Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen abzuwenden. „Sonst ist eine späte Intervention erforderlich, wenn die jungen Menschen irgendwann zwischen dem 14. und 35. Lebensjahr in einer Klinik im Status der Volltrunkenheit oder des ,cold turkey’ ankommen. Nachdem die Intoxikation abgebaut ist, offenbaren sich dann die psychiatrischen Erkrankungen.“ Das lässt sich vermeiden, wenn Kinder- und Jugendärzte besser geschult werden, Frühzeichen zu erken- Abbildung 1: Komplexe Diagnostik bei rezidivierenden Bauchschmerzen Quelle: modifiziert nach Prof. R. Schmid autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Biofeedback, Entspannungsverfahren, Hypnose nur im Bedarfsfall und bei Verschlechterung Psychotherapie, Interaktionstherapie, Verhaltenstherapie, Medikamente Konfliktsituationen, Verhaltensauffälligkeiten, Überforderung, Angstzustände, Depression Bauchschmerzen Diagnostikschema Schmerztagebuch führen, normales Leben - Somatisierung verhindern! funktionelle Bauchbeschwerden negativ psychologische Anamnese und Diagnostik positiv rezidivierende Bauchschmerzen pathologische Werte für: Gesamteiweiß, Kreatinin, Harnstoff Reflux der Harnwege, Hydronephrose, Nephrolithiasis, Nephritis, nephrotisches Syndrom, Harnwegsinfekt, Tumor pathologische Werte für: Transaminasen, Amylase, Bilirubin, Schweißtest Anamnese, Sonografie, BKS, (Differenzial-)Blutbild, Urin, Helicobacter-Diagnostik, Erreger/Parasiten/Blut im Stuhl? extraabdominelle Ätiologie Wirbelsäulenschmerzen, Pneumonie/ Pleuritis, Diabetes mellitus, rheumatische Erkrankungen, Enzephalitis – Meningitis, chronische Vergiftungen (u.a. Blei), Tumor Verdacht auf: Disaccharid-Maldigestion, Nahrungsmittelallergie, Zöliakie u.a. Stoffwechselstörungen, intestinale Tuberkulose, Porphyrinkrankheiten, Abdominalepilepsie, Migräne Verdacht auf: Refluxösophagitis, Gastritis/Ulcus, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Colitis, Diverticulitis (Meckel-), Coecum mobile, Fremdkörper Bezoar, Hiatushernie u.a., Volvulus, Adhäsionen weiterführende Diagnostik: Laktose/Fruktose – H2-Atemtest, Tuberkulosediagnostik, Porphyrin, Karenz – Provokationstestung, EEG, Antikörperdiagnostik weiterführende Diagnostik: radiologische Diagnostik, Endoskopie, Laparoskopie Hinweis auf: Obstipation, Appendizitis, Parasiten - Lamblien, Fremdkörper, Helicobacter, abdominelle(r) Tumor/Zyste, gynäkologische(r) Tumor/Zyste, Lymphadenitis mesenterialis, Splenomegalie-/Milzinfarkt, P. Schoenlein - Henoch, Schwangerschaft, Hernien (Bauchwand-, Inguinal-) Cholezystitis, Cholelithiasis, Hepatitis, Pankreatitis, Pankreassteine, Tumor, zystische Fibrose Therapie nach Ätiologie Nach ausführlicher klinischer Diagnostik können maximal 20 Prozent der Fälle eingeordnet werden. Bei den verbleibenden 80 Prozent können durch eine psychologische Diagnostik und Familienanamnese nochmals etwa zehn Prozent abgeklärt werden. Bei den restlichen rund 70 Prozent der Fälle muss von funktionellen Problemen ausgegangen werden. Je nach Symptom und Konstellation besteht die Chance, 60 bis 80 Prozent dieser Kinder allein über die Führung eines verhaltenstherapeutischen Kalenders und begleitende Gespräche zu heilen. Etwa 20 Prozent laufen Gefahr, in eine somatoforme Störung hineinzurutschen. Pädiatrix 4/2010 8 Psychosomatik sching, ob Kügelchen oder ein Zahnungshilfegel verschrieben werden müssen oder nicht vielmehr ein Gespräch mit der Mutter angezeigt ist, wie bei Babys Ängste entstehen und wie damit umzugehen ist. Auch eine Reihe von entwicklungsbedingten Auffälligkeiten, die deutlich über das normale Altersmaß hinausgehen, können ein Hinweis dafür