Industrie 4.0 - schwill sommerhoff

Werbung
70 F A C H B E I T R Ä G E I M P U L S E F Ü R D I E P E R S O N A L A R B E I T
Industrie 4.0
HR-Strategen zeigen ihre Stärken Computer formulieren
eigenständig Quartalsberichte. Sie analysieren Stimmen von Mitarbeitern auf Anzeichen
für einen bevorstehenden Burn-out. Sie suchen den für ein Team passenden Kollegen
aus. Industrie 4.0 revolutioniert die Arbeitswelt. Und Personalverantwortliche müssen
sich mit einer neuen Gruppe von Mitarbeitern auseinandersetzen: dem Kollegen
Computer. Wie wird er die Führungskultur im Unternehmen verändern?
PERSONALFÜHRUNG 9/2015
71
Das Miteinander im Team? Das Wertesystem
▶
des Unternehmens? Wo zeigt das sogenannte
freie Journalistin zu
Themen aus dem PersonalInternet der Dinge seine disruptive Kraft und
management, Kommunikationsberaterin für HR und
ersetzt klassische Aufgabenfelder von HR?
Führungskräfte, Düsseldorf
Fragen, die für Unternehmen aller Branchen und
Größen relevant und hochaktuell sind. Und ein
Themenkomplex, mit dem HR-Strategen ihre Stärken zeigen können.
DIE AUTORIN
BARBARA SOMMERHOFF
PERSONALFÜHRUNG 9/2015
72
FACHBEITRÄGE IMPULSE FÜR DIE PERSONALARBEIT
U
mso verblüffender klingen die Antworten einiger Personaler auf die Frage, wie sie ihr Unternehmen auf Industrie 4.0 einstimmen.
Denn beim Wie sind vor allem HR-Verantwortliche aus der Dienstleistungsbranche noch gar nicht
angekommen. Sie befassen sich einstweilen mit dem
Ob. „Ist das denn für uns überhaupt ein Thema?“,
klang die häufig geäußerte Gegenfrage bei den Recherchen. Die eingangs genannten Beispiele geben
die Antwort. Und innovative Personalmanager de-
eruiert nicht nur, welche Chancen Industrie 4.0
für das Unternehmen birgt, sondern ihr Bereich
entwickelt auf der Grundlage der Unternehmenskultur auch eine Strategie, mit der Offenheit für
die Auseinandersetzung mit dem Thema geschaffen wird.
monstrieren, wie sie aus der Revolution, die derzeit
machtvoll unsere gewohnten Unternehmensstrukturen durchrüttelt, Funken auch für ihr Ressort
schlagen. Beispiel ThyssenKrupp Steel Europe: ein
Unternehmen mit rund 26 000 Mitarbeitern, größter deutscher Hersteller von Qualitätsflachstahl, internationaler Ausrichtung und dem Image einer alten Industriekultur. „Wir stehen zugleich aber – entgegen
vieler unserer Initiativen – nicht unbedingt im Ruf,
Vorreiter zu sein“, sagt Dr. Katja Werpers, Leiterin
Learning, Development & Diversity Management.
Das gelte auch mit Blick auf das Thema Industrie 4.0.
„Wir werden gewiss nicht von jetzt auf gleich zum
digitalisierten Unternehmen werden“, so Werpers.
Aber, und das macht ihr Vorgehen beispielhaft: HR
tigen Zeitpunkt. Das von der EU geförderte Projekt untersucht die Frage, wie die Möglichkeiten,
die mit Industrie 4.0 verbunden werden, in den
Betrieben ankommen und wo die Vorteile für das
Wissensmanagement vor Ort liegen. ThyssenKrupp
Steel Europe ist unter den 15 teilnehmenden Unternehmen der einzige Stahlhersteller. „Interessant ist
die Teilnahme für uns, weil es um praktische Anwendungen geht, nicht um eine theoretische Forschungsarbeit“, so Dr. Benjamin Nakhosteen, Leiter Wissensmanagement und Lernende Organisation bei ThyssenKrupp Steel Europe. Wir verfolgen das Ziel,
herauszufinden, wie mobile Technologien den
Wissensaustausch von Mitarbeitern ermöglichen,
die an verschiedenen Orten arbeiten.“ Eine wirk-
Pflegehelfer: Aktuell
unterstützen Roboter wie
der Robear das Pflegepersonal vor allem mit
ihrer physischen Arbeitskraft (Foto re.).
