Meine sehr verehrten Damen und Herren,

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Prof. Dr. Horst Bossong
Universität Duisburg-Essen
Was wirkt – und warum drogenpolitische Ideologien meistens scheitern?
Vortrag anlässlich der Feier des 20-jährigen Bestehens des Drogennotdienstes Berlin
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wer, wie Sie, in der Drogenhilfe heute sein 20-jähriges Bestehen feiert, der kann mit Recht sagen, er
habe die Drogenhilfe – und damit implizit ja auch die Drogenpolitik in Deutschland maßgeblich mit
geprägt und gestaltet. Hierzu kann man und hierzu möchte ich Sie herzlich beglückwünschen!
Tatsächlich ist die Drogenhilfe in Deutschland, wie wir alle wissen, im Wesentlichen ein Kind der
1970er Jahre; mithin eines Jahrzehnts, das bekanntermaßen in einer nie da gewesenen Weise geprägt war von Aufbruchstimmung und Reformeifer – nicht nur die deutsche Außen- und vor allem
Ostpolitik der damaligen sozialliberalen Regierung, sondern im Inneren gerade auch die Jugend-,
Bildungs- und Hochschulreform, die expansive Professionalisierung Sozialer Arbeit und die Psychiatriereform sind exponierte Beispiele für das, was Willy Brandt seinerzeit mit der Formel „Mehr Demokratie wagen!“ in Gang gesetzt hatte. Intendiert war nach der langen Adenauer-Ära eine tief greifende gesellschaftliche Wende. Das Leitbild, so kann man es in der Rückschau sehen, war das des
emanzipierten, mündigen Bürgers, für den die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Fortschritt
und die Chancengleichheit ganz oben auf der Agenda standen.
Die sich in den 70er Jahren entwickelnde Drogenhilfe war Teil dieses gesellschaftlichen Reformund Aufbruchprozesses. Und vielleicht ist, wie mir dies Michael Hoffmann-Beyer nahe gelegt hat, ein
Tag wie dieser besonders gut geeignet, eine Art Rückschau und Ausschau zu halten zu der Frage:
was war, wo steht und wohin geht die deutsche Drogenhilfe.
Herr Hoffmann-Bayer hat eben schon deutlich gemacht, dass die deutsche Drogenpolitik und Drogenhilfe nicht mit Ihrer Vereinsgründung begonnen hat. Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der
deutschen Drogenhilfe lag 15 Jahre vor Ihrer Vereinsgründung und begann mit der Feststellung drogenpolitisch engagierter Menschen in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Bremen und Frankfurt,
dass die klassische Psychiatrie mit ihren Methoden des Wegschließens und des Verwahrens dem
Problem, und das hieß ja vor allem: dem überwiegend jungen, oft aus Mittel- und Oberschichtfamilien kommenden Klientel nicht gerecht werden könne. Die Botschaft etwa der Hamburger ReleaseLeute lautete 1971: „Helft euch selbst!“. Gemeint war: Lasst uns selbst die Sache in die Hand nehmen, Wohngemeinschaften gründen, in denen Drogenhelfer und Abhängige gemeinsam neue Lebensentwürfe experimentell entwickeln; lasst uns niedrigschwellige Anlaufstellen, so genannte Teestuben, mitten in den Szenen schaffen, die – und das war der entscheidende Unterschied zur späteren akzeptierenden Drogenarbeit – den Abhängigen eine alternative Lebensperspektive zu Sucht
und Flucht anbieten. Was bei all dem unverkennbar durchschimmerte war – ganz der damaligen,
durch Studentenunruhen geprägten Zeit entsprechend – die Idee einer radikalen Gesellschaftsver-
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änderung, deren Motoren nicht zuletzt diejenigen sein sollten, die sich – und sei es mittels Drogen –
aus dem Normen- und Wertekorsett der etablierten Gesellschaft verabschiedet hatten.
All dies war, das ist wohl aus heutiger Sicht unverkennbar, einigermaßen chaotisch und euphemistisch – vor allem aber änderte sich im Verlauf der Zeit das Klientel. Klassenkampf und Revolution
waren wahrlich nicht die Themen, die die nach dem nächsten Schuss gierenden Junkies interessierten. Das Projekt Release scheiterte im Grunde schon bevor es richtig in Gang gekommen war: In
den Wohngemeinschaften herrschten oft chaotische, von Drogenkonsum, Abzockerei und grandios
unprofessionellen Verbrüderungen zwischen Helfern und Abhängigen geprägte Missstände. Die
Teestuben und Beratungsstellen wurden von den Junkies benutzt zur kostenlosen, aber auch in jeder Hinsicht folgenlosen Befriedigung materieller und sozialer Grundbedürfnisse sowie zur Anbahnung oder aus Ausführung von Drogengeschäften, zum Verkauf von Hehlerware und zur Vorbereitung von Drogendelikten und anderen Straftaten. Nicht selten wurde derlei großzügig gedeckt vom
Personal, das – ganz nebenbei – häufig genug auch den Drogenkonsum selbst in der Einrichtung
tolerierte oder – nach dem Motto: Wir sind doch alle gegen den Staat und seine Repression – gelegentlich sogar aktiv förderte.
