Eine standfeste Währungsunion

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Eine
standfeste
Währungsunion
Hoffnung auf ein
solidarisches Europa
mit Perspektive
Stellungnahme der Bischöfe der ComECE
zwei Jahre nach Einführung des Euro
Kommission der Bischofskonferenzen der Europaïschen Gemeinschaft.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
3
Grundlegende Orientierungen
5
Der Euro muss von den Bürgern vollständig
angenommen werden
7
Impulse für ein solidarisches Europa
9
2
Die Währungsunion und der weitere Weg
12
Schluss: Eine übergreifende Perspektive
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Eine standfeste Währungsunion
Hoffnung auf ein solidarisches Europa
mit Perspektive
Stellungnahme der Bischöfe der ComECE
zwei Jahre nach Einführung des Euro
Einleitung
1. Als Bischöfe der Kommission der Bischofskonferenzen der
Europäischen Gemeinschaft (COMECE) haben wir uns bereits 1998
intensiv mit der Europäischen Währungsunion (EWU) beschäftigt.
Damals bemühten wir uns, im Rahmen eines Sozialkongresses, die
tieferliegende Bedeutung eines gemeinsamen Geldes für das künftige
Zusammenleben der Menschen und Völker in der Europäischen
Union zu verstehen. In einem Jahr werden nun die neuen EuroMünzen und -Scheine ausgegeben. Dabei handelt es um einen dramatischen Einschnitt in den Alltag der Bürger und Bürgerinnen des EuroGebiets, und aus diesem Grund möchten wir das Thema noch einmal
aufgreifen. In einer geänderten Situation - für elf EU-Länder ist der
Euro schon eine politische und wirtschaftliche Realität - wollen wir den
politisch Verantwortlichen und der europäischen Öffentlichkeit einige
ethische Prinzipien vorlegen, von denen wir meinen, dass sie für die
Währungsunion handlungsleitend sein sollten. Wir gehen nicht auf die
Frage ein, ob die Bürger bislang unentschiedener EU-Länder sich für
oder gegen den Euro aussprechen sollen.
2. Als Bischöfe sind wir Theologen und Pastoren, und wir sind
selbstverständlich Bürger unseres Landes und Europas. Ganz gleich
aus welcher Richtung wir uns dem Thema “ Euro und
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Währungsunion ” nähern, wir kommen stets zur selben ersten
Bewertung : Wenn es um die Währung geht, sind Verlässlichkeit und
Stabilität oberstes Gebot, um Vertrauen zu sichern. Geld kann nach
vielen Seiten hin definiert werden : Seine Funktion, seine Knappheit,
seine Entstehungsgründe. Eines ist aber über alles richtig und wichtig,
nämlich das Vertrauen. Ohne Vertrauen kann eine wertstabile
Währung nicht bestehen. Das gilt in besonderem Masse für das
europäische Geld, dessen Schaffung und Weiterentwicklung historisch
beispiellos sind.
3. Das einheitliche Geld und die neue Währungsordnung sind
ein hohes Ziel der europäischen Zusammenarbeit. Sie bereiten
darüberhinaus den Weg zur Verwirklichung anderer politischer
Ziele. Für uns bedeutet die europäische Integration in erster Linie
Friedenspolitik : Frieden im Inneren durch neue Formen des wirtschaftspolitischen Dialogs und neue Formen der Konfliktregelung.
Frieden nach aussen durch Beispiel und Mitwirkung. Im Lichte dieses
Kernziels wurde mit der Währungsunion eine unkündbare
Solidargemeinschaft geschaffen.
4. In unserer ersten Rückschau auf die vergangenen zwei Jahre
seit Einführung des Euro möchten wir dazu beitragen, dass dieses bisher wohl weitreichendste Projekt der europäischen Einigung auch in
dieser längerfristigen Sicht gesehen wird. Der Start der
Währungsunion fiel in eine Zeit der äusseren und inneren
Beunruhigungen : Die Ungewissheit über Ansteckungen aus der
Asienkrise von 1997; der Krieg im Kosovo, um dessen Opfer wir trauern und der in besonderem Masse die Aktion Europas erforderte ;
schliesslich im Inneren das politische Vakuum durch den Rücktritt der
europäischen Kommission. Inwischen hat eine neue Kommission ihre
Arbeit aufgenommen, und eine Diskussion über eine grundlegende
Reform der Europäischen Union ist angelaufen. Die unmittelbare
Herausforderung des Beitritts einer ganzen Reihe von weiteren
europäischen Ländern zur EU ist aufgegriffen.