Die Teilnahme an einem Forschungsprojekt,
das vom Virtual Vehicle Research Center in Graz
koordiniert wird, kommt dafür gerade zum rich-
RFID-Chips: Als Implantat
in der Hand öffnen sie
Türen, im Lkw verbaut
zeigen sie dem Spediteur
die Route seiner Fahrzeuge an.
PERSONALFÜHRUNG 9/2015
73
lich industrietaugliche Lösung für Teams,
die räumlich getrennt zusammenarbeiten
sollen, gebe es bislang nicht.
MEHRARBEIT FÜR DAS TEAM
Der Bedarf an Industrie 4.0 ist also vorhanden. Das heiße aber noch lange nicht,
dass jede Abteilung sofort Hurra ruft, wenn
um die Teilnahme am Forschungsprojekt
gebeten wird, so Nakhosteen. Denn zunächst bedeutet Mitmachen Mehrarbeit für
das Team. „Deshalb suchen wir im Unternehmen die Abteilungen, die von der Teilnahme am Projekt mutmaßlich besonders
stark profitieren.“ Mindestens ebenso wichtig sei es für sie als HR-Stratege, zu zeigen,
welchen Nutzen das Unternehmen insgesamt aus der Teilnahme am Forschungsprojekt zieht, ergänzt Werpers. „Unsere
Unternehmensvision und eines der daraus
abgeleiteten Handlungsfelder betrifft das
Thema Innovation. Und da finden wir im
Betrieb durchaus Menschen, die ein starkes Interesse daran haben, die InnovationsPERSONALFÜHRUNG 9/2015
kraft ihres Bereichs zu zeigen. Weil sie sich
damit auch persönlich profilieren können.“
Mit Speck fängt man Mäuse. Zugleich zeigt
das HR-Ressort sein strategisches Potenzial nach innen in die Abteilungen hinein
und auch in Richtung Geschäftsleitung.
Eine Aufgabe, die mit Kommunikationskompetenz, Fingerspitzengefühl und solider Kenntnis der Unternehmenskultur gelöst wird. Nicht gleich die große Welle zu
reiten, sondern erst einmal kleine Innovationsenklaven zu schaffen, in denen das
Thema angetestet wird, die Budgets überschaubar zu halten, solide Evaluierung vorzunehmen und stückweise andere Unternehmensbereiche einzubeziehen: Es sind
die kleinen Schritte, die das komplexe Thema Internet der Dinge ans Ziel bringen.
„Der Vorstand muss nicht immer als Erster
über jedes Projekt ins Bild gesetzt werden“,
so Werpers. Erst einmal sei es wichtig, ein
starkes Pilotprojekt zu konzipieren und bei
Erfolg eine Roadshow vorzubereiten, mit
der das Thema später im Unternehmen
ausgerollt werden kann. Mit innovations-
freudigen Kollegen. Und mit einem ebenso ausgerichteten Betriebsrat. Gerade das
Thema Industrie 4.0 weckt Abwehrreflexe.
Die Sorge vor Arbeitsplatzabbau ist dafür
nur eine Quelle. Gravierender ist der bislang fehlende Rechtsrahmen für neue Formen der Zusammenarbeit, die durch Industrie 4.0 entstehen.
KREATIVE LÜCKE
Crowdsourcing, Entgrenzung der Arbeitszeiten und
Mitarbeiterdatenschutz sind
nach Einschätzung von Peter
Hützen die heikelsten Punkte, die die Industrie 4.0 der
„schönen neuen Arbeitswelt“
beschert. Der Arbeitsrechtler unterstützt Arbeitgeber,
Modelle zu entwickeln, die
helfen, die Digitalisierung in
rechtlich sicherem Rahmen
umzusetzen. Der Bedarf ist
groß. „Für moderne Arbeitgeber, die eine eigene Arbeitgebermarke gestalten wollen,
ist das Thema Digitalisierung
der Arbeitswelt ein entscheidendes Positionierungsmerkmal“, sagt Hützen. Dass die
Bundesregierung zwar kräftig das Thema forciert, sich
beim rechtlichen Rahmen jedoch einstweilen zurückhält,
wertet der Jurist als positiv. „Gerade die
Herangehensweise von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist meiner Einschätzung nach sehr modern und offensiv. Statt
sofort die Paragrafenkeule zu schwingen,
ermöglicht ihr Ministerium, dass sich das
Thema erst einmal in der Praxis entwickelt.“
Die Initiative 4.0 der Ministerin, in der
Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften ihre Erfahrungen mitteilen und sich
austauschen können, sei der richtige Weg,
um sich dem radikalen Umbruch der Arbeitswelt zu stellen. „Der Gesetzgeber will
eine breite Bürgerbeteiligung statt der üb-
74
FACHBEITRÄGE IMPULSE FÜR DIE PERSONALARBEIT
lichen Expertenhearings“, sagt Hützen. Erst
nach Auswertung dieser Erfahrungen werde über die rechtlichen Rahmenbedingungen entschieden. Dass die gleichwohl nötig
sind, steht auch für den Juristen fest. Durch
die Möglichkeit, Arbeitsaufträge via Internet zu versteigern, das sogenannte Crowdsourcing, besteht potenziell
die Gefahr des Lohndumpings. Wer sorgt bei dieser
Art von Beschäftigungsverhältnissen für Arbeitsschutz,
Arbeitszeiten, adäquate Entlohnung? „Mir steht bei diesen Fragen immer das Bild
aus den Anfängen der Industrialisierung vor Augen:
die Automobilwerke in Detroit, am Werktor zig Männer auf Arbeitssuche und ein
Mann mit einer Tüte Äpfel.
