Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ALBIN ESER Freiheit zum Sterben – kein Recht auf Tötung Ein Beitrag zum strafrechtlichen Thema des 56. Deutschen Juristentages 1986 in Berlin Originalbeitrag erschienen in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 786-795 .1 Z 786 Zur strafrechtlichen Abteilung: Professor Dr. Albin Eser, Freiburg Freiheit zum Sterben — Kein Recht auf Tötung – Ein Beitrag zum strafrechtlichen Thema des 56. Deutschen Juristentages 1986 in Berlin*– I. Zum Anlaß Wenn spätere Generationen einmal über die bewegenden Themen unserer Zeit zu urteilen haben, könnten sich vielleicht die gegenwärtigen Auseinandersetzungen über Schaffung, Bewahrung und Beendigung menschlichen Lebens als epochal erweisen. Gewiß gehören Leben und Sterben zu den » ewigen Themen" der Menschheit. Was aber unsere Zeit besonders prägt, ist die Tatsache, daß dem Menschen noch niemals zuvor in seiner Geschichte ein derartiges Maß an lebensschaffendem wie auch lebensgefährdendem Potential in die Hand gegeben war. Diese polaren Dimensionen finden auch im Gesamtprogramm des diesjährigen DJT ihren Niederschlag. Während sich die zivilrechtliche Abteilung mit der „künstlichen Befruchtung beim Menschen" und damit immerhin mit einem Teilaspekt seines modernen „Schöpfungspotentials" beschäftigt, ist die umweltrechtliche Abteilung mit einem „Bedrohungspotential" befaßt, dessen mögliche apokalyptischen Ausmaße nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl selbst für den engagiertesten Kernkraftbefürworter kaum noch verdrängbar sein dürften. Im Vergleich zu diesen gleichsam großflächigen lebensrelevanten Potentialen geht es in der strafrechtlichen Abteilung mehr um die » Lebensmacht" des einzelnen Individuums: um die Möglichkeit, wenn nicht gar sein Recht, sich seines Lebens zu » bemächtigen", indem er ihm selbst ein Ende setzt oder durch andere setzen läßt. Ob diese Problematik unter dem ihr vom DJT gegebenen Titel „Recht auf den eigenen Tod? – Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung" voll erfaßt ist, wird noch zu erörtern sein, ebenso wie die Frage, warum das darin angedeutete Spannungsverhältnis gerade heute zum Problem geworden ist. Jedenfalls ist nicht zu verkennen, daß es sich dabei – gemessen an öffentlicher Diskussion, Reformbewegungen und ständig anschwellender Literatur – um ein geradezu » weltbewegendes" Phänomen handelt'. Auch unser Land macht dabei keine Ausnahme: Nachdem sich bereits zahlreiche Akademien und Gesellschaften dieser Problematik angenommen und spektakuläre Einzelfälle publizistische Aufmerksamkeit gefunden haben, konnte auch der deutsche Gesetzgeber nicht mehr länger umhin, zumindest zu einer ersten Problemerfassung eine öffentliche Anhörung zum Thema „Sterbehilfe" vor dem Rechtsausschuß des Bundestages durchzuführen'. Nicht zuletzt dadurch angespornt hat sich auch der bereits durch andere AlternativEntwürfe hervorgetretene Arbeitskreis von Strafrechtsprofessoren aufgerufen gefühlt, unter Hinzuziehung von Medizinprofessoren aus verschiedenen Einzeldisziplinen einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe vorzulegen3 .. Somit erweist sich * Dieser Beitrag ist zugleich auch Herrn Ministerialdirigenten a. D. Dr. med. h. c. Walther Weissauer zum 65. Geburtstag gewidmet: in dankbarerAnerkennung seiner vielfältigen Verdienste um das Medizinrecht, wie sie nicht zuletzt in seinem Referat auf dem 52. DJT ihren Ausdruck gefunden haben. 1 Daher wäre es sicherlich aufschlußreich, dieses Thema auch aus rechtsvergleichender Sicht zu behandeln. Diese ursprüngliche Absicht hat sich jedoch schon aus Raumgründen nicht verwirklichen lassen. Deshalb darf ich auf den Sammelband „Rechtsvergleichende Materialien zur Sterbehilfe" verweisen, der demnächst in der Reihe * Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg" erscheinen wird. Eine erste „Rechtsvergleichende Übersicht zur Sterbehilfe im ausländischen Recht" habe ich für die ST-Anhörung „Sterbehilfe" (vgl. Anm. 2 S. 178-179) gegeben. Deutscher Bundestag, 10. Wahlperiode 1983, 6. Ausschuß, Protokoll Nr. 51: Stenographisches Protokoll über die 51. Sitzung des Rechtsausschusses am 15. Mai 1985 (abgekürzt: BT-Anhörung „Sterbehilfe"). 3 Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe (AE-Sterbehilfe), vcrgelegt von j. Baumann, H. Bochnik, A.-E. Brauneck, R.