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5. Die problemlose Einführung des Euro am 1. Januar 1999 ist
durchaus ein Grund zur Freude. Vermutlich können sich viele nicht
davon ausnehmen, in der Zeit vor der unwiderruflichen Festsetzung
der Wechselkurse auch einmal gezweifelt zu haben, ob Kriterien,
Verfahren und technische Vorbereitung für eine erfolgreiche und reibungslose Einführung des Euro ausreichen werden. Der Dank gilt
denen, die mit äussersten Anstrengungen die ökonomischen
Eintrittsbedingungen verwirklicht haben. Der Dank gilt aber auch den
unzähligen Personen, die die technischen Vorbereitungen für die
Umstellung auf den Euro ermöglicht haben.
6. Dem weiteren Text sind einige “ grundlegende Orientierungen ” vorangestellt . Daran anschliessend sprechen wir mit Blick
auf die künftige Entwicklung der Währungsunion vor allem drei Felder
an :
Erstens geht es uns darum, die Bedeutung des Euro für die
Menschen in Europa nochmals herauszustellen. Auf alle Fälle muss
nun der Euro von denen voll verstanden und angenommen werden,
die in Kürze auch täglichen Gebrauch von ihm machen werden.
Zweitens fragen wir nach den Impulsen der neuentstandenen
Solidargemeinschaft Währungsunion.
Drittens wenden wir unsere Überlegungen den Erfordernissen der Zukunft zu. Die einheitliche Geldpolitik der Länder der
Währungsunion wird nämlich nicht ohne Auswirkungen auf den weiteren Weg der europäischen Einigung sein.
Grundlegende Orientierungen
7. Die Währungsunion begründet eine unkündbare Solidargemeinschaft. Das nationale Geld ist in den Euro aufgegangen. Die
Aufgabe des nationalen Geldes und die Ordnung und Führung eines
europäischen Geldes verlangen deshalb in Zukunft ein Handeln im
Bewusstsein gemeinsam vereinbarter Ziele. Ein Abweichen davon
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würde von den Partnern mit Recht als unsolidarisch empfunden. Es
berechtigte das Einwirken der anderen. Von nun an ist eine Art europäischen Gemeinschaftsinteresses für die Gestaltung der Geldpolitik
massgebend geworden. Eine eigens dafür geschaffene Institution, das
Europäische System der Zentralbanken, ist vertragsgemäss zur
Einhaltung der Preisstabilität im gesamten Währungsgebiet verpflichtet. Solidarverhalten geht aber über die Geldpolitik hinaus. So müssen
die anderen Träger von Wirtschaftspolitik - die Regierungen und
Parlamente der Mitgliedstaaten, die Institutionen der Union, die
Sozialpartner usw. – unterstützend und nicht gegensätzlich handeln.
8. Die Währungsunion lässt einige Unterschiede zwischen
Wirtschafts- und Sozialpolitik deutlicher hervortreten. Zunächst
könnte es erscheinen, dass der Wegfall der Wechselkursänderungen
und der nach Ländern nicht mehr möglichen unterschiedlichen
Gestaltung des Zinsniveaus nach Einführung des Euro zumindest teilweise durch sozialpolitische Aktivitäten ausgeglichen werden müsste.
