B KULTURWISSENSCHAFTEN BB RELIGION UND RELIGIÖS GEPRÄGTE KULTUREN BBD Judentum Holocaust 16-1 Black earth : der Holocaust und warum er sich wiederholen kann / Timothy Snyder. Aus dem Engl. von Ulla Höber … München : Beck, 2015. - 487 S. : Kt. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Black earth <dt.>. - ISBN 978-3-406-68414-2 : EUR 29.95 [#4398] Nach seinem Bestseller Bloodlands1 bleibt der amerikanische Historiker von der Yale Universität Timothy Snyder in seinem neuesten Buch Black earth2 der Thematik und seinem Arbeitsstil treu. Nach dem in zahlreiche Sprachen übersetzten und mehrfach ausgezeichneten Buch über die ungeheuerlichen Verbrechen des nationalsozialistischen und des sowjetischen Regimes von 1933 bis 1945 in den die beiden Imperien voneinander trennenden Pufferstaaten, den Bloodlands, d.h. Ostpolen, Weißrußland, Westrußland, Baltikum und Ukraine verkürzt er nun den Zeitrahmen auf 1941 bis 1944. Diesmal konzentriert er sich auf Hitler und den Holocaust, während er im früheren Werk dessen Verbrechen noch vergleichend mit denen Stalins beschrieb. Sein Fazit war damals: Beide Diktatoren mögen in Details ihrer paranoiden Persönlichkeit, ideologischen Orientierung und Vorgehensweise verschieden gewesen sein, doch in den schrecklichen Resultaten ihrer Handlungen gleichen sie sich: Millionen von Opfern säumen ihren verbrecherischen Weg. Manche der Fachkollegen machten übrigens Snyder ausgerechnet diesen Vergleich, was kaum nachzuvollziehen ist, zum Vorwurf. Auf dem ersten Blick scheint Black earth ein weiteres Buch zur riesigen Holocaustliteratur zu sein, das noch einmal minutiös Details über dieses einzigartige Verbrechen in unserer jüngeren Geschichte zusammenträgt und einige Aussagen über individuelle Rettungsakte aus Archivmaterial einarbeitet, vor allem in den Kapitel 9, 10, 11 und 12 (S. 372). Doch der Untertitel setzt mit dem Hinweis auf die Wiederholbarkeit des Holocausts schon einen anderen Akzent. Snyder verläßt bereits im Prolog den Weg des biederen Historikers, der trocken Fakten an Fakten reiht, um ein vollständiges Bild der ungeheuerlichen Vorgänge chronologisch exakt nachzuzeichnen. Vom Wien unserer Tage aus blickt der Autor zurück auf den März 1938, als mit dem „Anschluß“ Österreichs dort die Verfolgung der Juden einsetzte. Für 1 Bloodlands : Europa zwischen Hitler und Stalin / Timothy Snyder. Aus dem Engl. von Martin Richter. - 2. Aufl. - München : Beck, 2010 [vielm. 2011]. - 522 S. : Kt. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Bloodlands <dt.>. - ISBN 978-3-406-62184-0 : EUR 29.95 [#2275]. - Rez.: IFB 12-2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz349818002rez-1.pdf 2 Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/1069549509/04 ihn besteht zwischen beiden Vorgängen ein innerer Zusammenhang, d.h. zwischen dem Verschwinden eines Staatswesens und der Vernichtung der Juden. Denn dem Holocaust fielen weniger deutsche Juden als außerhalb Deutschlands lebende Juden zum Opfer. Auch wurden die meisten von ihnen nicht in Auschwitz, sondern außerhalb der Vernichtungslager weiter im Osten, in den Bloodlands, umgebracht. Diese Details werden nach Meinung des Historikers von der Yale Universität in den meisten Darstellungen des Holocausts kaum reflektiert und veranlassen ihn daher zur