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Kon j u n k t u ru n d F i na n z m a r k tBarometer
2013
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
7
Einleitung
8
1 Deutschlandkonjunktur 2012
10
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
14
3 Schuldenkrise: ökonomische Anpassungen
21
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
25
5 Geldpolitik: Einbahnstraße in die Inflation?
33
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und Chinasorgen
37
7 Deutschlandprognose 2013
45
8 Anlagepolitik 2013
49
9 Die Hauck & Aufhäuser-Top-10-Liste
55
10 Asset Allocation: neue Paradigmen an den Kapitalmärkten
61
11 Zum Schluss – die Wetteraussichten
67
5
Vorwort
2012 war insgesamt ein zufriedenstellendes Jahr. Die deutsche Wirtschaft zeigte Selbstvertrauen
und Wachstum und konnte den widrigen Rahmenbedingungen trotzen. Auch wenn sich im vierten Quartal das Konjunkturklima eintrübte, nimmt Deutschland im Euroraum weiterhin eine
Sonderstellung ein. Derzeit schwächt sich die Zuversicht, dass sich die Konjunktur kurzfristig
beleben könnte, in vielen Bereichen der Wirtschaft ab, nur der Wohnungsbau und der private
Konsum trotzen noch den dämpfenden Einflüssen – obwohl in Fachkreisen bereits die Furcht vor
einer Immobilienblase umgeht. Dennoch: Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer starken Verfassung, und wenn das außenwirtschaftliche Umfeld stabil bleibt, kann es schon Anfang 2013
wieder aufwärtsgehen.
Für Anleger ist Sicherheit derzeit so wichtig wie nie zuvor, und kluges Risikomanagement bleibt
weiterhin unerlässlich. Doch trotz der aufziehenden Wolken am Konjunkturhimmel sind wir
zuversichtlich. Immobilien und Gold sind bei der Suche nach inflationsgeschützten Anlagen sehr
gefragt, und auch die Aktie gewinnt als Anlageform wieder zunehmend an Bedeutung.
Auf der Suche nach der „neuen Normalität“ wachsen die Herausforderungen in allen Bereichen,
doch gerade auch die traditionellen Werte erfahren eine Renaissance. Vertrauen und Verantwortung sind die Voraussetzung für gelungenes wirtschaftliches Handeln, ebenso das richtige Augenmaß. Für Hauck & Aufhäuser beruht seit Anbeginn jede persönliche Beziehung auf dieser Basis.
Denn in partnerschaftlicher Zusammenarbeit liegt hohe Gestaltungskraft – gerade auch für die
Zukunft.
Mit unserem „Konjunktur- und Finanzmarkt-Barometer“ wollen wir Ihnen wie gehabt keine
Ratschläge geben, sondern eine empirische und analytische Grundlage liefern, aus der Sie eigene
Schlüsse für Ihre Anlagestrategie und Ihre unternehmerischen Entscheidungen ziehen können.
Sollten Sie beim Durchblättern des „Marktbarometers“ Anregungen erhalten, die Sie mit uns
diskutieren möchten, freuen wir uns auf das Gespräch mit Ihnen.
Stephan Rupprecht
Michael O. Bentlage
Partner
Partner
Privat- und Unternehmerkunden
Institutionelle Kunden
7
Einleitung
Auch das Jahr 2012 stand vorrangig im Zei-
schafft, eine Rezession zu vermeiden. Den-
chen der Staatsschuldenkrise. Die damit ver-
noch waren die Wachstumsraten von Quartal
bundene Vertrauenskrise lässt sich zwar nicht
zu Quartal rückläufig, sodass wir das Jahr mit
unmittelbar an den Standardindizes wie Dax,
etwa 1 Prozent Wachstum beenden werden.
Dow Jones oder Rex ablesen, dennoch ist sie
Dennoch fällt der Ausblick auf 2013 verhal-
weiterhin der Dreh- und Angelpunkt aller
ten positiv aus.
Analysen und Szenarien. Dies bleibt nicht
aus, hat doch die Krise viele Grundannahmen
Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer ro-
wirtschaftlicher Entscheidungen annihiliert.
busten Verfassung, und unsere konjunkturel-
Und auch die Sicht, zumindest Industrie­länder
le Gesamteinschätzung für das kommende
seien ausfallsicher, trifft nicht mehr zu.
Jahr ist von einer vorsichtigen Zuversicht geprägt. Die Lage bleibt weiterhin fragil – be-
Wir erleben historisch einmalige Zeiten. Kei-
dingt durch die europäische Schuldenkrise
ner der Marktteilnehmer, auch nicht die No-
und die geopolitische Lage im Nahen Osten.
tenbanken, hat Blaupausen aus der Vergan-
Wir kommen also nicht umhin, uns mit der
genheit, die Handlungsoptionen aufzeigen.
Staatsverschuldung, der daraus resultieren-
Klar ist nur eins: Alle Industriestaaten und
den Geldpolitik und den verschiedenen Lö-
die privaten Haushalte müssen sparen. Damit
sungsoptionen zu beschäftigen. Hier stellen
die Politik dies umsetzen kann, kaufen die
wir zwei Szenarien vor: ein Moll- und ein
Notenbanken mit ihrer Niedrigzinspolitik
Durszenario. Die vergangenen Monate haben
Zeit.
jedoch auch Hoffnungszeichen gesetzt, und
um es vorwegzunehmen: Wir halten das Dur­
Angesichts der fundamentalen Veränderun-
szenario, das eine zunehmende konjunkturelle
gen müssen sich Unternehmer und Investo-
Dynamik und eine erfolgreiche Krisenbe-
ren an die neuen und noch immer im Fluss
kämpfung der Notenbanken sieht, für wahr­
begriffenen Realitäten anpassen. Dies bedingt
scheinlicher.
zwangsläufig deutliche konjunkturelle Unsicherheiten und ungewöhnlich breite Progno-
Auch das Umfeld der Finanzmärkte wird
sebänder. Die heimische Konjunktur hat sich
künftig Licht und Schatten haben. Alles in al-
in einem äußerst schwierigen Umfeld knapp
lem wird unsere Anlagepolitik 2013 von einer
behaupten können. Deutschland hat es, im
Bevorzugung realer Anlageklassen geprägt
Unterschied zu vielen seiner Partner, ge-
sein. Denn die Aktienmärkte sind fraglos
8
Ei n l e i t u n g
günstig bewertet und werden es auch im
Implikationen ist die Investition in sogenann-
kommenden Jahr sein. Allerdings werden ih-
ten „Real Assets“, zu denen die neue Anlage-
nen die genannten Unwägbarkeiten immer
klasse der Infrastrukturinvestments zählt.
wieder zusetzen, und die Sorge vor einem
konjunkturellen Absturz wird auf den Märk-
Auf den Rentenmärkten bleibt nach wie vor
ten lasten. Infolgedessen wird es auch weiter-
die „Suche nach Rendite“ das beherrschende
hin Schwankungen geben. Dies wird in einer
Thema, denn am niedrigen Renditeniveau
mittelfristigen Perspektive zugleich Chancen
wird sich voraussichtlich wenig ändern. Eine
eröffnen, in den Besitz von Aktien zu gelan-
Zinswende ist aufgrund der lockeren Geld­
gen, die sich durch Ertrags- und Dividenden-
politik der Zentralbanken nicht in Sicht.
stärke sowie hohe Bilanzqualität auszeichnen.
Das Börsenjahr 2013 wird die Investoren mit
Das Niedrigzinsumfeld wird uns erhalten
Herausforderungen konfrontieren, die es
bleiben und auch die Ertragserwartung an den
nicht leicht machen, erfolgreich zu sein. Doch
Aktienmärkten insgesamt wird niedrig blei-
Fiskal- und Finanzkrisen indes sind nichts
ben. Ausschlaggebend dafür ist der soge-
Neues, und bislang wurden sie stets über-
nannte „Deleveraging-Prozess“ aller Indus­
wunden. Und glaubt man Joseph Schumpe-
triestaaten, der Auswirkungen auf das globale
ter, gehören sie wesentlich zur Marktwirt-
Wachstum hat. Daraus ergeben sich aber
schaft und sind – dank ihrer schöpferischen
auch entsprechende langfristige Implikatio-
Zerstörungskräfte – immer auch ein Treiber
nen für die Vermögensanlage. Eine dieser
des Fortschritts.
9
1 Deutschlandkonjunktur 2012
Im Herbst hat sich die Konjunktur in
• Die Auftragseingänge der deutschen In-
Deutschland merklich abgeschwächt. Natür-
dustrie, ein zentraler Frühindikator für die
lich blicken die Krisenstaaten oder auch
Umsätze in den kommenden sechs bis
Frankreich immer noch neidvoll auf die deut-
zwölf Monaten, sind moderat rückläufig.
sche Wachstums- und Arbeitsmarktsituation.
Die Industrieproduktion ist noch robust.
Dennoch fordert die Rezession in der Euro-
Für das vierte Quartal
ist mit Stagnation
oder sogar einem
kleinen Minus zu
rechnen.
zone mit ihren globalen Folgen jetzt auch in
• Die Exporte nehmen zwar nach wie vor zu,
den deutschen Wirtschaftsdaten ihren Tribut.
allerdings mit einer geringeren Rate.
Deutschland kann sich den Folgen einer Re-
In diesem Jahr dürften die Ausfuhren gut
zession in der Eurozone – seinem wichtigsten
3,5 Prozent steigen. Das Exportgeschäft ist
Absatzmarkt – nicht entziehen. Die Abwärts-
gespalten: Während die Exporte nach
tendenz wird durch die aktuellen Konjunktur­
Übersee immer noch gut laufen, schrump-
indikatoren belegt. Allerdings sind auch eini-
fen die Ausfuhren in den europäischen
ge Lichtblicke zu vermelden, sodass wir zwar
Binnenmarkt.
von einer „Abkühlung“, aber nicht von einem
„Absturz“ reden sollten:
Somit zeichnet sich eine Verschlechterung
der Konjunktur im zweiten Halbjahr ab. Die
• Die Indikatoren zur Zuversicht in den Un-
Jahresdaten können allerdings von einem
ternehmen und Finanzinstituten schwä-
recht soliden ersten Halbjahr profitieren. Im
chen sich weiter ab. Das Ifo-Geschäftsklima
ersten Quartal betrug das Plus des deutschen
ist über die Sommermonate hinweg mehr-
BIP immerhin 0,5 Prozent und im zweiten
mals hintereinander gesunken. Auch wenn
Quartal 0,3 Prozent.
dieser Wert weit über dem Tiefststand
2008/2009 liegt, ist die Tendenz dennoch
Die Detailanalyse zum ersten Halbjahr zeigt
eindeutig. Die Ifo-Zahlen geben zusätzlich
für die Exportseite noch ein vorteilhaftes Bild.
eine klare Antwort auf die Ursachen der
Dies wird sich im zweiten Halbjahr nun ver-
Abkühlung: Nach drei Jahren wird nun mit
ändern. Dann ist nicht mehr mit einem positi-
einem weniger dynamischen Exportgeschäft
ven Wachstumsbeitrag des Außenbeitrags zu
gerechnet.
rechnen. Aber auch die zurückliegenden vier
Quartale machen schon den Abschied von der
Hochkonjunktur deutlich: Bereits seit dem
10
1 DeutschlandKonjunktur 2012
dritten Quartal 2011 schrumpfen die Brutto-
Allerdings reagieren die deutschen Verbrau-
investitionen. Da die Unsicherheit über die
cher stets sehr sensibel auf anziehende Preise.
weitere Entwicklung der nationalen und glo-
Besonders stark wahrgenommen werden die
balen Wirtschaft in den vergangenen Mona-
Rekordstände an den Zapfsäulen, weil sie die
ten sehr hoch war, sind Investitionen zurück-
gefühlte Inflation stark nach oben treiben.
gestellt worden. Der Investitionsrückgang
Das könnte in den nächsten Monaten die
wird maßgeblich von den Ausrüstungsinvesti-
Konsumbereitschaft dämpfen. Es bestehen
tionen der Unternehmen verursacht. Hin­
also durchaus Gefahren, dass der Privatkon-
gegen erweisen sich die Bauinvestitionen auf-
sum nicht ganz das hält, was die Konsumen-
grund des Booms im Wohnungsbau und in
tenzuversicht derzeit noch verspricht.
der Modernisierung als robust.
Arbeitsmarkt weiterhin stark
Die Detailzahlen zum BIP-Wachstum dämpfen zudem die Hoffnung, dass die deutschen
Die Arbeitsmarktdaten sind in der Konjunk-
Konsumenten allein hohes Wachstum auf-
turforschung Spätindikatoren. Sie spiegeln
rechterhalten können. Zwar ist der Privatver-
im Wesentlichen die Vergangenheit wider
brauch mit Ausnahme des Schlussquartals
und reagieren nur sehr zeitverzögert auf eine
2011 in den zurückliegenden vier Quartalen
konjunkturelle Eintrübung. Außerdem wis-
stets gewachsen. Doch der Privatkonsum ist
sen wir aus der historisch einzigartigen
keineswegs eine dauerhafte Wachstums­
Rezession des Jahres 2009, dass der deutsche
garantie. Immerhin aber federt er die Schock-
Arbeitsmarkt aufgrund der erfolgreichen
wellen der Eurolandrezession ab und bewahrt
Reformen und des demografischen Wandels
Deutschland vorläufig vor einer echten Re-
ohnehin recht robust gegen Konjunkturein-
zession.
brüche geworden ist. Mit regelrechten Entlassungswellen ist daher nicht zu rechnen. Aller-
Die europäische Schuldenkrise stabilisiert die
dings wird sich die Dynamik des Beschäf-
deutsche Konjunktur: Denn angesichts von
tigungsaufbaus abschwächen, und der Rück-
Minizinsen und Sorgen um die Stabilität der
gang der Arbeitslosenquote wird sich nicht
Währung investieren deutsche Verbraucher
weiter fortsetzen.
ihr Geld lieber in Autos, Möbel oder auch größere Ferienreisen. Dabei sind die Bürger nicht
Trotz nachlassender Dynamik ist die Beschäf-
naiv. Denn auch die GfK misst eine wachsende
tigung in Deutschland immer noch auf einem
Konjunkturskepsis. Dies geht aber noch nicht
Rekordniveau. Davon profitieren der Fiskus
mit Befürchtungen einher, dass sich die per-
und die Sozialversicherungssysteme. Im ersten
sönliche Einkommenssituation verschlechtern
Halbjahr 2012 hat der Gesamtstaat (Bund, Län-
oder der Job bedroht sein könnte.
der, Gemeinden und Sozialversicherungen)
11
Der Konsum wirkt
stabilisierend, kann
alleine aber nicht für
Wachstum sorgen.
1 DeutschlandKonjunktur 2012
Die Beschäftigung
ist in Deutschland
immer noch auf
Rekordniveau.
mehr Geld eingenommen als ausgegeben.
Budgetpolitik vieler Bundesländer. Dass 2012
Das Plus betrug 8,3 Milliarden Euro. Dazu
angesichts von Rekordeinnahmen in Bundes-
trugen mehrere Faktoren bei: Die gute Be-
ländern wie Baden-Württemberg oder Nord-
schäftigungslage und die gute Rentabilität
rhein-Westfalen immer noch hohe Defizite
treiben die Lohn-, Einkommen- und Körper-
eingeplant werden, ist kaum verständlich. In
schaftsteuereinnahmen auf Rekordniveaus.
der Diskussion um die Beitragssenkung in
Hinzu kommt eine kräftige Zunahme der
der Rentenversicherung sind wir allerdings
Einnahmen aus der Mehrwertsteuer ange-
der Auffassung, dass diese Absenkung richtig
sichts der wachsenden Konsumfreude. Auf
ist. Die Überschüsse gehören den Beitrags-
der Ausgabenseite wirken die sinkenden
zahlern. Würden sie als Reserven in der Ren-
Transfers an Arbeitslose entlastend. Und
tenkasse gebunkert, wüchsen nur die Begehr-
schließlich können die Finanzminister von
lichkeiten für neue Wohltaten.
Bund und Ländern fällig werdende höher
verzinsliche Anleihen durch neue Anleihen
Für das Gesamtjahr 2012 erwarten wir eine
mit sehr geringen Zinskupons finanzieren,
„rote Null“, mithin ein geringes Defizit. Lei-
teilweise – beim Bund im Kurzfristbereich –
der wird die Schuldenquote – das Verhältnis
sogar zu Null- oder Negativzinsen.
des Altschuldenbergs zum BIP – dabei noch
einmal deutlich ansteigen, auf dann 83 Pro-
Enttäuschendes Finanzgebaren in den
zent. Grund dafür sind die Zusatzlasten im
Bundesländern
Kontext der Abwicklung der West-LB, die
deutschen Einzahlungen in den Europäi-
Doch völlig klar ist, dass diese Konstellation
schen Stabilitätsmechanismus (ESM) und in
aus günstigen Faktoren nicht einfach in die
die Europäische Investitionsbank.
Zukunft fortgeschrieben werden kann. Schon
im zweiten Halbjahr werden sich die kon-
Unser konjunkturelles Fazit für das laufende
junktursensiblen Einnahmen – Gewerbesteu-
Jahr lautet: Das zweite Halbjahr wird eine
er, Körperschaftsteuer – abschwächen. Auch
kräftige, fast drei Jahre andauernde Wachs-
sind die Eventualverbindlichkeiten der öf-
tumsphase zunächst beenden. Die in den eu-
fentlichen Haushalte gewachsen. Eine erneu-
ropäischen Binnenmarkt eng eingebundene
te Umschuldung Griechenlands – dieses Mal
deutsche Volkswirtschaft wird von der euro-
unter Einbezug der öffentlichen Kredite – ist
päischen Schuldenkrise ausgebremst. Für das
über kurz oder lang ein ernst zu nehmendes
Gesamtjahr 2012 ist daher nur noch mit einer
Szenario. Insofern sollte die Momentaufnah-
Wachstumsrate zwischen 0,7 und 0,9 Prozent
me in den öffentlichen Haushalten nicht zum
zu rechnen, je nachdem wie schwer der Ab-
Geldausgeben verleiten. Enttäuschend in die-
schwung im Herbst und Winter wird. Damit
sem finanzpolitisch günstigen Umfeld ist die
entspricht die 2012er-Entwicklung knapp
12
1 DeutschlandKonjunktur 2012
dem positiven Szenario, das wir in unserer
an der weiteren Entwicklung der europä­
großen Konjunkturanalyse vor einem Jahr
ischen Schuldenkrise entscheiden. Nur wenn
aufgezeigt hatten. In einem äußerst schwieri-
eine Stabilisierung gelingt, wird Deutschland
gen Umfeld hat Deutschland es wieder ge-
im kommenden Jahr auf seinen Potenzial-
schafft, Wachstum zu generieren und die Be-
wachstumspfad von gut 1 Prozent zurückfin-
schäftigung auf einen neuen Höchststand zu
den können. Von daher ist eine ausführliche
steigern.
Analyse zum Stand der Dinge an der europäischen Schuldenfront der logische nächste
Ob der Wachstumsrückgang im zweiten
Schritt unseres Konjunktur- und Finanz-
Halbjahr nur eine Delle oder aber eine Wen-
markt-Barometers.
de in Richtung Rezession bedeutet, wird sich
13
Das zweite
Halbjahr kann
Rezessionsquartale
bringen, dennoch
wird das Gesamtjahr
zufriedenstellend.
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen
der vergangenen zwölf Monate
Immer wieder wird dem Krisenmanagement
1. Mit der Einigung auf den Fiskalvertrag ist
der Europäer vorgeworfen, eine Taktik des
es zu einer wichtigen Weichenstellung ge-
„Durchwurstelns“ zu verfolgen und unfähig
kommen, deren genauere Analyse lohnens-
zu einer „großen Lösung“ zu sein. Wir teilen
wert ist.
diese Kritik nicht. Denn das Problem ist, dass
Eine „große Lösung“
der Schuldenkrise
ohne Risiken und
Nebenwirkungen gibt
es nicht.
es eine überzeugende „große Lösung“ ohne
2.Der Schuldenschnitt mit einem 100-Milli-
gefährliche neue Risiken nicht gibt. Alle ver-
arden-Verlust für private Gläubiger Grie-
meintlich schnellen Auswege aus der Ver-
chenlands ist im März über die Bühne ge-
trauenskrise – Eurobonds oder Euroaustritt
gangen, ohne dass dadurch die Finanz-
der Krisenländer – sind aus deutscher Sicht
märkte gebebt hätten. Damit wurde die In-
mit solchen Wohlstandsrisiken verbunden,
solvenzverschleppung im Fall Griechen-
dass sie kaum überzeugen können.
lands beendet. Fakt ist aber auch, dass das
Land kaum ohne weiteren Schuldenerlass
Fortschritte Fiskalvertrag und
aus der Krise kommen wird. Die nächsten
Umschuldung
Verluste werden die öffentlichen Gläubiger
treffen. Mit der griechischen Umschul-
Doch betrachten wir zunächst einmal die
dung ist für Investoren weltweit eine wich-
Krisenhistorie über die vergangenen zwölf
tige und heilsame Lektion verbunden:
Monate (siehe Kasten Seite 16). Lassen wir
Auch bei Staaten der Eurozone sollte die
die mitunter dramatischen Etappen Revue
Kreditwürdigkeit genau geprüft werden,
passieren, dann möchten wir fünf Entwick-
bevor Anleihen eines Landes gekauft wer-
lungen hervorheben, die zum Teil echte Fort-
den. Das hat die Marktdisziplin gestärkt:
schritte darstellen, aber auch auf ungelöste
Eine schlechte Wirtschafts- und Finanz­
Probleme verweisen:
politik wird durch steigende Zinsen bestraft.
Die vernünftigen Anreize gelten allerdings
nur, solange Deutschland sich nicht auf
eine kollektive Haftung einlässt.
14
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
3.Die große Verunsicherung vor der Juniwahl in Griechenland hat gezeigt, dass es
Europa an einem Konzept für den Fall
fehlt, dass ein Krisenland seine Zustimmung zu Reformen und Sparmaßnahmen
aufkündigen würde. Der Drohung der Europäer, dann den Geldhahn zuzudrehen,
mangelt es an Glaubwürdigkeit. Es fehlt an
Vorkehrungen für eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds.
4.Die Eurozone hat durch den Grundsatz­
beschluss im Juni einen Schritt zu einer
„Bankenunion“ gemacht. Hier ist es zu einer neuen, weitreichenden Weichenstellung
gekommen, die unter Ökonomen heftig
umstritten ist und in der Umsetzung viele
ungelöste Fragen aufwirft.
