B^a^i~g\ZhX]^X]iZ :EITSCHRIFTFÓRHISTORISCHE"ILDUNG C 21234 ISSN 0940 - 4163 ÊÊ Heft 3/2008 Militärgeschichte im Bild: 50 Jahre »Gorch Fock« Die Westfront 1918 on Gehorsamsverweigerungen V zur Revolution Die Freikorps 1918 bis 1920 60 Jahre Völkermordkonvention ÌBÀ}iÃV V ÌV iÃÊÀÃV Õ}Ã>Ì Impressum Editorial Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Oberst Dr. Hans Ehlert und Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe: Hauptmann Klaus Storkmann M.A. Redaktion: Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn) Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Hauptmann Klaus Storkmann M.A. (ks) Mag. phil. Michael Thomae (mt) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Redaktionsassistenz: Michael Schadow, cand. phil. (ms) Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Layout/Grafik: Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Telefax: 03 31 / 9 71 45 07 Homepage: www.mgfa.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt ein­ gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffent­ lichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwor­ tung für die Inhalte aller durch Angabe einer Link­ adresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt für alle aus­ge­ wählten und angebotenen Links und für alle Sei­ ten­inhalte, zu denen Links oder Banner führen. »Es war ein Jubeln damals im ganzen Reiche, Kindheit, Jugend, Alter schmückte sich mit roten Zeichen [...] Die große Erlösung war über die Menschheit gekommen: Der Krieg war beendet. Das Bangen um Väter und Brüder im Felde sollte zu Ende sein, über Millionen kam die große Hoffnung auf ein Wiedersehen [...] Nie wieder Krieg! Das wurde ein Schwur, den Hunderttausende in zahllosen Kundgebungen leisteten. Der 9. November mahnt an diese heilige Pflicht.« Diese Zeilen fanden sich in der in Magdeburg erscheinenden sozialdemokratischen Zeitung »Volksstimme« vom 6. November 1927. Neun Jahre nach dem November 1918 gedachten bei Weitem nicht alle Deutschen der Revolution und des Kriegsendes als einer »Erlösung«. Der November 1918 spaltete die Deutschen. Die Erinnerung an ihn war lange Zeit stark politisch gefärbt. Die Zeitschrift Militärgeschichte widmet sich dem Kriegsende 1918 mit einem Schwerpunktheft. Die damaligen Ereignisse waren so vielfältig, dass der Versuch, sie alle historisch zu würdigen, nur scheitern kann. Die Redaktion traf daher eine Auswahl, die unvollständig bleiben muss. Werner Rahn blickt auf das Geschehen in Kiel und Wilhelmshaven im Oktober und November 1918 zurück. Kiel war die Initialzündung für die Revolution. Deren Ursachen lagen jedoch woanders: im verlorenen Krieg, in den Revolutionen in Russland ein Jahr zuvor und nicht zuletzt im Hunger und Elend in Deutschland. Dieter Storz schildert den militärischen Zusammenbruch der Westfront 1918 und die vorausgegangene alliierte Offensive. Beide Aufsätze greifen somit zwei Hauptstränge jener militärischen Entwicklungen am Ende des Krieges auf, die schließlich zur Revolution führten. Ein dritter Aufsatz geht zeitlich über den November 1918 hinaus. Rüdiger Bergien stellt die Zeit der bewaffneten Aufstände und deren Zerschlagung durch ehemalige Fronttruppen, die Freikorps, vor. Der 9. November war kein »deutscher Schicksalstag«, wie oft behauptet. Sehr wohl wurde er zu einem geschichtsträchtigen Tag, zu einem politischen Symbol, das weit in die Folgejahre ausstrahlte. Hitler geißelte in seinen Reden regelmäßig die vermeintlichen »Novemberverbrecher« : »Ein November 1918 wird sich in der deutschen Geschichte niemals wiederholen.« Mit diesem Satz verweigerte er sich 1945 jeglichem Gedanken an eine Kapitulation und mehrte damit die Katastrophe. Hitler legte bereits seinen Putschversuch in München 1923 bewusst auf den Tag der Revolution von 1918. Und auch die organisierten antijüdischen Ausschreitungen, bekannt geworden unter dem zynischem Begriff »Reichskristallnacht«, nahmen 1938 nicht zufällig an diesem Tag ihren Anfang. Ein Jahr später, 21 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, begann Deutschland den neuen Krieg. Aus den schrecklichen Lehren der beiden Weltkriege und den auch in diesem Zusammenhang verübten Völkermorden heraus entstand die Überzeugung der Weltgemeinschaft, dass sich Ähnliches nicht mehr wiederholen darf. Diesem Ziel verpflichtet, verabschiedete die UN-Generalversammlung im Dezember 1948 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Sie jährt sich damit zum 60. Mal, ein Grund für Franz-Joseph Hutter, darauf zurückzublicken. Für Ihr Interesse an der Militärgeschichte dankt © 2008 für alle Beiträge beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung. Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden ISSN 0940-4163 Klaus Storkmann M.A. Hauptmann Inhalt Die Westfront 1918 4 Dr. Dieter Storz, geboren 1958 in Kempfenhausen bei Starnberg, seit 1991 Wissen­ schaftlicher Mitarbeiter des Bayerischen Armee­museums in Ingolstadt Von Gehorsamsverweigerun8 gen zur Revolution. Der Zusammenbruch der Kaiserlichen Marine 1918 Dr. Werner Rahn, geboren 1939 in Ilsenburg/Harz, Kapitän zur See a.D., Amtschef des MGFA 1995 bis 1997 Republikschützer oder Terroristen? Die Freikorpsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg Dr. Franz-Josef Hutter, geboren 1963 in Griesbach/Niederbayern, Politikwissenschaftler, Mitherausgeber und verantwortlicher Redakteur des Jahrbuch Menschenrechte Das historische Stichwort: Hundert Jahre Motorflug in Deutschland. Die Frühzeit der Fliegerei bis 1914 22 Medien online/digital 24 Lesetipp 26 Ausstellungen 28 Geschichte kompakt 30 Militärgeschichte im Bild 50 Jahre »Gorch Fock« 31 14 Am 17. Dezember 1958 wurde die »Gorch Fock« an die Bundesmarine übergeben. Rüdiger Bergien, geboren 1977 in Bad Karlshafen, Doktorand und Wissenschaftlicher ­Mitarbeiter am Historischen Institut der ­Universität Potsdam 60 Jahre Völkermord­ konvention Service Foto: PIZ Marine 18 Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. phil. Dr. rer.pol. habil. Ulrich van der Heyden, Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin; Prof. Dr. Lothar Hilbert, PhD, Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen; Kapitänleutnant Christian Jentzsch M.A., MGFA; Oberleutnant zur See d.R. Anja ­Wegener, MGFA. Bayerisches Armeemuseum Logo der Reihe »Strategie« ­unter Verwendung eines Bildes von bpk/Antikensammlung; Foto: Jürgen Liepe; Gestaltung: MGFA Die Westfront 1918 5 Deutscher Fla-MG-Trupp. Z u Beginn des Jahres 1918 hatte sich die Lage Deutschlands in widersprüchlicher Weise verändert: Durch das Erlöschen der russi­ schen Kampfkraft gelang es erstmals, die Ressourcen des Reichs im Wesentlichen auf die Westfront zu konzentrieren. Andererseits verschob der Kriegs­ eintritt der USA das Kräfteverhältnis endgültig und unumkehrbar zu Deutsch­ lands Ungunsten. Die deutsche Obers­te Heeresleitung (OHL) wollte dieser drohenden Entwicklung durch rasches militärisches Handeln zuvorkommen. Zur siegreichen Beendigung des Krie­ ges musste sie die Gegner eben schlagen, bevor die Amerikaner da waren. Der Faktor Zeit, das war klar, arbeitete dabei gegen die Deutschen. »Das Wort ›Operation‹ verbitte ich mir. Wir hauen ein Loch hinein. Das Weitere findet sich. So haben wir es in Russland auch gemacht!« So formulierte Erich Ludendorff sein Ziel für 1918. Das war nicht gerade subtil ausgedrückt, aber angesichts der bekannten Schwierigkeiten, eine Stellungsfront zu durchbrechen, durchaus logisch: Hätte die deutsche Oberste Die Westfront 1918 Heeresleitung endlich das »Loch«, käme es zu Operationen, und im Bewegungskrieg hielt sich die deutsche Führung für überlegen. Doch fehlten dafür unerlässliche Hilfsmittel: Die Ausstattung der deutschen Armee mit Kraftfahrzeugen war wesentlich schlechter als die der Entente, und die »Pferdelage« war verzweifelt. Ein in der Durchbruchsschlacht erfolgreiches deutsches Heer wäre zum Operieren kaum in der Lage gewesen und sozusagen siegreich liegengeblieben. Deutsche Frühjahrsoffensiven Die spektakulären Erfolge der deutschen Frühjahrsoffensiven mit erheblichen Geländegewinnen, vor allem »Michael« (21.–28. März) und der zweite Vorstoß an die Marne (27. Mai– 9. Juni), verschleierten den Blick auf die strukturelle Unterlegenheit der deutschen Machtmittel. Der operative Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Gedanke hinter den wechselnden deutschen Offensivstößen war der, die britischen und französischen Reserven aufzubrauchen. Reserven bildeten ein Grundelement der Kriegführung in der Materialschlacht: Divisionen, die nicht an der Front festgelegt waren und von der Führung zur Bildung von Schwerpunkten, zur Krisenbeherrschung oder einfach nur zum »Nähren« langer Kämpfe verschoben werden konnten. Solange der Gegner Reserven besaß, konnte man ihn nicht überwältigen. Zum heiß ersehnten letzten Erfolg der deutschen Offensiven wäre es nötig gewesen, die britischen und französischen Reserven zu erschöpfen oder an einen Frontabschnitt zu locken, von dem sie nicht schnell genug an eine überraschend bedrohte andere Stelle verlegt hätten werden können. Am 15. Juli begann eine deutsche Offensive bei Reims, deren Ziel es war, indirekt die feindliche Flandernfront von Reserven zu entblößen, um dann genau dort anzugreifen. Der Vorstoß scheiterte allerdings, und den Alliierten gelang es endlich, ihren seit langem geplanten Gegenstoß zu führen: Am 18. Juli griffen die Franzosen den Frontvorsprung, den die Deutschen an der Marne erkämpft hatten, von zwei Seiten flankierend an: Was bis dahin als ein gefährliches Dreieck in die französische Front geragt hatte, drohte nun zur Falle für die dort eingesetzten deutschen Truppen zu werden. Das wenige Wochen zuvor eroberte Gebiet musste daher geräumt werden. Im äußeren Gang der Dinge markiert diese französische Offensive die Kriegswende an der Westfront: Ab da befanden sich die Deutschen in der Defensive, waren in der damaligen Bildersprache nicht mehr »Hammer«, sondern »Amboss«. Alliierte Gegenoffensiven Immerhin vollzog sich der Rückzug von der Marne noch kontrolliert: Das Tempo bestimmten die Deutschen. Die OHL beurteilte die Lage daher immer noch unrealistisch günstig und wollte erneut zur Offensive übergehen, als die deutsche Front am 8. August bei ­VillersBretonneux, also an der Spitze der Ausbuchtung, welche die deutsche Märzoffensive in die britische Front getrieben hatte, von einem zweiten schwe­ren Schlag getroffen wurde. Briten und Franzosen erzielten dort einen elf Kilometer tiefen Einbruch, konnten 400 Geschütze erbeu­ ten und 13 000 Gefangene machen. Die deutsche Armee erlitt hier ihre schwerste Niederlage seit Kriegsbeginn. Der 8. August wurde zum »schwarzen Tag« des deutschen Heeres und leitete bei der militärischen Führung ein Umdenken ein. Beim Lagevortrag am 10. August sprach der Kaiser selbst die entscheidenden Worte: »Ich sehe ein, wir müssen die Bilanz ziehen. Wir sind an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit. Der Krieg muss beendet werden.« Die Entente setzte ihre am 8. August begonnene Offensive indessen noch vier Wochen fort, und jetzt vermochte der Verteidiger nicht mehr, den Verlauf der Dinge, wenn auch unter Preisgabe von Gelände, zu beherrschen. Das bisherige Kampfverfahren, auf Geländeverluste unverzüglich mit einem Gegenangriff zu reagieren, blieb erfolglos und ging mit einen enormen Kräfteverbrauch einher. Am Ende hatten die Briten den Frontverlauf aus der Zeit vor der deutschen Märzoffensive wiederhergestellt. Die Deutschen verschanzten sich in ihrer alten Position, der »Siegfriedstellung«. Den nächsten Schlag führten die Amerikaner, deren Militärpotenzial in Europa seit dem Frühjahr rasant angewachsen war. Das ihnen gestellte Angriffsziel war der »St. Mihiel-Bogen« südöstlich von Verdun. Der mit enormer Überlegenheit am 12. September unternommene Angriff traf auf abgekämpfte deutsche Stellungsdivisionen, die schon in der folgenden Nacht den Frontvorsprung räumten. 15 000 Gefangene und 400 Geschütze blieben in der Hand des Angreifers. Die anhaltend hohen Geschützverluste der Deutschen im Sommer 1918 waren auch Folge des Pferdemangels, der bei der Preisgabe von Gelände oft dazu zwang, das Geschützmaterial stehen zu lassen. Die markanten Frontvorsprünge waren jetzt beseitigt, und es sah für einige Tage so aus, als kehre die Westfront wieder zum »normalen« Stellungskrieg zurück. Indessen traten bei den Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Die OHL drängt auf ­Verhandlungen Die OHL verlangte angesichts des gegnerischen Ansturms nun geradezu ultimativ Verhandlungen, um zu einem Waffenstillstand zu gelangen. In dem Zusammenhang sollte eine neue Regierung auf der Grundlage einer parlamentarischen Mehrheit gebildet werden, um den Friedenswunsch glaubwürdig erscheinen zu lassen. Am 2. Oktober wurde Prinz Max von Baden zum neuen Reichskanzler ernannt. Zwei Tage später bat das Deutsche Reich den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen. Darin, dass man diesen Adressaten gewählt hatte, drückte sich bereits der Wandel aus, den die Weltordnung durch den Krieg erfahren hatte. Auf den Gang der militärischen Ereignisse an der Westfront hatte dieser Schritt keinen Einfluss. Die amerikanischen Erfolge an der Maas zwangen die Deutschen im Oktober dazu, die seit 1915 immer wieder schwer umkämpfte und stark befestigte Cham­ pagnefront aufzugeben. Die harten Kämpfe beiderseits der Maas hielten bis zum Waffenstillstand an. In Flan­ dern gelang es den Angreifern, die deutschen U-Bootbasen zu erobern, ein Ziel, das die Briten 1917 trotz größter Opfer nicht erreicht hatten. Auch die »Siegfriedstellung« ging verloren. 5Britische Tanks in einem Bereitstellungsraum hinter der Front. Die neuen deutschen Positionen erhielten trutzige Namen wie etwa »Brun­ hild-« oder »Kriemhild-Stellung«, waren aber meist nur Linien im Gelände ohne nennenswerten fortifikatorischen Ausbau, obwohl ein solcher angesichts des massiven Tankeinsatzes der Gegenseite nötiger denn je gewesen wäre. Gegen diese in wachsender Zahl auftretende Waffe musste sich die deutsche Infanterie im offenen Gelände und ohne geeignete Abwehrmittel verteidigen. 400 Tanks griffen am 18. Juli an und über 500 am 8. August. Neue, leichte Typen wie der französische FT-17 bestimmten nun das Bild. Im Januar 1918 besaß Frankreich davon ein Bataillon mit 73 Kampfwagen, im August 15 Bataillone mit 1100 und im November 25 Bataillone mit 2000 Tanks! Weit überlegen war die Entente aber auch in allen anderen Kampfmitteln: Dichte Fliegerschwärme begleiteten die am Boden angreifenden Truppen, trugen Tod und Zerstörung in das Gebiet hinter der Front und legten gleichzeitig die deutsche Luft­aufklärung weitgehend lahm, sodass die höhere Führung im Dunkeln tapp­te. Dank der Tanks sowie ihrer überlegenen Transportkapazität konnten die Ententemächte Of- fensiven rasch vorbereiten, ohne wie früher auf die bis ins Einzelne gehende und zeitraubende Regelung des Artillerieeinsatzes angewiesen zu sein: Neben der für damalige Verhältnisse reichen Ausstattung mit Lastkraftwagen war auch das Eisenbahnnetz auf Seiten der Entente besser ausgebaut als bei den Deutschen. Dieser Vorteil schwand allerdings in dem Maß dahin, in dem die deutsche Front zurückgedrückt wurde: Auf ihrem Rückzug zerstörten die Deutschen die Verkehrsinfrastruktur, was der Nachschuborganisation der Alliierten wachsende Probleme bereitete. In Deutschland verschlechterte sich indessen die »Ersatzlage« dramatisch, also die Fähigkeit, die laufenden schwe­ ren Verluste an Menschen zu ersetzen. Schon die Verluste der Frühjahrsoffensiven konnten nicht mehr ausgeglichen werden. Während es bis einschließlich 1917 gelungen war, die Zahl der operativen Verbände zu vermehren, mussten 1918 insgesamt 29 Divisionen aufgelöst werden, davon neun im August, zwölf im September und fünf im Oktober. Viele Divisionen waren bei Kriegs­ ende nur noch Artillerieverbände mit einer schwachen Infanteriebedeckung. Bayerisches Armeemuseum Verbündeten der Deutschen dramatische Ereignisse ein: Am 19. September begann ein britischer Großangriff in Palästina, wo die türkische Front sofort zusammenbrach. Dieses Schicksal ereilte auch die Front in Mazedonien, sodass das mit Deutschland verbündete Bulgarien am 25. September um einen Waffenstillstand bitten musste. In dieser Lage begann eine bis zum Kriegsende anhaltende britisch-französisch-amerikanisch-belgische Generaloffensive an der Westfront. Den Anfang machte am 26. September ein französisch-amerikanischer Großangriff zwischen Reims und der Maas. Am folgenden Tag gingen Briten und Franzosen gegen die »Siegfriedstellung« vor und noch einen Tag später schritten Belgier, Briten und Franzosen in Flandern zum Angriff. ullstein bild Die Westfront 1918 5Rastende deutsche MG-Kompanie. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Dem Ende entgegen Die täglich demonstrierte enorme Über­ legenheit des Gegners ließ am Kriegsausgang keinen Zweifel mehr. Der Anteil der Gefangenen an den anhaltend hohen deutschen Verlusten seit dem Sommer 1918 machte fast die Hälfte aus und zeugt vom rapiden Nachlassen des Kampfwillens der auch nach den Maßstäben dieses Krieges völlig überanstrengten Truppe, die zwischen den schweren Kämpfen keine Zeit mehr erhielt, sich zu erholen. Soldaten gingen aber nicht nur nach vorn verloren, sondern entzogen sich auch im Hinterland als »Abgekommene« und »Versprengte« den militärischen Strukturen. Die Zahl derjenigen, die solcherart für den Militärapparat nicht mehr verfügbar waren, lässt sich nicht mehr feststellen, betrug aber sicher mehrere Hunderttausend. Jede Armee beruht auf der Herrschaft über Menschen, die durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam hergestellt wird. Im Sommer 1918 wurde die Kriegsmüdigkeit so groß, dass die Führung dieses Machtverhältnis nicht länger durchsetzen konnte. Mit der sorgfältig gedrillten Friedensarmee von 1914 hatten die Truppen des Herbstes 1918 nur noch wenig gemeinsam. In der letzten großen Abwehrschlacht des Krieges folgte die OHL dem Prinzip, um jeden Fußbreit Boden zu kämpfen. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen hoffte sie, bei Friedensverhandlungen umso besser dazustehen, je mehr Gebiet man noch besetzt hielt, und zum anderen fürchtete sie den verheerenden Eindruck, den ein Rückzug, auch wenn er militärisch geboten war, auf die Stimmung im eigenen Land und bei den Verbündeten machen würde. Diese Kampfweise war aber mit einem rasanten Verbrauch der Deutschland noch verbliebenen Ressourcen verbunden. Das Verlangen der Front, sich vom Gegner abzusetzen, um der Truppe ein wenig Ruhe zu geben und günstigere Verteidigungspositionen einzunehmen, lehnte Ludendorff bis zuletzt ab. Seine Tage an der Spitze der OHL waren allerdings gezählt. Nach einem schweren Zusammenstoß mit dem neuen Reichskanzler erbat und erhielt Ludendorff am 26. Oktober den Abschied. An seine Stelle trat General Wilhelm Groener. »Während meines stundenlangen Wartens auf dem Bahnhof Bohain sammelte sich ein merkwürdiges Gemisch von Verwundeten und ›Verstreuten‹ an, die offenbar auf eigene Faust in die Heimat zurückzukehren beabsichtigten. Unvergesslich bleibt mir das Verhalten eines Unteroffiziers vom pommerschen Grenadierregiment, dem ein Auge ausgeschossen war. Ich hatte Mühe, ihn zu überreden, mitzufahren. Er wollte zurück zur Front, dort den Tod suchen, weil er die Schande des Aufgebens der Siegfried-Stellung an ihren entscheidenden Punkten nicht überleben wollte.« Heinrich Brüning, Memoiren. 1918–1934, Stuttgart 1970, S. 21 f. Brüning war im letzten Kriegsjahr Kompanieführer in einer MG-Scharfschützenabteilung. Die von ihm beschriebene Episode lässt sich auf den 30. September datieren. Von 1930 bis 1932 war Brüning Kanzler des Deutschen Reichs. Dieser lehnte zunächst aus ähnlichen Gründen wie Ludendorff jeden Rückzug ab. Während des Notenwechsels mit Wilson sollte der Eindruck deutscher Schwäche vermieden werden. Weitere Schlappen bei Vorstößen des Gegners erzwangen aber schließlich eine großräumige Absetzbewegung: Am 4. November leitete die OHL den Rückmarsch in die sogenannte Maas– Antwerpen-Stellung ein. Damit wurde noch einmal soviel Gebiet aufgegeben, wie seit dem September verloren gegangen war. Wenn der Rückzug in die Antwerpen-Maas-Stellung auch die Aussicht auf eine befristete Entspannung im Westen eröffnete, so hatte sich die Lage des Deutschen Reiches insgesamt im Oktober weiter drastisch verschlechtert: In diesem Monat brach ÖsterreichUngarn auseinander, dessen Soldaten sich jetzt nach Nationalitäten sortierten und in die neu sich bildenden Staaten zurückströmten. Am 28. Oktober bat Wien um Waffenstillstand. Am 31. Oktober schied das Osmanische Reich aus dem Krieg aus. Deutschland stand jetzt ohne Verbündete und mit einer ungeschützten Süd- und Südostgrenze da. Wenige Tage später brach die bisherige innere Ordnung des Deutschen Reichs zusammen. Ausgehend von der Marine breitete sich eine revolutionäre Bewegung wie ein Naturereignis im ganzen Land aus. Throne und Thrön­ chen stürzten. Der Reichskanzler, immer noch Max von Baden, forderte dringend die Abdankung Wilhelms II., um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Als dieser zögerte, verkündete der Kanzler am 9. November eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers. Zugleich wurde an diesem Tag in Berlin die Republik ausgerufen. SPD und USPD bildeten eine neue Regierung. Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, den noch Max von Baden zum Leiter der deutschen Waffenstillstandskommission ernannt hatte, musste am 11. November im Wald von Com­piègne die alliierten Waffenstillstandsbedingungen unterschreiben. Faktisch handelte es sich dabei um eine bedingungs­ lose Kapitulation. Dieter Storz Literaturtipps Peter Graf Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, 2. Aufl., Stuttgart 1980. Jörg Duppler und Gerhard P. Groß (Hrsg.), Kriegsende 1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, München 1999. 6 Westfront 1918: Erschöpfter deutscher Soldat. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 ullstein bild Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution ullstein bild Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution Der Zusammenbruch der Kaiserlichen Marine 1918 5 Ansprache Gustav Noskes zu den U-Boot-Besatzungen in Kiel am 29. November 1918. »Die Gehorsamspflicht muss als hohe Notwendigkeit in die Leute hineinge­ legt werden, wenn wir von ihrer Pflicht­ erfüllung Großes erwarten wollen. Da­ raus ergibt sich, dass der Vorgesetzte dem Mann Vertrauen einflößen muss, Vertrauen in sein Können und Ver­ trauen als Mensch. Erst das gegensei­ tige Vertrauen von Offizieren und Mannschaften gibt einer Besatzung die feste, frohe Überzeugung, alles leisten zu können. Im Vertrauen wur­ zelt die freudige Disziplin.« S o heißt es in einem für Fähnriche der Marineschule bestimmten »Leitfaden für den Unterricht in Dienstkenntnis«, der im März 1914 erschienen war. Ab Sommer 1917 konnte auf vielen Einheiten der Hochseeflotte von einer »freudigen Disziplin« der Mannschaften nicht mehr die Rede sein. Ende Oktober/Anfang November 1918 brach innerhalb weniger Tage die innere Struktur der so mächtigen Kaiserlichen Marine wie ein Kartenhaus zusammen. Wie konnte das geschehen? Die mit großen Erwartungen gebaute Hochseeflotte bewirkte im Ersten Weltkrieg als modernes Kriegsinstrument keine strategische Entscheidung, sondern erfüllte in erster Linie die Funktion einer »Fleet in being«, die allein durch ihre Präsenz britische Kräfte in der Nordsee band, die Ostseezugänge blockierte und den U-Booten die Auslaufwege freihielt. Dieser defensive Einsatz mit der Schwerpunktverlagerung des Seekrieges auf die leichten Streitkräfte und U-Boote erschütterte das Selbstbewusstsein des Seeoffizierkorps, das sich intensiv auf eine »Entscheidungsschlacht« vorbereitet hatte. Nunmehr standen die Offiziere vor der schwierigen Führungsaufgabe, den Bereitschaftsdienst der Flotte so zu gestalten, dass die Leistungsfähigkeit der Schiffe und Verbände über längere Zeit Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 erhalten blieb. Die Behandlung und Motivation der Mannschaften, die als Wehrpflichtige teilweise schon jahrelang in den beengten Verhältnissen an Bord lebten, spielten dabei eine entscheidende Rolle. Diese Führungsprobleme wurden von den verantwortlichen Befehlshabern und Kommandanten erheblich unterschätzt. Es gelang ihnen nicht, den ereignisarmen Bereitschaftsdienst an Bord der großen Einheiten mit mehr als 1000 Mann Besatzung so abwechslungsreich zu gestalten, dass Disziplin und Zuverlässigkeit der Mannschaften auf einem hohen Stand blieben. Ein häufiger Personalwechsel, der durch die vermehrte Indienststellung von U-Booten notwendig wurde, hatte zur Folge, dass viele Einheiten jüngere Offiziere abgeben mussten, die im täglichen Dienstbetrieb den engsten Kontakt zu den Mannschaften hatten. Als Ersatz kamen oft Reserveoffiziere oder 6Admiral Reinhard Scheer (1863–1928), seit 30. Oktober 1918 Gouverneur von Kiel. 1918 Chef der Seekriegsleitung. Beide ullstein bild 6Admiral Wilhelm Souchon (1864–1946), junge Fähnriche bzw. Leutnante. An Bord der großen Einheiten nahmen die Offiziere eine Sonderstellung ein, zum Beispiel erhielten sie eine andere, meist bessere Verpflegung als die Mannschaften. Dadurch verschärften sich die Gegensätze, was wesentlich dazu beitrug, dass die Vertrauensbasis allmählich verloren ging. Demgegenüber traten diese Gegensätze bei den kleineren Einheiten wie U-Booten, Torpedobooten und Minensuchbooten nicht auf. Auf diesen Einheiten lebte der Offizier mit seinen Leuten, war ständig der gleichen Gefahr ausgesetzt und erhielt auch keine gesonderte Verpflegung. So entstand ein kameradschaftliches Gemeinschaftsgefühl, das eine wesentliche Grundlage für Zuverlässigkeit und Erfolg war. Im Sommer 1917 kam es auf einigen Einheiten der Flotte aus geringfügigen Anlässen zu ersten offenen Gehorsams­ verweigerungen. Die Marineführung griff mit Kriegsgerichtsverfahren scharf durch und ließ am 5. September 1917 die Todesurteile gegen den Heizer Albin Köbis und den Matrosen Max Reich­ pietsch vollstrecken [siehe S. 12]. Dies war – nicht nur juristisch – eine schwerwiegende Fehlentscheidung. Die tieferen Ursachen, die zu dem Vertrauensverlust zwischen Offizieren und Mannschaften geführt hatten, wur­den nicht erkannt geschweige denn beseitigt. Die Härte des Vorgehens löste bei den Mannschaften Verbitterung aus. Mehr und mehr setzte ein schleichender Verfall der Disziplin auf den Schiffen ein. »Endkampf« statt ­Waffenstillstand Im Sommer 1918 gelang es der Marineführung, eine »Seekriegsleitung« durchzusetzen, deren Chef der bisherige Flottenchef, Admiral Reinhard Scheer wurde. Als Scheer – in Verkennung der inneren Lage der Marine – in der Schlussphase des Krieges seine neue Kompetenz für einen Flotteneinsatz nutzen wollte, manövrierte er sie in die Krise. Im Herbst 1918 stand das Reich an allen Fronten vor der militärischen Niederlage, was die Oberste Heeresleitung allerdings wochenlang verschleiert hatte. Zur Überraschung der Reichsleitung forderte sie Ende September 1918 einen sofortigen Waffenstillstand, um einen Zusammenbruch der Front zu vermeiden. Jetzt wurde führenden Seeoffizieren bewusst, dass die Marine den Krieg beenden musste, ohne dessen Verlauf wesentlich beeinflusst zu haben. Die künftige Existenz der Flotte schien in Frage gestellt. Aus dieser Überlegung entstand der Gedanke eines letzten Flotteneinsatzes, den die Seekriegsleitung wie folgt begründete: »Es ist unmöglich, dass die Flotte alsdann in dem Endkampf, der einem baldigen oder späteren Waffenstillstand vorausgeht, untätig bleibt. Sie muss eingesetzt werden. Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischem Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.« Der geplanten Flottenvorstoß sollte am 30. Oktober entlang der holländischen Küste in den Ärmelkanal und die Themsemündung führen, um Abwehrmaßnahmen der britischen Flotte zu provozieren. Man hoffte, am Abend des zweiten Operationstages Teile der feindlichen Flotte zur Schlacht stellen zu können. Eine derartige Operation musste jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf die bevorstehenden Waffenstillstandsverhandlungen haben. Eine Abstimmung mit der Reichsleitung wäre daher zwingend erforderlich gewesen. Das geschah jedoch nicht. Mit der irrationalen Vorstellung, dass die Marine einen Waffenstillstand nicht nötig habe, sahen führende Seeoffiziere das Schicksal der Marine völlig isoliert von der Gesamtlage des Reiches. Ihr Vorgehen stand im Widerspruch zu der auf Kriegsbeendigung abzielenden Politik der neuen, ab Oktober auf parlamentarischer Grundlage gebildeten Regierung des Reichskanzlers Prinz Max von Baden, an der erstmals auch Sozialdemokraten beteiligt waren. Im Sommer 1918 hatte ein umfassender Personalwechsel bei den Offizieren die innere Struktur der Flotte geschwächt. Fast die Hälfte aller Großkampfschiffe und Kreuzer erhielten neue Kommandanten bzw. I. Offiziere. Doch der Chef des Stabes des Kommandos der Hochseestreitkräfte, Konteradmiral Adolf von Trotha, erklärte am 16. Oktober, die Flotte sei für eine größere Operation personell und materiell uneingeschränkt einsatzbereit. Diese Lagebeurteilung war für den weiteren Verlauf der Ereignisse verhängnisvoll. Gehorsamsverweigerungen auf den Schiffen vor Wilhelmshaven Die Operationsplanung für den Flottenvorstoß lief wie üblich unter strenger Geheimhaltung. Eine auch nur allgemein gehaltene Unterrichtung der Besatzungen über die Lage unterblieb, was sich als ein folgenschweres Versäumnis erwies, denn bestimmte Vorbereitungen (z.B. Beladung mit Minen, Zusammenziehung der Verbände auf der Jade) konnten nicht geheim bleiben. Da die Mannschaften von ih- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 ullstein bild Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution 5 Besatzungen entladen Munition von den Großkampfschiffen in Wilhelmshaven, ­Anfang November 1918. ren Vorgesetzten keine Informationen erhielten, sie durch die Presse jedoch über den deutschen Wunsch nach Waffenstillstand unterrichtet waren, sahen sie in der geplanten Operation ein eigenmächtiges Vorgehen der Offiziere, das mit den eigenen Friedenserwartungen nicht mehr zu vereinbaren war. Erneut wurde die Vertrauensbasis erschüttert. Es verbreitete sich schnell das Gerücht von einem bevorstehenden riskanten Einsatz. Verhalten und Äußerungen einzelner Offiziere verstärkten noch den Eindruck von einer geplanten »letzten Schlacht« oder »Todesfahrt«. So ließ der Kommandant des Schlachtkreuzers »Derfflinger«, Kapitän zur See Hans Carl von Schlick, einen Tag vor dem geplanten Auslaufen sein gesamtes persönliches Eigentum von Bord schaffen. Diese Maßnahme verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Schiff. Bereits am 27. Oktober 1918 verweigerten Teile der Besatzungen der vor Wilhelmshaven auf Reede liegenden Einheiten der Flotte den Gehorsam und leisteten passiven Widerstand, um ein Auslaufen zu verhindern. Obwohl den Befehlshabern diese Vorfälle bekannt waren, setzten sie die Einsatzvorbereitungen fort und trafen keine ernsthaften Maßnahmen, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen. Die Gehorsamsverweigerungen erreichten am Abend des 29. Oktober, d.h. wenige Stunden vor dem geplanten Auslaufen, ihren Höhepunkt, sodass der Chef 10 des III. Geschwaders, Vizeadmiral Hugo Kraft, dem Flottenchef, Admiral Franz Ritter von Hipper, melden musste, dass sein Geschwader (fünf Großkampfschiffe) nicht auslaufen könne. Als auch noch andere Befehlshaber die Zuverlässigkeit ihrer Verbände bezweifelten, ließ Hipper am 30. Oktober den Operationsplan fallen und befahl einen Vorstoß der U-Boote mit dem I. Geschwader (sieben Großkampfschiffe) als Rückhalt. Gleichzeitig ließ er an die Mannschaften einen Aufruf verbreiten, in dem die Absicht eines »nutzlosen Kampfes« abgestritten, die Notwendigkeit der Abwehr feindlicher Angriffe hervorgehoben und der gemeinsame Friedenwille von Regierung, Volk und Offizieren betont wurden. Doch dieser Appell hatte keine beruhigende Wirkung mehr. Im I. Geschwader verhinderten am 31. Oktober die