Elektrosensibilität – eine Herausforderung für die Umweltmedizin

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Wolfgang Dott, Jiri Silny, Gerhard Andreas Wiesmüller
Elektrosensibilität – eine Herausforderung für die Umweltmedizin
Untersuchungen bei elektrosensiblen Patienten
Eine alarmierend ansteigende Anzahl von Patienten führt die elektromagnetischen
Felder des Alltags als Ursache für gesundheitliche Beschwerden an. Die von
Sendemasten des Mobilfunks (Abb. 1) ausgehenden hochfrequenten Felder werden
ebenso wie die niederfrequenten Felder der Hochspannungsfreileitungen (Abb. 2)
oder der Elektroinstallationen in Gebäuden für Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit,
Konzentrationsschwäche, Müdigkeit oder Angstzustände verantwortlich gemacht. In
populärwissenschaftlichen Abhandlungen und so genannten Erfahrungsberichten wird
dieser Zusammenhang als gegeben dargestellt. Dabei sind Ursachen wie Entstehung
derartiger unspezifischer Gesundheits- und Befindlichkeitsstörungen uneinheitlich und
eine Verbindung mit elektromagnetischen Feldern ist nicht einmal ansatzweise
wissenschaftlich belegt.
Aufgabe der Umweltmedizin ist es, qualifiziert und interdisziplinär zu prüfen,
inwieweit bekannte Erkrankungen oder Umweltnoxen im Einzelfall als Ursache für
solche Beschwerden in Frage kommen und ob elektromagnetische Felder als
krankheitserregende Umweltfaktoren überhaupt in Betracht gezogen werden müssen.
Vorgehensweise bei den Untersuchungen
Die 'elektrosensiblen' Patienten werden schrittweise bis zu drei unterschiedlichen
hintereinander erfolgenden Untersuchungen unterzogen (Abb. 3). Im ersten Schritt
klärt die Umweltmedizinische Ambulanz, ob bekannte Krankheitsbilder oder
Umweltnoxen (biologische, chemische oder physikalische Schadstoffe) als Ursache
für die Beschwerden in Frage kommen. Bei einem positiven Ergebnis werden die
Patienten zur weiteren Behandlung an entsprechende Spezialkliniken überwiesen.
Eine negative Diagnose gibt Anlass, den Patienten einer ambulanten
Langzeituntersuchung zu unterziehen. Hier wird durch eine mehrtägige Überwachung
der Körperfunktionen, der einwirkenden elektromagnetischen Felder und der subjektiv
gemeldeten Beschwerden festgestellt, ob eine Gleichzeitigkeit des Auftretens
bestimmter Felder und der Beschwerden festgestellt werden kann. Der Patient kann
in dieser Zeit ein normales Leben führen.
Im Falle eines positiven Resultats ist eine Provokationsstudie erforderlich, in
der die Ursächlichkeit zwischen den anhand der ambulanten Überwachung definierten
Feldern und den gemeldeten Beschwerden der Patienten überprüft wird.
Die einzelnen komplexen Untersuchungen sind im Weiteren näher erläutert.
Umweltmedizinische Ambulanz (UMA)
In der Umweltmedizinischen Ambulanz (UMA) wird mit einem standardisierten
umweltmedizinischen Fragebogen, der Sichtung und Bewertung von beim Patienten
zuvor erhobenen Befunden, einem umfassenden Patientengespräch und einer
körperlichen Untersuchung (Abb. 4) entschieden, ob ein begründeter
Expositionsverdacht vorliegt (Abb. 5). In diesem Fall werden Human-Biomonitoring
(Ermittlung der körperlichen Belastung mit Schadstoffen und ihre Effekte),
Ortsbegehung und/oder Umweltmonitoring (Ermittlung von chemischen, biologischen
und/oder physikalischen Expositionsfaktoren in der Umwelt) durchgeführt. Zusätzlich
erfolgt eine differentialdiagnostische Abklärung des Beschwerdebildes des Patienten.
Kern dieser Differentialdiagnostik sind allergologische und, wenn möglich, auch
psychiatrische Diagnostik. Untersuchungen in anderen medizinischen Fachgebieten
werden in Abhängigkeit vom Beschwerdebild durchgeführt und sind somit optional.
Liegt kein begründeter Expositionsverdacht vor, wird nur die zuvor beschriebene
Differentialdiagnostik ohne Human-Biomonitoring, Ortsbegehung und/oder
Umweltmonitoring durchgeführt. Die Ergebnisse der Differentialdiagnostik können in
seltenen Fällen den Verdacht einer gesundheitsrelevanten Exposition ergeben, der auf
der ersten Entscheidungsebene nicht evident wurde. In diesem Fall werden HumanBiomonitoring, Ortsbegehung und/oder Umweltmonitoring durchgeführt.
Die im diagnostischen Ablauf erhobenen Ergebnisse werden in einer Fallkonferenz
diskutiert und in eine Hauptdiagnose, die das Beschwerdebild des Patienten nahezu
vollständig erklärt, sowie in Nebendiagnosen, die nur einen Teil des
Beschwerdebildes des Patienten erklären, unterteilt. Darüber hinaus werden
Therapieansätze diskutiert. Das Ergebnis der Untersuchungen und die
Behandlungsoptionen werden in einem Abschlussgespräch mit dem Patienten
besprochen und dem betreuenden Arzt (im Regelfall ist dies der Hausarzt)
mitgeteilt.
Ambulante Überwachung
Eine am Körper getragene kleine und leichte Erfassungseinrichtung ermöglicht es,
wichtige Körperfunktionen wie die Herzfrequenz aus dem Elektrokardiogramm, die
Gehirnaktivität aus dem Elektroenzephalogramm, die Stärke und Dauer der
Einwirkung elektromagnetischer Felder sowie den Zeitpunkt des Einsetzens einer
Beschwerde über mehrere Tage hinweg kontinuierlich aufzuzeichnen. Der Patient
kann sich in seiner gewohnten Umgebung frei bewegen, seiner Arbeit nachgehen
oder sich im Schlaf erholen (Abb. 6). Die anschließende Auswertung der
Aufzeichnungen gibt Auskunft über die Gleichzeitigkeit verschiedener Ereignisse und
der Exposition durch elektromagnetische Felder.
Provokationsstudien
Wird in ambulanten Untersuchungen eine zeitliche Übereinstimmung zwischen einer
Exposition durch elektromagnetische Felder und Beschwerden und Reaktionen der
Körperfunktionen des Patienten festgestellt, ist eine Provokationsstudie zur
Überprüfung der Ursächlichkeit erforderlich. Dabei werden die Patienten in
sogenannten Doppelblindversuchen, bei denen weder der Patient noch der
untersuchende Wissenschaftler die Zeitpunkte der Feldeinwirkung kennt, mit definierten
Feldern in einem speziellen Abschirm- und Befeldungsraum exponiert (Abb. 7).
Neben der Meldung des Patienten über ein etwaiges Auftreten von Beschwerden
werden auch zugeschnittene Körperfunktionen und die Zeiträume unter Feldeinwirkung
aufgezeichnet und anschließend statistisch ausgewertet.
Ausblick
In interdisziplinären Untersuchungen werden valide und belastbare Daten zur
Elektrosensibilität gesammelt. Erst auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob
es sich bei den schwachen elektromagnetischen Feldern des Alltags tatsächlich um
gesundheitsrelevante Umweltfaktoren handelt. Unabhängig davon werden die Patienten
in jedem Falle ernst genommen, die Ermittlung einer zur Linderung ihrer
Beschwerden geeigneten Therapie steht immer im Vordergrund.
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Dott ist Direktor des Instituts für Hygiene und
Umweltmedizin.
Prof. Dr.-Ing. habil. med. Jiri Silny ist Leiter des Forschungszentrums für ElektroMagnetische Umweltverträglichkeit (femu).
PD Dr. med. Gerhard Andreas Wiesmüller ist Leiter der Umweltmedizinischen
Ambulanz (UMA) des Universitätsklinikums der RWTH Aachen.
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