Mitte der 70er Jahre hatten schließlich Bund und Länder, die das Ganze ja immerhin finanzierten,
die Nase voll und forderten Ordnung und Professionalität in den Einrichtungen.
Als Synonym für diese erste Wende in der deutschen Drogenhilfe standen die Begriffe „Mindeststandards“ und „EBIS- Dokumentation“. Nicht wenige Trägervereine, die zwischenzeitlich völlig in
die Sphäre der Gesellschaftsverweigerung und revolutionären Traumtänzerei abgedriftet waren, verweigerten sich und mussten aufgeben – sie wurden schlicht nicht mehr finanziert.
Damit waren die euphorischen Träume einer über den Drogensektor forcierten Gesellschaftsveränderung ausgeträumt. Und dennoch, aufs Ganze gesehen war es immerhin das Verdienst dieser frühen, wenn auch – wie gesagt – chaotischen Drogenhilfe, das Thema Drogensucht ins öffentliche
Bewusstsein getragen und die Drogenberatung und -therapie aus dem engen Korsett des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der klassischen Psychiatrie heraus gebrochen zu haben – Drogenhilfe war fortan nur noch als interdisziplinäres Arbeitsfeld mit einer starken sozialtherapeutischen
Orientierung vorstellbar.
Gegen Mitte der 70er Jahre entstanden neue Vereine und versuchten mit mehr Professionalität und
einer wenigstens im Ansatz erkennbaren suchttherapeutischen Zielsetzung in die Bresche zu springen. Damit begann zugleich die zweite Etappe auf dem Weg zur heutigen Drogenarbeit.
Mit dieser ersten Wende entstand sozusagen eine völlig neue Sicht der Dinge: An die Stelle der
Teestuben- und Wohngemeinschaftsmentalität mit ihrer oft mehr oder weniger laut postulierten antiautoritären bis linksrevolutionären Ideologie trat das Konzept des Leidensdrucks mit den aus den
USA entlehnten „hardcore“ Therapien, für die, so denn der Leidensdruck sich nicht allein durch soziale Depravation herstellte, notfalls justizieller Druck und gesundheitliche Verelendung erhöht werden müsse. Die Losung vieler Einrichtungen lautete fortan: Wer unsere Hilfe will, der muss zuvor
erstmal hinreichend motiviert sein. Gemeint und vielfach praktiziert freilich wurde die radikale Ideologisierung eben dieser Losung: Wer Hilfe will, muss sich unterwerfen, er muss sich an die – oft rigiden – Hausregeln anpassen und im Grunde bereits beim erstmaligen Eintritt in die Beratungsstelle
sich zu absoluter Drogenfreiheit verpflichten und auch bekennen; wer von uns was will, der muss
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sein bisheriges Leben komplett negieren und gleichsam als ersten äußeren Beleg hierfür sein Outfit
radikal verändern, seine Haare abschneiden, die Szenenkleidung durch den Blaumann ersetzen, allen Schmuck ablegen, die bisher gehörte Musik verbannen und ein durch und durch neues Leben
erlernen.
In nicht wenigen Beratungsstellen galt – um ein Beispiel zu nennen –, wer auch nur fünf Minuten zu
spät zum anberaumten Beratungsgespräch kam, wurde unverrichteter Dinge wieder zurück geschickt, wer von seinen Kettchen und Ringen nicht lassen wollte, galt als noch nicht ausreichend
motiviert; wer gar den Eindruck machte, Stunden zuvor sich einen Schuss gesetzt zu haben, wurde
rüde angegangen und sozusagen fertig gemacht. Die Botschaft sollte klar und absolut unmissverständlich sein: „Erst wenn Du am Ende und sozusagen zu allem, was wir Dir sagen bereit bist, hast
Du eine Chance und kannst auf Hilfe hoffen!“.
Kein Wunder, dass nicht gerade viele Abhängige den Weg in die Einrichtungen fanden und kein
Wunder auch, dass viele nach kurzer Zeit die harten Therapien wieder abbrachen. Die Angebote
der Drogenhilfe empfanden viele Junkies seinerzeit eher als harte Strafe denn als Hilfe. Mehr und
mehr entstand unter dem Druck von Strafjustiz und sozialer Ächtung eine Art „Verschiebebahnhof“
zwischen Szene, Knast und strafjustiziell flankierter Drogenhilfe.
Die mehr oder minder apodiktische Vorstellung einer drogenfreien Gesellschaft, die für manch einen
geradezu zur fixen Idee geworden war, erwies sich angesichts der realen Problementwicklung zusehends als realitätsfern und illusionär; ja sie behinderte den Fortschritt, nämlich die Entwicklung neuer Antworten auf neue Probleme. Und doch: speziell in dieser Phase der Drogenhilfe wurden wichtige Bausteine unseres heutigen Hilfesystems geschaffen, insbesondere die sog. Behandlungsketten,
also auf einander aufbauende komplexe Systeme der Hilfe. Gleichzeitig wurden erstmalig systematische Therapien – wenn auch sehr strenge Abstinenz orientierte Therapien entwickelt, die mit Professionalität ans Werk gingen. Weit hinter den Erwartungen zurück blieben indes die Erreichbarkeitsquoten, also die Akzeptanz beim Klientel.
