Der verlorene Bruder der Sonne [23. Jun.] Entstehen Sterne alleine oder in Mehrfachsternsystemen [1]? Der Ursprung von Doppelsternen [1] war lange Zeit eines der zentralen Probleme der Astronomie. Untersuchungen von Mehrfachsternsystemen vermuteten bereits lange eine größere Anzahl von Doppelsternsystemen bei jungen Sternen – auch im Fall des Sonnensystems [1]. Möglicherweise hat unsere Sonne in der Vergangenheit ihren Bruder verloren. Auf den ersten Blick scheint dies eine verrückte Idee zu sein. Unser Planetensystem [1] besitzt nur einen Zentralstern [1], die Sonne. Jedoch ist das Universum mit Doppel- und Dreifachsternsystemen gefüllt, Einzelsterne scheinen eher die Ausnahme zu sein. Während einige Wissenschaftler der Auffassung sind, daß Einzelsterne ihre Partner im Laufe der Zeit eingefangen haben, sind andere Forscher der Meinung, daß das ursprüngliche Sternsystem zwei oder mehr Sterne besaß und diese Partner im Laufe der Zeit verloren hat. Neue Studie Eine neue Studie [2] kommt zu dem Schluß, daß auch die Sonne nicht immer alleine war; vielmehr könnten die Sonne und andere sonnenähnliche Sterne [1] als Doppelsternsysteme entstanden sein. Diese Schlußfolgerung ziehen die Astronomen aufgrund von Radiodurchmusterungen [1] des Himmels in Sternentstehungsgebieten [1] (Abb. 1). [2] Abb. 1 Die Dunkelwolke Barnard 68. Ein Beispiel für ein Sternentstehungsgebiet ist die molekulare Dunkelwolke bzw. Bok-Globule [1] Barnard 68 [3] im Sternbild Schlangenträger (Oph) [1]. Ihre Entfernung zur Erde beträgt rund 500 Lichtjahre [1]. Dunkelwolken enthalten zahlreiche, winzige feste Teilchen, interstellaren Staub [1], sowie viele verschiedene Moleküle [1]. Dadurch sind die Dunkelwolken im sichtbaren Spektralbereich [1] undurchsichtig. © ESO/VLT/FORS Team Die Radiodurchmusterung Die neue Studie untersuchte die erste Radiodurchmusterung der Riesenmolekülwolke [1] im Sternbild Perseus [1], die Perseus-Molekülwolke [1]. Sie befindet sich in rund 600 Lj Entfernung. Die VANDAM-Durchmusterung (VLA/ALMA Nascent Disk and Multiplicity) [1] basiert auf Radiobeobachtungen des VLA (Very Large Array) [1] und des ALMA (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array) und umfaßt junge Sterne in diesem Sternentstehungsgebiet. Die betreffenden jungen Sterne sind allesamt jünger als 4 Millionen Jahre. Im Vergleich beträgt das Alter der Sonne bereits rund 5 Milliarden Jahre. Sterne werden in dichten Kernen im Inneren von riesigen kalten Staub- und Gaswolken (aus molekularem Wasserstoff [1]) geboren. Am Himmel erscheinen diese Wolken im Sichtbaren wie „Löcher“ inmitten von Sternfeldern (Abb. 1); ihr Licht wird von Staubkörnern „verschluckt“. Nur mithilfe von Radiobeobachtungen können Sternentstehungsgebiete wie die PerseusMolekülwolke detailliert untersucht werden. Mithilfe der Radiowellen blicken die Astronomen sozusagen in die Staubwolke hinein. Die neuen Beobachtungen konzentrierten sich auf Einzelund Doppelsterne in den dunklen Bereichen der Perseus-Molekülwolke (Abb. 2). Abb. 2 Die Perseus-Molekülwolke. Die Perseus-Molekülwolke erstreckt sich über rund 6 Grad (12 Vollmonddurchmesser) im Sternbild Perseus. Oben links befindet sich der junge Sternhaufen IC 348 [1]. Weiter rechts befindet sich die Sternentstehungsregion NGC 1333 [1]. Die Molekülwolke enthält große Staubmengen, die den Blick auf neue Sterne verdecken. Die unter ihrer eigenen Massen kollabierenden Protosterne [1] befinden sich in dichten Kokons, die sich inmitten der Riesenmolekülwolke tummeln. © R. Nemiroff (MTU)/J. Bonnell (UMCP) Mithilfe der Studie wollen die Forscher die Frage beantworten, ob neue Sterne in Einzel- oder Doppelsternsystemen entstehen: Wieviele Sterne entstehen dabei? In einem einfachen Modell entstehen sämtliche Sterne als Doppelsterne. Bei der Perseus-Molekülwolke handelt es sich um eine typische Sternentstehungsregion, in der vor allem Sterne mit geringen Massen entstehen. Wie sieht die Situation in anderen Molekülwolken aus? Die Perseus-Molekülwolke In der Perseus-Molekülwolke existieren zwei Arten sehr junger Sterne: Sterne mit einem Alter von weniger als 500.000 Jahren (Klasse 0) und Sterne mit einem Alter von 500.0001 Million Jahre (Klasse 1); beide Arten sind von eiförmigen Kokons [1] umgeben. Die Gesamtheit der sehr jungen Sterne enthält 55 Sterne in 24 Mehrfachsternsystemen (mit 5 Doppelsternsystemen) und 45 Einzelsterne. Im Ergebnis enthielten alle Doppelsternsysteme, die mehr als 500 Astronomische Einheiten (AE) [1] voneinander entfernt waren, sehr junge Systeme mit jeweils 2 Sternen der Klasse 0, die mit ihren Längsachsen in Richtung der eiförmigen Kokons ausgerichtet waren. Die Astronomen verglichen ihre Beobachtungen daraufhin mit anderen Durchmusterungen von Sternentstehungsgebieten, einschließlich der Gould Belt Survey [1] und Daten des James Clerk Maxwell-Teleskops [1]. Dabei stellten die Forscher fest, daß der dichteste Bereich des eiförmigen Kokons sich etwa in der Mitte befindet und jeweils 2 Dichtekonzentrationen entlang der Mittelachse des Kokons entstehen. Später kontrahieren die beiden Regionen erhöhter Dichte unter ihrem eigenen Gewicht und enden als Sterne der Klasse 0. Daraus schließen die Wissenschaftler, daß Einzelsterne niedriger Masse - wie die Sonne - nicht primordial [1] sind, sondern vielmehr das Ergebnis innerhalb einiger Millionen Jahre auseinanderbrechender Doppelsternsysteme (Abb. 3). Dies impliziert, daß jeder dichte Kern innerhalb eines Sternentstehungsgebietes, typischerweise eiförmige Kokons, zweimal so viel Materie in Sterne verbaut als bisher angenommen. Abb. 3 Junges Doppelsternsystem in der Perseus-Molekülwolke. Die Radioaufnahme zeigt ein sehr junges Doppelsternsystem, das jünger ist als eine Million Jahre. Das System stammt aus einem dichten ovalen Kern in der Perseus-Molekülwolke. Die meisten Sterne dieser Molekülwolke entstehen als Doppelsterne in dichten Kokons. In diesem Beispiel fanden die Forscher zwei dichte Kerne (Sterne), die auf die Entstehung eines Doppelsterns hindeuten. [Farbcodierung: rot-dünnere Materiekonzentration, orange-dichtere Materiekonzentration. Entfernung in Lj (light years).] © [2] Die neuen Erkenntnisse sollen zum Verständnis beitragen wie Doppelsterne entstehen und welche Rolle sie im frühen Stadium der Sternentstehung spielen. Die Wissenschaftler sind sich nun ziemlich sicher, daß sonnenähnliche Sterne in Doppelsternen geboren werden (Abb. 4, 5). Abb. 4 Das α Centauri-System. Die beiden hellsten Sterne des α Centauri-Systems befinden sich in einem Doppelsternsystem. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Dreifachsternsystem. © Wikipedia Commons/Skatebiker Abb. 5 Dreifachsternsystem der Perseus-Molekülwolke. Die Aufnahme zeigt ein Radiobild eines Dreifachsternsystems, das sich in einer staubigen Scheibe der Perseus-Molekülwolke befindet. Der helle Fleck auf der linken Seite entspricht einem jungen Stern, die beiden hellen ovalen Flecken auf der rechten Seite einem doppelten Sternenpaar; insgesamt ist ein Dreifachsternsystem entstanden. © B. Saxton/ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), NRAO/AUI/NSF Fazit Die neuen Daten könnten der Beginn eines neuen Trends sein, um Radioteleskope zur Untersuchung von Sternentstehungsregionen zu nutzen. Interessanterweise stützen die Ergebnisse die sog. Nemesis-Hypothese [1]. Diese Theorie nimmt an, daß die Sonne in der Vergangenheit einen Begleitstern, Nemesis, besaß (Abb. 6). Angeblich soll Nemesis für die Auslöschung der Dinosaurier [1] verantwortlich gewesen sein. Der vermeintliche Planet wurde jedoch niemals gefunden. Abb. 6 Künstlerische Darstellung des vermeintlichen Brudersterns der Sonne. Bisher konnte ein vermeintlicher Doppelsternpartner der Sonne, der Planet Nemesis, nicht beobachtet werden. Möglicherweise existierte jedoch in der Vergangenheit des Sonnensystems ein zweiter Stern, ein Doppelsternpartner der Sonne. © Google Plus Die neuen Ergebnisse könnten die Nemesis-Hypothese stützen. Möglicherweise gab es in der Vergangenheit tatsächlich einen zweiten Stern innerhalb des Sonnensystems. Zwar beweist die neue Studie nicht die Existenz eines Sterns, der für die Auslöschung der Dinosaurier verantwortlich ist, jedoch ist es möglich, daß vor einigen Milliarden Jahren zwei Sterne im Sonnensystem kreisten. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die frühe Geschichte des Sonnensystems und die Entstehung der Planeten. Allerdings wäre ein Bruder der Sonne mindestens 17 mal so weit entfernt wie der Planet Neptun [1]. Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter [email protected] Ihre IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter Quellenangaben: [1] Mehr Information über astronomische Begriffe www.wikipedia.de [2] Mehr Information zur neuen Studie news.berkeley.edu Sadavoy, S. I., et al., MNRAS 469 (4), 3881-3900 (2 May 2017) [3] Mehr Information über Barnard 68 https://www.eso.org/public/news/eso9934/