Sozialpraktikum 2009

Werbung
Sozialpraktikum
Beispiele für Praktikumsberichte
Die folgenden Auszüge aus Berichten von einigen Eurer Vorgänger sollen beispielhaft
zeigen, worum es in Eurem Praktikumsbericht geht, nämlich um eine intensive Reflexion
über das Erlebte.
Auszug aus dem Bericht über das Praktikum in einer integrativen Kindertagesstätte:
Willkommen in Holland
Ich werde oft gebeten zu beschreiben, wie es ist ein behindertes Kind großzuziehen
– zu versuchen das Menschen verständlich zu machen, die diese einzigartige
Erfahrung nicht gemacht haben, damit diese sich vorstellen können wie das ist. Es
ist so...
Wenn du ein Baby bekommst, so ist das wie eine Urlaubsreise zu planen – nach
Italien. Du kaufst dir eine Menge Reiseführer und machst wundervolle Plände. Das
Kollosseum, der David von Michelangelo, die Gondeln von Venedig. Vielleicht lernst
du auch einige nützliche italienische Sätze. Das ist alles sehr aufregend.
Nachdem du monatelang gespannt gewartet hast, ist es endlich so weit. Du packst
deine Koffer und los geht’s. Einige Stunden später landet das Flugzeug. Die
Stewardess kommt herein und sagt: „Willkommen in Holland!!!“
„HOLLAND???“, sagst du, „was meinen Sie mit Holland??“ Ich habe nach Italien
gebucht. Ich sollte doch in Italien sein! Mein ganzes Leben lang habe ich davon
geträumt nach Italien zu reisen. Aber es gab eine Änderung im Flugplan, das
Flugzeug ist in Holland gelandet und dort musst du jetzt bleiben.
Das Wichtigste ist, sie haben dich nicht in ein schreckliches Land gebracht, wo es
Seuchen, Hunger und Leid gibt – es ist nur ein anderes Land.
Also musst du losziehen und neue Reiseführer kaufen. Du wirst eine völlig neue
Sprache lernen und du wirst eine Menge neuer Leute kennenlernen, die du sonst
nie getroffen hättest.
Es ist einfach ein anderes Land. Dort geht alles langsamer als in Italien, es ist
weniger protzig als Italien. Aber nachdem du eine Weile dort bist und wieder zur
Ruhe kommst, schaust du dich um und merkst, dass es in Holland Tulpen gibt und
sogar Rembrandts.
Doch jeder, den du kennst, kommt gerade aus Italien oder ist auf dem Weg dorthin
und alle prahlen damit, was für eine wundervolle Zeit sie dort hatten. Und den Rest
deines Lebens wirst du sagen: „Ja, da sollte ich eigentlich auch hin, das hatte ich
geplant.“
Und diesen Verlust wirst du niemals ganz überwinden, denn der Verlust dieses
Traumes ist ein bedeutender Verlust.
Aber wenn du dein Leben damit verbringst der Tatsache hinterher zu trauern, dass
du nicht nach Italien gekommen bist, wirst du niemals die ganz speziellen, ganz
liebenswerten Dinge genießen können, die es in Holland gibt.
Emily Perl Kingsley, 1995
Diesen Text habe ich von einer der Erzieherinnen zusätzlich zu Material bekommen, das
einzelne Behinderungen der Kinder genauer beschreibt, und ich fand ihn so passend, dass
ich ihn an den Anfang meines Berichts stellen möchte. Diese Geschichte einer Mutter, die
selbst erfurh, wie es ist ein behindertes Kind zur Welt zu bringen und mit ihm das Leben
zu gestalten, macht unglaublich viel Hoffnung und birgt eine Sicht, die unsere Gesellschaft
noch lernen muss zu sehen,um Behinderte bedingungslos integrieren zu können:
Behinderte sind nicht hässlicher, dümmer oder merkwürdiger; sie sind einfach anders. ...
Auszug aus dem Bericht über das Praktikum in einem Altenheim:
Es herrschte ein sehr angenehmes, freunliches Arbeitsklima, das Pflegepersonal duzte sich
untereinander, sie nahmen mich direkt als vollwertiges Mitglied ihrer Gemeinschaft auf
und außer zwischen Pflegern und der Verwaltung / dem Heimleiter war die Hierarchie
nicht zu spüren. Auch zwischen Bewohnern und Pflegepersonal war der Umgang stets
überaus freunlich und höflich, die älteren Menschen wurden alle mit „Herr...“ / „Frau...“
angesprochen. Das hat mich am Anfang überaus beeindruckt, da ich sehr große
Probeleme hatte mir die Namen von 34 Bewohnern und 10 Pflegern zu merken.
