DIE GELIEBTE CÄSARS BILDARCHIV HANSMANN / INTERFOTO Grünschiefer-Büste Cäsars mit Augen aus Kristall, 1. Jahrhundert v. Chr. 58 SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 m Ufer des Rubikon sprach Gaius Julius Cäsar zu seinen Getreuen: „Der Verzicht auf diesen Übergang würde mir Unglück bringen, der Übergang aber allen Menschen.“ Der kleine Fluss in Norditalien markierte die Grenze zwischen der Provinz Gallia Cisalpina und Italien. Es war der 10. Januar des Jahres 49 v. Chr. Die politischen Gegner Cäsars hatten drei Tage zuvor in Rom einen Senatsbeschluss bekräftigt, dass der Feldherr sein Heer entlassen und seine Befehlsgewalt für Gallien und Illyrien niederlegen müsse. Erst dann könne er erneut für das Amt eines der beiden Konsuln kandidieren, die jedes Jahr vom römischen Volk gewählt wurden. Zudem sollte Cäsar wegen Gesetzesbrüchen angeklagt werden, die er als Konsul zehn Jahre zuvor begangen hatte. Nun stand der 50-jährige Cäsar mit seinen Vertrauten am Flussufer und haderte. „Sind wir erst über diese Brücke gegangen“, sagte er, „muss alles mit Waffen getan werden.“ Cäsar wusste, dass er mit dieser Entscheidung einen Bürgerkrieg heraufbeschwor. Er tat es nicht um irgendwelcher Ideale willen – solche besaß er nicht. Ihm ging es allein um seine „dignitas“, seine Ehre. Und er sprach: „Anerriphto kybos.“ Das war Griechisch und hieß: „Der Würfel soll geworfen werden.“ Bekannter ist die ungenaue lateinische Version: „Alea iacta est“ („Der Würfel ist gefallen“). Der Mann, der den Rubikon überschritt, verhalf den Herrschern in zahlreichen Monarchien, seien es Kaiser oder Zaren, zu ihren Titeln. Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt nannte ihn 1848 den „in Betreff der Begabung vielleicht größten Sterblichen“. A vorgehalten wurde.“ Als Cäsar später seine Glatze missfiel, versuchte er sie zu verstecken, indem er die Haare nach vorn kämmte – und gern trug er einen Lorbeerkranz, nachdem ihm der Senat dies gestattet hatte. Mit 16 Jahren heiratete Cäsar, auch aus politischem Kalkül, die Tochter eines Führers der Popularen, einer der beiden großen Parteien. Damit brachte er sich jedoch in Opposition zu Lucius Cornelius Sulla, der sich nach einem erfolgreichen Marsch auf Rom im Jahr 82 v. Chr. zum Diktator erklärte. Sulla und sei- In einem Bürgerkrieg kämpfte sich Cäsar an die Spitze Roms. Nachdem er seinen Rivalen Pompeius besiegt hatte, folgte er ihm bis nach Ägypten. die Provinzen. An der Südküste des Schwarzen Meeres schloss er Freundschaft mit dem König Nikomedes von Bithynien. Bald entstand das hartnäckige Gerücht, dass die beiden eine homoerotische Beziehung pflegten. Noch 35 Jahre später sangen Cäsars eigene Soldaten: „Beide Gallien hat Cäsar bezwungen, den Cäsar jedoch Nikomedes.“ Cäsar war wohl bisexuell. Nach Sullas Tod im Jahr 78 kehrte Cäsar nach Rom zurück und versuchte, sich als Politiker einen Namen zu machen. Er klagte politische Konkurrenten an und hielt öffentliche Reden. Weil er von Anhängern Sullas immer noch angefeindet wurde, verließ Cäsar Rom bald wieder und reiste nach Rhodos, um in einer berühmten Rednerschule die entscheidende Fähigkeit eines Politikers noch zu verfeinern. Doch in der Nähe von Milet fiel Cäsar Piraten in die Hände. „Sie verlangten 20 Talente Lösegeld von ihm“, heißt es bei Plutarch, „er aber lachte ihnen ins Gesicht, sie wüssten ja gar nicht, was sie für einen Fang getan, und versprach, deren 50 anzuliefern.