Es war wohl vor allem diese nahezu ausschließlich auf Abstinenz und Leidensdruck fixierte Praxis
der Drogenhilfe, die dann ab Mitte der 80er Jahre keine adäquate Antwort fand auf die nun zusehends um sich greifende Aids-Gefahr; denn gewiss – und das ist wirklich banal: wer mit dem Fixen
aufhört, steckt sich nicht (mehr) mit schmutzigen Nadeln an, aber wer eben nicht aufhört – und das
war das Gros der Junkies, der läuft bekanntlich nicht nur Gefahr, sich selbst zu infizieren, sondern,
was gesundheitspolitisch weit problematischer erschien, auch andere anzustecken – nämlich speziell auf dem Weg der Beschaffungsprostitution. Nach meiner Einschätzung war es vor allem dies,
was in der Drogenhilfe eine neue Richtung und Bewegung hervorbrachte, nämlich die so genannte
akzeptierende Drogenarbeit.
Sie entstand in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zweifellos als Reflex auf die vielfach autoritäre
Überheblichkeit der hergebrachten Drogenhilfe, die es eben nicht vermocht hatte, die Klientel in größerem Umfang und mit Erfolg zu erreichen, an sich zu binden und aus dem Drogenelend herauszuholen. Anzeichen dafür waren die stetig steigenden Drogentodesraten – sie hatten sich zwischen
1981 und 1990 vervierfacht und stiegen weiter an; die ausufernde so genannte indirekte Beschaffungskriminalität, also Ladendiebstähle, Wohnungseinbrüche, KFZ- Aufbrüche usw.; der nicht zu-
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letzt damit einher gehende Anstieg drogenabhängiger Haftinsassen – Walter Kindermann hatte mit
Recht seinerzeit darauf hingewiesen, dass Drogenabhängige i.d.R. mehr Zeit im Knast als in Therapie verbringen; schließlich die ansteigenden HIV-Infektionsraten unter den Junkies, die bereits bis
Ende der 80er Jahre ein Niveau von immerhin um die 15% erreicht hatten.
Insofern fiel der Gedanke einer drogenpolitischen Wende oder wie es damals hieß: einer „neuen
Drogenpolitik“ auf fruchtbaren Boden. Er hat in den 90er Jahren die Drogenhilfe in Deutschland und
einigen weiteren europäischen Ländern in einem enormen Maße verändert; die Aus- und Nachwirkungen sind bis heute sichtbar. Insofern lohnt es sich in der Tat, die Essentials dessen, was akzeptierende Drogenarbeit ausmacht, etwas genauer anzusehen.
Die ersten Ansätze waren eine Mischung aus rückwärts gewandeten alt 68er- Ideologien, humanistischen Bürgerrechts- und liberalen Marktwirtschaftspostulaten sowie schließlich recht pragmatischen
Überlegungen zu der Frage: wie können wir – nicht zuletzt im Interesse der vom Drogenelend belästigten und belasteten Allgemeinheit die Junkies aus dem Sumpf der kriminellen innerstädtischen
Drogenszene herausholen.
Für die einen ging es um das „Recht auf Rausch“ und um „Freiheit statt Therapie“, für andere um
„Medizinisierung statt Kriminalisierung“, für wiederum andere darum, dem illegalen Drogenmarkt
„das Kreuz zu brechen“, will heißen: ihm die Nachfrager zu entziehen.
Es waren einige – ohne Frage für die Allgemeinbevölkerung sehr gut nachvollziehbare, sozusagen
leicht eingängige und überzeugende, weil im Grunde banale – Botschaften, die der akzeptierenden
Drogenarbeit in weiten Teilen der Bevölkerung (und auch bei den Medien) Gehör verschafften:
Die erste Botschaft lautete: Wir müssen die Abhängigen besser, früher und insgesamt mehr von ihnen erreichen! Wie können wir das tun? Indem wir – so die zweite Botschaft – erheblich mehr Einrichtungen schaffen und bereitstellen. Die dritte Botschaft hieß: Damit wir die Abhängigen besser erreichen, müssen wir unsere Angebote niedrigschwellig, d.h. szenen- und lebensweltnah ausgestalten, also die Abhängigen so annehmen, wie sie sind, nämlich als süchtige Menschen, für die die
Gier nach dem nächsten Schuss nichts ungewöhnliches ist und dem entsprechend auch kein Ausschlussgrund für unser Hilfen sein darf, sondern die gerade in ihrer Sucht Begleitung und Unterstützung brauchen. Die vierte Botschaft lautete: Was wir als erstes brauchen, sind Überlebenshilfen für
die Abhängigen, denn nur wer noch lebt, kann sein Leben verändern! – All das sind, ich sagte es
schon, im Grunde Banalitäten, Selbstverständlichkeiten, die jedem zunächst einmal unmittelbar einleuchten. Und doch, wir werden es später sehen, wären schon hier die ersten Fragezeichen angebracht.
