Analysis (GOB1A, ICB1A, IFB1A, WS 2008/09)

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Analysis (GOB1A, ICB1A, IFB1A, WS 2008/09)
Manfred Gruber, Fakultät für Informatik und Mathematik, HM
Version vom 16. Dezember 2008
Integration
Skizze einer einfachen Integrationstheorie
Wir führen die Integration als Umkehrung der Differentiation ein. Dabei beschränken
wir uns anfangs auf Funktionen, die auf einem endlichen Intervall I = [a, b] ⊂ R erklärt
sind. Die Ausdehnung der Resultate auf unbeschränkte Intervalle folgt später und ist
nicht schwierig.
Ausnahmemengen
Gelegentlich werden endliche, abzählbar unendliche oder höchstens abzählbar unendliche Ausnahmemengen von I eine Rolle spielen, nämlich die Sprungstellen von sogenannten Treppenfunktionen und Regelfunktionen. Diese Abzählbarkeitsbegriffe präzisieren wir folgendermaßen:
Definition 1 Sei D ⊂ I. D ist endlich, wenn D als D = {x1 , . . . , xn } geschrieben werden
kann. D ist abzählbar unendlich, wenn D als D = {xi | i ∈ N} geschrieben werden
kann. D ist höchstens abzählbar unendlich, wenn D leer oder endlich oder abzählbar
unendlich ist.
Wir vereinbaren wir folgende Sprechweise:
Definition 2 Eine höchstens abzählbar unendliche Menge D ⊂ I nennen wir abkürzend
eine zulässige Ausnahmemenge.
Der Vollständigkeit halber merken wir hier eine Tatsache an, die wir an späterer Stelle
verwenden werden:
S
Satz 1 Sind Di ⊂ I (i ∈ N) zulässige Ausnahmemengen, dann ist auch D = i∈N Di eine
zulässige Ausnahmemenge.
Dies ist zwar nicht schwierig zu beweisen, dennoch verzichten wir hier darauf.
Mittelwertsatz
Satz 2 (Mittelwertsatz) Sei F : I → R stetig und differenzierbar auf I \ D, wobei D eine
zulässigen Ausnahmemenge sei. Sei ferner
|F 0 (x)| ≤ M
für alle x ∈ I \ D. Dann ist
|F (y) − F (x)| ≤ M |y − x|
für alle x, y ∈ I.
Der Beweis dieses sehr nützlichen Satzes ist für Anfänger nicht einfach. Wir verzichten
hier darauf.
1
Stammfunktionen
Definition 3 Sei F : I → R stetig und f : I → R. F heißt Stammfunktion von f , wenn
es eine zulässige Ausnahmemenge D ⊂ I gibt derart, dass für alle x ∈ I \ D die Ableitung
F 0 (x) existiert und mit f (x) übereinstimmt.
Satz 3 Sind F1 und F2 Stammfunktionen von f , dann ist F1 − F2 konstant.
Beweis (F1 − F2 )0 = F10 − F20 = f − f = 0. Daher gilt nach Satz 2
|(F1 (y) − F2 (y)) − (F1 (x) − F2 (x))| ≤ 0 · |y − x| = 0
und damit
F1 (y) − F2 (y) = F1 (x) − F2 (x)
für alle x, y ∈ I.
Stammfunktion einer Treppenfunktion
Definition 4 Eine Funktion f : I → R heißt Treppenfunktion, wenn es eine endliche
Menge {xi | 0 ≤ i ≤ n} von Unterteilungspunkten von I gibt, die so angeordnet sind, dass
a = x0 < x1 < . . . < xn = b gilt und f auf den offenen Intervallen ]xi , xi+1 [ konstant ist
(0 ≤ i < n − 1) (an den Stellen xi selbst darf f beliebige Werte annehmen).
Satz 4 Zu jeder Treppenfunktion gibt es eine Stammfunktion.
Beweis Sei f eine Treppenfunktion wie in Definition 4 beschriebeen. Sei f (x) = ci für
x ∈]xi , xi+1 [. Wir konstruieren eine Stammfunktion F , indem wir setzen: F (x0 ) = 0 und
X
F (x) = ci (x − xi ) +
cj (xj+1 − xj )
0≤j<i
für x ∈]xi , xi+1 ] (0 ≤ i < n − 1). F ist stetig. Durch Differentiation von F überzeugt man
sich davon, dass F tatsächlich eine Stammfunktion von f ist.
Stammfunktion einer Regelfunktion
Regelfunktionen sind Funktionen, die durch eine Folge von Treppenfunktionen gleichmäßig angenähert werden können. Diese gleichmäßige Konvergenz ist folgendermaßen
definiert:
Definition 5 Eine Folge (fk )k∈N reellwertiger Funktionen auf I konvergiert gleichmäßig gegen eine reellwertige Funktion f auf I, wenn es zu jedem ε > 0 ein K ∈ N gibt
derart, dass für alle k ≥ K und für alle x ∈ I gilt: |f (x) − fk (x)| < ε .
Definition 6 Eine Funktion f : I → R heißt Regelfunktion, wenn es eine Folge (fk )k∈N
reellwertiger Treppenfunktionen auf I gibt, die auf I gleichmäßig gegen f konvergiert.
Satz 5 Zu jeder Regelfunktion gibt es eine Stammfunktion.
Beweisidee Da die Funktion f eine Regelfunktion ist, kann sie durch eine Folge von
Treppenfunktionen fi gleichmäßig angenähert werden. Wir wählen eine solche Funktionenfolge. Zu jeder Treppenfunktion fi wählen wir diejenige Stammfunktion Fi mit
Fi (a) = 0. Die Sprungstellenmenge Di jeder Treppenfunktion fi vereinigen wir zur zulässigen Ausnahmemenge D. Es gilt nun: Die Folge der Stammfunktionen (Fi )i∈N konvergiert gleichmäßig auf I gegen eine Grenzfunktion F . Diese Grenzfunktion F ist an
den Stellen x ∈ I \ D differenzierbar und erfüllt dort F 0 (x) = f (x). Somit ist F eine
Stammfunktion von f .
Die Klasse der Regelfunktionen ist groß. Man hat nämlich folgende Charakterisierung:
2
Satz 6 Eine Funktion f : I → R ist genau dann eine Regelfunktion, wenn f an jeder Stelle
x ∈ [a, b[ einen linksseitigen Grenzwert limy→x,y<x f (x) und an jeder Stelle x ∈]a, b] einen
rechtsseitigen Grenzwert limy→x,y>x f (x) besitzt.
(ohne Beweis)
Bemerkung 1 Stetige Funktionen sind Regelfunktionen.
Definition 7 f : I → R heißt monoton wachsend, wenn f (x) ≤ f (y) für x ≤ y gilt,
monoton fallend, wenn f (x) ≥ f (y) für x ≤ y gilt, monoton, wenn f entweder monoton
wachsend oder monoton fallend ist.
Bemerkung 2 Monotone Funktionen sind Regelfunktionen.
Das bestimmte Integral
Definition 8 Sei F eine Stammfunktion der Regelfunktion f : [a, b] → R. Dann heißt
Z
b
f (t) dt := F (b) − F (a)
a
Integral von f von a nach b. Eine nützliche Erweiterung dieses Integralbegriffs, die wir
sogleich vornehmen, ist
Z
a
Z
f (t) dt := F (a) − F (b) = −
b
f (t) dt.
b
a
Nichtnegativität des Integrals
Satz 7 Sei f : [a, b] → R eine Regelfunktion mit f (x) ≥ 0 auf [a, b] Dann ist
b
Z
f (t) dt ≥ 0.
a
Beweis f kann beliebig genau gleichmäßig angenähert werden durch nichtnegative
Rb
Treppenfunktionen fi . Für deren Stammfunktionen Fi gilt Fi (b) − Fi (a) = a fi (t) dt ≥ 0
(siehe Konstruktion einer Stammfunktion im Beweis zu Satz 4). Die Stammfunktionen
Fi konvergieren gleichmäßig gegen die Stammfunktion F von f (siehe Beweisskizze zu
Rb
Satz 5). Insbesondere ist F (b) − F (a) = limi→∞ (Fi (b) − Fi (a)). Also ist a f (t) dt Grenzwert
einer Folge nichtnegativer Zahlen und damit selbst nichtnegativ.
Eine hierzu verwandte Eigenschaft des Integrals ist dessen “Positivität”:
Satz 8 Sei f : [a, b] → R eine Regelfunktion. Es existiere ein x ∈ [a, b] derart, dass
limy→x,y<x f (x) > 0 oder limy→x,y>x f (x) > 0 gilt. Dann ist
b
Z
f (t) dt > 0.
a
Additivität des Integrals
Satz 9 Sei f : [a, c] → R eine Regelfunktion und b ∈ [a, c]. Dann gilt
Z
b
Z
f (t) dt +
a
c
Z
f (t) dt =
b
c
f (t) dt.
a
Beweis Sei F Stammfunktion von f. Es ist F (b) − F (a) + F (c) − F (b) = F (c) − F (a).
3
Linearität des Integrals
Satz 10 Seien α ∈ R und f, g : I → R Regelfunktionen. Dann gilt
Z b
Z b
Z b
αf (t) + g(t) dt = α
f (t) dt +
g(t) dt
a
a
a
Beweis Seien F, G Stammfunktionen von f, g. Wegen (αF + G)0 = αf + g hat man
Z b
(αF (b) + G(b)) − (αF (a) − G(a)) =
αf (t) + g(t) dt.
a
Andrerseits gilt wegen
(αF (b) + G(b)) − (αF (a) − G(a)) = α(F (b) − F (a)) + (G(b) − G(a))
auch
Z
(αF (b) + G(b)) − (αF (a) − G(a)) = α
b
Z
f (t) dt +
a
b
g(t) dt.
a
Monotonie des Integrals
Satz 11 Seien f, g : I → R Regelfunktionen mit f ≥ g (d.h. f (x) ≥ g(x) für alle x ∈ I). Dann
ist
Z
Z
b
b
f (t) dt ≥
a
g(t) dt.
a
Rb
Beweis Wegen f −g ≥ 0 ist a f (t)−g(t)dt ≥ 0 nach Satz 7. Mit der Linearität des Integrals
Rb
Rb
(Satz 10) folgt hieraus a f (t) dt ≥ a g(t) dt.
Satz 12 Sei f : I → R Regelfunktion mit |f | ≤ M (d.h. |f (x)| ≤ M für alle x ∈ I). Dann ist
Z
Z
b
b
f (t) dt ≤
|f (t)| dt ≤ M |b − a|.
a
a
Beweis Die erste Ungleichung gilt, weil sowohl f ≤ |f | als auch −f ≤ |f | gilt und das Integral monoton ist. Die zweite Ungleichung gilt aus ähnlichen Grund: Sei g die TreppenRb
Rb
funktion, die konstant gleich M ist. Dann ist |f | ≤ g und a |f (t)| dt ≤ a g(t) dt = M (b − a).
Substitutionsregel
Satz 13 (Substitutionsregel) Seien I, J Intervalle, f : I → R und g : J → I Regelfunktionen und G : J → I Stammfunktion von g. Dann gilt
Z G(b)
Z b
f (t) dt =
f (G(t))g(t) dt
G(a)
a
Beweis Sei F Stammfunktion von f . Wegen der Kettenregel
(F ◦ G)0 (x) = f (G(x))g(x)
gilt (Integration beider Seiten)
Z
F (G(b)) − F (G(a)) =
b
(F ◦ G)0 (t) dt =
a
Z
b
f (G(t))g(t) dt.
a
Andrerseits gilt nach Definition des bestimmten Integrals auch
Z G(b)
F (G(b)) − F (G(a)) =
f (t) dt.
G(a)
4
LITERATUR
LITERATUR
Partielle Integration
Satz 14 (Partielle Integration) Seien f, g : I → R Regelfunktionen und F, G : I → R
zugehörige Stammfunktionen. Dann gilt
Z
b
b
Z
F (t)g(t) dt = F (b)G(b) − F (a)G(a) −
f (t)G(t) dt
a
a
Beweis Wegen der Produktregel (F G)0 = f G + F g und der Linearität des Integrals ist
Z
F (b)G(b) − F (a)G(a) =
b
Z
f (t)G(t) dt +
a
b
F (t)g(t) dt.
a
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
Satz 15 Sei f : I → R eine Regelfunktion. Dann ist
Z x
f (t) dt
a
eine Stammfunktion von f .
Beweis Sei F eine Stammfunktion von f . Es ist
ist eine Stammfunktion von f .
Rx
a
f (t) dt = F (x) − F (a) und F (x) − F (a)
Uneigentliche Integrale
Siehe http://www.cs.hm.edu/~eich/Analysis/ints.pdf, Abschnitt 5.11.
Literatur
[eda-1] J.Dieudonné, Éléments d’analyse, Tome I, Fondements de l’analyse moderne,
Gauthier-Villars, Paris 1968.
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