http://www.lehrer-online.de Autoren: Katrin Schaumann und Eike Hebecker Genforschungsdebatte 10 20 30 40 50 Die dramatische Zuspitzung der Genforschungsdebatte in den vergangenen Wochen verwundert ebenso wie das bisherige Schweigen zu diesem sensiblen Bereich technologischer Innovation. Blickt man jedoch auf die Dramaturgie der Ereignisse zurück, findet sich zunächst eine gesellschaftliche Debatte, die trotz permanenter Innovationsschübe auf dem Gebiet der Genforschung bisher nicht so recht in Schwung gekommen ist. Dies liegt einerseits daran, dass eine öffentliche Auseinandersetzung bisher gescheut – wenn nicht sogar der Öffentlichkeit vorenthalten – wurde und anderseits die Protagonisten in Wirtschaft, Forschung, Politik und Kirchen in einem scheinbaren Konsens über die Unantastbarkeit des Embryonenschutzgesetzes verharrten, der aber nicht ihren wirklichen Positionen und Intentionen entsprach. Die Aufsehen erregende Klonung des britischen Schafs "Dolly" liegt bereits 4 Jahre zurück und die Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurde nach intensivem Wettlauf zwischen staatlich geförderten und privaten Instituten im vergangenen Jahr beendet. Wurde damals noch bekundet, dass die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung von Medikamenten Jahrzehnte in Anspruch nehmen würden, rückt die Problematik mit der aktuellen Diskussion um Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) weg von abstrakter Grundlagenforschung und Tierexperimenten (Klonschaf Dolly und Stammzellenforschung an Mäusen), näher an den Menschen heran. Sie wird aufgrund ihrer ethischen Dimension zu einem unausweichlichen gesellschaftlichen Thema. Der Zeitpunkt und das zufällige Zusammentreffen verschiedener Ereignisse wie die Einberufung des Nationalen Ethikrates und der Antrag der Bonner Wissenschaftler Wiestler und Brüstle zur Forschung an importieren Stammzellen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der politisch von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement betrieben und gestützt wurde, tragen jedoch auch eine taktische Handschrift, die keine ergebnisoffene Debatte erwarten lässt. Bereits im Dezember letzten Jahres hatte Bundeskanzler Schröder für sein Wort von den „Scheuklappen“ nicht nur Kritik eingesteckt, sondern wahrscheinlich auch den Anstoß für die DFG gegeben, von ihrer zurückhaltenden Position bei der Forschungsförderung abzurücken. Der für vier Jahre einberufene Nationale Ethikrat, der politisch nicht weisungsbefugt ist, sondern vor allem die Bundesregierung beraten und die Öffentlichkeit informieren soll, ist daher einerseits – wie es auch seine Besetzung dokumentiert – ein Gremium in dem alle kontroversen Positionen vertreten sind und nebeneinander zur Geltung kommen sollen. Andererseits ist er auch ein Instrument, mit dem sich Zeit gewinnen lässt und das Thema aus der tages- und parteipolitischen Kontroverse sowie aus Wahlkämpfen herausgehalten werden kann. Er soll kein geschlossenes Organ sein, sondern als Bindeglied zwischen Gesellschaft und Wissenschaft fungieren. Die ethisch zu bewertenden Fragen stellen sich hier vor allem in den Gegensätzen von handfesten wirtschaftlichen Interessen im Bereich der Gentechnologie und den ethischen Grundsatzfragen nach der Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Dabei steht der Schutz des Lebens dem Recht einer freien Forschung und den Heilungschancen von Epileptikern, an Multipler Sklerose und Parkinson erkrankten Menschen gegenüber. Fragen, die sich weder rechtlich noch politisch zufriedenstellend beantworten lassen, sondern die einer ethischen Güterabwägung bedürfen. Die Debatte ist also komplex und beinhaltet im Grunde unvereinbare Positionen. Die DFG wird weiterhin bemüht sein, den Spitzenplatz Deutschlands im Bereich der Biotechnologie innerhalb Europas auszubauen und sich nicht von der Entwicklung in anderen Ländern abkoppeln zu lassen, wie auch Wolfgang Clement argumentiert. Die Auslandslegalität der verbrauchenden Embryonenforschung in Israel und den USA, auf die sich der Import von Stammzellen für die Bonner Wissenschaftler beruft und damit eine Gesetzeslücke nutzt, kann jedoch kein verlässlicher Orientierungspunkt in der Debatte selbst sein. Es finden sich ebenso Länder in denen diese Art der Forschung verboten ist wie Länder, in denen mehr erlaubt wird wie beispielsweise in England. Inwieweit der Nationale Ethikrat auf den Verlauf dieser Entwicklung Einfluss nehmen kann oder ob der Rubikon der Genforschung in Deutschland schon überschritten ist, bleibt abzuwarten. Auch wenn das Zitat Victor Hugos: "Einer Invasion von Armeen lässt sich widerstehen, nicht aber einer Idee, deren Zeit gekommen ist", einen bestimmten Ausgang der Debatte nahe legt, verdeutlicht die aktuelle Zuspitzung, dass die Zeit des Abwartens definitiv vorbei ist.