Das wäre aber eine Verkennung der vorwiegend strukturpolitischen
(und nicht konjunkturpolitischen) Funktion der Sozialpolitik. Der
erste Unterschied rührt daher aus den verschiedenen Aufgaben von
Währungspolitik und Sozialpolitik. Ein zweiter liegt darin, dass
Schritte der Sozialpolitik ihrerseits nicht die Flexibilität zwischen den
Ländern der Währungsunion behindern dürfen. Täten sie das, so käme
das einer Einengung der Beschäftigungsmöglichkeiten gleich. Die
Ausführung der Sozialpolitik muss deshalb vorrangig eine Sache der
Mitgliedstaaten sein und innerhalb der Grenzen der ungehinderten
Entfaltung der Beschäftigungsmöglichkeiten bleiben. Das gilt selbst
für die Definition sozialer Mindeststandards und anderer
Massnahmen, die aus EU-Regeln abgeleitet werden. Das trifft aber in
noch grösserem Masse für die Gestaltung der Sozialleistungssysteme
zu. In der Währungsunion müssen diese auf dem Boden der
Mitgliedsstaaten wachsen. Der umgekehrte Weg eines von oben aufgestülpten einheitlichen europäischen Sozialleistungssytems wäre
verfehlt. Es würde der vollen politischen Union vorgreifen, zur
Transferunion führen und die jetztige Währungsunion tendenziell belasten. Dass die Beziehungen auch in umgekehrter, d.h. positiver
Richtung wirken, zeigt der zur Unterstützung der europäischen
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Währung beschlossene Pakt für Wachstum und Stabilität. Das Verbot
einer zu hohen öffentlichen Verschuldung ermöglicht auch einen intergenerationellen Soldidaritätsgewinn, indem er der Versuchung entgegentritt, die Kosten notwendiger Strukturanpassungen künftigen
Generationen aufzubürden.
9. Die Währungsunion löst deutliche Integrationszwänge auf
die anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik aus. Noch bedeutender ist
aber ihre Ausstrahlung auf die Politik im weitesten Sinne des Wortes.
Die Geschichte der europäischen Einigung lehrt, dass hier ein Sprung
in der Dynamik zu erwarten ist. Zwei Jahre nach Einführung des Euro
drängen sich langfristige Erfordernisse und Fragen nach der eigentlichen Finalität der Währungsunion in den Vordergrund. Der offensichtlichen Schwierigkeit, die Finalität der europäischen Integration zu
definieren, darf nicht ausgewichen werden, denn die Herausschälung
der längerfristigen Ziele wird den kurzfristigen und pragmatischen
Schritten eine sichere Orientierung geben. In vielen Politikbereichen
muss ein neues Gleichgewicht zwischen nationaler Selbstbestimmung
und der durch gemeinsames Handeln möglichen Politikbeherrschung
angestrebt werden. Die Zeit grundlegender Umorientierungen hat begonnen. Dabei ist es in einer sich erweiternden Union wohl unvermeidlich, dass das Fortschreiten aller durch die Möglichkeit des
Voranschreitens einer Kerngruppe gefördert wird.
Der Euro muss von den Bürgern
vollständig angenommen werden
10. Die Einführung des Euro ist für viele Bürgerinnen und
Bürger des Euro-Währungsgebietes noch in hohem Masse ein abstrakter Vorgang. Das wird sich erst mit der für die Jahreswende 2002
anstehenden Ausgabe von Münzen und Scheinen in Euro ändern. Die
dann voll bewusst werdende Umstellung wird für die viele manche
Vorteile bringen : so entfällt der Geldumtausch bei Reisen, und der
Vergleich von Preisen über Grenzen hinweg wird erleichtert. Aber
auch Unannehmlichkeiten sind nicht auszuschliessen. Das nominale
Wertsystem wird anders, ohne dass sich die Kaufkraft ändert. Ein durch
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Erfahrung gewachsenes Gefühl für Preise kann durcheinander geraten.
Das je nach Land mehr oder weniger komplizierte Umrechnen von der
dann zur Geschichte gewordenen nationalen Währung zur neuen
europäischen Währung ist eine grosse gedankliche Anstrengung, die
der Gewöhnung bedarf. Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten
werden nicht alle gleichermassen betreffen. Für jene, die sehr mobil
sind und von sprachlichen Barrieren wenig behindert werden, werden
ohne jeden Zweifel die Vorteile sofort überwiegen. Für andere hingegen könnte die Zeit der Umgewöhnung zunächst als Benachteiligung
empfunden werden. Ein Stück Alltagssicherheit geht verloren und die
Angst sich zu täuschen oder getäuscht zu werden könnte wachsen.
