IP/04/603 Brüssel, den 6. Mai 2004 Gentests beim Empfehlungen Menschen: Auswirkungen und Gentests dienen der Feststellung genetisch bedingter Krankheiten. Sie helfen bei der Erkennung von Erbkrankheiten, der individuell auf den Patienten abgestimmten Behandlung und der Entwicklung neuer Arzneimittel. Aber solche Tests sind auch mit wichtigen ethischen Problemen verbunden. Auf einer Konferenz über die Problematik von Gentests beim Menschen, die heute und morgen vom europäischen Forschungskommissar Philippe Busquin in Brüssel ausgerichtet wird, stellt eine hochrangige Expertengruppe ihren Bericht und 25 Empfehlungen für eine verantwortungsvolle und ethisch vertretbare Anwendung von Gentests vor. Die Expertengruppe besteht aus Wissenschaftlern und Vertretern unterschiedlicher akademischer Fachrichtungen (Recht, Philosophie, Ethik und Medizin), nichtstaatlichen Organisationen (z. B. Patienenorganisationen) und der pharmazeutischen Industrie (Bayer, Genzyme, GSK, Novartis, Roche). Vorsitzende ist Frau Eryl McNally, Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Im Mittelpunkt der Empfehlungen stehen die Qualität der Gentests, die Notwendigkeit genetischer Vorsorgeuntersuchungen im Hinblick auf seltene schwere Krankheiten, Fragen der ethnischen Zugehörigkeit, die Vertraulichkeit und der Schutz genetischer Informationen sowie die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Gentests, insbesondere deren Auswirkungen auf die Gesundheitsfürsorgesysteme. „Die Forschung ist bei der Früherkennung der Krankheiten gewaltig vorangekommen. Aber der europäische Bürger erwartet zu Recht, dass Gentests zuverlässige Ergebnisse liefern und dass seine genetischen Informationen ordnungsgemäß verwendet werden“, erläutert EU-Forschungskommissar Philippe Busquin. „Diese neue leistungsfähige Technologie muss verantwortungsvoll eingesetzt und in einem vertrauensvollen Verhältnis zur Öffentlichkeit weiterentwickelt werden. Darum ist es wichtig, dass die Empfehlungen der Expertengruppe breit diskutiert und dann in den Mitgliedstaaten und in den Mediziner- und Forscherkreisen entsprechend umgesetzt werden. Um die Diskussion auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen, konsultierte die Gruppe auch andere Fachleute in Europa und den Vereinigten Staaten. Darüber hinaus beteiligten sich auch internationale Organisationen an der Arbeit der Expertengruppe, darunter die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europarat und die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA). Wozu dienen Gentests? Anhand von Gentests werden Genommerkmale ermittelt, die möglicherweise eine Krankheit hervorrufen oder das Risiko der Ausbildung einer Krankheit erhöhen. Da sich die DNA eines Menschen im Laufe des Lebens nicht verändert, lassen sich aufgrund genetischer Analysen langfristige Aussagen über den Gesundheitszustand treffen. Auf diese Weise ist es möglich, künftige Rückfälle oder das Ausbrechen von Krankheiten vorherzusehen und entsprechend besser zu verhindern oder zu behandeln. Dadurch verlagert sich der Schwerpunkt der Gesundheitsfürsorge immer mehr von der Krankheitsbehandlung zur Krankheitsvorsorge und zur Ausprägung einer gesünderen Lebensweise. Dies wiederum führt zur Senkung der Kosten des Gesundheitswesens und zur Verbesserung der Lebensqualität der europäischen Bürger in einer alternden Gesellschaft. Aber Gentests können sich auch negativ auf das Leben eines Menschen auswirken und sogar den Familien- und Freundeskreis beeinträchtigen. Sie sind eine wichtige Grundlage für Lebensentscheidungen und müssen deshalb so präzise wie irgend möglich sein. Ärzte, medizinisches Fachpersonal und Patienten müssen die möglichen Folgen solcher Tests genau kennen, bevor sie sich dafür oder dagegen entscheiden. Gegenwärtig sind nur sehr wenige Menschen in der Lage, die Notwendigkeit von Gentests zu beurteilen und deren Folgen zu überblicken. Mehr Gentests überall in Europa Mit den Erfolgen der Wissenschaft bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, dieser drei Milliarden Zeichen des DNA-Codes, aus denen der einzigartige genetische Bauplan eines Menschen besteht, wächst auch die Nachfrage nach Gentests als Hilfsmittel der medizinischen Diagnostik. Heute werden jährlich in Europa über 700 000 Gentests durchgeführt, die einem wirtschaftlichen Gegenwert von 500 Mio. € pro Jahr ausmachen (wobei sich diese Zahl auf die Gesamtzahl der jährlich in der EU durchgeführten Tests bezieht, nicht auf die Anzahl unterschiedlicher genetischer Testverfahren). Empfehlungen Zur Einleitung einer breiten Diskussion über die ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte von Gentests hat die Europäische Kommission eine Expertengruppe mit Persönlichkeiten aus Forschung und Wissenschaft, aus der Industrie und dem Gesundheitswesen sowie Vertretern von Patientenorganisationen unter dem Vorsitz der