5.Irland, das erste Land, das aus dem Eurorettungsschirm gestützt wird, ist wieder
mit eigenständig begebenen Langfrist­
anleihen an den Kapitalmarkt zurückgekehrt. Irland ist somit ein starkes Argument gegen die These, dass alle Hilfen in
ein Fass ohne Boden flössen, weil ohnehin
keine Aussicht auf finanzielle Gesundung
bestünde.
15
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
Chronologie der Schuldenkrise
22.09.2011 – Bundestag: Zustimmung zu einem
01.03./02.03.2012 – Europäischer Rat: Unter-
schlagkräftigeren Euroschutzschirm EFSF durch
zeichnung des Fiskalvertrags von 25 Staats- und
Ausweitung des deutschen Garantierahmens auf
Regierungschefs.
211 Milliarden Euro.
12.03.2012 – Eurogruppe: grünes Licht für das
26.10.2011 – Eurogipfel: Beschlussfassung, dass
zweite Hilfsprogramm für Griechenland.
Banken bis Juni 2012 ihre Eigenkapitalposition auf
9 Prozent des Kernkapitals anzuheben haben.
15.03.2012 – Durchführung des griechischen
Schuldenschnitts: Die Griechenlandanleihen
01.11.2011 – Europäische Zentralbank: Der
privater Gläubiger werden in neue Anleihen mit
scheidende Gouverneur der italienischen
einem um 53,5 Prozent verringerten Nennwert und
Notenbank, Mario Draghi, wird neuer Präsident.
stark verlängerten Laufzeiten umgetauscht. Dadurch
Er folgt auf Jean-Claude Trichet, dessen Amtszeit
verringert sich die Verschuldung des Landes um
nach acht Jahren endet.
107 Milliarden Euro. Der finanzmathematisch
kalkulierte Verlust der privaten Gläubiger beträgt ca.
09.12.2011 – Europäischer Rat: Widerstand
76 Prozent auf den ursprünglichen Anleihewert. Die
Großbritanniens gegen die Änderung der
griechische Umschuldung hat Investoren nach einer
europäischen Verträge für einen Einstieg in eine
Studie der Ratingagentur Moody’s weit mehr Geld
Fiskalunion, Einigung auf einen regierungsfreund-
gekostet als die meisten früheren Umschuldungen
lichen Vertrag der teilnehmenden Mitgliedstaaten.
von Staaten. So seien weit höhere Beträge umgeschuldet worden als bei den Umschuldungen in
23.01.2012 – Eurogruppe: Einigung auf den ESM.
Argentinien 2001 und 2005 oder in Russland 1998.
30.01.2012 – Europäischer Rat: Bei einem
30.03.2012 – Eurogruppe: Erhöhung des
informellen Treffen einigen sich die Staats- und
gemeinsamen Kreditvolumens von ESM und EFSF
Regierungschefs von 25 Mitgliedstaaten der EU
von 500 auf 700 Milliarden Euro.
auf den „Vertrag über Stabilität, Koordinierung
und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungs-
14.05.2012 – Eurogruppe: Analyse der Lage der
union“ (Fiskalvertrag).
sogenannten „Programmländer“, also derjenigen
Staaten, die gegenwärtig Finanzhilfen über
20.02.2012 – Eurogruppe: konstatiert Fortschritt
unterschiedliche Stabilitätsmechanismen erhalten
Griechenlands bei den Reformen; Einigung auf ein
und speziell ausgehandelte wirtschaftspolitische
zweites Hilfspaket für Griechenland.
Reform- und Anpassungsprogramme durchführen. Die Befunde für Portugal und Irland sind
ermutigend, da beide Länder auf ihrem Programmweg vorankommen.
16
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
30.05.2012 – Europäische Kommission: Veröf-
wird alles tun, um den Euro zu erhalten.“ Geplant
fentlichung der Länderempfehlungen im Rahmen
sind neue Anleihekäufe, die allerdings unter
des Europäischen Semesters.
Auflagen erfolgen sollen.
31.05.2012 – Irland: Bei der Volksabstimmung
27.07.2012 – Irland: Mit Irland kehrt das erste aus
über den Fiskalvertrag entscheidet sich eine klare
dem Rettungsschirm gestützte Land mit langfristi-
Mehrheit der Bürger dafür.
gen Anleihen an den Kapitalmarkt zurück. Über
eine fünf- und achtjährige Anleihe konnte das
17.06.2012 – Griechenland: Bei der Neuwahl
Land 4,2 Milliarden Euro erlösen zu Konditionen
gewinnt die konservative Nea Dimokratia, eine
von 5,9 und 6,1 Prozent.
europafreundliche Regierung unter der Führung
06.09.2012 – EZB: Mit einer Gegenstimme
von Antonis Samaras wird gebildet.
entscheidet sich der EZB-Rat für die Etablierung
29.06.2012 – Bundestag und Bundesrat: Beide
des OMT-Programms („Outright Monetary
Kammern stimmen dem ESM und dem Fiskalver-
Transactions“). Künftig ist die EZB bereit, in
trag mit Zweidrittelmehrheit zu.
unbegrenztem Umfang Anleihen von Krisen­
staaten zu kaufen, wenn diese sich den Auflagen
29.06.2012 – Eurogruppe: Bei einem weiteren
des ESM unterwerfen.
Krisengipfel der Eurostaats- und Regierungschefs
fallen neue Grundsatzbeschlüsse: Banken sollen
12.09.2012 – Bundesverfassungsgericht: Das
direkt aus dem ESM neues Kapital erhalten
Gericht verkündet seine Entscheidung über die
können. Zuvor muss zunächst eine europäische
Anträge gegen ESM und Fiskalvertrag. Deutsch-
Bankenaufsicht geschaffen werden („Bankenuni-
land darf beide Abkommen ratifizieren. In Bezug
on“). Hilfen aus dem ESM sollen künftig unter
auf den ESM gelten zwei Auflagen. Die Haftungs­
erleichterten Bedingungen und ohne strikte
obergrenze und die Informationsrechte von
Überwachung durch die „Troika“ (Europäische
Bundestag und Bundesrat müssen völkerrechtlich
Zentralbank, Europäische Kommission und
bindend abgesichert werden.
Internationaler Währungsfonds) erfolgen können.
20.11.2012 – Eurogruppe: Neue Vorschläge
10.07.2012 – Bundesverfassungsgericht:
werden diskutiert, unter anderem ein Zinserlass
Mündliche Verhandlung über die Klagen gegen
für Griechenland sowie der Rückkauf von
ESM und Fiskalvertrag.
griechischen Staatsanleihen zu einem Bruchwert
des Nennwerts von privaten Gläubigern. Der IWF
26.07.2012 – EZB: Angesichts neuer Höchststän-
fordert weiterhin einen neuen Schuldenschnitt
de bei den Risikoprämien für spanische Anleihen
unter Beteiligung der öffentlichen Gläubiger.
kündigt EZB-Präsident Mario Draghi an: „Die EZB
17
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
3.Die Strafandrohung bei fehlender Etablie-
Fiskalvertrag wirkt keine Wunder –
rung der Schuldenbremse ist relativ glaub-
ist aber ein Fortschritt
würdig (gemessen etwa an der StrafandroDie Erfahrungen mit fiskalischen Spielregeln
hung im Rahmen des Stabilitäts- und
in der Eurozone sind denkbar schlecht. Der
Wachstumspakts). Nicht mehr die Politiker
Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde miss-
entscheiden über die Strafen, sondern der
achtet und konnte das Trauerspiel immer hö-
Europäische Gerichtshof.
herer Staatsschulden nicht verhindern. Insofern ist ein grundsätzliches Misstrauen durch-
Die im Vertrag verankerte Fiskalregel lässt
aus berechtigt, ob neue Spielregeln wirklich
der Budgetpolitik Spielraum, um im Kon-
etwas leisten können, wenn schon die alten
junkturverlauf zu atmen. Sie verpflichtet aber
einfach ignoriert wurden.
dazu, in konjunkturellen Normalzeiten (und
noch mehr in überdurchschnittlich guten
Dennoch sind wir vorsichtig optimistisch, dass
Wachstumsjahren) Sparsamkeit an den Tag
der Fiskalvertrag doch ein richtiger Schritt ist
zu legen. In der gegenwärtigen Schuldenkri-
und auf Dauer für etwas mehr Disziplin sor-
se, in der manche Länder überhaupt keine
gen könnte. Dafür sehen wir drei Gründe:
Chance haben, ihr Budget kurzfristig auch
nur in die Nähe der Nulllinie zu bringen,
Der Fiskalvertrag kann die
Krise nicht eindämmen,
lässt aber Spielraum
zum Atmen.
1.Die Regeln des Fiskalvertrags sind deutlich
stellt der Vertrag damit ein Signal für mehr
strenger als die des Stabilitätspakts. So ver-
Glaubwürdigkeit dar. Er liefert das Verspre-
pflichtet der Vertrag die Vertragsparteien
chen, dass die Unterzeichnerstaaten sparsa-
darauf, Vorschriften zu erlassen, die das
mer sein werden, wenn die Wachstumsraten
(konjunkturbereinigte) Defizit auf maxi-
wieder steigen.
mal 0,5 Prozent des BIP begrenzen sollen.
Das ist wesentlich schärfer als beim Stabili-
Der Fiskalvertrag kann die akute Krise nicht
tätspakt, für den lediglich die 3-Prozent-
eindämmen. Das ist auch nicht seine Funkti-
Grenze galt.
on. Denn der Vertrag zielt auf mittlere und
lange Frist ab. Er soll die Vorbedingungen da-
2.Die neuen Regeln müssen im nationalen
für verbessern, dass die EU-Staaten (immer-
Recht festgeschrieben werden, möglichst in
hin wollen außer dem Vereinigten König-
der Verfassung des Landes. Damit verstößt
reich und Tschechien alle EU-Mitglieder
ein Land dann nicht nur gegen europäische
mitmachen) in Zukunft solider wirtschaften.
Regeln, sondern auch gegen nationales Ver-
Und hier leistet er einen sinnvollen Beitrag.
fassungsrecht, wenn das Defizit zu hoch ist.
Zwar wird Schuldenmachen auch künftig
Das jeweilige Verfassungsgericht wird damit
eine politische Verlockung sein, immer öfter
zum Hüter der Schuldengrenze.
jedoch werden nationale Gesetze und Verfas18
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
sungsgerichte den Regierenden dazwischen-
sollte. Die Idee der europäischen Banken-
funken, wenn die Defizite zu hoch sind.
stützung hat ein gutes Argument auf ihrer
Seite: Die Rekapitalisierung systemrelevanter
Bankenunion: richtige Idee mit großen
Banken ist billiger als die Stabilisierung eines
Umsetzungsproblemen
ganzen Staates.
Der Gipfelbeschluss von Ende Juni, nun
Allerdings – und so lautet auch der Grund-
rasch eine europäische „Bankenunion“ in
satzbeschluss des Gipfels – darf es die europä-
Angriff zu nehmen, hat bei Ökonomen zu
ische Bankenrettung erst geben, wenn eine
einer heftigen Diskussion geführt. Die Geg-
europäische Aufsicht tatsächlich mit Kompe-
ner kritisieren, dass Steuerzahler, Rentner
tenzen und Durchgriffsrechten ausgestattet
und Sparer der soliden Länder für Verluste
ist. Denn es muss immer das Prinzip gelten:
aus inflationären Wirtschaftsblasen der süd-
europäische Hilfe nur gegen Auflagen und
lichen Länder haften sollen. Die Befürworter
nationale Souveränitätseinbußen. Und auch
halten diesen Schritt für richtig, um den Teu-
hier hat die gezielte Bankenstützung einen
felskreis aus staatlichem Bonitätsverlust und
klaren Vorteil gegenüber der Stützung ganzer
sich verschlechternden Bankbilanzen zu
Staaten: Der Durchgriff auf den Bankensek-
durchbrechen.
tor eines Staates durch europäische Behörden
ist viel realistischer als der konsequente
Tatsache ist zunächst einmal, dass es tatsäch-
Durchgriff auf alle öffentlichen Budgets eines
lich sich selbst erfüllende Panikattacken an
Landes.
den europäischen Anleihemärkten gibt, die
verantwortungsvoll denkende Politiker wohl
Insofern halten wir den Schritt in Richtung
kaum sich selbst überlassen dürfen. Wenn
Bankenunion für sinnvoll, warnen aber vor
eine Massenflucht aus spanischen oder itali-
überzogenen
enischen Staatsanleihen einsetzt, verschlech-
Grundsatzbeschluss wird keine rasche Ent-
tern sich automatisch die Bilanzen der spani-
lastung bringen. Denn die Vorbedingung –
schen
eine
oder
italienischen
Banken,
die
Hoffnungen.
europäische
Auch
Aufsichtsbehörde
dieser
mit
natürlich stark in den Staatsanleihen des ei-
Durchgriffsrechten bis hin zu Vorgaben über
genen Staates investiert sind. Wenn aber die
die Abwicklung wichtiger nationaler Banken
Banken ins Wanken geraten, dann sinkt auch
– wird nur in einem zeitraubenden Gesetz­
die Bonität der Staaten, die für die Stützung
gebungsverfahren zu verwirklichen sein.
ihres nationalen Bankensystems verantwort-
Insofern kommt die Umsetzung zu spät, um
lich sind. Die Frage, ob die europäische Poli-
kurzfristig stabilisierend wirken zu können.
tik in diese Abwärtsspirale eingreifen sollte,
Das hat sich auch daran gezeigt, dass die
stellt sich nicht, sondern nur, wie sie das tun
Ankündigung einer 100-Milliarden-Euro19
Die Rekapitalisierung
systemrelevanter
Banken ist billiger
als die Stabilisierung
ganzer Staaten.
2 Schuldenkrise: Weichenstellungen der vergangenen zwölf Monate
Hilfe für die spanischen Banken aus dem eu-
In diesem Spektrum würden wir die Risiken,
ropäischen Rettungsschirm an den Märkten
die Deutschland bislang übernommen hat,
zu keiner nachhaltigen Stabilisierung führen
als hoch, aber noch vertretbar bezeichnen.
konnte.
Wichtig dabei ist nun die Klärung der Haftungsobergrenze. Die Formulierung des Arti-
Bundesverfassungsgericht warnt vor
kels 8 Absatz 5 ESM-Vertrag erscheint hier
Haftungsautomatismen
zwar eindeutig:
Im Krisentagebuch der vergangenen Monate
„Die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds bleibt
waren ansonsten sicherlich das Bundesver-
unter allen Umständen auf seinen Anteil am
fassungsgericht und seine Prüfung von ESM
genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs
und Fiskalvertrag von besonderer Bedeu-
begrenzt.“
tung. Mit seinem Urteil vom 12. September
Eurobonds sind keine
Option, die unsere
Verfassung zulassen
könnte.
hat es den Weg für den dauerhaften Rettungs-
Allerdings wurden im Verfahren vor dem
schirm und härtere Budgetregeln frei ge-
Bundesverfassungsgericht verschiedene denk-
macht. Einerseits hat das Gericht Bundestag
bare Einfallstore für eine aus deutscher Sicht
und Bundesrat zugebilligt, dass diese und
ungewollte Ausweitung der Haftung abge-
nicht das Verfassungsgericht für riskante eu-
klopft. So war ein Einwand, dass eine zusätz-
ropäische Entscheidungen zuständig sind.
liche Nachschusspflicht für Deutschland ent-
Andererseits hat es aber erneut die Grenzen
stehen könnte, sollte ein ESM-Mitglied
des Grundgesetzes für den Weg immer höhe-
ausfallen oder seine Zahlungen verweigern.
rer Garantien aufgezeigt. So darf der Bundes-
Des Weiteren wurde thematisiert, ob eine
tag sich nicht Haftungsautomatismen unter-
Ausgabe des Stammkapitals zu einem ande-
werfen, die zu nicht mehr abschätzbaren
ren Kurs als dem Nennwert die Haftung aus-
Lasten führen könnten. Ebenso tabu sind
weiten könnte. Alle diese Einfallstore sind
Haftungssummen, die den budgetären Hand-
durch die Auflagen des Verfassungsgerichts
lungsspielraum in Zukunft evident zunichte-
nun geschlossen worden. Eine Ausweitung
machen. Das bedeutet im Klartext: Eine ge-
der Haftung über spezielle Klauseln und ohne
samtschuldnerische Haftung im Billionen-
Zustimmung des deutschen Vertreters und
bereich ist ganz sicher jenseits dessen, was
des Deutschen Bundestages wird es definitiv
das Grundgesetz erlauben würde. Das Bun-
nicht geben.
desverfassungsgericht hat sich mit seiner
Rechtsprechung damit als wichtiges Bollwerk
gegen die europäischen Begierden nach der
deutschen Universalgarantie etabliert.
20
3 Schuldenkrise:
ökonomische Anpassungen
Die Politik bemüht sich verzweifelt, mit halb-
sind hier die Lohnstückkosten. Diese geben
wegs akzeptablen oder auch gefährlichen
Auskunft darüber, wie sich die Arbeitskos-
Mitteln Zeit zu kaufen. Dabei stellt sich die
ten für eine standardisierte Outputeinheit
Frage, ob diese Zeit überhaupt sinnvoll ge-
verändern. Immer dann, wenn die Summe
nutzt wird.
aller Arbeitskosten (Direktlöhne zuzüglich
aller Lohnnebenkosten) schneller steigt als
Was ist dran an der fehlenden Anpassung der
die Arbeitsproduktivität, steigen die Lohn-
Krisenländer? Ist es tatsächlich so, dass sich
stückkosten; gleichzeitig verschlechtert sich
die Länder nicht bewegen und somit alle Hil-
die Wettbewerbsfähigkeit. Die Abbildung
fe vergeblich ist? Ein Blick auf die Ist-Daten
zeigt die Veränderungen der Lohnstückkos-
zur ökonomischen Anpassung zeigt indes
ten für zwei Dreijahreszeiträume. Der erste
eine stark verzerrte Wahrnehmung; Anpas-
Zeitraum (2006 bis 2009) ist durch die Vor-
sungen sind sehr wohl zu verzeichnen.
krisenzeit sowie ein Umfeld von Niedrigzinsen und leichter Finanzierbarkeit von Defi-
Beginnen wir mit den Daten zur Wett­
ziten gekennzeichnet. In diesen Jahren stiegen
bewerbsfähigkeit. Ein zentraler Indikator
die Lohnstückkosten in den heutigen Krisen-
25
20
■ 2006–2009 ■ 2009–2012
15
10
5
0
–5
–10
–15
Deutschland
Irland
Griechenland
Spanien
Italien
Veränderungen der Lohnstückkosten über drei Jahre (in Prozent)
Quelle: Eurostat
21
Portugal
Die Indikatoren
signalisieren
eine steigende
Wettbewerbsfähigkeit
der Krisenländer.
3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n
staaten stark an, am stärksten in Griechen-
serung dieses Wettbewerbsfähigkeits-Indika-
land.
tors gemessen werden. Unbestritten ist hier
jedoch, dass die italienische Volkswirtschaft
Die positive Nachricht ist, dass seit Ausbruch
keinen derartig hohen Nachholbedarf in der
der Krise bereits eine messbare Korrektur ein-
Anpassung hat wie etwa die griechische. Ein-
getreten ist. In Griechenland, Irland, Spanien
schränkend muss man aber klarstellen, dass
und Portugal ist es zu deutlich sinkenden
die bisherigen Anpassungen die Sünden des
Lohnstückkosten gekommen. In Relation zu
zurückliegenden Jahrzehnts erst teilweise wie-
Deutschland, wo die Kosten moderat gestie-
dergutmachen können.
gen sind, gibt es somit einen ersten erkenn­
baren Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit der
Doch am Ende nützen die schönsten Indika-
Krisenstaaten. Diese Anpassung entspricht
toren zur Wettbewerbsfähigkeit wenig, wenn
etwa einer sogenannten „internen Abwertung“
eine Volkswirtschaft weiter über ihre Verhält-
von 10 bis 15 Prozent. Intern deswegen, weil
nisse lebt und mehr importiert als exportiert.
sie durch sinkende Löhne und Preise bewirkt
Deshalb muss man zur Bewertung der An-
wird und nicht durch eine Abwertung der
passungsleistung einen Blick auf die Leis-
Währung. Auch unter den Bedingungen eines
tungsbilanzsalden werfen. Und hier waren
einheitlichen Währungsraumes ist eine nen-
schon 2011 im Vergleich zu 2008 erhebliche
nenswerte Anpassung der relativen Preise in
Fortschritte messbar. An der Spitze steht Ir-
einer vergleichsweise kurzen Zeit möglich.
land, das schon im vergangenen Jahr eine
Allerdings kann in Italien noch keine Verbes-
leicht positive Leistungsbilanz vermelden
10
5
■ 2008 ■ 2011
0
-5
–10
–15
–20
Deutschland
Irland
Griechenland
Leistungsbilanzsalden in Prozent des BIP
Quelle: Eurostat
22
Spanien
Italien
Portugal
3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n
konnte. Irland hat begonnen, Auslandsver-
bereinigung ist für eine faire Bewertung der
schuldung abzubauen. So weit sind die ande-
Sparbemühungen wichtig. Denn natürlich
ren Krisenländer noch nicht, aber immerhin
sacken Steuereinnahmen in einer schweren
wurden auch in Spanien und Portugal die
Rezession stark ab, und diese Mindereinnah-
Leistungsbilanzdefizite sehr stark verringert.
men überzeichnen das strukturell vorhande-
In Griechenland ist zwar ebenfalls eine Ver-
ne Defizit. Mit gutem Grund stellt etwa die
ringerung feststellbar, das Defizit ist aber im-
deutsche Schuldenbremse im Grundgesetz
mer noch sehr hoch (etwa 10 Prozent des
auf das konjunkturbereinigte Defizit ab, um
BIP). Keinerlei Verbesserung ist in Italien
den Konsolidierungserfolg von Bund und
feststellbar. Erneut gilt aber für Italien, dass
Ländern zu messen.
das Problem hier niemals so ausgeprägt war
und der Leistungsbilanzsaldo „nur“ bei etwa
Es zeigt sich, dass es bereits von 2009 bis 2011
3 Prozent des BIP liegt.
in Irland, Griechenland, Spanien und Portugal zu einer erheblichen Verringerung der
Sparbemühungen durch
Defizite gekommen ist. Das große globale
Konjunktureinbruch verdeckt
Sorgenkind jedoch bleibt Japan. Obwohl die
Staat­sverschuldung dort schockierende 230
Vollends haltlos ist der Vorwurf der fehlen-
Prozent des BIP erreicht hat und sogar das
den Anpassungsleistung, wenn man die kon-
griechische Schuldenniveau in den Schatten
junkturbereinigten Defizite der europäischen
stellt, geht das Schuldenmachen mit hohem
Krisenstaaten betrachtet. Die Konjunktur­
Tempo weiter.
