Kon j u n k t u ru n d F i na n z m a r k tBarometer 2013 Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Einleitung 8 1 Deutschlandkonjunktur 2012 10 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate 14 3 Schuldenkrise: ökonomische Anpassungen 21 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen 25 5 Geldpolitik: Einbahnstraße in die Inflation? 33 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und Chinasorgen 37 7 Deutschlandprognose 2013 45 8 Anlagepolitik 2013 49 9 Die Hauck & Aufhäuser-Top-10-Liste 55 10 Asset Allocation: neue Paradigmen an den Kapitalmärkten 61 11 Zum Schluss – die Wetteraussichten 67 5 Vorwort 2012 war insgesamt ein zufriedenstellendes Jahr. Die deutsche Wirtschaft zeigte Selbstvertrauen und Wachstum und konnte den widrigen Rahmenbedingungen trotzen. Auch wenn sich im vierten Quartal das Konjunkturklima eintrübte, nimmt Deutschland im Euroraum weiterhin eine Sonderstellung ein. Derzeit schwächt sich die Zuversicht, dass sich die Konjunktur kurzfristig beleben könnte, in vielen Bereichen der Wirtschaft ab, nur der Wohnungsbau und der private Konsum trotzen noch den dämpfenden Einflüssen – obwohl in Fachkreisen bereits die Furcht vor einer Immobilienblase umgeht. Dennoch: Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer starken Verfassung, und wenn das außenwirtschaftliche Umfeld stabil bleibt, kann es schon Anfang 2013 wieder aufwärtsgehen. Für Anleger ist Sicherheit derzeit so wichtig wie nie zuvor, und kluges Risikomanagement bleibt weiterhin unerlässlich. Doch trotz der aufziehenden Wolken am Konjunkturhimmel sind wir zuversichtlich. Immobilien und Gold sind bei der Suche nach inflationsgeschützten Anlagen sehr gefragt, und auch die Aktie gewinnt als Anlageform wieder zunehmend an Bedeutung. Auf der Suche nach der „neuen Normalität“ wachsen die Herausforderungen in allen Bereichen, doch gerade auch die traditionellen Werte erfahren eine Renaissance. Vertrauen und Verantwortung sind die Voraussetzung für gelungenes wirtschaftliches Handeln, ebenso das richtige Augenmaß. Für Hauck & Aufhäuser beruht seit Anbeginn jede persönliche Beziehung auf dieser Basis. Denn in partnerschaftlicher Zusammenarbeit liegt hohe Gestaltungskraft – gerade auch für die Zukunft. Mit unserem „Konjunktur- und Finanzmarkt-Barometer“ wollen wir Ihnen wie gehabt keine Ratschläge geben, sondern eine empirische und analytische Grundlage liefern, aus der Sie eigene Schlüsse für Ihre Anlagestrategie und Ihre unternehmerischen Entscheidungen ziehen können. Sollten Sie beim Durchblättern des „Marktbarometers“ Anregungen erhalten, die Sie mit uns diskutieren möchten, freuen wir uns auf das Gespräch mit Ihnen. Stephan Rupprecht Michael O. Bentlage Partner Partner Privat- und Unternehmerkunden Institutionelle Kunden 7 Einleitung Auch das Jahr 2012 stand vorrangig im Zei- schafft, eine Rezession zu vermeiden. Den- chen der Staatsschuldenkrise. Die damit ver- noch waren die Wachstumsraten von Quartal bundene Vertrauenskrise lässt sich zwar nicht zu Quartal rückläufig, sodass wir das Jahr mit unmittelbar an den Standardindizes wie Dax, etwa 1 Prozent Wachstum beenden werden. Dow Jones oder Rex ablesen, dennoch ist sie Dennoch fällt der Ausblick auf 2013 verhal- weiterhin der Dreh- und Angelpunkt aller ten positiv aus. Analysen und Szenarien. Dies bleibt nicht aus, hat doch die Krise viele Grundannahmen Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer ro- wirtschaftlicher Entscheidungen annihiliert. busten Verfassung, und unsere konjunkturel- Und auch die Sicht, zumindest Industrie­länder le Gesamteinschätzung für das kommende seien ausfallsicher, trifft nicht mehr zu. Jahr ist von einer vorsichtigen Zuversicht geprägt. Die Lage bleibt weiterhin fragil – be- Wir erleben historisch einmalige Zeiten. Kei- dingt durch die europäische Schuldenkrise ner der Marktteilnehmer, auch nicht die No- und die geopolitische Lage im Nahen Osten. tenbanken, hat Blaupausen aus der Vergan- Wir kommen also nicht umhin, uns mit der genheit, die Handlungsoptionen aufzeigen. Staatsverschuldung, der daraus resultieren- Klar ist nur eins: Alle Industriestaaten und den Geldpolitik und den verschiedenen Lö- die privaten Haushalte müssen sparen. Damit sungsoptionen zu beschäftigen. Hier stellen die Politik dies umsetzen kann, kaufen die wir zwei Szenarien vor: ein Moll- und ein Notenbanken mit ihrer Niedrigzinspolitik Durszenario. Die vergangenen Monate haben Zeit. jedoch auch Hoffnungszeichen gesetzt, und um es vorwegzunehmen: Wir halten das Dur­ Angesichts der fundamentalen Veränderun- szenario, das eine zunehmende konjunkturelle gen müssen sich Unternehmer und Investo- Dynamik und eine erfolgreiche Krisenbe- ren an die neuen und noch immer im Fluss kämpfung der Notenbanken sieht, für wahr­ begriffenen Realitäten anpassen. Dies bedingt scheinlicher. zwangsläufig deutliche konjunkturelle Unsicherheiten und ungewöhnlich breite Progno- Auch das Umfeld der Finanzmärkte wird sebänder. Die heimische Konjunktur hat sich künftig Licht und Schatten haben. Alles in al- in einem äußerst schwierigen Umfeld knapp lem wird unsere Anlagepolitik 2013 von einer behaupten können. Deutschland hat es, im Bevorzugung realer Anlageklassen geprägt Unterschied zu vielen seiner Partner, ge- sein. Denn die Aktienmärkte sind fraglos 8 Ei n l e i t u n g günstig bewertet und werden es auch im Implikationen ist die Investition in sogenann- kommenden Jahr sein. Allerdings werden ih- ten „Real Assets“, zu denen die neue Anlage- nen die genannten Unwägbarkeiten immer klasse der Infrastrukturinvestments zählt. wieder zusetzen, und die Sorge vor einem konjunkturellen Absturz wird auf den Märk- Auf den Rentenmärkten bleibt nach wie vor ten lasten. Infolgedessen wird es auch weiter- die „Suche nach Rendite“ das beherrschende hin Schwankungen geben. Dies wird in einer Thema, denn am niedrigen Renditeniveau mittelfristigen Perspektive zugleich Chancen wird sich voraussichtlich wenig ändern. Eine eröffnen, in den Besitz von Aktien zu gelan- Zinswende ist aufgrund der lockeren Geld­ gen, die sich durch Ertrags- und Dividenden- politik der Zentralbanken nicht in Sicht. stärke sowie hohe Bilanzqualität auszeichnen. Das Börsenjahr 2013 wird die Investoren mit Das Niedrigzinsumfeld wird uns erhalten Herausforderungen konfrontieren, die es bleiben und auch die Ertragserwartung an den nicht leicht machen, erfolgreich zu sein. Doch Aktienmärkten insgesamt wird niedrig blei- Fiskal- und Finanzkrisen indes sind nichts ben. Ausschlaggebend dafür ist der soge- Neues, und bislang wurden sie stets über- nannte „Deleveraging-Prozess“ aller Indus­ wunden. Und glaubt man Joseph Schumpe- triestaaten, der Auswirkungen auf das globale ter, gehören sie wesentlich zur Marktwirt- Wachstum hat. Daraus ergeben sich aber schaft und sind – dank ihrer schöpferischen auch entsprechende langfristige Implikatio- Zerstörungskräfte – immer auch ein Treiber nen für die Vermögensanlage. Eine dieser des Fortschritts. 9 1 Deutschlandkonjunktur 2012 Im Herbst hat sich die Konjunktur in • Die Auftragseingänge der deutschen In- Deutschland merklich abgeschwächt. Natür- dustrie, ein zentraler Frühindikator für die lich blicken die Krisenstaaten oder auch Umsätze in den kommenden sechs bis Frankreich immer noch neidvoll auf die deut- zwölf Monaten, sind moderat rückläufig. sche Wachstums- und Arbeitsmarktsituation. Die Industrieproduktion ist noch robust. Dennoch fordert die Rezession in der Euro- Für das vierte Quartal ist mit Stagnation oder sogar einem kleinen Minus zu rechnen. zone mit ihren globalen Folgen jetzt auch in • Die Exporte nehmen zwar nach wie vor zu, den deutschen Wirtschaftsdaten ihren Tribut. allerdings mit einer geringeren Rate. Deutschland kann sich den Folgen einer Re- In diesem Jahr dürften die Ausfuhren gut zession in der Eurozone – seinem wichtigsten 3,5 Prozent steigen. Das Exportgeschäft ist Absatzmarkt – nicht entziehen. Die Abwärts- gespalten: Während die Exporte nach tendenz wird durch die aktuellen Konjunktur­ Übersee immer noch gut laufen, schrump- indikatoren belegt. Allerdings sind auch eini- fen die Ausfuhren in den europäischen ge Lichtblicke zu vermelden, sodass wir zwar Binnenmarkt. von einer „Abkühlung“, aber nicht von einem „Absturz“ reden sollten: Somit zeichnet sich eine Verschlechterung der Konjunktur im zweiten Halbjahr ab. Die • Die Indikatoren zur Zuversicht in den Un- Jahresdaten können allerdings von einem ternehmen und Finanzinstituten schwä- recht soliden ersten Halbjahr profitieren. Im chen sich weiter ab. Das Ifo-Geschäftsklima ersten Quartal betrug das Plus des deutschen ist über die Sommermonate hinweg mehr- BIP immerhin 0,5 Prozent und im zweiten mals hintereinander gesunken. Auch wenn Quartal 0,3 Prozent. dieser Wert weit über dem Tiefststand 2008/2009 liegt, ist die Tendenz dennoch Die Detailanalyse zum ersten Halbjahr zeigt eindeutig. Die Ifo-Zahlen geben zusätzlich für die Exportseite noch ein vorteilhaftes Bild. eine klare Antwort auf die Ursachen der Dies wird sich im zweiten Halbjahr nun ver- Abkühlung: Nach drei Jahren wird nun mit ändern. Dann ist nicht mehr mit einem positi- einem weniger dynamischen Exportgeschäft ven Wachstumsbeitrag des Außenbeitrags zu gerechnet. rechnen. Aber auch die zurückliegenden vier Quartale machen schon den Abschied von der Hochkonjunktur deutlich: Bereits seit dem 10 1 DeutschlandKonjunktur 2012 dritten Quartal 2011 schrumpfen die Brutto- Allerdings reagieren die deutschen Verbrau- investitionen. Da die Unsicherheit über die cher stets sehr sensibel auf anziehende Preise. weitere Entwicklung der nationalen und glo- Besonders stark wahrgenommen werden die balen Wirtschaft in den vergangenen Mona- Rekordstände an den Zapfsäulen, weil sie die ten sehr hoch war, sind Investitionen zurück- gefühlte Inflation stark nach oben treiben. gestellt worden. Der Investitionsrückgang Das könnte in den nächsten Monaten die wird maßgeblich von den Ausrüstungsinvesti- Konsumbereitschaft dämpfen. Es bestehen tionen der Unternehmen verursacht. Hin­ also durchaus Gefahren, dass der Privatkon- gegen erweisen sich die Bauinvestitionen auf- sum nicht ganz das hält, was die Konsumen- grund des Booms im Wohnungsbau und in tenzuversicht derzeit noch verspricht. der Modernisierung als robust. Arbeitsmarkt weiterhin stark Die Detailzahlen zum BIP-Wachstum dämpfen zudem die Hoffnung, dass die deutschen Die Arbeitsmarktdaten sind in der Konjunk- Konsumenten allein hohes Wachstum auf- turforschung Spätindikatoren. Sie spiegeln rechterhalten können. Zwar ist der Privatver- im Wesentlichen die Vergangenheit wider brauch mit Ausnahme des Schlussquartals und reagieren nur sehr zeitverzögert auf eine 2011 in den zurückliegenden vier Quartalen konjunkturelle Eintrübung. Außerdem wis- stets gewachsen. Doch der Privatkonsum ist sen wir aus der historisch einzigartigen keineswegs eine dauerhafte Wachstums­ Rezession des Jahres 2009, dass der deutsche garantie. Immerhin aber federt er die Schock- Arbeitsmarkt aufgrund der erfolgreichen wellen der Eurolandrezession ab und bewahrt Reformen und des demografischen Wandels Deutschland vorläufig vor einer echten Re- ohnehin recht robust gegen Konjunkturein- zession. brüche geworden ist. Mit regelrechten Entlassungswellen ist daher nicht zu rechnen. Aller- Die europäische Schuldenkrise stabilisiert die dings wird sich die Dynamik des Beschäf- deutsche Konjunktur: Denn angesichts von tigungsaufbaus abschwächen, und der Rück- Minizinsen und Sorgen um die Stabilität der gang der Arbeitslosenquote wird sich nicht Währung investieren deutsche Verbraucher weiter fortsetzen. ihr Geld lieber in Autos, Möbel oder auch größere Ferienreisen. Dabei sind die Bürger nicht Trotz nachlassender Dynamik ist die Beschäf- naiv. Denn auch die GfK misst eine wachsende tigung in Deutschland immer noch auf einem Konjunkturskepsis. Dies geht aber noch nicht Rekordniveau. Davon profitieren der Fiskus mit Befürchtungen einher, dass sich die per- und die Sozialversicherungssysteme. Im ersten sönliche Einkommenssituation verschlechtern Halbjahr 2012 hat der Gesamtstaat (Bund, Län- oder der Job bedroht sein könnte. der, Gemeinden und Sozialversicherungen) 11 Der Konsum wirkt stabilisierend, kann alleine aber nicht für Wachstum sorgen. 1 DeutschlandKonjunktur 2012 Die Beschäftigung ist in Deutschland immer noch auf Rekordniveau. mehr Geld eingenommen als ausgegeben. Budgetpolitik vieler Bundesländer. Dass 2012 Das Plus betrug 8,3 Milliarden Euro. Dazu angesichts von Rekordeinnahmen in Bundes- trugen mehrere Faktoren bei: Die gute Be- ländern wie Baden-Württemberg oder Nord- schäftigungslage und die gute Rentabilität rhein-Westfalen immer noch hohe Defizite treiben die Lohn-, Einkommen- und Körper- eingeplant werden, ist kaum verständlich. In schaftsteuereinnahmen auf Rekordniveaus. der Diskussion um die Beitragssenkung in Hinzu kommt eine kräftige Zunahme der der Rentenversicherung sind wir allerdings Einnahmen aus der Mehrwertsteuer ange- der Auffassung, dass diese Absenkung richtig sichts der wachsenden Konsumfreude. Auf ist. Die Überschüsse gehören den Beitrags- der Ausgabenseite wirken die sinkenden zahlern. Würden sie als Reserven in der Ren- Transfers an Arbeitslose entlastend. Und tenkasse gebunkert, wüchsen nur die Begehr- schließlich können die Finanzminister von lichkeiten für neue Wohltaten. Bund und Ländern fällig werdende höher verzinsliche Anleihen durch neue Anleihen Für das Gesamtjahr 2012 erwarten wir eine mit sehr geringen Zinskupons finanzieren, „rote Null“, mithin ein geringes Defizit. Lei- teilweise – beim Bund im Kurzfristbereich – der wird die Schuldenquote – das Verhältnis sogar zu Null- oder Negativzinsen. des Altschuldenbergs zum BIP – dabei noch einmal deutlich ansteigen, auf dann 83 Pro- Enttäuschendes Finanzgebaren in den zent. Grund dafür sind die Zusatzlasten im Bundesländern Kontext der Abwicklung der West-LB, die deutschen Einzahlungen in den Europäi- Doch völlig klar ist, dass diese Konstellation schen Stabilitätsmechanismus (ESM) und in aus günstigen Faktoren nicht einfach in die die Europäische Investitionsbank. Zukunft fortgeschrieben werden kann. Schon im zweiten Halbjahr werden sich die kon- Unser konjunkturelles Fazit für das laufende junktursensiblen Einnahmen – Gewerbesteu- Jahr lautet: Das zweite Halbjahr wird eine er, Körperschaftsteuer – abschwächen. Auch kräftige, fast drei Jahre andauernde Wachs- sind die Eventualverbindlichkeiten der öf- tumsphase zunächst beenden. Die in den eu- fentlichen Haushalte gewachsen. Eine erneu- ropäischen Binnenmarkt eng eingebundene te Umschuldung Griechenlands – dieses Mal deutsche Volkswirtschaft wird von der euro- unter Einbezug der öffentlichen Kredite – ist päischen Schuldenkrise ausgebremst. Für das über kurz oder lang ein ernst zu nehmendes Gesamtjahr 2012 ist daher nur noch mit einer Szenario. Insofern sollte die Momentaufnah- Wachstumsrate zwischen 0,7 und 0,9 Prozent me in den öffentlichen Haushalten nicht zum zu rechnen, je nachdem wie schwer der Ab- Geldausgeben verleiten. Enttäuschend in die- schwung im Herbst und Winter wird. Damit sem finanzpolitisch günstigen Umfeld ist die entspricht die 2012er-Entwicklung knapp 12 1 DeutschlandKonjunktur 2012 dem positiven Szenario, das wir in unserer an der weiteren Entwicklung der europä­ großen Konjunkturanalyse vor einem Jahr ischen Schuldenkrise entscheiden. Nur wenn aufgezeigt hatten. In einem äußerst schwieri- eine Stabilisierung gelingt, wird Deutschland gen Umfeld hat Deutschland es wieder ge- im kommenden Jahr auf seinen Potenzial- schafft, Wachstum zu generieren und die Be- wachstumspfad von gut 1 Prozent zurückfin- schäftigung auf einen neuen Höchststand zu den können. Von daher ist eine ausführliche steigern. Analyse zum Stand der Dinge an der europäischen Schuldenfront der logische nächste Ob der Wachstumsrückgang im zweiten Schritt unseres Konjunktur- und Finanz- Halbjahr nur eine Delle oder aber eine Wen- markt-Barometers. de in Richtung Rezession bedeutet, wird sich 13 Das zweite Halbjahr kann Rezessionsquartale bringen, dennoch wird das Gesamtjahr zufriedenstellend. 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate Immer wieder wird dem Krisenmanagement 1. Mit der Einigung auf den Fiskalvertrag ist der Europäer vorgeworfen, eine Taktik des es zu einer wichtigen Weichenstellung ge- „Durchwurstelns“ zu verfolgen und unfähig kommen, deren genauere Analyse lohnens- zu einer „großen Lösung“ zu sein. Wir teilen wert ist. diese Kritik nicht. Denn das Problem ist, dass Eine „große Lösung“ der Schuldenkrise ohne Risiken und Nebenwirkungen gibt es nicht. es eine überzeugende „große Lösung“ ohne 2.Der Schuldenschnitt mit einem 100-Milli- gefährliche neue Risiken nicht gibt. Alle ver- arden-Verlust für private Gläubiger Grie- meintlich schnellen Auswege aus der Ver- chenlands ist im März über die Bühne ge- trauenskrise – Eurobonds oder Euroaustritt gangen, ohne dass dadurch die Finanz- der Krisenländer – sind aus deutscher Sicht märkte gebebt hätten. Damit wurde die In- mit solchen Wohlstandsrisiken verbunden, solvenzverschleppung im Fall Griechen- dass sie kaum überzeugen können. lands beendet. Fakt ist aber auch, dass das Land kaum ohne weiteren Schuldenerlass Fortschritte Fiskalvertrag und aus der Krise kommen wird. Die nächsten Umschuldung Verluste werden die öffentlichen Gläubiger treffen. Mit der griechischen Umschul- Doch betrachten wir zunächst einmal die dung ist für Investoren weltweit eine wich- Krisenhistorie über die vergangenen zwölf tige und heilsame Lektion verbunden: Monate (siehe Kasten Seite 16). Lassen wir Auch bei Staaten der Eurozone sollte die die mitunter dramatischen Etappen Revue Kreditwürdigkeit genau geprüft werden, passieren, dann möchten wir fünf Entwick- bevor Anleihen eines Landes gekauft wer- lungen hervorheben, die zum Teil echte Fort- den. Das hat die Marktdisziplin gestärkt: schritte darstellen, aber auch auf ungelöste Eine schlechte Wirtschafts- und Finanz­ Probleme verweisen: politik wird durch steigende Zinsen bestraft. Die vernünftigen Anreize gelten allerdings nur, solange Deutschland sich nicht auf eine kollektive Haftung einlässt. 14 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate 3.Die große Verunsicherung vor der Juniwahl in Griechenland hat gezeigt, dass es Europa an einem Konzept für den Fall fehlt, dass ein Krisenland seine Zustimmung zu Reformen und Sparmaßnahmen aufkündigen würde. Der Drohung der Europäer, dann den Geldhahn zuzudrehen, mangelt es an Glaubwürdigkeit. Es fehlt an Vorkehrungen für eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds. 4.Die Eurozone hat durch den Grundsatz­ beschluss im Juni einen Schritt zu einer „Bankenunion“ gemacht. Hier ist es zu einer neuen, weitreichenden Weichenstellung gekommen, die unter Ökonomen heftig umstritten ist und in der Umsetzung viele ungelöste Fragen aufwirft. 5.Irland, das erste Land, das aus dem Eurorettungsschirm gestützt wird, ist wieder mit eigenständig begebenen Langfrist­ anleihen an den Kapitalmarkt zurückgekehrt. Irland ist somit ein starkes Argument gegen die These, dass alle Hilfen in ein Fass ohne Boden flössen, weil ohnehin keine Aussicht auf finanzielle Gesundung bestünde. 