unkonventionellen, viele vielleicht provozierenden Neuinterpretation der Vorgänge. Den Ausgangspunkt für das Ausrottungsprojekt aller Juden, für den Holocaust, findet Snyder in Hitlers krausem Geschichtsbild, das man in Mein Kampf3 neuerdings auch kommentiert nachlesen kann. Dieser Ansatz läßt ökologische Wurzeln erkennen: „Ökologie war Knappheit, und Dasein bedeutete Kampf um Land“ (S. 15). In diesem Kampf um Ressourcen kann nur die überlegene Rasse siegen, alle anderen müssen verhungern und untergehen. Aus diesem Grund ist der Rassist Hitler für Snyder auch nicht unbedingt ein Nationalist. Sein Handeln lief auf folgende sieben Ziele hinaus: Parteienstaat, Gewaltunternehmertum, Export von Anarchie, Hybridisierung von Institutionen, Schaffung von Staatslosigkeit, Globalisierung der deutschen Juden und Neudefinition des Krieges (S. 53). Was er darunter genau versteht, wird in den anschließenden Kapiteln ausführlich dargelegt. 3 Hitler, Mein Kampf. - Kritische Edition / hrsg von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel ; unter Mitarbeit von Edith Raim … Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin. - München : Institut für Zeitgeschichte München - Berlin. - 28 cm. - ISBN 978-3-9814052-3-1 EUR 59.00 [4579]. - Bd. 1 (2016). - 947 S. : Ill. - Bd. 2 (2016). - S. 957 - 1966 : Ill., Kt. Eine Besprechung in IFB ist vorgesehen. - Ältere und ganz neue Publikationen über Mein Kampf sind zahlreich. In IFB wurden bisher besprochen: Adolf Hitler: Mein Kampf : Weltanschauung und Programm ; Studienkommentar / Barbara Zehnpfennig. - Paderborn ; München : Fink, 2011. - 280 S. ; 19 cm. - (UTB ; 3469 : Politische Philosophie ; Geschichte). - ISBN 978-3-7705-5126-2 (Fink) - ISBN 9783-8252-3469-0 (UTB) : EUR 22.90 [#1951]. - Rez.: IFB 11-3 http://ifb.bszbw.de/bsz337419337rez-1.pdf - "Mein Kampf" : die Karriere eines deutschen Buches / Sven Felix Kellerhoff. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2015. - 366 S. ; 21 cm. - ISBN 978-3-608-94895-0 : EUR 24.95 [#4366]. - Rez.: IFB 15-4 http://ifb.bszbw.de/bsz445587997rez-1.pdf - Quellen und Dokumente zur Geschichte von "Mein Kampf" 1924 - 1945" / Othmar Plöckinger (Hg.). - Stuttgart : Steiner, 2016 [ersch. 2015]. - 695 S. ; 25 cm. - (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte ; 28). ISBN 978-3-515-11164-5 : EUR 99.00 [#4505]. - Rez.: IFB 16-1 http://ifb.bszbw.de/bsz452972299rez-1.pdf - Vorgesehen sind Rzensionen in IFB von Eine Abrechnung : die Wahrheit über Adolf Hitlers „Mein Kampf“ / Matthias Keßler. Berlin ; München ; Wien : Europa Verlag Berlin, 2015. - 319 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 978-3-944305-94-3 : EUR 24.99. - Hitlers "Mein Kampf" : Geschichte eines Buches / Antoine Vitkine. Aus dem Französischen von Sabine Hedinger … - 1. Aufl. Hamburg : Hoffmann und Campe, 2015. - 317 Seiten ; 21 cm. - Einheitssacht.: "Mein Kampf". Histoire d´un livre <dt>. - ISBN 978-3-455-50395-1 : EUR 16.99. Der abschließende Anhang besteht aus einer Danksagung, aus kurzen Hinweisen zur Benutzung, aus überaus informativen, ausführlichen Anmerkungen, aus der umfänglichen Bibliographie und einem nützlichen Register. Snyders Thesen für seine Interpretation des Holocausts mögen überraschend und plakativ sein und noch andere Mängel für die Historikerzunft aufweisen. Auf