5
■ 2009
■ 2011
■ 2013
0
–5
–10
–15
Finanzierungssalden der öffentlichen Haushalte (in Prozent des BIP,
konjunkturbereinigt, 2013 geschätzt)
Quelle: Internationaler Währungsfonds, Oktober 2012
23
pa
n
Ja
US
A
l
Po
rtu
ga
n
lie
Ita
en
Sp
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ni
nd
Gr
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ch
en
la
nd
Irl
a
ch
kr
ei
Fr
an
De
ut
s
ch
la
nd
-20
Es wäre schon ein
Erfolg, wenn die
Schuldenberge in
den nächsten Jahren
nicht weiter stiegen.
3 S c h u l d e n k r i s e : ö k o n o mi s c h e A n p a s s u n g e n
Der Blick auf die Altschuldenberge relativiert
die Daten noch nicht wesentlich beeinflus-
die Erfolge vieler Staaten bei der Defizitver-
sen. Schon im April 2013 könnten die Wah-
ringerung: Die Jahre der Finanz- und Schul-
len das kleine Reformfenster wieder schlie-
denkrise haben die Schuldenstände in der
ßen. Der Reformpremier Mario Monti verliert
industrialisierten Welt in die Höhe katapul-
derzeit gefährlich schnell an Popularität, und
tiert. Ein Abbau auf das Vorkrisenniveau
die Programme der Parteien sind durch Re-
wird für Länder wie Spanien und Irland nicht
formmüdigkeit und die Rückkehr sozialer
einmal in einem Jahrzehnt zu realisieren sein.
Versprechungen geprägt.
Die Skeptiker der bisherigen Krisenpolitik
Für Griechenland relativieren sich alle bishe-
haben insofern recht als sich niemand von
rigen moderaten Anpassungserfolge mit
vollmundigen Spar- und Reformankündi-
Blick auf den immer noch viel zu hohen
gungen blenden lassen sollte. An den Kapital-
Schuldenstand und die kaum schnell lös­
märkten zählen einzig und allein die Fakten.
baren strukturellen Defizite des Landes, die
Aber unser Blick auf einige harte Fakten zeigt
von überregulierten Märkten über Korrupti-
sehr wohl, dass die notwendigen Anpassun-
on bis hin zu eklatanten Schwächen der öf-
gen begonnen haben und messbare Fort-
fentlichen Verwaltung reichen. Trotz aller
schritte bringen. Dies gilt allerdings sehr viel
Bemühungen ist für das Land daher nicht
deutlicher für Irland, Portugal und Spanien
absehbar, wie es ohne einen neuen Schulden-
und noch kaum in messbarer Weise für Itali-
schnitt – dieses Mal bei den öffentlichen
en. Italien hat erst später mit dem Reform-
Gläubigern – wieder Boden unter die Füße
kurs begonnen, und die Monti-Politik konnte
bekommen könnte.
300
■ 2008
250
■ 2013
200
150
100
50
Staatsverschuldung (in Prozent des BIP, 2013 geschätzt)
Quelle: Internationaler Währungsfonds, Oktober 2012
24
n
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Ja
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ut
sc
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nd
0
4 Schuldenkrise:
Lösungsoptionen
Trotz der messbaren Fortschritte in einigen
(EFSF) bei 700 Milliarden Euro – regelmä-
Krisenländern bedroht der Teufelskreis aus
ßig zu überprüfen. Deutschland könnte er-
hohen Zinsen, Rezession und schwindendem
neut einer Erhöhung zustimmen. Wichtig
Vertrauen noch immer den Erfolg aller Be-
für diese Variante ist, dass es bei der bisheri-
mühungen. Die Situation hatte sich im Früh-
gen Art der Haftung bliebe. Im ESM ist die
ling und Sommer mit einer Ausweitung auf
Haftung der Eurostaaten „teilschuldnerisch“
Spanien und Italien sogar akut verschärft.
organisiert. Das bedeutet, dass Deutschland
Beide Länder sind zusammen mit 2,6 Billio-
nicht für die Gesamtsumme haftet, sondern
nen Euro verschuldet. Dies entspricht dem
nur bis zu einer anteiligen Obergrenze (der-
kompletten deutschen Bruttoinlandsprodukt.
zeit 190 Milliarden Euro).
Diese Größenordnung übersteigt die verfügbaren Volumina aus den Rettungsschirmen
• Variante B: Ausbau der monetären Schul-
um ein Vielfaches. Insofern können Finanz-
denfinanzierung: Die EZB stabilisiert den
zusagen der EFSF und des ESM alleine die
Eurostaatsanleihemarkt durch neue Anlei-
Lage nicht stabilisieren.
hekäufe oder andere Varianten der monetären Schuldenfinanzierung. Dies ist die
Damit steckt die Krisenpolitik erneut in ei-
„Draghi-Option“, die mit der Entscheidung
nem Dilemma: Die existierenden Krisen­
vom 6. September in Angriff genommen
mechanismen alleine sind überfordert und
worden ist.
genießen daher keine ausreichende Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig haben alle Lösungs-
• Variante C: Einstieg in die gesamtschuld-
alternativen erhebliche negative Nebenwir-
nerische Haftung: Alle Eurostaaten würden
kungen. Folgende Ansatzpunkte kommen
hier über neue Schuldeninstrumente („Euro­
prinzipiell infrage:
bonds“) in voller Höher wechselseitig haften. Die Begrenzung der deutschen Haf-
• Variante A: Stabilitätsmechanismus ESM
tung auf eine anteilige Obergrenze würde
ausbauen, aber ohne gesamtschuldnerische
entfallen. In letzter Konsequenz könnte ein
Haftung: Im ESM-Vertrag ist vorgesehen,
Land wie Deutschland für die über diesen
die Obergrenze – derzeit in Kombination
Weg begebenen Anleihen in voller Höhe in
mit der European Financial Stability Facility
Anspruch genommen werden.
25
Die existierenden
Krisenmechanismen
sind überfordert.
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
• Variante D: Bis hierher und nicht weiter:
Zwei dieser Varianten scheiden nach unserer
Von nun an wird alles den Märkten über-
Analyse aus verschiedenen Gründen zur Sta-
lassen. Die Rettungsschirme werden nicht
bilisierung Spaniens und Italiens aus: Die Va-
mehr ausgeweitet. Sollte die verfügbare
riante D – „bis hierher und nicht weiter“ –
Munition nicht helfen, dann müssen eben
mag eine für den Umgang mit Griechenland
auch Länder wie Spanien eine Umschul-
richtige Politik sein. Für die großen Südeuro-
dung organisieren und mit ihren Gläubi-
päer ist dieser Weg aber nicht vorstellbar.
gern einen Forderungsverzicht aushandeln.
Eine Zahlungsunfähigkeit Spaniens oder Ita-
Notfalls muss dabei auch der Austritt ein-
liens hätte derart unabsehbare Folgen, dass
zelner Mitglieder aus der Währungsunion
kein verantwortungsvoll handelnder Politiker
in Kauf genommen werden.
dieses zulassen kann und wird. Der Sachverständigenrat hat aufgelistet, wie umfangreich
Ein Kollaps Spaniens
oder Italiens wäre nicht
zu verantworten.
Wir haben bereits vor einem Jahr diese Vari-
die finanziellen Verflechtungen und die For-
anten in aller Ausführlichkeit analysiert. Es
derungen gegen die Krisenländer sind. Im
ist offensichtlich, dass alle Optionen ganz er-
Feuer sind im Fall eines solchen Kollapses
hebliche Risiken mit sich bringen. Dennoch
eben nicht „nur“ die Bankenforderungen und
zwingt eine anhaltende Panik an den Anlei-
die Forderungen der EZB im Rahmen des
hemärkten mit nicht tragbaren Kreditzinsen
TARGET-Systems, sondern auch umfangrei-
für Italien und Spanien zum Handeln.
che Ansprüche privater Firmen. Diese belaufen sich für die Problemstaaten auf über
Banken/
Unternehmen/ Staat
Zusammen
VersicherungenPrivate
6,5 3,9 35,7
Griechenland25,3
Portugal
16,8
10,44,231,4
Irland
82,8
74,245,5202,5
Spanien
127,5
137,19,9
274,5
Italien
125,2
88,020,6233,8
Summe
377,6
316,284,1777,9
Deutsche Forderungen gegenüber den Euro-Problemstaaten in Milliarden Euro
(Stand 31. Dezember 2011)
Quelle: Sachverständigenrat, ohne TARGET-Forderungen
26
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
300 Milliarden Euro. Nicht zu vergessen, dass
Sonderfall Griechenland: Möglichkeit
auch deutsche Lebensversicherungen mit er-
einer Restinsolvenz
heblichen Teilen ihrer Deckungsstocks in
Spanien und Italien engagiert sind. Käme es
Unsere Ablehnung des Lösungswegs „Ende
hier zu „Haircuts“, würden auch große deut-
mit Schrecken“ bezieht sich auf Spanien und
sche Lebensversicherer ins Wanken geraten.
Italien, nicht aber auf Griechenland. Eine
griechische Insolvenz wäre zwar für das Land
Die systemischen Folgen und die globale Ab-
ein erneuter gravierender ökonomischer
wärtsspirale, die sich in einem solchen Szena-
Schock. Europa und die Welt würden davon
rio entwickeln würde, wären völlig unkalku-
aber wohl nicht ins Wanken geraten, weil pri-
lierbar. Würden Italien und Spanien fallen
vate Gläubiger Griechenlands ohnehin seit
gelassen, warum sollten dann die nächsten
Langem mit diesem Fall rechnen und ihre
panischen
eigentlich
Forderungen schon weitgehend wertberich-
nicht Länder wie Frankreich, Belgien oder
tigt haben. Die Forderungen von deutschen
Österreich erfassen?
Banken und Versicherungen gegenüber Grie-
Fluchtbewegungen
chenland haben sich seit Jahresende 2011 (damaliger Stand 25,3 Milliarden Euro) durch die
Deutschland hat keine „Finnlandoption“
Märzumschuldung weiter stark verringert.
Auch hat Deutschland das Problem, dass es
sich nicht wie kleine Eurostaaten einfach „da-
Hier wäre ein Ausfall der restlichen Forde-
vonstehlen“ könnte. Zunehmend wird etwa in
rungen sicherlich verkraftbar. Ansonsten
der finnischen Politik die Option diskutiert,
kostet Griechenland ständig Glaubwürdig-
dass Finnland die Währungsunion verlassen
keit. Denn wenn niemand sich traut, auch bei
könnte. Das ist eine für Finnland durchaus
klarer Zielverfehlung der Sparauflagen, den
denkbare Möglichkeit. Der finnische Exit wür-
Geldhahn zuzudrehen, kann das Land sein
de die Eurozone ökonomisch nicht kollabieren
Katz-und-Maus-Spiel mit der Troika noch
lassen. Er würde zwar politische Schockwellen
lange weiterführen. Auch werden die Kurz-
aussenden und vielleicht eine weitere Absetz-
fristfinanzierungen für das ständig am Rand
bewegung (Niederlande, Slowakische Repu­
der Zahlungsunfähigkeit operierende Land
blik) auslösen. Ökonomisch könnte das Aus-
immer dubioser. Wenn etwa die EZB wie im
scheiden eines kleinen, starken Landes aber
August plötzlich wieder griechische Staats­
durchaus funktionieren. Dies gilt für Deutsch-
anleihen als Sicherheiten akzeptiert, damit
land nicht. Denn ohne die deutsche Finanz-
die Banken des Landes kurzfristige Papiere
kraft wären alle Rettungsversuche in der Euro-
kaufen, dann gleicht dies eher einer Insolvenz­
zone chancenlos.
verschleppung als einem seriösen Finanzierungskonzept.
27
Europa sollte sich
auf eine geordnete
Restinsolvenz
Griechenlands
vorbereiten.
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
Der Internationale Währungsfonds (IWF)
straflos eine wirtschafts- und marktfeindli-
hat unseres Erachtens gute Argumente auf
che Politik verfolgen.
seiner Seite, wenn er nun verstärkt Druck in
Richtung eines weiteren Schuldenschnitts bei
• Die Schuldenkrise wäre nicht überwunden,
Griechenland macht, der dann aber voll die
ihre akute Phase würde durch die Kollektiv-
öffentlichen Forderungen betreffen würde.
haftung nur einige Jahre verzögert. Spätes-
Es ist nun einmal nicht die Aufgabe des IWF,
tens wenn die deutsche Bonität nicht mehr
Transfers an überschuldete Staaten zu leisten.
ausreichen würde, die fehlende Kreditwürdigkeit in anderen Eurostaaten auszugleichen, würden die Renditen der Euro-
Eurobonds wären fatale Weichenstellung
staatsanleihen wieder steigen.
Die zweite Lösungsvariante, die in unserer
Bewertung ein glasklares „No go“ verdient, ist
Der Merkel-Schäuble-Kurs ist momentan
der Einstieg in die gesamtschuldnerische
noch durch eine eindeutige Absage an die ge-
Haftung der Variante C.
samtschuldnerische Haftung gekennzeichnet. Ob Deutschland bei dieser Position
• Die Risiken für die deutschen Steuerzahler
Der Schuldentilgungsfonds ist ein
Trojanisches Pferd der
Kollektivhaftung.
bleibt, ist allerdings wohl auch von der innen-
würden mit einer solchen Weichenstellung
politischen
in eine völlig neue Größenordnung kata-
Denn die Oppositionsparteien Grüne und
pultiert. Die Staatsverschuldung Italiens
SPD haben sich deutlich zugunsten des
und Frankreichs liegt jeweils bei etwa 2 Bil-
Schuldentilgungsfonds positioniert.
Kräfteentwicklung
abhängig.
lionen Euro. Das bedeutet, dass der Haftungsverbund zu einem existenziellen Risi-
Doch der Schuldentilgungsfonds des Sach-
ko für unseren Wohlstand werden könnte.
verständigenrats kann sich als Trojanisches
Pferd erweisen, über den die Eurobonds in
• Die Anreize zum Schuldenmachen würden
Deutschland hoffähig gemacht werden sol-
wieder stark zunehmen. Kollektivhaftung
len. Die begeisterte Reaktion Südeuropas und
bedeutet gleichzeitig, dass alle Schuldner
europäischer Politiker auf diese Idee sollte ei-
wohl mehr oder minder einen Einheitszins
gentlich schon misstrauisch machen.
zahlen würden. Somit gäbe es keine Verbindung mehr zwischen der Qualität der
Finanzpolitik eines Landes und seinen Finanzierungskonditionen. Viele in Angriff
genommenen Reform- und Konsolidierungspakete in Südeuropa würden abgeblasen; die entsprechenden Länder könnten
28
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
Der Schuldentilgungsfonds des Sachverständigenrats
Öffentliche Schulden über 60 Prozent des BIP
und Währungsreserven in Betracht. Der
werden in einen europäischen Schuldentil-
Schuldentilgungsfonds wird gemeinschaft-
gungsfonds ausgelagert. Dies geschieht in ei-
lich garantiert. Der Sachverständigenrat dis-
nem mehrjährigen Prozess (der sogenannten
kutiert zwar auch eine teilschuldnerische Va-
„Roll-in-Phase“). Gleichzeitig verpflichten sich
riante. Im Kern des Vorschlags steht jedoch
die Eurostaaten auf Zahlungen an den Alt-
die gesamtschuldnerische Haftung, weil so
schuldentilgungsfonds. Diese sind so zu be-
die günstigsten Finanzierungskondiktionen
messen, dass die gemeinschaftlich finanzier-
erzielbar wären.
ten Schulden nach 25 Jahren abgetragen sind.
Dem Fonds sollen dazu die Einnahmen aus
Die Finanzierung durch den Schuldentil-
bestimmten Steuern zufließen. Nach 25 Jah-
gungsfonds soll für alle Eurostaaten zur An-
ren wären dieser Vorstellung zufolge dann alle
wendung kommen, die sich noch nicht in ei-
Staatsschulden oberhalb von 60 Prozent in
nem vollen EFSF-ESM-Anpassungsprogramm
den teilnehmenden Ländern abgetragen, und
befinden. Der Fonds würde also die Staatsver-
der Schuldentilgungsfonds hätte sich selber
schuldung aller 17 Eurostaaten finanzieren
abgeschafft.
mit Ausnahme Griechenlands, Irlands, Portugals und Zyperns. Spanien und Italien würden
Alle Staaten, die durch den Fonds teilweise fi-
somit durch den Fonds finanziert. Alle teilneh-
nanziert werden, müssen für die Kredite des
menden Staaten verpflichten sich auf die Ein-
Schuldentilgungsfonds Sicherheiten in einer
führung strenger Schuldengrenzen. Bis diese
Höhe von 20 Prozent der erhaltenden Kredite
voll wirksam werden, gelten Konsolidierungs-
als Pfand hinterlegen. Dazu kommen Gold-
vereinbarungen.
Quelle: Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat beansprucht, die Ri-
welche Art von Partei oder Regierungschef in
siken des Fonds durch die Verpfändung von
Italien des Jahres 2030 das Sagen hat, gerade
Sicherheiten und das Abtreten nationaler
dann, wenn die Sparauflagen über Jahre sehr
Steuern zu begrenzen. Abgesehen von der
drastisch sind? Es existiert keinerlei Durch-
Frage, wie viele Sicherheiten ein Land wie
griffsmöglichkeit, wenn ein Land zwar die
Spanien oder Italien tatsächlich rechtlich ver-
Kollektivhaftung
bindlich hinterlegen könnte, kann sich eine
nimmt, um sich preiswert zu finanzieren,
Abtretung von bestimmten Steuern über ei-
nach einigen Jahren aber den Sparkonsens
nen Zeitraum von 25 Jahren als äußerst
aufkündigt.
schwierig erweisen. Denn wer weiß schon,
29
dankbar
in
Anspruch
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
Niederlande: 56,3
Österreich: 40,4
Belgien: 142,1
4,1 %
Malta: 0,9
4,7 % 2,4 %
Italien: 952,0
Deutschland: 537,8
27,6%
36,5 %
Spanien: 271,0
6,1 %
Frankreich: 580,1
1
2
3
4
5
6
7
8
Schuldentilgungsfonds: maximales Volumen 2018, Angaben in Milliarden Euro
Abbildung 1: Aufteilung
des Kreditportfolios
Quelle: Sachverständigenrat, Sondergutachten
Juli 2012, Gesamtsumme:
2.580,6 Mrd. Euro.
nach Risikokategorie
Eine zweite Schwachstelle des Schuldentil-
Man kann es drehen und wenden, wie man
gungsfonds ist die Begrenzung der Kollek-
will: Auch mit dem Schuldentilgungsfonds
tivhaftung auf die Staatsverschuldung ober-
würde Europa den Weg ohne Wiederkehr in
halb von 60 Prozent des BIP. Hier bleibt die
die unbegrenzte Kollektivhaftung und immer
Frage unbeantwortet, wie denn eigentlich der
höhere Schulden beschreiten.
Rest der Staatsverschuldung finanziert werden soll, wenn der Schuldentilgungsfonds
ESM-Ausweitung wäre politischer
schon über die besten Sicherheiten wie Gold-
Kraftakt mit ungewissen Erfolgschancen
und Devisenreserven verfügt. Die restlichen
national zu finanzierenden Schulden wären
Damit bleiben in realistischer Betrachtung zur
dann immer zweitklassig und demzufolge
Stabilisierung der Lage eigentlich nur zwei Va-
mit erheblichen Risikoprämien behaftet. Es
rianten übrig, die Variante A mit dem Ausbau
ist daher völlig klar, dass sehr schnell der Ruf
des ESM oder die monetäre Variante B, in der
nach einer Ausweitung des Schuldentilgungs-
die EZB direkt oder indirekt noch stärker in
fonds auf einen noch größeren Anteil an der
die Staatsfinanzierung eingreift.
Staatsverschuldung käme. Der Sachverständigenrat quantifiziert das maximale Volumen
Die Ausdehnung des ESM-Finanzierungs­
des Schuldentilgungsfonds für das Jahr 2018
volumens wäre technisch möglich, politisch
mit knapp 2,6 Billionen Euro.
würde eine solche Operation allerdings ein
ungeheurer Kraftakt werden. Denn mit jedem
30
13,2 %
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
der bisherigen Schritte – von der Verabschie-
nung nicht. Natürlich kann sich kein An-
dung des ersten Griechenlandhilfspakets
hänger deutscher Stabilitätstradition über
über den temporären Rettungsschirm bis hin
den Einstieg in die monetäre Staatsfinanzie-
zur Etablierung des dauerhaften ESM – ist
rung freuen. Und sicherlich sind die langfris-
der politische Widerstand auch innerhalb der
tigen Inflationsgefahren nicht von der Hand
deutschen Regierungskoalition ständig ange-
zu weisen. Wenn es aber keine realistische
stiegen. Zudem wachsen die verfassungs-
andere Option ohne erhebliche Risiken gibt,
rechtlichen Risiken.
dann kann ein Eingreifen der Zentralbank
eben doch ein sinnvoller Teilbeitrag zur Be-
Schließlich dürfen wir nicht übersehen, dass
ruhigung der Lage sein. In jedem Fall wird
große Hindernisse für diese Option außer-
Zeit gewonnen, damit die Reformen ihre
halb Deutschlands warten. Ob etwa die finni-
Wirkung entfalten können.
sche Regierung noch einmal eine Ausdehnung des ESM durchsetzen könnte, ist sehr
In der Diskussion kommen – im Vergleich zu
zweifelhaft.
anderen Lösungsoptionen – einige Vorteile
der EZB-Anleihekäufe zu kurz. So sind sie
Je nach Kapitalmarktentwicklung kann das
viel eher umkehrbar als dies für alle Ret-
Verfahren auch schlicht zu lange dauern, um
tungsschirme oder gar die Eurobonds der Fall
eine Eskalation an den Märkten einzudäm-
ist. Auch liegt es keinesfalls im institutionel-
men. Mit Sicherheit würde es in Deutschland
len Eigeninteresse der EZB, auf Dauer zum
erneut eine zeitaufwändige Prüfung vor dem
Finanzier des Fiskus zu werden. Die schwe-
Bundesverfassungsgericht geben.
ren Konflikte in der EZB machen deutlich,
dass Anleihekäufe allenfalls ein notwendiges
Vor diesem Hintergrund sind die vielfach kri-
Übel sind und so schnell wie möglich wieder
tisierten EZB-Anleihekäufe die einzige schnell
eingestellt werden sollten. Dabei muss sich
verfügbare und effektive Waffe im Kampf ge-
der EZB-Rat weiterhin am obersten Ziel – der
gen eine erneute Panikattacke. Wir haben in
Verteidigung der Preisstabilität – messen las-
den vergangenen Wochen schon vor der Ent-
sen. Auch dies wird für einen ständigen
scheidung des EZB-Rats am 6. September er-
Druck in Richtung einer Beendigung der An-
lebt, wie bereits eine äußerst vage Kauf­
kaufsprogramme nach einigen Jahren sor-
ankündigung seitens EZB-Präsident Mario
gen. Mit Eurobonds läge der Fall ganz anders:
Draghi die Lage temporär entspannen konnte.