15 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate Chronologie der Schuldenkrise 22.09.2011 – Bundestag: Zustimmung zu einem 01.03./02.03.2012 – Europäischer Rat: Unter- schlagkräftigeren Euroschutzschirm EFSF durch zeichnung des Fiskalvertrags von 25 Staats- und Ausweitung des deutschen Garantierahmens auf Regierungschefs. 211 Milliarden Euro. 12.03.2012 – Eurogruppe: grünes Licht für das 26.10.2011 – Eurogipfel: Beschlussfassung, dass zweite Hilfsprogramm für Griechenland. Banken bis Juni 2012 ihre Eigenkapitalposition auf 9 Prozent des Kernkapitals anzuheben haben. 15.03.2012 – Durchführung des griechischen Schuldenschnitts: Die Griechenlandanleihen 01.11.2011 – Europäische Zentralbank: Der privater Gläubiger werden in neue Anleihen mit scheidende Gouverneur der italienischen einem um 53,5 Prozent verringerten Nennwert und Notenbank, Mario Draghi, wird neuer Präsident. stark verlängerten Laufzeiten umgetauscht. Dadurch Er folgt auf Jean-Claude Trichet, dessen Amtszeit verringert sich die Verschuldung des Landes um nach acht Jahren endet. 107 Milliarden Euro. Der finanzmathematisch kalkulierte Verlust der privaten Gläubiger beträgt ca. 09.12.2011 – Europäischer Rat: Widerstand 76 Prozent auf den ursprünglichen Anleihewert. Die Großbritanniens gegen die Änderung der griechische Umschuldung hat Investoren nach einer europäischen Verträge für einen Einstieg in eine Studie der Ratingagentur Moody’s weit mehr Geld Fiskalunion, Einigung auf einen regierungsfreund- gekostet als die meisten früheren Umschuldungen lichen Vertrag der teilnehmenden Mitgliedstaaten. von Staaten. So seien weit höhere Beträge umgeschuldet worden als bei den Umschuldungen in 23.01.2012 – Eurogruppe: Einigung auf den ESM. Argentinien 2001 und 2005 oder in Russland 1998. 30.01.2012 – Europäischer Rat: Bei einem 30.03.2012 – Eurogruppe: Erhöhung des informellen Treffen einigen sich die Staats- und gemeinsamen Kreditvolumens von ESM und EFSF Regierungschefs von 25 Mitgliedstaaten der EU von 500 auf 700 Milliarden Euro. auf den „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungs- 14.05.2012 – Eurogruppe: Analyse der Lage der union“ (Fiskalvertrag). sogenannten „Programmländer“, also derjenigen Staaten, die gegenwärtig Finanzhilfen über 20.02.2012 – Eurogruppe: konstatiert Fortschritt unterschiedliche Stabilitätsmechanismen erhalten Griechenlands bei den Reformen; Einigung auf ein und speziell ausgehandelte wirtschaftspolitische zweites Hilfspaket für Griechenland. Reform- und Anpassungsprogramme durchführen. Die Befunde für Portugal und Irland sind ermutigend, da beide Länder auf ihrem Programmweg vorankommen. 16 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate 30.05.2012 – Europäische Kommission: Veröf- wird alles tun, um den Euro zu erhalten.“ Geplant fentlichung der Länderempfehlungen im Rahmen sind neue Anleihekäufe, die allerdings unter des Europäischen Semesters. Auflagen erfolgen sollen. 31.05.2012 – Irland: Bei der Volksabstimmung 27.07.2012 – Irland: Mit Irland kehrt das erste aus über den Fiskalvertrag entscheidet sich eine klare dem Rettungsschirm gestützte Land mit langfristi- Mehrheit der Bürger dafür. gen Anleihen an den Kapitalmarkt zurück. Über eine fünf- und achtjährige Anleihe konnte das 17.06.2012 – Griechenland: Bei der Neuwahl Land 4,2 Milliarden Euro erlösen zu Konditionen gewinnt die konservative Nea Dimokratia, eine von 5,9 und 6,1 Prozent. europafreundliche Regierung unter der Führung 06.09.2012 – EZB: Mit einer Gegenstimme von Antonis Samaras wird gebildet. entscheidet sich der EZB-Rat für die Etablierung 29.06.2012 – Bundestag und Bundesrat: Beide des OMT-Programms („Outright Monetary Kammern stimmen dem ESM und dem Fiskalver- Transactions“). Künftig ist die EZB bereit, in trag mit Zweidrittelmehrheit zu. unbegrenztem Umfang Anleihen von Krisen­ staaten zu kaufen, wenn diese sich den Auflagen 29.06.2012 – Eurogruppe: Bei einem weiteren des ESM unterwerfen. Krisengipfel der Eurostaats- und Regierungschefs fallen neue Grundsatzbeschlüsse: Banken sollen 12.09.2012 – Bundesverfassungsgericht: Das direkt aus dem ESM neues Kapital erhalten Gericht verkündet seine Entscheidung über die können. Zuvor muss zunächst eine europäische Anträge gegen ESM und Fiskalvertrag. Deutsch- Bankenaufsicht geschaffen werden („Bankenuni- land darf beide Abkommen ratifizieren. In Bezug on“). Hilfen aus dem ESM sollen künftig unter auf den ESM gelten zwei Auflagen. Die Haftungs­ erleichterten Bedingungen und ohne strikte obergrenze und die Informationsrechte von Überwachung durch die „Troika“ (Europäische Bundestag und Bundesrat müssen völkerrechtlich Zentralbank, Europäische Kommission und bindend abgesichert werden. Internationaler Währungsfonds) erfolgen können. 20.11.2012 – Eurogruppe: Neue Vorschläge 10.07.2012 – Bundesverfassungsgericht: werden diskutiert, unter anderem ein Zinserlass Mündliche Verhandlung über die Klagen gegen für Griechenland sowie der Rückkauf von ESM und Fiskalvertrag. griechischen Staatsanleihen zu einem Bruchwert des Nennwerts von privaten Gläubigern. Der IWF 26.07.2012 – EZB: Angesichts neuer Höchststän- fordert weiterhin einen neuen Schuldenschnitt de bei den Risikoprämien für spanische Anleihen unter Beteiligung der öffentlichen Gläubiger. kündigt EZB-Präsident Mario Draghi an: „Die EZB 17 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate 3.Die Strafandrohung bei fehlender Etablie- Fiskalvertrag wirkt keine Wunder – rung der Schuldenbremse ist relativ glaub- ist aber ein Fortschritt würdig (gemessen etwa an der StrafandroDie Erfahrungen mit fiskalischen Spielregeln hung im Rahmen des Stabilitäts- und in der Eurozone sind denkbar schlecht. Der Wachstumspakts). Nicht mehr die Politiker Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde miss- entscheiden über die Strafen, sondern der achtet und konnte das Trauerspiel immer hö- Europäische Gerichtshof. herer Staatsschulden nicht verhindern. Insofern ist ein grundsätzliches Misstrauen durch- Die im Vertrag verankerte Fiskalregel lässt aus berechtigt, ob neue Spielregeln wirklich der Budgetpolitik Spielraum, um im Kon- etwas leisten können, wenn schon die alten junkturverlauf zu atmen. Sie verpflichtet aber einfach ignoriert wurden. dazu, in konjunkturellen Normalzeiten (und noch mehr in überdurchschnittlich guten Dennoch sind wir vorsichtig optimistisch, dass Wachstumsjahren) Sparsamkeit an den Tag der Fiskalvertrag doch ein richtiger Schritt ist zu legen. In der gegenwärtigen Schuldenkri- und auf Dauer für etwas mehr Disziplin sor- se, in der manche Länder überhaupt keine gen könnte. Dafür sehen wir drei Gründe: Chance haben, ihr Budget kurzfristig auch nur in die Nähe der Nulllinie zu bringen, Der Fiskalvertrag kann die Krise nicht eindämmen, lässt aber Spielraum zum Atmen. 1.Die Regeln des Fiskalvertrags sind deutlich stellt der Vertrag damit ein Signal für mehr strenger als die des Stabilitätspakts. So ver- Glaubwürdigkeit dar. Er liefert das Verspre- pflichtet der Vertrag die Vertragsparteien chen, dass die Unterzeichnerstaaten sparsa- darauf, Vorschriften zu erlassen, die das mer sein werden, wenn die Wachstumsraten (konjunkturbereinigte) Defizit auf maxi- wieder steigen. mal 0,5 Prozent des BIP begrenzen sollen. Das ist wesentlich schärfer als beim Stabili- Der Fiskalvertrag kann die akute Krise nicht tätspakt, für den lediglich die 3-Prozent- eindämmen. Das ist auch nicht seine Funkti- Grenze galt. on. Denn der Vertrag zielt auf mittlere und lange Frist ab. Er soll die Vorbedingungen da- 2.Die neuen Regeln müssen im nationalen für verbessern, dass die EU-Staaten (immer- Recht festgeschrieben werden, möglichst in hin wollen außer dem Vereinigten König- der Verfassung des Landes. Damit verstößt reich und Tschechien alle EU-Mitglieder ein Land dann nicht nur gegen europäische mitmachen) in Zukunft solider wirtschaften. Regeln, sondern auch gegen nationales Ver- Und hier leistet er einen sinnvollen Beitrag. fassungsrecht, wenn das Defizit zu hoch ist. Zwar wird Schuldenmachen auch künftig Das jeweilige Verfassungsgericht wird damit eine politische Verlockung sein, immer öfter zum Hüter der Schuldengrenze. jedoch werden nationale Gesetze und Verfas18 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate sungsgerichte den Regierenden dazwischen- sollte. Die Idee der europäischen Banken- funken, wenn die Defizite zu hoch sind. stützung hat ein gutes Argument auf ihrer Seite: Die Rekapitalisierung systemrelevanter Bankenunion: richtige Idee mit großen Banken ist billiger als die Stabilisierung eines Umsetzungsproblemen ganzen Staates. Der Gipfelbeschluss von Ende Juni, nun Allerdings – und so lautet auch der Grund- rasch eine europäische „Bankenunion“ in satzbeschluss des Gipfels – darf es die europä- Angriff zu nehmen, hat bei Ökonomen zu ische Bankenrettung erst geben, wenn eine einer heftigen Diskussion geführt. Die Geg- europäische Aufsicht tatsächlich mit Kompe- ner kritisieren, dass Steuerzahler, Rentner tenzen und Durchgriffsrechten ausgestattet und Sparer der soliden Länder für Verluste ist. Denn es muss immer das Prinzip gelten: aus inflationären Wirtschaftsblasen der süd- europäische Hilfe nur gegen Auflagen und lichen Länder haften sollen. Die Befürworter nationale Souveränitätseinbußen. Und auch halten diesen Schritt für richtig, um den Teu- hier hat die gezielte Bankenstützung einen felskreis aus staatlichem Bonitätsverlust und klaren Vorteil gegenüber der Stützung ganzer sich verschlechternden Bankbilanzen zu Staaten: Der Durchgriff auf den Bankensek- durchbrechen. tor eines Staates durch europäische Behörden ist viel realistischer als der konsequente Tatsache ist zunächst einmal, dass es tatsäch- Durchgriff auf alle öffentlichen Budgets eines lich sich selbst erfüllende Panikattacken an Landes. den europäischen Anleihemärkten gibt, die verantwortungsvoll denkende Politiker wohl Insofern halten wir den Schritt in Richtung kaum sich selbst überlassen dürfen. Wenn Bankenunion für sinnvoll, warnen aber vor eine Massenflucht aus spanischen oder itali- überzogenen enischen Staatsanleihen einsetzt, verschlech- Grundsatzbeschluss wird keine rasche Ent- tern sich automatisch die Bilanzen der spani- lastung bringen. Denn die Vorbedingung – schen eine oder italienischen Banken, die Hoffnungen. europäische Auch Aufsichtsbehörde dieser mit natürlich stark in den Staatsanleihen des ei- Durchgriffsrechten bis hin zu Vorgaben über genen Staates investiert sind. Wenn aber die die Abwicklung wichtiger nationaler Banken Banken ins Wanken geraten, dann sinkt auch – wird nur in einem zeitraubenden Gesetz­ die Bonität der Staaten, die für die Stützung gebungsverfahren zu verwirklichen sein. ihres nationalen Bankensystems verantwort- Insofern kommt die Umsetzung zu spät, um lich sind. Die Frage, ob die europäische Poli- kurzfristig stabilisierend wirken zu können. tik in diese Abwärtsspirale eingreifen sollte, Das hat sich auch daran gezeigt, dass die stellt sich nicht, sondern nur, wie sie das tun Ankündigung einer 100-Milliarden-Euro19 Die Rekapitalisierung systemrelevanter Banken ist billiger als die Stabilisierung ganzer Staaten. 2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate Hilfe für die spanischen Banken aus dem eu- In diesem Spektrum würden wir die Risiken, ropäischen Rettungsschirm an den Märkten die Deutschland bislang übernommen hat, zu keiner nachhaltigen Stabilisierung führen als hoch, aber noch vertretbar bezeichnen. konnte. Wichtig dabei ist nun die Klärung der Haftungsobergrenze. Die Formulierung des Arti- Bundesverfassungsgericht warnt vor kels 8 Absatz 5 ESM-Vertrag erscheint hier Haftungsautomatismen zwar eindeutig: Im Krisentagebuch der vergangenen Monate „Die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds bleibt waren ansonsten sicherlich das Bundesver- unter allen Umständen auf seinen Anteil am fassungsgericht und seine Prüfung von ESM genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs und Fiskalvertrag von besonderer Bedeu- begrenzt.“ tung. Mit seinem Urteil vom 12. September Eurobonds sind keine Option, die unsere Verfassung zulassen könnte. hat es den Weg für den dauerhaften Rettungs- Allerdings wurden im Verfahren vor dem schirm und härtere Budgetregeln frei ge- Bundesverfassungsgericht verschiedene denk- macht. Einerseits hat das Gericht Bundestag bare Einfallstore für eine aus deutscher Sicht und Bundesrat zugebilligt, dass diese und ungewollte Ausweitung der Haftung abge- nicht das Verfassungsgericht für riskante eu- klopft. So war ein Einwand, dass eine zusätz- ropäische Entscheidungen zuständig sind. liche Nachschusspflicht für Deutschland ent- Andererseits hat es aber erneut die Grenzen stehen könnte, sollte ein ESM-Mitglied des Grundgesetzes für den Weg immer höhe- ausfallen oder seine Zahlungen verweigern. rer Garantien aufgezeigt. So darf der Bundes- Des Weiteren wurde thematisiert, ob eine tag sich nicht Haftungsautomatismen unter- Ausgabe des Stammkapitals zu einem ande- werfen, die zu nicht mehr abschätzbaren ren Kurs als dem Nennwert die Haftung aus- Lasten führen könnten. Ebenso tabu sind weiten könnte. Alle diese Einfallstore sind Haftungssummen, die den budgetären Hand- durch die Auflagen des Verfassungsgerichts lungsspielraum in Zukunft evident zunichte- nun geschlossen worden. Eine Ausweitung machen. Das bedeutet im Klartext: Eine ge- der Haftung über spezielle Klauseln und ohne samtschuldnerische Haftung im Billionen- Zustimmung des deutschen Vertreters und bereich ist ganz sicher jenseits dessen, was des Deutschen Bundestages wird es definitiv das Grundgesetz erlauben würde. Das Bun- nicht geben. desverfassungsgericht hat sich mit seiner Rechtsprechung damit als wichtiges Bollwerk gegen die europäischen Begierden nach der deutschen Universalgarantie etabliert. 20 3 Schuldenkrise: ökonomische Anpassungen Die Politik bemüht sich verzweifelt, mit halb- sind hier die Lohnstückkosten. Diese geben wegs akzeptablen oder auch gefährlichen Auskunft darüber, wie sich die Arbeitskos- Mitteln Zeit zu kaufen. Dabei stellt sich die ten für eine standardisierte Outputeinheit Frage, ob diese Zeit überhaupt sinnvoll ge- verändern. Immer dann, wenn die Summe nutzt wird. aller Arbeitskosten (Direktlöhne zuzüglich aller Lohnnebenkosten) schneller steigt als Was ist dran an der fehlenden Anpassung der die Arbeitsproduktivität, steigen die Lohn- Krisenländer? Ist es tatsächlich so, dass sich stückkosten; gleichzeitig verschlechtert sich die Länder nicht bewegen und somit alle Hil- die Wettbewerbsfähigkeit. Die Abbildung fe vergeblich ist? Ein Blick auf die Ist-Daten zeigt die Veränderungen der Lohnstückkos- zur ökonomischen Anpassung zeigt indes ten für zwei Dreijahreszeiträume. Der erste eine stark verzerrte Wahrnehmung; Anpas- Zeitraum (2006 bis 2009) ist durch die Vor- sungen sind sehr wohl zu verzeichnen. krisenzeit sowie ein Umfeld von Niedrigzinsen und leichter Finanzierbarkeit von Defi- Beginnen wir mit den Daten zur Wett­ ziten gekennzeichnet. In diesen Jahren stiegen bewerbsfähigkeit. Ein zentraler Indikator die Lohnstückkosten in den heutigen Krisen- 25 20 ■ 2006–2009 ■ 2009–2012 15 10 5 0 –5 –10 –15 Deutschland Irland Griechenland Spanien Italien Veränderungen der Lohnstückkosten über drei Jahre (in Prozent) Quelle: Eurostat 21 Portugal Die Indikatoren signalisieren eine steigende Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer. 3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n staaten stark an, am stärksten in Griechen- serung dieses Wettbewerbsfähigkeits-Indika- land. tors gemessen werden. Unbestritten ist hier jedoch, dass die italienische Volkswirtschaft Die positive Nachricht ist, dass seit Ausbruch keinen derartig hohen Nachholbedarf in der der Krise bereits eine messbare Korrektur ein- Anpassung hat wie etwa die griechische. Ein- getreten ist. In Griechenland, Irland, Spanien schränkend muss man aber klarstellen, dass und Portugal ist es zu deutlich sinkenden die bisherigen Anpassungen die Sünden des Lohnstückkosten gekommen. In Relation zu zurückliegenden Jahrzehnts erst teilweise wie- Deutschland, wo die Kosten moderat gestie- dergutmachen können. gen sind, gibt es somit einen ersten erkenn­ baren Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit der Doch am Ende nützen die schönsten Indika- Krisenstaaten. Diese Anpassung entspricht toren zur Wettbewerbsfähigkeit wenig, wenn etwa einer sogenannten „internen Abwertung“ eine Volkswirtschaft weiter über ihre Verhält- von 10 bis 15 Prozent. Intern deswegen, weil nisse lebt und mehr importiert als exportiert. sie durch sinkende Löhne und Preise bewirkt Deshalb muss man zur Bewertung der An- wird und nicht durch eine Abwertung der passungsleistung einen Blick auf die Leis- Währung. Auch unter den Bedingungen eines tungsbilanzsalden werfen. Und hier waren einheitlichen Währungsraumes ist eine nen- schon 2011 im Vergleich zu 2008 erhebliche nenswerte Anpassung der relativen Preise in Fortschritte messbar. An der Spitze steht Ir- einer vergleichsweise kurzen Zeit möglich. land, das schon im vergangenen Jahr eine Allerdings kann in Italien noch keine Verbes- leicht positive Leistungsbilanz vermelden 10 5 ■ 2008 ■ 2011 0 -5 –10 –15 –20 Deutschland Irland Griechenland Leistungsbilanzsalden in Prozent des BIP Quelle: Eurostat 22 Spanien Italien Portugal 3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n konnte. Irland hat begonnen, Auslandsver- bereinigung ist für eine faire Bewertung der schuldung abzubauen. So weit sind die ande- Sparbemühungen wichtig. Denn natürlich ren Krisenländer noch nicht, aber immerhin sacken Steuereinnahmen in einer schweren wurden auch in Spanien und Portugal die Rezession stark ab, und diese Mindereinnah- Leistungsbilanzdefizite sehr stark verringert. men überzeichnen das strukturell vorhande- In Griechenland ist zwar ebenfalls eine Ver- ne Defizit. Mit gutem Grund stellt etwa die ringerung feststellbar, das Defizit ist aber im- deutsche Schuldenbremse im Grundgesetz mer noch sehr hoch (etwa 10 Prozent des auf das konjunkturbereinigte Defizit ab, um BIP). Keinerlei Verbesserung ist in Italien den Konsolidierungserfolg von Bund und feststellbar. Erneut gilt aber für Italien, dass Ländern zu messen. das Problem hier niemals so ausgeprägt war und der Leistungsbilanzsaldo „nur“ bei etwa Es zeigt sich, dass es bereits von 2009 bis 2011 3 Prozent des BIP liegt. in Irland, Griechenland, Spanien und Portugal zu einer erheblichen Verringerung der Sparbemühungen durch Defizite gekommen ist. Das große globale Konjunktureinbruch verdeckt Sorgenkind jedoch bleibt Japan. Obwohl die Staat­sverschuldung dort schockierende 230 Vollends haltlos ist der Vorwurf der fehlen- Prozent des BIP erreicht hat und sogar das den Anpassungsleistung, wenn man die kon- griechische Schuldenniveau in den Schatten junkturbereinigten Defizite der europäischen stellt, geht das Schuldenmachen mit hohem Krisenstaaten betrachtet. Die Konjunktur­ Tempo weiter. 