jeden Fall sind sie eine eingehende Diskussion bzw. Würdigung wert, zeigen sie doch, daß es sich hier um mehr als die Ausgeburt eines kranken Hirns handelt. Für die damalige schwere Wirtschaftskrise macht Hitler einen alleinigen Schuldigen aus, das Weltjudentum, und deshalb suchte er nach keinem vernünftigen Weg zur Überwindung der Krise, sondern sah die Lösung allein in der Vernichtung des „Schuldigen“. Snyder beschreibt daher nicht nur die konkreten Vorgänge in der Vergangenheit,4 sondern versucht daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen, indem er die zugrunde liegenden Mechanismen zunächst rekonstruiert und analysiert. Sein pragmatisch-angelsächsischer Ansatz bleibt nicht bei der Analyse stehen, sondern sucht nach der Nutzanwendung aus den Erkenntnissen. Diesem Aspekt ist vor allem das letzte, das 12. Kapitel Unsere Welt gewidmet. In ihm werden die Gebrechen unserer Zeit auf ihr Potential für einen neuen Holocaust untersucht. Ausgangspunkt für ihn ist die Erkenntnis, daß „Hitlers Vorstellungen von Juden und Slawen keine Vorurteile [waren], die nur extremer als üblich ausgeprägt waren, sondern Ausdruck einer in sich schlüssigen Weltanschauung, die durchaus das Potenzial hatte, die Welt zu verändern“ (S. 343). Ansatzpunkte für solche „schlüssigen“ Weltanschauungen gibt es auch heute, und sie können aus den Folgen des Klimawandels, aus dem Kampf um Ressourcen, aus der Deregulierung der Märkte usw. erneut erwachsen. Deutliche Symptome erkennt er in der Entwicklung in China, in der Krimkrise, im Irakkrieg, im Terror des "Islamischen Staats" und in den Massenmorden in Ruanda. Sicherlich hat Snyder mit der Schlußfolgerung recht: "Wir haben wenig Grund zu der Annahme, dass wir den Europäern der 1930er und 1940er Jahre moralisch überlegen oder weniger anfällig für Ideologien sind, wie Hitler sie so erfolgreich propagierte und umsetzte“ (S. 342). Mit seinen Thesen zeigt Snyder, wie brüchig die Existenz der Menschheit, die menschliche Existenz an sich ist und daß es einen Ausweg nur gibt, wenn die Ratio über den Emotionen, die Wissenschaft über der Politik ste4 Aus der umfangreichen Holocaustliteratur seien hier nur die folgenden die Standardwerke erwähnt: Das Dritte Reich und die Juden : die Jahre der Verfolgung 1933 - 1939 ; die Jahre der Vernichtung 1939 - 1945 / Saul Friedländer. Aus dem Englischen übers. von Martin Pfeiffer. - Gesamtausg. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 2008. - 1317 S. ; 21 cm. - (Dtv ; 34519). - Einheitssacht.: Nazy Germany and the jews <dt.>. - ISBN 978-3-423-34519-4 : EUR 19.90 [#0102] und Die Vernichtung der europäischen Juden / Raul Hilberg. Aus dem Amerikan. von Christian Seeger ... - 11., durchges. und erw. Ausg. ; [3 Bände in Kassette]. Frankfurt am Main : Fischer-Taschenbuch-Verlag 2010. - 1351 S. - 19 cm. - ISBN 978-3-596-24417-1 : EUR 25.95 sowie The Routledge atlas of the Holocaust / Martin Gilbert. - 3. ed. - London ; New York : Routledge, 2002. - 282 S. : überw. Kt. ; 25 cm . - ISBN 0-415-28146-6 : £ 14.99. hen. Daher heißt seine eindringliche Mahnung am Schluß: „Den Holocaust zu verstehen ist unsere Chance, vielleicht unsere letzte, um Menschheit und Menschlichkeit zu bewahren“ (S. 365). Klaus Steinke QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz433811943rez-1.pdf