Wären diese einmal etabliert, dann würden
die begünstigten Länder zusammen mit Eu-
Für viele Ökonomen sind weitere Anleihe-
ropäischer Kommission und Europäischem
käufe jedoch des Teufels und unbedingt zu
Parlament entschlossen an diesem neuen eu-
unterlassen. Wir teilen diese radikale Ableh-
ropäischen Instrument festhalten wollen.
31
Die EZB-Interventionen
bergen Risiken
– anderen Kriseninstrumenten sind sie
aber überlegen.
4 Schuldenkrise: Lösungsoptionen
Direkte Anleihekäufe
sind einer ESMBanklizenz eindeutig
vorzuziehen.
Allerdings kommt es sehr darauf an, auf wel-
ment ist nicht falsch und verweist auf weitere
che Weise die Zentralbank in den nächsten
Kosten der Krise: Die Komplexität und die
Monaten einspringen wird. Hier besteht ein
Anforderungen der Krisenentscheidungen
fundamentaler Unterschied zwischen direk-
überfordern zunehmend die Parlamente.
ten EZB-Anleihekäufen und der viel disku-
Entscheidungen an den Parlamenten vorbei
tierten Banklizenz für den ESM. Mit der
– wie die im unabhängigen EZB-Rat gefass-
Banklizenz könnte der ESM am Kapitalmarkt
ten – werden daher wichtiger. Dies ist sicher-
erworbene Anleihen zur Refinanzierung bei
lich ein Problem für eine Demokratie. Gleich-
der Zentralbank einreichen. Hier wäre somit
wohl können mit diesem Weg für die
nicht mehr die Zentralbank die Herrin der
unmittelbare Abwehr großer ökonomischer
Entscheidung. Daher sind die direkten Anlei-
Gefahren auch Vorteile verbunden sein.
hekäufe vorzuziehen, weil der EZB-Rat in sei-
Bislang hat das Euro­
krisenmanagement
die größten Risiken
umschifft.
ner Güterabwägung zwischen Stabilisierung
Insgesamt verläuft das Krisenmanagement in
der Anleihemärkte und Preisstabilität weiter-
der Schuldenkrise unserer Auffassung nach
hin autonom bliebe. Die ESM-Banklizenz
zufriedenstellend. Bislang konnten die wirk-
würde die Steuerungsfähigkeit der EZB sehr
lich hochriskanten Optionen – Eurobonds,
viel stärker beeinträchtigen als die direkten
ungeordnete Zahlungsausfälle – vermieden
Anleihekäufe.
werden. Der EZB-Weg birgt ebenfalls Risiken, die wir im nächsten Kapitel noch genau-
In der politischen Diskussion wird an der
er beleuchten. Wir schätzen diesen Weg aber
EZB-Lösung kritisiert, dass diese undemo-
nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der-
kratischer sei als neue von den Parlamenten
zeit am ehesten als vertretbar ein.
genehmigte Kreditoperationen. Das Argu-
32
5 Geldpolitik:
Einbahnstraße in die Inflation?
Gewöhnlich beginnt die Analyse der Situati-
durchgreifenden Konsolidierung, dann wer-
on an der Inflationsfront mit aktuellen Daten
den die Anleihebestände in der EZB-Bilanz
zur Preis- und Geldmengenentwicklung.
in gefährliche Größenordnungen wachsen.
Derzeit wäre dieser Einstieg für eine geldpoli-
Im schlimmsten Fall würde die Zentralbank
tische Analyse der Eurozone jedoch unpas-
die Kontrolle über die Geldmenge verlieren.
send. Denn halbwegs akzeptable kurzfristige
Aussagen, dass die EZB in einem solchen Fall
Preisdaten dürfen nicht darüber hinwegtäu-
die Anleihekäufe einfach einstellen könnte,
schen, dass die Ausweitung der EZB-Staats-
sind nicht glaubwürdig. Der plötzliche Exit
anleihekäufe eine neue Ära der europäischen
aus der einmal begonnenen Schuldenfinan-
Geldpolitik markiert.
zierung würde unweigerlich zum Kollaps der
Die EZB-Staatsanleihekäufe markieren eine
neue Ära der europäischen Geldpolitik.
Eurozone führen, der nach dem Konsens eiDie Zusage der EZB, Spanien und Italien ge-
ner Mehrheit im EZB-Rat unter allen Um-
gen zu hohe Anleihezinsen zu schützen, ist
ständen vermieden werden muss.
im Grunde eine Wette auf den Erfolg der Reformprozesse in diesen Ländern. Wenn die
Insofern ist nun etwas eingetreten, was mit
Reformen und Konsolidierungsbemühungen
dem Maastrichter Vertrag eigentlich verhin-
dort weiterhin demokratische Akzeptanz fin-
dert werden sollte: Die Stabilität des Euro ist
den und ökonomisch Früchte tragen, dann
nicht mehr nur von der EZB abhängig, son-
dürfte alles gut gehen. Dann werden auch die
dern entscheidet sich von nun an auch in
monetären Folgen der Stützungsoperationen
Rom und Madrid.
begrenzt sein. Kommt es aber nicht zur
Details des Outright-Monetary-Transactions-Programms (OMT)
Konditionalität: Eine notwendige Bedingung
Anwendung: Das Programm kommt für
für die Stützung eines Landes durch das OMT-
Länder mit EFSF-ESM-Unterstützung oder
Programm ist, dass das Land den Reform- und
Hilfszusagen in Betracht und soll auch für Kri-
Sparauflagen der Rettungsschirme (EFSF/
senstaaten in der Phase angewendet werden,
ESM) unterworfen ist.
wenn sie an den Kapitalmarkt zurückkehren.
33
Die Stabilität des Euro
entscheidet sich nun
auch in Rom und
Madrid.
5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ?
Gläubigerstatus: Die EZB verzichtet auf einen
heißt die Liquiditätseffekte durch andere
bevorrechtigten Gläubigerstatus. Im Fall einer
geldpolitische Geschäfte neutralisieren.
Umschuldung würde sie die gleichen Verluste
erleiden wie private Gläubiger. Dies war im Fall
Transparenz: Der Bestand an Anleihen in der
der Griechenlandumschuldung noch anders.
EZB-Bilanz wird wöchentlich publiziert. Monatlich wird der Bestand nach Laufzeit und
Geldmengeneffekte: Die EZB will die OMT-
Ländern aufgeschlüsselt.
Programme in voller Höhe „sterilisieren“, das
Quelle: EZB
Nach der Aktivierung des EZB-Kaufpro-
onsproblem trotz des aktuell ölpreisbeding-
gramms werden die Erfahrungen der ersten
ten Preisauftriebs. Die konjunkturelle Schwä-
Wochen entscheidend sein. Im günstigen Fall
cheperiode in der Eurozone erstickt jeden
wird allein die Bereitschaft der EZB, bestimm-
allgemeinen Preisauftrieb schon im Ansatz.
te kritische Zinshöhen zu verhindern, die
Sinkende Löhne in der europäischen Peri-
Märkte stabilisieren, ohne dass die Zentral-
pherie und die schwindende Kaufkraft in den
bank in großem Umfang tatsächlich Anleihen
Ländern mit wachsender Arbeitslosigkeit
kaufen muss. In diesem Szenario würden zwar
wirken inflationsbremsend. Gäbe es nicht die
auch Risiken für die mittelfristige Stabilität
Sondereffekte durch den aktuellen Ölpreis-
des Euro verbleiben, die Chancen für einen
schub, dann würde die Inflationsrate der Eu-
guten Ausgang würden aber klar zunehmen.
rozone noch markanter abrutschen. Ebenso
wenig bietet die Geldmengenentwicklung ak-
Die Eurozone hat
keine gravierenden
kurzfristigen
Inflationsrisiken.
Die Inflationsgefahren werden hingegen zu-
tuell Grund zur Beunruhigung. Die Geld-
nehmen, wenn den Märkten bloße Ankündi-
menge wächst seit geraumer Zeit zwischen
gungen nicht reichen. Dann wird die EZB in
2 und 3 Prozent, die Zielrate der EZB für
den kommenden zwei Jahren spanische und
das Wachstum ihres wichtigsten monetären
italienische Bonds im Umfang von Hunder-
Aggregats liegt bei 4,5 Prozent, die Kredite an
ten von Milliarden Euro in die Bücher neh-
den Privatsektor sind sogar rückläufig.
men müssen. In diesem Szenario bewegt sich
die Währungsunion klar in Richtung einer
Es ist dieses aktuelle Umfeld, für das die EZB
Inflationsgemeinschaft.
ihre zinspolitischen Entscheidungen trifft.
Und in diesem Umfeld besteht immer noch
Bei allen Diskussionen um die mittel- und
Zinssenkungsspielraum. Wir hielten es aber
langfristigen Inflationsgefahren möchten wir
für richtig, wenn sich die EZB nach ihrer letz-
jedoch klarstellen: In der kurzen Frist hat die
ten Zinssenkung vom Juli von 1,0 auf
Eurozone kein wirklich gravierendes Inflati-
0,75 Prozent noch etwas Zeit für weitere
34
5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ?
Zins­senkungen ließe und sich den ohnehin
Bei der Leitzinsrate erwarten wir daher allen-
nur noch knapp bemessenen Spielraum auf-
falls noch einen 0,25-Prozent-Schritt und
sparte. Für eine zinspolitische Ruhephase
keine rasche weitere Annäherung an die
sprechen die folgenden Argumente:
Nulllinie.
1. Eine Senkung der EZB-Leitzinsen ist in der
Dass die EZB nun erst einmal eine zinspoliti-
gegenwärtigen Lage kein aussichtsreiches
sche Pause einlegen sollte, bestätigen auch die
Mittel zur Bekämpfung der Rezession in
Erfahrungen der Fed. Die amerikanische
der Eurozone. Niedrigere Leitzinsen kön-
Zentralbank hat ihr Pulver, was die klassische
nen die Kreditkosten und die Kreditverfüg-
Geldpolitik anbelangt, seit Langem verschos-
barkeit in den Krisenstaaten kaum günstig
sen. Schon fast vier Jahre, seit Dezember
beeinflussen. Denn sie verändern nichts an
2008, befinden sich die Leitzinsen bei 0 bis
der Risikoeinschätzung und den Zinsauf-
0,25 Prozent. Manche Versuche, das Wachs-
schlägen von Kreditnehmern aus den
tum trotzdem weiter anzukurbeln, wirken
PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland,
fast schon verzweifelt. So arbeitet die Fed nun
Griechenland, Spanien). Vermutlich wir-
mit Versprechen darüber, wie lange sie die
ken klassische Zinssenkungen sogar in un-
Zinsen noch bei null halten will. Dabei gilt
günstiger Weise ungleich: Während niedri-
seit Neuestem sogar die Zusage, dass die Leit-
gere EZB-Zinsen in Südeuropa nichts
zinsen noch bis Mitte 2015 auf einem niedri-
bewirken, heizen sie die deutsche Konjunk-
gen Niveau verbleiben sollen. Was ein solches
tur weiter an. Auf diese Weise verschärft sich
Niedrigzinsversprechen wert ist, bleibt aller-
das Konjunkturgefälle noch weiter. Daran
dings völlig ungewiss. Es ist schwer vorstell-
kann dem EZB-Rat nicht gelegen sein.
bar, dass die Fed diese Zusagen einhalten
könnte, wenn es überraschend zu einer star-
2. Die EZB wird sich nun auf die Konzeption,
ken Wachstumserholung mit einem Inflati-
Durchführung und Wirkungsanalyse ihres
onsschub käme.
neuen Anleihekaufprogramms konzentrieren. Dieser neue Ansatz ist viel eher ge-
Entsprechend richten sich die Hoffnungen ei-
eignet, zur Stabilisierung der Europeriphe-
ner wirksameren Wachstumsunterstützung
rie beizutragen als klassische geldpolitische
auf die neuen Varianten der geldpolitischen
Instrumente. Auch dieses Programm läuft
Lockerung. Nach Wochen der Unsicherheit
auf Zinssenkungen hinaus. Allerdings be-
hat sich der Offenmarktausschuss mitten im
treffen diese den langfristigen Kapital-
Präsidentschaftswahlkampf auf eine dritte
marktzins und nicht nur den Kurzfristzins,
Runde des „Quantitative Easing“ („QE3“) ver-
der normalerweise Gegenstand geldpoliti-
ständigt. Dieser Schritt wurde dadurch er-
scher Entscheidungen ist.
leichtert, dass Inflationsgefahren derzeit nicht
35
Der Spielraum der
EZB für weitere
Zinssenkungen ist
knapp bemessen.
5 G e l d p o l i t ik : Ei n b a h n s t r a SS e i n di e I n f l a t i o n ?
Ein Inflationsproblem
besteht trotz des
Ölpreisschubs weder
diesseits noch jenseits
des Atlantiks.
existieren. Ganz im Gegenteil ist die Inflati-
Mit Blick auf die beiden führenden Noten-
onsrate in diesem Jahr markant abgesunken,
banken der Welt ist dieses Mal ein überein-
von fast 3 Prozent zu Jahresbeginn auf nur
stimmendes Fazit angebracht: Ein nennens-
noch 1,5 Prozent im Sommer und Herbst. An-
wertes kurzfristiges Inflationsproblem besteht
gesichts dessen mehren sich schon die Stim-
trotz des Ölpreisschubs weder diesseits noch
men, die für die USA vor dem Risiko einer
jenseits des Atlantiks. Aber beide Notenban-
Deflation warnen. Und weil die Fed neben
ken, Fed und die EZB, haben ihr klassisches
dem Ziel der Preisstabilität auch Wachstums-
Instrumentarium auch weitgehend ausge-
und Beschäftigungsziele zu verfolgen hat, ist
reizt. Die EZB hätte zwar noch Zinssen-
sie durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit
kungsspielraum, derzeit sind solche Zins-
zum Handeln gezwungen. Das beschlossene
schritte aber sinnlos. Infolgedessen konzen-
QE3 zielt auf eine Stabilisierung des Immobi-
trieren sich beide auf unkonventionelle Pro-
lienmarktes ab. Pro Monat sollen im Umfang
gramme, die am langen Ende des Zinsspekt-
von 40 Milliarden US-Dollar Hypotheken-
rums ansetzen.
anleihen gekauft werden. Das Programm
läuft ohne zeitliche Begrenzung. Außerdem
Beide Zentralbanken werden dadurch der
behält sich die Notenbank noch umfassendere
Konjunkturerholung Rückendeckung geben
Käufe unter Einschluss von Staatsanleihen
können. Geldpolitisch stehen die Zeichen
vor, sollte es nicht zu einer Entspannung auf
weiterhin auf Expansion. Inflationäre „Risi-
dem Arbeitsmarkt kommen.
ken und Nebenwirkungen“ sind real und
hochgradig relevant, betreffen aber eben nur
die längere Frist. Mit Blick auf 2013 ist momentan nicht mit inflationären Impulsen zu
rechnen.
36
6 Weltwirtschaft:
Schuldenkrise und Chinasorgen
Die europäische Schuldenkrise ist längst
junktur nach unten. Das globale Wachstum
nicht das einzige Hindernis für das globale
kann deshalb in den kommenden Jahren
Wirtschaftswachstum. Weitere Risikofakto-
nicht mehr wie bisher auf die Unverwund-
ren treten hinzu, die sich mit der Krise in der
barkeit der asiatischen Staaten setzen. Ganz
Eurozone und ihren weltweiten Auswirkun-
im Gegenteil: Für die Volksrepublik und
gen wechselseitig verstärken. Folgende Belas-
für Indien kann der Wachstumsrückgang
tungen sind zu nennen:
durchaus stärker als befürchtet ausfallen.
• Ganz untypisch für eine sich verschlech-
• Die Industriestaaten verfügen über keinen
ternde globale Konjunkturperspektive ist
fiskalischen Stabilisierungsspielraum mehr.
der Ölpreis in den zurückliegenden Mona-
Deshalb werden viele Eurostaaten, aber auch
ten auf Klettertour gegangen. Gründe
die USA, ihre Konjunktur durch harte Spar-
sind Produktionsausfälle, aber vor allem
bemühungen weiter belasten müssen. Hinzu
die schärfer werdende Kriegsrhetorik im
kommt, dass in den USA zur Jahreswende
Israel-Iran-Atomkonflikt. Seit Mitte Juni
die „Fiskalklippe“ droht, eine überaus starke
ist der Preis für Brent-Öl um 30 Prozent ge-
automatische Konsolidierung durch Steuer-
stiegen. Auch mag eine spekulative Flucht
erhöhungen und Ausgabekürzungen.
in Rohstoffe angesichts der Abwendung
von den Staatsanleihen eine Rolle spielen.
Diesen Belastungen stehen allerdings auch
Bislang waren hohe Ölpreise Indikatoren
stabilisierende Elemente gegenüber:
für bessere Konjunkturaussichten. Dies gilt
jetzt eher nicht – und könnte daher die Sta-
• Die Geldpolitik wirkt global äußerst expan-
gnation und Rezession verschärfen.
siv. Gleichzeitig ist der Inflationsdruck in
Ländern wie den USA, der Volksrepublik
• Die asiatischen Schwellenländer schwä-
China und auch in der Eurozone gesunken.
cheln stark. Und dies gilt besonders für die
Bevölkerungsgiganten China und Indien.
• Die sicheren Häfen in der Vertrauenskrise
Die Gründe sind nicht nur in den geringe-
um die Staatsverschuldung profitieren von
ren Exporten nach Europa zu suchen, auch
außerordentlich niedrigen Zinsen. Kapital
hausgemachte Probleme ziehen die Kon-
für den Staat und für die Unternehmen in
37
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
den USA, in Deutschland, aber auch in vie-
• Und wie immer gibt es eben auch Gewinner
len anderen halbwegs soliden Staaten ist
der hohen Rohstoffpreise. Die Ölproduzen-
derzeit historisch billig zu haben. Dies sta-
ten verfolgen weiterhin eine großzügige In-
bilisiert Investitionen und Konsum.
vestitionspolitik, sodass sie die Weltwirtschaft teilweise für den ölpreisbedingten
IstPrognose
20112012
Weltwirtschaft
3,93,3 3,6
Industriestaaten
1,61,3 1,5
USA
1,72,0 2,1
Eurozone
1,5–0,4
0,2
– Deutschland
3,1
1,0
1,0
– Frankreich
1,7
0,1
0,4
– Italien
0,4
–2,3
–0,7
– Spanien
0,4
–1,5
–1,3
Japan
Großbritannien
2013
–0,72,2 1,2
0,7–0,4
1,1
Schwellen- und
Entwicklungsländer
6,2
5,3
Afrika
5,15,0 5,7
Mittel- und Osteuropa
5,3
Russland
4,33,7 3,8
Asien
7,86,7 7,2
– China
9,2
7,8
8,2
– Indien
6,8
4,9
6,0
Mittlerer Osten
3,3
5,3
3,6
Mittel- und Südamerika
4,5
3,2
3,9
– Brasilien
2,7
1,5
4,0
2,0
Weltwirtschaft: Prognosen des Internationalen Währungsfonds
Quelle: IWF
38
5,6
2,6
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
Kaufkraftentzug entschädigen. Dabei konn-
Vermögensverluste
ten Staaten wie Irak oder Libyen ihre Erdöl-
bremsen daher die Konsumbereitschaft der
produktion zuletzt wieder stark ausweiten.
breiten Masse. Hier gab es zuletzt einige hoff-
der
Immobilienkrise
nungsvoll stimmende Nachrichten. So ist der
Beginnen wir unsere Detailanalysen zur
Hauspreisindex im Frühjahr endlich wieder
Weltwirtschaft in den USA – der Volkswirt-
leicht gestiegen, allerdings liegen die Preise
schaft, in der der Staat weit höhere Staats-
landesweit immer noch um ein Drittel unter
schulden und ein weit höheres Defizit auf-
dem Vorkrisenniveau. Weil aber die Verluste
weist als in der krisengeplagten Eurozone.
inzwischen mental von vielen Besitzern abgeschrieben sein dürften, können neue mode-
USA: Handlungsfähigkeit der neuen
rate Wertgewinne tatsächlich für eine etwas
Administration wird kritischer Faktor
verbesserte Konsumstimmung sorgen. Dies
ist auch bitter nötig. Denn die amerikanische
Für die Vereinigten Staaten ist 2012 konjunk-
Konjunktur ist auf ausgabefreudige Verbrau-
turell im ersten Halbjahr enttäuschend ver-
cher stark angewiesen.
laufen. Trotz aller geldpolitischer Rücken­
deckung und eines ungebremsten „Deficit
In dieser fragilen Lage ist es politisch ver-
Spending“ – das Staatsdefizit liegt aktuell bei
ständlich, dass die Obama-Administration
8 Prozent des BIP – war im zweiten Quartal
mitten im Präsidentschaftswahlkampf hek-
eine erneute leichte Abschwächung zu verbu-
tisch von den Europäern Maßnahmen zur
chen. Die Wirtschaftsleistung wuchs real nur
Beendigung der Krise einforderte. Dennoch
noch mit einer Jahresrate von 1,7 Prozent, im
hat die US-Politik selbst die entscheidende
ersten Quartal hatte das Wachstum noch
Verantwortung für das ökonomische Wohl­
2 Prozent betragen. Für die USA sind dies er-
ergehen des Landes. Für erhebliche Nervo­
nüchternde Zahlen, zumal der US-Arbeits-
sität wird in den kommenden Monaten die
markt erst bei einem Wachstum deutlich
Debatte um die „Fiskalklippe“ sorgen. Dieser
oberhalb von 2 Prozent wirklich belebt wer-
Begriff bezeichnet die automatischen Spar-
den kann. Aktuell prognostiziert die Fed für
maßnahmen, die Ende 2012 Gesetzeskraft
das Gesamtjahr 2012 eine Zunahme des BIP
erlangen, wenn sie nicht noch vom Kongress
von 1,9 Prozent und 2,4 Prozent im kommen-
abgemildert werden. Viele der Steuerentlas-
den Jahr – ein für die US-Erfahrung äußerst
tungen der zurückliegenden Jahre, zum gro-
unbefriedigender Wert.