Die Äpfel warf er in die Menge, und wer einen davon
auffing, hatte einen Job. Für
einen Tag.“
blatt). Die jungen gut ausgebildeten Berufseinsteiger legen zunehmend Wert auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch
diese Flexibilität berge die Gefahr der Selbstausbeutung, so Arbeitsrechtler Hützen. Der
Bedarf seiner Mandanten, klare Regelungen
zu fixieren, wachse stetig. Das gilt auch für
die Haut gehen. RFID-Chips in Lkw zeigen dem Spediteur jederzeit, wo sich sein
Wagen befindet, wie lange er irgendwo
steht. Und ein Abgleich mit Google Maps
zeigt, ob er die kürzestmögliche Fahrstrecke
wählt. Damit lässt sich ein Bewegungsprofil erstellen. Das, so Hützen, ist unzulässig.
GEFAHR FLEXIBLE
SELBSTAUSBEUTUNG
Auch die Entgrenzung
der Arbeitszeit sei kein triviales Thema. Das viel geprieseMobile Technologie im Einsatz in der Industrie.
ne Homeoffice sei für viele
Menschen aus unterschiedlichen Gründen attraktiv. Arbeitgeber gelten den Datenschutz. Zwar dürfte der Wunsch
als modern, wenn sie mindestens einen Teil von Beschäftigten nach einem implantierder Arbeitszeit im Homeoffice akzeptieren. ten Arbeitgeberchip in Deutschland eher
In den Niederlanden haben Arbeitnehmer gering sein – anders als in Schweden, wo die
seit dem 1. Juli dieses Jahres einen gesetz- Gruppe der Menschen, die sich einen sollichen Anspruch auf Homeoffice (Handels- chen RFID-Chip unter die Haut implantieblatt vom 19. Mai 2015). Danach dürfen ren lassen, rasch wachse (FAZ 21./22. FeArbeitgeber nur in begründeten Ausnahme- bruar 2015). Und das wäre nach deutschem
fällen die Anwesenheit des Mitarbeiters im Recht auch nicht erlaubt. Selbst wenn BeBetrieb verlangen. So weit ist der Gesetz- schäftigte sich freiwillig einen solchen Chip
geber in Deutschland noch nicht. Bislang implantieren ließen, besteht die Frage, ob
arbeiten bei uns erst zwölf Prozent aller Be- der Arbeitgeber die daraus gewonnenen Daschäftigten von zu Hause aus. Doch laut ten nutzen darf, meint Hützen.
einer Studie des IT-Branchenverbands Bitcom ist „der Arbeitsplatz mit AnwesenDoch diese Form der computergesteuheitspflicht ein Auslaufmodell“ (Handels- erten Kontrolle muss ja nicht gleich unter
Und die Nutzung des Google-Maps-Systems unterliegt der Mitbestimmung. Andererseits könnten dieselben Chips, wenn
sie beispielsweise von Soldaten im Einsatz
genutzt werden, deren Leben retten. Gute
Technik – schlechte Technik: Das Dilemma ist nicht neu. Doch mit den Möglichkeiten, die lernfähige und untereinander
kommunizierende Computer bieten, gewinnt es für die Arbeitswelt an Schärfe.