Mannschaften verschiedener Schiffe ebenfalls das Auslaufen, sodass Hipper sich gezwungen sah, auch diesen Auslaufbefehl zu widerrufen. Um die Verbindungsaufnahme der meutern­ den Besatzungsteile untereinander zu verhindern und um Ordnung und Disziplin wieder herzustellen, entschied sich Hipper für eine Auflockerung der Verbände. Darüber hinaus befahl er, den Widerstand der Besatzungen des I. Geschwaders unter Androhung von Waffengewalt durch Torpedoboote und U-Boote zu brechen. Eine blutige Auseinandersetzung blieb jedoch aus, da sich die meuternden Besatzungs- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 teile im letzten Moment widerstandslos festnehmen ließen. Allein von dem Linienschiff »Thüringen« (24 000 t, 1200 Mann Besatzung) wurden etwa 400 Mann, bewacht von Seesoldaten, mit einem Dampfer nach Wilhelmshaven gebracht. Doch die angestrebte Beruhigung der aufgebrachten Gemüter schlug fehl. Die noch teilweise vorhandene Autorität der Offiziere schwand von Stunde zu Stunde. Für den weiteren Gang der Ereignisse spielte die Verlegung des III. Geschwaders mit fünf Linienschiffen und etwa 5800 Mann von Wilhelmshaven nach Kiel eine zentrale Rolle. Der Geschwaderchef, Vizeadmiral Hugo Kraft, hatte gegenüber Hipper die Auffassung vertreten, dass seine Besatzungen in letzter Zeit zu wenig in ihrem Heimathafen Kiel gelegen hätten. Wenn er seine Schiffe dorthin verlegen könnte, würde er die Mannschaften schon wieder fest in die Hand bekommen. Hipper ging darauf ein und entließ das Geschwader am 31. Ok­ tober nach Kiel. Schon während der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal ließ Kraft etwa 47 Mann als vermeintliche Rädelsführer verhaften und in Kiel am 1. November in Arrestanstalten abführen. Diese Einschüchterungsmaßnahme bewirkte jedoch, dass sich die Unruhe und Gehorsamsverweigerungen unter den Besatzungen weiter ausdehnten. Die noch teilweise vorhandene Autorität der Vorgesetzten ging völlig verloren. Die Ereignisse in Kiel nen und auf den Schiffen die Initiative an sich. Gleichzeitig traten die Werftarbeiter in einen Sympathiestreik. Ohne Rückhalt bei der Bevölkerung und ohne zuverlässige Truppen sah sich Admiral Souchon gezwungen, mit Vertretern des Soldatenrates und der Arbeiterschaft zu verhandeln, um durch Zugeständnisse, zum Beispiel Freilassung eines Teils der Inhaftierten des III. Geschwaders, eine weitere Eskalation der Unruhen zu verhindern. Noske greift ein Noch am 4. November entsandte die Reichsregierung den Staatssekretär Conrad Haußmann und den SPD-Abgeordneten Gustav Noske nach Kiel. Sie sollten die Vorfälle untersuchen und möglichst die Ordnung wiederherstellen. Als sie am Abend in Kiel eintrafen, wurden sie von den revoltierenden Matrosen und streikenden Arbeitern stürmisch begrüßt. Zunächst gelang es ihnen nicht, einen klaren Überblick über die verworrene Lage in der Stadt zu gewinnen. Noske bewährte sich sogleich in spontanen Ansprachen, in denen er die Soldaten und Arbeiter zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung aufforderte. Am nächsten Tag (5. November) wehten auf allen Schiffen die roten Flaggen als Siegessymbol der Soldatenräte. Ledigullstein bild Während es in Wilhelmshaven bis zum 5. November noch relativ ruhig blieb, überstürzten sich in Kiel die Ereignisse. Dort hatte sich bereits im Laufe des Oktobers die Disziplinarlage zugespitzt, da zahlreiche Mannschaften aus den inzwischen geräumten Stützpunkten in Flandern eingetroffen waren. Der Gouverneur und Stationschef, Admiral Gustav Bachmann, hatte schon am 18. Oktober mit ernster Besorgnis ein Nachlassen der Disziplin festgestellt und daher die Offiziere seines Befehlsbereichs ermahnt, dass sie als Vorgesetzte gerade in schwieriger Zeit durch ihre Persönlichkeit und das eigene gute Beispiel auf ihre Untergebenen einzuwirken hätten. Doch seine Ermahnungen blieben ohne Wirkung. In Verkennung der kritischen Lage hatte das Kaiserliche Marinekabinett für Ende Oktober 1918 eine Ablösung Bachmanns durch Admiral Wilhelm Souchon veranlasst, der am 30. Oktober seinen Posten als Gouverneur antrat. Mit der Ankunft des III. Geschwaders am 1. November eskalierte die Rebellion, da das Geschwader nicht isoliert wurde, sondern die wachfreien Mannschaften Landgang erhielten. Sie konnten somit unverzüglich Kontakt mit anderen Truppenteilen sowie mit der Arbeiterschaft aufnehmen und auf Protestversammlungen Maßnahmen zur Befreiung ihrer inhaftierten Kameraden beraten. Angesichts der kritischen Lage entschloss sich das Stationskommando am 3. November, alle Militärangehörigen durch einen Stadtalarm an ihre Einheiten und Kommandos zu binden. Gleichzeitig ging ein erster Bericht nach Berlin, in dem um die Entsendung eines »hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten« gebeten wurde, »um im Sinne der Vermeidung von Revolution und Revolte zu sprechen«. Allein diese Wortwahl zeigt, welche Dimension von Unruhen das Stationskommando bereits befürchtete. Der am Nachmittag ausgelöste Stadtalarm wirkte nicht beruhigend, sondern heizte die Stimmung weiter an. Es kam zu einer großen Protestversammlung und zu einem Demonstrationszug von Soldaten und Arbeitern durch die Innenstadt. Nachdem bereits mehrere Patrouillen und Offiziere von Demonstranten entwaffnet worden waren, gab es einen blutigen Zwischenfall, als eine Militärpatrouille nach einigen wirkungslosen Warnschüssen direkt in die Menge feuerte: acht Tote und 29 Verwundete fielen der Schießerei zum Opfer. Der Zwischenfall löste bei den Mannschaften einen spontanen Solidarisierungsprozess und die Flucht nach vorn aus. Am 4. November 1918 bewaffneten sie sich, bildeten Soldatenräte und rissen in der Stadt, in den Kaser- 5 Mannschaften nach der Erstürmung des Marine-Militärgefängnisses in Wilhelmshaven, Anfang November 1918. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 11 4Albin Köbis (1892–1917). Marineschule Mürwik/WGAZ Von Gehorsamsverweigerungen zur Revolution 3Max Reichpietsch (1894–1917). ­Die Marineunruhen 1917 Anfang 1917 befand sich Deutschland im dritten Kriegsjahr und die vor dem Krieg gefeierte Hochseeflotte war -– bis auf die Skagerrakschlacht – kaum zum Einsatz gekommen. Auf den Großkampfschiffen waren bis zu 1000 Matrosen und Heizer in sehr bedrängten Verhältnissen untergebracht und verrichteten einen meist monotonen Dienst, um die Flotte einsatzbereit zu halten. Die Untätigkeit der Flotte frustrierte das Offizierkorps. Unter dem Eindruck der scheinbaren Nutzlosigkeit des Dienstes wuchs unter den Mannschaften ein Gefühl der Unzufriedenheit. Als Folge der schlechten Versorgungslage im »Steckrübenwinter« 1916/17 gab es auch bei der Bordverpflegung Probleme, was sich dramatisch auf die Stimmung der Mannschaf­ ten auswirkte. Dies wurde zum Katalysator für eine weit verbreitet Missstimmung, die im Frühsommer 1917 auf einigen Einheiten zu ersten Unruhen führte. Um die Ver­sorgungsprobleme in den Griff zu bekommen, setzte die Marineführung Menagekommissionen unter Beteiligung der Unteroffiziere und Mannschaften ein; auf einigen Einheiten sind die Kommissionen auch von den Besatzungen gewählt worden. In diesen Gremien wurden auch aktuelle politische Probleme diskutiert. Einige Mannschaften nahmen während ihres Urlaubs Kontakte zu Politikern der USPD – die sich 1917 von der SPD abgespaltet hatte – in Berlin auf und trugen dort ihre Probleme vor. Die Vertreter dieser pazifistisch geprägten Partei rieten jedoch zur Vorsicht. Auf dem Flottenflagschiff »Friedrich der Große« bildete sich um den Matrosen Max Reichpietsch und den Heizer Willy Sachse eine Gruppe, welche die Mannschaftsbeschwerden aufgriff und Friedenspropaganda betrieb. Auf »Prinzregent Luitpold« entstand um die Heizer Wilhelm Beckers und Albin Köbis eine ähnliche Gruppierung. Der gärende Unmut schlug Anfang Juni auf diesem Linienschiff in einen Hungerstreik um, der jedoch von der Schiffsführung noch beigelegt werden konnte. Die eigentlichen Unruhen brachen dann am 1. August wieder auf diesem Schiff aus, nachdem 49 Heizer mit einer für sie ungünstigen Dienstplanänderung nicht einverstanden gewesen waren und daraufhin eigenmächtig von Bord gingen. Nach ihrer Rückkehr wurden elf Heizer in Arrest genommen, was den Unmut der Besatzung nur noch steigerte. Am 2. August verließen 400 bis 600 Mann die »Prinzregent Luitpold«, begaben sich nach Rüstersiel, wo Köbis eine flammende Rede gegen den Krieg hielt. Noch innerhalb der Bereitschaftszeit von drei Stunden kehrten die Matrosen und Heizer geordnet an Bord zurück, um sich nicht der Meuterei schuldig zu machen. Weitere Sympathiebewegungen auf anderen Schiffen der Hochseeflotte wurden im Keim erstickt. Das Kommando der Hochseestreitkräfte eröffnete am 25. August die ersten Kriegsgerichtsverfahren gegen die vermeintlichen Rädelsführer unter den Mannschaften. Die Anklage lautete auf Landesverrat und »kriegsverräterische Aufstands­ erregung«. Von fünf verhängten Todesurteilen bestätigte der Flottenchef, Admiral Reinhard Scheer, als Gerichtsherr trotz erheblicher Bedenken seitens der Marinejus­ tiz, zwei Urteile und milderte die anderen Urteile in hohe Zuchthausstrafen ab. Max Reichpietsch und Albin Köbis wurden am 5. September 1917 auf dem Schießstand der Wahner Heide bei Köln erschossen. Die Marineführung erfasste nicht die eigentlichen Ursachen für den Zerfall der Disziplin unter den Mannschaften, sondern vermutete die USPD und deren Anhänger als Urheber der Unruhen. Diese Haltung führte noch im Oktober 1917 zu innenpolitischen Verwicklungen. Marineführung und Offizierkorps bemühten sich kaum um eine Lösung der Führungsprobleme; so wurde die Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften noch nicht einmal im Ansatz überbrückt, wie die Ereignisse im Oktober/November 1918 zeigen sollten. Erinnerung und Gedenken an die Unruhen vom Sommer 1917 und ihre Opfer setzen erst sehr viel später ein. 1947 wurde das Berliner Tirpitzufer in Reichpietschufer umbenannt, an dem heute auch das Verteidigungsministerium liegt. Köbis und Reichpietsch stellten auch einen wichtigen Teil der Traditionslinie der Volksmarine der NVA dar. Erst 1999 wurde in Kiel ein Platz nach Reichpietsch benannt. Auf dem Gelände des Luftwaffenamtes in Köln-Wahn steht heute ein Gedenkstein für die dort hingerichteten zwei Matrosen. Christian Jentzsch 12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 lich an Bord des in einem Dock liegenden Linienschiffes »König« (28 000 t, etwa 1200 Mann Besatzung) kam es morgens vor der üblichen Flaggenparade zu einem blutigen Zwischenfall, als der Kommandant, Kapitän zur See Karl Weniger, mit einigen Offizieren die von ihm vorzeitig gesetzte Kriegsflagge verteidigte. Zwei seiner Offiziere wurden durch Gewehrschüsse von Land aus tödlich verletzt. Der ebenfalls schwer verwundete Weniger erschoss noch einen Obermatrosen, als dieser versuchte, die Kriegsflagge niederzuholen, und brach dann bewusstlos zusammen. Dieser Zwischenfall ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Weniger war der einzige Kommandant der gesamten Hochseeflotte, der in diesen kritischen Tagen das Setzen der roten Flagge unter Einsatz seines Lebens zu verhindern suchte. Dieses singuläre Verhalten zeigt, dass das übrige Offizierkorps offensichtlich bereits weitgehend resigniert und jegliche Initiative und Führungskraft verloren hatte. Es war nicht mehr bereit, sich für die bisherigen Ideale, wie Monarchie und »Flaggenehre«, einzusetzen. Zum anderen ist hervorzuheben, dass bei den Mannschaften und Soldatenräten kein Rachegefühl mit Selbstjustiz aufkam, obwohl Weniger einen Matrosen getötet hatte. Der Soldatenrat veranlasste vielmehr den Abtransport der Verwundeten in das Lazarett und unternahm auch später nichts gegen Weniger, als dieser wieder genesen war. Die Ereignisse in Wilhelmshaven Nachdem in Wilhelmshaven die Kieler Vorgänge bekannt geworden waren, erlosch auch hier die letzte Befehlsgewalt der Offiziere. Am 5. und 6. November verließen die Mannschaften ihre Schiffe, zogen gemeinsam mit Werftarbeitern in Demonstrationsmärschen durch die Stadt und befreiten ihre Kameraden aus den Arrestanstalten, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen. Als der Chef der Marinestation, Admiral Günther von Krosigk, erkannte, dass ihm keine Machtmittel mehr zur Verfügung standen, verhandelte er umgehend mit einer Abordnung der Mannschaften und übermittelte ihre Forderungen, die noch keine politische Zielsetzung hat- Süddeutsche Zeitung Photo 5 Ein Matrose der Hochseeflotte mit einer roten Fahne an der Spitze eines Demon­stra­­ tionszuges in Berlin, November 1918. Zeit existierte und von der neuen provisorischen Regierung in Berlin, dem Rat der Volksbeauftragten, nicht anerkannt wurde. Ruhe in Kiel, Revolution in Deutschland Obwohl die revoltierenden Mannschaften die rote Fahne zu ihrem Symbol erhoben hatten und ihnen die Macht in Kiel ohne große Kraftanstrengung in den Schoß gefallen war, blieben ihre ersten spontanen politischen und militärischen Forderungen gemäßigt: Die Matrosen forderten zwar die Abdankung der Hohenzollern, doch Süddeutsche Zeitung Photo ten, an die Reichsregierung. Nach Übernahme der vollziehenden Gewalt durch einen Arbeiter- und Soldatenrat (21er-Rat) am 7. November konnte der Stationschef zwar in seiner Dienststellung verbleiben, musste aber den sozial­ demokratischen Vorsitzenden des 21erRates, den Oberheizer Bernhard Kuhnt, als politischen Beigeordneten akzeptieren. Bei den übrigen Kommando- und Verwaltungsbehörden der Marine lief der Dienstbetrieb unter Aufsicht des 21er-Rates weiter. Im Laufe der weiteren Entwicklung kam es am 11. November in Wilhelmshaven zur Ausrufung einer »Republik Oldenburg-Ostfriesland«, die allerdings nur kurze dachten sie anfangs weder an die Errichtung einer Republik noch gar an die Einführung des Sozialismus. Militärische Führungsprobleme, wie »sachgemäße Behandlung der Mannschaften durch Vorgesetzte«, standen im Mittelpunkt ihrer ersten Forderungen. Nachdem Noske bereits am 5. November in Kiel festgestellt hatte, dass es eine zentrale Führung der Revolte und Streikbewegung nicht gab, fiel ihm wegen seines energischen Einsatzes für Ordnung und Disziplin die Leitung wie von selbst zu. Es gelang ihm am 7. November, Souchon zum Rücktritt zu bewegen und mit Unterstützung des Soldatenrates als Gouverneur die gesamte Befehls- und Regierungsgewalt in Kiel zu übernehmen. Aufgrund seiner Tatkraft, seines Elans und persönlichen Einsatzes verschaffte er sich in kurzer Zeit sowohl bei den Mannschaften und Arbeitern als auch bei den Offizieren die notwendige Autorität, um in Kiel wieder halbwegs geordnete Zustände herzustellen, die für die kurzfristige Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen, d.h. vor allem für die Überführung großer Teile der Hochseeflotte nach Scapa Flow, erforderlich waren. Noske »bildete gewissermaßen die Klammer zwischen den verschiedenen Kräften des neuen Systems, [er] war aber auch das entscheidende Bindeglied zu den Exponenten der alten Ordnung« (Dähnhardt). Allerdings hatten bereits zahlreiche Angehörige der Marine inzwischen die Stadt verlassen und die Unruhen auf andere Teile des Reiches übertragen. Die Wellen der Revolution erreichten eine Stadt nach der anderen, am 9. November auch Berlin. Aus dem Kaiserreich wurde eine Republik. Werner Rahn Lesetipps: 5Revoltierende Matrosen übernehmen die Schlosswache am Berliner Stadtschloss, November 1918. Dirk Dähnhardt, Revolution in Kiel. Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik 1918/1919, Neumünster 1978. Wolfgang Günther, Die Revolution von 1918/19 in Oldenburg, Oldenburg 1979. Jörg Duppler und Gerhard P. Groß (Hrsg.), Kriegsende 1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, München 1999 (= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 53). Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 2. Aufl., Düsseldorf 1988. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 13 ullstein-bild – SV-Bilderdienst Freikorps 1918–1920 Nach der Niederschlagung der Münchner Räteregierung durch ­Freikorps werden gefangene Angehörige der »Roten Armee« durch München abgeführt, Mai 1919. W aren die Freikorps der Jahre 1918 bis 1920 für die Weimarer Republik Fluch oder Segen? Einerseits stellten die Freiwilligenverbände in der prekären innenund außenpolitischen Situation der ersten Hälfte des Jahres 1919 die Überlebensgarantie der republikanischen Staatsform dar. Andererseits waren es Freikorps, welche die Republik im März 1920 durch die Unterstützung des Kapp-Lüttwitz-Putsches an den Abgrund brachten, und es waren ehemalige Freikorpssoldaten, die in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren den aktivistischen Kern jener paramilitärischen Wehrbewegung bildeten, die maßgeblich zur inneren Auflösung der Republik beitrug. Doch eine echte Alternative zum Freikorpssystem gab es vor dem Hintergrund von Revolution und der rasanten Auflösung des Feldheeres nicht. In den Wochen nach dem 9. November 1918 konnte kein neues, gar republikanisches Militärsystem eingeführt werden. Auf lokaler Ebene, in den Kasernen und Garnisonsstädten wurden bereits seit Ende November Freiwillige für militärische Einheiten angeworben. Als das preußische Kriegsministerium am 24. Dezember 1918 die Generalkommandos anwies, die Aufstellung von Freiwilligenverbänden mit allen 14 Republikschützer oder Terroristen? Die Freikorpsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg Mitteln zu fördern, hatte die paramilitärische Selbstmobilisierung »von unten« bereits eine beachtliche Dynamik entwickelt. Diese Dynamik bestimmte die Entscheidungen der Übergangsregierung des Rats der Volksbeauftragten, der sich aus Vertretern von SPD und USPD zusammensetzte, und der Obersten Heeresleitung (OHL). Anwerbung von Freiwilligen Bereits Mitte Dezember wurden reichsweit in Bahnhöfen, Gasthäusern oder Hotels Freiwilligenannahmestellen ein­ gerichtet. An Litfaßsäulen und Hauswänden warben Werbeplakate für Freikorpsformationen. Deren Aufstellung Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 selbst lief, wie Reichswehrminister Gus­ tav Noske später zugestand, »nicht anders als bei Wallenstein« ab: Ein pro­ minenter Frontoffizier, beispielsweise der »Held von Verdun« und Pour-le­Mérite-Träger Hauptmann Cordt von Brandis, quartierte sich in einem Gasthaus oder einer Garnison ein, schrieb seine Kriegskameraden an und bat diese darum, in sein Freikorps einzutreten, das in aller Regel den Namen des Gründers erhielt. Um die Verbände mit Mannschaften aufzufüllen, wurden Handgelder gezahlt, wobei es nicht ausblieb, dass Freiwillige innerhalb weniger Tage bei mehreren Freikorps das Handgeld abgriffen. Verpflichtet wurden die Geworbenen – ehemalige Frontsoldaten, aber auch viele Stu- denten und sogar Oberschüler – per Handschlag; teils legten sie ein Treuegelöbnis auf die Republik ab, häufiger aber auf die Person des Freikorpsführers. Doch so archaisch dieses Mobilisierungssystem auch anmutet, in der historischen Situation der Jahreswende 1918/19 erwies es sich als ungemein wirkungsvoll. Bis Januar 1919 bestanden bereits über 50, bis Mai 1919 über 120 Freikorps, die insgesamt 200 000 bis 250 000 Mann umfassten. Grenzschutz gegen Polen ullstein-bild – Archiv Gerstenberg Als Katalysator dieser Selbstmobilisierung wirkten noch im Dezember 1918 weniger die innenpolitischen Spannungen zwischen Mehrheitssozialdemokraten und der radikalen Linken als vielmehr die Gefahr für die Ostgrenze des Reiches. Die Expansion des neugegründeten Nationalstaates Polen in die preußischen Provinzen Posen, Westpreußen und Oberschlesien mit ihren starken polnischen Minderheiten wurden als Bedrohung empfunden. Im Dezember entbrannte dort ein guerillaähnlicher Kleinkrieg zwischen deutschen Freiwilligenverbänden und polnischen Aufständischen, der Ende des Jahres zu einem offenen paramilitärischen Krieg eskalierte. Mit dem sogenannten Posener Aufstand vom 25. Dezember 1918, der 40 Tote kostete und in den folgenden Wochen große Teile der Provinz Posen unter polnische Kon- 5»Schützt die Heimat! Tretet ein in die Freikorps des Generalkommando Lüttwitz oder den Grenzschutz Ost!« So der Aufruf 1919. trolle brachte, schufen polnische Na­tio­ na­listen vollendete Tatsachen. Die Reaktion der Regierung unter Reichskanzler Friedrich Ebert war ein Aufruf zur Bildung von Freiwilligeneinheiten zum Grenzschutz im Osten vom 9. Januar 1919. Die neu formierten Truppenkörper bestanden zwar, wie es der in Ostpreußen eingesetzte General Otto von Below formulierte, größtenteils aus »Strauchdieben und Schmugglern«, vermochten aber bis Februar eine geschlossene Frontlinie aufzubauen und Teile der Provinz Posen zurückzuerobern. Die Lage im Osten verbesserte sich Anfang Februar 1919 auch dadurch, dass die noch immer bestehende OHL die Führung des Ostschutzes übernahm und dazu von Kassel in das hinterpommersche Kolberg übersiedelte. Doch zur von den Freikorps ersehnten Rückeroberung Posens und Westpreußens kam es nicht. Mitte Februar erzwangen die Alliierten einen Waffenstillstand zwischen Deutschen und Polen und drohten für den Fall einer deutschen Ablehnung mit einem Einmarsch in Deutschland. Die Freikorpsangehörigen im Osten beklagten das Einlenken der deutschen Regierung als »Verrat« und »Feigheit«. Hier zeichnete sich bereits die Auflösung der »Einheitsfront« zwischen republikanischer Regierung in Berlin und der alten und neuen militärischen Elite ab, die sich in den ersten Einsätzen der Freikorps manifestiert hatte. Im Reichsinneren, bei der Niederschlagung linksrevolutionärer Aufstände, blieb diese »Einheitsfront« jedoch noch bis in das Frühjahr 1919 hinein gewahrt. Einsatz im Inneren Zeitgleich mit dem Posener Aufstand, Ende Dezember 1918, hatten sich die Spannungen zwischen den Mehrheitssozialdemokraten und der radikalen Linken entscheidend verschärft. Die Berliner »Weihnachtskämpfe«, der Versuch der Regierung, das von der sogenannten Volksmarinedivision besetzte Berliner Stadtschloss sowie den Marstall stürmen zu lassen, endete in einem Debakel: Die Regierungstruppen wurden von Arbeitern und revolutionären Matrosen entwaffnet und zersprengt. Vor den Augen der Öffentlichkeit hatte sich gezeigt, dass die SPD-/USPD-Regierung nicht einmal in der Hauptstadt ihren Willen durchsetzen konnte. Die Weihnachtskämpfe führten jedoch auch zum Austritt der Unabhängigen Sozialdemokraten aus dem Rat der Volksbeauftragten, was die Handlungsfähigkeit dieser provisorischen Regierung stärkte und vor allem die Ernennung des Gouverneurs von Kiel, des SPD-Politikers Gustav Noske, zum »Volksbeauftragten für Heer und Marine« ermöglichte. Mit Noske hatte sich Regierungschef Ebert für eine harte Linie gegenüber der radikalen Linken entschieden, und Noske enttäuschte die »Erwartungen« Eberts nicht. Berührungsängste mit der alten Militärelite des Kaiserreichs plagten Noske nie. So ließ er Anfang Januar 1919 die Freikorpswerbungen intensivieren und Freikorps um das weitgehend von »Spartakisten« genannten Kommunisten kontrollierte Berlin ­herum zusammenziehen. Den Schritt zum offenen Bürgerkrieg machten allerdings am 6. Januar Unabhängige Sozialdemokraten und Kommunisten, die einen Revolutionsausschuss konstituierten, die Regierung Ebert für abgesetzt erklärten und das Regierungsviertel sowie die Berliner Kasernen gewaltsam zu stürmen versuchten. In den folgenden Tagen entbrannten in ganz Berlin Kämpfe, wobei das regierungstreue Freikorps des Oberst Wilhelm Reinhard seine Schlüsselposi­ tionen zu halten vermochte. Die Wende leitete am 10. Januar der Einmarsch des Freikorps Potsdam ein, das überwiegend aus ehemaligen Angehörigen der Garderegimenter bestand. Das Freikorps Potsdam stürmte am 11. Januar mit Artillerieunterstützung das besetzte Verlagsgebäude des »Vorwärts« und nahm zusammen mit dem Freikorps Reinhardt das schwer umkämpfte Polizeipräsidium am Alexanderplatz ein. »Einer muss der Bluthund sein«, so Noske über seine Rolle. Am 13. Januar ließ er die um Berlin bereitstehenden übrigen Freikorps in die Hauptstadt einrücken. Freikorpsoffiziere waren am 15. Januar an der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts beteiligt. Die Bilanz dieser als »Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes« bekannt gewordenen Aktion war für die Linksradikalen verheerend: Verlusten Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 15 Freikorps 1918–1920 Jahren in der Geschichtswissenschaft auf besondere Aufmerksamkeit gestoßen ist: ihre Neigung zu extremer Gewalt. Diese lässt in der Tat auf ein kompromissloses Freund-Feind-Denken schließen, das, wie in der jüngeren Forschung behauptet, als eine der Kontinuitäten zwischen den Freikorps und nationalsozialistischen Organisationen wie der SA gelten kann. Dennoch muss man differenzieren: nicht alle der 250 000 Freikorpsmänner waren »weiße Terroristen«, die aus ideologischen oder, wie der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit argumentiert hat, psychopathologischen Gründen mordeten und folterten. Die Mehrzahl leistete in den Freikorps einen, soweit die Umstände dies zuließen, ›normalen‹ Militärdienst, motiviert stärker durch die Aussicht auf regelmäßigen Lohn als durch radikalnationalistische Überzeugungen. Allerdings hatte die Freikorpsbewegung einen radikalen Kern, dessen Angehörige nicht nur die Republik, sondern auch die bürgerliche Gesellschaft und deren Werte scharf ablehnten, einen »soldatischen Nihilismus« kultivierten und nach 1920 nur noch sehr eingeschränkt in die Zivilgesellschaft integrierbar waren. Dieser radikale Kern der Freikorpsbewegung aber war ganz überwiegend geprägt durch den Einsatz auf dem dritten Schauplatz des »deutschen Nachkriegs«: durch den Einsatz im Baltikum. ullstein-bild – histopics von acht Mann der Freikorps standen 200 getötete Aufständische gegenüber. Doch das war erst der Anfang; noch erheblich blutiger verliefen die Berliner Märzkämpfe, auch »Berliner Blutwoche« genannt, in deren Verlauf die Freikorps nicht nur Artillerie, sondern auch Flugzeuge, Panzerwagen und Minenwerfer einsetzten und denen 75 Freikorps-Angehörige und 1200 Arbeiter und Revolutionäre zum Opfer fielen. Im Februar und März gingen Freikorps vor allem im Ruhrgebiet und in den mitteldeutschen Industriegebieten mit großer Härte gegen die roten »Si­ cher­heitswehren«, Streiks der Arbeiterschaft oder schlicht Hungerunruhen vor. Den Höhepunkt der Freikorps-Gewaltexzesse bildete die Niederschlagung der Münchner Räterepublik unter anderen durch die Freikorps Epp und Oberland im April und Mai 1919 mit über 550 durch »scheußlichste Bürgerkriegsgräuel« (Hagen Schulze) Ermordeten, wobei die Ermordung von 21 unbeteiligten katholischen Hand­werks­ gesellen sogar internationale Proteste auslöste. Das durchgängig zu beobachtende extreme Missverhältnis von getöteten Freikorps-Soldaten und Arbeitern beziehungsweise Aufständischen und die Gräueltaten wie Misshandlungen und Verstümmelungen von Gefangenen weisen auf einen Aspekt des Freikorpswesens hin, der seit den 1980er- 5Das Plakat von 1918 warb für das Freikorps Hülsen. 16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Einsatz im Baltikum Der Kampf deutscher Freikorps im Baltikum beruhte auf gemeinsamen Interessen zwischen den alliierten Siegermächten und der deutschen Regierung: Beiden ging es darum, dem Vormarsch der Roten Armee im Russischen Bürgerkrieg in das Baltikum etwas entgegenzusetzen. Seit Januar strömten, gelockt durch die Versprechungen der halbstaatlichen »Baltischen Werbestelle«, denen zufolge jeder BaltikumFreiwillige für seinen Dienst ein Anrecht auf Siedlungsland in Lettland erhalten sollte, Tausende von Freiwilligen nach Norden über die ostpreußische Grenze. Ende Februar standen 40 000 Mann an der sogenannten KurlandFront und Anfang März 1919 begannen die »Eiserne Division« unter Major Josef Bischoff, die Baltische Landeswehr und die 1. Garde Reservedivision mit der Eroberung Lettlands, wobei sie die Weisung der Reichsregierung, die ostpreußische Grenze zu schützen, sehr weitgehend auslegten. Am 22. Mai 1919 konnte die lettische Hauptstadt Riga erobert werden. Der Befehlshaber der Kurlandfront, General Graf ­Rüdiger von der Goltz, träumte bereits von einem deutschen Baltikum, von dem aus die »nationale Wiedergeburt« eingeleitet werden sollte. So unrealistisch derartige Pläne auf der Grundlage einer Streitmacht von gerade einmal 40 000 Mann auch waren, so verheerend wirkte sich die deutsche Freikorps-Kriegführung zwischen April und November 1919 auf die lettische Zivilbevölkerung aus. Denn gerade bei den »Baltikumern« handelte es sich um nichts anderes als um den »kriminellen Bodensatz der wilhelminischen Armee« (Boris Barth). Hatten die Freikorps in den preußischen Ostprovinzen und im Reichsinneren bereits eher Landsknechtshaufen als militärischen Einheiten geähnelt, so kann man für das Baltikum nur noch von einer schwer kontrollierbaren Soldateska sprechen. So geriet der Baltikumkrieg zu einem »Krieg ohne Fronten«, zur völligen Auflösung der Grenzen zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, wahllosem Requirieren, Plündern und Brandschatzen. Allein bei der Eroberung Rigas am 22. Mai 1919 kamen über 7000 Zivilisten ums Leben. ullstein-bild – Archiv Gerstenberg 5 Reichswehrminister Gustav Noske (mit Hut) bei der Besichtigung der Truppen des Freikorps Hülsen, das während der Revo­ lutions­kämpfe in Berlin zum Einsatz kam. Gegen die Republik und gegen ­Aufstände von links Es passt in das Bild, dass dieser »Krieg nach dem Krieg« mit einer Meuterei endete. Im Oktober 1919 verweigerte Major Bischoff den unter dem Druck der Alliierten ausgesprochenen Rückzugsbefehl. Als die Reste der »Eisernen Division« im Dezember 1919 dennoch die ostpreußische Grenze überschritten und der Baltikumkrieg beendet war, zeigte sich die Reichsregierung großzügig und verzichtete auf eine Verfolgung der Meuterer. Indes nutzte die Großzügigkeit wenig. Bei der nächsten Gelegenheit, dem Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920, wandten sich die verbliebenen Freikorps geschlossen gegen die Republik. Dieser dilettantisch vorbereitete Staatsstreich scheiterte vor allem am passiven Widerstand der Beamtenschaft, weniger an dem von der Reichsregierung am 17. März ausgerufenen Generalstreik. Erneut zeigte sich jenes ambivalente Verhältnis von Freikorps und Republik, als kurze Zeit später die Regierung wieder Freikorps einsetzte: zur Niederschlagung der im Ruhrgebiet aus dem Generalstreik gegen Wolfgang Kapp erwachsenen linksrevolutionären Aufstände. Darunter befanden sich auch jene Freikorps, die sich zuvor mit ihren Waffen gegen die Republik gestellt hatten. Der »Ruhrkrieg«, auch »Ruhrkampf« genannt, verlief aufgrund des hohen Anteils von ehemaligen Frontsoldaten in den Reihen der Arbeiterschaft für die Revolutionäre zunächst durchaus erfolgreich. Doch die Freikorps schlu­ gen gegen die »Rote Ruhrarmee« hart zurück, die Gewalt eskalierte in einem, zumindest im Reichsgebiet, bisher unbekannten Ausmaß. Die Worte eines Angehörigen der Brigade Epp, des Studenten Max Ziller, belegen dies: »Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist groß, fast unglaublich. Unser Bataillon hat 2 Tote. Die Roten 200 bis 300. Alles, was in die Hände kommt, wird mit dem Gewehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch mit einer Kugel.