Einleuchtend war – etwa ab 1990 kam diese Diskussion auf – auch die Überlegung, dass am Drogenelend vor allem eine Gruppe profitiert: die Dealer, und dass sie es mit einer geradezu einzigartigen Kundschaft zu tun haben, nämlich mit absolut zuverlässigen, ja hörigen weil süchtigen Nachfragern; egal wie schlecht der Stoff ist, egal wie teuer er ist, die Süchtigen kaufen ihn. Die Schlussfolgerung, die etwa der seinerzeitigen Erste Bürgermeister Hamburgs, Henning Voscherau, daraus
zog war ökonomisch betrachtet, plausibel – er erfuhr sogar rege Zustimmung von Wirtschaftswissenschaftlern aus dem In- und Ausland –; sie lautete: Wir müssen die Abhängigen, soweit sie zur
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Abstinenz nicht bereit sind, über eine staatlich kontrollierte medizinische Drogeabgabe aus dem illegalen Markt herausbrechen.
Entscheidend für die, wie ich meine, zunehmenden Fehlentwicklungen in der Drogenhilfe der 90er
Jahren waren nicht diese Thesen, Botschaften und Reformansätze; entscheidend hierfür waren die
ideologischen Überhöhungen und Radikalisierungen dieser anfangs zumindest im politischen Raum
teils recht pragmatischen Überlegungen. Drei Beispiele:
Methadon: Wie Sie wissen, war die Einführung von Methadonprogrammen in Deutschland Ende der
80er Jahre ausgesprochen schwierig und hoch kontrovers. Die Befürworter, zu denen auch ich gehörte, argumentierten mit den Erfahrungen aus dem Ausland – etwa den USA, Großbritannien, Niederlande, Schweiz usw.; im Unterschied zum klassischen Vorgehen, bei dem am Anfang die Therapie zur Abstinenz und sodann die soziale Rehabilitation stand, plädierten sie für das gleichsam Umdrehen dieses Vorgehens, also für eine zunächst methadongestützte soziale Reintegration, an die
sich dann zu einem späteren Zeitpunkt das Absetzen des Methadon anschließen sollte. Klar war für
die meisten damaligen Befürworter, dass Methadon ein Medikament und die Behandlung mit Methadon eine ärztliche Therapie, eben eine medikamentengestützte Therapie sei. Manche der radikalen
Akzeptanzapologeten hingegen sahen in Methadon ein Präparat, das prioritär den Beschaffungsstress mindern und die unkontrollierten illegalen durch eine pharmakologisch kontrollierte legale
Substanz schlicht ersetzen sollte. Für sie war also die Methadonbehandlung keine ärztliche Therapie im eigentlichen Sinne sondern schlicht Ersatz des einen (nämlich illegalen) durch ein anderes,
nämlich legales und zudem kostenlosen Mittel. Dem entsprechend lautete ihre Parole: „Methadon
für alle, die es wollen!“. Und weitergehend forderten sie den Verzicht auf Kontrollen und Verhaltensauflagen. Zum Teil ging und geht das soweit, dass etwa das Thema Beikonsum nahezu komplett
ausgeblendet und in unglaublicher Weise bagatellisiert wurde bzw. immer noch wird. Anders gesagt,
ob jemand neben dem Methadon weiterhin illegale Drogen nimmt – Kokain, Heroin, was auch immer – solle keine Rolle spielen; ja es sei sozusagen etwas völlig normales. Wie dies mit ärztlicher
Sorgfaltspflicht zusammenpasst, ist mir rätselhaft. Soweit ich höre, gehen manche inzwischen sogar
so weit, dass sie den Methadonpatienten spezielle Spritzen zur Verfügung stellen, damit die Junkies
das Methadon intravenös injizieren können. Derlei hat mit ärztlicher Behandlung nichts, aber auch
gar nichts mehr zu tun. Ja, man muss sagen, dass hier jedweder ernst zu nehmende Hilfeansatz zunichte gemacht ist und gleichzeitig gegen betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen regelmäßig
verstoßen wird.
Zweites Beispiel Konsumräume: Den Impuls für die Idee, Konsumräume zu schaffen, boten Anfang
der 90er Jahre in Hamburg zwei unerfreuliche Entwicklungen, zum einen die stetig steigenden Drogentodesraten, zum anderen das Faktum, dass immer öfter Junkies coram publico, also in aller Öffentlichkeit etwa am Hauptbahnhof, auf Spielplätzen, in öffentlichen Grünanlagen und in öffentlichen
Toiletten ihr Heroin konsumierten, was für die Allgemeinbevölkerung bzw. mit Blick auf die öffentlichen Toiletten für das dortige Reinigungspersonal mehr als belästigend, nämlich zum Teil sogar regelrecht infektionsriskant war. Mit Blick auf die Drogentodesfälle war bekannt, dass diese häufig dadurch zustande kamen, dass die Junkies bei Überdosierungen nicht schnell genug aufgefunden
wurden und in notärztliche Behandlung gelangten. Die Konsumräume sollten dem entsprechend
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zwei Zielen dienen: der Reduzierung des öffentlichen Drogengebrauchs und der Reduzierung von
Drogentodesfällen durch sachgerechte Versorgung von Überdosierungen am Ort des Geschehens.
