THIEMEs Intensivpflege und Anästhesie Bearbeitet von Lothar Ullrich, Dietmar Stolecki, Matthias Grünewald 1. Auflage 2005. Buch. 660 S. ISBN 978 3 13 130910 5 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. Besonderheiten in der Neurochirurgie 43.2 43 Besonderheiten in der Neurochirurgie 43.2.1 Eingriffe am Kopf Hirndurchblutung Darüber hinaus bewirken verschiedene Pharmaka eine Senkung des ICP: > Barbiturate, > Benzodiazepine, > Etomidat, > Propofol, > Opiate. Bedingt durch die Autoregulation des zerebralen Gefäßsystems wird der zerebrale Blutfluss (CBF normal: ca. 50 ml/100 g Hirn/Min.) bei einem arteriellen Mitteldruck zwischen 60 und 140 mmHg konstant gehalten. Veränderungen des systemischen Blutdruckes innerhalb dieses Bereichs ergeben also keine Veränderung des zerebralen Blutflusses. Eine Hyperkapnie (z. B. in Folge einer Hypoventilation) führt zur zerebralen Vasodilatation und damit zur Zunahme der zerebralen Perfusion. Eine Hyperventilation bedingt dagegen eine Abnahme des PaCO2 und führt durch die damit einhergehende Vasokonstriktion eine Reduktion der Hirnperfusion. Luftembolie Entscheidend für die zerebrale Perfusion ist M der zerebrale Perfusionsdruck (CPP), der aus der Differenz von mittlerem arteriellen Druck (MAP) und ICP resultiert: CPP = MAP – ICP. Liegt das OP-Gebiet oberhalb des rechten Vorhofs, kann mit der Eröffnung eines Blutgefäßes Luft angesaugt werden und in die Lungenstrombahn gelangen. Dort verschließen die Luftbläschen Lungenkapillaren. Intrakranieller Druck (Hirndruck/ICP) und zerebraler Perfusionsdruck Der ICP entspricht dem intrakraniellen Liquordruck (10 – 15 mmHg) und ist abhängig vom zerebralen Perfusionsfluss (CPP), der Liquormenge und der Gewebespannung. Eine Erhöhung des ICP ergibt sich, wenn einer der 3 Schädelinhalte (Blutvolumen, Gehirnmasse, Liquormenge) zunimmt. Blutvolumen Das Blutvolumen kann durch eine Behinderung des venösen Rückflusses (ZVD-Anstieg, Husten, Pressen, Kopftieflage, Beatmung mit hohem PEEP, Kopflagerung mit komprimierten Jugularvenen, subdurale oder epidurale Blutungen zunehmen. Operationen an hinterer Schädelgrube Bei Eingriffen an der hinteren Schädelgrube wird der Patient in sitzender Position (beachchair) gelagert (Abb. 43.1). Diese Sitzposition bringt 2 Hauptprobleme mit sich: > Gefahr der Luftembolie, > Kreislaufinstabilität. M Ist dies der Fall, treten die folgenden Symptome auf: > Abfallen des exspiratorischen CO2, > Anstieg der Pulmonalarteriendrücke, > Anstieg des paCO2 (s. a. Kap. 20, S. 342). Die prophylaktischen Maßnahmen sind: > Ultraschalldopplersonde (4. – 5. Interkostalraum) zum Erkennen von Luft, > Pulmonalarterienkatheter (PAK) zur Erkennung der pulmonalen Hypertension, > ZVK (obligat). Therapeutisch kommen folgende Maßnahmen in Betracht: Verschluss des Blutgefäßes durch Chirurgen (Wachs, Kochsalzspülung), > Absaugen von Blut-Luft-Gemisch über ZVK/PAK, > Beatmung mit FIO2 1,0 + PEEP. > Kreislaufinstabilität Durch intraoperative Beeinträchtigungen des Hirnstamms kann es zu Irritationen des Kreislaufzentrums und damit zu Tachy- oder Bradykardie und zu Hypo- oder Hypertonie kommen. Eine ausreichende Volumensubstitution ist zwingend erforderlich. Operationen an Aneurysmen (Aneurysmaclipping) Ein Aneurysma (sackartige Ausbuchtung eines Hirngefäßes) kann rupturieren und zu einer lebensgefährlichen Blutung führen. Damit es während des operativen Eingriffs nicht zur Ruptur kommt, ist es für die Narkose entscheidend, dass ein Anstieg des arteriellen Blutdrucks vermieden wird. Für die Anästhesie bedeutet dies: > erweitertes Monitoring mit invasiver BDMessung, großlumigen