sein, dass die Stressverarbeitung nicht funktioniert – ein Fall für die psychosomatische Grundversorgung. Diagnostik Montessoritherapie Motopädie Sozialpädagogik Sozialarbeit g Kr eist an ige kh eit Pädagogik Körper Gesundheit Geist Seele seelische Krankheit Musiktherapie he lic t er ei rp kh kö ran K Heilpädagogik Kunsttherapie Ergotherapie Arzt Physiotherapie Logopädie Psychiatrie Psychologie Diagnostik Abbildung 2: Gesundheit in ihrer Gesamtheit im Auge behalten Umfassende Diagnostik und Therapie, die alle Ebenen erfassen, kennzeichnen die psychosomatische Medizin. Quelle: modifiziert nach Prof. R. Schmid „Mit dem weit verbreiteten mechanistischen, pharmakologischen Denken in der Medizin sehen wir oftmals die Informationen zwischen den Zeilen nicht, die wir aber genauso aufnehmen müssten. Diese Zeichen werden von den Eltern genauso verunsichert gesendet wie ‚Mein Kind hat Kopfschmerzen’. Jeder gewissenhafte Pädiater weiß, worauf er zu achten hat“, erklärte der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt und Ausbilder im neuen Curriculum. „Bisher geben wir das Geld eher für die bildgebende Diagnostik als für Gespräche aus. Dabei führen Gespräche oftmals weiter, wie etwa bei einem jugendlichen Asthmatiker, bei dem die Therapie nicht greift. Hier gilt es herauszufinden, welche Stresssituationen es im Umfeld gibt. Nicht selten schämt sich das Kind, den Inhalator vor anderen Kindern in der Schule zu benutzen. Dann kann es nicht darum gehen, schon morgens Cortison zu geben, sondern es muss auf die Problemsituation, den Stress des Schämens, mit Eltern und Kind eingegangen werden.“ Weichen frühzeitig stellen Als Beispiel für eine ganz frühe psychosomatische Intervention im Sinne der Prävention einer Verschärfung der Problematik nannte Büsching anerzogene Essstörungen. Sie treten im Alter von etwa eineinhalb Jahren auf und führen dazu, dass die Kinder etwas zu dünn sind. Denn die Macht ums Essen ist ihnen wichtiger als ihr Hunger. Klassischerweise wird dann laut Büsching eine Gewichtskurve angelegt, das Knochenalter bestimmt und Blut abgenommen, um zu klären, ob der HbA1c zu niedrig ist. Organische Ursachen seien aber nicht zu finden. Dennoch denke niemand an eine schwere Mutter-Kind-Interaktionsstörung. „Wenn Sie hier nicht intervenieren, werden sich diese Machtkämpfe generalisieren – bis Eltern und Kinder völlig entzweit sind.“ In der Ausbildung werden solche Dinge bisher nicht gelehrt, bei einer gewissen Offenheit vielleicht im Praxisalltag allmählich erlernt. Wer diese komplexen Zusammenhänge und einen über das mechanistisch-pharmakologische Weltbild hinausgehenden Ansatz zur Diagnostik und Therapie kennen lernen möchte, wird laut Büsching aus dem Kurs zur Psychosomatik viele wertvolle Anregungen mitnehmen. Seine Hoffnung ist, dass aufgrund des besseren Verständnisses dieser Zusammenhänge sozial-psychologische Probleme von Kindern künftig frühzeitig geheilt werden können – noch bevor somatoforme Störungen aus ihnen resultieren. Literatur 1. www.prosoz.de/produktbereiche/prokids-institut/ unterrichtsmaterialien-zum-lbs-kinderbarometer. html 2. Largo RH: Kindliche Entwicklung und psychosoziale Umwelt. In: Schlack HG: „Sozialpädiatrie – Gesundheit, Krankheit, Lebenswelten. S. 7-25. Urban & Fischer, München 2000 3. JIM-Studie 2005: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest; www.mpfs.de/ftp/soziokultu rell.pdf?id=161 4. Institut für Demoskopie Allensbach, AWA 2005; www.awa-online.de/pdf/zielgruppen_2005.pdf 5. Altöttinger Papier: Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V.; www.dgspj.de/ media/Altoettingerpapier.pdf Pädiatrix 4/2010