“ Triumphe eines Egomanen Während Vertraute das Lösegeld auftrieben, verfasste Cäsar Reden und Gedichte, die er den Piraten vortrug. Als die Seeräuber ihn nach seinem Empfinden nicht ausreichend bewunderten, rief er: „Was seid ihr für ungebildete Barbaren! Ich werde euch alle kreuzigen lassen.“ Von MICHAEL SONTHEIMER Kaum war Cäsar freigekauft, rüstete er eine kleine Flotte aus, mit der er einige Schiffe der Piraten kaperte ne Unterstützer verlangten, dass Cäsar oder versenkte. Die Seeräuber, die nicht sich von seiner Frau Cornelia trennen mehr fliehen konnten, ließ er ans Kreuz sollte. Cäsar verweigerte sich diesem schlagen. Ansinnen, obwohl er wusste, wie der Zurück in Rom, rückte Cäsar für eiDiktator mit politischen Gegnern ver- nen Onkel in das Kollegium der PontiCäsar wurde in Rom geboren, am fuhr – zu Tausenden wurden deren Na- fices, der obersten Behörde der Priester, 13. Juli des Jahres 100 v. Chr. Seine Fa- men öffentlich angeschlagen, auf ihre nach, und im Jahr 73 v. Chr. errang er milie gehörte in der Stadt zum Uradel Ermordung stand eine Belohnung, und seinen ersten Wahlerfolg: Er wurde als und führte ihren Ursprung auf die ihre Vermögen verfielen dem Staat. Militärtribun gewählt. Cäsar durfte sein Amt als Priester des Liebesgöttin Venus zurück. Vorfahren Wie es sich für junge Patrizier in dem hatten als Konsuln das höchste Amt der obersten Gottes Jupiter nicht antreten expandierenden Reich gehörte, sammelRepublik erreicht, doch zu den einfluss- und wurde geächtet, worauf er in die Sa- te Cäsar Verwaltungserfahrung außerreichsten Sippen zählten die Julier nicht biner Berge floh und jede Nacht das halb Roms. Er ging als Quästor, als FiQuartier wechselte. Als ihn ein Häscher nanzverwalter, nach Spanien. In Rom mehr. Der Schriftsteller Sueton berichtet Sullas dennoch fasste, bestach er ihn. wurde er anschließend zu einem der von der Eitelkeit des jungen Cäsar: „So Schließlich erreichten Verwandte, die Ädile ernannt, die für die öffentlichen ließ er sich nicht nur sorgfältig das Sullas Partei, den Optimaten, angehör- Spiele, Märkte und andere kommunale Haupthaar schneiden und sich rasieren, ten, dass Cäsar begnadigt wurde. Einrichtungen zuständig waren. Da ihm Rom dennoch zu unsicher ersondern auch die Körperbehaarung entIn diesem Amt konnte Cäsar öffentlifernen, was ihm von gewissen Leuten schien, ging er im Jahr 81 als Offizier in che Bauten errichten lassen und große SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 59 DIE GELIEBTE CÄSARS Gladiatorenkämpfe veranstalten. Brot und Spiele trugen wesentlich zur Popularität eines Politikers in Rom bei. Hilfreich für die Karriere war auch, die Gefolgschaft anderer Politiker zu kaufen – Korruption war das bestimmende Element der römischen Politik. Einer der reichsten Männer seiner Zeit war Marcus Licinius Crassus, der unter Sulla ein Vermögen zusammengerafft hatte. Gnaeus Pompeius Magnus ihn die Mär von großen Perlenschätzen 19. Jahrhunderts, es sei das Schicksal der anlockte. Kelten gewesen, „als Gärungsstoff künfIn Gallien ging Cäsar skrupellos vor. tiger Entwicklung aufzugehen in eine Als Führer der germanischen Usipeter staatlich überlegene Nationalität“. und Tenkterer einwilligten, sich mit ihm Als Feldherr und Stratege schlug Cäzu treffen, ließ er sie ermorden, ihre Sol- sar Generationen von Herrschern in seidaten niedermachen und die Zivilisten nen Bann. Der römisch-deutsche Kaiser vom Säugling bis zum Greis umbringen. Karl V. schickte Wissenschaftler nach Der Gallierfürst Vercingetorix ver- Frankreich, um dort die