-P. Calliess, G. Carsten- die Programmgestaltung für den diesjährigen DJT, zu dem neben dem vorbereitenden Gutachten von Otto 4 noch die Einleitungsreferate von Hiersche aus medizinischer Sicht und. von Tröndle aus juristischer Sicht sowie sicherlich noch sonstige Begleit- und Folgebeiträge zu erwarten sind', als ein Akt weiser Voraussicht. Zu dieser primär rechtspolitisch auszurichtenden Diskussion einige Beobachtungen und Überlegungen beizutragen, ist das Ziel dieser Zeilen: Dies natürlich nicht im Sinne einer Problemerschöpfung, geschweige einer Einzelauseinandersetzung mit der kaum noch überschaubaren Literatur, hatte sich doch selbst das umfangreiche Gutachten von Otto dazu außerstande gesehen'. Ebensowenig ist hier ein geschlossener Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen der Hilfe im und zum Sterben beabsichtigt'. Vielmehr kann es bei diesen mehr grundsätzlichen Erwägungen allein darum gehen, angesichts der Vielfalt von Fallkonstellationen, Argumenten und Tendenzen gewisse Grundlinien und Richtpunkte zu markieren, die mir de lege ferenda als wesentlich erscheinen'. sen, A. Eser, H .-P.J ensen, A. Kaufmann, U. Klug, H.-G. Koch, M. v. Lutterotti,M. Perels, K. Rolinski, C. Roxin, H. Schöch, W. Schöne, H. Schüler-Springorum,H.-L. Schreiber,J.Theyssen,J. Wawerski, G. Wolfslast, K.-J.Zülch, VerlagThiemeStuttgart 1986. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, Gutachten D zum 56. Deutschen juristentag Berlin 1986 (abgekürzt: DJT-Gutachten). s So namentlich der mir freundlicherweise bereits in Manuskriptform überlassene Beitrag meines Freiburger Fachkollegen R. Schmitt, Das Recht auf den eigenen Tod, vorgesehen für MDR 1986, H. 8. Vgl. ferner Anm. 1 sowie H °erster, Rechtsethische Überlegungen zur Freigabe der Sterbehilfe, NJW 1986, 1786-1792: Mich mit diesem Beitrag, weil erst nach Drucklegung meines Manuskripts zugegangen, nicht näher befassen zu können, bedauere ich umso mehr, als H °erster sich vorwiegend mit einigen meiner Arbeiten auseinandersetzt, ohne aber dabei dem Gesamt meiner Argumentation voll gerecht geworden zu sein. .Otto, DJT-Gutachten, Vorwort (S. 9). Über die dort im Anhang angeführte (aber ihrerseits selektierte) Literatur hinaus sei - ebenfalls ohne Anspruch auf Vollständigkeit - noch auf folgende zwischenzeitlich erschienene Literatur hingewiesen: Dölling, Suizid und unterlassene Hilfeleistung, NJW 1986, S. 1011-1017; Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985; Herzberg, Der Fall Hackethal: Strafbare Tötung auf Verlangen?, NJW 1986, 1635-1644; Holyst, Selbstmord und Selbsttötung, 1986; v. Lutterotti, Menschenwürdiges Sterben, 1985; Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986. Vgl. ferner die Literaturhinweise bei Eser, in: Schönke/Schröder, 22. Aufl. 1985, Vorbem. 12, 21, 33 sowie bei Koch, Euthanasie, Sterbehilfe. Eine dokumentierte Bibliographie, 1984. 7 Insoweit darf ich global verweisen auf meine Gesamtdarstellungen in: Schönkel Schröder, Vorbem. 21-48, vor § 211, § 216 Rdn. 1-18, sowie Eser, Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder Soll man auf Verlangen töten?, 1. Aufl. 1975, S. 45-70; 2. Aufl. 1985 (leider gegenüber der 1. Aufl. unverändert, da Ergänzungen und Aktualisierungen nicht möglich waren); Eser, Der manipulierte Tod? - Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus rechtlicher Sicht, in: Schwartländer (Hrsg.), Der Mensch und sein Tod, 1976, S. 61-81; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in Auer/ it.fezenser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 75-147. Vgl. ferner zu bestimmten Einzelaspekten Eser, Grenzen der Behandlungspflicht aus rechtlicher Sicht, in: Lawin/Huth (Hrsg.), Grenzen ärztlicher Aufklärungs- und Behandlungspflicht, 1982, S. 77-94; Eser, Sterbewille und ärztliche Verantwortung, in: Medizinrecht (MedR) 1985, S. 6-17; Eser, Medizin und Strafrecht: Eine schutzgutorientierte Problemübersicht, ZStW 97 (1985), S. 1-46; sowie die in den Anm. 1, 8, 12, 18, 36 angeführten Arbeiten. 1 Erste Vorarbeiten dazu Eser, Neues Recht des Sterbens? Einige grundsätzliche Betrachtungen, in: Eser (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, 1975, 5. 392-407; in modifizierter Fassung Eser, Zum „Recht des Sterbens" - Einige grundsätzliche Überlegungen, in: Fritsche/Goulonl Eser/ Braun/ feien, Das Recht auf einen menschenwürdigen Tod?, 1977, S. 21-42; Eser, Der Arzt zwischen Eigenverantwortung und Recht - Zur Problematik -ärztlichen Ermessene', in: Mieth/Weber (Hrsg.), Anspruch der Wirklichkeit und christlicher Glaube, 1980, 5, 166-189, in überarbeiteter Fassung Eser, Die Rolle des Rechts im Verhältnis von Arzt und Patient, in: F. 17/1986 Eser, Freiheit zum Sterben — Kein Recht auf Tötung Dies möchte ich in vier Schritten tun: Zunächst durch einen kurzen Blick auf den medizinischen und sozialen Hintergrund und die daraus resultierenden Schutzbedürfnisse (II). Dem hat sich eine Analyse der dabei zu unterscheidenden normativen Dimensionen und kollidierenden Prinzipien anzuschließen (III). Daran wird das geltende Recht zu messen sein (IV). Da sich dessen Unzulänglichkeiten kaum anders als durch legislatorische Maßnahmen werden beheben lassen, ist abschließend auf entsprechende Reformentwürfe einzugehen (V). Um dabei nicht in der Fülle von Material zu ertrinken, sei nicht zuletzt ihrer Aktualität wegen dem Gutachten von Otto und dem AE-Sterbehilfe besondere Beachtung geschenkt: dem