NEUE TECHNIK, ALTE WERTE
Und manchmal dient gerade eine Revolution, wie Industrie 4.0 sie darstellt,
dazu, sich alter Werte zu versichern und
PERSONALFÜHRUNG 9/2015
75
vor dem Hintergrund neuer Möglichkei- Robotern vielleicht eines fernen Tages mal erster Linie als Sachbearbeiter und Verwalten die bestehende Unternehmenskultur zu passieren. Aber aktuell ist uns wichtig, sehr ter, sondern als kreative Köpfe, die in der
festigen. Das jedenfalls ist ein Prozess, der qualifiziertes Pflegepersonal in ausreichen- Lage sind, das Management beim Erreibeim Verbund Katholischer Kliniken Düs- der Zahl zu finden“, stellt Skowronek die chen der unternehmerischen Ziele zu unseldorf (VKKD) im Gange ist. Personal- Prioritäten klar. Empathie, Zuwendung, terstützen. Neben vorausschauender Plachef Gero Skowronek war über viele Jahre der Umgang mit Leid und Tod: In Zeiten, nung kann es da nicht schaden, auf den
in internationalen Chemiekonzernen als in denen intelligente Roboter in allen Le- großen Bühnen präsent zu sein, die dem
Personalmanager tätig, bevor er zum
katholischen Klinikverbund ging.
Eine Affinität zu modernen Formen der Personalführung und -entwicklung kann man dem agilen
HR-Manager nicht absprechen.
Auch die Möglichkeiten von Industrie 4.0 sind weder ihm noch seinem neuen Arbeitgeber fremd. Computergesteuerte OP oder Telemedizin, bei der Computer die Daten
von Diabetikern nicht nur erfassen,
sondern die Ursachen für eine Verschlechterung ermitteln und Verbesserungsvorschläge in der Therapie
vorlegen, sind Bereiche, mit denen
sich der Verbund von seiner Konkurrenz absetzt. Nicht nur in Düsseldorf. „Noch ist der Bereich zwar
klein, prosperiert aber stark. Wir
haben einen wachsenden Anteil
selbstzahlender Patienten aus Russland, dem arabischen Raum und
aus Japan“, so Skowronek. Der Einsatz modernster computergesteuIndustrie 4.0 birgt für Personalmanager die Chance, ihre strategischen Stärken zu zeigen.
erter Technik in der Behandlung
weckt bei Patienten Hoffnung. Bei
Mitarbeitern – gerade aus der Pflege – mit- bensbereichen zum Einsatz kommen, sind Thema derzeit überall bereitet werden. Die
unter auch Ängste. Werden irgendwann das Werte, auf die sich der Klinikverbund Rolle von Führungskräften wird im ZeitPflegeroboter ihre Arbeit übernehmen? Kei- besinnt und die der Mitarbeiterbindung alter von Industrie 4.0 wichtiger denn je,
sagen 71 Prozent der Firmenvertreter, die
ne abwegige Sorge, da das ja theoretisch dienen.
der Unternehmensberater Staufen in seidurchaus möglich ist und andernorts auch
nem aktuellen Deutschen Industrie-4.0praktisch schon umgesetzt wird, räumt DIE STRATEGISCHE
Index befragt hat. Und das Fraunhofer-InSkowronek ein. Für den obersten Persona- QUALITÄT VON HR
stitut für Arbeitswissenschaft und Organiler bedeutet das: die Klinikleitung mit dem
Das Thema Industrie 4.0 birgt für Per- sation (IAO) hat zusammen mit der IngeThema Industrie 4.0 in der Medizin zu befassen. Und die Führungskräfte zu befähi- sonalmanager die Chance, ihre strategi- nics AG eine Studie vorgelegt, die zeigt,
gen, mit ihren Mitarbeitern das Thema zu schen Stärken zu zeigen. Das war bereits dass neben IT-Kompetenz vor allem soziale
erörtern. „Es muss klar werden: Die Güte beim Thema demografische Entwicklung Fähigkeiten der Führungskräfte ausgebaut
und Qualität unseres Pflegepersonals ist ein der Fall, beim Thema Diversity, beim The- werden müssen. Kommunikation ist auch
Differenzierungsmerkmal. Unsere Patienten ma Qualifizierung. HR ist per se ein stra- hier der Schlüssel zum Erfolg. Eine Aufbeurteilen uns danach, wie gut sie sich um- tegisches Ressort, vorausgesetzt, die han- forderung an das HR-Ressort. Nicht neu,
sorgt fühlen. Deshalb mag der Einsatz von delnden Akteure verstehen sich nicht in aber dringlich. •
PERSONALFÜHRUNG 9/2015
Herunterladen