topografischen langte Cäsar militärisch alles ab, doch Gegebenheiten von Cäsars siegreichen die römische Belagerungstechnologie Schlachten kartografieren zu lassen. Der Gallierfürst Vercingetorix legt seine Waffen vor Cäsar nieder Gemälde, 1899 60 und die taktische Innovation einer mobilen Reserve, die in kritischen Situationen in die Schlacht geworfen werden konnte, ermöglichte Cäsar, was er die „Befriedung“ Galliens nannte. osmanische Herrscher Sultan Süleyman II. ließ Cäsars „Commentarii“ ins Türkische übersetzen. Mommsen schwärmte: „Was er (Cäsar) angriff und tat, war von der genialen Nüchternheit durchdrungen und getragen, die seine innerste Cäsars Rechenschaftsbericht über Eigentümlichkeit bezeichnet.“ Dabei waren Cäsars strategisch-milidiesen Feldzug, der das römische Imperium erheblich erweiterte, hat Gene- tärischen Fähigkeiten erst spät gefordert. rationen von Gymnasiasten beschäftigt, Seinen Aufstieg hatte er als gewinnender die sich am klassisch-schlichten La- Redner und Politiker begonnen. Nachdem Cäsar das Triumvirat mit tein von „De bello gallico“ abarbeiten Crassus und Pompeius hatte erneuern mussten. Die Römer löschten unter Cäsars können, gelang es ihm, seine StatthalterFührung ein Drittel der waffenfähigen schaft in Gallien zu verlängern und sein Bevölkerung Galliens aus, ein weiteres Heer zu vergrößern. Als Crassus Cäsar Drittel verkauften sie in die Sklaverei. nacheifern und sich als Feldherr unDer italienische Cäsar-Biograf Luciano sterblich machen wollte, fiel er im Jahr Canfora nennt die Unterwerfung und 53 v. Chr. bei einem desaströsen Feldzug Romanisierung der Kelten einen „erbar- gegen die Parther in Syrien. Nun bildete Cäsar mit Pompeius, der mungslosen Völkermord“. Er kann sich dabei auf Plinius den Äl- Statthalter in Spanien war und zum alteren stützen, der schätzte, dass 1,2 Mil- leinigen Konsul bestimmt wurde, ein Dulionen Gallier den Tod fanden. Der deut- umvirat. Das alte Einvernehmen aber sche Historiker Theodor Mommsen, der schwand dahin. Je mehr sich Pompeius Cäsar verherrlichte, schrieb Mitte des von den Popularen, der Partei Cäsars, zu SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 UNITED ARCHIVES / MAURITIUS IMAGES war der erfolgreichste Heerführer. Mit diesen beiden Männern schloss Cäsar ein geheimes Abkommen, ein Triumvirat. Laut Sueton vereinbarten sie, „dass nichts im Staate geschehen sollte, was einem der drei missfiele“. Das Bündnis mit derart potenten Politikern löste jedoch nicht Cäsars größtes Problem. Er hatte sich hoch verschuldet, auch um erfolgreiche Kampagnen für seine Wahl zum Konsul und zum Pontifex Maximus, dem ranghöchsten Priester und Aufseher über die Vesta-Priesterinnen, führen zu können. Die Ernennung zum Statthalter der gallischen Provinzen im Jahr 59 v. Chr. kam ihm deshalb wie gerufen. Den blutigsten Eroberungskrieg der gesamten römischen Geschichte, den in Gallien, führte Cäsar in den folgenden Jahren nicht zuletzt, um seine zerrütteten Finanzen zu sanieren. Als der Römer nach Siegen gegen die Helvetier, die Belger, Veneter und andere keltische Stämme mit nur zwei Legionen nach Britannien übersetzte, tat er dies auch, weil den Optimaten bewegte, umso mehr drängte Cäsar danach, Konsul zu werden. Mit dem Gold, das er den Galliern abpresste, kaufte er sich politische Unterstützung zusammen. Als „Höllenmeute“ schmähte Cicero einmal diese Parteigänger. „Alles, was in Italien nichts taugt“, sei unter ihnen. Der berühmte Redner betrachtete Cäsars Ambitionen immer