ersteren, weil er jedenfalls vorerst ohne gesetzliche Korrekturen auszukommen hofft; dem letzteren, weil er solche für unverzichtbar hält. II. Zum medizinischen und sozialen Hintergrund — neue Schutzaspekte 1. Ohne damit ein abschließendes » Soziogramm" modernen Sterbens erstellen, geschweige im einzelnen empirisch belegen. zu wollen, erscheinen doch folgende Phänomene für die gegenwärtige Situation des physisch Todkranken oder auch nur psychisch Lebensmüden charakteristisch': —Während bis vor wenigen Jahrzehnten — jedenfalls in der Regel — der körperlich oder seelisch kranke Mensch in seiner Familie eingebunden und damit auch in ihr aufgehoben blieb, wird er heute in ein Krankenhaus oder eine Anstalt verbracht. Gewiß geschieht dies zwecks medizinisch besserer Versorgung, aber auch um den Preis seiner sozialen Dislozierung: Er wird „ent-familiarisiert" und durch Verlust seiner vertrauten Privatsphäre „ent-intimisiert". —Während ihm früher meist nur der Hausarzt als Krankheitsund Sterbebegleiter zur Seite stand, der mit seiner Biographie und seinen familiären Umständen vertraut war und damit auch sein „Gesamtwohl" besser einzuschätzen vermochte, sieht sich der heutige Krankenhauspatient einem Team von. Spezialisten und einem schichtweise wechselnden Pflegepersonal gegenüber, so daß ihm eine gleichbleibende Bezugsperson fehlt: Dadurch wird der gewählte „Arzt des Vertrauens" durch den vorgegebenen „Arzt nach Dienstplan" abgelöst. — Während früher dem „natürlichen Ende" nur wenig entgegenzusetzen und der Tod als „unabwendbares Schicksal" hinzunehmen war, ja vielleicht sogar als „Erlösung" von anders nicht abwendbaren Leiden und Schmerzen begrüßt wurde, hat die moderne Medizin sowohl Möglichkeiten der Schmerzlinderung wie auch der Lebensverlängerung eröffnet, die den „natürlichen" Leidens- und Sterbensprozeß künstlich unterdrücken oder jedenfalls verzögern können. Demzufolge ist das Schicksal nicht mehr hinzunehmen, sondern abzuwenden: Aus den von der Medizin geweckten Hoffnungen werden Erwartungen des Patienten und aus dieser Erwartungshaltung entsteht ein Anspruchsdenken auf Einsatz alles Möglichen. Bleibt der Erfolg aus, so hat der Arzt „versagt": Er selbst empfindet es als „Niederlage", die Angehörigen argwöhnen mangelnden Einsatz, wenn nicht gar Kunstfehlerhaftigkeit. Dadurch entsteht ein Erfolgsdruck im Sinne von Lebenserhaltung „um jeden Preis". — Während früher der dafür zu zahlende Preis nicht zuletzt von den persönlichen und familiären Ressourcen des Patienten abhängig war, ist dieser heute solchen individuellen Zufälligkeiten weithin enthoben, weil in das soziale Netz der Krankenversorgung eingebunden. Dieser Zugewinn an Gleichheit in der Teilhabe an verfügbaren Mitteln bedeutet aber zugleich auch Teilhabe an deren Mangel. Insofern ist die solidarische Verbreiterung der Hilfsgrundlage auch mit einer Nivellierung und „Sozialisierung" verbunden: Der Patient ist nicht mehr der Einzelne und Einzige — er ist zum » einen unter Kaufmann (Hrsg.), Ärztliches Handeln zwischen Paragraphen und Vertrauen, 1984, S. 111-129. 9 Vgl. dazu auch AE-Sterbehilfe (Anm. 3), S. 1 f. 787 anderen", er ist vom Individuum zum sozialen und damit auch ökonomisch relevanten „Versorgungsfall" geworden. — Während die mit jedem Kranksein verbundene Auslieferung an andere für den früheren Patienten auf die ihn auch sonst umsorgenden Personen beschränkt blieb, wird in fremder Umgebung der Verlust an individueller Selbstbestimmung weitaus krasser empfunden. Dem versucht sich der Betroffene entgegenzustemmen, indem er die Selbstbestimmung zum Postualt erhebt: Nicht der »wohlmeinende" Arzt, sondern der Patient selbst will darüber befinden dürfen, was seinem Wohle dient. Dadurch sind — zu Recht oder zu Unrecht das „objektive Wohl" und der „subjektive Wille" des Patienten weithin zu antagonistischen Parolen geworden. —Während früher dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oft schon bald auch das Ende der physischen Existenz folgte, geht heute dem biologischen Tod oft schon lange der „soziale Tod" voraus. Damit aber hat das Weiterleben scheinbar jeden Sinn verloren: Der Mensch wartet nur noch auf sein Ende, oft schon außerhalb der Gemeinschaft, unpersönlich in einem Altersheim oder Krankenhaus. Diesem buchstäblichen »Absterben" glaubt sich der moderne Mensch entgegenstemmen zu sollen, indem er den Tod wieder »persönlich" macht, und. sei es auch nur dadurch, daß er über seinen Eintritt mitbestimmen will. Deshalb möchte er seinen Sterbewillen respektiert sehen. — Während früher die Medizin ausschließlich als Helferin erschien, wird sie heute auch als Bedrohung empfunden: Indem es ihr immer mehr gelingt, die zeitliche Dimension des Lebens und damit seine „Quantität" zu verlängern, scheint seine „Qualität" an Gehalt zu verlieren: Biologische Extension auf Kosten personaler Würde — Lebensverlängerung als „Sterbensverlängerung". Auch dieser Ambivalenz der Medizin sucht man das ” Recht auf Tod" entgegenzusetzen. —Während früher Selbsttötung von Grund auf verfemt war und dann erst allmählich als tragische Entscheidung toleriert wurde, wird darin heute sogar ein Akt letzter Selbstverwirklichung erblickt: Bereitschaft zum Sterben als Teil der Lebensbewältigung, Selbsttötung als »Signatur von Freiheit" 1°. Auch dies sind Einstellungen, von denen die moderne Einschätzung von Leben und Sterben geprägt ist. 2. Ohne diese gesellschaftlichen Phänomene, deren beispielhafte Auflistung sich leicht erweitern ließe, abschließend werten zu wollen, bleibt im Hinblick auf die Schutzaufgabe des Rechts eine gewisse Gegenläufigkeit der Interessen zu konstatieren: — Auf der einen Seite das Interesse des Patienten, solange wie irgend möglich am Leben erhalten zu werden. In dieser Schutzrichtung, wie sie praktisch bis in unser Jahrhundert hinein allein bestimmend war, geht es um den Schutz gegen vorzeitige Lebensverkiirzung. Dabei darf das Recht, wenn es Mißbrauch abwehren will, nicht nur den besorgten Angehörigen und den wohlmeinenden Arzt im Auge haben, sondern muß — mit „gesundem Mißtrauen" — auch mit jenem Erben rechnen, der den Eintritt des Erbfalls glaubt beschleunigen zu sollen, oder mit jenem Arzt oder Pfleger, dem die Behandlung und Versorgung des unheilbar Kranken zur sinnlos erscheinenden Last geworden ist. Und selbst wenn eine Gesellschaft, die das Selbstbestimmungsinteresse des einzelnen respektieren will, dem Menschen, der aus dieser Welt hinaustreten will, den Weg nicht zwangsweise versperren soll, muß doch die Rechtsordnung dafür Sorge tragen, daß nicht Menschen aus' dieser Welt hinausfallen oder gar hinausgestoßen werden, die bei einfühlsamerer Beachtung ihres wahren Willens eigentlich noch gar nicht hinaustreten wollten. Insofern muß das Recht verhindern, daß die Erleichterung des Sterbens nicht '0 So nicht etwa ein Agnostiker, sondern der evangelische Theologe/. Pkt- eher, In Verteidigung des Suizids, in: Eser, Suizid (Anm. 8), S. 233, 244. 788 Eser, Freiheit zum Sterben – Kein Recht auf Tötung Alibi sozialer Versäumnisse und daß Sterbehilfe nicht zur Sterbensnachhilfe wird. — Auf der anderen Seite jedoch — und dem kommt angesichts einer Medizin, für die der Tod nicht nur in beschleunigender, sondern auch in hinausschiebender Richtung manipulierbar geworden ist, kaum geringere Bedeutung zu — geht es heute auch um die Verhinderung „übermäßiger Lebensverlängerung". Dies kann in zweifacher Hinsicht zum Problem werden: Zum einen gegenüber einem Arzt, der — aus welchen Gründen auch immer: sei es aus ethischer Überzeugung oder aus wissenschaftlichem Forschungsinteresse — eine Hinauszögerung des Todes „um jeden Preis" und zwar selbst entgegen einem ausdrücklichen Sterbeverlangen des Patienten glaubt versuchen zu dürfen oder gar zu müssen: Insofern geht es um den Schutz des Patienten gegen eine „aufgedrängte Lebensverlängerung". — Zum anderen gegenüber einem Patienten (oder seinem Angehörigen), der „bis zum letzten Atemzug" den Einsatz jeglicher Lebenserhaltungsmaßnahmen glaubt erwarten zu dürfen: Insofern geht es um die Frage, inwieweit sich der Arzt einem „übermäßigen Lebensverlängerungsanspruch" soll entziehen dürfen. Diese „janusköpfige" Gegenläufigkeit von Lebensverlängerungsinteresse einerseits und Sterben(lassen)dürfen andererseits kommt auch in der Fassung des DJT-Themas treffend zum Ausdruck, wenn darin von einem „Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung" die Rede ist. Denn je größer die Möglichkeiten der Medizin, den Korpus des Menschen noch am Leben zu erhalten, desto dringlicher wird das Selbstbestimmungsinteresse des Patienten, auch über sein Sterben. Eine andere Frage aber ist, ob dieses Spannungsverhältnis allein mit der Frage nach einem „Recht auf den eigenen Tod" zu lösen ist. III. Normative Dimensionen — Kollidierende Prinzipien Wenn man als Jurist und speziell als Strafrechtler mit diesem Problemkomplex konfrontiert wird, ist man leicht geneigt, unvermittelt in überkommenen Grundfiguren zu denken und dadurch deren Abhängigkeit von bestimmten Vorentscheidungen zu verkennen. Auch wenn es letztlich nicht zu umgehen sein wird, die Komplexität der Problematik dadurch zu reduzieren, daß man — wie allgemein zu beobachten und jetzt auch wieder von Otto demonstriert — von bestimmten Fallgruppen ausgeht und dabei insbesondere zwischen „Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung", „passiver Sterbehilfe" (durch Verzicht auf lebensverlängernde Therapie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Therapie), »aktiver Sterbehilfe" (durch Verkürzung des verlöschenden Lebens mittels aktiver Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß) und » Beihilfe zur Selbsttötung" differenziert", muß man sich dabei doch zweierlei bewußt bleiben: Zum einen, daß bei einer solchen