Auch hier lag dem Konzept eine im Kern durchaus akzeptierende Haltung zugrunde, nämlich die
Überzeugung, wenn es schon nicht gelingt, den einzelnen Abhängigen in die Therapie und damit
weg vom Konsum zu bringen, dann sollten jedenfalls die Begleitumstände so gestaltet werden, dass
Schaden für ihn (also gesundheitlicher Schaden) und Schaden für die Allgemeinheit (Belästigung
und Infektionsgefahren) soweit wie möglich begrenzt werden.
In der ideologischen Radikalisierung, die nach und nach Platz griff, sah das freilich anders aus: Hier
wurden Konsumräume zum Synonym für eine postulierte Legalisierung, die, solange diese rechtlich
nicht vollzogen sei, durch ein System sog. Hausdealer ersetzt werden müsse; die Nutzer dieser
Räume wurden als „Gäste“ – analog etwa zu Kneipenbesuchern – angesehen. Folglich ging es hier
nicht mehr um eine sozialarbeiterische Zielsetzung, sondern nur noch um das gemütliche und gesellige Ausgestalten des Konsumakts. Dies wiederum rief den Widerstand derer hervor, die für die
Gesetzgebung vorbereitend zuständig sind, sodass wir am Ende diese hinlänglich bekannte gesetzgeberische Monstrum haben, nämlich den § 10a des BtMG, der die ursprünglich als einfache Räume gedachten Einrichtungen zu kostspieligen und thematisch überfrachteten Einrichtungen umfunktionierte – zu Einrichtungen letztlich, die angesichts der hohen Kosten tatsächlich heute mancherorts
(Stichwort: Öffnungszeiten) eher nur symbolisch existent und jedenfalls nicht sehr wirksam sind.
Drittes Beispiel Überlebenshilfe: Dass sein Leben nur ändern kann, wer noch lebt, ist – ich sagte es
vorhin schon – banal und natürlich zutreffend. Also wird man zunächst in der Tat darauf aus sein,
dass der einzelne Junkie überlebt. Dies ist mit Recht sozusagen das erste, basale Ziel – allerdings
in einem sehr komplexen Zielkanon der Drogenhilfe. Tatsächlich ist nicht zu bestreiten sondern klar
anzuerkennen, dass die akzeptierende Drogenhilfe es in den 90er Jahren vermocht hatte, die Erreichungsquoten der Junkies deutlich in die Höhe zu treiben, und zwar so weit, dass wir im Allgemeinen heute stolz darauf sind, sagen zu können, dass – etwa in Großstädten wie Berlin, Hamburg,
Frankfurt usw. – um die 75% der Drogenabhängigen vom Hilfesystem erreicht werden. Das ist weit
mehr, als man je zuvor erwartet hatte. Dass, was sie freilich vielerorts zu wenig leistet, ist der gezielte Übergang in strukturierte und systematische Behandlungen. Stattdessen hält sie die Leute zu lange im Status quo der Sucht und der Szenen.
Und tatsächlich hat man heute manchmal den Eindruck, als sei der Begriff der Überlebenshilfe zwischenzeitlich zu einer Art Fetisch geworden. Er scheint bisweilen geradezu das non plus ultra aller
helfenden Bemühungen und sozusagen das einzige Ziel überhaupt zu sein. Dieser Überhöhung verdankt die Drogenhilfe tatsächlich einen erheblichen Teil ihrer Einrichtungen, nämlich all die niedrigschwelligen Angebote. Und – fast könnte man sagen: folgerichtig – wird die Messgröße „Erreichbarkeit/ erreichte Klienten“ zum alles beherrschenden Gütezeichen. Und doch sind dringend zwei kritische Fragen zu stellen:
1.) Kann sich eine professionelle Drogenhilfe damit zufrieden geben, dass die Junkies schlicht überleben, will sagen: dass sie dauerhaft in ihrem Suchtelend weiterleben? Muss sie nicht alles tun, um
den, den sie mit Überlebenshilfeangeboten erreicht hat, so schnell und so wirksam wie möglich aus
dem Sumpf der Szene und der Sucht herauszuholen? Was ist von einer Drogenhilfe zu halten, die
ihre Klienten über Jahre in ihren niedrigschwelligen Einrichtungen hält, ohne dass sich nennenswertes an der sozialen, gesundheitlichen, drogenbezogenen Lebensweise ändert? Was sagt es über
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die Drogenhilfe aus, wenn Jahr um Jahr die immer gleichen Klienten als Dauerkunden in den Einrichtungen präsent sind und in den Statistiken unter der ja doch eher schwammigen Kategorie
„Suchtbegleitung“ erfasst werden? Überleben ist ohne Frage ein höchster Wert, aber im sozialarbeiterischen Tun ist er der Anfangspunkt und nicht der Endpunkt des Bemühens. Dies gilt gleichermaßen für die nicht minder zum Fetisch gewordene Kategorie „Erreichbarkeit/ erreichte Klienten“; auch
sie sagt erst mal nur aus, dass Leute kommen, aber nichts, absolut nichts darüber, dass das, was
dann in den Einrichtungen geschieht auch wirklich sinnvoll und wirksam ist Mir scheint, dass die
Kernaufgabe der Sozialarbeit, nämlich das „den Klienten aus dem Elend herausführen“, dass „ihm
produktive Wege aus der Sucht aufzeigen“ bisweilen aus den Augen verloren wird und dass dies die
Drogenhilfe auf Dauer unterminiert.