11. In den aussergewöhnlichen Zeiten der Umstellung gilt
umso mehr, dass die Menschen Zuverlässigkeit in der Sicherung der
Kaufkraft des europäischen Geldes und Verlässlichkeit und
Standfestigkeit gerade von jenen erwarten, die es ordnen und hüten.
Die verbleibende Zeit bis zur Aushändigung des neuen Geldes muss
somit in besonderem Masse zur Stärkung der Glaubwürdigkeit genutzt werden. Bis heute kann erfreulicherweise festgestellt werden,
dass sich die Inflationsrate des Euro-Währungsgebiets auf niedrigem
Niveau bewegt. Von dieser Seite erfährt deshalb die Glaubwürdigkeit
der neuen europäischen Zentralbank eine Stütze.
12. Der verständliche Wunsch nach Klarheit hat unterdessen in
der europäischen Öffentlichkeit dazu geführt, mit einem besonderen
Interesse die Entwicklung des Euro-Wechselkurses im Verhältnis zum
Dollar zu betrachten, obwohl dieser mehr über die wirtschaftliche
Gesamtentwicklung als über die Geldpolitik der europäischen
Zentralbank aussagt. Die jüngsten Entwicklungen des Wechselkurses
waren eher beunruhigend Als Massstab für die wirtschaftliche
Gesamtentwicklung sollte der Euro-Wechselkurs jedoch nicht überschätzt werden, weil der Anteil des Aussenhandels am volkswirtschaftlichen Gesamtvolumen des Euro-Währungsraumes erheblich geringer
geworden ist, als es vorher bei den Volkswirtschaften der einzelnen
Staaten der Fall war. Die Erfahrungen der letzten internationalen
Finanzkrisen deuten indessen bereits auf einen grundlegenden Wandel
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hin : Während Anfang der neunziger Jahre die Währungsturbulenzen
zwischen Dollar, Deutscher Mark und den übrigen europäischen
Währungen das europäische Wirtschaftswachstum beeinträchtigten,
weil sie Erschütterungen in das Europäische Währungsystem trugen,
ist das mit dem Euro anders geworden. Bereits die Aussicht auf die gemeinsame Währung trug dazu bei, die Finanzkrise, die Mitte 1997 in
den sich rasch entwickelnden Staaten Südostasiens begann und sich in
Brasilien und Russland fortsetzte, von Europa weitgehend fernzuhalten. Der Dollarkurs des Euro ist somit ein wichtiger, aber nicht allein
entscheidender Massstab. In den Wert des Euro fliessen viele
Bestimmungsfaktoren ein.
13. Schliesslich neigen viele Menschen dazu, den Euro mit Blick
auf die Zahl der Arbeitslosen zu beurteilen, wenngleich diese von
Bedingungen abhängen, die weit über den Rahmen der Geldpolitik
hinausreichen. Im Interesse der Klarheit wäre es von Nutzen, in der
Öffentlichkeit deutlicher darzustellen, dass der Euro für sich genommen kein Allheilmittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist. Der
Euro allein schafft direkt noch keine Arbeitsplätze. Seine
Auswirkungen sind indirekter Art. Deshalb ist ein Fallen der Zahl der
Arbeitslosen weniger ein Kriterium des Erfolgs des Euros als vielmehr
ein Spiegel der gesamten Wirtschaftspolitik. Allerdings dürfen die
Regierungen nicht aus dem Blick verlieren, dass der Euro für viele
Menschen in Europa ein Symbol für die gesamtwirtschaftliche
Strategie ist. Die Möglichkeit, dass bei enttäuschenden
Wirtschaftsleistungen die Glaubwürdigkeit des Euro beschädigt wird,
kann nicht ausgeschlossen werden.