Ausrichtung am überkommenen Recht 'Von vorneherein nur ein Ausschnitt von weitaus vielfältigeren empirischen Varianten eigen- oder fremdhändiger Lebensverkürzung erfaßt wird '2. Und zum anderen, daß diese Selektion auf bestimmten normativen Vorgaben beruht, die ihrerseits einer Reflexion bedürfen: Dies jedenfalls dann, wenn man sich nicht mit einer bloßen Erklärung oder Einzelremedur des geltenden Rechts begnügen will, sondern — der Tradition des DJT entsprechend — eine rechtspolitische Zielsetzung verfolgt. Auch Otto hat dies insoweit getan, als er seinen Erörterungen " So jedenfalls die Grobgliederung von Otto, DJT-Gutachten S. 29f, Ähnliche Differenzierungen finden sich auch in anderen Gesamtdarstellungen (vgl. die Nachweise in Anm. 6), meine eigenen Arbeiten (Anm. 7) nicht ausgenommen. 12 Näher zu solchen Variablen Eser, Erscheinungsformen von Suizid und Euthanasie – Ein Typisierungsversuch, in: Eser, Suizid (Anm. 8), S. 4-8. .1Z zu den vorgenannten Fallgruppen die Frage nach einem (verneinten) „Recht auf Selbsttötung" und einem (bejahten) „Recht auf den eigenen Tod" voranstellt. Indes bleibt zu fragen, ob das Spektrum dieser am DJT-Thema orientierten Differenzierung nicht doch einerseits noch zu erweitern und andererseits zu spezifizieren wäre, und sei es auch nur, um damit die Grundlinien des geltenden Rechts letztlich noch besser abstützen zu können. Zuvor jedoch bleiben, um möglichen Fehleinstellungen vorzubeugen, noch andere normative Dimensionen dieser Thematik zu beleuchten. 1. Auf der einen Seite ist immer wieder der Vorstellung zu begegnen, dem Problem der Sterbehilfe sei am besten dadurch beizukommen, daß man den Grenzbereich des Sterbens zum „Freiraum" ärztlichen Ermessens erklärt. Dahinter steht die vor allem in Ärztekreisen weitverbreitete Auffassung, daß — zum einen — das Sterben ein so intimer Prozeß sei, daß es geradezu verfremdend wirken müsse, wenn das Recht hineindirigiert, und daß — zum anderen — kein Fall dem anderen gleiche und daher dem Arzt ein möglichst weiter Ermessensspielraum einzuräumen sei '4. Dieser Auffassung konnten sich selbst manche Gerichte nicht verschließen: So etwa im Fall der Karin Quinlan, wo vom Erstrichter die Frage, ob ein Patient vom Respirator abzuhängen sei oder nicht, als eine „medizinische Entscheidung und keine justizielle" erachtet wurde und demzufolge das Abschalten dem Ermessen des behandelnden Ärzteteams und der Standeskontrolle der Ärzteschaft anheimzustellen sei. Auch die Entscheidung des BGH im Wittig-Fall, wo der Suizid-Patientin die Beachtlichkeit ihres Sterbewillens abgesprochen wurde, um statt dessen das Sterbenlassen in die ärztliche Verantwortung zu stellen i s , ist — wie der Beifall in Ärztekreisen zeigt — vor solchen Deutungen nicht gefeit '6. Gegenüber solchen Bestrebungen, so verständlich sie in Respektierung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient auch sein mögen, bleibt jedoch zu bedenken, daß auch das Sterben noch ein Teil des Lebens ist und der Staat im Hinblick auf die grundrechtliche Schutzgarantie menschliches Leben nicht der Disposition Dritter anheimstellen darf, sondem die Letztverantwortung für dessen Schutz in der Hand behalten muß, und sei es auch nur dadurch, daß ärztliches Handeln auf bestimmte Grundsätze verpflichtet und deren Beachtung überwacht wird. 2. Auf der anderen Seite jedoch — und diesem gegenteiligen Extrem ist ebenfalls entgegenzutreten — ist im Strafrecht kein Allheilmittel zu erblicken. Diese Fehlvorstellung kommt beispielsweise darin zum Ausdruck, daß dieselben Ärzte, die einerseits für ein möglichst großes Ermessen bei Aufnahme oder Abbruch einer Behandlung eintreten — und zwar „wohlmeinend" selbst über den Kopf des Patienten hinweg andererseits für Strafbarkeit der Suizidteilnahme glauben plädieren zu müssen. Ginge es dabei um die unterschiedliche Einschätzung von passivem Sterbenlassen einerseits und aktivem Töten andererseits, so wäre jene divergente Einstellung immerhin verständlich — wobei freilich bereits verwundern muß, daß ansonsten gerade in der Ärzteschaft gerne gegen die Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe Stellung bezogen wird, weil die Übergänge fließend seien, was sich insbesondere an der Schmerzlinderung mit tödlichem Risiko zeige, wo die in Kauf genommene Lebensverkürzung trotz aktiven Tuns durchaus für akzeptabel gehalten wird. Genau u Otto, Dir-Gutachten S. 11ff. bzw. S. 22 ff. " Näher dazu wie auch zum Folgenden – jeweils mit Einzelbelegen – Eser, in: AueriMenzellEser (Anm. 7), S. 76 ff. sowie allgemein zum *ärztlichen Ermessen« in Mieth/Weber (Anm. 8) S. 166 ff. '5 BGHSt 32, 367 f. = JZ 1984, 893 (dazu R. Schmitt S. 866). '6 Vgl. Eser McdR 1985, S. 6, 15 f. Was dort zunächst nur prognostiziert werden konnte, hat sich inzwischen – soweit ersichtlich – zwar nicht literarisch, aber in persönlichen Stellungnahmen artikuliert, indem – entgegen meinet Kritik – die Einräumung ärztlichen Ermessens verschiedentlich als ..eigentlich recht vernünftig« bezeichnet wurde. 