ßen Teil noch unter George W. Bush beschlossen, waren befristet und laufen Ende
Eine Schlüsselrolle für mehr Wachstum spielt
2012 aus. Des Weiteren sind automatische
der Häusermarkt. Zwei von drei US-Bürgern
Ausgabenkürzungen gesetzlich vorgeschrie-
sind Besitzer eines Eigenheims. Die starken
ben. In der Summe werden alle diese Spar39
Am US-Immobilienmarkt gib es Anzeichen
für eine Stabilisierung.
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
maßnahmen auf etwa 4 Prozent des BIP ver-
Abstriche am vorsichtig optimistischen Be-
anschlagt. Würden diese Kürzungen tat-
fund in der Region gelten für Argentinien.
sächlich so kommen, könnte dies die US-
Das Land leidet unter hoher Inflation und ei-
Wirtschaft in eine Rezession stürzen. Im
ner zunehmend wirtschaftsfeindlichen Regu-
Grunde besteht daher ein politischer Kon-
lierung. Beunruhigend sind neue protektio-
sens darüber, dass die Konsolidierungsmaß-
nistische Ansätze, die Lateinamerika in den
nahmen zeitlich gestreckt verlaufen sollten.
zurückliegenden Jahrzehnten immer mehr
Wir haben aber schon im Sommer vergange-
geschadet als genützt haben. Trotz aller Be-
nen Jahres erlebt, wie sehr sich Demokraten
denken bleibt die Region südlich der USA
und Republikaner wechselseitig blockieren
insgesamt ein Hort vergleichsweiser ökono-
können, auch wenn es zum Schaden des Lan-
mischer Stärke und könnte in den kommen-
des ausgeht. Insofern wird viel davon abhän-
den Monaten mit zu einer Stabilisierung der
gen, wie handlungsfähig der Kongress ist.
Weltkonjunktur beitragen.
Lateinamerika:
Japans Sonderkonjunktur läuft 2013 aus
geringe Europaverbindung vorteilhaft
Japan erlebt 2012 die Sonderkonjunktur des
Süd- und Mittelamerika
sind momentan
vergleichsweise
resistente
Wirtschaftsregionen.
Den lateinamerikanischen Ökonomien kommt
Wiederaufbaus der durch Erdbeben und Tsu-
derzeit zugute, dass Europa als Handelspartner
nami zerstörten Gebiete. Diese Zusatznach-
nur eine geringe Rolle spielt. Die Brems­effekte
frage stabilisiert in diesem Jahr das Wachs-
der europäischen Schuldenkrise sind daher
tum bei gut 2 Prozent. Hinzu kommt die auf
sehr viel geringer als etwa in Mittel- und Osteu-
Vorkrisenniveau produzierende Autoindus­
ropa. Bemerkenswert ist, dass Staaten, die in
trie, die nun die Weltmärkte wieder kräftig
der Vergangenheit immer wieder eigene Schul-
beliefern kann. Aber schon im nächsten Jahr
denkrisen durchlaufen haben, bislang nicht
wird die Sonderkonjunktur auslaufen. Auch
von der Krise der europäischen Peripherie an-
drohen nun unweigerlich konkrete Konsoli-
gesteckt wurden. Zudem ist es bis auf einige
dierungsschritte, um überhaupt erst einmal
nervöse Marktphasen nicht zu einer Kapital-
das Wachstum der Rekordstaatsverschuldung
flucht aus Südamerika gekommen. Die starke
einzudämmen. Japan wird Ende 2012 voraus-
Präsenz spanischer Banken in der Region sollte
sichtlich mit 236 Prozent des BIP verschuldet
als möglicher Übertragungsweg der Krise zu-
sein. Und der IWF prognostiziert danach ei-
dem nicht überstrapaziert werden. Spanien ist
nen weiteren Anstieg mit einer Geschwindig-
mit eigenständigen Tochterunternehmen in
keit von 10 Prozentpunkten pro Jahr. Dass
der Region aktiv; sie würden auch bei Schiefla-
das Land einen Schuldenstand weit über dem
gen der Mutterinstitute das Bankensystem in
Griechenlands ökonomisch überleben kann,
den Gastländern kaum destabilisieren.
hat zwei Gründe: Erstens ist Japan im Inland
40
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
verschuldet, und die japanischen Sparer blei-
Container im Chinaverkehr um rund 7 Pro-
ben bis auf Weiteres treue Käufer der Japan-
zent. Ähnliche Zahlen sind aus Rotterdam zu
bonds. Und zweitens notieren die Schulden
vermelden. Bei allem Lamento über den glo-
in einer eigenständig kontrollierten Wäh-
balen Abstieg Europas: Der Kontinent ist im-
rung. Notfalls – und im Unterschied zu den
mer noch so bedeutend, dass eine europäi-
europäischen Krisenstaaten – könnte die ja-
sche Rezession eben doch globale Kreise zieht
panische Zentralbank mit der Notenpresse
und Asien erreicht.
jeden „Run“ abwehren.
Japan wird Ende 2012
voraussichtlich mit
236 Prozent des BIP
verschuldet sein.
Insbesondere das chinesische Wachstum
Dennoch ist völlig klar, dass die ökonomische
wird derzeit stark von der Außenwirtschaft
Zukunft des Landes durch die Rekordschul-
ausgebremst. Zuletzt nahmen die Exporte
den bedroht ist. Schon ein moderater Anstieg
kaum noch zu. Zweistellige Zuwachsraten
der Zinsen könnte die Situation gefährlich de-
sind für China in weiter Ferne. Eine harte
stabilisieren. Von daher handelt die Regierung
Landung mit einem Absturz des Wachstums
richtig, wenn sie nun eine schrittweise Ver-
unter 5 Prozent ist jedoch eher unwahr-
dopplung der Mehrwertsteuer von 5 auf
scheinlich. China verfügt im Gegensatz zu
10 Prozent bis 2015 beschlossen hat. Klar ist
den meisten Industrieländern über reichlich
aber auch, dass dies den Konsum belasten
Munition, um eine schwache Wirtschaft
wird. Die kurzfristigen Konjunkturdaten wa-
durch zusätzliche Staatsausgaben oder mone-
ren zuletzt uneinheitlich. Die Wachstumser-
täre Lockerung zu beleben. Die zuletzt fallen-
wartung von etwa 2 Prozent in diesem Jahr ist
de Inflationsrate hat diesen Spielraum noch
nur dann realisierbar, wenn die Exporte nach
vergrößert. Die Gegenmaßnahmen dürften
Europa und in die Volksrepublik China nicht
China vor einem starken Abrutschen bewah-
noch stärker absacken; im Sommer waren hier
ren, können die alte Dynamik aber nicht wie-
überraschend schlechte Zahlen zu vermelden.
derherstellen.
China und Indien: parallele
Noch ungünstiger stellt sich die Lage in Indi-
Verlangsamung zweier ungleicher
en dar, wo zur externen Abschwächung haus-
Ökonomien
gemachte Probleme kommen. Seit zwei Jah-
Das chinesische
Wachstum wird
derzeit stark von der
Außenwirtschaft
ausgebremst.
ren wird das Land von einer handlungsWer sich aktuell über die Entwicklung der
unfähigen Koalition regiert, deren Amtszeit
asiatischen Schwellenländer informieren will,
noch bis 2014 dauert. Projekte, die wichtig für
muss eigentlich nur die Containerstatistiken
ein verbessertes Wachstumspotenzial wären,
des Hamburger Hafens studieren. Und diese
kommen nicht voran: so etwa das Handels­
Statistiken zeigen seit dem Frühjahr nichts
abkommen mit Europa, das Antikorruptions-
Gutes: Von April bis Juni sank die Zahl der
gesetz, die Privatisierung von Staatsbetrieben
41
Die indische
Wirtschaft kämpft
mit hausgemachten
Problemen.
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
oder die Deregulierung wichtiger Inlands-
blik. Ungarn durchläuft hingegen eine schwe-
märkte. Hinzu kommt auch klimatisches
re Rezession.
Pech: Der Monsun bringt in diesem Jahr zu
wenig Regen in einem Land, in dem noch
Russlands Wirtschaftsentwicklung ist weiter-
70 Prozent der Menschen von der Landwirt-
hin ölpreisgetrieben. Als die Rohstoffpreise
schaft leben. Anders als in China kämpft die
vor vier Monaten deutlich abgesunken wa-
indische Zentralbank auch immer noch mit
ren, wurden auch die Wachstumsprognosen
einem starken Inflationsdruck von knapp
zurückgenommen. Der zwischenzeitlich wie-
7 Prozent. Damit fehlt der Spielraum, um das
der stark gestiegene Ölpreis stabilisiert das
Wachstum monetär zu stimulieren. Insgesamt
Land wieder, sodass ein Wachstum um die
dürfte die Regierungsprognose für 2012 von
4 Prozent ungefährdet erscheint oder sogar
6,7 Prozent daher zu optimistisch sein.
bei anhaltend hohen Rohstoffnotierungen
noch leicht übertroffen werden könnte.
Mitteleuropa: erneut starker Kontrast
Russlands
Wirtschaftsentwicklung
ist weiterhin
ölpreisgetrieben.
zwischen Polen und Ungarn
Eurozone in der Rezession
Mittel- und Osteuropa wird über zwei Kanäle
Damit sind wir mit Europa und der Eurozone
durch die Schulden- und Bankenkrise in
in der Region angelangt, die heute der globale
Westeuropa in Mitleidenschaft gezogen. Zum
ökonomische Krisenherd schlechthin ist.
einen sinkt die Nachfrage der Krisenstaaten
Fakt ist zunächst, dass 2012 für die Eurozone
nach Gütern. Zum anderen verschlechtern
eine Rezession gebracht hat. Diese fällt insge-
sich aber auch die Finanzierungsbedingun-
samt gesehen zwar mild aus (etwa –0,3 Pro-
gen. Die Region hat in der Finanzierung ihrer
zent); hinter dem Durchschnitt verbergen
Investitionen in den zurückliegenden Jahren
sich aber markante Unterschiede. Während
stark vom Kapital internationaler Banken
sich die überwiegende Zahl der Eurostaaten
profitiert. Dieses Kapital bleibt nun aus, weil
zwischen Stagnation und leichtem Wachstum
viele Banken ihre Bilanzsummen herunter-
befindet, sind die Staaten der Schuldenkrise
fahren müssen und wieder sensibler für Risi-
(inklusive Italien und Spanien) in einer
ken geworden sind.
schweren Rezession. Einzig Irland kann
schon in diesem Jahr wieder eine schwarze
Allerdings gibt es in der Region große Unter-
Wachstumszahl vorweisen und bestätigt sich
schiede. Wie schon in der Finanzkrise sticht
als Leader, der als Erster den Weg aus der
Polen erneut durch eine besonders stabile
Schuldenfalle finden könnte.
Entwicklung heraus und kann in diesem Jahr
gut 2,5 Prozent Wachstum erzielen. Ähnlich
positiv ist die Lage in der Slowakischen Repu42
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
bindung eingeführt, der Mindestlohn weiter
Frankreich: ein künftiger Krisenstaat?
erhöht und die Erhöhung des RenteneinSeit den Zeiten der DM-Bindung des franzö-
trittsalters teilweise wieder zurückgenom-
sischen Francs hat sich Frankreich in seinen
men. Es verwundert nicht, dass Investoren
ökonomischen Ambitionen an Deutschland
einen Bogen um das Land machen und Kon-
orientiert. Diese Bindung erscheint uns der-
sumenten das Vertrauen in die wirtschaftli-
zeit so stark gefährdet wie kaum zuvor. Im
che Zukunft verlieren. All dieses schlägt sich
starken Gegensatz zu Deutschland hat das
in Wachstumsprognosen nieder, die der Re-
Land in den vergangenen Jahren immer mehr
zessionsgrenze entgegenrutschen.
an Wettbewerbsfähigkeit und Exportanteilen
verloren. 2011 hat Frankreich mit einem
Die französischen Probleme sind ein europä-
hohen Leistungsbilanzdefizit einen Negativ-
isches Risiko. Deutschland ist überfordert
rekord aufgestellt, und schon im ersten Halb-
mit der Aufgabe, die Eurozone zu stabilisieren,
jahr 2012 war erneut ein Defizit in Höhe von
wenn die zweitgrößte Ökonomie des Wäh-
35 Milliarden Euro zu verbuchen.
rungsraums weiter abrutscht. Die Wachstums­
Frankreich bietet
Anlass zur besonderen
Sorge – auch aufgrund
überbordender
Regulierung.
perspektive 2013 wird sich für die Eurozone
In einer solchen Situation bräuchte das Land
erst dann aufhellen, wenn die Stabilisierung
dringend einen großen marktorientierten Re-
der Krisenländer gelingt.
formschub, der die überbordende Regulierung und die Strangulation durch den Fiskus
Vereinigtes Königreich: Rezession
zurückdrängt. Doch ganz im Gegenteil kom-
verhindert Gesundung der
men die neuen Gesetze der sozialistischen
Staatsfinanzen
Regierung eher einem Investorenvertreibungsprogramm gleich: Eine starke Erhö-
Die wichtigste EU-Ökonomie außerhalb der
hung der Vermögensteuer treibt die Besteue-
Eurozone preist sich heute zwar glücklich, im-
rung nun auf ein Niveau, das in vielen Fällen
mer euroskeptisch gewesen zu sein und sich
die Erträge übersteigt. Die Erbschaftsteuer-
auf das Experiment der Einheitswährung nie-
freibeträge werden auf 100.000 Euro je El-
mals eingelassen zu haben. Gleichwohl ist
ternteil und Kind herabgesetzt, und die bis-
auch für das Vereinigte Königreich mit seiner
lang übliche Anpassung an die Inflation
eigenen Währung der Weg aus der fiskalischen
entfällt. Und die Spitzensteuerdrohung von
Krise steinig. Das Defizit soll in diesem Jahr
75 Prozent für Einkommen über 1 Million
zwar auf 5,8 Prozent (von 8,2 Prozent) sinken.
Euro wird befristet zur gesetzlichen Realität.
Die rezessionsbedingten Steuerausfälle wer-
Aber auch in anderen Bereichen greift der
den dieses Ziel aber wohl vereiteln. Allenfalls
Staat immer weiter regulierend ein: Auf dem
im kommenden Jahr könnte endlich wieder
Wohnungsmarkt wird nun eine Mietpreis-
ein leichtes Wirtschaftswachstum messbar
43
Großbritannien betreibt
– im Gegensatz zu Frankreich – eine konsequent
wirtschaftsfreundliche
Politik.
6 Weltwirtschaft: Schuldenkrise und ChinaSorgen
Die globale
Konjunkturperspektive
bleibt insgesamt
gedämpft.
werden, angeführt von einer Belebung des
perspektive 2013 darstellt. Aber auch der chi-
Konsums und der Unternehmensinvestitio-
nesische Konjunkturmotor verliert an Kraft
nen. Der Gegensatz zu Frankreich in der Kon-
und leidet an den Nachfrageausfällen aus Eu-
solidierungspolitik könnte kaum größer sein.
ropa. In dieser Gemengelage werden die Bäu-
Das Vereinigte Königreich bleibt konsequent
me in Sachen Welthandel im kommenden
bei seiner wirtschaftsfreundlichen Politik und
Jahr nicht in den Himmel wachsen. Auf kräf-
versucht die fiskalische Anpassung durch Zu-
tige Exportzuwächse wie in den zurücklie-
rückdrängung der Staatsquote zu realisieren –
genden Jahren kann die deutsche Wirtschaft
beispielsweise durch eine weitgehende Voll­
kurzfristig nicht bauen. Immerhin ist derzeit
finanzierung der Universitäten und stark stei-
aber auch keine wirklich krisenhafte Zuspit-
gende Studiengebühren.
zung in der Weltwirtschaft erkennbar. Glücklicherweise steuert heute eine Vielzahl von
Weltwirtschaft: wenig euphorische
Ländern und Regionen ihren Teil zur globa-
Aussichten für 2013
len Dynamik bei, sodass sich eine europäische Rezession nicht mehr so verheerend
Es ist der Alte Kontinent, der nach wie vor die
auswirkt wie dies noch vor 10 oder 20 Jahren
größten Risiken für die weltweite Wachstums­
der Fall gewesen wäre.
44
7 Deutschlandprognose 2013
Deutschland blickt von 2010 bis 2012 auf eine
der Regierung Monti und eine Rückkehr zum
ständige Wachstumsverlangsamung zurück:
populistischen Regierungsstil im Rom.
Von 3,7 Prozent im Boomjahr 2010 ging es
über 2,5 Prozent abwärts auf knapp 1 Prozent
Hingegen betrachten wir eine mögliche erneute
im laufenden Jahr. Derzeit ist es noch offen,
Zuspitzung um die Situation Griechenlands
ob das neue Jahr wieder eine Wende zu höhe-
nicht wirklich als substanziellen Risikofaktor
rem Wachstum bringen wird. Aus heutiger
für die globale Konjunktur. Nach der großen
Sicht halten wir das durchaus für möglich.
Umschuldung in diesem Jahr ist das Land keine
Die deutsche Volkswirtschaft ist in einer so
wirkliche Gefahr mehr für die Finanzmärkte.
starken Verfassung, dass sie ein Wachstum
von gut 1,5 Prozent erreichen kann, wenn das
Risikoszenario Krieg Israel – Iran
außenwirtschaftliche Umfeld halbwegs stabil
ist. Dieses „Wenn“ ist die entscheidende Ein-
Der hohe Ölpreis der zurückliegenden Wo-
schränkung für die Prognose der deutschen
chen gibt einen Vorgeschmack darauf, was
Konjunktur 2013 in harten Zahlen. Und die
passieren könnte, wenn es im Nahen Osten
Rückkehr zu einem außenwirtschaftlich sta-
zum Krieg zwischen Israel und dem Iran
bilen Umfeld hängt von mehreren Entwick-
käme. Ein panikartiger Ölpreisschub wäre die
lungen ab.
Folge. Etwaige Hoffnungen auf eine Erholung
der US-Konsumkonjunktur würden damit
Die europäische Schuldenkrise muss ihr aku-
einen Rückschlag erleiden. Dauer und Ver-
tes Stadium verlassen. Nur wenn Italien und
lauf einer militärischen Auseinandersetzung
Spanien glaubwürdig gefestigt werden kön-
und die Folgen für die politische Stabilität
nen, tritt dieser günstige Fall ein. Eine weiter-
und Ölproduktion in der ganzen Golfregion
hin instabile Situation mit einer sich sogar ver-
kann niemand prognostizieren. Diese Unsi-
tiefenden Rezession in Südeuropa würde viele
cherheiten würden in jedem Fall kurzfristig
Wachstumschancen für Deutschland zerstö-
zu einem konjunkturellen Rückschlag in der
ren. Immerhin bietet sich mit der „EZB-Lö-
industrialisierten und nach wie vor öldursti-
sung“ nun eine Perspektive für eine realistisch
gen Welt führen.
machbare Stabilisierung der Anleihemärkte.
Aber auch dieser Lösungsweg kann Enttäu-
In China wird sich im kommenden Jahr klären,
schungen mit sich bringen. Eine solche Ent-
ob es zur weichen Landung, also zum Über-
täuschung wäre etwa ein frühzeitiges Scheitern
gang auf einen etwas moderateren Wachstums45
Die deutsche
Volkswirtschaft ist
in einer robusten
Verfassung.
7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3
Die Bundestagswahl
2013 wird die
Konjunkturperspektiven
kaum beeinflussen.
pfad ohne echte Krisenerscheinungen kommt.
einen Kollaps in Südeuropa und eine chinesi-
Die chinesischen und europäischen Entwick-
sche Rezession – dann ergäbe sich für
lungen sind aufgrund der wechselseitigen Han-
Deutschland ein ziemlich düsteres Rezessi-
delsverflechtungen stark verwoben. Somit
onsszenario. Wir halten eine solche Rechnung
würde eine europäische Stabilisierung auch
derzeit aber für keine sinnvolle Fingerübung
helfen, die Volksrepublik zu stützen.
der Konjunkturanalyse. Wir spannen mit unseren beiden Szenarien („Moll“ und „Dur“)
2013 ist ein Bundestagswahljahr. Dennoch
lieber ein wahrscheinlicheres Spektrum der
sehen wir keine innenpolitisch bedingten kon-
möglichen konjunkturellen Welten auf.
junkturellen Gefahren. Zwar werden die Wahlprogramme einiger Parteien Ideen enthalten,
Die Umsetzung dieser Annahmen in das
die für den wirtschaftlichen Erfolg Deutsch-
konjunkturelle Zahlentableau zeigt, dass
lands erhebliche Risiken mit sich bringen (Ver-
Deutschland im pessimistischen Mollszenario
mögensteuer, Erhöhung Spitzensteuersatz, neue
zwangs läufig in eine Rezession rutschen wür-
Regulierung des Arbeitsmarktes, Ausweitung
de. Die schon im zweiten Halbjahr 2012 ein-
sozialer Leistungen etc.). Von den Wahlpro-
getretene Konjunkturabschwächung würde
grammen bis zur Umsetzung im politischen
anhalten und sich verschärfen. Die Abwehr-
Prozess ist es aber ein weiter Weg. Die Kon-
kräfte, die 2012 noch kraftvoll waren und das
junkturperspektive 2013 wird dadurch wohl
Wachstum abgesichert hatten, wären dann
kaum in nennenswerter Weise beeinflusst.
aufgezehrt. Die Folgen einer Dauerrezession
in Südeuropa und Frankreich würden Deutsch-
Das geldpolitische Umfeld wirft auf absehbare
land gleich mehrfach treffen: über den Außen-
Zeit keine großen Fragen auf. Die Fed hat sich
handelskanal und über einen Rückschlag der
bis 2015 auf Nullzinsen festgelegt, und auch
Unternehmensinvestitionen. Wir quantifizie-
die EZB wird auf einem expansiven Kurs blei-
ren dieses ungünstige Szenario mit einem
ben, um die Rezession in Teilen der Eurozone
Rückgang des BIP um etwa 1 Prozent.
zu bekämpfen. Allenfalls die Frage, wie aggressiv und unkonventionell beide Zentralbanken
Wohlgemerkt: Das Mollszenario ist keine
vorgehen werden, ist noch offen. Sicher ist,
„Worst Case“-Analyse. Geriete die Schulden-
dass auch 2013 unter den Vorzeichen geld­
krise völlig außer Kontrolle oder würde sie
politischer Expansion stehen wird.
durch weitere außenwirtschaftliche Schocks
verschärft, dann wäre die Konjunkturanalyse
erneut mit der Situation 2008/2009 konfron-
Zwei Szenarien in Zahlen
tiert: Kaum jemand könnte derzeit die Tiefe
Würden wir mögliche Katastrophenszenarien
der dann eintretenden Rezession einigerma-
kombinieren – einen Krieg im Nahen Osten,
ßen zuverlässig ermessen.
46
7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3
Konjunktur 2013: Im Durszenario gelingt die europäische Stabilisierung
„Mollszenario”
„Durszenario“
Euroschuldenkrise
Die EZB-Lösung kann die Anleihemärkte
nicht vollständig stabilisieren. Massive
Anleihekäufe der Zentralbank können
die Zweifel am Erhalt der Eurozone nicht
zerstreuen.
Das Programm der EZB zur
Begrenzung hoher Anleihezinsen
der Südeuropäer wird implementiert
und erreicht sein Ziel. Das Problem
Griechenland bleibt ungelöst.
Konjunktur
Eurozone
Die Rezession Spaniens und Italiens
verschärft sich. Frankreich gerät
ebenfalls in eine ausgeprägte Rezession.
Nach Irland gelingt im Jahresverlauf
auch Portugal, Spanien und Italien der
Weg aus der Rezession. Dies gilt nicht
für Griechenland.
USA
Der US-Arbeitsmarkt enttäuscht
weiterhin und verhindert eine
durchgreifende Erholung der
Konsumkonjunktur. Die Ökonomie
verharrt bei niedrigen Wachstumsraten
von 1 bis 2 Prozent.
Die Fed hat Erfolg mit ihrer
Konjunkturstimulierung. Außerdem
profitiert die US-Wirtschaft von
einem freundlicheren globalen
Wirtschaftsklima. Die Arbeitslosigkeit
beginnt zu sinken.
Weltwirtschaft
Die ungelöste europäische Krise setzt
der Weltwirtschaft weiterhin zu. Das
globale BIP-Wachstum bröckelt weiter
ab, der Welthandel stagniert.
Die Emerging Markets finden als Erste
wieder zu höheren Wachstumsraten
zurück. Im Jahresverlauf verbessert
sich die globale Dynamik auch in der
industrialisierten Welt.
Finanzmärkte
Die Rentabilität der Unternehmen fällt
konjunkturbedingt. Auch wenn Aktien
von der Flucht in Realwerte profitieren,
kommt es zu deutlichen Kursverlusten.
Die Sorgen um die Stabilität der
internationalen Bankwirtschaft ebben
ab. Exportorientierte Unternehmen
erfahren eine Belebung ihrer Märkte.
Die Weltbörsen entwickeln sich stabil.
Deutscher
Arbeitsmarkt
Es kommt zu einem moderaten
Anstieg der Arbeitslosigkeit und der
Beschäftigungsaufbau zu einem Ende.
Im Frühjahr belebt sich der
deutsche Arbeitsmarkt. Themen wie
Fachkräftemangel treten wieder in
den Vordergrund.
Konsumentenzuversicht
Die deutschen Konsumenten profitieren
noch von ihrer guten Einkommensund Beschäftigungssituation. Sie sind
nicht euphorisch, aber leisten einen
Wachstumsbeitrag, der einen tieferen
Absturz der Konjunktur noch verhindern
kann.
Der Privatkonsum entwickelt sich
robust und überrascht positiv.
Der Anteil des Privatkonsums an
der Verwendung des Sozialprodukts
legt zu.
47
7 D e u t s c h l a n dP r o g n o s e 2 0 1 3
Wir halten es angesichts der aktuellen Daten-
vielleicht sogar mehr – wäre dann möglich.
lage und der Hoffnungszeichen in der euro-
Hier kämen die hohe Wettbewerbsfähigkeit
päischen Schuldenkrise aber nicht für ange-
und die anderen strukturellen Stärken (der
bracht, uns mit Katastrophenfantasien in
inzwischen funktionsfähige Arbeitsmarkt,
allen statistischen Details zu befassen. Dies
die gesunde Bilanzstruktur in weiten Teilen
gilt auch deshalb, weil ein übertriebener Pes-
der Wirtschaft und die hohe Bonität der Bun-
simismus zu gravierenden Fehlentscheidun-
desrepublik) wieder voll zum Tragen.
gen für Anleger und Unternehmer gleichermaßen führen kann.
Wägen wir beide Szenarien gegeneinander
ab, halten wir momentan unser Durszenario
Im Mollszenario würde
Deutschland in eine
Rezession rutschen. Im
Durszenario wäre ein
Wachstum von
1,5 Prozent oder mehr
möglich.
Denn die Chancen sind derzeit nicht gering,
für wahrscheinlicher als das Mollszenario.
dass sich 2013 in Richtung unseres Durszena-
Denn die Aussichten auf eine beginnende
rios entwickelt. In diesem Szenario wachsen
Entschärfung der Schuldenkrise haben sich
die Bäume in den Krisenstaaten zwar nicht in
durch das EZB-Engagement und das Verfas-
den Himmel, immerhin würden sie aber dem
sungsgerichtsurteil verbessert. Insofern ist
Pionier Irland folgen und nach der Rezessi-
unsere konjunkturelle Gesamteinschätzung
onsphase zumindest wieder schwarze Nullen
für das kommende Jahr von einer vorsichti-
schreiben können. Deutschlands Exporter-
gen Zuversicht geprägt. „Vorsichtig“ beinhal-
folge in den dynamischeren Regionen der
tet aber eben auch das Bewusstsein, dass ein
Welt könnten dann wieder zu einem deutli-
Schock – in Europa oder auch im Nahen
chen Wachstum des Außenbeitrags führen.
Osten – die Perspektive rasch auf das Moll­
Ein Wachstum in Höhe von 1,5 Prozent –
szenario umspringen lassen würde.
Deutschlandprognose 2013
„Mollszenario”
„Durszenario“
Konsum
0,10,9
Private Haushalte
0,1
0,6
Staat
0,2
0,3
Anlageinvestitionen–0,5
0,5
Ausrüstungen
–0,5
0,2
Bauten
0,0
0,2
Inländische Verwendung
–0,4
1,4
Außenbeitrag–0,5 0,2
Exporte
0,5
2,2
Importe
1,0
2,0
BIP
–1,31,6
Beiträge der Verwendungskomponenten zum Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes
(in %-Punkten)
48
8 Anlagepolitik 2013
Kapitalmärkte sind ein System von Antizipa-
Denkbar ist zweitens ein weltweites Abgleiten
tionen. Es geht im Kern um das Abschätzen
in die Rezession – ein Szenario, das eine gerin-
möglicher Entwicklungen. Eine Rangfolge
ge Eintrittswahrscheinlichkeit hat. Ungemach
festzulegen, Wahrscheinliches von Unwahr-
könnte bereits Anfang 2013 aus den USA
scheinlichem zu trennen, ist die hohe Kunst.
kommen. Hier könnten automatisch drohende
Wir skizzieren im Folgenden vier Szenarien
Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen
und beleuchten für das wahrscheinlichste die
die amerikanische Wirtschaft in eine Rezessi-
möglichen Entwicklungen auf wichtigen An-
on stürzen. Wir gehen indes davon aus, dass
lagemärkten.
sich die Parteien dort auf ein vernünftiges Maß
einigen werden, damit die US-Wirtschaft nicht
dem ,,Fiscal Cliff “ zum Opfer fällt. Ebenso
Was ist denkbar?
liegt ein Wiederaufkeimen der EuroschuldenDie Schuldenkrise ist nicht gelöst. Die Kon-
krise im Rahmen des Möglichen. Dies hätte
junktur ist in manchen Regionen anfällig. Die
zur Folge, dass die ohnehin angeschlagene eu-
Gewinne der Unternehmen gaben zuletzt
ropäische Wirtschaft in eine tiefe Rezession
nach. Welche Anlagepolitik verspricht unter
abgleiten würde. Bevorzugte Assetklassen in
diesen Vorzeichen eine erfolgreiche zu sein?
diesem Szenario: Staatsanleihen von AAA-
Die unkonventionellen Notenbankinterven-
Gläubigern und Gold. Aktien würden billiger
tionen schüren außerdem die Angst der In-
werden.
vestoren vor Inflation.
Das dritte Szenario wäre der klassische Boom,
Das erste Szenario ist mit einer sehr geringen
sozusagen der Gegenpol zu den ersten beiden
Eintrittswahrscheinlichkeit versehen: Es ist
Szenarien. Die Weltkonjunktur würde Fahrt
der Zusammenbruch der Eurozone. Es käme
aufnehmen, die Inflationsraten würden steigen.
zu Zahlungsausfällen von Staaten; Banken
Aus heutiger Sicht gibt es hierfür wenig Anzei-
und Unternehmen würden in Schieflage gera-
chen, entsprechend gering ist auch die Eintritts-
ten. Wirtschaftliche Kontraktion sowie Defla-
wahrscheinlichkeit. Zyklische Aktien und
tion wären die Folge. In diesem Fall würden
Rohstoffe wären die stärksten Renditetreiber.
AAA-Staatsanleihen, Gold und der US-Dollar
profitieren. Aktienmärkte würden auf Tal-
Es verbleibt somit das vierte und wahr-
fahrt geschickt.
scheinlichste Szenario. Es ist gekennzeichnet
durch das Überleben der Eurozone, geringes
49
8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3
weltweites Wachstum und niedrige Inflation.
lang positiven Aktienjahres 2012, noch immer
Die anhaltende Niedrigzinspolitik der No-
unter ihren langjährigen Durchschnitten.
tenbanken ist wesentlicher Bestandteil dieses
Szenarios.
Die fehlende Aktieneuphorie und der geringe
Investitionsgrad wichtiger Anlegerkreise bilden
Aktien profitieren vom Sicherheitsnetz
eine weitere wichtige Stütze für die Aktien-
der Notenbanken
märkte, denn diese Anleger, insbesondere Pensionskassen und Versicherungen, müssen sich
Die globalen
Aktienmärkte weisen
mittel- bis langfristig
ein hohes Potenzial auf.
Die globalen Aktienmärkte werden durch die
künftig neue Renditequellen erschließen. Wenn
weltweite Niedrigzinspolitik und die damit
diese Anleger ihre Renditeversprechen einhal-
verbundene enorme Liquidität gestützt. Aus-
ten wollen, wird ihnen dies allein mit Staats­
gehend hiervon hat sich zumindest in den
anleihen und Pfandbriefen kaum gelingen. Sie
USA eine gewisse Stabilisierung der Kon-
werden deshalb langfristig nicht an der Aktie
junktur eingestellt. Die Finanzierungsbedin-
als attraktivem Investment vorbeikommen.
gungen für Unternehmen und private Haushalte haben sich verbessert, die Kredit-
Unsere Bewertungsmodelle für die globalen
nachfrage steigt. Positive Signale für einen
Aktienmärkte weisen mittel- bis langfristig
moderaten Aufschwung lassen sich bereits an
ein hohes Potenzial auf. Eine Reihe von Akti-
den steigenden Einzelhandels- und Konsum-
enmärkten notiert gegenwärtig bis zu einem
klimazahlen ablesen.
Drittel unter ihrem „fairen Wert“, den unsere
Berechnungsmodelle ergeben.
Zudem sind die Aktienmärkte relativ zu anderen Anlageklassen wie etwa Anleihen at-
Renten: Bewegung auf der Risikoleiter
traktiv bewertet. Erstmals seit vielen Jahren
liegt die Dividendenrendite weit über der
Das Rentenjahr 2013 steht wie im Vorjahr un-
Rendite sicherer Staatsanleihen. Der Euro-
ter der Überschrift „Suche nach Rendite“. Für
Stoxx 50 beispielsweise wirft eine (erwartete)
viele Anleger sind die Renditen, die die boni-
Dividendenrendite von 4,25 Prozent ab, der
tätsstärksten Emittenten bieten, zu gering. Am
deutsche Aktienmarkt nicht viel weniger.
niedrigen Renditeniveau wird sich 2013 wahr-
Dies ist dreimal so viel wie die Rendite der
scheinlich wenig ändern: Denn aufgrund der
10-jährigen Bundesanleihe.
lockeren Geldpolitik der Zentralbanken ist
eine Zinswende nicht in Sicht. Anleger mit
Aber auch absolut zeigen die Bewertungen der
Renditeerwartungen auf oder über dem Ni-
Dividendenpapiere ein attraktives Bild auf. So
veau der aktuellen (erwarteten) Inflationsraten
sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der meis-
müssen die „Risikoleiter“ noch oben klettern.
ten wichtigen Aktienmärkte, trotz eines bis-
Dies kann über eine Verlängerung der Laufzei50
8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3
7
6
5
4
3
2
1
0
Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez. Dez.
97
98
99
00
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
Rendite 10-jährige Bundesanleihen
Dividendenrendite (Dax)
Renditespreizung zwischen Aktien und Renten
Quelle: Bloomberg
ten geschehen, also eine Durationsverlänge-
Anleger dürfen dabei das Risiko nicht ver-
rung. Während deutsche 10-jährige Staats­
nachlässigen. Vor allem im High-Yield-
anleihen um 1,5 Prozent rentieren, werfen
Segment sind eine gesonderte Kreditanalyse
30-jährige Bundesanleihen rund einen Drei-
sowie eine breite Diversifikation der Titel,
viertel Prozentpunkt mehr an Rendite ab.
Regionen und Segmente notwendig.
Wer sich jedoch vor längeren Laufzeiten
Das größte Risiko für die Rentenmärkte im
scheut, da sie bei Zinssteigerungen zwischen-
Jahr 2013 ist die Weiterentwicklung der EWU
zeitliche Kursverluste erleiden, kann alterna-
zu einer Transferunion mit Eurobonds und
tiv Anleihen mit geringer Bonität erwerben.
gemeinschaftlicher Haftung sowie der dann
Die Renditen für Unternehmens- und High-
folgenden Tendenz zur Renditekonvergenz.
Yield-Anleihen bewegen sich noch auf
Nur dieses Mal mit umgekehrten Vorzeichen,
attraktivem Niveau, jedoch schon nicht mehr
und zwar mit steigenden Renditen in
für Anleihen mit kurzer Laufzeit oder gutem
Deutschland und fallenden in der EWU-
Rating. Ansonsten aber sind je nach Emittent
Peripherie.
und Rating noch deutlich höhere Renditen
erzielbar. Die Renditeaufschläge (Spreads)
Die Suche nach Rendite durch die Anleger
sind zwar geringer geworden, aber noch bei
und die guten Finanzierungsbedingungen
Weitem nicht auf historischen Tiefständen.
für Unternehmen haben dazu geführt, dass in
51
Das Rentenjahr 2013
steht wie im Vorjahr
unter der Überschrift
„Suche nach Rendite“.
8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3
den ersten zehn Monaten des Jahres 2012
hinter der von anderen Assetklassen zurück.
weltweit immerhin Unternehmensanleihen
Vor allem die nachlassende Wachstumsdyna-
mit einem Gesamtvolumen in Höhe von
mik Chinas, dem wichtigsten Rohstoffnach-
3,3 Billionen US-Dollar platziert wurden.
frager überhaupt, brachte gerade die zykli-
Schwächere Ratings oder eine nachlassende
schen Sektoren wie Energierohstoffe und
Nachfrage könnten hier schnell die Risiko-
Industriemetalle unter Druck.
prämien ansteigen lassen, die Renditen wür-
Edelmetalle, allen
voran Gold, dürften sich
gut behaupten
können.
den steigen, und es könnte leicht zu groß­
In unserem oben beschriebenen vierten Sze-
flächigen Veränderungen in der Renditeland-
nario, dem Hauptszenario, stellen sich die
schaft kommen. Die Anleihekurse hätten da-
Aussichten für Rohstoffe recht vielverspre-
runter zu leiden. Auch eine Umschichtung
chend dar. Durch die relativ zu anderen As-
der Investoren aus dem Bereich der Unterneh-
setklassen schlechtere Wertentwicklung sind
mensanleihen hinein in das Aktien­
segment
Commodities günstig bewertet; vor allem ei-
könnte belasten.
nige Industriemetalle notieren derzeit nahe
ihren Produktionskosten, was zumindest das
Rohstoffe: Talsohle erreicht
Abwärtspotenzial deutlich begrenzen dürfte.
Das Jahr 2012 war für Rohstoffe ein sehr
Außerdem würde die Assetklasse von einem
schwieriger Zeitraum. Die Wertentwicklung
wieder steigenden Risikoappetit sowie von
blieb bis auf wenige Ausnahmen deutlich
etwaigen aufkommenden Inflationsängsten
1.200
1.000
800
600
400
200
0
2005
2006
Spread Hochzinsanleihen
2007
2008
2009
Spread Investment-Grade
Europa: Spread von Unternehmensanleihen (in Bp.)
Quelle: Macrobond
52
2010
2011
2012
8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3
profitieren. Daher dürften sich auch die Edel-
Krisenmanagement in der Eurozone und bes-
metalle – allen voran Gold – gut behaupten
seren wirtschaftlichen Perspektiven besteht
können. Denn Liquidität ist reichlich vorhan-
die Chance auf eine nennenswerte Höher­
den, die Zinsen – als Opportunitätskosten zu
bewertung der Gemeinschaftswährung zum
verstehen – sind niedrig und auf realer Basis
US-Dollar. Nicht zuletzt ist es gut möglich,
sogar negativ.
dass klassische fundamentale Wechselkurs­
determinanten allmählich mehr an Gewicht
Die größten Fragezeichen ergeben sich bei
gewinnen. Leistungsbilanzsalden etwa sprä-
Agrarrohstoffen. Insbesondere die Getreide-
chen eher für Yen und Euro – in beiden Län-
preise haussierten nach den extremen Wet-
dern sind die Leistungsbilanzsalden positiv.
terbedingungen in den USA und in anderen
Umgekehrt spricht dies gegen Defizitländer
wichtigen Anbaugebieten kräftig, haben sich
wie Großbritannien oder die Vereinigten
seitdem aber wieder von ihren Hochpunkten
Staaten. Allerdings lehrt die jüngere Wäh-
entfernt. Hier wird wichtig sein, ob einzelne
rungsgeschichte, dass Notenbanken und Re-
Exportländer ihre Ausfuhren begrenzen und
gierungen zu heftige Währungsbewegungen
wie der nächste Erntezyklus ausfällt.
gerade in der wie jetzt fragilen Phase ungern
tolerieren. Markante Verschiebungen im
Währungsgefüge würden sicherlich zu Inter-
Währungen: Solidität zählt
ventionen führen. Die Schweizer MindestDer Euro hat das Jahr 2012 überlebt, er wird
kurspolitik ist Ausdruck einer der möglichen
auch das Jahr 2013 überleben. Einen Zerfall
Reaktionen.
der Gemeinschaftswährung wird es sehr
wahrscheinlich nicht geben. Dafür hat die Po-
Wer nach Währungsgewinnen sucht, sollte
litik – einschließlich der EZB – ein zu klares
sich also hüten, alte Trends einfach fortzu-
Bekenntnis abgegeben. Nimmt man dies als
schreiben. Die Abwertung des Euro zu einer
Arbeitshypothese, so handelt es sich bei den
Reihe von Währungen ist weit fortgeschritten;
Währungen der Triade aus US-Dollar, Euro
umgekehrt tun sich viele Währungen schwer,
und Yen um Nullzinswährungen, die mitein­
alleine aus der „Eurokrise“ Kapital zu schla-
ander konkurrieren. Die gleiche geldpoliti-
gen. Die skandinavischen Währungen etwa
sche Ausrichtung in allen drei Währungsräu-
vermögen es mittlerweile kaum noch, gegen-
men spricht somit dafür, dass sich die
über dem Euro an Wert zu gewinnen.
Währungsbewegungen innerhalb der Triade
in engen Grenzen halten. Aufgrund des
In langfristiger Perspektive sind es letztlich
gering(er) gewordenen systemischen Risikos
die Zahlungswilligkeit und die Zahlungs­
für den Euro sehen wir die Untergrenze zum
fähigkeit eines Währungsraumes, die über
US-Dollar bei etwa 1,20. Bei erfolgreichem
den Außenwert einer Währung entscheiden.
53
Einen Zerfall
der Gemeinschaftswährung Euro wird es
sehr wahrscheinlich
nicht geben.
8 A n l a g e p o l i t ik 2 0 1 3
Nicht umsonst wertete der Schweizer Franken
Aktien+
zum amerikanischen Dollar in den vergange-
USA+
Euro-Core+
Europeripherie–
Emerging Markets
+
nen Jahrzehnten auf. In einer kürzeren Sichtweise sind Währungen mit hohem Carry –
also hohem Zinsvorteil – bei soliden
Rahmenbedingungen einen Blick wert. Hier-
Anleihen–
zu zählen Währungen aus den aufstrebenden
den soliden Währungen zu gehören.
Fremdwährungen+
Euro-Core–
Europeripherie–
Unternehmensanleihen++
Reale versus nominale Anlagen
Rohstoffe0
Volkswirtschaften. Manche davon haben
durchaus das Potenzial, auch längerfristig zu
Gold+
Energie–
Metalle0
Alles in allem ist unsere Anlagepolitik von einer Bevorzugung realer Anlageklassen geprägt. Im Niedrigzinsumfeld sind die erzielba-
Quelle: eigene Darstellung
ren Erträge festverzinslicher Wertpapiere
gering. Nach Abzug der Teuerungsraten rutschen sie in den negativen Bereich. Anlagen,
die wie Aktien Ansprüche an Sachkapital darstellen, eröffnen zumindest die Option auf höhere Erträge. In einem Umfeld nahezu maximaler geldpolitischer Unterstützung und einer
nach unserem Dafürhalten bevorstehenden
konjunkturellen Beschleunigung sollte diese
Entscheidung letztlich von Erfolg gekrönt sein.