Erschreckend an der ganzen Sache fand ich, dass die Bewohner teilweise das Personal fast
wie eine Familie ansehen, da ihre eigene inzwischen schon verstorben ist. Diese
Betrachten von Fotos „mein Bruder – im Krieg gefallen, meine Eltern, ich habe nie
geheiratet, da ich meine Mutter gepflegt habe...“ ist mir sehr nahe gegangen.
Besonders schön war für mich zu erfahren, mit was für kleinen Dingen man Menschen
eine Freude bereiten kann. Die Damen haben sich allein über ein Lächeln oder ein
Kompliment von mir sehr gefreut, bei einer für mich selbstverständlichen Geste, wie ihnen
die Fingernägel zu schneiden oder auch nur sich mittags zu ihnen an den Tisch zu setzen,
wollten sie einem sofort etwas schenken: Schokolade, Bücher, Geld, etc...
Mein schönstes Erlebnis jedoch hängt zugleich eigentlich auch mit dem schlimmsten
zusammen. In dem Heim gibt es eine Frau, die ich zu Beginn meines Praktikums als eine
der unzufriedensten, immer an einem herummeckernden Person erlebt habe. In der
letzten Woche ging es ihr aber sehr schlecht und sie hatte das Gefühl, dass sie bald
sterben würde. Sie aß nichts mehr, sagte es sei jetzt Zeit und war total freundlich zu allen.
Dienstag war ich auf ihren ausdrücklichen Wunsch bei ihr im Zimmer und sie bat mich ihr
einen Gefallen zu tun. Als ich eine Dreiviertelstunde später wieder ing, sagte sie mir, ihr
sei ein Stein vom Herzen gefallen und bat mich dafür zu beten, dass es bald vorbei sei. Sie
umarmte mich noch zum Abschied und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Das hat
mich alles sher mitgenommen, beim Rausgehen war ich fast am Heuelen und drotzdem
hat es mir sehr gut getan, ihr helfen zu können, einfach für sie da zu sein und auch ihr die
Körperliche Nähe einer Umarmung geben zu können.
Auszug aus dem Bericht über das Praktikum in einem Krankenhaus:
Montag, 7. Januar: Der Abend davor...
Gespannt liege ich nun im Bett und male mir meinen ersten Praktikumstag aus. Voller
Spaß, Einsatz und natülrich einem netten Team.
Doch schnell kommt die Frage der Erfüllbarkeit dieser Vorstellung auf sowie weitere
Zweifel. Die Angst vor Herr Meixners „Stationsdrachen“ kommt auf und die Frage, ob ein
solches Sozialpraktikum im hektischen Krankenhausalltag möglich ist? Komme ich wirklich
dazu mit den Leuten zu reden, kann ich ihnen tatsächlich mit meiner Anwesenheit helfen
oder bin ich bloß eine Last?
Ich beschließe, all meine Ängste und Zweifel erst einmal zu verwerfen und bin einfach nur
gespannt...
Dienstag, 8. Januar: „Der Ernst des Lebens beginnt...?“
[...] Auf der Station angekommen, wurde ich erst mal von den anwesenden Schwestern
freundlich begrüßt und erlebte bereits „HNO-Alltag“. Patienten werden praemediziert,
runter in den Wachraum gefahren, operiert und dann wieder abgeholt. Während dieses
Zeitraumes spürte man Hektik und Zeitdruck bereits deutlich. Auch kristallisierten sich in
dieser Zeit bereits zwei Schwestern heraus, die um den Platz des „Stationsdrachen“
kämpfen könnten. Jedoch bin ich fest davon überzeugt, dass beide Anwärter ein großes
Herz haben, das sie mir gegenüber auch bereits bewiesen....
...
Freitag, 1. Februar: „All good things come to an end...“
Es ist immer noch kaum zu glauben, dass heute tatsächlich mein letzter Tag war. Am
Anfang kommt einem die Zeit so schrecklich lang vor.
„Fast ein Monat!“, stöhnte ich. Jetzt, wo dieser Monat vorbei ist, stöhne ich wieder, weil es
zu schnell war, weil es zu viele Dinge gibt, die mir dann doch viel besser gefallen haben,
als anfangs geplant. Es ist unglabulich für mich, wie schnell ich mich an diese ganze
Umgebung gewöhnt habe, wie schnell ich den Weg ins Krankenhaus und all die Aufgaben
als wahrlich meinen Alltag wahrgenommen habe. [...]
So erhielt ich das Gefühl, dass diese vier Wochen nicht einfach nur vier Wochen waren,
die ich im Krankenhaus verbrcht habe, sondern es waren vier Wochen, in denen ich
unglaublich viel über Menschen gelernt habe und vor allem auch gelernt habe, menschlich
zu sein.