skeptischer. Er fürchtete, dass dieser die Alleinherr- so schnell auf Rom vor, dass Senatoren und Beamte Hals über Kopf flohen. Er schloss die beiden amtierenden Konsuln ein, veranstaltete aber kein Strafgericht über sie, sondern ließ sie ziehen. Sein einstiger Partner Pompeius und dessen Truppen zogen sich nach Griechenland zurück. Cäsars Versuch, Cicero, den legendären Redner der Republik, für sich zu gewinnen, scheiterte allerdings. Als Die Zerstörung der Republik sollte nach Recht und Gesetz erfolgen. schaft anstrebte. Wie Cicero erging es der Mehrheit der Senatoren in Rom. Cäsar versuchte gleichwohl, einen Kompromiss mit seinen Gegnern zu finden. Er bot an, auf Gallien zu verzichten, wenn ihm Illyrien und zwei Legionen blieben. Seine Gegner sahen das Angebot als Zeichen der Schwäche und lehnten es ab. Der Senat beschloss, dass Cäsar den Befehl über seine Truppen abzugeben habe. Anderenfalls gälte er als Staatsfeind. Am 7. Januar des Jahres 49 v. Chr. verhängte der Senat den Belagerungszustand und übertrug Pompeius das Kommando über Rom. Cäsar glaubte, alles getan zu haben, um legal an die Spitze der Republik zu kommen. Jetzt wählte er den Weg der Gewalt. Nach der Überquerung des Rubikon setzte er das wichtigste Mittel erfolgreicher Feldherren ein – die Geschwindigkeit. Er marschierte mit seinen Truppen überzeugter Republikaner sah Cicero in Cäsar den kommenden Diktator und schloss sich Pompeius und der Mehrheit des Senats an. Cäsar plünderte in Rom die Staatskasse: 45 000 Goldbarren und 30 Millionen Sesterzen. Dann zog er nach Spanien und schlug ein Heer des Pompeius. Er ließ sich zum Diktator ausrufen, seine Zerstörung der Republik sollte nach Recht und Gesetz erfolgen. Der Krieg gegen Pompeius und den Senat war indes noch schwieriger als die Niederwerfung der Gallier. Cäsar beherrschte zwar den Westen des Reiches, aber in Nordafrika wurde einer seiner Heerführer vernichtend geschlagen. Nachdem er nach Albanien übergesetzt hatte, gelang es Cäsar, erneut die Initiative zu gewinnen. Mit seinen Soldaten schloss er Pompeius und dessen Truppen ein. Die schafften es auszubrechen, doch ihr Kommandeur ließ sie nicht entschlossen zuschlagen. „Heute hätten die Feinde gesiegt“, sagte Cäsar, „wenn sie einen Feldherrn gehabt hätten, der weiß, wie man siegt.“ Cäsars Widersacher in Rom, die Optimaten, waren derart siegesgewiss, dass sie schon für die nächsten Jahre die Posten und Güter der Anhänger Cäsars unter sich aufteilten. Das erwies sich als voreilig. Als sie Pompeius aufstachelten, bei Pharsalos im griechischen Thessalien die Entscheidungsschlacht gegen Cäsar zu suchen, verfügte ihr Feldherr über mehr als doppelt so viele Soldaten wie dessen Gegner. Doch Cäsar hatte die besseren Offiziere und schlug mit seiner mobilen Reserve im entscheidenden Moment zu. Pompeius flüchtete nach Ägypten, wo er auf Betreiben des Königshofes ermordet wurde. Rund 24 000 seiner Soldaten ergaben sich, 15 000 waren gefallen oder verwundet. „Sie wollten es so haben“, sagte der Mann, dem der Historiker Christian Meier, „maßlose Selbstbezogenheit“ attestierte. Als der siegreiche Feldherr das von Leichen übersäte Schlachtfeld inspizierte, erklärte er: „Nach so großen Taten wäre ich, Gaius Cäsar, verurteilt worden, wenn ich nicht bei meinem Heer Hilfe gesucht hätte.“ Cäsar verfolgte Pompeius nach Alexandria. Als er dort Anfang Oktober 48 v. Chr. eintraf, präsentierte ihm ein Vertrauter des Königs Ptolemäus den einbalsamierten Kopf des ermordeten Rivalen.