peripher-venösen Zugängen, ZVK, > tiefe Narkoseeinleitung und -führung, kontrollierte Hypotension, ggf. Gabe von Antihypertensiva. Spezielle Lagerungen Die für Bandscheibenoperationen häufig gewählte Knie-Ellenbogen-Lagerung bedingt drei bedeutende Probleme (Abb. 43.2): > Kreislaufdysregulationen, > Gefahr des Drucks auf beide Augen, > Abnahme der Zwerchfellbeweglichkeit. Hirnmasse Die Hirnmasse kann sich durch einen Tumor oder durch Ödeme vergrößern. Liquormenge Durch eine Störung der Liquorzirkulation oder einen Hydrozephalus kann die Liquormenge zunehmen. Eine Senkung des ICP ist durch entsprechende Maßnahmen möglich: > Minimierung des Blutvolumens durch Optimierung des venösen zerebralen Rückflusses, Vermeidung von Husten oder Pressen durch tiefe Narkose, zerebrale Vasokonstriktion mittels gezielter Hypothermie oder Hyperventilation, > Reduzierung des ödematösen Hirnvolumens durch Gabe von Osmodiuretika, > Anlage von Ventrikeldrainagen. Abb. 43.1 > Wegen der Verbrennungsgefahr dürfen Arme und Beine keinen Kontakt zum Metall haben (Roewer u. Thiel, 2004). Abb. 43.2 > Die Knie-Ellenbogen-Lagerung ist die typische Lagerung bei lumbalen Bandscheibenoperationen. Teil VI Fallorientierte Pflege in der Anästhesie Ullrich, Stolecki, Grünewald, Thiemes Intensivpflege und Anästhesie (ISBN 3131309113), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG 605 43 43.3 Anästhesie in der Neurochirurgie Fallbeispiel Entfernen von Hirntumoren 43.3.1 Notwendigkeit und Ziel 43.3.3 Vorbereitungen zur Narkose des Eingriffs Die 78-jährige Frau Berner wird mit einer unklaren linksseitigen Hemiparese in der Klinik eingeliefert. Die Darstellung im SchädelMRT zeigt rechts zwei temporale Tumoren, die operativ entfernt werden müssen. Die Patientin weist bereits einen reduzierten Allgemeinzustand auf. Die bestehende Hypertonie und eine KHK zwingen sie bereits zur Einnahme von Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Antikoagulanzien und Steroiden. Das Ziel des Eingriffs ist die schnelle Tumorentfernung zur Aufhebung der Hemiparese. B 43.3.2 Schwierigkeiten bei Narkose und Operation Frau Berner hat vorstehende Zähne, einen instabilen Zahnersatz im Oberkieferbereich und eine eingeschränkte Mundöffnung, sodass mit Intubationsschwierigkeiten zu rechnen ist. Darüber hinaus ist die Beweglichkeit ihrer Halswirbelsäule deutlich eingeschränkt. Die extreme Adipositas zwingt zur RSIEinleitung, sodass die Gefahr einer einseitigen oder auch Fehlintubation gegeben ist. Da die Operation in sitzender Position geplant wird, ergeben sich spezifische Probleme: > Blutdruckabfall (typische Komplikation bei sitzender Position), > Luftembolie, tritt mit etwa 25 – 40% am häufigsten in sitzender Position auf, wird jedoch auch bei Seiten-, Rücken-, oder Bauchlage beobachtet, > intraoperative kardiovaskuläre Störungen. Durch chirurgische Manipulationen in der Nähe des Hirnstamms und der Hirnnerven können Herzrhythmusstörungen und Blutdruckschwankungen auftreten. M Weitere potenzielle Probleme sind: Nervenschäden und Druckstellen durch unsachgemäße Lagerung, > Abknicken von Zugängen (ZVK, DK, arterieller Zugang), > Unterkühlung des Patienten durch fehlende oder ungenügende Wärmezufuhr, > maschinelle Beatmung mit hohen Beatmungsdrücken, bedingt durch eine Einund Abflussbehinderung; niedrige Beatmungsdrücke durch plötzliche Leckagen und Diskonnektion, > Augenschäden: Gefahr des Austrocknens und von Verletzungen, > massive Blutungen. > Narkoseverfahren Für Frau Berner wird eine Allgemeinanästhesie mit Disoprivan als TCI, Ultiva, mit Air/O2Gemisch (es wird kein N2 O verwendet, da es