Eiskalte Kunstwerke

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REPORTAGE
WUNDER EISKRISTALL
Wie im Märchenwald sieht
die Landschaft aus, wenn
der Raureif an Bäumen und
Gegenständen nadelförmige
Eiskristalle bildet.
Eisblumen am
Fenster sind dank
moderner Fenster
selten geworden.
Eiskalte
Kunstwerke
oben: Mit ihren langen
Verästelungen erinnern diese
Eisblumen an Farnblätter.
links: Hohe Luftfeuchtigkeit
und nicht zu starker Wind
begünstigen die Entstehung
von Raureif.
Egal ob Schneeflocke, Eisblume
oder Reif: Was so kunstvoll aussieht,
besteht eigentlich nur aus Wasser –
und Schmutz. Von Ursula Mauritz
ber Nacht zaubert der
Winter bizarre Formen
und Muster auf Fenster
und Windschutzscheiben, verwandelt Bäume und Zäune in
phantasievolle Gebilde und lässt
die Landschaft in strahlendem
Weiß erstrahlen. Die Grundlage
für Eisblumen, Raureif und
Schneeflocken sind winzigkleine Eis- oder Schneekristalle. Sie
zählen zu den Meisterwerken
Ü
le Formen. Verblüffend ist die
Symmetrie der Schneekristalle.
Ihre Verästelungen wachsen stets
in derselben Art und Weise und
auch ungefähr gleich schnell. Bei
der Bildung der Kristalle entstehen stets Winkel von 60° bzw.
120°. Dies liegt an der Struktur
der Wasser-Moleküle.
Schneekristalle faszinieren
die Menschen seit jeher. Es gibt
sogar eine eigene Wissenschaft
Kein Eiskristall gleicht
dem anderen, es gibt scheinbar
unendlich viele Formen.
der Natur, die erst unter dem
Mikroskop ihre ganze Schönheit
zeigen. Manche sehen aus wie
Sterne, andere wie Plättchen,
Nadeln oder Säulen. Aber kein
Eiskristall gleicht dem anderen,
es gibt scheinbar unendlich vie-
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von Schnee und Eis, die Kryologie (griech. kryos „Frost“). Dem
US-Farmersohn und Schneeforscher Wilson Bentley gelang
1885 als erstem Menschen die
mikroskopische Aufnahme eines
Schneekristalls. Er fotografierte
über mehrere Jahrzehnte hinweg mehr als 5000 verschiedene Exemplare. Aber noch immer
ist von der Wissenschaft nicht in
allen Details geklärt, was auf
dem Weg zwischen Himmel und
Erde geschieht.
Auf dem Weg zur Erde
Nüchtern betrachtet bestehen
Eiskristalle nur aus Wasser
und Schmutz. Wenn ein Wassermolekül chemisch rein ist, kann
es bis minus 40° C flüssig bleiben. Klammert sich das Wassermolekül in der Luft aber an ein
Schmutzpartikelchen – den Kondensationskern –, kann es schon
bei niedrigeren Temperaturen
frieren. So bilden sich schon bei
-10° bis -12° C Kristalle.
Wenn das Wassermolekül an
ein Sandkorn „andockt“, formen
sie zusammen eine winzige Eiskugel. Von diesem Punkt aus
wächst der Kristall zunächst zu
einem sechseckigen Plättchen,
das wie ein Turm in die Höhe
wächst. Das ist die Grundform
jedes Schneekristalls. Weitere
Wasserteilchen legen sich an, der
Kristall wird schwerer und sinkt
zur Erde. Er fliegt durch kalte
und wärmere, feuchte und trockenere Luftschichten. Und jede
hinterlässt ihre Spuren. Je nach
Temperatur und Luftfeuchtigkeit
treten sechseckige Plättchen, Nadeln, Säulen oder Sterne auf.
Je kälter es ist und je geringer die Luftfeuchtigkeit, desto
eher bilden sich kleine und einfach gestaltete Prismen oder
Plättchen. Kompliziertere Plättchen und Säulen entstehen aber
erst bei Temperaturen, die unter
-16° C liegen. Weitverzweigte
Sterne, die schönste Form der
Schneekristalle, bilden sich,
wenn die Luft zwischen -12° C
und -16°C kalt und dazu sehr
feucht ist. Liegt die Lufttempe-
ratur nahe am Gefrierpunkt, so
werden die einzelnen Eiskristalle durch kleine Wassertropfen
miteinander verklebt und es entstehen an einen Wattebausch
erinnernde Schneeflocken.
Eisige Blüten
Dank moderner Fenster sind
Eisblumen heute bereits ein seltenes Phänomen geworden. Sie
entstehen an dünnen Fensterscheiben mit geringer Wärmedämmung, wenn die Außentemperatur unter 0° C sinkt, die Luftfeuchtigkeit im Raum hoch ist
und Kristallisationskeime, wie
z. B. Staub, auf dem Glas vorhanden sind. Die wärmere Raumluft, die zur Scheibe strömt, kühlt
ab. Der Wasserdampf, den die
Luft nicht mehr aufnehmen
kann, gefriert an der Scheibe und
bildet Eiskristalle.
Wie im Märchenwald sieht
die Landschaft aus, wenn der
Fotos: Rauch, benniwolf / Fotolia.com, Rainer Sturm / pixelio.de
Stichwort: Eiskristall
Ein Kristall ist eine gesetzmäßige räumliche
Anordnung von Bausteinen – z. B. von
Atomen, Molekülen oder Ionen. Beim
Eiskristall sind es Wassermoleküle, die aus
zwei positiv geladenen Wasserstoffatomen
und einem negativ geladenen Sauerstoffatom
bestehen. Jedes H2O-Molekül hat quasi ein
negatives und ein positives Ende und damit
ein elektrisches Feld um sich herum. Dieses
sorgt für das Wachsen in der kristalltypischen
Symmetrie.
Raureif an Bäumen und Gegenständen nadelförmige Eiskristalle bildet, die eine erhebliche
Größe und bizarre Formen erreichen können und dabei meist
nur langsam wachsen. Hohe
Luftfeuchtigkeit und nicht zu
starker Wind sind die Ingredienzien für dieses eiskalte Phänomen.
JÄNNER 2010
| sg
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