Jeden Tag aufs Neue stellte ich dort fest, wie man Leuten helfen kann, selbst wenn es
„nur“ seine eigene Anwesenheit ist. Gerda das ist wahrscheinlich das größte und schönste
Geschenk, das man jemandem überhaupt schenken kann: Zeit. Zeit sich mit ihm zu
unterhalten, zuzuhören und einfach da zu sein.
Auszug aus dem Bericht über das Praktikum in eine Schule für behinderte
Jugendliche:
Es bot sich auch die Möglichkeit, die Schüler längere Zeit zu beobachten. Gerade das war
auch sehr interessant, wenn ich näher über die Lebens- und Krankheitsgeschichten der
Kinder Bescheid wusste. Dies zählt zu den sehr intensiven und teilweise sehr belastenden
Momenten des Praktikums, da es mir unmöglich scheint, nicht emotional an jedem
Einzelschicksal teilzunehmen, wenn man den Kindern so nah ist. Erschreckend und
schmerzhaft war es auch zu wissen, wie sehr sich manche ihrer kritischen und
hoffnungslosen Situation bewusst sind. Umso beeindruckender ist es, wie viel
Lebensfreude, Lachen und Kraft sie zeigen, um jeden Tag erneut Schwierigkeiten zu
bewältigen, und wie gut sie trotz allem Verbitterung und Resignation von sich fern halten.
Die ganze Praktikumszeit lang war es sehr motivierend und erfüllend für mich, nicht nur
die Kraft der Kinder zu bewundern, sondern auch die der Lehrer und Erzieher. Einige unter
ihnen sind mir als besonders engagiert aufgefallen und haben mich tief beeindruckt und
bewegt durch ihre stetige Bemühung, alle Optionen maximal auszuschäpfen um ein
größtmögliches Erleben der Welt für die SchülerInnen zu erreichen. So berichtete mir ein
Lehrer über eine Klassenfahrt nach Hamburg, während der er Angestellte eines Hotels bat,
ein mehrgängigeges Menü rollstuhlgerecht zu servieren, damit die Jugendlichen
wenigstens ein einziges Mal in ihrem Leben Essen gehen konnten. [....]
Erzählung eines Schülers über Ausländerintegration in einem Kindergarten als
Reflexion seiner Erfahrung:
Es war ein normaler Tag im Dezember. Mein Praktikum neigte sich dem Ende zu. Als
Abschluss für meine Arbeit dort habe ich ein Krippenspiel organisiert, die Rollen waren
verteilt und nach einigen nervenaufreibenden Probestunden war das Stück eingeübt.
Ich beobachtete die Kinder, während sie sich am nächsten Nachmittag für die Aufführung
vorbereiteten. Mein Blick fiel auf den türkischen Jungen Murat. Während meiner Zeit dort
hatte ich mich mit dem kleinen Fünfjährigen gut angefreundet und seit ich meine Idee mit
dem Krippenspiel vorgeschlagen hatte, war er mit Feuer und Flamme dabei. Zusammen
mit Ulli und Max sollte er die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland darstellen, ihr
Auftritt in Gewand und Korne würde bestimmt einer der Höhepunkte werden. Viele Eltern,
Großeltern und Geschwister waren mitgekommen – die Aufregung stieg hinter der Bühne.
Dann ging es los: Auftritt von Maria und Josef, den Engeln, die die Geburt Jesu
verkündeten und schließlich kamen die Heiligen Drei Könige auf die Bühne, die , durch
einen Stern geführt, aus dem Morgenland zu Maria und Josef kamen. Insgesamt war es
ein gelungener Auftritt und der Applaus war groß.
Als ich mcih wieder hinter die Bühne begeben wollte, um mich noch einmal bei den
Kindern zu bedanken, kam ein türkischer Vater mit gezielten, langen Schritten auf mich
zu. Verdutzt bleib ich stehen und blickte in sein ernstes Gesicht.
„Ich heiße Mohammed Massan, ich bin der Vater von Murat.“
„Hallo“, versuchte ich mit freundlicher Stimme zu sagen, doch seine Mine bleib
unverändert. „Ihr Sohn hat die Rolle wirklich toll gespielt, alle waren begeistert.“ „Ich
nicht.“, sagte er. Pause. Dann: „Es war wie ein Faustschlag gegen mich und meine
Familie, meinen Sohn in einem Kirppenspiel sehen zu müssen.“
Zwei Sätze und meine aufgesetzt fröhliche Mine fiel zusammen. „Ihr Sohn hat eine
tragende Rolle gespielt, ich habe ihn weder ausgenutzt noch in diese Rolle gewzungen. Es
war seine eigene Entscheidung“, versuchte ich mich zu wehren. Sein Ausdruck bleib
gleich, meine Worte schienen keine Bedeutung zu haben. Ich wandte meine Blick ab, um
nach den anderen Erzieherinnen und Erziehern zu sehen, nach Hilfe zu suchen, aber ich
sah keinen. Um mich herum standen zahllose Eltern und unterhileten sich.