evtl. vorhandene Luftbläschen vergrößert und die Folgen einer Luftembolie verschlimmern kann) und einem nicht depolarisierendes Muskelrelaxans vorbereitet. Vorbereitung zur Narkose Zur Prämedikation erhält Frau Berner 7,5 mg Dormicum (Benzodiazepin-Derivat) per os. Die Laboruntersuchungen (Blutbild, Gerinnungsstatus, Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Urinstatus) sowie EKG, Lungenfunktion, Röntgen-Thorax, CT, zerebrale Angiographie und die Blutgruppenbestimmung stellen wichtige Parameter dar. Es werden drei Erythrozytenkonzentrate bestellt. Die Vorüberlegungen zur Kraniotomie stellen an den Anästhesisten hohe Anforderungen. Die an der Oberfläche gelegenen Tumoren, verbunden mit unerwünschten intraoperativen Blutungen, können zu schwierigen Blutdruckverhältnissen führen. Für die Narkose sind bereits folgende Vorbereitungen getroffen worden: > Narkosegerät und Monitore gecheckt, > Intubationsmaterial (Woodbridge-Tubus Charr 32) > großlumiger peripher-venöser Zugang (14), um schnell eine Volumensubstitution zu erzielen und ggf. Blutkonserven zu verabreichen, > Basismonitoring (EKG, BD, PO2, Relaxometrie und ETCO2), > erweitertes Monitoring. Invasive Blutdruckmessung Zur exakten und kontinuierlichen Blutdruckmessung und um sofort Blutdruckschwankungen auffangen zu können, wird der Blutdruck invasiv gemessen (Abb. 43.3). Der Druckwandler wird in Kopfhöhe platziert, da Zentraler Venenkatheter Der ZVK wird in die Vena cava superior im rechten Vorhof platziert, um bei einer auftretenden Luftembolie sofort Luft aspirieren zu können. Darüber hinaus ermöglicht der ZVK die Gabe von vasoaktiven Medikamenten, Blutentnahmen und hilft Flüssigkeitsverschiebungen zu diagnostizieren (ZVD). Präkardiale Dopplersonde Die Dopplersonde wird rechts über dem Herzen angelegt. Durch ihr charakteristisches „Mühlradgeräusch“ werden selbst geringe Luftmengen (ab 0,25 ml), die zum Herzen strömen, hörbar gemacht. Dabei gilt: Je lauter das Mühlradgeräusch ist, desto mehr Luft wird durch die Dopplersonde geführt. Blasenkatheter Der Blasenkatheter dient folgenden Aufgaben: > stündliche Messung der Urinmenge, > Beurteilung der Nierenperfusion, > kontinuierliche Temperaturmessung. Thermoregulationssystem (bear-hugger) Das Thermoregulationssystem wird zum Schutz vor Wärmeverlust eingesetzt. Vorbereitung der Patientin Zur Thromboseprophylaxe erhält Frau Berner passgenaue Kompressionsstrümpfe, die das Absacken der Flüssigkeit in die tiefer liegenden Beine reduziert. 43.3.4 Maßnahmen während der Einleitung Frau Berner kommt sediert, schmerzfrei und ruhig in den Operationssaal. Nachdem sie auf dem Operationstisch gelagert wurde, beginnt die Einleitungsphase. Alle Daten werden noch einmal überprüft. Lagerung Abb. 43.3 > Auf dem Monitor kann auch der invasiv gemessene Blutdruck abgelesen werden. 606 auf Grund des statischen Höhengradientens die Blutdruckwerte in Herzhöhe höher sind. In der Regel reicht ein MAP von 50 mmHg (gemessen an der Schädelbasis) für eine genügende Hirnperfusion aus. Die Überprüfung der Lagerung des Patienten fällt in den Aufgabenbereich der Anästhesie und muss mit großer Sorgfalt durchgeführt werden. Alle möglichen Druckstellen werden gepolstert, um Druckschäden und die Kompression von Nerven zu verhindern. Um eine Rückenmarksischämie, eine jugularvenöse Abflussstauung und ein Abknicken des Tubus zu vermeiden, ist auf keine zu extreme Stellung des Halses zu achten. Teil VI Fallorientierte Pflege in der Anästhesie Ullrich, Stolecki, Grünewald, Thiemes Intensivpflege und Anästhesie (ISBN 3131309113), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG