Hinweise für Therapeuten zum Anamnesefragebogen Sehr geehrte Frau Kollegin! Sehr geehrter Herr Kollege! Sie wollen für Ihre Patientin/Ihren Patienten eine ambulante Psychotherapie bei der Concordia Krankenversicherung beantragen. Bei der Patientin/dem Patienten besteht ein eingeschränktes Stundenkontingent von 20 Psychotherapiesitzungen pro Jahr („wenn vom Versicherer nicht vorher mehr Sitzungen genehmigt wurden“). Der Bundesgerichtshof hat sich in einem Urteil vom 16. Juni 2004 (Aktenzeichen: IV ZR 257/03) mit dieser Frage auseinander gesetzt und auf die Notwendigkeit hingewiesen, vertraglich vereinbarte Begrenzungen einzuhalten. Bitte beachten Sie, dass es in der privaten Krankenversicherung (PKV) im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weder die antragslose Vorbehandlung von 5 Sitzungen noch die Kurztherapie von 25 Sitzungen gibt). Für die vertraglich vereinbarten 20 Sitzungen genügt mir ein etwas ausführlicher Kurzantrag, d.h. ausführlicher als für eine Kurztherapie in der GKV – der ohnehin nur für die Mitarbeiter der Krankenkasse gedacht ist – (der Platz für Anamnese und Therapieplan auf dem Formblatt PTV 2 ist sehr und zu knapp bemessen). Wenn eine (eigentlich mittellange) Langzeittherapie von 50 Sitzungen erforderlich sein sollte, bitte ich um einen ausführlichen Psychotherapieantrag. Bitte teilen Sie mir die üblichen Rahmendaten mit: Geburtsdatum, gewähltes Psychotherapieverfahren, Beginn und Frequenz der Therapie ... Bitte verwenden Sie im Gegensatz zu den Psychotherapieanträgen in der GKV die Versicherungsschein-Nr. als Chiffre. Der Klarname gehört natürlich nicht auf einen Antrag an die Gutachter. Im Übrigen empfehle ich Ihnen, im Schriftverkehr mit privaten Krankenversicherungen (PKV) die Struktur und Gliederung der Anträge in der Richtlinien-Psychotherapie der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zu verwenden (mit den unten erwähnten Erweiterungen). Ich gehe davon aus, dass alle Beteiligten mit diesem Antragsverfahren gut vertraut sind und schneller entscheiden können. Leider fehlen in vielen Anträgen die FA (Familienanamnese), die EA (Erkrankungsanamnese) und die VA (Vegetative Anamnese: Essverhalten, Gewichtsentwicklung, vegetative Funktionen, Alkohol-, Medikamenten-, Drogen-Missbrauch, Dauermedikation), in Teilen auch die soziale Anamnese, was mit der eigenartigen Gliederung in der Richtlinien-Psychotherapie zusammenhängt (Informationsblatt zum Erstantrag PT 3 a bzw. PT 3 a EK). Unter 2. „Kurze Darstellung der lebensgeschichtlichen Entwicklung“ werden die ärztlichen und psychologischen PsychotherapeutInnen durch die unscharfen Formulierungen zur biographischen Ungenauigkeit verführt. Es fehlen Fragen zur frühkindlichen Situation (für die tiefenpsychologisch fundierte und analytische Therapie wichtig!!) und die „sexuelle Anamnese“ (Partnerschaften, Ehe, Familie). Letzteres versteckt sich evt. hinter der Formulierung „Krisen in phasentypischen Schwellensituationen“. Auch wichtig wäre im neopsychoanalytischen Sinne die Erarbeitung der Schlüsselsituation bzw. die Krankheitstheorie der PatientInnen. Die wird meiner Erfahrung nach in der Schilderung der Psychodynamik nur selten formuliert. Leider sind die obigen Formulierungen zur Anamnese seit 1976 (vielleicht sogar seit 1962?) unverändert fortgeschrieben worden. Auch nach der Öffnung für die Verhaltenstherapie 1987 wurde eine Umformulierung versäumt. Das Dezernat VI – Wissenschaft und Forschung – der Bundesärztekammer (ein Referat Richtlinienpsychotherapie gibt es dort leider nicht) hat mir dazu mitgeteilt, dass in den entsprechenden Gremien keine Neigung besteht, den anamnestischen Fragenkatalog zu erweitern. Eigentlich schade – dabei ginge es nur um einige Umstellungen und Präzisierungen! Im Psychotherapiebereich des Nds. Landeskrankenhauses Hildesheim haben meine MitarbeiterInnen und ich ab 1975 einen ausführlichen Fragebogen zur biografischen (kassentechnisch: „tiefenpsychologisch fundierten“) Anamnese für die stationäre und ambulante Psychotherapie entwickelt und immer wieder überarbeitet, erweitert, präzisiert. Eine frühere Fassung wurde auch veröffentlicht (W. Scherf in W. Stucke (Hrsg): "Die Arzt-Patienten-Beziehung im Krankenhaus". Heft 9 der Reihe: Patientenbezogene Medizin, Gustav Fischer-Verlag Stuttgart, New York 1987). Der Anamnesefragebogen ist so konzipiert, dass PatientInnen ihn zu Hause auf Zusatzblättern strukturspezifisch knapp bis sehr ausführlich beantworten können. Für die qualifizierte Anamneseerhebung durch die TherapeutInnen bietet er eine erste Grundlage und spart so Zeit und Mühe. Fragen zu einigen sehr privaten bzw. intimen Details fehlen sinnvollerweise im Fragebogen. Die sollten mündlich gestellt werden: Umfang des Einkommens, Besitzverhältnisse (Häuser spielen oft eine wichtige Rolle in der Psychotherapie), Schulden, Vita sexualis (Partnerkonstellationen, Koitusfrequenz, Kinderwunsch, außereheliche Beziehungen). Aus den schriftlichen Angaben der PatientInnen und den Erweiterungen der TherapeutInnen im anschließenden Anamnesegespräch lässt sich dann leicht ein gut gegliederter Psychotherapieantrag kondensieren und formulieren (denken Sie bitte daran, dass die Richtlinienpsychotherapie bei überlangen Anträgen die Rücksendung zur „sachlichen Verdichtung“ vorsieht). Wenn ein Entlassungsbrief aus einer Psychotherapie-Klinik über eine stationäre Behandlung vorliegt, fügen Sie ihn bitte bei. In aller Regel entspricht er natürlich nicht einem Psychotherapieantrag, enthebt Sie also nicht der erneuten Anamneseerhebung und Antragsformulierung. 1 Zur Antragsformulierung: Die Anamnese sollten Sie im Imperfekt bzw. Perfekt schildern, das wuchtige historische Präsens und das umständliche Plusquamperfekt sollten Sie vermeiden. Bei Mutter, Vater, Partnern und Kindern sollten Sie die Altersdifferenz angeben (Mutter +24, Vater +31, Ehefrau –5). Dieser Abstand bleibt über den Tod hinaus und man sieht z.B. auf den ersten Blick, ob das einzige Kind ein wertvolles, weil spätes Kind alter Eltern ist oder nicht, bzw. bei Geschwistern die Stellung in der Geschwisterreihe, die Alfred Adler (Begründer der Individualpsychologie) für sehr wichtig hielt. Die amüsante Formulierung: „... Wahnbildungen (oder andere Symptome)... sind nicht eruierbar ...“ bedeutet im Klartext: sie bestehen zwar, ich habe sie aber nicht herausbekommen. Das sollten Sie sich nicht antun! Einige Hinweis zu Formulierungsmerkwürdigkeiten, die sich in vielen Anträgen findet: mitten in den anamnestischen Angaben werden Patientin / Patient in der dritten Person erwähnt, so als ginge es um die Einrede eines unsichtbaren Dritten: "Die Patientin sei ... bei den Eltern aufgewachsen... Die Patientin habe regelmäßigen Kontakt..." „... 1994 hätten sie geheiratet...“ Da das Ganze in indirekter Rede wiedergegeben wird, die dem Konjunktiv entspricht, klingt das so, als ob die Einrede des unsichtbaren Dritten die anamnestischen Angaben der Patientin / des Patienten in Zweifel zieht. Da die Angaben von der Patientin / dem Patienten stammen, sollten Sie besser und klarer im Imperfekt bzw. Präsens schreiben: "Sie wuchs bei den Eltern auf... Sie hat immer noch guten Kontakt zur Mutter... ". „... 1994 heirateten beide...“ Ein Kommentar dieser Angaben gehört nicht in die Anamnese sondern in die Abschnitte „Psychodynamik der neurotischen Erkrankung“ oder „Prognose“. Wie Sie sicherlich wissen, ist m.E. unsinnigerweise im Rahmen der ambulanten RichtlinienPsychotherapie der Einsatz verschiedener therapeutischer Medien nicht möglich: neben einer ambulanten Psychotherapie dürfen sie PatientInnen nicht zusätzlich eine Entspannungsmethode wie z. B. das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation vermitteln. Dem ist in der PKV glücklicherweise nicht so! Noch eine Anmerkung zur Diagnose: Wie Sie wissen, gibt es seit der ICD 10 die Diagnose neurotische Depression nicht mehr. Diese Erkrankung wurde inzwischen ausgerottet – nicht durch Impfung, sondern durch Änderung der Nomenklatur. Leider ist das so. Seitdem müssen Sie entweder die uralte und wiederbelebte Diagnose Dysthymie benutzen oder eine ICD-Nr. aus dem Bereich der bipolaren Psychosen. Das kann dann zur völligen diagnostischen Verwirrung führen: denn eine manisch-depressive Psychose bedarf eigentlich und vorrangig medikamentöser Behandlung. Ich meine, Psychotherapie-Gutachter sollten bei guter Bezahlung nicht nur in dürren Worten Zusage oder Ablehnung mitteilen, sondern sich in etwas ausführlicheren Begutachtungen qualifiziert und qualifizierend äußern (wenn sie denn entsprechende Erfahrungen haben). Deshalb werden Sie von mir wenn nötig - eine ausführlichere Stellungnahmen bekommen mit Hinweisen für das nächste Mal. Das freut dann! Zur Problematik der Schweigepflicht bei beihilfeberechtigten PatientInnen: Bis vor wenigen Jahren gab es im Beihilfeverfahren noch nicht einmal den verschlossenen Umschlag für den Gutachter. Der Antrag wurde einfach als Brief mit Klarname und allen intimen Daten an die Beihilfestelle geschickt. Die ist der Arbeitsstelle der/des Pat. oft angegliedert. Meiner Erfahrung nach werden auch heute noch die Briefe an die Gutachter in der Beihilfestelle geöffnet und gelesen. Vermutlich sieht der Beihilfe-Kollege die Patientin / den Patienten häufig beim Mittagessen – trotz aller Verschwiegenheit mit der dazugehörigen kompletten Intimanamnese im Kopf. Deshalb habe ich als Therapeut in solchen Fällen in den verschlossenen Umschlag für den Beihilfe-Gutachter nur ein kurzes Anschreiben an den Gutachter gelegt, mit der Bitte, den Antrag direkt bei mir anzufordern. Da einige zwanghafte Gutachter die Frankierung scheuten, habe ich noch einen frankierten Umschlag mit meiner Anschrift beigelegt. Dieses Verfahren ist zugegebenermaßen umständlich, aber die Schweigepflicht war es mir wert. Die Anzahl der genehmigten Therapiesitzungen kann durchaus differieren, weil die Beihilfe sich an den Stundenzahlen der Richtlinienpsychotherapie orientiert, die Verträge der Concordia Krankenversicherung aber zunächst nur 20 Sitzungen pro Jahr vorsehen (siehe oben). Die beiliegende „Kurzinformation über die ambulante Psychotherapie“ ist als Patienten-Info bei analytisch orientierter Psychotherapie gedacht. Sie können Sie so oder bearbeitet weitergeben. Es ist immer von Vorteil, mit informierten Psychotherapiepatienten zusammenzuarbeiten. Dr. med. W. Scherf, Hannover, Juni 2008 2