„Dieses Krippenspiel brignt meinen Sohn auf felsche, unwahre Gedanken. Sie haben
meinen Sohn für etwas begeistert, was unserem Glauben nicht entspricht“, hörte ich die
kühle Stimme und ich musste mich wieder von den Eltern zu ihm wenden. Falsche,
unwahre Gedanken? Die ganze Sache war aus einer Bibelnacherzählung für Kinder, was
war daran ungeeignet? Er fuhr fort: „Das, was du hier mienm Sohn vermittelst, ist
komerzialisierter Unsinn deiner westlichen Kultur. Murat wird von dir völlig falsch
beeinflusst, gestern hat er mich nach Weihnachtsgeschenken gefragt! Ds Fernsehen ist
voll damit, überall sieht man diesen weißbärtigen Alten mit rotem Mantel“ Jetzt war es
blanke Wut, die mir aus dem ganzen Gesicht entgegenwehte. „Was hat das hier bitte mit
dem Weihnachtsmann zu tun? Hier war nie die Rede von Weihnachtsmännern oder
Geschenken, wir haben hier das Kirppenspielaufgeführt, nachzulesen in der Bibel. Alles
andere hat hier nicht stattgefunden.“ Stählerne braune Augen. „Das Fundament meiner
Erziehung ist der Koran, im übrigen sieh dir die ganze Dekoration an... Und das soll aus
deiner Bibel sein?“ Mein Blick fiel auf die von den Kindern selbst gebastelten
Weihnachtssterne. „ Das ist nur ein Symbol für den Stern, der die Heiligen Drei Könige zu
Jesus geführt hat. Übrigens kamen die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland und
waren ganz und gar keine Christen. Ihr Sohn hat also keinen Christen dargestellt, sondern
einen Waisen aus Ihrer Heimat.“ Ein neuer Gesichtsausdruck : Ein höhnisches Grinsen
umspielte seine Lippen. „Du willst mir doch nicht sagen, dass dieser erfundene Unsinn
irgend etwas an dieser Situation ändert? Waisen hin oder her, wir beten keine Kinder in
Futterkrippen an.“ Das Gespräch drehte sich im Kries. Ich erwiderte: „Fest steht, dass ich
ihren Sohn nich einfach ausschließen kann, während alle anderen aus der Gruppe sich auf
das Theaterstück vorbereiten. Und ich hoffe, dass Sie genauso wie dieser Kindergarten
daran interessiert sind, ihr Kind in die Gruppe einzugliedern. Dazu gehört eben auch, z.B.
Feste wie Weihnachten oder Karneval zu feiern. Schließlich haben Sie sich ja dazu
entschlossen, ihr Kind in diesen Kindergarten zu schicken. Trotzdem hätten wir es aber
auch akzeptiert, wenn Murat nicht an diesem Kirppenspiel teilgenommen hätte, aber es
stellt sich die Frage, ob damit Ihrem Kind wirklich geholfen ist.“ Eine kleine Regung im
Gesicht. Jetzt waren gar keine Emotionen mehr erkennbar. War ich zu weit vorgeprescht?
Ich versuchte mein Pokerface, das wahrscheinlich schon vor Minuten zusammengebrochen
war, offener aussehen zu lassen. Dann: „Ich bin daran interessiert, dass mein Sohn hier
mit einbezogen wird. Aber trotzdem bin ich von den Werten meiner Kultur überzeugt und
werde nicht davon ablassen.“ Ein Fortschritt. Das Gespräch wurde jetzt offener. „Da sehen
wir auch kein Problem. Genauso haben wir kein Problem damit, uns ihre Kultur und
Religion näher bringen zu lassen. Zum Beispiel gab es die Idee, das Zuckerfest zu feiern,
ich glaube, das ist ein spezielles Fest Ihrer Kultur.“ Er wandte den Blick von mir ab. Nach
einigen Momenten sah er zu mir. „Ja, vielleicht werde ich noch mehr Eltern für die
Vorbereitung finden können.“
Plötzlich kam Murat mit seiner großen Schwester an der Hand auf uns zu. Der Raum leerte
sich langsam. „Boah, das war so cool auf der Bühne.“ Der Vater schwieg und wandte sich
zum Gehen. Eigenlich wollte ich mir es verkneifen, aber dann platzte es doch aus mir
heraus: „Frohe Weihnachten.“
Vielleicht war es Einbildung, aber ich glaubte ein kleines Lächeln zu sehen, als er sich zum
Gehen abwandte.
Herunterladen