5 ■ 2009 ■ 2011 ■ 2013 0 –5 –10 –15 Finanzierungssalden der öffentlichen Haushalte (in Prozent des BIP, konjunkturbereinigt, 2013 geschätzt) Quelle: Internationaler Währungsfonds, Oktober 2012 23 pa n Ja US A l Po rtu ga n lie Ita en Sp a ni nd Gr ie ch en la nd Irl a ch kr ei Fr an De ut s ch la nd -20 Es wäre schon ein Erfolg, wenn die Schuldenberge in den nächsten Jahren nicht weiter stiegen. 3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n Der Blick auf die Altschuldenberge relativiert die Daten noch nicht wesentlich beeinflus- die Erfolge vieler Staaten bei der Defizitver- sen. Schon im April 2013 könnten die Wah- ringerung: Die Jahre der Finanz- und Schul- len das kleine Reformfenster wieder schlie- denkrise haben die Schuldenstände in der ßen. Der Reformpremier Mario Monti verliert industrialisierten Welt in die Höhe katapul- derzeit gefährlich schnell an Popularität, und tiert. Ein Abbau auf das Vorkrisenniveau die Programme der Parteien sind durch Re- wird für Länder wie Spanien und Irland nicht formmüdigkeit und die Rückkehr sozialer einmal in einem Jahrzehnt zu realisieren sein. Versprechungen geprägt. Die Skeptiker der bisherigen Krisenpolitik Für Griechenland relativieren sich alle bishe- haben insofern recht als sich niemand von rigen moderaten Anpassungserfolge mit vollmundigen Spar- und Reformankündi- Blick auf den immer noch viel zu hohen gungen blenden lassen sollte. An den Kapital- Schuldenstand und die kaum schnell lös­ märkten zählen einzig und allein die Fakten. baren strukturellen Defizite des Landes, die Aber unser Blick auf einige harte Fakten zeigt von überregulierten Märkten über Korrupti- sehr wohl, dass die notwendigen Anpassun- on bis hin zu eklatanten Schwächen der öf- gen begonnen haben und messbare Fort- fentlichen Verwaltung reichen. Trotz aller schritte bringen. Dies gilt allerdings sehr viel Bemühungen ist für das Land daher nicht deutlicher für Irland, Portugal und Spanien absehbar, wie es ohne einen neuen Schulden- und noch kaum in messbarer Weise für Itali- schnitt – dieses Mal bei den öffentlichen en. Italien hat erst später mit dem Reform- Gläubigern – wieder Boden unter die Füße kurs begonnen, und die Monti-Politik konnte bekommen könnte. 300 ■ 2008 250 ■ 2013 200 150 100 50 Staatsverschuldung (in Prozent des BIP, 2013 geschätzt) Quelle: Internationaler Währungsfonds, Oktober 2012 24 n pa Ja US A l Po rtu ga n lie Ita n ni e la en ie ch Gr Sp a nd d an Irl ch kr ei Fr an De ut sc h la nd 0 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen Trotz der messbaren Fortschritte in einigen (EFSF) bei 700 Milliarden Euro – regelmä- Krisenländern bedroht der Teufelskreis aus ßig zu überprüfen. Deutschland könnte er- hohen Zinsen, Rezession und schwindendem neut einer Erhöhung zustimmen. Wichtig Vertrauen noch immer den Erfolg aller Be- für diese Variante ist, dass es bei der bisheri- mühungen. Die Situation hatte sich im Früh- gen Art der Haftung bliebe. Im ESM ist die ling und Sommer mit einer Ausweitung auf Haftung der Eurostaaten „teilschuldnerisch“ Spanien und Italien sogar akut verschärft. organisiert. Das bedeutet, dass Deutschland Beide Länder sind zusammen mit 2,6 Billio- nicht für die Gesamtsumme haftet, sondern nen Euro verschuldet. Dies entspricht dem nur bis zu einer anteiligen Obergrenze (der- kompletten deutschen Bruttoinlandsprodukt. zeit 190 Milliarden Euro). Diese Größenordnung übersteigt die verfügbaren Volumina aus den Rettungsschirmen • Variante B: Ausbau der monetären Schul- um ein Vielfaches. Insofern können Finanz- denfinanzierung: Die EZB stabilisiert den zusagen der EFSF und des ESM alleine die Eurostaatsanleihemarkt durch neue Anlei- Lage nicht stabilisieren. hekäufe oder andere Varianten der monetären Schuldenfinanzierung. Dies ist die Damit steckt die Krisenpolitik erneut in ei- „Draghi-Option“, die mit der Entscheidung nem Dilemma: Die existierenden Krisen­ vom 6. September in Angriff genommen mechanismen alleine sind überfordert und worden ist. genießen daher keine ausreichende Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig haben alle Lösungs- • Variante C: Einstieg in die gesamtschuld- alternativen erhebliche negative Nebenwir- nerische Haftung: Alle Eurostaaten würden kungen. Folgende Ansatzpunkte kommen hier über neue Schuldeninstrumente („Euro­ prinzipiell infrage: bonds“) in voller Höher wechselseitig haften. Die Begrenzung der deutschen Haf- • Variante A: Stabilitätsmechanismus ESM tung auf eine anteilige Obergrenze würde ausbauen, aber ohne gesamtschuldnerische entfallen. In letzter Konsequenz könnte ein Haftung: Im ESM-Vertrag ist vorgesehen, Land wie Deutschland für die über diesen die Obergrenze – derzeit in Kombination Weg begebenen Anleihen in voller Höhe in mit der European Financial Stability Facility Anspruch genommen werden. 25 Die existierenden Krisenmechanismen sind überfordert. 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen • Variante D: Bis hierher und nicht weiter: Zwei dieser Varianten scheiden nach unserer Von nun an wird alles den Märkten über- Analyse aus verschiedenen Gründen zur Sta- lassen. Die Rettungsschirme werden nicht bilisierung Spaniens und Italiens aus: Die Va- mehr ausgeweitet. Sollte die verfügbare riante D – „bis hierher und nicht weiter“ – Munition nicht helfen, dann müssen eben mag eine für den Umgang mit Griechenland auch Länder wie Spanien eine Umschul- richtige Politik sein. Für die großen Südeuro- dung organisieren und mit ihren Gläubi- päer ist dieser Weg aber nicht vorstellbar. gern einen Forderungsverzicht aushandeln. Eine Zahlungsunfähigkeit Spaniens oder Ita- Notfalls muss dabei auch der Austritt ein- liens hätte derart unabsehbare Folgen, dass zelner Mitglieder aus der Währungsunion kein verantwortungsvoll handelnder Politiker in Kauf genommen werden. dieses zulassen kann und wird. Der Sachverständigenrat hat aufgelistet, wie umfangreich Ein Kollaps Spaniens oder Italiens wäre nicht zu verantworten. Wir haben bereits vor einem Jahr diese Vari- die finanziellen Verflechtungen und die For- anten in aller Ausführlichkeit analysiert. Es derungen gegen die Krisenländer sind. Im ist offensichtlich, dass alle Optionen ganz er- Feuer sind im Fall eines solchen Kollapses hebliche Risiken mit sich bringen. Dennoch eben nicht „nur“ die Bankenforderungen und zwingt eine anhaltende Panik an den Anlei- die Forderungen der EZB im Rahmen des hemärkten mit nicht tragbaren Kreditzinsen TARGET-Systems, sondern auch umfangrei- für Italien und Spanien zum Handeln. che Ansprüche privater Firmen. Diese belaufen sich für die Problemstaaten auf über Banken/ Unternehmen/ Staat Zusammen VersicherungenPrivate 6,5 3,9 35,7 Griechenland25,3 Portugal 16,8 10,44,231,4 Irland 82,8 74,245,5202,5 Spanien 127,5 137,19,9 274,5 Italien 125,2 88,020,6233,8 Summe 377,6 316,284,1777,9 Deutsche Forderungen gegenüber den Euro-Problemstaaten in Milliarden Euro (Stand 31. Dezember 2011) Quelle: Sachverständigenrat, ohne TARGET-Forderungen 26 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen 300 Milliarden Euro. Nicht zu vergessen, dass Sonderfall Griechenland: Möglichkeit auch deutsche Lebensversicherungen mit er- einer Restinsolvenz heblichen Teilen ihrer Deckungsstocks in Spanien und Italien engagiert sind. Käme es Unsere Ablehnung des Lösungswegs „Ende hier zu „Haircuts“, würden auch große deut- mit Schrecken“ bezieht sich auf Spanien und sche Lebensversicherer ins Wanken geraten. Italien, nicht aber auf Griechenland. Eine griechische Insolvenz wäre zwar für das Land Die systemischen Folgen und die globale Ab- ein erneuter gravierender ökonomischer wärtsspirale, die sich in einem solchen Szena- Schock. Europa und die Welt würden davon rio entwickeln würde, wären völlig unkalku- aber wohl nicht ins Wanken geraten, weil pri- lierbar. Würden Italien und Spanien fallen vate Gläubiger Griechenlands ohnehin seit gelassen, warum sollten dann die nächsten Langem mit diesem Fall rechnen und ihre panischen eigentlich Forderungen schon weitgehend wertberich- nicht Länder wie Frankreich, Belgien oder tigt haben. Die Forderungen von deutschen Österreich erfassen? Banken und Versicherungen gegenüber Grie- Fluchtbewegungen chenland haben sich seit Jahresende 2011 (damaliger Stand 25,3 Milliarden Euro) durch die Deutschland hat keine „Finnlandoption“ Märzumschuldung weiter stark verringert. Auch hat Deutschland das Problem, dass es sich nicht wie kleine Eurostaaten einfach „da- Hier wäre ein Ausfall der restlichen Forde- vonstehlen“ könnte. Zunehmend wird etwa in rungen sicherlich verkraftbar. Ansonsten der finnischen Politik die Option diskutiert, kostet Griechenland ständig Glaubwürdig- dass Finnland die Währungsunion verlassen keit. Denn wenn niemand sich traut, auch bei könnte. Das ist eine für Finnland durchaus klarer Zielverfehlung der Sparauflagen, den denkbare Möglichkeit. Der finnische Exit wür- Geldhahn zuzudrehen, kann das Land sein de die Eurozone ökonomisch nicht kollabieren Katz-und-Maus-Spiel mit der Troika noch lassen. Er würde zwar politische Schockwellen lange weiterführen. Auch werden die Kurz- aussenden und vielleicht eine weitere Absetz- fristfinanzierungen für das ständig am Rand bewegung (Niederlande, Slowakische Repu­ der Zahlungsunfähigkeit operierende Land blik) auslösen. Ökonomisch könnte das Aus- immer dubioser. Wenn etwa die EZB wie im scheiden eines kleinen, starken Landes aber August plötzlich wieder griechische Staats­ durchaus funktionieren. Dies gilt für Deutsch- anleihen als Sicherheiten akzeptiert, damit land nicht. Denn ohne die deutsche Finanz- die Banken des Landes kurzfristige Papiere kraft wären alle Rettungsversuche in der Euro- kaufen, dann gleicht dies eher einer Insolvenz­ zone chancenlos. verschleppung als einem seriösen Finanzierungskonzept. 27 Europa sollte sich auf eine geordnete Restinsolvenz Griechenlands vorbereiten. 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen Der Internationale Währungsfonds (IWF) straflos eine wirtschafts- und marktfeindli- hat unseres Erachtens gute Argumente auf che Politik verfolgen. seiner Seite, wenn er nun verstärkt Druck in Richtung eines weiteren Schuldenschnitts bei • Die Schuldenkrise wäre nicht überwunden, Griechenland macht, der dann aber voll die ihre akute Phase würde durch die Kollektiv- öffentlichen Forderungen betreffen würde. haftung nur einige Jahre verzögert. Spätes- Es ist nun einmal nicht die Aufgabe des IWF, tens wenn die deutsche Bonität nicht mehr Transfers an überschuldete Staaten zu leisten. ausreichen würde, die fehlende Kreditwürdigkeit in anderen Eurostaaten auszugleichen, würden die Renditen der Euro- Eurobonds wären fatale Weichenstellung staatsanleihen wieder steigen. Die zweite Lösungsvariante, die in unserer Bewertung ein glasklares „No go“ verdient, ist Der Merkel-Schäuble-Kurs ist momentan der Einstieg in die gesamtschuldnerische noch durch eine eindeutige Absage an die ge- Haftung der Variante C. samtschuldnerische Haftung gekennzeichnet. Ob Deutschland bei dieser Position • Die Risiken für die deutschen Steuerzahler Der Schuldentilgungsfonds ist ein Trojanisches Pferd der Kollektivhaftung. bleibt, ist allerdings wohl auch von der innen- würden mit einer solchen Weichenstellung politischen in eine völlig neue Größenordnung kata- Denn die Oppositionsparteien Grüne und pultiert. Die Staatsverschuldung Italiens SPD haben sich deutlich zugunsten des und Frankreichs liegt jeweils bei etwa 2 Bil- Schuldentilgungsfonds positioniert. Kräfteentwicklung abhängig. lionen Euro. Das bedeutet, dass der Haftungsverbund zu einem existenziellen Risi- Doch der Schuldentilgungsfonds des Sach- ko für unseren Wohlstand werden könnte. verständigenrats kann sich als Trojanisches Pferd erweisen, über den die Eurobonds in • Die Anreize zum Schuldenmachen würden Deutschland hoffähig gemacht werden sol- wieder stark zunehmen. Kollektivhaftung len. Die begeisterte Reaktion Südeuropas und bedeutet gleichzeitig, dass alle Schuldner europäischer Politiker auf diese Idee sollte ei- wohl mehr oder minder einen Einheitszins gentlich schon misstrauisch machen. zahlen würden. Somit gäbe es keine Verbindung mehr zwischen der Qualität der Finanzpolitik eines Landes und seinen Finanzierungskonditionen. Viele in Angriff genommenen Reform- und Konsolidierungspakete in Südeuropa würden abgeblasen; die entsprechenden Länder könnten 28 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen Der Schuldentilgungsfonds des Sachverständigenrats Öffentliche Schulden über 60 Prozent des BIP und Währungsreserven in Betracht. Der werden in einen europäischen Schuldentil- Schuldentilgungsfonds wird gemeinschaft- gungsfonds ausgelagert. Dies geschieht in ei- lich garantiert. Der Sachverständigenrat dis- nem mehrjährigen Prozess (der sogenannten kutiert zwar auch eine teilschuldnerische Va- „Roll-in-Phase“). Gleichzeitig verpflichten sich riante. Im Kern des Vorschlags steht jedoch die Eurostaaten auf Zahlungen an den Alt- die gesamtschuldnerische Haftung, weil so schuldentilgungsfonds. Diese sind so zu be- die günstigsten Finanzierungskondiktionen messen, dass die gemeinschaftlich finanzier- erzielbar wären. ten Schulden nach 25 Jahren abgetragen sind. Dem Fonds sollen dazu die Einnahmen aus Die Finanzierung durch den Schuldentil- bestimmten Steuern zufließen. Nach 25 Jah- gungsfonds soll für alle Eurostaaten zur An- ren wären dieser Vorstellung zufolge dann alle wendung kommen, die sich noch nicht in ei- Staatsschulden oberhalb von 60 Prozent in nem vollen EFSF-ESM-Anpassungsprogramm den teilnehmenden Ländern abgetragen, und befinden. Der Fonds würde also die Staatsver- der Schuldentilgungsfonds hätte sich selber schuldung aller 17 Eurostaaten finanzieren abgeschafft. mit Ausnahme Griechenlands, Irlands, Portugals und Zyperns. Spanien und Italien würden Alle Staaten, die durch den Fonds teilweise fi- somit durch den Fonds finanziert. Alle teilneh- nanziert werden, müssen für die Kredite des menden Staaten verpflichten sich auf die Ein- Schuldentilgungsfonds Sicherheiten in einer führung strenger Schuldengrenzen. Bis diese Höhe von 20 Prozent der erhaltenden Kredite voll wirksam werden, gelten Konsolidierungs- als Pfand hinterlegen. Dazu kommen Gold- vereinbarungen. Quelle: Sachverständigenrat Der Sachverständigenrat beansprucht, die Ri- welche Art von Partei oder Regierungschef in siken des Fonds durch die Verpfändung von Italien des Jahres 2030 das Sagen hat, gerade Sicherheiten und das Abtreten nationaler dann, wenn die Sparauflagen über Jahre sehr Steuern zu begrenzen. Abgesehen von der drastisch sind? Es existiert keinerlei Durch- Frage, wie viele Sicherheiten ein Land wie griffsmöglichkeit, wenn ein Land zwar die Spanien oder Italien tatsächlich rechtlich ver- Kollektivhaftung bindlich hinterlegen könnte, kann sich eine nimmt, um sich preiswert zu finanzieren, Abtretung von bestimmten Steuern über ei- nach einigen Jahren aber den Sparkonsens nen Zeitraum von 25 Jahren als äußerst aufkündigt. schwierig erweisen. Denn wer weiß schon, 29 dankbar in Anspruch 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen Niederlande: 56,3 Österreich: 40,4 Belgien: 142,1 4,1 % Malta: 0,9 4,7 % 2,4 % Italien: 952,0 Deutschland: 537,8 27,6% 36,5 % Spanien: 271,0 6,1 % Frankreich: 580,1 1 2 3 4 5 6 7 8 Schuldentilgungsfonds: maximales Volumen 2018, Angaben in Milliarden Euro Abbildung 1: Aufteilung des Kreditportfolios Quelle: Sachverständigenrat, Sondergutachten Juli 2012, Gesamtsumme: 2.580,6 Mrd. Euro. nach Risikokategorie Eine zweite Schwachstelle des Schuldentil- Man kann es drehen und wenden, wie man gungsfonds ist die Begrenzung der Kollek- will: Auch mit dem Schuldentilgungsfonds tivhaftung auf die Staatsverschuldung ober- würde Europa den Weg ohne Wiederkehr in halb von 60 Prozent des BIP. Hier bleibt die die unbegrenzte Kollektivhaftung und immer Frage unbeantwortet, wie denn eigentlich der höhere Schulden beschreiten. Rest der Staatsverschuldung finanziert werden soll, wenn der Schuldentilgungsfonds ESM-Ausweitung wäre politischer schon über die besten Sicherheiten wie Gold- Kraftakt mit ungewissen Erfolgschancen und Devisenreserven verfügt. Die restlichen national zu finanzierenden Schulden wären Damit bleiben in realistischer Betrachtung zur dann immer zweitklassig und demzufolge Stabilisierung der Lage eigentlich nur zwei Va- mit erheblichen Risikoprämien behaftet. Es rianten übrig, die Variante A mit dem Ausbau ist daher völlig klar, dass sehr schnell der Ruf des ESM oder die monetäre Variante B, in der nach einer Ausweitung des Schuldentilgungs- die EZB direkt oder indirekt noch stärker in fonds auf einen noch größeren Anteil an der die Staatsfinanzierung eingreift. Staatsverschuldung käme. Der Sachverständigenrat quantifiziert das maximale Volumen Die Ausdehnung des ESM-Finanzierungs­ des Schuldentilgungsfonds für das Jahr 2018 volumens wäre technisch möglich, politisch mit knapp 2,6 Billionen Euro. würde eine solche Operation allerdings ein ungeheurer Kraftakt werden. Denn mit jedem 30 13,2 % 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen der bisherigen Schritte – von der Verabschie- nung nicht. Natürlich kann sich kein An- dung des ersten Griechenlandhilfspakets hänger deutscher Stabilitätstradition über über den temporären Rettungsschirm bis hin den Einstieg in die monetäre Staatsfinanzie- zur Etablierung des dauerhaften ESM – ist rung freuen. Und sicherlich sind die langfris- der politische Widerstand auch innerhalb der tigen Inflationsgefahren nicht von der Hand deutschen Regierungskoalition ständig ange- zu weisen. Wenn es aber keine realistische stiegen. Zudem wachsen die verfassungs- andere Option ohne erhebliche Risiken gibt, rechtlichen Risiken. dann kann ein Eingreifen der Zentralbank eben doch ein sinnvoller Teilbeitrag zur Be- Schließlich dürfen wir nicht übersehen, dass ruhigung der Lage sein. In jedem Fall wird große Hindernisse für diese Option außer- Zeit gewonnen, damit die Reformen ihre halb Deutschlands warten. Ob etwa die finni- Wirkung entfalten können. sche Regierung noch einmal eine Ausdehnung des ESM durchsetzen könnte, ist sehr In der Diskussion kommen – im Vergleich zu zweifelhaft. anderen Lösungsoptionen – einige Vorteile der EZB-Anleihekäufe zu kurz. So sind sie Je nach Kapitalmarktentwicklung kann das viel eher umkehrbar als dies für alle Ret- Verfahren auch schlicht zu lange dauern, um tungsschirme oder gar die Eurobonds der Fall eine Eskalation an den Märkten einzudäm- ist. Auch liegt es keinesfalls im institutionel- men. Mit Sicherheit würde es in Deutschland len Eigeninteresse der EZB, auf Dauer zum erneut eine zeitaufwändige Prüfung vor dem Finanzier des Fiskus zu werden. Die schwe- Bundesverfassungsgericht geben. ren Konflikte in der EZB machen deutlich, dass Anleihekäufe allenfalls ein notwendiges Vor diesem Hintergrund sind die vielfach kri- Übel sind und so schnell wie möglich wieder tisierten EZB-Anleihekäufe die einzige schnell eingestellt werden sollten. Dabei muss sich verfügbare und effektive Waffe im Kampf ge- der EZB-Rat weiterhin am obersten Ziel – der gen eine erneute Panikattacke. Wir haben in Verteidigung der Preisstabilität – messen las- den vergangenen Wochen schon vor der Ent- sen. Auch dies wird für einen ständigen scheidung des EZB-Rats am 6. September er- Druck in Richtung einer Beendigung der An- lebt, wie bereits eine äußerst vage Kauf­ kaufsprogramme nach einigen Jahren sor- ankündigung seitens EZB-Präsident Mario gen. Mit Eurobonds läge der Fall ganz anders: Draghi die Lage temporär entspannen konnte. Wären diese einmal etabliert, dann würden die begünstigten Länder zusammen mit Eu- Für viele Ökonomen sind weitere Anleihe- ropäischer Kommission und Europäischem käufe jedoch des Teufels und unbedingt zu Parlament entschlossen an diesem neuen eu- unterlassen. Wir teilen diese radikale Ableh- ropäischen Instrument festhalten wollen. 