17/1986 Eser, Freiheit zum Sterben – Kein Recht auf Tötung besehen steht jedoch etwas anderes dahinter, nämlich das Bestreben, das Strafrecht mit der ärztlichen Ethik in Deckung zu bringen: Was diese erlaubt – so das medizinisch indizierte Sterbenlassen bis hin zur Schmerzlinderung mit lebensverkürzendem Risiko –, sollte auch straffrei sein; und was diese mißbilligt – wie die Beihilfe zur Selbsttötung –, sollte eigentlich strafbar sein. Dabei wird jedoch zweierlei verkannt: Zum einen, daß sich die ärztliche Berufsethik weder notwendigerweise mit der allgemeinen Ethik noch mit dem Recht zu decken braucht. Demzufolge kann dem Arzt aus berufsethischen Gründen untersagt sein, was – wie derzeit die Beihilfe zur Selbsttötung – vom Strafrecht toleriert wird und damit in die moralische Verantwortung des einzelnen gestellt ist. Diese unterschiedlichen Wertungsebenen, die dem Mediziner „als Mitmensch" erlauben, was ihm " als Arzt" untersagt ist, aufzuheben, würde bedeuten, die Arztethik zur allgemeinen Richtschnur und das Strafrecht zum Büttel einer sektoralen Berufsethik zu machen. Damit würde – zum anderen – verkannt, daß das Recht über Lebenserhaltung und Schmerzlinderung hinaus – auch noch von anderen oder ergänzenden Prinzipien geleitet sein kann, wie etwa von einer – im Vergleich zu der primär am „Wohl" des Patienten orientierten Arztethik – höheren Respektierung des Patientenwillens. Diese unterschiedlichen Wertungsebenen sind auch keineswegs nur als Schwäche unseres Normensystems zu begreifen. Denn im Unterschied zur Konfundierung von Recht und Ethik in totalitären Staaten, wo die wechselseitige Abstützung letztlich auch zu ethischer Nivellierung führen kann, eröffnet die – trotz nicht zu bestreitender Wechselbezüglichkeit – jeweilige Autonomie von Recht, Standesethik und allgemeiner Ethik die Möglichkeit zu sittlicher Selbstverantwortlichkeit: Dies mag im einen Fall zu einer hinter dem Recht zurückbleibenden » Gewissensentscheidung" führen, im anderen Fall aber auch zu einem die rechtlichen Anforderungen übersteigenden " Heroismus" anspornen. Insofern kann es dem Recht – und dabei insbesondere auch dem Strafrecht – allein darum gehen, jene Grundwerte zu markieren, die für ein sozialverträgliches Zusammenleben unverzichtbar sind, im übrigen, aber noch durchaus Freiraum für sittliche Selbstverantwortung zu lassen. In diesem Sinne ist auch im Bereich der Sterbehilfe das Strafrecht lediglich als fundamentale Grundlage und minimaler Rahmen für einen erforderlichenfalls erzwingbaren Lebensschutzstandard zu verstehen, nicht aber als Allzweckinstrument einer – wie auch immer gearteten – Hochethik. 3. Mit der Verkennung dieser unterschiedlichen Dimensionen hängt eine weitere Fehlvorstellung zusammen: der Glaube an die Absolutheit und Ausnahmslosigkeit von Prinzipien. Ganz abgesehen davon, ob es eine solche Absolutheit bei handlungsleitenden Normen überhaupt gibt", ist dies jedenfalls im rechtlichen Bereich zu bezweifeln, und zwar selbst beim Lebensschutz. Denn wenn das Leben wahrhaft " absolut" – nämlich ohne jede Rücksicht auf die Umstände und über etwaige gegenläufigen Prinzipien hinweg – geschützt wäre, wie ließen sich dann tödliche Notwehr, Tötung im .Krieg oder – wie auch hierzulande lange praktiziert – die Todesstrafe rechtfertigen? Das beliebte Argument, daß die Schutzgarantie natürlich nur für » unschuldiges Leben" gelte, mag vielleicht noch bei der Todesstrafe greifen, obgleich selbst dies bereits brüchig wird, wenn die Todesstrafe nicht nur für Mord, sondern auch zur Sanktionierung von nicht-vitalen Rechtsgutsverletzungen (wie häufig bei Staatsschutzdelikten) verhängt wird – wird doch damit unter Umständen sogar bloßen Territorialansprüchen oder eigennützigen Machtsicherungsinteressen Vorrang gegenüber dem Leben eingeräumt. '7 Was bereits für den ethischen Bereich namentlich von Böckle, Fundamentalmoral, 1977, insbes. S. 307 ff., verneint wird. 789 Und noch weniger taugt jene Erklärung, wenn es um die Rechtfertigung von tödlicher Notwehr gegenüber einem zwar objektiv rechtswidrig, aber subjektiv schuldlos handelnden Angreifer geht, bzw. wenn wie im Kriegsfall ein individuell unschuldiger, ja vielleicht sogar zum Wehrdienst gezwungener Gegner getötet wird: Schon angesichts solcher „Tötungsberechtigungen" kann von absolutem Lebensschutz keine Re- de sein. Mit dieser Feststellung sei natürlich keineswegs einer Ab- wertung des Lebens das Wort geredet, sondern lediglich Illusionen vorgebeugt; denn um nicht auf dem trügerischen Sand eines vermeintlich absoluten Lebensschutzprinzips zu bauen und etwaige Ausnahmen allein dem vielzitierten „Werteverfall" unserer Zeit anzulasten, gilt es, sich gegenüber einer weit verbreiteten Fehleinschätzung bewußt zu machen, daß selbst der