Ab- und Rückmeldepflicht von Betriebsratsmitgliedern bei Ausübung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz-Bundesarbeitsgericht: Beschluss vom 29. Juni 2011 - 7 ABR 135/09 Leitsatz Ein Betriebsratsmitglied muss sich grundsätzlich bei seinem Arbeitgeber abmelden, bevor es an seinem Arbeitsplatz Betriebsratstätigkeit verrichtet. Das gilt nicht, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls nicht ernsthaft in Betracht kommt, die Arbeitseinteilung vorübergehend umzuorganisieren. Der Arbeitgeber kann dann aber verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum ausgeübten Betriebsratstätigkeit nachträglich mitgeteilt wird. A. Problemstellung Mitglieder des Betriebsrats bleiben Arbeitnehmer des Betriebs und sind auch weiterhin grundsätzlich verpflichtet, in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen. Mit der Übernahme des Betriebsratsamts entstehen jedoch zusätzliche Aufgaben und Amtspflichten. § 37 Abs. 2 BetrVG regelt den Konfliktfall zwischen der Verpflichtung zur Arbeitsleistung und der Erledigung von Betriebsratsaufgaben. Die Vorschrift räumt der Erfüllung der Betriebsratsaufgaben den Vorrang ein (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 37 Rn. 16). Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist die Frage, ob sich ein Betriebsratsmitglied bei seinem Arbeitgeber ab- und zurückmelden muss, wenn es Betriebsratstätigkeit – am Arbeitsplatz – ausüben will. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Arbeitgeberin hatte dem Betriebsrat schriftlich mitgeteilt, seine Mitglieder hätten sich bei der Ausübung von Betriebsratstätigkeit bei ihrem Vorgesetzten ab- und zurückzumelden. Daraufhin leitete der Betriebsrat das vorliegende Beschlussverfahren ein. Er blieb mit seinem Antrag festzustellen, dass seine Mitglieder (generell) nicht verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz an- und abzumelden, in allen drei Instanzen erfolglos. Das BAG hat seine Entscheidung damit begründet, dass nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet seien, sich beim Arbeitgeber abzumelden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen, um Betriebsratsarbeit auszuüben, und zurückzumelden, wenn sie ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit wieder aufnehmen. Sie haben dabei den Ort und die voraussichtliche Dauer der beabsichtigten Betriebsratsarbeit mitzuteilen. Das BAG führt weiter aus, dass die Ab- und Rückmeldepflicht auf Individualrecht beruhe und eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht darstelle. Alle Arbeitnehmer, nicht nur Mitglieder des Betriebsrats, seien zur Ab- und Rückmeldung verpflichtet, wenn während der Arbeitszeit die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht werde. § 37 Abs. 2 BetrVG umschreibe dagegen nur einen besonderen, betriebsverfassungsrechtlich begründeten Anlass für eine Arbeitsbefreiung, ändere aber an der individualrechtlichen Ab- und Rückmeldepflicht nichts. Die Meldepflichten bezweckten eine Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber solle in die Lage versetzt werden, durch organisatorische Maßnahmen gegebenenfalls Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden und Arbeitsausfall zu überbrücken. Das BAG stellt dann fest, dass diese Grundsätze der Meldepflichten auch auf Fallgestaltungen anzuwenden seien, in denen das Betriebsratsmitglied seinen Arbeitsplatz nicht verlasse und gleichwohl Betriebsratstätigkeit wahrnehmen wolle – allerdings mit folgender Einschränkung: Kämen für den Arbeitgeber (abzustellen ist auf die Sicht des Arbeitgebers) organisatorische Maßnahmen, um auf den Arbeitsausfall des Betriebsratsmitglieds zu reagieren, aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht ernsthaft in Betracht (etwa wegen der Art der Arbeitsaufgabe, der wahrzunehmenden Betriebsratstätigkeit oder des Zeitpunkts und des Anlasses der Arbeitsunterbrechung sowie ihrer voraussichtlichen Dauer), könnten die Rücksichtspflichten, das heißt die Meldepflichten entfallen. Der Arbeitgeber könne dann aber verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum verrichteten Betriebsratstätigkeit nachträglich mitgeteilt werde. Dies folge aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers zu erkennen, für welche Zeiten er aufgrund von Betriebsratstätigkeit Entgelt leisten müsse, ohne eine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu erhalten. Beschluss im Volltext hier C. Kontext der Entscheidung Mit der vorliegenden Entscheidung hält das BAG an seinen im Jahre 1995 und 1997 aufgestellten Grundsätzen fest. Ist ein Betriebsratsmitglied nicht generell von der Arbeit freigestellt (§ 38 BetrVG), ist es arbeitsvertraglich verpflichtet, sich beim Arbeitgeber abzumelden, wenn es den Arbeitsplatz zur Ausübung von Betriebsratstätigkeit verlässt; danach muss es sich wieder zurückmelden (BAG, Beschl. v. 13.05.1997 - 1 ABR 2/97 - NZA 1997, 1062). Bei der Abmeldung für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben hat das Betriebsratsmitglied dem Arbeitgeber Ort und voraussichtliche Dauer der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit mitzuteilen. Die Angabe der Dauer der Abwesenheit ist erforderlich, damit der Arbeitgeber gegebenenfalls notwendige Dispositionen treffen kann. Die Angabe des Ortes dient einer eventuell erforderlichen Erreichbarkeit des Betriebsratsmitglieds. Angaben zur Art der Betriebsratstätigkeit kann der Arbeitgeber nicht verlangen. Die Arbeitsbefreiung setzt keine Zustimmung des Arbeitgebers voraus (BAG, Urt. v. 15.03.1995 - 7 AZR 643/94 - NZA 1995, 961). Es ist nur sachgerecht und folgerichtig, diese Grundsätze auch auf die Fallgestaltung anzuwenden, in der das Betriebsratsmitglied an seinem Arbeitsplatz verbleibt und dort Betriebsratstätigkeit ausübt. Denn es liegt auch hier eine inhaltliche Abkehr des Betriebsratsmitglieds von seiner arbeitsvertraglich zu erbringenden Tätigkeit vor, so dass es auch hier interessengerecht ist, dem Arbeitgeber, der schließlich für die Organisation des Betriebes und Betriebsablaufs verantwortlich ist, die Gelegenheit einzuräumen, Überbrückungsmaßnahmen zu treffen. D. Auswirkungen für die Praxis Durch die Bestätigung der vom BAG in seinen Entscheidungen aus den Jahren 1995 und 1997 aufgestellten Grundsätze wird die Rechtslage zunächst einmal stabilisiert. Dies dürfte die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Betriebsparteien (§ 2 BetrVG) fördern. Die Einschränkung des BAG, dass die Meldepflichten entfallen können, wenn eine vorübergehende Umorganisation der Arbeitseinteilung durch den Arbeitgeber nicht ernsthaft in Betracht kommt, ist zwar einerseits nachvollziehbar, andererseits stellt sich aber sofort die Frage, ob das „nicht ernsthaft in Betracht kommen“ immer so klar bestimmbar ist. Der Praxis ist jedenfalls zu wünschen, dass durch diese Ausnahmeregelung nicht erst neuer zukünftiger Streitstoff provoziert wird – auf einem Rechtsgebiet, das (sieht man einmal vom vorliegenden Fall ab) in der Vergangenheit, vielleicht auch nicht zuletzt aufgrund der vom BAG aufgestellten klaren Grundsätze, eher unauffällig gehandhabt worden ist.