31 Die EZB-Interventionen bergen Risiken – anderen Kriseninstrumenten sind sie aber überlegen. 4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen Direkte Anleihekäufe sind einer ESMBanklizenz eindeutig vorzuziehen. Allerdings kommt es sehr darauf an, auf wel- ment ist nicht falsch und verweist auf weitere che Weise die Zentralbank in den nächsten Kosten der Krise: Die Komplexität und die Monaten einspringen wird. Hier besteht ein Anforderungen der Krisenentscheidungen fundamentaler Unterschied zwischen direk- überfordern zunehmend die Parlamente. ten EZB-Anleihekäufen und der viel disku- Entscheidungen an den Parlamenten vorbei tierten Banklizenz für den ESM. Mit der – wie die im unabhängigen EZB-Rat gefass- Banklizenz könnte der ESM am Kapitalmarkt ten – werden daher wichtiger. Dies ist sicher- erworbene Anleihen zur Refinanzierung bei lich ein Problem für eine Demokratie. Gleich- der Zentralbank einreichen. Hier wäre somit wohl können mit diesem Weg für die nicht mehr die Zentralbank die Herrin der unmittelbare Abwehr großer ökonomischer Entscheidung. Daher sind die direkten Anlei- Gefahren auch Vorteile verbunden sein. hekäufe vorzuziehen, weil der EZB-Rat in sei- Bislang hat das Euro­ krisenmanagement die größten Risiken umschifft. ner Güterabwägung zwischen Stabilisierung Insgesamt verläuft das Krisenmanagement in der Anleihemärkte und Preisstabilität weiter- der Schuldenkrise unserer Auffassung nach hin autonom bliebe. Die ESM-Banklizenz zufriedenstellend. Bislang konnten die wirk- würde die Steuerungsfähigkeit der EZB sehr lich hochriskanten Optionen – Eurobonds, viel stärker beeinträchtigen als die direkten ungeordnete Zahlungsausfälle – vermieden Anleihekäufe. werden. Der EZB-Weg birgt ebenfalls Risiken, die wir im nächsten Kapitel noch genau- In der politischen Diskussion wird an der er beleuchten. Wir schätzen diesen Weg aber EZB-Lösung kritisiert, dass diese undemo- nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der- kratischer sei als neue von den Parlamenten zeit am ehesten als vertretbar ein. genehmigte Kreditoperationen. Das Argu- 32 5 Geldpolitik: Einbahnstraße in die Inflation? Gewöhnlich beginnt die Analyse der Situati- durchgreifenden Konsolidierung, dann wer- on an der Inflationsfront mit aktuellen Daten den die Anleihebestände in der EZB-Bilanz zur Preis- und Geldmengenentwicklung. in gefährliche Größenordnungen wachsen. Derzeit wäre dieser Einstieg für eine geldpoli- Im schlimmsten Fall würde die Zentralbank tische Analyse der Eurozone jedoch unpas- die Kontrolle über die Geldmenge verlieren. send. Denn halbwegs akzeptable kurzfristige Aussagen, dass die EZB in einem solchen Fall Preisdaten dürfen nicht darüber hinwegtäu- die Anleihekäufe einfach einstellen könnte, schen, dass die Ausweitung der EZB-Staats- sind nicht glaubwürdig. Der plötzliche Exit anleihekäufe eine neue Ära der europäischen aus der einmal begonnenen Schuldenfinan- Geldpolitik markiert. zierung würde unweigerlich zum Kollaps der Die EZB-Staatsanleihekäufe markieren eine neue Ära der europäischen Geldpolitik. Eurozone führen, der nach dem Konsens eiDie Zusage der EZB, Spanien und Italien ge- ner Mehrheit im EZB-Rat unter allen Um- gen zu hohe Anleihezinsen zu schützen, ist ständen vermieden werden muss. im Grunde eine Wette auf den Erfolg der Reformprozesse in diesen Ländern. Wenn die Insofern ist nun etwas eingetreten, was mit Reformen und Konsolidierungsbemühungen dem Maastrichter Vertrag eigentlich verhin- dort weiterhin demokratische Akzeptanz fin- dert werden sollte: Die Stabilität des Euro ist den und ökonomisch Früchte tragen, dann nicht mehr nur von der EZB abhängig, son- dürfte alles gut gehen. Dann werden auch die dern entscheidet sich von nun an auch in monetären Folgen der Stützungsoperationen Rom und Madrid. begrenzt sein. Kommt es aber nicht zur Details des Outright-Monetary-Transactions-Programms (OMT) Konditionalität: Eine notwendige Bedingung Anwendung: Das Programm kommt für für die Stützung eines Landes durch das OMT- Länder mit EFSF-ESM-Unterstützung oder Programm ist, dass das Land den Reform- und Hilfszusagen in Betracht und soll auch für Kri- Sparauflagen der Rettungsschirme (EFSF/ senstaaten in der Phase angewendet werden, ESM) unterworfen ist. wenn sie an den Kapitalmarkt zurückkehren. 33 Die Stabilität des Euro entscheidet sich nun auch in Rom und Madrid. 5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ? Gläubigerstatus: Die EZB verzichtet auf einen heißt die Liquiditätseffekte durch andere bevorrechtigten Gläubigerstatus. Im Fall einer geldpolitische Geschäfte neutralisieren. Umschuldung würde sie die gleichen Verluste erleiden wie private Gläubiger. Dies war im Fall Transparenz: Der Bestand an Anleihen in der der Griechenlandumschuldung noch anders. EZB-Bilanz wird wöchentlich publiziert. Monatlich wird der Bestand nach Laufzeit und Geldmengeneffekte: Die EZB will die OMT- Ländern aufgeschlüsselt. Programme in voller Höhe „sterilisieren“, das Quelle: EZB Nach der Aktivierung des EZB-Kaufpro- onsproblem trotz des aktuell ölpreisbeding- gramms werden die Erfahrungen der ersten ten Preisauftriebs. Die konjunkturelle Schwä- Wochen entscheidend sein. Im günstigen Fall cheperiode in der Eurozone erstickt jeden wird allein die Bereitschaft der EZB, bestimm- allgemeinen Preisauftrieb schon im Ansatz. te kritische Zinshöhen zu verhindern, die Sinkende Löhne in der europäischen Peri- Märkte stabilisieren, ohne dass die Zentral- pherie und die schwindende Kaufkraft in den bank in großem Umfang tatsächlich Anleihen Ländern mit wachsender Arbeitslosigkeit kaufen muss. In diesem Szenario würden zwar wirken inflationsbremsend. Gäbe es nicht die auch Risiken für die mittelfristige Stabilität Sondereffekte durch den aktuellen Ölpreis- des Euro verbleiben, die Chancen für einen schub, dann würde die Inflationsrate der Eu- guten Ausgang würden aber klar zunehmen. rozone noch markanter abrutschen. Ebenso wenig bietet die Geldmengenentwicklung ak- Die Eurozone hat keine gravierenden kurzfristigen Inflationsrisiken. Die Inflationsgefahren werden hingegen zu- tuell Grund zur Beunruhigung. Die Geld- nehmen, wenn den Märkten bloße Ankündi- menge wächst seit geraumer Zeit zwischen gungen nicht reichen. Dann wird die EZB in 2 und 3 Prozent, die Zielrate der EZB für den kommenden zwei Jahren spanische und das Wachstum ihres wichtigsten monetären italienische Bonds im Umfang von Hunder- Aggregats liegt bei 4,5 Prozent, die Kredite an ten von Milliarden Euro in die Bücher neh- den Privatsektor sind sogar rückläufig. men müssen. In diesem Szenario bewegt sich die Währungsunion klar in Richtung einer Es ist dieses aktuelle Umfeld, für das die EZB Inflationsgemeinschaft. ihre zinspolitischen Entscheidungen trifft. Und in diesem Umfeld besteht immer noch Bei allen Diskussionen um die mittel- und Zinssenkungsspielraum. Wir hielten es aber langfristigen Inflationsgefahren möchten wir für richtig, wenn sich die EZB nach ihrer letz- jedoch klarstellen: In der kurzen Frist hat die ten Zinssenkung vom Juli von 1,0 auf Eurozone kein wirklich gravierendes Inflati- 0,75 Prozent noch etwas Zeit für weitere 34 5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ? Zins­senkungen ließe und sich den ohnehin Bei der Leitzinsrate erwarten wir daher allen- nur noch knapp bemessenen Spielraum auf- falls noch einen 0,25-Prozent-Schritt und sparte. Für eine zinspolitische Ruhephase keine rasche weitere Annäherung an die sprechen die folgenden Argumente: Nulllinie. 1. Eine Senkung der EZB-Leitzinsen ist in der Dass die EZB nun erst einmal eine zinspoliti- gegenwärtigen Lage kein aussichtsreiches sche Pause einlegen sollte, bestätigen auch die Mittel zur Bekämpfung der Rezession in Erfahrungen der Fed. Die amerikanische der Eurozone. Niedrigere Leitzinsen kön- Zentralbank hat ihr Pulver, was die klassische nen die Kreditkosten und die Kreditverfüg- Geldpolitik anbelangt, seit Langem verschos- barkeit in den Krisenstaaten kaum günstig sen. Schon fast vier Jahre, seit Dezember beeinflussen. Denn sie verändern nichts an 2008, befinden sich die Leitzinsen bei 0 bis der Risikoeinschätzung und den Zinsauf- 0,25 Prozent. Manche Versuche, das Wachs- schlägen von Kreditnehmern aus den tum trotzdem weiter anzukurbeln, wirken PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, fast schon verzweifelt. So arbeitet die Fed nun Griechenland, Spanien). Vermutlich wir- mit Versprechen darüber, wie lange sie die ken klassische Zinssenkungen sogar in un- Zinsen noch bei null halten will. Dabei gilt günstiger Weise ungleich: Während niedri- seit Neuestem sogar die Zusage, dass die Leit- gere EZB-Zinsen in Südeuropa nichts zinsen noch bis Mitte 2015 auf einem niedri- bewirken, heizen sie die deutsche Konjunk- gen Niveau verbleiben sollen. Was ein solches tur weiter an. Auf diese Weise verschärft sich Niedrigzinsversprechen wert ist, bleibt aller- das Konjunkturgefälle noch weiter. Daran dings völlig ungewiss. Es ist schwer vorstell- kann dem EZB-Rat nicht gelegen sein. bar, dass die Fed diese Zusagen einhalten könnte, wenn es überraschend zu einer star- 2. Die EZB wird sich nun auf die Konzeption, ken Wachstumserholung mit einem Inflati- Durchführung und Wirkungsanalyse ihres onsschub käme. neuen Anleihekaufprogramms konzentrieren. Dieser neue Ansatz ist viel eher ge- Entsprechend richten sich die Hoffnungen ei- eignet, zur Stabilisierung der Europeriphe- ner wirksameren Wachstumsunterstützung rie beizutragen als klassische geldpolitische auf die neuen Varianten der geldpolitischen Instrumente. Auch dieses Programm läuft Lockerung. Nach Wochen der Unsicherheit auf Zinssenkungen hinaus. Allerdings be- hat sich der Offenmarktausschuss mitten im treffen diese den langfristigen Kapital- Präsidentschaftswahlkampf auf eine dritte marktzins und nicht nur den Kurzfristzins, Runde des „Quantitative Easing“ („QE3“) ver- der normalerweise Gegenstand geldpoliti- ständigt. Dieser Schritt wurde dadurch er- scher Entscheidungen ist. leichtert, dass Inflationsgefahren derzeit nicht 35 Der Spielraum der EZB für weitere Zinssenkungen ist knapp bemessen. 5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ? Ein Inflationsproblem besteht trotz des Ölpreisschubs weder diesseits noch jenseits des Atlantiks. existieren. Ganz im Gegenteil ist die Inflati- Mit Blick auf die beiden führenden Noten- onsrate in diesem Jahr markant abgesunken, banken der Welt ist dieses Mal ein überein- von fast 3 Prozent zu Jahresbeginn auf nur stimmendes Fazit angebracht: Ein nennens- noch 1,5 Prozent im Sommer und Herbst. An- wertes kurzfristiges Inflationsproblem besteht gesichts dessen mehren sich schon die Stim- trotz des Ölpreisschubs weder diesseits noch men, die für die USA vor dem Risiko einer jenseits des Atlantiks. Aber beide Notenban- Deflation warnen. Und weil die Fed neben ken, Fed und die EZB, haben ihr klassisches dem Ziel der Preisstabilität auch Wachstums- Instrumentarium auch weitgehend ausge- und Beschäftigungsziele zu verfolgen hat, ist reizt. Die EZB hätte zwar noch Zinssen- sie durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit kungsspielraum, derzeit sind solche Zins- zum Handeln gezwungen. Das beschlossene schritte aber sinnlos. Infolgedessen konzen- QE3 zielt auf eine Stabilisierung des Immobi- trieren sich beide auf unkonventionelle Pro- lienmarktes ab. Pro Monat sollen im Umfang gramme, die am langen Ende des Zinsspekt- von 40 Milliarden US-Dollar Hypotheken- rums ansetzen. anleihen gekauft werden. Das Programm läuft ohne zeitliche Begrenzung. Außerdem Beide Zentralbanken werden dadurch der behält sich die Notenbank noch umfassendere Konjunkturerholung Rückendeckung geben Käufe unter Einschluss von Staatsanleihen können. Geldpolitisch stehen die Zeichen vor, sollte es nicht zu einer Entspannung auf weiterhin auf Expansion. Inflationäre „Risi- dem Arbeitsmarkt kommen. ken und Nebenwirkungen“ sind real und hochgradig relevant, betreffen aber eben nur die längere Frist. Mit Blick auf 2013 ist momentan nicht mit inflationären Impulsen zu rechnen. 36 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und Chinasorgen Die europäische Schuldenkrise ist längst junktur nach unten. Das globale Wachstum nicht das einzige Hindernis für das globale kann deshalb in den kommenden Jahren Wirtschaftswachstum. Weitere Risikofakto- nicht mehr wie bisher auf die Unverwund- ren treten hinzu, die sich mit der Krise in der barkeit der asiatischen Staaten setzen. Ganz Eurozone und ihren weltweiten Auswirkun- im Gegenteil: Für die Volksrepublik und gen wechselseitig verstärken. Folgende Belas- für Indien kann der Wachstumsrückgang tungen sind zu nennen: durchaus stärker als befürchtet ausfallen. • Ganz untypisch für eine sich verschlech- • Die Industriestaaten verfügen über keinen ternde globale Konjunkturperspektive ist fiskalischen Stabilisierungsspielraum mehr. der Ölpreis in den zurückliegenden Mona- Deshalb werden viele Eurostaaten, aber auch ten auf Klettertour gegangen. Gründe die USA, ihre Konjunktur durch harte Spar- sind Produktionsausfälle, aber vor allem bemühungen weiter belasten müssen. Hinzu die schärfer werdende Kriegsrhetorik im kommt, dass in den USA zur Jahreswende Israel-Iran-Atomkonflikt. Seit Mitte Juni die „Fiskalklippe“ droht, eine überaus starke ist der Preis für Brent-Öl um 30 Prozent ge- automatische Konsolidierung durch Steuer- stiegen. Auch mag eine spekulative Flucht erhöhungen und Ausgabekürzungen. in Rohstoffe angesichts der Abwendung von den Staatsanleihen eine Rolle spielen. Diesen Belastungen stehen allerdings auch Bislang waren hohe Ölpreise Indikatoren stabilisierende Elemente gegenüber: für bessere Konjunkturaussichten. Dies gilt jetzt eher nicht – und könnte daher die Sta- • Die Geldpolitik wirkt global äußerst expan- gnation und Rezession verschärfen. siv. Gleichzeitig ist der Inflationsdruck in Ländern wie den USA, der Volksrepublik • Die asiatischen Schwellenländer schwä- China und auch in der Eurozone gesunken. cheln stark. Und dies gilt besonders für die Bevölkerungsgiganten China und Indien. • Die sicheren Häfen in der Vertrauenskrise Die Gründe sind nicht nur in den geringe- um die Staatsverschuldung profitieren von ren Exporten nach Europa zu suchen, auch außerordentlich niedrigen Zinsen. Kapital hausgemachte Probleme ziehen die Kon- für den Staat und für die Unternehmen in 37 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen den USA, in Deutschland, aber auch in vie- • Und wie immer gibt es eben auch Gewinner len anderen halbwegs soliden Staaten ist der hohen Rohstoffpreise. Die Ölproduzen- derzeit historisch billig zu haben. Dies sta- ten verfolgen weiterhin eine großzügige In- bilisiert Investitionen und Konsum. vestitionspolitik, sodass sie die Weltwirtschaft teilweise für den ölpreisbedingten IstPrognose 20112012 Weltwirtschaft 3,93,3 3,6 Industriestaaten 1,61,3 1,5 USA 1,72,0 2,1 Eurozone 1,5–0,4 0,2 – Deutschland 3,1 1,0 1,0 – Frankreich 1,7 0,1 0,4 – Italien 0,4 –2,3 –0,7 – Spanien 0,4 –1,5 –1,3 Japan Großbritannien 2013 –0,72,2 1,2 0,7–0,4 1,1 Schwellen- und Entwicklungsländer 6,2 5,3 Afrika 5,15,0 5,7 Mittel- und Osteuropa 5,3 Russland 4,33,7 3,8 Asien 7,86,7 7,2 – China 9,2 7,8 8,2 – Indien 6,8 4,9 6,0 Mittlerer Osten 3,3 5,3 3,6 Mittel- und Südamerika 4,5 3,2 3,9 – Brasilien 2,7 1,5 4,0 2,0 Weltwirtschaft: Prognosen des Internationalen Währungsfonds Quelle: IWF 38 5,6 2,6 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen Kaufkraftentzug entschädigen. Dabei konn- Vermögensverluste ten Staaten wie Irak oder Libyen ihre Erdöl- bremsen daher die Konsumbereitschaft der produktion zuletzt wieder stark ausweiten. breiten Masse. Hier gab es zuletzt einige hoff- der Immobilienkrise nungsvoll stimmende Nachrichten. So ist der Beginnen wir unsere Detailanalysen zur Hauspreisindex im Frühjahr endlich wieder Weltwirtschaft in den USA – der Volkswirt- leicht gestiegen, allerdings liegen die Preise schaft, in der der Staat weit höhere Staats- landesweit immer noch um ein Drittel unter schulden und ein weit höheres Defizit auf- dem Vorkrisenniveau. Weil aber die Verluste weist als in der krisengeplagten Eurozone. inzwischen mental von vielen Besitzern abgeschrieben sein dürften, können neue mode- USA: Handlungsfähigkeit der neuen rate Wertgewinne tatsächlich für eine etwas Administration wird kritischer Faktor verbesserte Konsumstimmung sorgen. Dies ist auch bitter nötig. Denn die amerikanische Für die Vereinigten Staaten ist 2012 konjunk- Konjunktur ist auf ausgabefreudige Verbrau- turell im ersten Halbjahr enttäuschend ver- cher stark angewiesen. laufen. Trotz aller geldpolitischer Rücken­ deckung und eines ungebremsten „Deficit In dieser fragilen Lage ist es politisch ver- Spending“ – das Staatsdefizit liegt aktuell bei ständlich, dass die Obama-Administration 8 Prozent des BIP – war im zweiten Quartal mitten im Präsidentschaftswahlkampf hek- eine erneute leichte Abschwächung zu verbu- tisch von den Europäern Maßnahmen zur chen. Die Wirtschaftsleistung wuchs real nur Beendigung der Krise einforderte. Dennoch noch mit einer Jahresrate von 1,7 Prozent, im hat die US-Politik selbst die entscheidende ersten Quartal hatte das Wachstum noch Verantwortung für das ökonomische Wohl­ 2 Prozent betragen. Für die USA sind dies er- ergehen des Landes. Für erhebliche Nervo­ nüchternde Zahlen, zumal der US-Arbeits- sität wird in den kommenden Monaten die markt erst bei einem Wachstum deutlich Debatte um die „Fiskalklippe“ sorgen. Dieser oberhalb von 2 Prozent wirklich belebt wer- Begriff bezeichnet die automatischen Spar- den kann. Aktuell prognostiziert die Fed für maßnahmen, die Ende 2012 Gesetzeskraft das Gesamtjahr 2012 eine Zunahme des BIP erlangen, wenn sie nicht noch vom Kongress von 1,9 Prozent und 2,4 Prozent im kommen- abgemildert werden. Viele der Steuerentlas- den Jahr – ein für die US-Erfahrung äußerst tungen der zurückliegenden Jahre, zum gro- unbefriedigender Wert. ßen Teil noch unter George W. Bush beschlossen, waren befristet und laufen Ende Eine Schlüsselrolle für mehr Wachstum spielt 2012 aus. Des Weiteren sind automatische der Häusermarkt. Zwei von drei US-Bürgern Ausgabenkürzungen gesetzlich vorgeschrie- sind Besitzer eines Eigenheims. Die starken ben. In der Summe werden alle diese Spar39 Am US-Immobilienmarkt gib es Anzeichen für eine Stabilisierung. 