Schutz des Lebens wohl schon immer nur ein relativer gewesen ist und dies offenbar auch gar nicht anders sein kann. Wenn man nämlich die rechtsgeschichtlichen Wandlungen des Lebensschutzes unvoreingenommen zu Kenntnis nimmt, so konnte es immer nur darum gehen, zwischen dem „Heiligkeits"-Anspruch des Lebens einerseits und gewissen „Qualitäts"-Anforderungen menschlichen Daseins andererseits einen erträglichen Kompromiß zu finden 1". Dies gilt selbst für die katholische Moral, die an sich die Achtung des Lebens am striktesten verficht; denn wenn den lehramtlichen Äußerungen zur Frage erlaubter Sterbehilfe zu entnehmen ist, daß „der letzte Bewertungsmaßstab nicht die maximale Prolongation des Lebens im biologischen Sinne, sondern die Verwirklichung jener humanen Werte (ist), denen das biologische Leben untergeordnet ist" '9, so liegt bereits darin die Erkenntnis, daß das Leben weder als biologisches Abstraktum noch als normatives Absolutum, sondern als sowohl personal qualifizierungsbedürftig wie auch in Relation zu anderen Humanwerten zu sehen ist. Diese prinzipielle "Relativität" des Lebensschutzes wird umso deutlicher, wenn man sich im säkularen Raum des Rechts bewegt, das – über die für Sterbehilfe allgemein bedeutsame Wahrung der Menschenwürde hinaus" – speziell beim Sterbenlassen auf Verlangen oder bei Straffreiheit der Suizidteilnahme auch dem Selbstbestimmungsinteresse des Betroffenen Rechnung tragen will, ganz zu schweigen von tödlicher Notwehr oder Tötung im Kriege, wo das Leben unter Umständen sogar dem Schutz von nicht-personalen Drittinteressen geopfert wird: Alles dies wäre nicht möglich ohne das Eingeständnis, daß das Recht selbst beim Lebensschutz Kompromißcharakter hat – indem gegenläufige Interessen miteinander abzuwägen und unter Berücksichtigung tendenzieller Folgewirkungen in eine optimale Konkordanz zu bringen sind. Dies macht die Suche nach dem » richtigen" Rahmen von Sterbehilfe gewiß nicht leichter, aber jedenfalls redlicher – und bewahrt vielleicht auch vor vordergründiger Prinzipienreiterei. 4. Mit dieser – gewiß bedauernswerten, aber wohl unvermeidlichen – Anerkennung der grundsätzlichen Relativität (auch) des Lebensschutzes stellt sich natürlich die Frage nach den maßgeblichen Relationen: Von welchen Prinzipien ist dabei auszugehen? Welche Abwägungsfaktoren sind dabei zu 18 Näher dazu Eser, Zwischen „Heiligkeit« und „Qualität« des Lebens, in: Tradition und Fortschritt im Recht Festschrift zum 500jährigen Bestehen der Tübinger Juristenfakultät (hrsg. von J. Gernhuber), 1977, S. 377-414, insbes. S. 413 f. 19 So – in Resümierung päpstlicher Verlautbarungen – der katholische Moraltheologe Auer, Läßt die Position der katholischen Kirche zur passiven und aktiven Sterbehilfe Raum für ein Umdenken hinsichtlich der von ihr bisher vertretenen moralischen Grundsätze?, in: DGHS (Hrsg.), 5. Europäischer Kongreß für Humanes Sterben, 1985, S. 77-84,80 f.; im gleichen Sinne bereits Auer, Die Unverfügbarkeit des Lebens und das Recht auf einen natürlichen Tod, in: Auer/ Menze / Eser (Anm. 7), S. 1-51, insbes. S. 23 ff. » Diese Vorrangsstellung der Menschenwürde vor dem Leben tritt – fast schon im Übermaß und daher nicht in jedem Falle ohne weiteres nachvollziehbar– namentlich im DJT-Gutachten von Otto zutage (vgl. insbes. S. 24 ff., 34ff., 73 ff., 96). 790 Eser, Freiheit zum Sterben — Kein Recht auf Tötung berücksichtigen? Welche Folgewirkungen der jeweiligen Lösung wären zu bedenken? Wo sind Grenzen zu ziehen? Vielleicht ist zum Zentrum dieses hier nicht voll entfaltbaren Problemkomplexes am besten dadurch vorzustoßen, daß man die vom DJT gestellte Frage nach einem „Recht auf den eigenen Tod" zu den beiden Extrempositionen in Beziehung setzt: nämlich zur totalen Verneinung jeder Art von Verfügbarkeit über das Leben einerseits und zur radikalen Absicherung eines solchen Rechts andererseits. Denn dabei wird sich zeigen, daß zwischen diesen beiden Polen ein abstufbares Kontinuum von Lebensschutzpositionen besteht, innerhalb dessen das „Recht auf den eigenen Tod" zwar eine mittlere, aber deswegen noch keineswegs allseits tragfähige Position einnimmt. Dies läßt sich vielleicht am besten verdeutlichen, wenn man sich von den beiden Extrempositionen her der Mitte nähert: – Wäre einerseits im Sinne einer „Heiligkeits"-Position die menschliche Existenz als ein jeglicher Disposition entzogenes und unbedingt zu erhaltendes Gut zu verstehen, so wäre jede Art von qualitativer Lebensbewertung wie auch jede Art von Lebensverkürzung ausgeschlossen, und zwar gleich, ob durch dritte oder eigene Hand. Damit aber wäre auch für ein „Recht auf den eigenen Tod" von vorneherein kein Raum, ja noch mehr: Das Recht zum Weiterleben wäre sogar als eine Weiterlebenspflicht zu verstehen, die ihrerseits auf seiten Dritter das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht auslösen würde, den Betroffenen