54
9 Die Hauck & AufhäuserTop-10-Liste
Ein Investment in Aktien ist immer mit ei-
einem gewissen Maße einschränken. Wichtig
nem Risiko verbunden. Es gibt viele Ereig­
ist zum Beispiel eine solide Bilanz mit einer
nisse, die den Wert einer Aktie negativ beein-
hohen Eigenkapitalquote und geringer Netto-
flussen können. Unter den Markterwartungen
verschuldung oder gar einer positiven Netto-
liegende Geschäftszahlen, eine Dividenden-
liquidität. Eine hohe und in der Vergangen-
kürzung, falsche operative Entscheidungen,
heit kontinuierliche Dividendenzahlung ist
um nur eine kleine Anzahl von Einflussfakto-
ebenso ein wichtiges Kriterium. Weiterhin ist
ren zu nennen, können den Aktienkurs des
die operative Stärke zu beobachten. Wie wer-
Unternehmens direkt beeinflussen. Aber
den sich die Gewinne in den nächsten Jahren
auch nachlassende Makrodaten, wie beispiels-
entwickeln, und wo steht das Unternehmen
weise enttäuschende Einkaufsmanagerindi-
relativ zu seinen Wettbewerbern? Als letztes
zes oder steigende Deflationsraten, haben auf
Kriterium sollte die geografische Verteilung
die Aktienmärkte allgemein eine negative
der Umsätze dienen. Je höher die geografi-
Auswirkung.
sche Diversifikation, desto weniger Absatz­
risiken wird sich ein Unternehmen ausgesetzt
Auf der anderen Seite beinhaltet die Anlage in
sehen. Dabei sollte der Fokus auf den asiati-
Aktien natürlich auch Chancen. Chancen, die
schen Märkten liegen, da dort auch in den
man sich auf lange Sicht nicht entgehen lassen
kommenden Jahren höhere Wachstumsraten
sollte. Denn es spricht langfristig viel für die
zu erwarten sind.
Anlage in Aktien. Als verbriefter Anteil eines
Unternehmens ist eine Aktie eine Sachinvesti-
Bei der Entscheidung nach diesen Kriterien
tion und bietet somit einen gewissen Schutz
gilt: je länger der Anlagehorizont, desto strik-
vor Inflation. Weiterhin profitiert der Anleger
ter sollte man diese Vorgaben umsetzen. Bei
neben dem Wertzuwachs von den Ausschüt-
einem kürzeren Anlagehorizont kann man
tungen. Viele Unternehmen schütten derzeit
die Kriterien auch bis zu einem gewissen Maß
Dividenden aus, die eine höhere Rendite als
aufweichen. Ist zum Beispiel ein Unterneh-
Unternehmensanleihen bieten.
men dabei, überzeugende Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten, kann dies eine
Chancen und Risiken liegen bei Aktien somit
spannende Investition darstellen – auch wenn
relativ nahe beieinander. Bei der Auswahl
etwa die Verschuldungsquote noch relativ
von Aktien kann man jedoch die Risiken zu
hoch ist.
55
Langfristig spricht
viel für die Anlage
in Aktien.
9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e
In diesem Kapitel möchten wir eine Auswahl
der Dividende (im Jahr 2011 wurden 2,50
an Aktien vorstellen, die unserer Meinung
Euro je Aktie gezahlt) ist aufgrund der wei-
nach ein interessantes Investment darstellen.
terhin soliden Bilanz möglich.
BASF
BHP Billiton
BASF ist eines der größten Chemieunterneh-
BHP Billiton ist eines der größten Bergbau-
men der Welt. Mit rund 370 Produktions­
unternehmen der Welt mit einem breit diver-
standorten in 80 Ländern ist das Unterneh-
sifizierten Portfolio an Rohstoffen. Dazu ge-
men global aufgestellt. BASF ist in sechs
hören zum Beispiel Eisenerz, metallurgische
Bereichen tätig: Chemicals, Plastics, Perfor-
Kohle, Nickel, Aluminium und Erdöl. Dabei
mance Products, Functional Solutions und
wird die gesamte Wertschöpfungskette abge-
Agricultural Solutions. Mit der Tochter Win-
deckt. Von der Exploration über die Be- und
tershall ist das Unternehmen zudem erfolg-
Verarbeitung der Rohstoffe bis hin zum Ver-
reich im Öl- und Gasgeschäft tätig.
kauf ist das Unternehmen aktiv.
Ein wichtiger Wettbewerbsvorteil ist das so-
In den vergangenen
Quartalen konnte BASF
mit seinen Zahlen
überzeugen.
genannte Verbundprinzip. In jedem der sechs
In den vergangenen Monaten verlief der Ak-
Verbundstandorte werden Produktionsanla-
tienkurs seitwärts. Grund dafür war das in
gen, Energiefluss und Infrastruktur mitein-
den letzten Quartalen nachlassende Wirt-
ander vernetzt. So dienen beispielsweise Ne-
schaftswachstum in China, einem wichtigen
benprodukte der einen Fabrik der anderen als
Markt für BHP Billiton. Im nächsten Jahr
Einsatzstoff. Somit können Ressourcen,
sollte sich die Konjunktur aber wieder ver-
Energie und Logistikkosten gesenkt werden.
bessern. Während für China in diesem Jahr
Ebenfalls ein Vorteil ist das eigene Ölgeschäft.
ein Wachstum von rund 7,5 Prozent prognos-
Damit ist BASF gegen steigende Rohölpreise
tiziert wird, sollen es im Jahr 2013 wieder
abgesichert.
über 8 Prozent sein. Dies wird auch positive
Auswirkungen auf die Rohstoffnachfrage ha-
In den vergangenen Quartalen konnte BASF
ben. Daher ist ein Investment in ein Unter-
jedes Mal mit seinen Zahlen überzeugen. Da-
nehmen aus einem frühzyklischen Sektor
bei ist der Produktmix ein entscheidender
zum jetzigen Zeitpunkt eine Überlegung
Vorteil. Während im derzeitigen konjunktu-
wert. Außerdem bietet das Unternehmen bei
rell schwachen Umfeld das Chemiegeschäft
den derzeitigen Aktienkursen eine Dividen-
nur noch leicht wächst, können die Bereiche
denrendite von immerhin rund 3,5 Prozent.
Agrar sowie Öl und Gas stärker zulegen. Weiterhin ist die Dividendenrendite von rund
4 Prozent hervorzuheben, sogar eine Erhöhung
56
9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e
nach
Coca-Cola
Logistikdienstleistungen
(Amazon,
Ebay, etc.) immer mehr zunimmt. Durch
Coca-Cola ist der weltgrößte Softdrinkherstel-
neue Portopreisregelungen und das anhal-
ler. Neben den Hauptmarken Coca-Cola, Fan-
tend starke Paketgeschäft sollte sich das klas-
ta, Sprite, Frutopia und Minute Maid produ-
sische Briefgeschäft trotz der zunehmenden
ziert das Unternehmen auch Konzentrate,
Substitution durch E-Mails stabilisieren kön-
Wasser, Tee und Sportgetränke. Erst kürzlich
nen. In den vergangenen Jahren ist die Deut-
wurde Coca-Cola von Interbrand zur wert-
sche Post durch das Generieren von hohen
vollsten Marke – gefolgt von McDonalds – ge-
Mittelzuflüssen (freier Cashflow) aufgefal-
wählt. Der größte Markt sind die USA (rund 55
len. Dementsprechend wurde die Dividende
Prozent des Absatzes). Dennoch ist der Geträn-
kontinuierlich gesteigert. Die Dividenden-
kehersteller in über 200 Ländern vertreten und
rendite beläuft sich inzwischen auf über
somit geografisch hervorragend diversifiziert.
4,5 Prozent.
Zuletzt hatte sich in den Geschäftszahlen die
ENI
Zurückhaltung der Verbraucher (Wechsel zu
günstigeren Produkten vor allem in Europa)
Der italienische Öl- und Gaskonzern gehört
gezeigt. Dieser Effekt sollte im nächsten Jahr
zu den größten Energieunternehmen in Eu-
bei zunehmendem Wirtschaftswachstum ab-
ropa. Dabei wird die gesamte Wertschöp-
flachen. Zudem profitiert Coca-Cola von den
fungskette von der Suche und Förderung von
derzeit nachgebenden Rohstoffpreisen.
Öl und Gas, der Verarbeitung, dem Vertrieb
und dem Transport abgedeckt. Zudem ist das
Deutsche Post
Unternehmen in der Stromerzeugung tätig.
Die Deutsche Post gehört weltweit zu den
Zuletzt konnte ENI mit guten Zahlen aufwar-
führenden Logistikunternehmen. Der Kon-
ten. Vor allem die schnelle Wiederaufnahme
zern bietet ein breites Spektrum an integrier-
der Ölförderung in Libyen wirkt sich positiv
ten Dienstleistungen und maßgeschneider-
aus. Zudem konnte das Unternehmen durch
ten Lösungen für das Management und den
Verkäufe von Randaktivitäten (das italieni-
Transport von Briefen, Waren und Informa-
sche Gasversorgungsunternehmen Snam und
tionen an. Zu den Stärken des Unternehmens
das portugiesische Ölunternehmen Galp)
gehört die starke internationale Aufstellung.
die Verschuldungsquote zurückfahren. Das
In wichtigen Schwellenländern wie China
Gearing (Nettoverbindlichkeiten/Eigenkapi-
und Indien ist die Deutsche Post Marktfüh-
tal) liegt bei soliden 31 Prozent. Im nächsten
rer. Dabei profitiert das Unternehmen vom
Jahr sollte ENI von einem wieder zunehmen-
Megatrend Internet, durch den die Nachfrage
den weltweiten Rohstoffhunger profitieren
57
Auch als Dividendenwert ist ENI interessant.
9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e
können. Auch als Dividendenwert ist ENI in-
Intel
teressant. Das Unternehmen bietet derzeit
eine attraktive Dividendenrendite von rund
Intel ist ein weltweit führender Hersteller von
6 Prozent.
Halbleiterprodukten. Das Produktportfolio
umfasst dabei mehrere Produktarten: Mikroprozessoren, Motherboards, Chipsets und
Fresenius
Wireless- und Wired-Connectivity-Produk-
Die Bilanz von
INTEL ist als sehr
solide einzustufen.
Fresenius ist ein diversifizierter Medizintech-
te. Da Entwicklung, Fertigung und Vermark-
nik- und Gesundheitskonzern. Mit den Töch-
tung vom Unternehmen getätigt werden, ist
tern Fresenius Kabi (100 Prozent) und Frese-
die Wertschöpfungstiefe enorm. Intel zeich-
nius Vamed (77 Prozent) bietet das Unter­
-
net sich seit Jahren durch hohe Margen
nehmen Produkte und Dienstleistungen für
(EBITDA-Marge > 40 Prozent) und einen ho-
Krankenhäuser und die häusliche medizini-
hen Umsatzanteil im Wachstumsmarkt Asien
sche Versorgung an. Fresenius Helios (100
aus. Auch die Bilanz ist als sehr solide einzu-
Prozent) operiert als Krankenhausbetreiber.
stufen.
Gleichzeitig ist Fresenius mit 31 Prozent an
der ebenfalls im Dax gelisteten Fresenius Me-
Die Entwicklung des Aktienkurses war von
dical Care beteiligt, die hauptsächlich im Dia-
der in den vergangenen Quartalen nachlas-
lysegeschäft tätig ist. Diesem Bereich wird in
senden PC-Nachfrage geprägt. Zudem meh-
den nächsten Jahren eine zunehmende Be-
ren sich die Berichte, dass Großkunde Apple
deutung beigemessen. Schätzungen zufolge
in Zukunft eigene Chips herstellen will.
wird sich die Zahl der Dialysepatienten bis
Gleichzeitig hat Microsoft angekündigt, seine
2020 um rund 70 Prozent erhöhen.
neue Tablet-Generation nicht nur für IntelChips, sondern auch für Chips des Wettbe-
Ein anderer Wachstumsbereich sollte in den
werbers ARM kompatibel zu machen. Den-
nächsten Jahren das Krankenhausgeschäft
noch könnte die Aktie für den Anleger mit
sein. Weitere Übernahmen von öffentlichen
einer höheren Risikoneigung sehr aussichts-
Krankenhäusern durch Fresenius Helios sind
reich sein. Intel arbeitet derzeit mit Hoch-
wahrscheinlich. Die Privatisierungen sind
druck an der „Schrumpfung“ seiner Chips.
das Ergebnis der immer schwieriger werden-
Bereits auf der Technologiemesse in Las Ve-
den Finanzierung von Krankenhäusern
gas im Januar könnte das Unternehmen
durch die öffentliche Hand. Zusätzliches Po-
Branchenkennern zufolge einen Chip vor-
tenzial sieht Fresenius auch in den Schwellen-
stellen, der aufgrund seiner geringen Größe
ländern. Deren Anteil am Umsatz macht der-
stromsparend ist (damit könnte der Vorteil,
zeit 30 Prozent aus und soll in den nächsten
den ARM durch seine Chiparchitektur er-
Jahren stetig gesteigert werden.
zielt, kompensiert werden) und dennoch
58
9 D i e H & A - T o p - 1 0 - Li s t e
mehr Leistung als die Konkurrenzprodukte
Markt/Saturn haben viele Investoren aus dem
hat. Dies sollte sich positiv auf den Aktien-
Wert getrieben. Die Herabstufung aus dem
kurs auswirken.
deutschen Leitindex Dax in den M-Dax war
der traurige Höhepunkt dieser Entwicklung.
LVMH
Die letzten Quartalszahlen haben aber in die
Der französische Konzern ist ein weltweit
richtige Richtung gezeigt. Während die Prob-
führendes Unternehmen in der Luxusgüter-
leme bei Real und Media-Markt/Saturn durch
industrie. LVMH verfügt über ein Portfolio
weiter sinkende Ergebnisbeiträge weiterhin
von 60 Premiummarken, darunter Namen
deutlich sind, überraschte das starke Cash-
wie Hennessy, Kenzo, Christian Dior, Given-
&-Carry-(MCC)-Geschäft. Insbesondere in
chy, Ruinard, Tag Heuer, Guerlain, Fendi,
Russland und China konnte MCC deutlich
Bulgari, Hublot etc. Diese Marken werden
zulegen.
weltweit in über 3.000 Geschäften vertrieben.
LVMH ist in allen wichtigen Bereichen ver-
Insgesamt betrachten wir Metro als eine Re-
treten: Weine und Spirituosen, Mode und Le-
strukturierungsstory. Metro wird das Wachs-
derprodukte, Parfums und Kosmetik sowie
tum in Osteuropa (inklusive Russland) und
Uhren und Schmuck.
China weiter forcieren. Zudem sollte durch
den Verkauf von Grundstücken und unrentab-
Die hohe Produktdiversifikation und der Be-
len Cash-&-Carry-Märkten Geld in die Kasse
kanntheitsgrad der Marken machen das Un-
gespült werden, das zum einen in die Restruk-
ternehmen relativ unabhängig von konjunk-
turierung gesteckt werden wird und zum an-
turellen Schwankungen. So konnte LVMH in
deren die Nettoverbindlichkeiten reduzieren
diesem Jahr seine Umsätze selbst im wirt-
sollte. Auch für Real ist eher kurzfristig –
schaftlich geschwächten Europa steigern. Bei
wahrscheinlich schon im laufenden vierten
einem zunehmenden Wirtschaftswachstum
Quartal – mit einer Lösung zu rechnen. Da für
im wichtigen Absatzmarkt China im nächs-
Real hohe Investitionen bei gleichzeitig negati-
ten Jahr sollte LVMH seine Umsätze und Ge-
ven Cashflows nötig wären, stellt ein Verkauf
winne weiter steigern können.
ein wahrscheinliches Szenario dar.
Metro
Nestlé
Die Aktienkursentwicklung der vergangenen
Nestlé ist der weltgrößte Nahrungsmittel­
zwei Jahre war eine Enttäuschung. Stagnieren-
konzern. Die Produktpalette reicht von Tief-
de Umsätze sowie Margen und anhaltende
kühl- und Milchprodukten über Süßwaren,
Probleme bei den Töchtern Real und Media-
Kindernahrung, pharmazeutische Produkte
59
LVMH konnte 2012
seine Umsätze selbst
im wirtschaftlich
geschwächten Europa
steigern.
9 D i e H a u c k & A u f h ä u s e r - T o p - 1 0 - Li s t e
und Haustierbedarf bis hin zu Getränken.
Marke Senseo) sehr erfolgreich positionieren.
Derzeit befindet sich Nestlé in einer strategi-
Neben der hohen geografischen Diversifizie-
schen Neuausrichtung hin zu Nutrition, also
rung sprechen die starken Marken (Nestlé,
gesundheitsbewusster Ernährung. Dies ist
Perrier, Kitkat, Nescafé, Buitoni, Nestea,
ein zunehmender Trend in den Industrielän-
Maggi, Häagen-Dazs etc.) für das Unterneh-
dern und in Entwicklungsländern, deren
men, da aufgrund der hohen Bekanntheit
Mittelschicht stark wächst. Das Unterneh-
und Qualität Rohstoffpreissteigerungen rela-
men erkennt frühzeitig neue Megatrends in
tiv schnell an die Endverbraucher weiterge-
der Ernährungsindustrie, daher positioniert
reicht werden können. Damit sichert sich
sich das Unternehmen frühzeitig im Bereich
Nestlé anhaltend hohe und stabile Margen.
Functionalfood. Auch am Markt für Kaffee-
Gleichzeitig bietet das Unternehmen eine Di-
Pads/-Kapseln konnte sich Nestlé als „Second
vidende von über 3 Prozent. Seit 2008 wurde
Mover“ („First Mover“ war Philips mit der
die Dividende kontinuierlich gesteigert.
60
10 Asset Allocation: neue Paradigmen
an den Kapitalmärkten
Seit rund 300 Jahren gibt es kurzfristige
Die niedrigen Zinsen sind gekommen,
Schatzpapiere im Vereinigten Königreich, seit
um zu bleiben
über 400 Jahren lang laufende Staatspapiere
der Niederlande. Trotz der für die Kapital-
Drei Entwicklungen sind ausschlaggebend
märkte gewaltigen Vergangenheit haben die
dafür, dass es sich nicht um ein vorüber­
Papiere heute eine Gemeinsamkeit: Die aktu-
gehendes Phänomen handelt, sondern dass
ellen Renditen sind so niedrig wie noch nie.
die niedrigen Zinsniveaus die Periode nach
Und wenn die Notenbanken dieser Welt ihre
der Finanz- und Staatsschuldenkrise auch
Politik nicht ändern, werden sie auch weiter-
weiterhin prägen werden:
hin so niedrig bleiben.
1.Für niedrige Zinsen spricht die schwache
Dieser Umstand kippt alle langfristigen Ren-
Konjunktur, die durch die notwendigen
diteannahmen. Wenn Staatsanleihen weiter-
Strukturanpassungen und die restriktive
hin im Niedrigzinsumfeld verharren, werden
Finanzpolitik gebremst wird.
auch Aktien bei einer Risikoprämie von 4 bis
5 Prozent insgesamt nur einen Ertrag von
2.
Die expansive Geldpolitik der außer­
6 bis 7 Prozent pro anno abwerfen. Eine alter-
gewöhnlichen Maßnahmen wird fortge-
native Herleitung des langfristigen Returns
führt und vielleicht sogar noch ausgeweitet
für Aktien kann auch über die Formel Divi-
werden. Denn nach wie vor besteht die Not-
dendenrendite plus Wachstum plus Inflation
wendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Fi-
erfolgen. Aber auch hier gilt: In einem Um-
nanzsystems zu stützen und die Finanzie-
feld, in dem alle Regierungen der Industrie-
rung der Staaten zu sichern; während
nationen und die Privathaushalte strukturell
gleichzeitig die schwache Konjunktur und
sparen müssen, ist nicht mit hohen Wachs-
die gestörten geldpolitischen Transmissi-
tumsraten zu rechnen. Die Banken- und
onsmechanismen inflationsfreien Spielraum
Staatsschuldenkrise hat die internationalen
hierfür eröffnen.
Finanzmärkte im Zeitraffer durch einen gravierenden Strukturwandel katapultiert – mit
3. An den Märkten für Staatsanleihen hat das
entsprechenden Herausforderungen für die
Angebot sicherer Anlageklassen ab-, gleich-
Vermögensanlage.
zeitig aber die Nachfrage nach selbigen zu61
Bei anhaltenden
Niedrigzinsen stehen
alle langfristigen
Renditeannahmen
auf der Kippe.
1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n
genommen. Das treibt die Preise der als si-
vor allem hypothekenbesicherte Anleihen,
cher empfundenen Staatspapiere und lässt
sogenannte Mortgage-backed Securities. Seit
ihre Renditen sinken.
September 2011 versucht die Fed durch Umschichtungen im Staatsanleiheportefeuille –
Schon bisher war die Geldpolitik ein wesent-
den Austausch von Papieren mit kurzen Lauf-
licher Grund für das Niedrigzinsumfeld, und
zeiten (unter drei Jahren) durch solche mit
sie dürfte es weiterhin bleiben. Denn die No-
Laufzeiten von mindestens sechs Jahren – die
tenbanken gerade der großen Industrieländer
langfristigen Renditen zu dämpfen.
ziehen alle Register, um den volkswirtschaft-
Die Geldpolitik war
schon bisher ein
wesentlicher Grund für
das Niedrigzinsumfeld,
und sie dürfte es
weiterhin bleiben.
lichen Krisensumpf trockenzulegen und ins-
Die EZB verfolgte zunächst einen etwas an-
besondere in Europa den Finanzsektor zu
deren Ansatz. Da der EU-Vertrag die Staats­
stabilisieren. Dabei ist das traditionelle Instru-
finanzierung durch die Notenbank verbietet,
mentarium der Zentralbanken, speziell die
sind „endgültige“ Offenmarktgeschäfte der
Zinspolitik, weitgehend ausgeschöpft. Der
EZB in Staatsschuldtiteln umstritten. Darü-
Einlagensatz der EZB, der die Zinsuntergren-
ber hinaus ist das Finanzsystem in der EWU
ze am Tagesgeldmarkt markiert, wurde im
anders als in den angelsächsischen Ländern
Sommer 2012 von 0,25 Prozent auf null ge-
sehr stark bankenorientiert. Außerdem hat
senkt. Die amerikanische Fed und ebenso die
die Schuldenkrise zu einem Rückzug der An-
Bank of Japan halten den Tagesgeldsatz seit
leger – institutioneller ebenso wie privater –
Ende 2008 bei knapp über null, die Bank of
in die nationalen Märkte geführt. Die damit
England hat den Leitzins seit Frühjahr 2009
verbundenen Mittelabflüsse aus den Krisen-
bei 0,5 Prozent eingefroren.
regionen haben den Refinanzierungsbedarf
der dortigen Banken massiv ansteigen lassen.
Die Zentralbanken haben deshalb ihren
Die Geldpolitik der EZB konzentrierte sich
Werkzeugkasten durch weitere nichtkonven-
darauf, mithilfe von in der Höhe unbegrenz-
tionelle Instrumente ergänzt. Fed, Bank of
ten, aber zu besichernden Refinanzierungs-
England und Bank of Japan setzen vor allem
krediten die Banken liquide zu halten. Tat-
auf Wertpapierkäufe. Die US-Notenbank bei-
sächlich hat die EZB im Verlauf der Krise
spielsweise hat ihr Bilanzvolumen durch der-
zusätzliche
artige Käufe in den vergangenen vier Jahren
nächst mit ein-, sechs- und zwölfmonatiger
auf 2.900 Milliarden US-Dollar verdreifacht.
Laufzeit angeboten, später dann, im Dezem-
Auf der Aktivseite der Notenbankbilanz be-
ber 2011 und Februar 2012, zwei Geschäfte
finden sich mittlerweile Wertpapiere im Wert
mit dreijähriger Laufzeit. Mit einem Gesamt-
von rund 2.600 Milliarden US-Dollar, von de-
volumen von mehr als 1 Billion Euro bilden
nen etwa 1.650 Milliarden US-Dollar US-
diese beiden „superlangen“ Tender derzeit
Staatstitel sind. Den Rest des Bestandes bilden
den mit Abstand wichtigsten Teil der Liquidi62
Refinanzierungsgeschäfte
zu-
1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n
tätsausstattung des Bankensystems in der
Staatsanleihen am Sekundärmarkt ohne be-
EWU.
tragsmäßige Begrenzung vorsieht. Die in Aussicht gestellten Käufe verfolgen den Zweck, die
Ein Ende der extrem expansiven Geldpolitik
Renditeunterschiede zwischen der deutschen
in den Industrieländern ist nicht absehbar.
Benchmark-Anleihe
Im Gegenteil: Die Zentralbanken intensivie-
Staatsanleihen bestimmter Krisenstaaten zu
ren ihre Bemühungen. Die Fed hatte wieder-
begrenzen. Da die Notenbank vor allem auf
holt ihre Absicht bekundet, den geldpoliti-
die Re-Integration der Geldmärkte in der
schen Kurs bis mindestens Ende 2014
EWU abzielt, will sie ihre Interventionen auf
beibehalten zu wollen. Angesichts der hohen
Anleihen mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren
und, so Fed-Chef Ben Bernanke, nur „frust-
begrenzen.
und
vergleichbaren
rierend langsam“ sinkenden Arbeitslosigkeit
hat die US-Notenbank zum einen eine Ver-
Voraussetzung für das Eingreifen der EZB am
längerung dieses Zeitraums bis mindestens
Sekundärmarkt ist allerdings, dass sich die
Mitte 2015, zum anderen weitere Wertpapier-
entsprechenden Staaten in einem vollen An-
käufe (QE3) beschlossen. Während die bishe-
passungsprogramm befinden oder die Unter-
rigen Ankaufprogramme betragsmäßig und
stützung durch den EFSF beziehungsweise
zeitlich begrenzt waren, plant die Notenbank
den ESM bei Interventionen am Primärmarkt
nun – bis auf Weiteres –, monatlich Mortga-
in Anspruch nehmen. Damit wird sicherge-
ge-backed Securities der Agencies (vor allem
stellt, dass ein durch die Anleihekäufe der
Fannie Mae, Freddie Mac) in Höhe von 40
EZB begünstigter Staat entsprechenden Haus-
Milliarden US-Dollar zu erwerben. Sie will
haltskontrollen und Anpassungsprogrammen
dieses Programm beibehalten oder sogar er-
unterworfen ist. Ein vorangehender Beschluss
gänzende Maßnahmen ergreifen, sollte es
des EU-Rates über ein Hilfsprogramm ver-
nicht zu einer substanziellen Verbesserung
leiht dem Eingreifen der EZB darüber hinaus
der Arbeitsmarktaussichten kommen.
auch eine zusätzliche Legitimität.
Auch die EZB hat sich im Sommer 2012 ange-
Letztlich geht es bei all diesen Maßnahmen
sichts der Verschärfung der Krise in Spanien
darum, der Politik die notwendige Zeit zu
und Italien und zunehmender gesamtwirt-
kaufen, um notwendige Anpassungen in den
schaftlicher Unsicherheiten dazu durchgerun-
Staatshaushalten und den Wachstumsmodel-
gen, ihren Therapieansatz zu erweitern. An-
len der jeweiligen Volkswirtschaften vorzu-
fang September beschloss der EZB-Rat das
nehmen. Ein gewisser Anstieg der Inflations-
Outright-Monetary-Transactions-Programm
erwartungen wird dabei sicherlich in Kauf
(OMT), das – im Unterschied zu den üblichen
genommen.
Repo-Geschäften – „endgültige“ Käufe von
63
Die geldpolitischen
Interventionen
erkaufen der Politik
Zeit für notwendige
Strukturreformen.
1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n
Vermögensanlage in Zeiten niedriger
Vergleich zum Rentenmarkt der bessere
Renditen
Markt zur Investition. Hinzu kommt die Attraktivität der Dividendenrendite, die an den
Der oben beschriebene strukturelle Wandel
großen Aktienmärkten im Schnitt bei circa
hat weitreichende Konsequenzen für die Ver-
3 Prozent und damit schon deutlich über den
mögensanlage. Die langfristigen Rendite­
Renditen der Rentenmärkte liegt.
annahmen für die klassischen Anlageklassen
Aktien und Renten haben sicherlich niedri-
Dieses neue Umfeld zwingt uns, traditionelle
ger zu sein als in der Vergangenheit. Die No-
Anlagestrategien kritisch zu prüfen und dem
tenbanken halten die Zinsen niedrig, was zu
neuen Umfeld anzupassen. Marktabhängiges
niedrigen Returns am Rentenmarkt führt.
Investieren mit dem Ziel einer relativen rea-
Allein dies senkt auch die Erwartungen am
len beziehungsweise nominalen Rendite galt
Aktienmarkt. Zugleich führen die Sparzwän-
lange Zeit als Königsweg. Die Basis dieser In-
ge der Industrienationen und der privaten
vestmentstrategie entstand in den 80er-Jahren
Haushalte langfristig zu niedrigerem Wachs-
und wurde in den 90er-Jahren untermauert.
tum und niedrigen Aktienreturns. Hinzu
In diesen Marktphasen konnten sich die An-
kommt die durch einen Anstieg der Inflati-
leger auf sehr auskömmliche Renditen an den
onserwartungen bedingte Notwendigkeit,
Aktien-und Rentenmärkten verlassen. Das
sich perspektivisch auf Realrenditen zu fo-
klassische „Buy-&-Hold“ wurde zur Philoso-
kussieren.
phie einer ganzen Generation. André Kostolanys Maxime „Aktien kaufen, Schlaftablet-
Trotz der hohen
Volatilität des
vergangenen
Jahrzehntes ist
der Aktienmarkt
im Vergleich zum
Rentenmarkt der
bessere Markt zur
Investition.
In Zeiten steigender Inflationserwartungen
ten nehmen und sich später über die Rendite
sind Staatsanleihen keine gute Anlageklasse
freuen!“ war damals durchaus sinnvoll. Doch
gewesen. Aktien dagegen können in modera-
der Börsenguru hat die Abstürze der Jahre
ten Inflationszeiten positive Realrenditen ge-
2001 und 2008 nicht mehr erlebt. Wer heute
nerieren und schlagen dabei auch die Staats-
sein Depot über Jahrzehnte unbeobachtet
papiere. Allerdings fallen bei steigenden
lässt, läuft Gefahr, viel Geld zu verlieren.
Inflationsraten die Realreturns; diese sind
also negativ korreliert mit den Inflations­
Bei der Performancemessung orientieren sich
raten. Ab einer Inflationsrate von circa 7 Pro-
viele institutionelle und auch private Anleger
zent pro anno werden die Aktienmarkt­
gewohnheitsmäßig an Benchmarks – zum
returns real sogar negativ.
Beispiel am Deutschen Aktienindex Dax oder
am europäischen Euro-Stoxx. Solche „Mess-
Dieses Szenario erwarten wir allerdings nicht.
latten“ sind zwar häufig durch eine reine
Daher ist der Aktienmarkt trotz der hohen
Marktkapitalisierung mehr oder weniger
Volatilität des vergangenen Jahrzehntes im
willkürlich. Dennoch gelang es den Fonds64
1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n
managern, die Abweichungen immer weiter
die Zahl potenzieller Verkäufer ist dadurch
zu verringern. Mit der Folge, dass sich die
geringer geworden. Das bietet Schutz vor
Renditen den Indizes immer mehr annäher-
groß angelegten Verkaufswellen. In einer
ten – anstatt sie durch kluges aktives Manage-
mittelfristigen Perspektive eröffnet das ge-
ment zu übertreffen. Die Enttäuschung war
genwärtige Umfeld reichlich Chancen, in
programmiert.
den Besitz von Aktien zu gelangen, die sich
durch Ertrags- und Dividendenstärke so-
Seit der Asienkrise 1997 herrscht am Aktien-
wie hohe Bilanzqualität auszeichnen.
markt eine sehr hohe Volatilität. Die Kurse
bewegen sich überwiegend seitwärts, ohne
• Auf den Rentenmärkten bleibt die „Suche
dass nennenswerte Erträge abfallen. In der
nach Rendite“ das beherrschende Thema.
Finanzbranche spricht man von einer „Low-
Geringes Wachstum, kaum Inflation und
Return-Welt“. Erschwerend kommt hinzu,
Leitzinsen nahe der Nullgrenze sind nicht
dass sich die Zyklen beschleunigen: Finanz-
die Zutaten, die die Renditen nach oben
krisen, die bislang alle einhundert Jahre auf-
treiben. Bedenken sollte man, dass Staats-
traten, finden nun im 10-Jahres-Rhythmus
anleihen keine per se sichere Anlage mehr
statt. Am Rentenmarkt sind „Buy-&-Hold“-
sind. Anleihen von Unternehmen mit soli-
Strategien bei einer 10-Jahres-Rendite von
der Bilanz und nachhaltigem Geschäfts-
deutschen Bundesanleihen von 1,5 Prozent
modell bieten sich als Alternative an.
und einer Realrendite von –0,5 Prozent ebenfalls nicht besonders attraktiv.
• Diversifikation ist ein oft zitiertes, dennoch meist unterschätztes Instrument.
Wie man sieht, bewegen sich die Märkte. Das
Grundsätzlich geht es darum, ein Invest-
heißt auch, dass alte Gewissheiten nicht mehr
ment über verschiedene Anlageklassen, wie
gelten. Denn was gestern richtig war, kann
Aktien, Renten, Immobilien oder Rohstof-
heute Gefahren bergen. Nur wer auf das sich
fe, zu streuen. Im Detail kommt es dann auf
verändernde Umfeld angemessen reagiert,
die jeweiligen Anteile, die entsprechenden
kann künftig erfolgreich sein. Was sollte ein
Korrelationen und die Investmentstile an.
Investor jetzt beachten?
Denn hierüber werden Risiko und Performance gesteuert.
• Die Aktienmärkte sind heute fraglos güns-
tig bewertet. Allerdings setzen die Unwäg-
• An ein Denken in einem globalen Kontext
barkeiten der staatlichen Überschuldungs-
kommt aufgrund der niedrigen Renditen
krise dem Markt immer wieder zu. Viele
niemand mehr vorbei. Wenn früher eine
institutionelle Investoren haben ihre Akti-
Singapur- oder Norwegenanleihe in einem
enbestände bereits zusammengestrichen,
Privatkundendepot als exotisch und riskant
65
Traditionelle
Anlagestrategien
müssen kritisch
geprüft und dem
neuen Umfeld
angepasst werden.
1 0 A s s e t A l l o c a t i o n : n e u e P a r a di g m e n a n d e n K a p i t a l m ä r k t e n
angesehen wurde, dürfen aus heutiger Sicht
Emittent und Währung als solide gelten.
Den Ausschlag dafür geben Verschuldungssituation und Wachstumsaussichten
der jeweiligen Länder. Die Finanzlage der
Industrienationen wird das Anlegerverhalten künftig weiter verändern und die globale Aufstellung eines Vermögens forcieren. Besonders die Emerging Markets
sollten dabei ein größeres Gewicht bekommen.
• Basis aller Entscheidungen ist und bleibt
die ausführliche Fundamentalanalyse von
Märkten und Einzeltiteln. Nicht nur wir
sind davon überzeugt, dass in erster Linie
die Über- und Unterbewertung eines
Marktes die Performance treibt.
66
11 Zum Schluss –
die Wetteraussichten
Wetterprognosen haben Investoren bislang
Als neue Assetklasse bieten sie den fortschritt-
immer nur dann interessiert, wenn Stürme
lichen Investoren noch gute Renditen und hohe
oder Unwetter die konjunkturelle Entwick-
Cashflows – mit oder ohne die Unterstützung
lung gebremst haben oder daraus besondere
durch eine staatliche Förderung. Als Invest-
Einflüsse auf Aktien aus spezifischen Bran-
ments mit ganz neuem Risiko- und Ertrags-
chen, wie Versicherungsgesellschaften oder
profil bieten sie hervorragende Diversifika­
der Bauwirtschaft, abzuleiten waren.
tionsmöglichkeiten, wie sie die gängigen
Assetklassen kaum aufweisen. Als direkte Folge
Neuerdings schauen jedoch immer mehr ins-
einer neuen und ökologischen Energiepolitik
titutionelle Investoren auf Windprognosen
sind Infrastrukturprojekte im Bereich erneuer-
oder die Aussichten auf sonniges Wetter. Der
barer Energien zudem auch bei Investoren mit
Grund: Sie haben in Infrastrukturprojekte,
Nachhaltigkeitsanspruch beliebt.
wie Wind- oder Solarparks, investiert, deren
Rentabilität direkt vom Aufkommen dieser
Was verbirgt sich hinter der neuen
Energieformen abhängen.
Assetklasse?
Die Motive für Infrastrukturinvestments
Um das breite Spektrum an Infrastruktur­
investments zu klassifizieren, bietet die Un-
Viele Marktuntersuchungen belegen, dass es
terscheidung nach Sektoren einen ersten An-
mittlerweile kaum noch institutionelle Anleger
haltspunkt:
gibt, die sich nicht mit Infrastruktur beschäftigen. Motiviert dazu werden sie durch die der-
Transport:
zeit niedrigen Zinsen und/oder hohen Risiken
zum Beispiel Mautstraßen, Brücken,
anderer Anlageformen. Infrastrukturinvest-
Schienennetze, Häfen oder Parkhäuser
ments werden hingegen in mehrfacher Hinsicht als attraktiv gesehen.
Als sogenannte
Kommunikation:
„Real Assets“ versprechen sie eine gewisse
zum Beispiel Kabel-, Mobilfunk oder
Wertbeständigkeit und sicherere Cashflows –
Satellitennetze
insbesondere in Zeiten ansteigender Inflation.
67
11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten
Soziales:
sind nur etwas für risikofreudige und erfah-
zum Beispiel Krankenhäuser, Schulen,
rene Anleger. So werden – ähnlich wie bei
Seniorenwohnraum
Venture-Capital-Anlagen – erst einige Zeit
und Investitionsmittel verbraucht, ehe solche
Energie und Versorgung:
Investments Cashflows abwerfen. Dann bie-
zum Beispiel Elektrizitätserzeugung und -ver-
ten sie jedoch auch die attraktivsten Rendi-
teilung, insbesondere für erneuerbare Energie
ten. Hingegen haben Projekte in der Bauphase schon einen höheren Sicherheitsgrad sowie
Gerade die Letztgenannten – Projekte im Be-
einen geringeren Zeit- und Investitions­
reich erneuerbarer Energien – finden derzeit
bedarf. Schließlich sind bei Anlagen in der
die größte Aufmerksamkeit. Der intensive
Betriebsphase (sogenannte Brownfield-Anla-
Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Ener-
gen) die meisten Risiken überschaubar, zumal
gien (Biomasse, Geothermie, Wasserkraft,
sie schon vom Start weg positive Cashflows
Solar oder Windkraft) verbunden mit dem
erwirtschaften. Den Anleger interessiert da-
Trend zur privaten Finanzierung hat eine
bei der reibungslose Betrieb ohne außerplan-
große Bandbreite an Investitionsmöglichkei-
mäßige Störungen oder Wartungskosten.
ten und -chancen eröffnet.
Wenn diese Risiken zudem von den technischen Betreibern der Anlagen abgesichert
Ein anderes Kriterium zur Einteilung von In-
werden, ähnelt ein derartiges Investment
frastrukturengagements ist der Investment­
stark dem in Corporate Bonds.
ansatz:
Immobilieninvestoren sind mit einer derarti• entweder in Form von „Buy-&-Hold“ –
gen Einteilung nach Investitionsphasen bes-
also dem Betrieb risikoarmer Anlagen zum
tens vertraut. Der wesentliche Unterschied zu
Erzielen stabiler Renditen während der ge-
Infrastrukturprojekten ist meist, dass bei die-
samten Projektlaufzeit
sen in der Regel die Nutzungsdauer terminiert
ist und kein Endwert angesetzt wird. Alterna-
• oder in Form von „aktivem Management“
tiv sehen einige Investoren in Infrastruktur-
– also der Akquisition, Entwicklung und
projekten aber auch eine starke Ähnlichkeit
dem Verkauf von Anlagen zur Erzielung
zu Private Equity – zumal das wirtschaftliche
hoher Wertsteigerungen.
Risiko letztlich doch beim Eigenkapitalgeber
solcher Anlagen verbleibt und darüber hinaus
Manche Investoren unterscheiden nach den
auch die Liquidierbarkeit solcher Investments
Projektphasen und damit nach unterschiedli-
noch stark eingeschränkt ist.
chen Risiko-Rendite-Profilen. Projekte in der
Entwicklung (sogenannte Greenfield-Anlagen)
68
11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten
So gesehen weist diese Assetklasse Eigen-
Es geht aber auch viel komplizierter: Ein In-
schaften auf, wie sie viele Investoren teilweise
vestor muss sich zum Beispiel zusätzlich mit
auch schon von Anlagen in Immobilien, Ven-
Prognosen zum Strompreis befassen, wenn er
ture Capital, Private Equity, Aktien oder Cor-
nicht von festen Einspeisevergütungen allein
porate Bonds kennen.
profitieren, sondern den Strom frei vermarkten will. Wenn er darüber hinaus auch noch
Welche Prognosen braucht es für
den Ertrag aus dem laufenden Betrieb oder
erfolgreiche Investments?
das sogenannte Repowering – also das Ersatz­
investment auf technisch neuestem Stand –
Die Beurteilung der Attraktivität von Infra-
optimieren will, würde ihm dies mannigfach
strukturinvestments hängt davon ab, welchen
Prognosen zur technischen Entwicklung bis
Cashflow und welchen Wiederverkaufswert
hin zur Leistungsfähigkeit der Anlagen ab-
der Investor für sein Kapital erhält. Am ein-
verlangen. Diese sind jedoch meist Sache von
fachsten haben es dabei diejenigen Anleger,
Experten.
die sich in „Buy-&-Hold“-Projekten engagieren. Sie investieren bis zum Ablauf der ge-
Prognosen allein reichen nicht aus
planten Nutzung (das können gut 20 Jahre
sein), unterstellen einen Restwert von null
Angesichts der derzeitig starken Nachfrage
(eventuell auch noch Kosten für Rückbau-
nach Infrastrukturinvestments gilt es zu-
maßnahmen), nehmen die garantierten Ein-
nächst einmal, geeignete Projekte zu finden
speisevergütungen und haben schließlich
beziehungsweise Zugang zu ihnen zu haben.
(sofern sie sich vom Betreiber zum Beispiel
Ein gutes Netzwerk zu Projektmanagern oder
des Wind- oder Solarparks auch noch Be-
Betreibern ist dabei unabdingbar. Danach gilt
triebsgarantien geben lassen) nur noch zu
es nicht, nur die wirtschaftliche Entwicklung
überlegen, welche Menge – sprich Wind- be-
abzuschätzen, sondern auch mit technischen
ziehungsweise Sonnenleistung – produziert
und rechtlichen Due-Diligence-Prüfungen
und verkauft werden kann. Obwohl speziali-
die Nachhaltigkeit und Risiken abzusichern.
sierte Wissenschaftler mit ausgeklügelten
Diese Entscheidungen werden dem Anleger
technischen Messungen solche langfristigen
abgenommen, sofern er in einen Dachfonds
Prognosen erstellen, kommt es auch dabei
oder diversifizierten Infrastruktur-Einzel-
natürlich immer wieder zu mehr oder weni-
fonds investiert. Stattdessen muss er sich
ger großen Abweichungen. Diese sind für
dann aber mit der Qualität des Asset-Mana-
Windkraftanlagen ungleich größer als bei So-
gers und der Eignung der Anlagerichtlinien
laranlagen oder Wasserkraftwerken.
für seine Bedürfnisse befassen. Je mehr Einfluss der Anleger selbst über die individuelle
Auswahl und Allokation von Projekten, das
69
11 Zum Schluss – Die Wetteraussichten
Controlling oder die Bestimmung der Rendite­
Diese Beispiele zeigen: Angesichts der Kom-
erwartung sowie die Transparenz unter ande-
plexität der Entscheidungen und Investment-
rem der Gebühren ausüben möchte, desto
schritte ist es sinnvoll, als Anleger auf die
mehr empfehlen sich Direktinvestments be-
Unterstützung kompetenter Partner zurück-
ziehungsweise „Club Deals“. Viele institutio-
zugreifen. Hauck & Aufhäuser Privatbankiers
nelle Investoren nutzen dabei die vielfältigen
verfügen über langjährige Erfahrung in der
„Verpackungsmöglichkeiten“ nach Luxembur-
Erschließung und Strukturierung derartiger
ger Recht, um die Investmentobjekte optimal
Infrastrukturinvestments und der langfristi-
auf ihre bilanziellen, steuerlichen oder regula-
gen laufenden Betreuung des Investors. Dies
torischen Bedürfnisse hin zu strukturieren.
kann insbesondere für jene Anleger sehr inte-
Die Lösungen reichen dabei von Bondstruk-
ressant sein, die erste Schritte in dieser Asset-
turen bis hin zu Fonds oder Beteiligungs-
klasse vornehmen und dabei aber die Asset­
strukturen.
allokation der einzelnen Engagements selbst
in der Hand halten wollen.
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Stand: 3. Dezember 2012
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Mitwirkende Autoren:
Reinhard Pfingsten, Burkhard Allgeier, Achim
Backhaus, Gregor Claussen, Bernhard Renger,
Jens Wissel sowie Dr. Wolfgang Kirschner
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