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen maßnahmen auf etwa 4 Prozent des BIP ver- Abstriche am vorsichtig optimistischen Be- anschlagt. Würden diese Kürzungen tat- fund in der Region gelten für Argentinien. sächlich so kommen, könnte dies die US- Das Land leidet unter hoher Inflation und ei- Wirtschaft in eine Rezession stürzen. Im ner zunehmend wirtschaftsfeindlichen Regu- Grunde besteht daher ein politischer Kon- lierung. Beunruhigend sind neue protektio- sens darüber, dass die Konsolidierungsmaß- nistische Ansätze, die Lateinamerika in den nahmen zeitlich gestreckt verlaufen sollten. zurückliegenden Jahrzehnten immer mehr Wir haben aber schon im Sommer vergange- geschadet als genützt haben. Trotz aller Be- nen Jahres erlebt, wie sehr sich Demokraten denken bleibt die Region südlich der USA und Republikaner wechselseitig blockieren insgesamt ein Hort vergleichsweiser ökono- können, auch wenn es zum Schaden des Lan- mischer Stärke und könnte in den kommen- des ausgeht. Insofern wird viel davon abhän- den Monaten mit zu einer Stabilisierung der gen, wie handlungsfähig der Kongress ist. Weltkonjunktur beitragen. Lateinamerika: Japans Sonderkonjunktur läuft 2013 aus geringe Europaverbindung vorteilhaft Japan erlebt 2012 die Sonderkonjunktur des Süd- und Mittelamerika sind momentan vergleichsweise resistente Wirtschaftsregionen. Den lateinamerikanischen Ökonomien kommt Wiederaufbaus der durch Erdbeben und Tsu- derzeit zugute, dass Europa als Handelspartner nami zerstörten Gebiete. Diese Zusatznach- nur eine geringe Rolle spielt. Die Brems­effekte frage stabilisiert in diesem Jahr das Wachs- der europäischen Schuldenkrise sind daher tum bei gut 2 Prozent. Hinzu kommt die auf sehr viel geringer als etwa in Mittel- und Osteu- Vorkrisenniveau produzierende Autoindus­ ropa. Bemerkenswert ist, dass Staaten, die in trie, die nun die Weltmärkte wieder kräftig der Vergangenheit immer wieder eigene Schul- beliefern kann. Aber schon im nächsten Jahr denkrisen durchlaufen haben, bislang nicht wird die Sonderkonjunktur auslaufen. Auch von der Krise der europäischen Peripherie an- drohen nun unweigerlich konkrete Konsoli- gesteckt wurden. Zudem ist es bis auf einige dierungsschritte, um überhaupt erst einmal nervöse Marktphasen nicht zu einer Kapital- das Wachstum der Rekordstaatsverschuldung flucht aus Südamerika gekommen. Die starke einzudämmen. Japan wird Ende 2012 voraus- Präsenz spanischer Banken in der Region sollte sichtlich mit 236 Prozent des BIP verschuldet als möglicher Übertragungsweg der Krise zu- sein. Und der IWF prognostiziert danach ei- dem nicht überstrapaziert werden. Spanien ist nen weiteren Anstieg mit einer Geschwindig- mit eigenständigen Tochterunternehmen in keit von 10 Prozentpunkten pro Jahr. Dass der Region aktiv; sie würden auch bei Schiefla- das Land einen Schuldenstand weit über dem gen der Mutterinstitute das Bankensystem in Griechenlands ökonomisch überleben kann, den Gastländern kaum destabilisieren. hat zwei Gründe: Erstens ist Japan im Inland 40 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen verschuldet, und die japanischen Sparer blei- Container im Chinaverkehr um rund 7 Pro- ben bis auf Weiteres treue Käufer der Japan- zent. Ähnliche Zahlen sind aus Rotterdam zu bonds. Und zweitens notieren die Schulden vermelden. Bei allem Lamento über den glo- in einer eigenständig kontrollierten Wäh- balen Abstieg Europas: Der Kontinent ist im- rung. Notfalls – und im Unterschied zu den mer noch so bedeutend, dass eine europäi- europäischen Krisenstaaten – könnte die ja- sche Rezession eben doch globale Kreise zieht panische Zentralbank mit der Notenpresse und Asien erreicht. jeden „Run“ abwehren. Japan wird Ende 2012 voraussichtlich mit 236 Prozent des BIP verschuldet sein. Insbesondere das chinesische Wachstum Dennoch ist völlig klar, dass die ökonomische wird derzeit stark von der Außenwirtschaft Zukunft des Landes durch die Rekordschul- ausgebremst. Zuletzt nahmen die Exporte den bedroht ist. Schon ein moderater Anstieg kaum noch zu. Zweistellige Zuwachsraten der Zinsen könnte die Situation gefährlich de- sind für China in weiter Ferne. Eine harte stabilisieren. Von daher handelt die Regierung Landung mit einem Absturz des Wachstums richtig, wenn sie nun eine schrittweise Ver- unter 5 Prozent ist jedoch eher unwahr- dopplung der Mehrwertsteuer von 5 auf scheinlich. China verfügt im Gegensatz zu 10 Prozent bis 2015 beschlossen hat. Klar ist den meisten Industrieländern über reichlich aber auch, dass dies den Konsum belasten Munition, um eine schwache Wirtschaft wird. Die kurzfristigen Konjunkturdaten wa- durch zusätzliche Staatsausgaben oder mone- ren zuletzt uneinheitlich. Die Wachstumser- täre Lockerung zu beleben. Die zuletzt fallen- wartung von etwa 2 Prozent in diesem Jahr ist de Inflationsrate hat diesen Spielraum noch nur dann realisierbar, wenn die Exporte nach vergrößert. Die Gegenmaßnahmen dürften Europa und in die Volksrepublik China nicht China vor einem starken Abrutschen bewah- noch stärker absacken; im Sommer waren hier ren, können die alte Dynamik aber nicht wie- überraschend schlechte Zahlen zu vermelden. derherstellen. China und Indien: parallele Noch ungünstiger stellt sich die Lage in Indi- Verlangsamung zweier ungleicher en dar, wo zur externen Abschwächung haus- Ökonomien gemachte Probleme kommen. Seit zwei Jah- Das chinesische Wachstum wird derzeit stark von der Außenwirtschaft ausgebremst. ren wird das Land von einer handlungsWer sich aktuell über die Entwicklung der unfähigen Koalition regiert, deren Amtszeit asiatischen Schwellenländer informieren will, noch bis 2014 dauert. Projekte, die wichtig für muss eigentlich nur die Containerstatistiken ein verbessertes Wachstumspotenzial wären, des Hamburger Hafens studieren. Und diese kommen nicht voran: so etwa das Handels­ Statistiken zeigen seit dem Frühjahr nichts abkommen mit Europa, das Antikorruptions- Gutes: Von April bis Juni sank die Zahl der gesetz, die Privatisierung von Staatsbetrieben 41 Die indische Wirtschaft kämpft mit hausgemachten Problemen. 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen oder die Deregulierung wichtiger Inlands- blik. Ungarn durchläuft hingegen eine schwe- märkte. Hinzu kommt auch klimatisches re Rezession. Pech: Der Monsun bringt in diesem Jahr zu wenig Regen in einem Land, in dem noch Russlands Wirtschaftsentwicklung ist weiter- 70 Prozent der Menschen von der Landwirt- hin ölpreisgetrieben. Als die Rohstoffpreise schaft leben. Anders als in China kämpft die vor vier Monaten deutlich abgesunken wa- indische Zentralbank auch immer noch mit ren, wurden auch die Wachstumsprognosen einem starken Inflationsdruck von knapp zurückgenommen. Der zwischenzeitlich wie- 7 Prozent. Damit fehlt der Spielraum, um das der stark gestiegene Ölpreis stabilisiert das Wachstum monetär zu stimulieren. Insgesamt Land wieder, sodass ein Wachstum um die dürfte die Regierungsprognose für 2012 von 4 Prozent ungefährdet erscheint oder sogar 6,7 Prozent daher zu optimistisch sein. bei anhaltend hohen Rohstoffnotierungen noch leicht übertroffen werden könnte. Mitteleuropa: erneut starker Kontrast Russlands Wirtschaftsentwicklung ist weiterhin ölpreisgetrieben. zwischen Polen und Ungarn Eurozone in der Rezession Mittel- und Osteuropa wird über zwei Kanäle Damit sind wir mit Europa und der Eurozone durch die Schulden- und Bankenkrise in in der Region angelangt, die heute der globale Westeuropa in Mitleidenschaft gezogen. Zum ökonomische Krisenherd schlechthin ist. einen sinkt die Nachfrage der Krisenstaaten Fakt ist zunächst, dass 2012 für die Eurozone nach Gütern. Zum anderen verschlechtern eine Rezession gebracht hat. Diese fällt insge- sich aber auch die Finanzierungsbedingun- samt gesehen zwar mild aus (etwa –0,3 Pro- gen. Die Region hat in der Finanzierung ihrer zent); hinter dem Durchschnitt verbergen Investitionen in den zurückliegenden Jahren sich aber markante Unterschiede. Während stark vom Kapital internationaler Banken sich die überwiegende Zahl der Eurostaaten profitiert. Dieses Kapital bleibt nun aus, weil zwischen Stagnation und leichtem Wachstum viele Banken ihre Bilanzsummen herunter- befindet, sind die Staaten der Schuldenkrise fahren müssen und wieder sensibler für Risi- (inklusive Italien und Spanien) in einer ken geworden sind. schweren Rezession. Einzig Irland kann schon in diesem Jahr wieder eine schwarze Allerdings gibt es in der Region große Unter- Wachstumszahl vorweisen und bestätigt sich schiede. Wie schon in der Finanzkrise sticht als Leader, der als Erster den Weg aus der Polen erneut durch eine besonders stabile Schuldenfalle finden könnte. Entwicklung heraus und kann in diesem Jahr gut 2,5 Prozent Wachstum erzielen. Ähnlich positiv ist die Lage in der Slowakischen Repu42 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen bindung eingeführt, der Mindestlohn weiter Frankreich: ein künftiger Krisenstaat? erhöht und die Erhöhung des RenteneinSeit den Zeiten der DM-Bindung des franzö- trittsalters teilweise wieder zurückgenom- sischen Francs hat sich Frankreich in seinen men. Es verwundert nicht, dass Investoren ökonomischen Ambitionen an Deutschland einen Bogen um das Land machen und Kon- orientiert. Diese Bindung erscheint uns der- sumenten das Vertrauen in die wirtschaftli- zeit so stark gefährdet wie kaum zuvor. Im che Zukunft verlieren. All dieses schlägt sich starken Gegensatz zu Deutschland hat das in Wachstumsprognosen nieder, die der Re- Land in den vergangenen Jahren immer mehr zessionsgrenze entgegenrutschen. an Wettbewerbsfähigkeit und Exportanteilen verloren. 2011 hat Frankreich mit einem Die französischen Probleme sind ein europä- hohen Leistungsbilanzdefizit einen Negativ- isches Risiko. Deutschland ist überfordert rekord aufgestellt, und schon im ersten Halb- mit der Aufgabe, die Eurozone zu stabilisieren, jahr 2012 war erneut ein Defizit in Höhe von wenn die zweitgrößte Ökonomie des Wäh- 35 Milliarden Euro zu verbuchen. rungsraums weiter abrutscht. Die Wachstums­ Frankreich bietet Anlass zur besonderen Sorge – auch aufgrund überbordender Regulierung. perspektive 2013 wird sich für die Eurozone In einer solchen Situation bräuchte das Land erst dann aufhellen, wenn die Stabilisierung dringend einen großen marktorientierten Re- der Krisenländer gelingt. formschub, der die überbordende Regulierung und die Strangulation durch den Fiskus Vereinigtes Königreich: Rezession zurückdrängt. Doch ganz im Gegenteil kom- verhindert Gesundung der men die neuen Gesetze der sozialistischen Staatsfinanzen Regierung eher einem Investorenvertreibungsprogramm gleich: Eine starke Erhö- Die wichtigste EU-Ökonomie außerhalb der hung der Vermögensteuer treibt die Besteue- Eurozone preist sich heute zwar glücklich, im- rung nun auf ein Niveau, das in vielen Fällen mer euroskeptisch gewesen zu sein und sich die Erträge übersteigt. Die Erbschaftsteuer- auf das Experiment der Einheitswährung nie- freibeträge werden auf 100.000 Euro je El- mals eingelassen zu haben. Gleichwohl ist ternteil und Kind herabgesetzt, und die bis- auch für das Vereinigte Königreich mit seiner lang übliche Anpassung an die Inflation eigenen Währung der Weg aus der fiskalischen entfällt. Und die Spitzensteuerdrohung von Krise steinig. Das Defizit soll in diesem Jahr 75 Prozent für Einkommen über 1 Million zwar auf 5,8 Prozent (von 8,2 Prozent) sinken. Euro wird befristet zur gesetzlichen Realität. Die rezessionsbedingten Steuerausfälle wer- Aber auch in anderen Bereichen greift der den dieses Ziel aber wohl vereiteln. Allenfalls Staat immer weiter regulierend ein: Auf dem im kommenden Jahr könnte endlich wieder Wohnungsmarkt wird nun eine Mietpreis- ein leichtes Wirtschaftswachstum messbar 43 Großbritannien betreibt – im Gegensatz zu Frankreich – eine konsequent wirtschaftsfreundliche Politik. 6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen Die globale Konjunkturperspektive bleibt insgesamt gedämpft. werden, angeführt von einer Belebung des perspektive 2013 darstellt. Aber auch der chi- Konsums und der Unternehmensinvestitio- nesische Konjunkturmotor verliert an Kraft nen. Der Gegensatz zu Frankreich in der Kon- und leidet an den Nachfrageausfällen aus Eu- solidierungspolitik könnte kaum größer sein. ropa. In dieser Gemengelage werden die Bäu- Das Vereinigte Königreich bleibt konsequent me in Sachen Welthandel im kommenden bei seiner wirtschaftsfreundlichen Politik und Jahr nicht in den Himmel wachsen. Auf kräf- versucht die fiskalische Anpassung durch Zu- tige Exportzuwächse wie in den zurücklie- rückdrängung der Staatsquote zu realisieren – genden Jahren kann die deutsche Wirtschaft beispielsweise durch eine weitgehende Voll­ kurzfristig nicht bauen. Immerhin ist derzeit finanzierung der Universitäten und stark stei- aber auch keine wirklich krisenhafte Zuspit- gende Studiengebühren. zung in der Weltwirtschaft erkennbar. Glücklicherweise steuert heute eine Vielzahl von Weltwirtschaft: wenig euphorische Ländern und Regionen ihren Teil zur globa- Aussichten für 2013 len Dynamik bei, sodass sich eine europäische Rezession nicht mehr so verheerend Es ist der Alte Kontinent, der nach wie vor die auswirkt wie dies noch vor 10 oder 20 Jahren größten Risiken für die weltweite Wachstums­ der Fall gewesen wäre. 44 7 Deutschlandprognose 2013 Deutschland blickt von 2010 bis 2012 auf eine der Regierung Monti und eine Rückkehr zum ständige Wachstumsverlangsamung zurück: populistischen Regierungsstil im Rom. Von 3,7 Prozent im Boomjahr 2010 ging es über 2,5 Prozent abwärts auf knapp 1 Prozent Hingegen betrachten wir eine mögliche erneute im laufenden Jahr. Derzeit ist es noch offen, Zuspitzung um die Situation Griechenlands ob das neue Jahr wieder eine Wende zu höhe- nicht wirklich als substanziellen Risikofaktor rem Wachstum bringen wird. Aus heutiger für die globale Konjunktur. Nach der großen Sicht halten wir das durchaus für möglich. Umschuldung in diesem Jahr ist das Land keine Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer so wirkliche Gefahr mehr für die Finanzmärkte. starken Verfassung, dass sie ein Wachstum von gut 1,5 Prozent erreichen kann, wenn das Risikoszenario Krieg Israel – Iran außenwirtschaftliche Umfeld halbwegs stabil ist. Dieses „Wenn“ ist die entscheidende Ein- Der hohe Ölpreis der zurückliegenden Wo- schränkung für die Prognose der deutschen chen gibt einen Vorgeschmack darauf, was Konjunktur 2013 in harten Zahlen. Und die passieren könnte, wenn es im Nahen Osten Rückkehr zu einem außenwirtschaftlich sta- zum Krieg zwischen Israel und dem Iran bilen Umfeld hängt von mehreren Entwick- käme. Ein panikartiger Ölpreisschub wäre die lungen ab. Folge. Etwaige Hoffnungen auf eine Erholung der US-Konsumkonjunktur würden damit Die europäische Schuldenkrise muss ihr aku- einen Rückschlag erleiden. Dauer und Ver- tes Stadium verlassen. Nur wenn Italien und lauf einer militärischen Auseinandersetzung Spanien glaubwürdig gefestigt werden kön- und die Folgen für die politische Stabilität nen, tritt dieser günstige Fall ein. Eine weiter- und Ölproduktion in der ganzen Golfregion hin instabile Situation mit einer sich sogar ver- kann niemand prognostizieren. Diese Unsi- tiefenden Rezession in Südeuropa würde viele cherheiten würden in jedem Fall kurzfristig Wachstumschancen für Deutschland zerstö- zu einem konjunkturellen Rückschlag in der ren. Immerhin bietet sich mit der „EZB-Lö- industrialisierten und nach wie vor öldursti- sung“ nun eine Perspektive für eine realistisch gen Welt führen. machbare Stabilisierung der Anleihemärkte. Aber auch dieser Lösungsweg kann Enttäu- In China wird sich im kommenden Jahr klären, schungen mit sich bringen. Eine solche Ent- ob es zur weichen Landung, also zum Über- täuschung wäre etwa ein frühzeitiges Scheitern gang auf einen etwas moderateren Wachstums45 Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer robusten Verfassung. 7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3 Die Bundestagswahl 2013 wird die Konjunkturperspektiven kaum beeinflussen. pfad ohne echte Krisenerscheinungen kommt. einen Kollaps in Südeuropa und eine chinesi- Die chinesischen und europäischen Entwick- sche Rezession – dann ergäbe sich für lungen sind aufgrund der wechselseitigen Han- Deutschland ein ziemlich düsteres Rezessi- delsverflechtungen stark verwoben. Somit onsszenario. Wir halten eine solche Rechnung würde eine europäische Stabilisierung auch derzeit aber für keine sinnvolle Fingerübung helfen, die Volksrepublik zu stützen. der Konjunkturanalyse. Wir spannen mit unseren beiden Szenarien („Moll“ und „Dur“) 2013 ist ein Bundestagswahljahr. Dennoch lieber ein wahrscheinlicheres Spektrum der sehen wir keine innenpolitisch bedingten kon- möglichen konjunkturellen Welten auf. junkturellen Gefahren. Zwar werden die Wahlprogramme einiger Parteien Ideen enthalten, Die Umsetzung dieser Annahmen in das die für den wirtschaftlichen Erfolg Deutsch- konjunkturelle Zahlentableau zeigt, dass lands erhebliche Risiken mit sich bringen (Ver- Deutschland im pessimistischen Mollszenario mögensteuer, Erhöhung Spitzensteuersatz, neue zwangs läufig in eine Rezession rutschen wür- Regulierung des Arbeitsmarktes, Ausweitung de. Die schon im zweiten Halbjahr 2012 ein- sozialer Leistungen etc.). Von den Wahlpro- getretene Konjunkturabschwächung würde grammen bis zur Umsetzung im politischen anhalten und sich verschärfen. Die Abwehr- Prozess ist es aber ein weiter Weg. Die Kon- kräfte, die 2012 noch kraftvoll waren und das junkturperspektive 2013 wird dadurch wohl Wachstum abgesichert hatten, wären dann kaum in nennenswerter Weise beeinflusst. aufgezehrt. Die Folgen einer Dauerrezession in Südeuropa und Frankreich würden Deutsch- Das geldpolitische Umfeld wirft auf absehbare land gleich mehrfach treffen: über den Außen- Zeit keine großen Fragen auf. Die Fed hat sich handelskanal und über einen Rückschlag der bis 2015 auf Nullzinsen festgelegt, und auch Unternehmensinvestitionen. Wir quantifizie- die EZB wird auf einem expansiven Kurs blei- ren dieses ungünstige Szenario mit einem ben, um die Rezession in Teilen der Eurozone Rückgang des BIP um etwa 1 Prozent. zu bekämpfen. Allenfalls die Frage, wie aggressiv und unkonventionell beide Zentralbanken Wohlgemerkt: Das Mollszenario ist keine vorgehen werden, ist noch offen. Sicher ist, „Worst Case“-Analyse. Geriete die Schulden- dass auch 2013 unter den Vorzeichen geld­ krise völlig außer Kontrolle oder würde sie politischer Expansion stehen wird. durch weitere außenwirtschaftliche Schocks verschärft, dann wäre die Konjunkturanalyse erneut mit der Situation 2008/2009 konfron- Zwei Szenarien in Zahlen tiert: Kaum jemand könnte derzeit die Tiefe Würden wir mögliche Katastrophenszenarien der dann eintretenden Rezession einigerma- kombinieren – einen Krieg im Nahen Osten, ßen zuverlässig ermessen. 46 7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3 Konjunktur 2013: Im Durszenario gelingt die europäische Stabilisierung „Mollszenario” „Durszenario“ Euroschuldenkrise Die EZB-Lösung kann die Anleihemärkte nicht vollständig stabilisieren. Massive Anleihekäufe der Zentralbank können die Zweifel am Erhalt der Eurozone nicht zerstreuen. Das Programm der EZB zur Begrenzung hoher Anleihezinsen der Südeuropäer wird implementiert und erreicht sein Ziel. Das Problem Griechenland bleibt ungelöst. Konjunktur Eurozone Die Rezession Spaniens und Italiens verschärft sich. Frankreich gerät ebenfalls in eine ausgeprägte Rezession. Nach Irland gelingt im Jahresverlauf auch Portugal, Spanien und Italien der Weg aus der Rezession. Dies gilt nicht für Griechenland. USA Der US-Arbeitsmarkt enttäuscht weiterhin und verhindert eine durchgreifende Erholung der Konsumkonjunktur. Die Ökonomie verharrt bei niedrigen Wachstumsraten von 1 bis 2 Prozent. Die Fed hat Erfolg mit ihrer Konjunkturstimulierung. Außerdem profitiert die US-Wirtschaft von einem freundlicheren globalen Wirtschaftsklima. Die Arbeitslosigkeit beginnt zu sinken. Weltwirtschaft Die ungelöste europäische Krise setzt der Weltwirtschaft weiterhin zu. Das globale BIP-Wachstum bröckelt weiter ab, der Welthandel stagniert. Die Emerging Markets finden als Erste wieder zu höheren Wachstumsraten zurück. Im Jahresverlauf verbessert sich die globale Dynamik auch in der industrialisierten Welt. Finanzmärkte Die Rentabilität der Unternehmen fällt konjunkturbedingt. Auch wenn Aktien von der Flucht in Realwerte profitieren, kommt es zu deutlichen Kursverlusten. Die Sorgen um die Stabilität der internationalen Bankwirtschaft ebben ab. Exportorientierte Unternehmen erfahren eine Belebung ihrer Märkte. Die Weltbörsen entwickeln sich stabil. Deutscher Arbeitsmarkt Es kommt zu einem moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsaufbau zu einem Ende. Im Frühjahr belebt sich der deutsche Arbeitsmarkt. Themen wie Fachkräftemangel treten wieder in den Vordergrund. Konsumentenzuversicht Die deutschen Konsumenten profitieren noch von ihrer guten Einkommensund Beschäftigungssituation. Sie sind nicht euphorisch, aber leisten einen Wachstumsbeitrag, der einen tieferen Absturz der Konjunktur noch verhindern kann. Der Privatkonsum entwickelt sich robust und überrascht positiv. Der Anteil des Privatkonsums an der Verwendung des Sozialprodukts legt zu. 47 7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3 Wir halten es angesichts der aktuellen Daten- vielleicht sogar mehr – wäre dann möglich. lage und der Hoffnungszeichen in der euro- Hier kämen die hohe Wettbewerbsfähigkeit päischen Schuldenkrise aber nicht für ange- und die anderen strukturellen Stärken (der bracht, uns mit Katastrophenfantasien in inzwischen funktionsfähige Arbeitsmarkt, allen statistischen Details zu befassen. Dies die gesunde Bilanzstruktur in weiten Teilen gilt auch deshalb, weil ein übertriebener Pes- der Wirtschaft und die hohe Bonität der Bun- simismus zu gravierenden Fehlentscheidun- desrepublik) wieder voll zum Tragen. gen für Anleger und Unternehmer gleichermaßen führen kann. Wägen wir beide Szenarien gegeneinander ab, halten wir momentan unser Durszenario Im Mollszenario würde Deutschland in eine Rezession rutschen. Im Durszenario wäre ein Wachstum von 1,5 Prozent oder mehr möglich. Denn die Chancen sind derzeit nicht gering, für wahrscheinlicher als das Mollszenario. dass sich 2013 in Richtung unseres Durszena- Denn die Aussichten auf eine beginnende rios entwickelt. In diesem Szenario wachsen Entschärfung der Schuldenkrise haben sich die Bäume in den Krisenstaaten zwar nicht in durch das EZB-Engagement und das Verfas- den Himmel, immerhin würden sie aber dem sungsgerichtsurteil verbessert. Insofern ist Pionier Irland folgen und nach der Rezessi- unsere konjunkturelle Gesamteinschätzung onsphase zumindest wieder schwarze Nullen für das kommende Jahr von einer vorsichti- schreiben können. Deutschlands Exporter- gen Zuversicht geprägt. „Vorsichtig“ beinhal- folge in den dynamischeren Regionen der tet aber eben auch das Bewusstsein, dass ein Welt könnten dann wieder zu einem deutli- Schock – in Europa oder auch im Nahen chen Wachstum des Außenbeitrags führen. Osten – die Perspektive rasch auf das Moll­ Ein Wachstum in Höhe von 1,5 Prozent – szenario umspringen lassen würde. Deutschlandprognose 2013 „Mollszenario” „Durszenario“ Konsum 0,10,9 Private Haushalte 0,1 0,6 Staat 0,2 0,3 Anlageinvestitionen–0,5 0,5 Ausrüstungen –0,5 0,2 Bauten 0,0 0,2 Inländische Verwendung –0,4 1,4 Außenbeitrag–0,5 0,2 Exporte 0,5 2,2 Importe 1,0 2,0 BIP –1,31,6 Beiträge der Verwendungskomponenten zum Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes (in %-Punkten) 48 8 Anlagepolitik 2013 Kapitalmärkte sind ein System von Antizipa- Denkbar ist zweitens ein weltweites Abgleiten tionen. Es geht im Kern um das Abschätzen in die Rezession – ein Szenario, das eine gerin- möglicher Entwicklungen. Eine Rangfolge ge Eintrittswahrscheinlichkeit hat. Ungemach festzulegen, Wahrscheinliches von Unwahr- könnte bereits Anfang 2013 aus den USA scheinlichem zu trennen, ist die hohe Kunst. kommen. Hier könnten automatisch drohende Wir skizzieren im Folgenden vier Szenarien Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen und beleuchten für das wahrscheinlichste die die amerikanische Wirtschaft in eine Rezessi- möglichen Entwicklungen auf wichtigen An- on stürzen. Wir gehen indes davon aus, dass lagemärkten. sich die Parteien dort auf ein vernünftiges Maß einigen werden, damit die US-Wirtschaft nicht dem ,,Fiscal Cliff “ zum Opfer fällt. Ebenso Was ist denkbar? liegt ein Wiederaufkeimen der EuroschuldenDie Schuldenkrise ist nicht gelöst. Die Kon- krise im Rahmen des Möglichen. Dies hätte junktur ist in manchen Regionen anfällig. Die zur Folge, dass die ohnehin angeschlagene eu- Gewinne der Unternehmen gaben zuletzt ropäische Wirtschaft in eine tiefe Rezession nach. Welche Anlagepolitik verspricht unter abgleiten würde. Bevorzugte Assetklassen in diesen Vorzeichen eine erfolgreiche zu sein? diesem Szenario: Staatsanleihen von AAA- Die unkonventionellen Notenbankinterven- Gläubigern und Gold. Aktien würden billiger tionen schüren außerdem die Angst der In- werden. vestoren vor Inflation. Das dritte Szenario wäre der klassische Boom, Das erste Szenario ist mit einer sehr geringen sozusagen der Gegenpol zu den ersten beiden Eintrittswahrscheinlichkeit versehen: Es ist Szenarien. Die Weltkonjunktur würde Fahrt der Zusammenbruch der Eurozone. Es käme aufnehmen, die Inflationsraten würden steigen. zu Zahlungsausfällen von Staaten; Banken Aus heutiger Sicht gibt es hierfür wenig Anzei- und Unternehmen würden in Schieflage gera- chen, entsprechend gering ist auch die Eintritts- ten. Wirtschaftliche Kontraktion sowie Defla- wahrscheinlichkeit. Zyklische Aktien und tion wären die Folge. In diesem Fall würden Rohstoffe wären die stärksten Renditetreiber. AAA-Staatsanleihen, Gold und der US-Dollar profitieren. Aktienmärkte würden auf Tal- Es verbleibt somit das vierte und wahr- fahrt geschickt. scheinlichste Szenario. Es ist gekennzeichnet durch das Überleben der Eurozone, geringes 49 8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3 weltweites Wachstum und niedrige Inflation. lang positiven Aktienjahres 2012, noch immer Die anhaltende Niedrigzinspolitik der No- unter ihren langjährigen Durchschnitten. tenbanken ist wesentlicher Bestandteil dieses Szenarios. Die fehlende Aktieneuphorie und der geringe Investitionsgrad wichtiger Anlegerkreise bilden Aktien profitieren vom Sicherheitsnetz eine weitere wichtige Stütze für die Aktien- der Notenbanken märkte, denn diese Anleger, insbesondere Pensionskassen und Versicherungen, müssen sich Die globalen Aktienmärkte weisen mittel- bis langfristig ein hohes Potenzial auf. Die globalen Aktienmärkte werden durch die künftig neue Renditequellen erschließen. Wenn weltweite Niedrigzinspolitik und die damit diese Anleger ihre Renditeversprechen einhal- verbundene enorme Liquidität gestützt. Aus- ten wollen, wird ihnen dies allein mit Staats­ gehend hiervon hat sich zumindest in den anleihen und Pfandbriefen kaum gelingen. Sie USA eine gewisse Stabilisierung der Kon- werden deshalb langfristig nicht an der Aktie junktur eingestellt. Die Finanzierungsbedin- als attraktivem Investment vorbeikommen. gungen für Unternehmen und private Haushalte haben sich verbessert, die Kredit- Unsere Bewertungsmodelle für die globalen nachfrage steigt. Positive Signale für einen Aktienmärkte weisen mittel- bis langfristig moderaten Aufschwung lassen sich bereits an ein hohes Potenzial auf. Eine Reihe von Akti- den steigenden Einzelhandels- und Konsum- enmärkten notiert gegenwärtig bis zu einem klimazahlen ablesen. Drittel unter ihrem „fairen Wert“, den unsere Berechnungsmodelle ergeben. Zudem sind die Aktienmärkte relativ zu anderen Anlageklassen wie etwa Anleihen at- Renten: Bewegung auf der Risikoleiter traktiv bewertet. Erstmals seit vielen Jahren liegt die Dividendenrendite weit über der Das Rentenjahr 2013 steht wie im Vorjahr un- Rendite sicherer Staatsanleihen. Der Euro- ter der Überschrift „Suche nach Rendite“. Für Stoxx 50 beispielsweise wirft eine (erwartete) viele Anleger sind die Renditen, die die boni- Dividendenrendite von 4,25 Prozent ab, der tätsstärksten Emittenten bieten, zu gering. Am deutsche Aktienmarkt nicht viel weniger. niedrigen Renditeniveau wird sich 2013 wahr- Dies ist dreimal so viel wie die Rendite der scheinlich wenig ändern: Denn aufgrund der 10-jährigen Bundesanleihe. lockeren Geldpolitik der Zentralbanken ist eine Zinswende nicht in Sicht. Anleger mit Aber auch absolut zeigen die Bewertungen der Renditeerwartungen auf oder über dem Ni- Dividendenpapiere ein attraktives Bild auf. So veau der aktuellen (erwarteten) Inflationsraten sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der meis- müssen die „Risikoleiter“ noch oben klettern. ten wichtigen Aktienmärkte, trotz eines bis- Dies kann über eine Verlängerung der Laufzei50 8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3 7 6 5 4 3 2 1 0 Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 Rendite 10-jährige Bundesanleihen Dividendenrendite (Dax) Renditespreizung zwischen Aktien und Renten Quelle: Bloomberg ten geschehen, also eine Durationsverlänge- Anleger dürfen dabei das Risiko nicht ver- rung. Während deutsche 10-jährige Staats­ nachlässigen. Vor allem im High-Yield- anleihen um 1,5 Prozent rentieren, werfen Segment sind eine gesonderte Kreditanalyse 30-jährige Bundesanleihen rund einen Drei- sowie eine breite Diversifikation der Titel, viertel Prozentpunkt mehr an Rendite ab. Regionen und Segmente notwendig. Wer sich jedoch vor längeren Laufzeiten Das größte Risiko für die Rentenmärkte im scheut, da sie bei Zinssteigerungen zwischen- Jahr 2013 ist die Weiterentwicklung der EWU zeitliche Kursverluste erleiden, kann alterna- zu einer Transferunion mit Eurobonds und tiv Anleihen mit geringer Bonität erwerben. gemeinschaftlicher Haftung sowie der dann Die Renditen für Unternehmens- und High- folgenden Tendenz zur Renditekonvergenz. Yield-Anleihen bewegen sich noch auf Nur dieses Mal mit umgekehrten Vorzeichen, attraktivem Niveau, jedoch schon nicht mehr und zwar mit steigenden Renditen in für Anleihen mit kurzer Laufzeit oder gutem Deutschland und fallenden in der EWU- Rating. Ansonsten aber sind je nach Emittent Peripherie. und Rating noch deutlich höhere Renditen erzielbar. Die Renditeaufschläge (Spreads) Die Suche nach Rendite durch die Anleger sind zwar geringer geworden, aber noch bei und die guten Finanzierungsbedingungen Weitem nicht auf historischen Tiefständen. für Unternehmen haben dazu geführt, dass in 51 Das Rentenjahr 2013 steht wie im Vorjahr unter der Überschrift „Suche nach Rendite“. 8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3 den ersten zehn Monaten des Jahres 2012 hinter der von anderen Assetklassen zurück. weltweit immerhin Unternehmensanleihen Vor allem die nachlassende Wachstumsdyna- mit einem Gesamtvolumen in Höhe von mik Chinas, dem wichtigsten Rohstoffnach- 3,3 Billionen US-Dollar platziert wurden. frager überhaupt, brachte gerade die zykli- Schwächere Ratings oder eine nachlassende schen Sektoren wie Energierohstoffe und Nachfrage könnten hier schnell die Risiko- Industriemetalle unter Druck. prämien ansteigen lassen, die Renditen wür- Edelmetalle, allen voran Gold, dürften sich gut behaupten können. den steigen, und es könnte leicht zu groß­ In unserem oben beschriebenen vierten Sze- flächigen Veränderungen in der Renditeland- nario, dem Hauptszenario, stellen sich die schaft kommen. Die Anleihekurse hätten da- Aussichten für Rohstoffe recht vielverspre- runter zu leiden. Auch eine Umschichtung chend dar. Durch die relativ zu anderen As- der Investoren aus dem Bereich der Unterneh- setklassen schlechtere Wertentwicklung sind mensanleihen hinein in das Aktien­ segment Commodities günstig bewertet; vor allem ei- könnte belasten. nige Industriemetalle notieren derzeit nahe ihren Produktionskosten, was zumindest das Rohstoffe: Talsohle erreicht Abwärtspotenzial deutlich begrenzen dürfte. Das Jahr 2012 war für Rohstoffe ein sehr Außerdem würde die Assetklasse von einem schwieriger Zeitraum. Die Wertentwicklung wieder steigenden Risikoappetit sowie von blieb bis auf wenige Ausnahmen deutlich etwaigen aufkommenden Inflationsängsten 1.200 1.000 800 600 400 200 0 2005 2006 Spread Hochzinsanleihen 2007 2008 2009 Spread Investment-Grade Europa: Spread von Unternehmensanleihen (in Bp.) Quelle: Macrobond 52 2010 2011 2012 8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3 profitieren. Daher dürften sich auch die Edel- Krisenmanagement in der Eurozone und bes- metalle – allen voran Gold – gut behaupten seren wirtschaftlichen Perspektiven besteht können. Denn Liquidität ist reichlich vorhan- die Chance auf eine nennenswerte Höher­ den, die Zinsen – als Opportunitätskosten zu bewertung der Gemeinschaftswährung zum verstehen – sind niedrig und auf realer Basis US-Dollar. Nicht zuletzt ist es gut möglich, sogar negativ. dass klassische fundamentale Wechselkurs­ determinanten allmählich mehr an Gewicht Die größten Fragezeichen ergeben sich bei gewinnen. Leistungsbilanzsalden etwa sprä- Agrarrohstoffen. Insbesondere die Getreide- chen eher für Yen und Euro – in beiden Län- preise haussierten nach den extremen Wet- dern sind die Leistungsbilanzsalden positiv. terbedingungen in den USA und in anderen Umgekehrt spricht dies gegen Defizitländer wichtigen Anbaugebieten kräftig, haben sich wie Großbritannien oder die Vereinigten seitdem aber wieder von ihren Hochpunkten Staaten. Allerdings lehrt die jüngere Wäh- entfernt. Hier wird wichtig sein, ob einzelne rungsgeschichte, dass Notenbanken und Re- Exportländer ihre Ausfuhren begrenzen und gierungen zu heftige Währungsbewegungen wie der nächste Erntezyklus ausfällt. gerade in der wie jetzt fragilen Phase ungern tolerieren. Markante Verschiebungen im Währungsgefüge würden sicherlich zu Inter- Währungen: Solidität zählt ventionen führen. Die Schweizer MindestDer Euro hat das Jahr 2012 überlebt, er wird kurspolitik ist Ausdruck einer der möglichen auch das Jahr 2013 überleben. Einen Zerfall Reaktionen. der Gemeinschaftswährung wird es sehr wahrscheinlich nicht geben. Dafür hat die Po- Wer nach Währungsgewinnen sucht, sollte litik – einschließlich der EZB – ein zu klares sich also hüten, alte Trends einfach fortzu- Bekenntnis abgegeben. Nimmt man dies als schreiben. Die Abwertung des Euro zu einer Arbeitshypothese, so handelt es sich bei den Reihe von Währungen ist weit fortgeschritten; Währungen der Triade aus US-Dollar, Euro umgekehrt tun sich viele Währungen schwer, und Yen um Nullzinswährungen, die mitein­ alleine aus der „Eurokrise“ Kapital zu schla- ander konkurrieren. Die gleiche geldpoliti- gen. Die skandinavischen Währungen etwa sche Ausrichtung in allen drei Währungsräu- vermögen es mittlerweile kaum noch, gegen- men spricht somit dafür, dass sich die über dem Euro an Wert zu gewinnen. Währungsbewegungen innerhalb der Triade in engen Grenzen halten. Aufgrund des In langfristiger Perspektive sind es letztlich gering(er) gewordenen systemischen Risikos die Zahlungswilligkeit und die Zahlungs­ für den Euro sehen wir die Untergrenze zum fähigkeit eines Währungsraumes, die über US-Dollar bei etwa 1,20. Bei erfolgreichem den Außenwert einer Währung entscheiden. 53 Einen Zerfall der Gemeinschaftswährung Euro wird es sehr wahrscheinlich nicht geben. 8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3 Nicht umsonst wertete der Schweizer Franken Aktien+ zum amerikanischen Dollar in den vergange- USA+ Euro-Core+ Europeripherie– Emerging Markets + nen Jahrzehnten auf. In einer kürzeren Sichtweise sind Währungen mit hohem Carry – also hohem Zinsvorteil – bei soliden Rahmenbedingungen einen Blick wert. Hier- Anleihen– zu zählen Währungen aus den aufstrebenden den soliden Währungen zu gehören. Fremdwährungen+ Euro-Core– Europeripherie– Unternehmensanleihen++ Reale versus nominale Anlagen Rohstoffe0 Volkswirtschaften. Manche davon haben durchaus das Potenzial, auch längerfristig zu Gold+ Energie– Metalle0 Alles in allem ist unsere Anlagepolitik von einer Bevorzugung realer Anlageklassen geprägt. Im Niedrigzinsumfeld sind die erzielba- Quelle: eigene Darstellung ren Erträge festverzinslicher Wertpapiere gering. Nach Abzug der Teuerungsraten rutschen sie in den negativen Bereich. Anlagen, die wie Aktien Ansprüche an Sachkapital darstellen, eröffnen zumindest die Option auf höhere Erträge. In einem Umfeld nahezu maximaler geldpolitischer Unterstützung und einer nach unserem Dafürhalten bevorstehenden konjunkturellen Beschleunigung sollte diese Entscheidung letztlich von Erfolg gekrönt sein. 54 9 Die Hauck & AufhäuserTop-10-Liste Ein Investment in Aktien ist immer mit ei- einem gewissen Maße einschränken. Wichtig nem Risiko verbunden. Es gibt viele Ereig­ ist zum Beispiel eine solide Bilanz mit einer nisse, die den Wert einer Aktie negativ beein- hohen Eigenkapitalquote und geringer Netto- flussen können. Unter den Markterwartungen verschuldung oder gar einer positiven Netto- liegende Geschäftszahlen, eine Dividenden- liquidität. Eine hohe und in der Vergangen- kürzung, falsche operative Entscheidungen, heit kontinuierliche Dividendenzahlung ist um nur eine kleine Anzahl von Einflussfakto- ebenso ein wichtiges Kriterium. Weiterhin ist ren zu nennen, können den Aktienkurs des die operative Stärke zu beobachten. Wie wer- Unternehmens direkt beeinflussen. Aber den sich die Gewinne in den nächsten Jahren auch nachlassende Makrodaten, wie beispiels- entwickeln, und wo steht das Unternehmen weise enttäuschende Einkaufsmanagerindi- relativ zu seinen Wettbewerbern? Als letztes zes oder steigende Deflationsraten, haben auf Kriterium sollte die geografische Verteilung die Aktienmärkte allgemein eine negative der Umsätze dienen. Je höher die geografi- Auswirkung. sche Diversifikation, desto weniger Absatz­ risiken wird sich ein Unternehmen ausgesetzt Auf der anderen Seite beinhaltet die Anlage in sehen. Dabei sollte der Fokus auf den asiati- Aktien natürlich auch Chancen. Chancen, die schen Märkten liegen, da dort auch in den man sich auf lange Sicht nicht entgehen lassen kommenden Jahren höhere Wachstumsraten sollte. Denn es spricht langfristig viel für die zu erwarten sind. Anlage in Aktien. Als verbriefter Anteil eines Unternehmens ist eine Aktie eine Sachinvesti- Bei der Entscheidung nach diesen Kriterien tion und bietet somit einen gewissen Schutz gilt: je länger der Anlagehorizont, desto strik- vor Inflation. Weiterhin profitiert der Anleger ter sollte man diese Vorgaben umsetzen. Bei neben dem Wertzuwachs von den Ausschüt- einem kürzeren Anlagehorizont kann man tungen. Viele Unternehmen schütten derzeit die Kriterien auch bis zu einem gewissen Maß Dividenden aus, die eine höhere Rendite als aufweichen. Ist zum Beispiel ein Unterneh- Unternehmensanleihen bieten. men dabei, überzeugende Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten, kann dies eine Chancen und Risiken liegen bei Aktien somit spannende Investition darstellen – auch wenn relativ nahe beieinander. Bei der Auswahl etwa die Verschuldungsquote noch relativ von Aktien kann man jedoch die Risiken zu hoch ist. 55 Langfristig spricht viel für die Anlage in Aktien. 9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e In diesem Kapitel möchten wir eine Auswahl der Dividende (im Jahr 2011 wurden 2,50 an Aktien vorstellen, die unserer Meinung Euro je Aktie gezahlt) ist aufgrund der wei- nach ein interessantes Investment darstellen. terhin soliden Bilanz möglich. BASF BHP Billiton BASF ist eines der größten Chemieunterneh- BHP Billiton ist eines der größten Bergbau- men der Welt. Mit rund 370 Produktions­ unternehmen der Welt mit einem breit diver- standorten in 80 Ländern ist das Unterneh- sifizierten Portfolio an Rohstoffen. Dazu ge- men global aufgestellt. BASF ist in sechs hören zum Beispiel Eisenerz, metallurgische Bereichen tätig: Chemicals, Plastics, Perfor- Kohle, Nickel, Aluminium und Erdöl. Dabei mance Products, Functional Solutions und wird die gesamte Wertschöpfungskette abge- Agricultural Solutions. Mit der Tochter Win- deckt. Von der Exploration über die Be- und tershall ist das Unternehmen zudem erfolg- Verarbeitung der Rohstoffe bis hin zum Ver- reich im Öl- und Gasgeschäft tätig. kauf ist das Unternehmen aktiv. Ein wichtiger Wettbewerbsvorteil ist das so- In den vergangenen Quartalen konnte BASF mit seinen Zahlen überzeugen. genannte Verbundprinzip. In jedem der sechs In den vergangenen Monaten verlief der Ak- Verbundstandorte werden Produktionsanla- tienkurs seitwärts. Grund dafür war das in gen, Energiefluss und Infrastruktur mitein- den letzten Quartalen nachlassende Wirt- ander vernetzt. So dienen beispielsweise Ne- schaftswachstum in China, einem wichtigen benprodukte der einen Fabrik der anderen als Markt für BHP Billiton. Im nächsten Jahr Einsatzstoff. Somit können Ressourcen, sollte sich die Konjunktur aber wieder ver- Energie und Logistikkosten gesenkt werden. bessern. Während für China in diesem Jahr Ebenfalls ein Vorteil ist das eigene Ölgeschäft. ein Wachstum von rund 7,5 Prozent prognos- Damit ist BASF gegen steigende Rohölpreise tiziert wird, sollen es im Jahr 2013 wieder abgesichert. über 8 Prozent sein. Dies wird auch positive Auswirkungen auf die Rohstoffnachfrage ha- In den vergangenen Quartalen konnte BASF ben. Daher ist ein Investment in ein Unter- jedes Mal mit seinen Zahlen überzeugen. Da- nehmen aus einem frühzyklischen Sektor bei ist der Produktmix ein entscheidender zum jetzigen Zeitpunkt eine Überlegung Vorteil. Während im derzeitigen konjunktu- wert. Außerdem bietet das Unternehmen bei rell schwachen Umfeld das Chemiegeschäft den derzeitigen Aktienkursen eine Dividen- nur noch leicht wächst, können die Bereiche denrendite von immerhin rund 3,5 Prozent. Agrar sowie Öl und Gas stärker zulegen. Weiterhin ist die Dividendenrendite von rund 4 Prozent hervorzuheben, sogar eine Erhöhung 56 9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e nach Coca-Cola Logistikdienstleistungen (Amazon, Ebay, etc.) immer mehr zunimmt. Durch Coca-Cola ist der weltgrößte Softdrinkherstel- neue Portopreisregelungen und das anhal- ler. Neben den Hauptmarken Coca-Cola, Fan- tend starke Paketgeschäft sollte sich das klas- ta, Sprite, Frutopia und Minute Maid produ- sische Briefgeschäft trotz der zunehmenden ziert das Unternehmen auch Konzentrate, Substitution durch E-Mails stabilisieren kön- Wasser, Tee und Sportgetränke. Erst kürzlich nen. In den vergangenen Jahren ist die Deut- wurde Coca-Cola von Interbrand zur wert- sche Post durch das Generieren von hohen vollsten Marke – gefolgt von McDonalds – ge- Mittelzuflüssen (freier Cashflow) aufgefal- wählt. Der größte Markt sind die USA (rund 55 len. Dementsprechend wurde die Dividende Prozent des Absatzes). Dennoch ist der Geträn- kontinuierlich gesteigert. Die Dividenden- kehersteller in über 200 Ländern vertreten und rendite beläuft sich inzwischen auf über somit geografisch hervorragend diversifiziert. 4,5 Prozent. Zuletzt hatte sich in den Geschäftszahlen die ENI Zurückhaltung der Verbraucher (Wechsel zu günstigeren Produkten vor allem in Europa) Der italienische Öl- und Gaskonzern gehört gezeigt. Dieser Effekt sollte im nächsten Jahr zu den größten Energieunternehmen in Eu- bei zunehmendem Wirtschaftswachstum ab- ropa. Dabei wird die gesamte Wertschöp- flachen. Zudem profitiert Coca-Cola von den fungskette von der Suche und Förderung von derzeit nachgebenden Rohstoffpreisen. Öl und Gas, der Verarbeitung, dem Vertrieb und dem Transport abgedeckt. Zudem ist das Deutsche Post Unternehmen in der Stromerzeugung tätig. Die Deutsche Post gehört weltweit zu den Zuletzt konnte ENI mit guten Zahlen aufwar- führenden Logistikunternehmen. Der Kon- ten. Vor allem die schnelle Wiederaufnahme zern bietet ein breites Spektrum an integrier- der Ölförderung in Libyen wirkt sich positiv ten Dienstleistungen und maßgeschneider- aus. Zudem konnte das Unternehmen durch ten Lösungen für das Management und den Verkäufe von Randaktivitäten (das italieni- Transport von Briefen, Waren und Informa- sche Gasversorgungsunternehmen Snam und tionen an. Zu den Stärken des Unternehmens das portugiesische Ölunternehmen Galp) gehört die starke internationale Aufstellung. die Verschuldungsquote zurückfahren. Das In wichtigen Schwellenländern wie China Gearing (Nettoverbindlichkeiten/Eigenkapi- und Indien ist die Deutsche Post Marktfüh- tal) liegt bei soliden 31 Prozent. Im nächsten rer. Dabei profitiert das Unternehmen vom Jahr sollte ENI von einem wieder zunehmen- Megatrend Internet, durch den die Nachfrage den weltweiten Rohstoffhunger profitieren 57 Auch als Dividendenwert ist ENI interessant. 9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e können. Auch als Dividendenwert ist ENI in- Intel teressant. Das Unternehmen bietet derzeit eine attraktive Dividendenrendite von rund Intel ist ein weltweit führender Hersteller von 6 Prozent. Halbleiterprodukten. Das Produktportfolio umfasst dabei mehrere Produktarten: Mikroprozessoren, Motherboards, Chipsets und Fresenius Wireless- und Wired-Connectivity-Produk- Die Bilanz von INTEL ist als sehr solide einzustufen. Fresenius ist ein diversifizierter Medizintech- te. Da Entwicklung, Fertigung und Vermark- nik- und Gesundheitskonzern. Mit den Töch- tung vom Unternehmen getätigt werden, ist tern Fresenius Kabi (100 Prozent) und Frese- die Wertschöpfungstiefe enorm. Intel zeich- nius Vamed (77 Prozent) bietet das Unter­ - net sich seit Jahren durch hohe Margen nehmen Produkte und Dienstleistungen für (EBITDA-Marge > 40 Prozent) und einen ho- Krankenhäuser und die häusliche medizini- hen Umsatzanteil im Wachstumsmarkt Asien sche Versorgung an. Fresenius Helios (100 aus. Auch die Bilanz ist als sehr solide einzu- Prozent) operiert als Krankenhausbetreiber. stufen. Gleichzeitig ist Fresenius mit 31 Prozent an der ebenfalls im Dax gelisteten Fresenius Me- Die Entwicklung des Aktienkurses war von dical Care beteiligt, die hauptsächlich im Dia- der in den vergangenen Quartalen nachlas- lysegeschäft tätig ist. Diesem Bereich wird in senden PC-Nachfrage geprägt. Zudem meh- den nächsten Jahren eine zunehmende Be- ren sich die Berichte, dass Großkunde Apple deutung beigemessen. Schätzungen zufolge in Zukunft eigene Chips herstellen will. wird sich die Zahl der Dialysepatienten bis Gleichzeitig hat Microsoft angekündigt, seine 2020 um rund 70 Prozent erhöhen. neue Tablet-Generation nicht nur für IntelChips, sondern auch für Chips des Wettbe- Ein anderer Wachstumsbereich sollte in den werbers ARM kompatibel zu machen. Den- nächsten Jahren das Krankenhausgeschäft noch könnte die Aktie für den Anleger mit sein. Weitere Übernahmen von öffentlichen einer höheren Risikoneigung sehr aussichts- Krankenhäusern durch Fresenius Helios sind reich sein. Intel arbeitet derzeit mit Hoch- wahrscheinlich. Die Privatisierungen sind druck an der „Schrumpfung“ seiner Chips. das Ergebnis der immer schwieriger werden- Bereits auf der Technologiemesse in Las Ve- den Finanzierung von Krankenhäusern gas im Januar könnte das Unternehmen durch die öffentliche Hand. Zusätzliches Po- Branchenkennern zufolge einen Chip vor- tenzial sieht Fresenius auch in den Schwellen- stellen, der aufgrund seiner geringen Größe ländern. Deren Anteil am Umsatz macht der- stromsparend ist (damit könnte der Vorteil, zeit 30 Prozent aus und soll in den nächsten den ARM durch seine Chiparchitektur er- Jahren stetig gesteigert werden. zielt, kompensiert werden) und dennoch 58 9 D i e H & A - T o p - 1 0 - Li s t e mehr Leistung als die Konkurrenzprodukte Markt/Saturn haben viele Investoren aus dem hat. Dies sollte sich positiv auf den Aktien- Wert getrieben. Die Herabstufung aus dem kurs auswirken. deutschen Leitindex Dax in den M-Dax war der traurige Höhepunkt dieser Entwicklung. LVMH Die letzten Quartalszahlen haben aber in die Der französische Konzern ist ein weltweit richtige Richtung gezeigt. Während die Prob- führendes Unternehmen in der Luxusgüter- leme bei Real und Media-Markt/Saturn durch industrie. LVMH verfügt über ein Portfolio weiter sinkende Ergebnisbeiträge weiterhin von 60 Premiummarken, darunter Namen deutlich sind, überraschte das starke Cash- wie Hennessy, Kenzo, Christian Dior, Given- &-Carry-(MCC)-Geschäft. Insbesondere in chy, Ruinard, Tag Heuer, Guerlain, Fendi, Russland und China konnte MCC deutlich Bulgari, Hublot etc. Diese Marken werden zulegen. weltweit in über 3.000 Geschäften vertrieben. LVMH ist in allen wichtigen Bereichen ver- Insgesamt betrachten wir Metro als eine Re- treten: Weine und Spirituosen, Mode und Le- strukturierungsstory. Metro wird das Wachs- derprodukte, Parfums und Kosmetik sowie tum in Osteuropa (inklusive Russland) und Uhren und Schmuck. China weiter forcieren. Zudem sollte durch den Verkauf von Grundstücken und unrentab- Die hohe Produktdiversifikation und der Be- len Cash-&-Carry-Märkten Geld in die Kasse kanntheitsgrad der Marken machen das Un- gespült werden, das zum einen in die Restruk- ternehmen relativ unabhängig von konjunk- turierung gesteckt werden wird und zum an- turellen Schwankungen. So konnte LVMH in deren die Nettoverbindlichkeiten reduzieren diesem Jahr seine Umsätze selbst im wirt- sollte. Auch für Real ist eher kurzfristig – schaftlich geschwächten Europa steigern. Bei wahrscheinlich schon im laufenden vierten einem zunehmenden Wirtschaftswachstum Quartal – mit einer Lösung zu rechnen. Da für im wichtigen Absatzmarkt China im nächs- Real hohe Investitionen bei gleichzeitig negati- ten Jahr sollte LVMH seine Umsätze und Ge- ven Cashflows nötig wären, stellt ein Verkauf winne weiter steigern können. ein wahrscheinliches Szenario dar. Metro Nestlé Die Aktienkursentwicklung der vergangenen Nestlé ist der weltgrößte Nahrungsmittel­ zwei Jahre war eine Enttäuschung. Stagnieren- konzern. Die Produktpalette reicht von Tief- de Umsätze sowie Margen und anhaltende kühl- und Milchprodukten über Süßwaren, Probleme bei den Töchtern Real und Media- Kindernahrung, pharmazeutische Produkte 59 LVMH konnte 2012 seine Umsätze selbst im wirtschaftlich geschwächten Europa steigern. 9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e und Haustierbedarf bis hin zu Getränken. Marke Senseo) sehr erfolgreich positionieren. Derzeit befindet sich Nestlé in einer strategi- Neben der hohen geografischen Diversifizie- schen Neuausrichtung hin zu Nutrition, also rung sprechen die starken Marken (Nestlé, gesundheitsbewusster Ernährung. Dies ist Perrier, Kitkat, Nescafé, Buitoni, Nestea, ein zunehmender Trend in den Industrielän- Maggi, Häagen-Dazs etc.) für das Unterneh- dern und in Entwicklungsländern, deren men, da aufgrund der hohen Bekanntheit Mittelschicht stark wächst. Das Unterneh- und Qualität Rohstoffpreissteigerungen rela- men erkennt frühzeitig neue Megatrends in tiv schnell an die Endverbraucher weiterge- der Ernährungsindustrie, daher positioniert reicht werden können. Damit sichert sich sich das Unternehmen frühzeitig im Bereich Nestlé anhaltend hohe und stabile Margen. Functionalfood. Auch am Markt für Kaffee- Gleichzeitig bietet das Unternehmen eine Di- Pads/-Kapseln konnte sich Nestlé als „Second vidende von über 3 Prozent. Seit 2008 wurde Mover“ („First Mover“ war Philips mit der die Dividende kontinuierlich gesteigert. 60 10 Asset Allocation: neue Paradigmen an den Kapitalmärkten Seit rund 300 Jahren gibt es kurzfristige Die niedrigen Zinsen sind gekommen, Schatzpapiere im Vereinigten Königreich, seit um zu bleiben über 400 Jahren lang laufende Staatspapiere der Niederlande. Trotz der für die Kapital- Drei Entwicklungen sind ausschlaggebend märkte gewaltigen Vergangenheit haben die dafür, dass es sich nicht um ein vorüber­ Papiere heute eine Gemeinsamkeit: Die aktu- gehendes Phänomen handelt, sondern dass ellen Renditen sind so niedrig wie noch nie. die niedrigen Zinsniveaus die Periode nach Und wenn die Notenbanken dieser Welt ihre der Finanz- und Staatsschuldenkrise auch Politik nicht ändern, werden sie auch weiter- weiterhin prägen werden: hin so niedrig bleiben. 1.Für niedrige Zinsen spricht die schwache Dieser Umstand kippt alle langfristigen Ren- Konjunktur, die durch die notwendigen diteannahmen. Wenn Staatsanleihen weiter- Strukturanpassungen und die restriktive hin im Niedrigzinsumfeld verharren, werden Finanzpolitik gebremst wird. auch Aktien bei einer Risikoprämie von 4 bis 5 Prozent insgesamt nur einen Ertrag von 2. Die expansive Geldpolitik der außer­ 6 bis 7 Prozent pro anno abwerfen. Eine alter- gewöhnlichen Maßnahmen wird fortge- native Herleitung des langfristigen Returns führt und vielleicht sogar noch ausgeweitet für Aktien kann auch über die Formel Divi- werden. Denn nach wie vor besteht die Not- dendenrendite plus Wachstum plus Inflation wendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Fi- erfolgen. Aber auch hier gilt: In einem Um- nanzsystems zu stützen und die Finanzie- feld, in dem alle Regierungen der Industrie- rung der Staaten zu sichern; während nationen und die Privathaushalte strukturell gleichzeitig die schwache Konjunktur und sparen müssen, ist nicht mit hohen Wachs- die gestörten geldpolitischen Transmissi- tumsraten zu rechnen. Die Banken- und onsmechanismen inflationsfreien Spielraum Staatsschuldenkrise hat die internationalen hierfür eröffnen. Finanzmärkte im Zeitraffer durch einen gravierenden Strukturwandel katapultiert – mit 3. An den Märkten für Staatsanleihen hat das entsprechenden Herausforderungen für die Angebot sicherer Anlageklassen ab-, gleich- Vermögensanlage. zeitig aber die Nachfrage nach selbigen zu61 Bei anhaltenden Niedrigzinsen stehen alle langfristigen Renditeannahmen auf der Kippe. 1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n genommen. Das treibt die Preise der als si- vor allem hypothekenbesicherte Anleihen, cher empfundenen Staatspapiere und lässt sogenannte Mortgage-backed Securities. Seit ihre Renditen sinken. September 2011 versucht die Fed durch Umschichtungen im Staatsanleiheportefeuille – Schon bisher war die Geldpolitik ein wesent- den Austausch von Papieren mit kurzen Lauf- licher Grund für das Niedrigzinsumfeld, und zeiten (unter drei Jahren) durch solche mit sie dürfte es weiterhin bleiben. Denn die No- Laufzeiten von mindestens sechs Jahren – die tenbanken gerade der großen Industrieländer langfristigen Renditen zu dämpfen. ziehen alle Register, um den volkswirtschaft- Die Geldpolitik war schon bisher ein wesentlicher Grund für das Niedrigzinsumfeld, und sie dürfte es weiterhin bleiben. lichen Krisensumpf trockenzulegen und ins- Die EZB verfolgte zunächst einen etwas an- besondere in Europa den Finanzsektor zu deren Ansatz. Da der EU-Vertrag die Staats­ stabilisieren. Dabei ist das traditionelle Instru- finanzierung durch die Notenbank verbietet, mentarium der Zentralbanken, speziell die sind „endgültige“ Offenmarktgeschäfte der Zinspolitik, weitgehend ausgeschöpft. Der EZB in Staatsschuldtiteln umstritten. Darü- Einlagensatz der EZB, der die Zinsuntergren- ber hinaus ist das Finanzsystem in der EWU ze am Tagesgeldmarkt markiert, wurde im anders als in den angelsächsischen Ländern Sommer 2012 von 0,25 Prozent auf null ge- sehr stark bankenorientiert. Außerdem hat senkt. Die amerikanische Fed und ebenso die die Schuldenkrise zu einem Rückzug der An- Bank of Japan halten den Tagesgeldsatz seit leger – institutioneller ebenso wie privater – Ende 2008 bei knapp über null, die Bank of in die nationalen Märkte geführt. Die damit England hat den Leitzins seit Frühjahr 2009 verbundenen Mittelabflüsse aus den Krisen- bei 0,5 Prozent eingefroren. regionen haben den Refinanzierungsbedarf der dortigen Banken massiv ansteigen lassen. Die Zentralbanken haben deshalb ihren Die Geldpolitik der EZB konzentrierte sich Werkzeugkasten durch weitere nichtkonven- darauf, mithilfe von in der Höhe unbegrenz- tionelle Instrumente ergänzt. Fed, Bank of ten, aber zu besichernden Refinanzierungs- England und Bank of Japan setzen vor allem krediten die Banken liquide zu halten. Tat- auf Wertpapierkäufe. Die US-Notenbank bei- sächlich hat die EZB im Verlauf der Krise spielsweise hat ihr Bilanzvolumen durch der- zusätzliche artige Käufe in den vergangenen vier Jahren nächst mit ein-, sechs- und zwölfmonatiger auf 2.900 Milliarden US-Dollar verdreifacht. Laufzeit angeboten, später dann, im Dezem- Auf der Aktivseite der Notenbankbilanz be- ber 2011 und Februar 2012, zwei Geschäfte finden sich mittlerweile Wertpapiere im Wert mit dreijähriger Laufzeit. Mit einem Gesamt- von rund 2.600 Milliarden US-Dollar, von de- volumen von mehr als 1 Billion Euro bilden nen etwa 1.650 Milliarden US-Dollar US- diese beiden „superlangen“ Tender derzeit Staatstitel sind. Den Rest des Bestandes bilden den mit Abstand wichtigsten Teil der Liquidi62 Refinanzierungsgeschäfte zu- 1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n tätsausstattung des Bankensystems in der Staatsanleihen am Sekundärmarkt ohne be- EWU. tragsmäßige Begrenzung vorsieht. Die in Aussicht gestellten Käufe verfolgen den Zweck, die Ein Ende der extrem expansiven Geldpolitik Renditeunterschiede zwischen der deutschen in den Industrieländern ist nicht absehbar. Benchmark-Anleihe Im Gegenteil: Die Zentralbanken intensivie- Staatsanleihen bestimmter Krisenstaaten zu ren ihre Bemühungen. Die Fed hatte wieder- begrenzen. Da die Notenbank vor allem auf holt ihre Absicht bekundet, den geldpoliti- die Re-Integration der Geldmärkte in der schen Kurs bis mindestens Ende 2014 EWU abzielt, will sie ihre Interventionen auf beibehalten zu wollen. Angesichts der hohen Anleihen mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren und, so Fed-Chef Ben Bernanke, nur „frust- begrenzen. und vergleichbaren rierend langsam“ sinkenden Arbeitslosigkeit hat die US-Notenbank zum einen eine Ver- Voraussetzung für das Eingreifen der EZB am längerung dieses Zeitraums bis mindestens Sekundärmarkt ist allerdings, dass sich die Mitte 2015, zum anderen weitere Wertpapier- entsprechenden Staaten in einem vollen An- käufe (QE3) beschlossen. Während die bishe- passungsprogramm befinden oder die Unter- rigen Ankaufprogramme betragsmäßig und stützung durch den EFSF beziehungsweise zeitlich begrenzt waren, plant die Notenbank den ESM bei Interventionen am Primärmarkt nun – bis auf Weiteres –, monatlich Mortga- in Anspruch nehmen. Damit wird sicherge- ge-backed Securities der Agencies (vor allem stellt, dass ein durch die Anleihekäufe der Fannie Mae, Freddie Mac) in Höhe von 40 EZB begünstigter Staat entsprechenden Haus- Milliarden US-Dollar zu erwerben. Sie will haltskontrollen und Anpassungsprogrammen dieses Programm beibehalten oder sogar er- unterworfen ist. Ein vorangehender Beschluss gänzende Maßnahmen ergreifen, sollte es des EU-Rates über ein Hilfsprogramm ver- nicht zu einer substanziellen Verbesserung leiht dem Eingreifen der EZB darüber hinaus der Arbeitsmarktaussichten kommen. auch eine zusätzliche Legitimität. Auch die EZB hat sich im Sommer 2012 ange- Letztlich geht es bei all diesen Maßnahmen sichts der Verschärfung der Krise in Spanien darum, der Politik die notwendige Zeit zu und Italien und zunehmender gesamtwirt- kaufen, um notwendige Anpassungen in den schaftlicher Unsicherheiten dazu durchgerun- Staatshaushalten und den Wachstumsmodel- gen, ihren Therapieansatz zu erweitern. An- len der jeweiligen Volkswirtschaften vorzu- fang September beschloss der EZB-Rat das nehmen. Ein gewisser Anstieg der Inflations- Outright-Monetary-Transactions-Programm erwartungen wird dabei sicherlich in Kauf (OMT), das – im Unterschied zu den üblichen genommen. Repo-Geschäften – „endgültige“ Käufe von 63 Die geldpolitischen Interventionen erkaufen der Politik Zeit für notwendige Strukturreformen. 1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n Vermögensanlage in Zeiten niedriger Vergleich zum Rentenmarkt der bessere Renditen Markt zur Investition. Hinzu kommt die Attraktivität der Dividendenrendite, die an den Der oben beschriebene strukturelle Wandel großen Aktienmärkten im Schnitt bei circa hat weitreichende Konsequenzen für die Ver- 3 Prozent und damit schon deutlich über den mögensanlage. Die langfristigen Rendite­ Renditen der Rentenmärkte liegt. annahmen für die klassischen Anlageklassen Aktien und Renten haben sicherlich niedri- Dieses neue Umfeld zwingt uns, traditionelle ger zu sein als in der Vergangenheit. Die No- Anlagestrategien kritisch zu prüfen und dem tenbanken halten die Zinsen niedrig, was zu neuen Umfeld anzupassen. Marktabhängiges niedrigen Returns am Rentenmarkt führt. Investieren mit dem Ziel einer relativen rea- Allein dies senkt auch die Erwartungen am len beziehungsweise nominalen Rendite galt Aktienmarkt. Zugleich führen die Sparzwän- lange Zeit als Königsweg. Die Basis dieser In- ge der Industrienationen und der privaten vestmentstrategie entstand in den 80er-Jahren Haushalte langfristig zu niedrigerem Wachs- und wurde in den 90er-Jahren untermauert. tum und niedrigen Aktienreturns. Hinzu In diesen Marktphasen konnten sich die An- kommt die durch einen Anstieg der Inflati- leger auf sehr auskömmliche Renditen an den onserwartungen bedingte Notwendigkeit, Aktien-und Rentenmärkten verlassen. Das sich perspektivisch auf Realrenditen zu fo- klassische „Buy-&-Hold“ wurde zur Philoso- kussieren. phie einer ganzen Generation. André Kostolanys Maxime „Aktien kaufen, Schlaftablet- Trotz der hohen Volatilität des vergangenen Jahrzehntes ist der Aktienmarkt im Vergleich zum Rentenmarkt der bessere Markt zur Investition. In Zeiten steigender Inflationserwartungen ten nehmen und sich später über die Rendite sind Staatsanleihen keine gute Anlageklasse freuen!“ war damals durchaus sinnvoll. Doch gewesen. Aktien dagegen können in modera- der Börsenguru hat die Abstürze der Jahre ten Inflationszeiten positive Realrenditen ge- 2001 und 2008 nicht mehr erlebt. Wer heute nerieren und schlagen dabei auch die Staats- sein Depot über Jahrzehnte unbeobachtet papiere. Allerdings fallen bei steigenden lässt, läuft Gefahr, viel Geld zu verlieren. Inflationsraten die Realreturns; diese sind also negativ korreliert mit den Inflations­ Bei der Performancemessung orientieren sich raten. Ab einer Inflationsrate von circa 7 Pro- viele institutionelle und auch private Anleger zent pro anno werden die Aktienmarkt­ gewohnheitsmäßig an Benchmarks – zum returns real sogar negativ. Beispiel am Deutschen Aktienindex Dax oder am europäischen Euro-Stoxx. Solche „Mess- Dieses Szenario erwarten wir allerdings nicht. latten“ sind zwar häufig durch eine reine Daher ist der Aktienmarkt trotz der hohen Marktkapitalisierung mehr oder weniger Volatilität des vergangenen Jahrzehntes im willkürlich. Dennoch gelang es den Fonds64 1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n managern, die Abweichungen immer weiter die Zahl potenzieller Verkäufer ist dadurch zu verringern. Mit der Folge, dass sich die geringer geworden. Das bietet Schutz vor Renditen den Indizes immer mehr annäher- groß angelegten Verkaufswellen. In einer ten – anstatt sie durch kluges aktives Manage- mittelfristigen Perspektive eröffnet das ge- ment zu übertreffen. Die Enttäuschung war genwärtige Umfeld reichlich Chancen, in programmiert. den Besitz von Aktien zu gelangen, die sich durch Ertrags- und Dividendenstärke so- Seit der Asienkrise 1997 herrscht am Aktien- wie hohe Bilanzqualität auszeichnen. markt eine sehr hohe Volatilität. Die Kurse bewegen sich überwiegend seitwärts, ohne • Auf den Rentenmärkten bleibt die „Suche dass nennenswerte Erträge abfallen. In der nach Rendite“ das beherrschende Thema. Finanzbranche spricht man von einer „Low- Geringes Wachstum, kaum Inflation und Return-Welt“. Erschwerend kommt hinzu, Leitzinsen nahe der Nullgrenze sind nicht dass sich die Zyklen beschleunigen: Finanz- die Zutaten, die die Renditen nach oben krisen, die bislang alle einhundert Jahre auf- treiben. Bedenken sollte man, dass Staats- traten, finden nun im 10-Jahres-Rhythmus anleihen keine per se sichere Anlage mehr statt. Am Rentenmarkt sind „Buy-&-Hold“- sind. Anleihen von Unternehmen mit soli- Strategien bei einer 10-Jahres-Rendite von der Bilanz und nachhaltigem Geschäfts- deutschen Bundesanleihen von 1,5 Prozent modell bieten sich als Alternative an. und einer Realrendite von –0,5 Prozent ebenfalls nicht besonders attraktiv. • Diversifikation ist ein oft zitiertes, dennoch meist unterschätztes Instrument. Wie man sieht, bewegen sich die Märkte. Das Grundsätzlich geht es darum, ein Invest- heißt auch, dass alte Gewissheiten nicht mehr ment über verschiedene Anlageklassen, wie gelten. Denn was gestern richtig war, kann Aktien, Renten, Immobilien oder Rohstof- heute Gefahren bergen. Nur wer auf das sich fe, zu streuen. Im Detail kommt es dann auf verändernde Umfeld angemessen reagiert, die jeweiligen Anteile, die entsprechenden kann künftig erfolgreich sein. Was sollte ein Korrelationen und die Investmentstile an. Investor jetzt beachten? Denn hierüber werden Risiko und Performance gesteuert. • Die Aktienmärkte sind heute fraglos güns- tig bewertet. Allerdings setzen die Unwäg- • An ein Denken in einem globalen Kontext barkeiten der staatlichen Überschuldungs- kommt aufgrund der niedrigen Renditen krise dem Markt immer wieder zu. Viele niemand mehr vorbei. Wenn früher eine institutionelle Investoren haben ihre Akti- Singapur- oder Norwegenanleihe in einem enbestände bereits zusammengestrichen, Privatkundendepot als exotisch und riskant 65 Traditionelle Anlagestrategien müssen kritisch geprüft und dem neuen Umfeld angepasst werden. 1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n angesehen wurde, dürfen aus heutiger Sicht Emittent und Währung als solide gelten. Den Ausschlag dafür geben Verschuldungssituation und Wachstumsaussichten der jeweiligen Länder. Die Finanzlage der Industrienationen wird das Anlegerverhalten künftig weiter verändern und die globale Aufstellung eines Vermögens forcieren. Besonders die Emerging Markets sollten dabei ein größeres Gewicht bekommen. • Basis aller Entscheidungen ist und bleibt die ausführliche Fundamentalanalyse von Märkten und Einzeltiteln. Nicht nur wir sind davon überzeugt, dass in erster Linie die Über- und Unterbewertung eines Marktes die Performance treibt. 66 11 Zum Schluss – die Wetteraussichten Wetterprognosen haben Investoren bislang Als neue Assetklasse bieten sie den fortschritt- immer nur dann interessiert, wenn Stürme lichen Investoren noch gute Renditen und hohe oder Unwetter die konjunkturelle Entwick- Cashflows – mit oder ohne die Unterstützung lung gebremst haben oder daraus besondere durch eine staatliche Förderung. Als Invest- Einflüsse auf Aktien aus spezifischen Bran- ments mit ganz neuem Risiko- und Ertrags- chen, wie Versicherungsgesellschaften oder profil bieten sie hervorragende Diversifika­ der Bauwirtschaft, abzuleiten waren. tionsmöglichkeiten, wie sie die gängigen Assetklassen kaum aufweisen. Als direkte Folge Neuerdings schauen jedoch immer mehr ins- einer neuen und ökologischen Energiepolitik titutionelle Investoren auf Windprognosen sind Infrastrukturprojekte im Bereich erneuer- oder die Aussichten auf sonniges Wetter. Der barer Energien zudem auch bei Investoren mit Grund: Sie haben in Infrastrukturprojekte, Nachhaltigkeitsanspruch beliebt. wie Wind- oder Solarparks, investiert, deren Rentabilität direkt vom Aufkommen dieser Was verbirgt sich hinter der neuen Energieformen abhängen. Assetklasse? Die Motive für Infrastrukturinvestments Um das breite Spektrum an Infrastruktur­ investments zu klassifizieren, bietet die Un- Viele Marktuntersuchungen belegen, dass es terscheidung nach Sektoren einen ersten An- mittlerweile kaum noch institutionelle Anleger haltspunkt: gibt, die sich nicht mit Infrastruktur beschäftigen. Motiviert dazu werden sie durch die der- Transport: zeit niedrigen Zinsen und/oder hohen Risiken zum Beispiel Mautstraßen, Brücken, anderer Anlageformen. Infrastrukturinvest- Schienennetze, Häfen oder Parkhäuser ments werden hingegen in mehrfacher Hinsicht als attraktiv gesehen. Als sogenannte Kommunikation: „Real Assets“ versprechen sie eine gewisse zum Beispiel Kabel-, Mobilfunk oder Wertbeständigkeit und sicherere Cashflows – Satellitennetze insbesondere in Zeiten ansteigender Inflation. 67 11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten Soziales: sind nur etwas für risikofreudige und erfah- zum Beispiel Krankenhäuser, Schulen, rene Anleger. So werden – ähnlich wie bei Seniorenwohnraum Venture-Capital-Anlagen – erst einige Zeit und Investitionsmittel verbraucht, ehe solche Energie und Versorgung: Investments Cashflows abwerfen. Dann bie- zum Beispiel Elektrizitätserzeugung und -ver- ten sie jedoch auch die attraktivsten Rendi- teilung, insbesondere für erneuerbare Energie ten. Hingegen haben Projekte in der Bauphase schon einen höheren Sicherheitsgrad sowie Gerade die Letztgenannten – Projekte im Be- einen geringeren Zeit- und Investitions­ reich erneuerbarer Energien – finden derzeit bedarf. Schließlich sind bei Anlagen in der die größte Aufmerksamkeit. Der intensive Betriebsphase (sogenannte Brownfield-Anla- Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Ener- gen) die meisten Risiken überschaubar, zumal gien (Biomasse, Geothermie, Wasserkraft, sie schon vom Start weg positive Cashflows Solar oder Windkraft) verbunden mit dem erwirtschaften. Den Anleger interessiert da- Trend zur privaten Finanzierung hat eine bei der reibungslose Betrieb ohne außerplan- große Bandbreite an Investitionsmöglichkei- mäßige Störungen oder Wartungskosten. ten und -chancen eröffnet. Wenn diese Risiken zudem von den technischen Betreibern der Anlagen abgesichert Ein anderes Kriterium zur Einteilung von In- werden, ähnelt ein derartiges Investment frastrukturengagements ist der Investment­ stark dem in Corporate Bonds. ansatz: Immobilieninvestoren sind mit einer derarti• entweder in Form von „Buy-&-Hold“ – gen Einteilung nach Investitionsphasen bes- also dem Betrieb risikoarmer Anlagen zum tens vertraut. Der wesentliche Unterschied zu Erzielen stabiler Renditen während der ge- Infrastrukturprojekten ist meist, dass bei die- samten Projektlaufzeit sen in der Regel die Nutzungsdauer terminiert ist und kein Endwert angesetzt wird. Alterna- • oder in Form von „aktivem Management“ tiv sehen einige Investoren in Infrastruktur- – also der Akquisition, Entwicklung und projekten aber auch eine starke Ähnlichkeit dem Verkauf von Anlagen zur Erzielung zu Private Equity – zumal das wirtschaftliche hoher Wertsteigerungen. Risiko letztlich doch beim Eigenkapitalgeber solcher Anlagen verbleibt und darüber hinaus Manche Investoren unterscheiden nach den auch die Liquidierbarkeit solcher Investments Projektphasen und damit nach unterschiedli- noch stark eingeschränkt ist. chen Risiko-Rendite-Profilen. Projekte in der Entwicklung (sogenannte Greenfield-Anlagen) 68 11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten So gesehen weist diese Assetklasse Eigen- Es geht aber auch viel komplizierter: Ein In- schaften auf, wie sie viele Investoren teilweise vestor muss sich zum Beispiel zusätzlich mit auch schon von Anlagen in Immobilien, Ven- Prognosen zum Strompreis befassen, wenn er ture Capital, Private Equity, Aktien oder Cor- nicht von festen Einspeisevergütungen allein porate Bonds kennen. profitieren, sondern den Strom frei vermarkten will. Wenn er darüber hinaus auch noch Welche Prognosen braucht es für den Ertrag aus dem laufenden Betrieb oder erfolgreiche Investments? das sogenannte Repowering – also das Ersatz­ investment auf technisch neuestem Stand – Die Beurteilung der Attraktivität von Infra- optimieren will, würde ihm dies mannigfach strukturinvestments hängt davon ab, welchen Prognosen zur technischen Entwicklung bis Cashflow und welchen Wiederverkaufswert hin zur Leistungsfähigkeit der Anlagen ab- der Investor für sein Kapital erhält. Am ein- verlangen. Diese sind jedoch meist Sache von fachsten haben es dabei diejenigen Anleger, Experten. die sich in „Buy-&-Hold“-Projekten engagieren. Sie investieren bis zum Ablauf der ge- Prognosen allein reichen nicht aus planten Nutzung (das können gut 20 Jahre sein), unterstellen einen Restwert von null Angesichts der derzeitig starken Nachfrage (eventuell auch noch Kosten für Rückbau- nach Infrastrukturinvestments gilt es zu- maßnahmen), nehmen die garantierten Ein- nächst einmal, geeignete Projekte zu finden speisevergütungen und haben schließlich beziehungsweise Zugang zu ihnen zu haben. (sofern sie sich vom Betreiber zum Beispiel Ein gutes Netzwerk zu Projektmanagern oder des Wind- oder Solarparks auch noch Be- Betreibern ist dabei unabdingbar. Danach gilt triebsgarantien geben lassen) nur noch zu es nicht, nur die wirtschaftliche Entwicklung überlegen, welche Menge – sprich Wind- be- abzuschätzen, sondern auch mit technischen ziehungsweise Sonnenleistung – produziert und rechtlichen Due-Diligence-Prüfungen und verkauft werden kann. Obwohl speziali- die Nachhaltigkeit und Risiken abzusichern. sierte Wissenschaftler mit ausgeklügelten Diese Entscheidungen werden dem Anleger technischen Messungen solche langfristigen abgenommen, sofern er in einen Dachfonds Prognosen erstellen, kommt es auch dabei oder diversifizierten Infrastruktur-Einzel- natürlich immer wieder zu mehr oder weni- fonds investiert. Stattdessen muss er sich ger großen Abweichungen. Diese sind für dann aber mit der Qualität des Asset-Mana- Windkraftanlagen ungleich größer als bei So- gers und der Eignung der Anlagerichtlinien laranlagen oder Wasserkraftwerken. für seine Bedürfnisse befassen. Je mehr Einfluss der Anleger selbst über die individuelle Auswahl und Allokation von Projekten, das 69 11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten Controlling oder die Bestimmung der Rendite­ Diese Beispiele zeigen: Angesichts der Kom- erwartung sowie die Transparenz unter ande- plexität der Entscheidungen und Investment- rem der Gebühren ausüben möchte, desto schritte ist es sinnvoll, als Anleger auf die mehr empfehlen sich Direktinvestments be- Unterstützung kompetenter Partner zurück- ziehungsweise „Club Deals“. Viele institutio- zugreifen. Hauck & Aufhäuser Privatbankiers nelle Investoren nutzen dabei die vielfältigen verfügen über langjährige Erfahrung in der „Verpackungsmöglichkeiten“ nach Luxembur- Erschließung und Strukturierung derartiger ger Recht, um die Investmentobjekte optimal Infrastrukturinvestments und der langfristi- auf ihre bilanziellen, steuerlichen oder regula- gen laufenden Betreuung des Investors. Dies torischen Bedürfnisse hin zu strukturieren. kann insbesondere für jene Anleger sehr inte- Die Lösungen reichen dabei von Bondstruk- ressant sein, die erste Schritte in dieser Asset- turen bis hin zu Fonds oder Beteiligungs- klasse vornehmen und dabei aber die Asset­ strukturen. allokation der einzelnen Engagements selbst in der Hand halten wollen. Die Informationen in diesem Dokument wurden ausschließlich zu Informationszwecken für den Empfänger erstellt. Sie stellen keine Finanzanalyse i.S. des § 34b WpHG dar. Daher genügen sie nicht allen gesetzlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Unvoreingenommenheit von Finanzanalysen und unterliegen nicht dem Verbot des Handelns vor der Veröffentlichung von Finanzanalysen. Alle Angaben erfolgen unverbindlich und stellen weder eine Anlageberatung noch ein Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments dar. Die Informationen wurden sorgfältig recherchiert. Dabei wurde zum Teil auf Informationen Dritter zurückgegriffen, z. B. der vid Vereinigte Informationsdienste GmbH & Co KG. Einzelne Angaben können sich insbesondere durch Zeitablauf oder infolge von gesetzlichen Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität sämtlicher Angaben wird daher keine Gewähr übernommen. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung der Verfasser wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung der der Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA oder deren assoziierter Unternehmen dar. Sofern Aussagen über Renditen, Kursgewinne oder sonstige Vermögenszuwächse getätigt werden, stellen diese lediglich Prognosen dar, für deren Eintritt keine Haftung übernommen wird. Stand: 3. Dezember 2012 70 Impressum Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA Kaiserstraße 24 60311 Frankfurt am Main Tel. +49 69 21 61 - 0 Löwengrube 18 80333 München Tel. +49 89 23 93 - 1 Mittelweg 16 –17 20148 Hamburg Tel. +49 40 4 50 63 42 - 0 Steinstraße 1–3 40212 Düsseldorf Tel. +49 211 30 12 36 - 0 Konrad-Adenauer-Ufer 67 50668 Köln Tel. +49 221 13 93 19 - 700 Hauck & Aufhäuser Banquiers Luxembourg S.A. 23, Avenue de la Liberté 1931 Luxemburg Tel. +352 45 13 14 - 1 Hauck & Aufhäuser (Schweiz) AG Talstraße 58 8022 Zürich Tel. +41 44 220 - 1122 www.hauck-aufhaeuser.de Mitwirkende Autoren: Reinhard Pfingsten, Burkhard Allgeier, Achim Backhaus, Gregor Claussen, Bernhard Renger, Jens Wissel sowie Dr. Wolfgang Kirschner 71