2.) In der gängigen Lesart der akzeptierenden Drogenarbeit gelten soziale und gesundheitsbezogene Grundversorgung sowie niedrigwellige Angebote als zentrale Momente des Hilfesystems. Was
aber bezwecken und vor allem: was erreichen wir damit? Spätestens seit Martin Heideggers „Sein
und Zeit“ aus den 20er Jahren sollten wir den Unterscheid zwischen einer bemündigenden und einer
entmündigenden Fürsorge kennen. Die bemündigende Fürsorge befähigt den Hilfesuchenden zu eigenständiger – wie Heidegger sagt – eigentätiger Erledigung seiner Angelegenheiten; sie kennzeichnet das, was wir heute mit dem Begriff des Empowerment belegen; macht ihn fähig und mündig, seine Sachen selbst zu regeln und so unabhängig zu werden von fürsorgerischer Bevormundung. Sie nimmt ihm nichts ab sondern belässt ihm seine Aufgaben, lässt ihn selbst tätig werden –
eine Perspektive, die sich mit Recht ganz essentiell mit dem Begriff des Akzeptierens verbinden
kann, weil nur sie den Klienten tatsächlich als ein handlungsfähiges Subjekt seiner eigenen Angelegenheiten, seines eigenen Schicksals setzt und ernst nimmt. Soweit ich sehe, ist die Praxis der heutigen akzeptierenden Drogenarbeit hiervon Lichtjahre entfernt. Sie entspricht oft viel eher dem, was
Heidegger als entmündigende Fürsorge beschreibt. Diese, so sagt er, setze sich an die Stelle des
Hilfesuchenden, nehme ihm alles oder nahezu alles ab; wörtlich: „sie besorgt für ihn das, was es zu
besorgen gilt“, nimmt ihm damit die Sorgen, aber eben auch vielfältigste Fähigkeiten, Eigenkompetenzen ab. Die Folge ist ein fortschreitender Prozess der Unmündigkeit, der Lethargie, des „sich versorgen Lassens“, des Verlustes an Eigenkompetenz und damit der Zunahme an Abhängigkeit vom
Helfer und des hinter ihm stehenden Hilfesystems. Insofern ist – und damit komme ich auf einen
Aspekt zurück, den ich eingangs kurz angesprochen hatte – mit einem beständigen Mehr an Einrichtungen und Angeboten alles andere als verdeutlicht, dass wir damit auch besser werden; vielleicht, so ist zu fragen, entmündigen wir nur immer mehr; nehmen dem Junkie immer mehr Eigenverantwortung ab, setzen uns immer mehr an seine Stelle, statt ihn „auf den Pot zu setzen“ und fähig zu machen, für sich selbst sorgen zu können. Aus meiner Sicht ist dies die besondere Ironie der
Drogenhilfe der 90er Jahre: Indem sie ihr Ziel, immer mehr und immer differenzierte und spezialisierte Angebote vorzuhalten, durch Bereitstellung der entsprechenden Finanzressourcen erreichte –
eine Entwicklung, an der Bund, Länder, Kommunen und Freie Träger gleichermaßen mitwirkten, hat
sie womöglich die Fähigkeit der Klientel, für sich selbst Verantwortung zu tragen und sich selbst zu
kümmern, immer mehr unterlaufen und ausgehöhlt. Es wird Zeit, sich, wenn schon nicht der Heidegger’schen Terminologie so doch schlicht auf den Grundsatz der Subsidiarität wieder zu besinnen:
Hilfe darf nie etwas anderes als Hilfe zur Selbsthilfe sein; sie darf nicht entmündigen und auch nicht
Eigenverantwortung entziehen.
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Vielleicht, meine Damen und Herren, ist dies sozusagen die Überschrift, das Leitmotiv und die Prämisse zu dem abschließend zu skizzierenden Themenfeld: „Was wirkt?“ – Wie können wir die Balance herstellen zwischen niedrigwelligem Zugang und konsequent – will heißen: durchaus auch
streng strukturiertem Verlauf unserer Hilfen, bei dem dem Klienten nichts abgenommen, er andererseits aber auch nicht überfordert wird?
Die Geschichte der Drogenhilfe zeigt uns, dass Ideologien hier nicht wirklich weiterhelfen. Sie sind
letztlich nichts anderes als Heilsversprechungen, die eine zwar schöne, aber doch stets nur sehr
vage bleibende und idealisierende, also unrealistische Zukunftsperspektive verheißen – die drogenfreie Gesellschaft auf der einen Seite und einen genussvollen, selbst bestimmten und befreiten Drogegebrauch auf der anderen Seite. Was sie alle nicht leisten, ist uns konkret zu sagen, was im Einzelfall hier und jetzt handwerklich zu tun ist, um aus dem realen Drogenelend heraus und zum Erfolg
zu kommen. Genau darauf aber kommt es an. Das heißt, es geht darum, mit den heute zahlreichen
erprobten Methoden und Hilfeansätzen qualitativ hochwertige Ergebnisse zuwege zu bringen.
Als vor ziemlich genau 30 Jahren der amerikanische Soziologe Robert Martinson die Fachwelt mit
einem Befund zur Strafvollzugsreform in den USA schockte, indem er auf die Frage, welche Methoden und Arrangements denn am besten wirkten, kurz und bündig feststellte: „Nothing works!“ –
nichts wirkt, da war die Aufregung in den betroffenen Professionen groß; sie kulminierte in der letztlich recht „nebulösen Gegenantwort“: „Everything works – but nobody knows how and why!“ – alles
wirkt irgendwie, aber wir wissen nicht, was es ist und warum es wirkt.
Schauen wir uns unseren Drogenbereich an, dann, so scheint mir, müssten wir fast zu gleichen Ergebnissen kommen: Irgendwie wirkt alles, aber wir wissen eigentlich nicht wirklich, was es genau ist
und warum es wirkt. Diese Antwort geben wir, wenn wir ehrlich sind, bis heute. Gewiss, wir können
Erfolgsquoten angeben zu den unterschiedlichsten Therapieformen. Wir können sagen, dass grosso modo bei etwa einem Drittel der Klienten die durchgeführten Therapien erfolgreich sind und dass
sie bei einem zweiten Drittel erfolglos sind. Bei dem dritten Drittel stellt sich die Situation im Allgemeinen zweifelhaft und fragil dar – man weiß noch nicht, wo es hingeht.
Doch können wir eigentlich einigermaßen verlässlich prognostizieren, welche Therapieform und
-methode für welchen Einzelfall die jeweils Erfolg versprechende ist? Können wir eigentlich ad personam halbwegs präzise die protektiven und umgekehrt die destruktiven Faktoren für den Suchtverlauf benennen und im Einzelfall richtig bearbeiten? Wenn ja, tun wir es dann auch wirklich mit der
jeweils gebotenen Konsequenz, oder lassen wir nicht doch manchmal die Dinge einfach so laufen?
Was ist mit all jenen – ich sprach vorhin schon darüber, die sich über Jahre in unseren niedrigschwelligen Kontakt- und Anlaufstellen als Dauerkunden aufhalten – stellen wir da überhaupt noch
Fragen? Bohren wir nach oder haben wir nicht manchmal schon längst resigniert, uns abgefunden
mit den immer gleichen Sprüchen und Leidensgeschichten?
Ich will gewiss niemandem das Engagement und seine Bemühung absprechen, aber macht es nicht
doch manchmal den Eindruck, als fiele uns auch nichts rechtes mehr ein?
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Und doch: Die Frage, „was wirkt?“, steht heute mehr denn je auf der Agenda – und zwar gleichermaßen auf der fachdisziplinären wie auf der politischen Agenda. Fachdisziplinär drängt diese Frage
vor allem aus zwei Gründen auf eine befriedigende Antwort: Zum einen geht es um das Thema
Qualitätssicherung – hier ist in den letzten Jahren viel getan worden, aber wir müssen, wie ich glaube, sehr aufpassen, dass es sich nicht in Formalismen erschöpft oder umgekehrt und ähnlich wie
bei den zuvor skizzierten Konzepten nicht zu einem Fetisch hochstilisiert und damit wiederum zu einer Ideologie verfremdet wird. Die frühe Drogenarbeit war an ihren Revolutionsträumereinen gescheitert, die zweite Etappe an der allzu starren Abstinenzfixierung und die akzeptierende Drogenarbeit an ihrer streckenweise unglaublichen Naivität und Ignoranz gegenüber der Dynamik des Suchtgeschehens – wir sollten heute aufpassen, dass nicht die so genannten Neuen Steuerungsmodelle
an formalistischem Überperfektionismus scheitern. Das heißt, wir müssen darauf achten, dass wir
unsere Reformbestrebungen nicht zum Selbstzweck werden lassen, sondern dass wir stets und vor
allem die hinter den Dokumentationen, Kosten-Leistungs-Rechnungen, Abstimmungen und Koordinierungen, Fachkonferenzen und was immer noch dazu gehört liegenden Fragen beantworten können: Wie hängen die Dinge zusammen, wie passen unsere Maßnahmen und Angebote bezogen auf
jeden Einzelfall zusammen, wo gibt es sinnloses oder gar schädliches Nebeneinanderher, wo gibt
es Überregulierungen, Überspezialisierungen und unangemessene Lehrbuch-Qualität. Kurz: wie
können wir vermeiden, dass im Drogensektor Platz greift, was man im Gesundheitsbereich heute
mit dem Begriff der Fehl- und Überversorgung belegt. Dazu hatte bekanntlich der Sachverständigenrat zur Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen seinerzeit vermerkt, dass beides gleichermaßen für die Patienten wie für die Gesellschaft schädlich und folglich absolut inakzeptabel sei.
Der zweite Grund für die Relevanz der Frage der Wirksamkeit hängt mit den Begriffen Wettbewerb
und Gewährleistungspflicht zusammen – oder auch anders gesagt: Tauglichkeit und Verlässlichkeit.
Die Frage lautet: Wie können wir unsere Angebote konzeptionell und in der alltäglichen Praxis so
ausgestalten, dass sie für die Klientel – und damit meine ich in diesem Falle sowohl die Hilfe suchenden Abhängigen, als auch die unsere Einrichtungen finanzierenden öffentlichen Hände und die
dahinter stehenden Steuer- und Beitragszahler – attraktiv sind. Im Unterschied zu früher verfügen
wir ja doch heute über ein sehr differenziertes Hilfesystem mit zahlreichen Einrichtungen und einem
reichhaltigen Köcher unterschiedlichster Methoden, mit denen wir als einzelne Einrichtung, als einzelner Träger letztlich immer auch um die Klienten konkurrieren. Dabei ist es keineswegs mehr
selbstverständlich, dass wir von der öffentlichen Hand finanziert werden und dass unsere Klienten
kommen – und vor allem, dass sie bleiben und einen echten Gewinn aus unseren Angeboten ziehen. Das heißt: wir stehen im Wettbewerb und müssen uns hier bewähren und beweisen. Ein vages
Irgendwie und Irgendwas reicht dabei nicht mehr aus. Wir müssen klar und deutlich sagen, was wir
können und dass wir das, was wir anbieten auch qualitativ hochwertig und zuverlässig anbieten –
kurz: dass wir halten, was wir versprechen.
Dies ist allerdings auch deshalb notwendig, weil sich heute mehr und mehr die auch die Sozialgerichtsbarkeit mit Fragen nach der Sinnhaftigkeit und der Erfolgswahrscheinlichkeit bestimmter Behandlungen und Betreuungsprozesse befasst und nicht mehr bereit ist, Fehler zu Lasten der Klienten zu tolerieren. Vielmehr neigen die Gerichte heute dazu, strenge Maßstäbe an die Leistungserbringer anzulegen und ihnen so immer wieder Korrektur- und Verbesserungsbedarfe ins Stammbuch zu schreiben – eine Entwicklung, die an sich durchaus zu begrüßen ist, aber die Leistungsan-
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bieter unter deutlichen Druck setzt. Zuverlässige Qualität ist folglich heute mehr denn je das A und
O in unserer Praxis.
Verstärkt wird dieser Trend aber auch durch die politischen Vorgaben, also konkret durch die Leistungs- und Kostenträger. Auch sie wollen heute genauer denn je zuvor wissen, wofür sie ihr Geld –
genauer: das Geld der Steuer- und Beitragszahler ausgeben. Auch sie fragen deshalb immer nachdrücklicher nach der Wirksamkeit helfender Interventionen. Speziell die so genannten Hartz- Gesetze zeigen uns, wohin die Reise offenbar geht: Nicht mehr eine, ja doch oft sehr langwierige Rundum- Betreuung, sondern sozusagen modularisierte, kurzzeitige Interventionen werden vom Hilfesystem abgefordert. Einen ähnlichen Trend sehen wir auch in anderen Feldern: etwa in der betrieblichen Suchtkrankenhilfe, in der behandlungsakzessorischen psychosozialen Betreuung von Methadonpatienten oder bei Maßnahmen der schulischen und außerschulischen Frühintervention. In all
diesen Feldern geht es heute zunehmend um das Bereitstellen nicht von Komplettangeboten, sondern von Hilfebausteinen, die sich jeweils in das Regelsystem einpassen und hier wirksam werden.
Unsere – wenn ich so sagen darf: Geschäftspartner, die Arbeitsagenturen, die Betriebe, die Ärzteschaft, die Schulen usw., sie wollen von uns präzise wissen, welche Ziele wir mit den Klienten in
welchen Zeiträumen konkret erreichen; ja zum Teil geben sie uns die Ziele und Zeitfenster, innerhalb derer wir zum Erfolg kommen sollen, selbst vor. Und dabei bemessen sich diese Zeitfenster
eher nach Wochen, allenfalls nach Monaten, aber gewiss nicht nach Jahren. Wenn wir hier überhaupt nur verhandlungsfähig werden wollen, dann müssen wir selbst konkrete Vorstellungen und
konzeptionell – wie auch finanziell – plausibel durchgearbeitete Pläne haben, was wir wie, in welcher
Frist und mit welchen avisierten Zielen machen wollen. Kurz: wir müssen konkret – und zwar sehr
konkret werden. Wir müssen sagen können, welche produktiven Antworten jeweils passgenau auf
den Einzelfall und seine jeweilige Situation gegeben werden können. Was somit heute gefordert ist,
ist Handwerk, gutes Handwerk. Und tatsächlich scheint mir genau dies – gutes Handwerk abzuliefern – die Aufgabe der Zukunft zu sein.
Ihr Verein hat, wenn ich richtig informiert bin, in den 20 Jahren seines Bestehens sich stets weitgehend aus den Ideologismen raus gehalten und schon immer darauf geachtet, handwerklich gute Arbeit zu leisten. Damit haben Sie eine hervorragende Basis für die Zukunft gelegt – eine Zukunft, zu
der ich Ihnen alles Gute und weiterhin viel Erfolg wünsche.
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