EP-Abgeordneten Eryl McNally einberufen. Nach einem Jahr Arbeit hat die Gruppe nun 25 Empfehlungen vorgelegt, die auf der Konferenz diskutiert werden sollen. Qualität der Gentests Obwohl die Gentests in Europa auf einem hochwertigen wissenschaftlichen Knowhow basieren, kann es zu technischen Fehlern und einer unzulänglichen Auswertung kommen. Grund dafür ist das Fehlen geeigneter Strukturen, sich ergänzender Prozesse und gemeinsamer Ziele in Bezug auf die Bereitstellung von Qualitätsdiensten für alle Bürger. Im Rahmen der Gesundheitsversorgung sollte ein Test nur dann angeboten werden, wenn seine Zuverlässigkeit erwiesen ist und er aus triftigen medizinischen Gründen sinnvoll erscheint. Daher muss dringend ein Validierungssystem für Gentests geschaffen werden. 2 Seltene Krankheiten Nur in wenigen Ländern gibt es Vorsorgeuntersuchungen für seltene ernste Krankheiten. Die Gruppe schlägt daher vor, dringend ein europäisches Netz für diagnostische Tests auf seltene genetische Krankheiten zu schaffen und dieses Netzwerk finanziell zu unterstützen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten vorrangig dafür sorgen, dass Neugeborene systematisch im ersten Lebensmonat auf jene seltenen schweren Krankheiten untersucht werden, für die es bereits Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ethnische Zugehörigkeit und Genetik Die Ergebnisse von Gentests können sich nach ethnischer Herkunft der Patienten unterscheiden. So gibt es genetische Varianten, die bei bestimmten Bevölkerungsgruppen häufiger anzutreffen sind als in anderen. Bei der Entwicklung neuer Tests sollte solchen Bevölkerungsgruppen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, um einen fairen Zugang zu den Gentests sicherzustellen und eine Stigmatisierung oder Stereotypisierung aufgrund der Rasse zu verhindern. Insbesondere dürfen Gentests niemals zur Bestimmung der ethnischen Zugehörigkeit verwendet werden. Datenschutz: Vertraulichkeit, Privatsphäre und Selbstbestimmung Die Bedenken der Öffentlichkeit gegenüber Gentests beruhen vor allem auf der Angst vor einem möglichen Missbrauch genetischer Daten und vor einem unbefugten Zugriff Dritter. Die Wahrung der Vertraulichkeit und der Privatsphäre in Bezug auf alle personenbezogenen medizinischen Daten, einschließlich jener aus Gentests, ist ein Grundrecht, das unbedingt respektiert werden muss. Jeder Mensch hat das Recht, seine Testergebnisse zu kennen, aber auch das Recht, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Rechtsschutz in diesem Bereich ist von überragender Bedeutung und die EU-Datenschutzrichtlinie bildet einen geeigneten Rahmen für den Schutz der personenbezogenen Daten. Soziale, kulturelle und wirtschaftliche Folgen Derzeit gibt es auf EU-Ebene nur relativ wenige Informationen über die Auswirkungen von Gentests auf das Gesundheitswesen und dessen wirtschaftliche Aspekte. Die Expertengruppe empfiehlt die Bereitstellung von Mitteln für europäische Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen von Gentests auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte der Gesundheitsversorgung. Kommission überwacht Qualitätsstandards für Gentests Als Beitrag zur Gentest-Diskussion hat die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission kürzlich einen Bericht über Möglichkeiten der Qualitätssicherung und Harmonisierung der Gentests in der EU („Towards quality assurance and harmonisation of genetic testing services in the EU“) veröffentlicht. Darin werden europaweit die Qualitätsstandards für Gentests untersucht. Der Bericht deckt bestehende Mängel auf und enthält Vorschläge für die Gewährleistung einer höchstmöglichen Qualität solcher Dienste und für einheitliche Qualitätskontrollen, die Entwicklung zertifizierter Referenzmaterialien, die Verbesserung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und den Aufbau einer Datenbank der europäischen Gentestzentren. 3 Alle 25 Empfehlungen finden Sie in den 19 Sprachen der erweiterten Europäischen Union unter: http://europa.eu.int/comm/research/conferences/2004/genetic/recommendations_en.htm. Weitere Informationen über die Konferenz zum Thema „Problematik von Gentests beim Menschen“ erhalten Sie unter: http://europa.eu.int/comm/research/conferences/2004/genetic/index_en.htm. Entwurf des Berichts der Expertengruppe: http://europa.eu.int/comm/research/conferences/2004/genetic/report_en.htm Der Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU über die Qualitätssicherung und Harmonisierung der Gentests in der EU („Towards quality assurance and harmonisation of genetic testing services in the EU“) ist erhältlich unter: http://www.jrc.es http://www.jrc.es/home/publications/publication.cfm?pub=1124 Stellungnahmen der Europäischen Ethikgruppe über die ethischen Aspekte von Gentests am Arbeitsplatz finden Sie unter: http://europa.eu.int/comm/european_group_ethics/index_en.htm 4