« Dieser Krieg sollte große Teile der Arbeiterschaft dauerhaft von der Republik von Weimar entfremden ohne dass die Republik dafür die Loyalität der Rechten gewonnen hätte. Denn die Auflösung der Freikorps unter alliiertem Druck im Frühjahr 1920 galt dem »nationalen Lager« wiederum als schlagendes Beispiel für die »Schwäche« der Republik und der »Erfüllungspolitiker«. Freikorps-Mythos und Nationalsozialismus Noch folgenreicher als die Freikorpsgewalt und die durch diese vertieften Polarisierungen war die Erinnerung an die Freikorps, wie sie in den sich im Laufe der 1920er-Jahre zu Bestsellern entwickelnden Memoiren einer Reihe von prominenten Freikorpsangehörigen vorgegeben wurde. Dazu zählten die Veröffentlichungen von Ernst von Salomon (»Die Geächteten«), Kurt von Heydebreck (»Wir Wehr-Wölfe«) und des Generals von der Goltz (»Meine Sendung im Baltikum«). Die Schaffung des »Freikorps-Mythos« bildete gerade für die Nationalsozialisten ein Propagandavorbild. Der »Freikorps-Mythos« diente damit als publizistische Waffe gegen die vermeintliche »schwächliche Erfüllungspolitik« der Republik von Weimar. Weniger die durchaus vorhandenen personellen Kontinuitäten von den Freikorps zur SA als vielmehr diese propagandistische Deutungsarbeit machten die Freikorpsbewegung zu einem »missing link« zwischen dem wilhelminischen Radikalnationalismus und dem Nationalsozialismus. Rüdiger Bergien Literatur Boris Barth, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration: Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003 (= Schriften des Bundesarchivs, 61) Heinz Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende: über Rahmen­ bedingungen der Weimarer Republik seit dem Frühjahr 1920, Opladen 1989 Hagen Schulze, Freikorps und Republik 1918–1920, ­Boppard a.Rh. 1966 Matthias Sprenger, Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des Freikorps-Mythos, Pader­born [u.a.] 2008 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 17 60 Jahre Völkermordkonvention ullstein bild 4Anklagepunkt Verbrechen gegen die Menschheit: der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46. 60 Jahre Völkermordkonvention M it der Gründung der Vereinten Nationen (UN) begann ein grundlegender Wandel des Völkerrechts, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 waren nur die Beziehungen zwischen den Staaten von völkerrechtlichem Interesse. Nach innen konnten sie, zumindest theoretisch, uneingeschränkt souverän agieren. Dies wurde freilich im Laufe der Zeit schon durch die immer dichter werdenden internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen relativiert. Doch für die engere politische Ebene blieb das Souveränitätspostulat bestehen. Die nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges geschaffenen UN bekräftig­ ten es ausdrücklich in Artikel 2 ihrer Charta vom 26. Juni 1945. In eben diesem Dokument allerdings wurde es auch erstmals völkerrechtlich relativiert, da bereits in Artikel 1 – also noch vor dem Souveränitätspostulat – die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle« als we- 18 sentliche Ziele der Organisation definiert wurden. Der Holocaust als Jahrhundertverbrechen Während noch über die Gründung der UN beraten wurde, bestand unter den »großen vier« alliierten Siegermächten USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und einigen Verbündeten bereits Klarheit darüber, die Spitzen des nationalsozialistischen Deutschlands für ihre im Inneren wie in den von ihnen angegriffenen und besetzten Staaten begangenen Verbrechen vor Gericht zu stellen. Hierzu zählte auch der Völkermord an den europäischen Juden, der unter dem Anklagepunkt »Verbrechen gegen die Menschheit« (crimes against humanity – häufig irreführend übersetzt als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«) verhandelt wurde. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess endete mit der Urteilsverkündung am 1. Oktober 1946. Interes- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 santerweise spielte der Anklagepunkt »Verbrechen gegen die Menschheit« darin nur im Zusammenhang mit dem Anklagepunkt »Kriegsverbrechen« eine Rolle. Dennoch hatte sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass ein Schweigen über die Behandlung der Juden durch das nationalsozialistische Deutschland nicht tragbar war, weil es einer Zustimmung zu diesen Verbrechen gleichgekommen wäre. Die Völkermordkonvention In der Folge kam es bereits im Dezember 1946 zu einer – rechtlich nicht bindenden – Resolution der UN-Vollversammlung, in der Völkermord (griechisch-lateinisch: Genozid) als ein völkerrechtliches Verbrechen bezeichnet und mit den Zielen der UN für nicht vereinbar erklärt wurde. Zu dieser Zeit hatte schon ein eigens eingerichteter Ausschuss des Generalsekretärs mit der Ausarbeitung eines rechtlich bin- 5 Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen vor der Desinfizierung am 10. Juli 1941. 6 Deutsch-Südwestafrika 1905/06: ­Deutscher Marinesoldat bewacht eine Gruppe von Frauen und Kindern in einem Lager für Hereros.. ullstein bild die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d)Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; e)gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.« Zu bestrafen sind jedoch nicht nur diese Handlungen, sondern auch die Verschwörung sowie die öffentliche Aufreizung zu ihrer Begehung, der Versuch dazu oder die Teilnahme daran (Artikel III). Ferner wird in solchen Fällen ausdrücklich zur Bestrafung auch von regierenden Personen aufgefordert (Artikel IV) und betont, dass im Falle von Genozid selbst in Auslieferungsverfahren nicht auf das ansonsten schützende Moment der »politi­ schen Straftaten« rekurriert werden kann (Artikel VII). Für die Bestrafung zuständig sein sollte entweder der Staat, in dem die Taten begangen wurden, oder ein internationales Strafgericht – das es damals allerdings nicht gab und für weitere 50 Jahre nicht geben sollte. All dies darf als Ausdruck eines ernstlichen »Nie wieder!« gewertet werden, von dem damals viele Menschen durchdrungen waren. Sie waren bereit, politische und rechtliche Konsequenzen aus den Katastrophen des vergangenen halben Jahrhunderts zu ziehen. ullstein bild denden Dokumentes begonnen, das dann am 9. Dezember 1948 von der UN-Vollversammlung verabschiedet wurde – die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (kurz: Völkermordkonvention). Es ist von weit mehr als nur symbolischem Wert, dass dieses Übereinkommen einen Tag vor der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erfolgte, die freilich den angesprochenen Wandel des Völkerrechts seither weit mehr beeinflusst hat. Die Völkermordkonvention ist seit dem 12. Januar 1951 (für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 22. Februar 1955) in Kraft und damit rechtlich verbindlich. Bis zum Mai 2008 hatten sie 140 Staaten ratifiziert. Die Definition von Völkermord, zu dessen Verhütung und Bestrafung sich die Mitgliedstaaten verpflichten, ist in Artikel II ausführlich niedergelegt: »In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangenen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; b)Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe; c)vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, Das 20. Jahrhundert als ­»Jahrhundert des Völkermords« Bereits vor dem deutschen Völkermord an den europäischen Juden und, oft vergessen, den Sinti und Roma, war es zu Genoziden oder genozidähnlichen Taten gekommen. Dazu sind auch zahlreiche Vernichtungsaktionen der europäischen Kolonialmächte gegen indigene Bevölkerungsgruppen zu zählen. Erinnert sei hier nur an das deutsche Vorgehen gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Aufstand eines Hererostammes im Jahr 1904 beantworteten die deutschen Schutztruppen mit einem drei Jahre dauernden Krieg gegen die Zivilbevölkerung, der schätzungsweise 60 000–70 000 Menschen das Leben kostete. Die Überlebenden wurden zum großen Teil in Lager verbracht, wo unter miserablen Lebensund Arbeitsbedingungen nochmals rund die Hälfte der Gefangenen starb. Ein ähnliches Vorgehen wurde um die Jahrhundertwende auch Großbritannien im »Burenkrieg« gegen die südafrikanischen Siedler angelastet. Lange Zeit mit dem Mantel des Schweigens bedeckt blieb auch der türkische Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Im Zusammenhang mit der Schaffung eines türkischen Nationalstaates ab 1915 trat die in Anatolien lebende armenische, liberal geprägte, städtische Mittel- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 19 3 Der türkische Völker­ mord an den ­Armeniern: Ermordeter Armenier, Istanbul 1915 oder 1916. schicht in Opposition zu den türkischen Nationalisten, den »Jungtürken«. Daraufhin kam es zuerst zur Verhaftung und Folterung, dann zur Deportation von Armeniern im ganzen Land. Während die Männer häufig außerhalb von Städten erschossen wurden, mussten Frauen und Kinder den Weg in Lager antreten, die vor allem am Rande der syrischen Wüste errichtet wurden. Die Überlebenden dieser Todesmärsche fanden dort katastrophale hygienische Verhältnisse und einen eklatanten Mangel an Nahrungsmitteln vor. Insgesamt kamen bis zu 1,4 Millionen Menschen ums Leben. Schon früh hatte das 20. Jahrhundert das Etikett eines »Jahrhunderts des Völkermords« bekommen. Nach der Erfahrung des Holocaust sollte Genozid wo möglich verhindert, zumindest dessen Begehen aber unter Strafe gestellt werden. Unerfüllte Hoffnungen Bereits zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Völkermordkonvention zeichnete sich der beginnende Kalte Krieg deutlich ab. Unter diesen Bedingungen einer Konfrontation der Supermächte waren weder die Schaffung eines internationalen Strafgerichtes – das von der Völkermordkonvention in Artikel VI ausdrücklich vorgesehen wurde – noch die Verabschiedung einer umfassenden Menschenrechtskonvention politisch durchsetzbar. Erst 1966 kam es zur Verabschiedung von 20 zwei Menschenrechtsübereinkommen, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Damit wurde die von US-Präsident Franklin D. Roosevelt in seinen berühmten »vier Freiheiten« geprägte und noch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte betonte Unteilbarkeit der Menschenrechte praktisch unterlaufen. Während mit den Menschenrechtsverträgen der kommenden Jahre zu den wichtigsten Themen auch eigene Vertragsausschüsse eingerichtet wurden, die Staatenberichte und gegebenenfalls auch Beschwerden über Vertragsverletzungen prüfen konnten, unterblieb die Schaffung eines solchen Gremiums für die Völkermordkonvention, die fortan eher ein Schattendasein im Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Natio­ nen fristete. So konnte das Grauen weitergehen. Immer wieder sahen sich Minderheiten völkermordähnlichen Taten der Herrschenden ausgesetzt, seien es indigene Völker in Lateinamerika, seien es Minoritäten in den sich gerade entkolonialisierenden Gebieten Afrikas, die im Westen gerne als bloße »Stammesfehden« verharmlost wahrgenommen wurden. Den unrühmlichen Höhepunkt lieferte sicherlich der kambodschanische Staatschef Pol Pot mit seiner Vernichtungspolitik gegen das eigene Volk, der Millionen Menschen zum Opfer fielen. Während sich die internationale Gemeinschaft auch in diesem Fall nicht zu einem Eingreifen aufgefordert sah, konnte schließlich Vietnam mit seinem militärischen Vorgehen gegen Kambodscha 1979 diese Massaker beenden. Ruanda und Bosnien Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/91 schien es vielen Beobachtern möglich, dass eine neue Weltordnung entstand, in der auch den Menschenrechten endlich ein angemessener Rang zukommen und Völkermord aus der Geschichte verbannt werden würde. Doch diese Hoffnungen wurden im Verlauf der 1990er Jahre bitter enttäuscht. Während einige afrikanische Staaten nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit eine Demokratisierungs- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 welle erlebten, flammten unter anderem in Liberia und in Somalia Bürgerkriege auf, in denen es zu völkermordähnlichen Taten gegen dortige Minderheitsbevölkerungen kam. Im ostafrikanischen Ruanda geschah, praktisch unter den Augen der Vereinten Nationen, im Frühsommer 1994 ein groß angelegter Völkermord an den Tutsi und moderaten Angehörigen der Hutu. Täter waren Hutu aus dem eigenen Land. Heute schätzen Experten, dass schon eine kleine UN-Truppe mit rund 5000 Soldaten ausgereicht hätte, diesen Völkermord zu verhindern. Doch kein Staat war bereit, den UN diese Soldaten (und das nötige Geld) zur Verfügung zu stellen. Noch dramatischer gestaltete sich die Lage auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Seit Beginn der 90er Jahre fand hier Völkermord statt, euphemistisch verbrämt als »ethnische Säuberung« – ein Ausdruck aus dem Wörterbuch des Unmenschen, der gleichwohl rasante mediale Verbreitung fand und häufig sogar ohne Anführungszeichen benutzt wurde. Der Höhepunkt dieses Genozids wird für immer mit dem Namen Srebrenica verbunden bleiben. Dort hatten die UN eine Schutzzone für Bosnier eingerichtet und mit Blauhelmsoldaten gesichert, die sich gleichwohl nicht in der Lage sahen, ein Massaker bosnischer Serben an 8000 bosnischmuslimischen Männern im Juli 1995 zu verhindern. Es ehrt den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass er sowohl im Fall Ruanda als auch im Fall Srebrenica das Versagen der Vereinten Nationen offen eingestanden und öffentlich bedauert hat. Erneut hat6 Ruanda 1994: Schädel von ungefähr 5000 Tutsi, die im April 1994 auf dem Gelände einer Kirche getötet wurden. Extremistische Hutu töteten zwischen April und Juni 1994 während des Genozids an den Tutsi schätzungsweise 800 000 Menschen. ullstein bild ullstein bild 60 Jahre Völkermordkonvention ullstein bild ten sich die UN nicht zur Verhütung von Völkermorden in der Lage gesehen. Doch sowohl mit Blick auf das ehemalige Jugoslawien als auch mit Blick auf Ruanda konnte sich der UN-Sicherheitsrat nun dazu durchringen, die Verantwortlichen für diese Taten strafrechtlich zu verfolgen und vor Gericht zu stellen. Zwei Sondertribunale wurden eingerichtet, die in den letzten Jahren zahlreiche Urteile gefällt und das Geschehene ausführlich dokumentiert haben. Sie sind bis heute mit der Anklage und Bestrafung der Völkermörder befasst. Eine wichtige Vorgabe der Völkermordkonvention wurde damit erfüllt: Die Täter werden angeklagt und vor ein internationales Gericht gestellt. Mit den beiden Sondertribunalen wurde darüber hinaus an die internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio angeknüpft. Der Internationale ­Strafgerichtshof Von der Menschenrechtsbewegung schon lange gefordert, von immer mehr Diplomaten und dann auch Regierungen unterstützt, wurde schließlich ein ständiger Internationaler Strafgerichtshof (ICC) zur Behandlung der schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen geschaffen. Am 17. Juli 1998 wurde von einer Staatenversammlung das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs verabschiedet. Seit dem 1. Juli 2002 ist es in Kraft, aktuell haben 105 Staaten das Statut ratifiziert – freilich weder die USA noch Russland oder China. Seither hat der ICC mit Sitz in Den Haag Anhörungen zu Uganda, der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire) und neuerdings auch Darfur (Sudan) und Zentralafrika durchgeführt und inzwischen erste Anklagen erhoben sowie Verfahren eröffnet. Laut Artikel 5 des Römischen Statuts unterstehen seiner Gerichtsbarkeit »Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression«, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, selbst strafverfolgend tätig zu werden. Die Vereinten Nationen haben also deutlich gemacht, dass Völkermord künftig, wie schon von der Konvention 1948 vorgesehen, bestraft 4 Opfer des Massakers von Srebrenica. werden wird. Doch auch die Verhütung von Genoziden ist in den letzten Jahren verstärkt ins Zentrum der UNBemühungen gerückt. Insbesondere der frühere Generalsekretär Kofi Annan hat sich dafür besonders engagiert, gab es doch für ihn »kein wichtigeres Thema und keine bedeutendere Verpflichtung als die Verhütung von Völkermord«. Und diesen Worten folgten Taten. Zwar wurde Annans Vorschlag, einen Ausschuss zur Verhütung von Völkermord für die Vertragsstaaten der Völkermordkonvention einzurichten, bisher noch nicht von den Staaten in die Tat umgesetzt. Doch im engeren Umfeld des Generalsekretärs kam es zu einigen bemerkenswerten Reformen. So wurde das Amt eines Sonderberichterstatters für die Verhütung von Völkermord geschaffen, das seit 2007 von dem sudanesischen Politikprofessor Francis Deng ausgeübt wird. Ferner ernannte Annan einen Sonderberichterstatter für Prävention und Konfliktlösung – den norwegischen Diplomaten Jan Egeland. Verantwortung der Völker­ gemeinschaft Bereits im Jahr 2000 hatten die Vereinten Nationen, auf Vorschlag Kofi Annans und anschließende diplomatische Initiative Kanadas, eine Internationale Kommission über Intervention und staatliche Souveränität eingerichtet, die 2001 ihren Abschlussbericht »The Responsibility to Protect« vorlegte. Darin wurde eine dreifache Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft propagiert: zur Prävention, zur Reaktion und zum Wiederaufbau. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Verantwortung zur Prävention; eine militärische Reaktion soll nur im Ausnahmefall in Übereinstimmung mit Kapitel VII der UN-Charta und als das äußerste Mittel, als ultima ratio, in Betracht gezogen werden, wenn alle anderen Möglich- keiten der Konfliktbeilegung fruchtlos geblieben sind. Im 2004 veröffentlichten Abschlussbericht von der von Annan eingesetzten »Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel« wird diese Schutzverantwortung bereits als eine sich entwickelnde Norm bezeichnet, die immer mehr Akzeptanz finde. Immerhin hat der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1674 vom 28. April 2006 über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten erstmals explizit auf die Schutzverantwortung Bezug genommen. In den vergangenen Jahren ist die Völker­mordkonvention praktisch zu neuem Leben erwacht. Endlich nehmen die Vereinten Nationen und zahlreiche ihrer Mitgliedstaaten den Konventionstext ernst, wonach Völkermord zu verhüten und zu bestrafen sei. Dabei sind auf dem Gebiet der Bestrafung bis heute mehr Fortschritte erkennbar als im Bereich der Verhütung. Das geht bis hin zu der paradoxen Situation, dass der Internationale Strafgerichtshof bereits gegen sudanesische Völkermörder ermittelt, während dort, in der westsudanesischen Provinz Darfur, der Genozid seit 2003 unvermittelt weitergeht. Dazu noch einmal Kofi Annan: »Als internationale Gemeinschaft haben wir die klare Verpflichtung, Völkermord zu verhüten. Ich glaube, dass wir gemeinsam die Macht dazu haben. Die Frage ist: Haben wir auch den Willen dazu?« Franz-Josef Hutter Literaturtipps Kofi Annan, Verhütung von Völkermord. In: Jahrbuch Menschenrechte 2005, S. 259–262 Wolfgang Benz, Ausgrenzung, Vertreibung, Völkermord. Genozid im 20. Jahrhundert, München 2006 Andrea Böhm, Der Wille zur Vernichtung. In: Franz-Josef Hutter und Carsten Kimmle (Hrsg.), Das uneingelöste Versprechen. 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Karlsruhe 2008, S. 181–189 Dominik J. Schaller, Rupen Boyadjian, Vivianne Berg und Hanno Scholtz (Hrsg.), Enteignet, Vertrieben, Ermordet. Beiträge zur Genozidforschung, Zürich 2004 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 21 Das historische Stichwort ullstein bild Service Hundert Jahre Motorflug in Deutschland A m 28. Oktober 1908 absolvierte der Flugpionier Hans Grade auf dem Cracauer Anger in Magdeburg den ersten deutschen Motorflug. Er legte mit seinem selbst konstruierten Dreidecker eine Flugstrecke von ca. 100 Meter zurück, die Flughöhe betrug acht Meter. Das Unternehmen endete mit einer Bruchlandung. Der 1879 in Pommern geborene Ingenieur, der von 1900 bis 1904 an der Technischen Hochschule Charlottenburg studiert hatte, ließ sich dadurch jedoch nicht entmutigen. Er konstruierte und flog weiter. Im Jahre 1909 übersiedelte er nach Bork in der Mark (heute Borkheide) und errichtete dort eine Flugzeug- und Motorenfabrik, ein Flugfeld sowie eine Flugschule. Für seine Pioniertaten gewann Grade im Oktober 1909 den mit 40 000 Mark ausgelobten »Lanz-Preis der Lüfte«. Dieser Preis war von dem Mannheimer Industriellen Karl Lanz für das erste in Deutschland von einem Deutschen konstruierte und geflogene Flugzeug ausgeschrieben worden. Das dabei verwendete Material musste ebenfalls aus deutscher Produktion stammen. Es galt, zwei 1000 Meter voneinander entfernt liegende Markierungen fliegend in Form einer Acht zu umrunden und wieder zu landen. Hans Grade schaffte dies auf dem Flugplatz Johannisthal bei Berlin mit einem Eindecker in zwei Minuten und 43 Sekunden. Am nächsten Tag gelang ihm sogar eine mehrmalige Umrundung in einer Flughöhe von 70 Metern und einer Flugzeit von sieben Minuten. Flugpioniere Hans Grade wurde mit einem Schlag berühmt, vollführte Schauflüge über Hamburg, Bremen, Breslau, Nizza und Kairo. Hans Grade und der Darmstädter Flugpionier August Euler (1868– 1957) erhielten schließlich 1910 die ersten deutschen Fluglizenzen. Aus heutiger Sicht muten die Konstruktionen Hans Grades abenteuerlich an. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass es sich dabei um 22 5 Hans Grade (1879–1946) mit seinem Dreidecker, mit dem der Flugpionier am 28. Oktober 1908 in Magdeburg zum ersten deutschen Motorflug abhob. Die Frühzeit der Fliegerei bis 1914 »High Tech« Anno 1908 handelte. Zur Zeit des Erstfluges von Hans Grade steckte die gesamte Fliegerei noch in den Kinderschuhen. Gerade einmal 17 Jahre waren vergangen, seitdem Otto Lilienthal nach Hunderten von Beob­ achtungen und Versuchen im Großraum Berlin/Brandenburg mit seinen Gleitflügen begonnen hatte. Er hatte theoretisch und praktisch die Grundlagen der Aerodynamik erforscht und erprobt. Die Brüder Wilbur und Orville Wright nahmen seine 1889 in Berlin formulierten Gedanken »Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst« auf und begannen mit dem Bau von Gleitern, in die sie ein Triebwerk einbauten. So konnten sie am 17. Dezember 1903 – knapp fünf Jahre vor Hans Grade – in Kitty Hawk/North Carolina zu ihrem ersten Motorflug starten. In den folgenden Jahren verbesserten die Brüder Wright ihre Konstruktionen Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 und gelangten zum Erfolg, aber zunächst nicht in den USA, sondern im renn- und geschwindigkeitsverliebten Frankreich. Die Wrights produzierten und verkauften in Frankreich und Deutschland mehr Flugzeuge als in den USA. Die Sucht nach Geschwindigkeit und die Euphorie für Rennen mit Fahrrädern, Motorrädern und Automobilen förderten den Siegeszug der frühen Fliegerei. Schließlich tat die auflagenstarke Presse ein Übriges, die breite Masse für die Fliegerei zu begeistern. Flugshows waren entsprechend gut besucht, es entwickelte sich eine regelrechte Andenken- und Filmindustrie rund um die Fliegerei. Zahlreiche Vereine wurden ins Leben gerufen, Vorträge gehalten, Sammlungen und Ausstellungen in ganz Deutschland gezeigt. Zu nennen sind etwa die Gründung des Deutschen Museums in München 1903 und die erste Internationale ullstein bild Luftschifffahrts-Ausstellung (ILA) in Frankfurt a.M., die vom 10. Juli bis 17. Oktober 1909 ihre Pforten geöffnet hatte. Die ersten Flugpioniere starteten und landeten unweit großer Städte auf ebenem grasbewachsenen Gelände ohne festgelegte Startbahnen. Hierzu boten sich die Exerzierplätze der örtlichen Garnisonen an: Cracauer Anger (Magdeburg), Tempelhofer Feld (Berlin), Bornstedter Feld (Potsdam), Oberwiesenfeld (München) und Griesheimer Sand (Darmstadt). Bald entstanden die ersten festen Flugplätze, die von Flugzeugfirmen oder von Gesellschaften mit beschränkter Haftung betrieben wurden, so etwa Darmstadt-Griesheim (August Euler), Borkheide (Hans Grade), Puchheim bei München oder Johannisthal bei Berlin. In der Nähe Johannisthals, in Adlershof, wurde ab 1912 die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt eingerichtet. Militärisches Interesse Deutschlands Militär nutzte den Luftraum bereits seit 1884/87 durch Luftschiffertruppen, die mit Gasballonen ausgestattet waren. Später kamen Luftschiffe der Marken Zeppelin, SchütteLanz und Parseval hinzu. Als am 21. August 1908 das Luftschiff »LZ 4« des Grafen Ferdinand von Zeppelin bei Echterdingen »zerschellte«, wurde ein öffentlichkeitswirksamer Aufruf zur »Zeppelinspende des deutschen Volkes« gestartet, damit die Luftschifffahrt weitergehen konnte. Auch die Motorfliegerei fand früh das Interesse der bewaffneten Macht. Zunächst stand hier allerdings noch die zivile Entwicklung im Vordergrund. 5August Euler (1868–1957) mit Prinz Heinrich von Preußen (links) vor einem Zweidecker. Aufnahme undatiert, veröffentlicht 1928. Spätestens der spektakuläre Flug von Louis Blériot von Calais nach Dover 1909 machte allen Beteiligten klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis das Flugzeug ein ernsthaftes Kriegsmit­ tel sein würde. Die ersten Offiziere wur­ den ab 1910 zu Piloten ausgebildet. Sie schulten zunächst in zivilen Fliegerschulen, so bei Hans Grade, August Euler oder Gustav Otto. Ziel war es, einen Stamm von Fliegeroffizieren heran­ zuziehen, um eine eigene Fliegertruppe aufstellen und ausbilden zu können. Auf dem Truppenübungsplatz Döberitz bei Berlin und in Schleißheim bei München entstanden ab 1910/12 die ersten Militärflugplätze in Deutschland. Im Jahre 1911 fand im italienisch-türkischen Krieg der erste Bombenangriff der Weltgeschichte statt. Aus einer »Rumpler-Taube«, einem der ersten in größerer Stückzahl gebauten Flugzeugmodelle, warfen die zwei Mann Besatzung kleine handliche Bomben auf Tripolis ab. Deutschland entdeckte öffentlichkeitswirksam, dass es hinsichtlich der Zahl an Flugzeugen dem Nachbarn Frankreich unterlegen war. ullstein bild Hans Grade im Flug mit seinem selbst konstruierten Eindecker, mit dem er 1909 den »Lanz-Preis der Lüfte« ­gewann. Die Folge war der Aufruf zur »National-Flugspende« von 1912, die 7,25 Mil­ lio­nen Mark erbrachte. Diese Gelder ermöglichten es, bis Kriegsbeginn 817 deutsche (Militär-)Piloten auszubilden. Die Fliegertruppe nahm vor dem Ersten Weltkrieg an den Manövern und ab 1911 sogar an den »Kaisermanövern« teil. Einige der Wettflüge dieser Zeit, wie etwa die »Prinz-Heinrich-Flüge«, waren getarnte Manöver, in denen die Aufklärung geübt wurde. Der Flugpionier Hans Grade selbst geriet trotz weiterer Rekordflüge mit seinen eigenwilligen leichten Eindecker-Konstruktionen ins Hintertreffen. Seine Maschinen wurden vom Militär nicht akzeptiert. Die Firma Rumpler und die Doppeldecker der Marken Albatros, Euler, Luft-Verkehrs-Gesellschaft (LVG), Otto und Wright machten hier das Rennen. Während des Ersten Weltkrieges fertigte Grade Flugzeuge in Lizenz und wartete sie. Nach dem Krieg versuchte er sich mit mäßigem Erfolg als Automobilbauer. Zwar betätigte sich Grade weiter als Konstrukteur und Erfinder, doch konnte er nie mehr an seine alten Erfolge anknüpfen. Er starb, von der Öffentlichkeit fast vergessen, 1946 in Borkheide. Zwei Maschinen der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung tragen heute die Namen der frühen Flugpioniere Hans Grade und August Euler. In Borkheide gibt es ein Hans-Grade-Museum, ein Luftfahrtmuseum August Euler in DarmstadtGriesheim befindet sich im Aufbau. Harald Potempa Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 23 Service Medien online/digital Geschichte zum Hören Geschichte zum Hören: Regime unter dem Hakenkreuz. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung 2007, 6,00 Euro Eine Weisheit Ciceros galt und gilt vielen Historikern bis heute als unumstößlich: »Was nicht in den Akten steht, ist nicht auf dieser Welt.« Bereits seit längerer Zeit misst man aber Tonaufnahmen als historische Quellen wieder größere Bedeutung zu. Im Multimedia-Zeitalter und durch die unendlichen Möglichkeiten des Internets steigerten sich die Speicher- und Wiedergabemöglichkeiten. Der Sender Freies Berlin (SFB) strahlte 1983 im Hörfunk eine Sendereihe mit Aufnahmen aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes aus, insgesamt 25 Sendungen im Umfang von jeweils knapp 50 Minuten. Dazu wurden Aufnahmen aus dem Bestand des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) von Manfred Rexin mit Kommentaren versehen. 24 Die Bundeszentrale für politische Bildung, das Deutschlandradio Kultur und das DRA haben im Jahr 2007 die Sendereihe auf einer CD-ROM herausgebracht. Dem Charakter einer Rundfunksendung ist es geschuldet, dass auf der CD Originalaufnahmen und Kommentare in einem starken Missverhältnis stehen. Den Tondokumenten wurde deutlich zu wenig Anteil eingeräumt, teilweise wur­den sie stark gekürzt. So können sie leider ihre Stärke, ihre Authentizität, nicht voll zur Geltung bringen. Andererseits bietet die CD neben den Mitschnitten der Sendungen aus dem Jahr 1983 zahlreiche Hintergrundinformationen: alle Sendemanuskripte als PDF-Dateien zum Nachlesen, detaillierte Arbeitsblätter und eine sehr umfangreiche, thematisch sortierte Literaturliste. Das Infor­ mationspaket macht aus der CD einen erstklassigen und vielfältig nutzbaren Helfer für die historische Bildung. Nicht chronologisch aufgereiht, sondern thematisch geordnet zeichnen die Tonaufnahmen ein eindrucksvolles, weil unverfälschtes akustisches Bild des NS-Regimes. Aus militärhistorischer Perspektive interessieren vor allem die Kapitel »Generäle des Gefreiten« über die Wehrmacht vor 1939, den Kriegsbeginn, das besetzte Europa (»Vergewaltigte Völker«) und den Widerstand. Zu hören sind beispielsweise die Rede Hitlers vom 1. September 1939 mit der berühmt-berüchtigten Lüge vom »polnischen Angriff«, weswegen nun »zurückgeschossen werde«; die düster-bombastische Fanfare vor der Sondermeldung am 22. Juni 1941 zum Angriff auf die Sowjetunion und ausgewählte Wehrmachtberichte des Rundfunks. Die Reportagen der Propagandakompanien (PK) von der Ost- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 front beweisen, dass Teile der Wehrmacht die NS-Ideologie von »Herrenund Untermenschen« verinnerlicht hatten und lauthals propagierten. Eindrucksvolle Zeitdokumente sind die Aufnahmen der Kriegsreporter aus der Schlacht um Stalingrad, die Rede Görings vom 30. Januar 1943, worin er das Sterben der Soldaten im Kessel an der Wolga mit dem Kampf der Nibelungen »bis zum letzten« gleichsetzte. Im direkten Kontrast dazu werden Feldpostbriefe aus Stalingrad verlesen – vom »Verrecken, Verhungern und Erfrieren«: »Es ist ein viehisches Sterben.« Nicht ausgespart wurde die Rundfunkansprache Hitlers vom 20. Juli 1944 nach dem gescheiterten Attentat, in der er die Verschwörer als »ganz kleine Clique dummer und verbrecherischer Offiziere« beschimpfte. Zu hören ist die Vernehmung von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben vor dem »Volksgerichtshof« 1944. Ein bedeutendes Zeitdokument ist die Rede Witzlebens vom 2. August 1934, die er als Kommandeur des Wehrkreiskommandos III hielt: Er pries die »Vermählung« der »Tugenden des alten Preußen und der soldatischen Pflichterfüllung« mit dem »Neuen« des Dritten Reiches und schwor Hitler »auf Gedeih und Verderb [...] unverbrüchliche Treue«. Für das Ende des »Tausendjährigen Reiches« im Frühjahr 1945 steht beispielhaft die Rede von Goebbels vom 11. März 1945 in Görlitz, in der er »neue Divisionen, die zu Großoffensiven antreten werden«, herbeizureden versuchte. Das letzte Wort hat nach knapp 21 Stunden nochmals Hitler. In einer damals nicht veröffentlichten Rede im kleinen Kreis in München hatte der Diktator 1938 schwadroniert, das deutsche Volk habe die »Völkerwanderung [...], einen Weltkrieg und eine Revolution überlebt, es werde auch ihn [Hitler] überleben«. Zu hören ist Gelächter. ks Heinrich Mann Heinrich Mann, Der Untertan (Hörspiel), 5 CDs, 348 Min., München: Der Hörverlag 2006. ISBN 978-3-89940-912-3, 29,95 Euro Heinrich Manns Roman »Der Untertan« ist eine der schärfsten literarischen Analysen nationalistischer Politik im Deutschen Kaiserreich der Jahrhun- digital Erich Maria Remarque Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues, 5 CDs, 367 Min., München: Der Hörverlag 2006. ISBN 97889940-680-1, 29,95 Euro dertwende. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges fertiggestellt, wurde er 1971 unter der Regie von Ludwig Cremer als Hörspiel bearbeitet, das seit 2006 auf fünf Audio-CDs als Hörbuch im Hörverlag erhältlich ist. Der Roman spielt in der Wilhelminischen Ära vor dem Ersten Weltkrieg. Die Lebensgeschichte des Protagonisten Diedrich Heßling, grandios gesprochen von Heinz Drache, wird von der Kindheit bis zu seiner sicheren Stellung in der fiktiven Heimatstadt Netzig dargestellt. Schnell wird dem Hörer Heßlings Doppelrolle als Tyrann und Untertan deutlich: Heßling ist Untertan im menschenverachtenden, maschinellen Gehäuse des Wilhelminischen Imperialismus. Indem der diese Rolle erwartungsgemäß ausfüllt, erwirbt Heßling andererseits persönliche Macht und Ansehen als Fabrik­ besitzer und Familienoberhaupt. Hier lebt er seine tyrannische Seite aus. Ehe, Pflicht, Gottesfurcht und Sittlichkeit werden als Tugenden in der Masse hochgehalten und sind doch nur Fassade. »Der Untertan« ist ein Schlüsselroman und gehört zu den besten deutschen Satiren des 20. Jahrhunderts. Unverwechselbar gelingt es Heinrich Mann, den Zusammenhang zwischen autoritärem Individualcharakter und autoritärem Staat herauszuarbeiten. Die feinsinnige Analyse gesellschaftlicher und politischer Mechanismen sowie die Umsetzung als Hörspiel machen den »Untertan« zu einem empfehlenswerten Hörgenuss mit durchaus aktuellem Bezug. ms Mit »Im Westen nichts Neues« bietet der Hörverlag einen weiteren literarischen Klassiker an, zeitlich und thematisch ebenfalls im Ersten Weltkrieg angesiedelt. 2005 wurde der Roman als Lesung von August Diehl vertont. Erich Maria Remarque, der ab 1917 selbst an den blutigen Kämpfen an der Westfront teilgenommen hatte, lieferte damit einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung des modernen AntiKriegsromans. Das Buch erschien 1928/29: Das Werk verfehlte seine Wirkung nicht und löste Ende der 1920er Jahre eine Flut von Schriften in diesem Genre aus, darunter Ernest Hemingways »A Farewell to Arms« (deutscher Titel: »In einem anderen Land«). In der autobiografisch inspirierten Erzählung werden die Erlebnisse des jungen Kriegsfreiwilligen Paul Bäumer und seiner Frontkameraden während des Ersten Weltkrieges geschildert. Bäumer und seine Klassenkameraden lassen sich anfänglich von der Kriegs­ euphorie anstecken und melden sich von der Schulbank weg zum Frontdienst. Die Begeisterung wird ihnen aber spätestens während der Ausbildung durch die Schikanen der als »Kasernenhoftyrannen« berühmt gewordenen Romanfigur des Unteroffiziers Himmelstoß ausgetrieben. Das massenhafte Sterben im Stellungskrieg durch Gasangriffe, Schrapnellsplitter und MG-Feuer wird mit stereotyper Gleichförmigkeit reportagenartig beschrieben. Aus dem gasgetränkten Nebel des Gefechtsfeldes lässt Remarque die Sinnlosigkeit des Handelns mit größter Intensität hervorscheinen. Beispielhaft dafür ist das Schicksal des Soldaten Bäumer: Er fällt als Letzter aus seiner Gruppe an einem Tag, über den es im Heeresbericht heißt, dass es »im Westen nichts Neues« zu vermelden gebe. Von den Nationalsozialisten verbrannt und geächtet, ist Remarques großer Roman wie als Film (USA 1930; Remake 1979 für das Fernsehen) auch im Hörbuchformat zeitgenössische Milieustudie und realistischer Kriegsbericht zugleich. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 ms 25 Service Lesetipp Napoleons Soldaten »Farbige« Söldner Kolonialkrieg in China I D K n dem hier vorgestellten Buch erhält der einfache Soldat der napoleonischen Feldzüge Stimme und Gesicht. Aus den schriftlichen Zeugnissen, die einige Soldaten hinterlassen haben, entsteht ein farbiges Bild des Alltags in der Grande Armée. Alle Facetten des soldatischen Lebens führt der Verfasser dem Leser vor: Disziplin, Marsch, Essen und Trinken sowie Kleidung, Verwundung, Gefangenschaft und Heimkehr. Karl J. Mayer, Archivar und Autor von Untersuchungen zur Geschichte der Internationalen Beziehungen der Zwischenkriegszeit und der Militärgeschichte, schreibt auf gelungene Art eine Geschichte von unten. Mayer beleuchtet unterschiedlichste Aspekte der mörderischen Schlachten der napoleonischen Kriege. Die rund 30 zeitgenössischen Abbildungen beleben die Schilderungen der einfachen Soldaten. Um in die historischen und militärischen Gegebenheiten der Kriege Napoleons einzuführen, werden den jeweiligen Kapiteln knappe historische Abrisse vorangestellt; das erleichtert dem Leser das Verständnis so mancher Erlebnisse des Soldaten. Das Buch bietet viele Hintergrundinformationen zur Kriegsgeschichte der napoleonischen Epoche und somit dem geschichtlich interessierten Leser eine beachtlichen, handlichen Fundus über jene Zeit. Lothar Hilbert Karl J. Mayer, Napoleons Soldaten. Alltag in der Grande Armée, Darmstadt 2008 (= Geschichte erzählt, 12). ISBN 978-3-89678-366-0; 143 S, 16,30 Euro 26 er Einsatz von nichtweißen Söldnern in deutschen Kolonien war aus der Not geboren: Deutsche Soldaten in überseeische Gebiete zu verbringen, war teuer. Zudem war das (sub-) tropische Klima der Gesundheit weißer Soldaten abträglich. Für die teils »gepressten« Söldner verhieß dagegen Thomas Morlang, Askari und Fitafita. »Farbige« Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin 2008 (= Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 8). ISBN 978-386153-476-1; 204 S., 24,90 Euro der Einsatz mitunter gute Verdienstmöglichkeiten. Insgesamt dienten dem Deutschen Kaiser in 30 Jahren Kolonial­ zeit bis zu 50 000 nichtweiße Soldaten. Thomas Morlang nimmt Söldner in ­allen deutschen Kolonien in den Blick. Die Bekanntesten sind wohl die Askari in Deutsch-Ostafrika. Beinahe unbekannt dürften hingegen die Fitafita oder Leoleo auf Samoa sein. Schon bald wurden die rund 30 Mann auf Samoa für diverse Hilfsdienste eingesetzt, auch als Diener bei deutschen Beamten. Nach Ablauf der Dienstzeit war ein Aufstieg in die Landespolizei möglich, die unter anderem die chinesischen Arbeiter zu überwachen hatte; manchmal verhaftete sie auch betrunkene Weiße, was zu Konflikten über die Befugnisse der Söldner führte. 1914 wurde die Polizeitruppe nach einem Amoklauf einiger Polizisten aufgelöst. Fotos, Dokumente und Kartenmaterial sowie biografische Skizzen einzelner Söldner machen die Monografie zu ­einer lohnenden Lektüre. mt Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 riege und bewaffnete Konflikte weisen mehr als nur »rein« militärische Aspekte auf. Der Sammelband »Kolonialkrieg in China« unterstreicht dies auf eindrucksvolle Weise. In sechs Abschnitten beleuchten 26 Einzelbeiträge von deutschen, chinesischen und britischen Autorinnen und Autoren den Aufstand der »Boxerbewegung« in China und deren blutige Niederschlagung in vielen Facetten. Deutschland besaß strategische Interessen im geschwächten China und war mit seiner Kolonie »Kiautschou« im »Reich der Mitte« präsent. Die Belagerung des ­Pekinger Diplomatenviertels durch die »Boxerbewegung« im Sommer 1900 und die Ermordung des deutschen Gesandten rief Deutschland auf den Plan. Ende Juli 1900 setzte sich ein deutsches Expeditionskorps als Teil einer multinationalen Expeditionsarmee nach China in Bewegung. Kaiser Wilhelm II versuchte durch seine »Hunnenrede« die Truppen zu motivieren: »Pardon wird nicht gegeben!« Wie die anderen Bände der Reihe »Schlaglichter der Kolo­nialgeschichte« des Verlages Ch. Links ist auch dieses Buch mit zahlreichen Abbildungen ausgestattet. Gut lesbar, will es ein breites Publikum ansprechen und genügt darüber hinaus wissenschaftlichen Ansprüchen. hp Mechthild Leutner und Klaus Mühlhahn (Hrsg.), ­Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900–1901, Berlin 2007 (= Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 6). ISBN 978-3-86153-432-7; 270 S., 24,90 Euro Nachtschlachtgruppen Fremdenlegionäre Inszenierter Terror? E E M iner ironischen Weisheit zufolge habe die Deutsche Luftwaffe des Zweiten Weltkrieges so gut wie keinen Befehl befolgt, bis auf den letzten, die eigenen Unterlagen gründlich zu vernichten. Deshalb ist die Quellenlage heute schlecht und folglich die Geschichte der Luftwaffe schwer zu Christian Möller, Die Einsätze der Nachtschlachtgruppen 1, 2 und 20 an der Westfront von September 1944 bis Mai 1945. Mit einem Überblick über Entstehung und Einsatz der Störkampf- und Nachtschlachtgruppen der deutschen Luftwaffe von 1942 bis 1944, Aachen 2008. ISBN 978-3-938208-67-0; 358 S., 44,50 Euro schreiben. Die Dissertation von Chris­ tian Möller beweist, dass sich Einzel­as­ pekte der Luftwaffengeschichte trotzdem erforschen lassen, wenn Quellen aus privater Hand genutzt werden. Er stellt am Beispiel dreier Nachtschlachtgruppen sehr detailreich die verzweifelte Situation der Wehrmacht an der Westfront in der Endphase des Krieges dar. Die Aufstellung von Nachtschlachtgruppen ging auf sowjetische Vorbilder zurück und resultierte aus der eigenen Unterlegenheit: Dem Heer auf dem Gefechtsfeld konnte bei Tage keine direkte Unterstützung mehr gewährt werden, zu erdrückend waren alliierte Luftüberlegenheit und deren bodengebundene Flugabwehr. Der besondere Blick Möllers gilt dabei dem »Faktor Mensch«, dem Führungsstil sowie der psychischen und physischen Belastung, deren Bedeutung die Luftwaffe sträflich unterschätzte. hp s dürfte eine kaum bekannte Tatsache sein, dass auf Seiten der vietnamesischen antikolonialen Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh nach dem Zweiten Weltkrieg einige Deutsche und Österreicher gekämpft haben. Der in Paris lebende deutsche Historiker Heinz Schütte hat drei Lebenswege dieser »Überläufer« nachgezeichnet. Als junge Burschen waren sie vor den Nationalsozialisten nach Paris geflohen. Nach ihrer Internierung bei Kriegsausbruch im Herbst 1939 traten sie in die französische Fremdenlegion ein und wurden zunächst in Nord­ afrika und dann in Indochina eingesetzt. Nach 1945 liefen sie zum Viet Minh über, arbeiteten beim Radio und verfassten Flugblätter. Die späteren Überläufer der »zweiten Generation« aus der Fremdenlegion waren vor allem ehemalige Angehörige der Wehrmacht oder Waffen-SS. Sie waren zumeist antikommunistisch eingestellt und wollten mit dem propagierten kommunistischen Aufbau in Vietnam nichts zu tun haben. Einige deutsche Überläufer wurden in der Folge vom Viet Minh erschossen. Die von Schütte verfolgten Lebenswege führten die drei Söldner später in die DDR, wo sie zunächst als »antifaschistische Kämpfer« hofiert wurden. Zunehmend ins Visier der Stasi geraten, verließen sie enttäuscht die DDR und gingen in die Bundesrepublik Deutschland. In einer aufwendigen Kleinarbeit hat Schütte das spannende Leben und Wirken der drei Überläufer nachgezeichnet. Ulrich van der Heyden Heinz Schütte, Zwischen den Fronten. Deutsche und österreichische Überläufer zum Viet Minh, Berlin 2006 (= Berliner Südostasien-Studien, Bd 6). ISBN 3-8325-1312-4; 371 S., 22 Abb., 39,00 Euro it Beginn des Kalten Krieges befürchteten ranghohe westeuropäische und US-amerikanische Politiker und Militärs sowohl einen direkten Angriff der sowjetischen Streitkräfte auf Westeuropa als auch eine Beeinflussung der eigenen Bevölkerung durch kommunistische und sozialistische Parteien. Als eine von vielen Reaktionen auf diese ernst genommenen Bedrohungen bauten der amerikanische und britische Geheimdienst feDaniele Ganser, NATO-Geheim­ armeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Zürich 2008. ISBN 978-3280-06106-0; 445 S., 29,80 Euro derführend verdeckte, streng geheime paramilitärische Gruppierungen unter der Tarnbezeichnung »Gladio« auf. Im Falle einer sowjetischen Besetzung West- und Südeuropas sollten sie im Rücken der feindlichen Streitkräfte Guerillaeinsätze durchführen. 19 NATOMitgliedsstaaten sowie Österreich, Finnland, Schweden und die Schweiz beteiligten sich an »Gladio«. Die eigentliche Brisanz der Untersuchungen von Daniele Ganser liegt jedoch in seiner These, dass die Geheimarmeen gezielt zum Kampf im Innern Westeuropas eingesetzt wurden. Dabei hätten die Geheimdienste und Militärs systematisch mit Rechtsextremen und Terroristen kooperiert. Die so initiierten blutigen Anschläge, wie zum Beispiel in Italien, seien dann linksgerichteten Organisationen in die Schuhe geschoben worden. Dem Baseler Historiker Ganser blieb der Zugang zu den NATO-Geheimunterlagen und weiteren Schlüsseldokumenten verschlossen, sodass er den letzten Beweis für seine These schuldig bleiben muss. Dennoch stellt sein Buch eine spannende Lektüre dar und dürfte neue Forschungen anregen. mp Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 27 Service Artstetten Feldmarschallleutnant Freiherr Guido von Novak Arienti: »Ein Leben für Gott, Kaiser und Vaterland«. Ein Offizier und seine Zeit Schloss Artstetten Erzherzog Franz Ferdinand Museum A-3661 Artstetten Telefon: +43 (0) 74 13 / 80 06-0 Telefax: +43 (0) 74 13 / 80 06-15 www.schloss-artstetten.at [email protected] 1. April bis 2. November 2008 täglich 9.00 bis 17.30 Uhr Eintritt: 7,00 € ermäßigt ab 4,00 € Verkehrsanbindung: Pkw: A1 Richtung Linz/ Salzburg Abfahrt »Pöchlarn«. Berlin Afghanistan – Bilder aus einer anderen Welt. Photographien von Helmut R. Schulze Deutsches Historisches Museum – Pei-Bau Hinter dem Gießhaus 3 10117 Berlin Telefon: 030 / 20 30 40 Telefax: 030 / 20 30 45 43 www.dhm.de [email protected] (Führungen) 10. Oktober bis 14. Dezember 2008 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 5,00 € (Tageskarte für alle Ausstellungen) (Unter 18 Jahren frei) Verkehrsanbindung: S-Bahn: Stationen »Hackescher Markt« und »Friedrichstraße«; U-Bahn: Stationen »Französische Straße«, »Hausvogteiplatz« und »Friedrichstraße«; Bus: Linien 100, 157, 200 und 348 bis Haltstellen »Staatsoper« oder »Lustgarten«. 28 Ausstellungen Berlin 68: sichten einer revolte Stadtmuseum Berlin/ Ephraim-Palais Poststraße 16 10178 Berlin-Mitte Telefon: 030 / 24 00 21 62 www.ephraim-palais.de [email protected] 10. Juli bis 2. November 2008 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Mittwoch 12.00 bis 20.00 Uhr Eintritt: 5,00 € ermäßigt 3,00 € Verkehrsanbindung: U-Bahn: Stationen »Klosterstr«und, »Alexanderplatz«; S-Bahn: Station »Alexanderplatz«; Bus: M 48, 248; Tram: M 2, M 4, M 5, M 6. Geschichte der Luftfahrzeugantriebe Luftwaffenmuseum der Bundeswehr Kladower Damm 182 14089 Berlin-Gatow Telefon: 030 / 36 87 26 01 Telefax: 030 / 36 87 26 10 www.luftwaffenmuseum.com LwMuseumBwEingang@ bundeswehr.org 12. Oktober 2007 bis 31. Oktober 2008 Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 Uhr Eintritt frei Verkehrsanbindung: Eingang zum Museum: Ritterfelddamm / Am Flugfeld Gatow. Mythos Germania. Schatten und Spuren der Reichshauptstadt Pavillon Gertrud-KolmarStraße 14 (Ecke HannahArendt-Straße) unmittelbar am Stelenfeld (Denkmal für die ermordeten Juden Europas) http://berliner-unterwelten.de/ mythos-germania.637.0.html 15. März bis 31. Dezember 2008 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 (24. bis 26. Dezember 2008 geschlossen) täglich 11.00 bis 19.00 Uhr Eintritt: 6,00 € ermäßigt 4,00 € (Kinder unter 12 Jahre in Begleitung frei) Verkehrsanbindung: S-Bahn: S 1, S 2, S 25 bis Stationen »Potsdamer Platz« oder »Unter den Linden«. Celle Nec Aspera Terrent. Hannoversche Militärgeschichte vom Siebenjährigen Krieg bis zur Schlacht bei Langensalza. Zinnfiguren-Ausstellung in der Ehrenhalle der Hannoverschen Armee Bomann-Museum Celle Schloßplatz 7 29221 Celle Telefon: 0 51 41 / 1 23 72 Telefax: 0 51 41 / 1 25 35 www.bomann-museum.de (links unter Museen auf »Bomann-Museum« klicken) [email protected] 20. April bis 26. Oktober 2008 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 3,00 € ermäßigt ab 1,00 € Frankfurt (Oder) »Was für ein Kerl!« Heinrich von Kleist im »Dritten Reich« Kleist-Museum Faberstraße 7 15230 Frankfurt (Oder) Telefon: 03 35 / 53 11 55 Telefax: 03 35 / 5 00 49 45 www.kleist-museum.de [email protected] 19. August bis 9. November 2008 Eintritt: 3,00 € ermäßigt 2,00 € Verkehrsanbindung: Wegbeschreibung unter www.kleist-museum.de, Menüpunkt Museumsbesuch. Koblenz Mythos Ritter – Adel & Burgen am Mittelrhein Landesmuseum Koblenz Festung Ehrenbreitstein 56077 Koblenz Telefon: 02 61 / 66 75 0 Telefax: 02 61 / 70 19 89 www.landesmuseumkoblenz.de 16. Juni bis 9. Nov. 2008 täglich 9.30 bis 17.00 Uhr Eintritt: 4,00 € ermäßigt 3,00 € Verkehrsanbindung: Siehe www.landesmuseum­ koblenz.de, Menüpunkt Besucherinfos. Kossa/Söllichau Militärmuseum Bunker Kossa Dauerausstellung zur NVA-Geschichte Dahlenberger Str. 1 04849 Kossa/Söllichau Telefon: 03 42 43 / 2 21 20 Telefax: 03 42 43 / 2 31 20 www.bunker-kossa.de [email protected] Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 16.00 Uhr (Führungen jeweils 10.00 und 13.00 Uhr) Eintritt 5,00-10,00 € Verkehrsanbindung: Von Bad Düben nach Söllichau, am Ortsausgang Söllichau hinter Bahnübergang links, der Waldstraße folgen, Ausschilderung beachten. Ludwigsburg Die Garnison in Zinn Garnisionmuseum Ludwigsburg Asperger Straße 52 71634 Ludwigsburg Telefon: 0 71 41 / 9 10 24 12 Telefax: 0 71 41 / 9 10 23 42 www.garnisonmuseumludwigsburg.de [email protected] 7. September 2008 bis 28. Januar 2009 Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr (und auf Anfrage) Eintritt: 2,00 € ermäßigt 1,00 € Verkehrsanbindung: Pkw: A 81-B 27; S-Bahn: S 4 und S 5 (von Stuttgart bzw. Bietigheim) bis Station »Ludwigsburg«. Munster Unverschämtes Glück Deutsches Panzermuseum Munster Hans-Krüger-Str. 33 29633 Munster Telefon: 05 19 / 22 55 2 Telefax: 05 19 / 21 30 21 5 www.munster.de (links Verlinkung zum »Panzermuseum«) [email protected] 5. Juni bis 1. November 2008 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Montag geschlossen (letzter Einlass 17.00 Uhr) An den Feiertagen auch montags geöffnet Eintritt: 5,00 € ermäßigt 2,50 € Verkehrsanbindung: Pkw: Eine Anfahrtsskizze gibt es auf der Internetseite unter »Kontakt«, dann »Anfahrt«; Bahn: Vom Bahnhof Munster entweder mit Taxi oder zu Fuß über Bahnhofsstraße, Wagnerstraße und Söhlstraße zur Hans-Krüger-Straße (ca. 15 Minuten Fußweg). Nordholz Manfred von Richthofen AERONAUTICUM Deutsches Luftschiff- und Marinefliegermuseum Peter-Strasser-Platz 3 27637 Nordholz Telefon: 0 47 41 / 18 19 - 13 (oder -11) Telefax: 0 47 41 / 18 19 - 15 www.aeronauticum.de [email protected] 10. April 2008 bis 11. Januar 2009 Februar bis November täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Dezember bis Januar täglich 10.00 bis 16.00 Uhr Eintritt: 6,50 € ermäßigt 2,50 € Verkehrsanbindung: Anfahrtsbeschreibung per Kfz: www.aeronauticum.de (Menüpunkt Besucher­ information, Anfahrt). Willy Messerschmitt (1898‑1978) – ein Konstrukteur und seine Flugzeuge AERONAUTICUM (siehe oben) 22. November 2008 bis 29. März 2009 »Narben bleiben – die Erinnerung lebt weiter.« Veranstaltung, anlässlich des bevorstehenden Volkstrauertages AERONAUTICUM (siehe oben) 9. November bis 30. November 2008 Prora Zeuge und Opfer der Apokalypse Dokumentationszentrum Prora Objektstraße, Block 3/ Querriegel 18609 Prora Telefon: 03 83 93 / 1 39 91 Telefax: 03 83 93 / 1 39 34 www.proradok.de [email protected] 4. Oktober bis 30. November 2008 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 3,00 € ermäßigt 2,00 € (Kinder unter 14 Jahren freier Zutritt) Verkehrsanbindung: Bahn: Regionalbahn von Stralsund bzw. Binz bis zur Station »Prora-Nord« oder »Prora-Ost«; Pkw: Von Stralsund über den Rügendamm auf der B 196 und weiter auf der B 196a Richtung Binz nach Prora. Verführt, Verleitet, Verheizt – Das kurze Leben des Nürnberger Hitlerjungen Paul B. Dokumentationszentrum Prora (siehe oben) 8. November 2008 bis 31. März 2009 NVA-Museum Objektstraße Block 3/ Treppenhaus 2 18609 Prora Telefon: 03 83 93/ 32 69 6 Eintritt: 6,50 € ermäßigt 3,50 € Speyer Die Wikinger Historisches Museum der Pfalz Domplatz 67346 Speyer Telefon: 0 62 32 / 1 32 50 Telefax: 0 62 32 / 1 32 54 0 www. museum.speyer.de [email protected] 14. Dezember 2008 bis 12. Juli 2009 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 10,00 € ermäßigt 7,00 € Verkehrsanbindung: Anfahrtsbeschreibung per Bus und Kfz unter www.museum.speyer.de (Menüpunkt Informationen, Anreise). Militärhistorisches Institut Arsenal, Objekt 1 A-1030 Wien Telefon: +43 (1) / 79 56 1-0 Telefax: +43 (1) / 79 56 1-17 70 7 www.hgm.or.at [email protected] 11. Juni bis 9. November 2008 täglich 9.00 bis 17.00 Uhr Freitag geschlossen Eintritt: 5,10 € ermäßigt 3,30 € (bis 10 Jahre frei) Verkehrsanbindung: Schnellbahn: Bis Station »Südbahnhof«; Straßenbahn: Linien 18, D, O; Autobus: Linien 13 A, 69 A; U-Bahn: U 1 bis Station »Südbahn­ hof«, U 3 bis Station »Schlachthausgasse«. Wilhelmshaven Meuterei – Revolution – Selbstversenkung. Die Marine und das Ende des Ersten Weltkrieges Deutsches Marinemuseum Südstrand 125 26382 Wilhelmshaven Telefon: 0 44 21 / 4 10 61 www.marinemuseum.de [email protected] 25. April bis 9. November 2008 April bis Oktober täglich 10.00 bis 18.00 Uhr November bis März täglich 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 8,50 € ermäßigt 5,00 € Wien Einmarsch ’38 Heeresgeschichtliches Museum Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 29 Militärgeschichte kompakt ullstein bild - R. Dietrich 6. November 1958 Beschaffung der F-104 G »Starfighter« Die ersten Strahlflugzeuge der fliegenden Verbände von Luftwaffe und Marine ab 1956 waren sehr schnell veraltet. Gesucht wurde nun ein modernes Überschallflugzeug, dass in mehreren Rollen eingesetzt werden konnte und vor allen Dingen fähig war, als Nuklearwaffenträger zu dienen. Die Entscheidungsfindung seitens der Luftwaffe zu Gunsten der F-104 »Starfighter« des amerikanischen Herstellers Lockheed fiel in das Jahr 1958. Am 6. November billigte der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages ein 5 F-104 G »Starfighter« umfangreiches Flugzeugbeschaffungsprogramm, das auch der Luftwaffe 1968 mit die Bestellung von zunächst 300 F-104 beinhaltete. Insgesamt wurden für Luftwaffe und Marine 916 Flugzeuge dem Flugzeugführer und dem kompletten dieses Typs beschafft. Die Einführung in die Truppe erfolgte ­Sicherungs- und ab 1961, die letzten Maschinen waren beim LuftwaffenverWartungs­team. sorgungsregiment 1 in Erding bis 1987 im Einsatz. Die F-104 G wurde in Teilen von der jungen westdeutschen Flugzeug- und Triebwerksindustrie in Lizenz gefertigt. Die Maschine stellte die Bundeswehr vor große Probleme. Es galt, einen amerikanischen Tagjäger mit nur einem Triebwerk für europäische Wetterbedingungen und den Einsatz in mehreren Rollen fit zu machen. Die neu aufgebauten Teilstreitkräfte Luftwaffe und Marine mussten lernen, dass sie es nicht nur mit einem Flugzeug, sondern mit einem modernen hochkomplexen Waffensystem zu tun hatten. Damit waren sie anfangs organisatorisch, technisch und mental überfordert. Erst die entsprechenden Änderungen und ein intensives Pilotentraining in Luke Air Force Base (Arizona), aber auch in Deutschland schufen hier Abhilfe. Insgesamt verunglückten 292 Starfighter der Bundeswehr, 108 deutsche Flugzeugführer ließen dabei ihr Leben. hp ullstein bild 25. Dezember 1978 Ende der Terrorherrschaft in Kambodscha 1970 geriet das Königreich Kambodscha in den Sog des Vietnamkrieges. Die USA installierten ein ihnen verbundenes Regime und weiteten ihren Krieg gegen die Vietcong auf das Nachbarland aus. Nach fünf Jahren Krieg und Flächenbombardements übernahm die sich selbst »Khmer Rouge« nennende Guerilla 1975 die Macht im Land. Alle Stadtbewohner wurden innerhalb von Tagen auf die Dörfer und Felder getrieben und mussten auf den »killing fields« Sklavenarbeit leisten. »Intellektuelle«, wie Lehrer und Ärzte, und sogar Brillenträger wurden ermordet. Unter der Terrorherrschaft der Roten Khmer und ihres Führers Pol Pot starben nach UN-Schätzungen ca. 3 Millionen Menschen. 5 Grausiges Zeugnis Am 25. Dezember 1978 starteten über 100 000 vietnamesi­ der ­Herrschaft der sche Soldaten die Besetzung des Nachbarlandes. Am 7. Januar Roten Khmer: 1979 marschierten sie in Phnom Penh ein und beendeten zubis zu drei Millionen mindest dort die Schreckensherrschaft der Roten ­ Khmer. Tote in vier Jahren. Deren Führung und Truppen flüchteten in die Grenzgebiete zu Thailand und begannen einen Guerillakrieg. Der kambodschanische Bürgerkrieg wurde weiterhin vom Kalten Krieg der Supermächte und von der sowjetisch-chinesischen Feindschaft genährt: Hinter Vietnam standen die Sowjetunion und der Ostblock. China und die USA blieben Schutzmächte der Roten ­Khmer. Als vermeintliche »Strafaktion« überschritten chinesische Truppen im Februar 1979 die nordvietnamesische Grenze und wurden in harten Kämpfen zurückgeschlagen. Erst das nahende Ende des Kalten Krieges und die Annäherung zwischen Moskau und Peking ermöglichten 1988/89 eine politische Lösung für das geschundene Land. China und die USA beendeten ihre Hilfe für die Roten Khmer, 1989 zogen die Vietnamesen ab. Pol Pot starb 1997 in seinem Dschungelcamp unter ungeklärten Umständen. Ein UN-Tribunal erhob 2007 erste Anklagen gegen die überlebenden Führer der Roten Khmer wegen Genozides am eigenen Volk. ks 30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Heft 4/2008 Service Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Vorschau Das Ende des Ersten Weltkrieges und die folgenden Jahre nehmen auch im nächsten Heft der Militärgeschichte einen breiten Raum ein. Der 1929 erschienene Roman »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque schildert die Schrecken des Ersten Weltkrieges an der Westfront aus der Sicht eines jungen Soldaten, der kurz vor Kriegsende tödlich getroffen wurde, »an einem Tag, der so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.« Der Roman sorgte nach seinem Erscheinen für heftige Kontroversen. Remarques Buch entwickelte sich dessen ungeachtet zum Literaturklassiker, der bis heute weltweit millionenfach verkauft wurde. Matthias Rogg stellt den einst umstrittenen Roman und vor allem seine Rezeptionsgeschichte vor. Peter Lieb richtet den Blick auf die deutsche Herrschaft und Partisanenbekämpfung in der Ukraine von Februar 1918 bis März 1919. Dabei zieht er auch einen Vergleich zwischen dem deutschen Vorgehen 1918/19 und 1941– 1944 und stellt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede heraus. 2008 jährt sich nicht nur das Kriegsende 1918: 1968 wurde die Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs als Bundesarchiv-Militärarchiv nach Freiburg i.Br. verlegt. Das Militärarchiv verwahrt Archivgut der preußischen und der deutschen Armeen von 1867 bis zur Gegenwart. Andreas Kunz verschafft Einblicke in das Innenleben dieser Institution. Er beschreibt, wohin das von der Bundeswehr abgegebene Schriftgut (z.B. Einsatztagebücher) gelangt und wie es – sofern es nach Prüfung durch den Archivar nicht »kassiert«, d.h. vernichtet wird – aufbewahrt und zugänglich gemacht wird. Ein Beitrag aus der Feder von Klaus Jürgen Bremm über Eisenbahnen und Festungen in den militärischen Planungen Preußens im 19. Jahrhundert rundet schließlich die nächs­te Ausgabe der Militärgeschichte ab. mp ullstein bild Militärgeschichte im Bild 50 Jahre »Gorch Fock« 3 Die »Gorch Fock« auf der Werft Blohm & Voss kurz vor der Indienststellung im ­Dezember 1958: Seeleute schlagen die Segel an. PIZ Marine 6 Der Albatros am Bug. D ie hohen Masten und der schlanke Bug der »Gorch Fock« ziehen seit nunmehr 50 Jahren Unteroffiziere und Offizieranwärter auf See − zunächst der Bundesmarine und später der Deutschen Marine. Die »Gorch Fock« wurde als Dreimastbark nach den neusten Sicherheitsstandards in der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut und am 17. Dezember 1958 in Dienst gestellt. Stapellauf und Taufe hatten schon am 23. August desselben Jahres stattgefunden. Taufpatin war die damals 14-jährige Nichte des Namensgebers Gorch Fock, Ulli Kinau. Hinter dem Pseudonym Gorch Fock verbirgt sich der deutsche Schriftsteller Johann Wilhelm Kinau. Bekannt wurde Kinau durch Romane wie »Seefahrt ist Not« , die er in niederdeutscher Sprache (Platt) verfasste. Er selbst nahm als Soldat im Ersten Weltkrieg zunächst als Infanterist in Serbien, Polen und Russland und später als Marinefreiwilliger teil. Am 1. Juni 1916 ging er mit dem kleinen Kreuzer »SMS Wiesbaden« im Skagerrak unter. Kinau wurde nur 36 Jahre alt und liegt heute auf der schwedischen Insel Stensholm begraben. Am 23. August 1958 hörten die knapp 10 000 Gäste auf der Schiffstaufe in Hamburg folgenden Taufspruch: »Boben dat Leben steiht de Dood. Ober boben den Dood steiht wedder dat Leben! Ick däup di up den Nom Gorch Fock!« (»Über dem Leben steht der Tod. Aber über dem Tod steht wieder das Leben. Ich taufe dich auf den Namen Gorch Fock!« ). Seit ihrer Existenz trägt die »Gorch Fock« als Galionsfigur den Albatros. In 50 Jahren musste er immerhin fünf Mal ersetzt werden: zuerst 1969, dann 1970, schließlich noch einmal 2002 und 2003. Dem Gerücht, dass die seit 1997 als Sanitätsanwärter und ab 2001 als Offizieranwärter des Truppendienstes an Bord gekommenen Frauen daran Schuld hätten, kann der Wind aus den Segeln genommen werden. Einzig die raue See im Englischen Kanal und in der Biskaya verlieh dem Albatros oftmals »Flügel«. Nun mag es dem einen oder anderen altmodisch erscheinen, im 21. Jahrhundert ein Segelschulschiff zu unterhalten, zumal die Marinesoldaten später doch auf hochtechnisierten Schiffen und Booten ihren Dienst leisten. Doch 700 000 zurückgelegte Seemeilen und unzählige Aufenthalte in ausländi­ schen Häfen gaben der »Gorch Fock« und ihrer Besatzung den Beinamen »Botschafter in Blau« . Sie trugen maßgeblich zum positiven Erscheinungsbild der Bundesmarine und der Deutschen Marine im Ausland bei. Ein Indiz für die Bedeutung des Segelschiffes für die seemännische Ausbildung sind die vier Schwesterschiffe der »Gorch Fock«. Alle vier wurden zwischen 1933 und 1938 bei Blohm & Voss gebaut und werden bis auf die »Gorch Fock I« , heute »Towarischtsch«, für die seemännische Ausbildung des Marinenachwuchses genutzt. So fährt die US-Küstenwache die ehemalige »Horst Wessel« unter dem Namen ­»Eagle« . Die portugiesische Marine segelt mit der »Sagres II« , früher »Albert Leo Schlageter« , um die Welt, und die Rumänen werden bis heute auf der »Mircea« ausgebildet. In all diesen Jahren wurde Messing poliert, das Deck geschrubbt, mit dem Seegang gekämpft, wurden Segel gesetzt und wieder eingeholt und Nächte nicht mit Schlafen, sondern mit Potacken drehen (Kartoffeln schälen) verbracht. Und doch bleibt neben den Entbehrungen für viele der erste Sonnenuntergang auf See oder der nächtliche Sternenhimmel in bleibender Erinnerung. Nicht ohne Grund heißt es im Gorch-Fock-Lied, das der ehemalige Kommandant (1972–1978) des Schiffes, Kapitän zur See a.D. Hans Freiherr von Stackelberg, schrieb: »Weiß ist das Schiff, das wir lieben, weiß seine Segel, die sich bläh´n, stets hat der Wunsch uns getrieben, hoch vom Mast weit auf die See hinaus zu seh´n.« Anja Wegener Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 31 /&6&16#-*,"5*0/&/%&4.('" 8FHXFJTFS[VS(FTDIJDIUF ,BVLBTVT *N"VGUSBHEFT .JMJUÊSHFTDIJDIUMJDIFO'PSTDIVOHTBNUFT IFSBVTHFHFCFOWPO#FSOIBSE$IJBSJ VOUFS.JUBSCFJUWPO.BHOVT1BIM 1BEFSCPSO'FSEJOBOE4DIÚOJOHI 4&VSP *4#/ Die »Wegweiser zur Geschichte« setzen sich gezielt mit der Geschichte von Krisengebieten auseinander. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erläutern in verständlicher Form sowohl historische Entwicklungslinien als auch aktuelle Strukturen, Konflikte und Versuche ihrer Lösung. Die Reihe, die Bände zu Afghanistan, Kosovo, BosnienHerzegowina, dem Horn von Afrika, Sudan, der DR Kongo und dem Nahen Osten umfasst, richtet sich an alle, die Hintergrund- und Orientierungswissen über jene Krisenzonen suchen. Zu ihnen gehören Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz ebenso wie die breite politisch und historisch interessierte Öffentlichkeit. Alle Wegweiser-Beiträge in Volltextversion (PDF, mit Bildern und Karten) sowie zusätzliche Schlüsseldokumente finden Sie auf dem ständig aktualisierten Einsatzportal des MGFA im Internet, und zwar unter http://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/. www.mgfa.de In seiner Reihe »Wegweiser zur Geschichte«, die im Verlag Ferdinand Schöningh erscheint, veröffentlicht das MGFA einen neuen Band zur Krisenregion Kaukasus. Der Region zwischen Asien und Europa, Schwarzem und Kaspischem Meer kommt seit Jahrhunderten strategisches Interesse zu. Ihre reichen Bodenschätze stellen bis heute einen Motor für Wachstum und den Grund für Verteilungskämpfe gleichermaßen dar. Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 und der Entstehung der unabhängigen Staaten Armenien, Georgien und Aserbaidschan geriet der Kaukasus vor allem als Konfliktherd in die Weltpresse: Abchasien, Ossetien und Nagorny Karabach stehen für ungelöste nationale und territoriale Auseinandersetzungen in ethnischen Mischgebieten. Das zu Russland gehörende Tschetschenien im Nordkaukasus wurde zum Sinnbild eines Krieges, den der russische Staat und muslimische Separatisten mit großer Grausamkeit führen.