Impulse für ein solidarisches Europa
14. Solidarität kann als Mitgefühl oder als helfendes Handeln
umschrieben werden. Zwar liegen beide Definitionen unweigerlich
eng beieinander, doch ist es für das Verständnis oft hilfreich, sie
voneinander zu unterscheiden. In beiden Versionen kann Solidarität
sehr unterschiedliche Adressaten haben und auf verschiedenen
Niveaus angesiedelt sein: So gibt es z.B. die Solidarität der Familie,
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zwischen kleineren und grösseren Gemeinschaften, innerhalb eines
Staates oder über Grenzen hinweg. Schliesslich kennen wir eine
Solidarität der Generationen. Im Fall der Solidarität als helfendes
Handeln ist aus ethischer Sicht besonders darauf zu achten, dass der
Handelnde die richtigen Mittel einsetzt. Beispielsweise kann eine
Regierung Arbeitslosen nur sehr bedingt mit konjunkturpolitischen
Mitteln helfen, wenn strukturpolitische Faktoren die Ursache steigender Arbeitslosenzahlen sind.
15. Von manchen Seiten wird die Europäische Zentralbank aufgefordert, ihre Geldpolitik in den Dienst eines Abbaus der hohen
Arbeitslosigkeit zu stellen. Der Beitrag der Geldpolitik kann aber nur
darin liegen, über stabiles Geld die Bedingungen für ein beschäftigungsfreundliches gesamtwirtschaftliches Umfeld zu schaffen. Die
Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, dass eine mögliche kurzfristige Wirkung der expansiven Geldpolitik durch den folgenden
Inflationsanstieg schnell wieder aufgezehrt wird und so vor allem die
Besitzer von Geldvermögen trifft und Besitzer von Sachvermögen
begünstigt. Mit anderen Worten, Inflationsvermeidung nützt vor
allem den wirtschaftlich Schwachen, die sich weniger gegen eine
Geldentwertung schützen können.
16. Sicherlich wird die Einführung des Euro Rückwirkungen
auf andere Bereiche der Wirtschaftspolitik haben. Umgekehrt jedoch
ist der Euro kein Allheilmittel für unterbliebene oder zu schwache
strukturpolitische Anstrengungen. Indem der Euro
den
Wettbewerbsdruck innerhalb der Union erhöht, beschleunigt er die
notwendige Erneuerung unserer Volkswirtschaften hin zu einer stärkeren Konzentration auf die eigenen Stärken. Diese Bewegung ist die
Quelle für mehr Produktivität und Wachstum, letztlich ein Schlüssel
für mehr Beschäftigung. So gesehen bringt der Euro die dringende
Notwendigkeit weitergehender struktureller Reformen ans Licht.
Indessen muss vermieden werden, dass der Wettbewerb zu einer
Angleichung auf dem jeweils niedrigsten Niveau im sozialen und fiskalischen Bereich führt. Um diese Gefahr zu bannen, sind zwei
Elemente wichtig: weitgehende strukturelle Reformen, die Solidarität
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im Sinne von mehr Beteiligungsgerechtigkeit anzielen, und eine Staat
für Staat vorzunehmende Neubestimmung des Gleichgewichts zwischen sozialer Absicherung und Flexibilität des Arbeitsmarktes.
17. Bei aller Notwendigkeit von wirtschaftlichem Umbau,
Modernisierung und technologischer Neuerung ist eines besonders
wichtig : Die verantwortlichen Politiker dürfen die Interessen der
Schwächeren in der Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Ziel
der nationalen, aber auch europäischen Politik sollte es daher sein,
Beteiligungsgerechtigkeit anzustreben : Der Zugang zu Güter- und
Arbeitsmärkten sollte erleichtert werden, um damit Hilfe zur
Selbsthilfe zu leisten. Reformen im Bereich der beruflichen Bildung
sind erforderlich. Im Geiste der christlichen Sozialethik muss zudem
auch weiterhin ein Platz für Solidarität mit den Schwächsten sein.
Deshalb sind staatliche Ausgleichsmassnahmen zur Abfederung der
grössten sozialen Ungleichheiten unverzichtbar.
18. Solidarität als Mitgefühl ist nicht teilbar. Sie gilt weltweit
allen Menschen. Bei der als helfendes Handeln definierten Solidarität
ist zusätzlich jeweils abzuwägen, ob und wie den Menschen anderer
Weltregionen geholfen werden kann. Das gilt auch für die
Währungspolitik des Euro-Gebiets. Eine weltweit stabiliserende
Wirkung des Euro im Wettbewerb mit dem US-Dollar wäre zwar insbesondere mit Blick auf die Ärmsten in den Ländern, die in den vergangenen Jahren mit starkem Währungsverfall zu kämpfen hatten,
wünschenswert gewesen, allein die starke Währung einer Weltregion
kann keine Schutzfunktion für andere bieten, solange die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen für ein stabiles Geld in den betroffenen
Regionen selbst nicht gegeben sind.
19. Die Schaffung monetärer Stabilität ist für alle Länder der
Währungsunion ein hoher Wert, der nicht ohne hohen Einsatz erzielt
werden konnte. Daher müssen sich andere Länder, die Anteil an diesem Wert haben möchten, ebenfalls stabilitätsgerecht verhalten. Es
wäre ein fundamentaler Irrtum zu behaupten, mit der Währungsunion
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würden neue Mauern errichtet. Der Euro trennt nicht, sondern er errichtet einen grösseren Stabilitätspol in Europa, von dem andere
Länder profitieren. Sähe man den Euro als Trennmauer, so wäre die
Alternative ein Rückfall in den Wettbewerb nationaler Währungen.
Diese Alternative wäre dann der Verzicht, gemeinsam und im grösseren Raum Wachstum und Stabilität zu erzielen. Im noch grösseren internationalen Rahmen ermöglicht er für Europa währungspolitische
Eigenständigkeit und Sicherheit zum Wohle aller. Während der letzten internationalen Finanzkrisen hat die europäische Währungsunion
bereits stabilisierend auf die Wirtschaft der Euro-Länder gewirkt und
indirekt auf die Nachbarländer in Mittel- und Osteuropa. Auch hier
wirkte die Währungsunion als Schutz vor Ansteckungen. Von ihrer
politischen Anlage her versteht sich die Währungsunion nicht als
geschlossener Klub, sondern als eine auf Mitgliederzuwachs vorbereitete Gemeinschaft.
20. Was die Budgetpolitik betrifft, so überlässt sie der EGVertrag der Hoheit der Mitgliedstaaten. Das entspricht dem allgemeinen Demokratieverständnis, wonach den Bürgern die Kontrolle über
die Steuer nicht entzogen werden darf, und der gegenwärtigen
Struktur der Union. Lediglich zur Vermeidung übermässiger
Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten, die eine Gefahr für die Stabilität
des Euro sind, wurde ein tiefgreifendes, die Souveränität aber respektierendes Koordinierungsverfahren eingeführt, das bis zu Sanktionen
führen kann. Ländern, die sich unsolidarisch verhalten, können im
Extremfall Strafeinlagen auferlegt werden. Dieses weit gestaffelte
Verfahren muss in der Praxis noch seine Bewährungsprobe bestehen.
Es ist aber ein Weg, vorbeugend dafür zu sorgen, dass kein Partner
übermässige Haushaltsdefizite aufbaut. Es zeigt sich jedenfalls, dass
die Union nicht in den Begriffen von Staat und Superstaat wächst, sondern als Gebilde ‘sui generis’ mit neuartigen sozialethischen Pflichten.
Die Währungsunion und der weitere Weg
21. Die Währungsunion ist Zukunftsgestaltung. Sie erschliesst
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sich erst voll, wenn weitere Integrationsschritte erfolgen. So gesehen
ist sie ein Akt der Hoffnung, denn ‘einen Akt der Hoffnung setzen’
meint ein Handeln in der Gegenwart, das im Vertrauen und in der
Berücksichtigung weiterer noch in der Zukunft liegender Schritte erfolgt.
22. Die rein wirtschaftliche Begründung der Währungsunion,
beispielsweise die Erhaltung und Vollendung des gemeinsamen
Marktes, reicht nicht aus. Währungsintegration dieser Art ist letztlich
zugleich weiterführende Politikintegration. In der Zeit des grundlegenden Wandels zu Ende der achtziger Jahre wurde die Währungsunion aus politischen Gründen ins Leben gerufen. Was damals
politisch entstand, kann heute und morgen nicht unpolitisch werden.
Nur wenn die politische Dimension gesehen wird und nur wenn die ihr
innewohnende Kraft zur Entfaltung gebracht wird, wird die
Währungsunion ihr langfristiges Ziel erfüllen. Jedenfalls ist das europäische Geld nichts Neutrales und nichts Eigengesetzliches einer
begrenzten Währungsordnung. Es wird deutlich, dass langfristig ein
“ salto vitale ” zur noch engeren politischen Zusammenarbeit ansteht.
23. Aus einer solchen Blickrichtung ist es in Zukunft wichtig,
über weitere Schritte der Politikintegration nachzudenken. Einige
Etappen wurden bereits identifiziert: Dazu gehören Massnahmen zur
gleichmässigeren Besteuerung bestimmter Steuerbasen (Umsatz,
Umwelt, Kapitaleinkünfte), ohne die Integrationsfortschritte zu
Gerechtigkeitsrückschritten führen würden. Der Wettbewerb im
Bereich der Steuern darf nicht durch unloyales Vorgehen seitens der
Mitgliedsstaaten verzerrt werden. Ein wichtiges Ereignis ist die
Proklamation einer europäischen Charta der Grundrechte, in der auch
soziale Elemente ihren Platz gefunden haben. Des weiteren sind die
seit dem Kosovo-Krieg zu beobachtenden Fortschritte bei der
Herausbildung einer wirksamen gemeinsamen Aussen- und
Sicherheitspolitik zu nennen.
24. Die Währungsunion zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die
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Herausarbeitung gemeinsamer Finalitäten – so wie die seinerzeitige
vertragliche Festlegung auf das Ziel der Preisstabilität – der institutionellen Ausprägung oft erst Inhalt und Dauer verleihen. Die Finalität ist
gewiss nicht alles. Aber alles ist ohne sie nichts. Für die anstehenden
Beitritte zur Union und deren vorbereitenden Schritte gilt Gleiches.
Ohne Einigkeit über die langfristigen Ziele eines vereinten Europas
fehlt den institutionellen Bestimmungen die Wegmarke.
Schluss : Eine übergreifende Perspektive
25. Zwei Jahre nach Einführung des Euro hat die europäische
Währungsunion bereits ihre Standfestigkeit erworben. Sie ist zu einem
Faktor stabitlitätsfördernder Zukunftsgestaltung geworden. In ihr
schwingt die Hoffung auf ein solidarisches Europa mit. Sie öffnet den
Weg für neue Solidaritäten nach innen und aussen. Im Inneren wird
die Währungsunion nach der weiteren Konsolidierung mehr und mehr
davon bestimmt, nicht ob, sondern wie sich die Union politisch weiter
vertieft. Nach aussen kann die Währungsunion in Zeiten sprunghafter
Globalisierung zur Bewahrung und zur Entwicklung eines europäischen Sozialmodells beitragen. Die Menschen erhoffen ein solidarisches Europa mit Perspektive, und nicht nur ein technisch gut funktionierendes einheitliches Währungssystem. Dann sind sie bereit,
eventuelle Unannehmlichkeiten bei der Umstellung auf den Euro zu
relativieren.
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Brüssel, 06.12.2000
Die Bischöfe der Kommission der Bischofskonferenzen der europäischen Gemeinschaft
Josef Homeyer, Bischof von Hildesheim (Deutschland) – Präsident
der COMECE
Teodoro De Faria, Bischof von Funchal (Portugal)
Luk De Hovre, Weihbischof von Brüssel (Belgien)
Joseph Duffy, Bischof von Clogher (Irland)
Fernand Franck, Erzbischof von Luxemburg
Crispian Hollis, Bischof von Portsmouth (England-Wales)
Egon Kapellari, Bischof von Gurk-Klagenfurt (Österreich)
William Kenney, Weihbischof von Stockholm (Schweden)
John Mone, Bischof von Paisley (Schottland)
Attilio Nicora, Italienische Bischofskonferenz
Hippolyte Simon, Bischof von Clermont (Frankreich)
Adrianus van Luyn, Bischof von Rotterdam (Niederlande)
Elias Yanes-Alvarez, Erzbischof von Zaragoza (Spanien)
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