auch gegen seinen Willen am Leben zu erhalten. Dann ist natürlich auch für einen Wegfall von Rettungspflichten selbst bei Hilfsverzicht des Betroffenen kein Raum, ebenso wie dann konsequenterweise sowohl der Suizidversuch wie auch die Suizidteilnahme einschließlich der Nichtverhinderung eines Suizids unter Strafe zu stellen wären. – Wäre andererseits im Sinne einer „ Verfügbarkeits"-Position auch das Leben als unbeschränkt disponibel zu betrachten, so wäre damit ein Weg eröffnet, der zwar das „Recht auf den eigenen Tod" einschließen, aber letztlich doch weit darüber hinausgehen würde. Denn konsequenterweise müßte dann über die Selbsttötung und die Teilnahme daran hinaus auch die einverständliche Tötung durch einen Dritten straffrei, wenn nicht sogar gerechtfertigt sein, und zwar nicht nur auf Verlangen, sondern bereits bei Einwilligung des Betroffenen. Auch dürfte es bei einem konsequent durchgehaltenen „Selbstverfügungsrecht" weder auf den Zustand noch auf die Motivation des Betroffenen bzw. seines Helfers ankommen; alleinentscheidend für die Straffreiheit wäre die freiwillige Entscheidung für den Tod. Ja, noch mehr: wenn man das Reden von einem „Recht" auf den „eigenen", „natürlichen", „würdigen" oder wie auch immer qualifizierten – Tod wirklich ernstnähme und konsequent zu Ende dächte, dann ginge es nicht nur um die von Otto behandelte Alternative zwischen, einem (verneinten) „Recht auf Selbsttötung" und einem (bejahten) „Recht auf den eigenen Tod" 21 , sondern um eine viel breitere Skala von denkbaren Möglichkeiten: nämlich über die schlichte "Freiheit zum Sterbendürfen" hinaus um das Recht, dafür die Hilfe anderer in Anspruch nehmen zu dürfen, und, falls man sich zur Selbsttötung außer Stande fühlte, um das Recht auf Tötung durch Dritte, wobei mit diesem Recht, falls zugleich als „Anspruch" auf Tötung zu verstehen, eine entsprechende Pflicht des Staates korrespondieren müßte, für die Einlösung dieses „Tötungsanspruchs" geeignete Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Wie an anderer Stelle bereits näher dargetan", ist keine dieser beiden Extrempositionen akzeptabel: die „Heiligkeits"Position – unter anderem – schon deshalb nicht, weil damit 21 Vgl. oben zu Anm. 13. 22 Zu solchen Konsequenzen vgl. Möllering, Schutz des Lebens — Recht auf Sterben, 1977, S. 86 ff., 92 f. m. weit. Nachw. 23 Eser, Suizid (Anm. 8), S. 394 ff. sowie in FritscheiGoulon/EserlBr ni Riviet (Anm. 8), S. 24 ff. das Lebensrecht letztlich zu Lebenszwang pervertiert würde. Die „Verfügbarkeits"-Position – unter anderem – schon deshalb nicht, weil mit Anerkennung eines Lebensverfügungsanspruchs die Weichen für eine Selbstaufgabe menschlicher Sozietät gestellt wären und der Staat dazu sogar noch Hilfestellung geben müßte. Deshalb ist zwischen den beiden Extremen eines heiligkeitsorientierten „Lebenszwanges" einerseits und eines selbstbestimmungsorientierten „Tötungsanspruchs" andererseits nach einer mittleren Position zu suchen. Dazu erscheint es angebracht, sich zunächst einmal die Skala möglicher Abstufungen zwischen jenen beiden Polen vor Augen zu führen: – (1) Weiterlebenspflicht des Betroffenen mit Todesverhinderungspflicht Dritter (abgesichert durch entsprechende Unterlassungsstrafbarkeit) — (2) Zwar keine Pflicht des Betroffenen zu selbsterhaltenden. Maßnahmen, aber Eingriffspflicht Dritter zwecks Lebenserhaltung – (3) Zwar passives Sterbensrecht des Betroffenen, aber Strafbarkeit der (versuchten) aktiven Selbsttötung mit Verhinderungspflicht Dritter – (4) Zwar Straflosigkeit (versuchter) Selbsttötung, aber Strafbarkeit der aktiven Suizidteilnahme sowie der Tötung auf Verlangen – (5) Sterbendürfen ohne Verhinderungspflicht Dritter aufgrund „einverständlichen" Behandlungsverzichts bzw. -abbruchs – (6) Sterbenlassendürfen durch Dritte aufgrund „einseitigen" Behandlungsverzichts bzw. -abbruchs, wobei dies jeweils noch von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig sein kann – (7) Recht auf Schmerzlinderung selbst unter lebensverkürzendem Risiko – (8) Freiheit zur Selbsttötung und Zulassung der Teilnahme daran, aber Strafbarkeit aktiver Tötung auf Verlangen — (9) Recht auf Selbsttötung mit Recht auf Hilfe Dritter – (10) Recht auf Tötung durch Dritte unter Zulassung aktiver Tötung auf Verlangen – (11) Anspruch auf Tötung mit entsprechender Durchführungspflicht des Staates. Versucht man innerhalb dieser Skalierung, die sicherlich noch weiteren Abstufungen zugänglich wäre, das heute weithin akzeptierte „Recht auf den eigenen Tod" zu lozieren, so muß zunächst einmal dessen parolenhaft ungriffige Schlagwortartigkeit irritieren. Denn wenn von einem „Recht auf den eigenen Tod" die Rede ist, warum soll dann dies – um eine durchgehende Differenzierung von Otto aufzugreifen" – nur für den Fall einer „definitiv gesetzten Todesursache" gelten. und nicht auch für den Fall eines „vorzeitigen" Sterbeverlangens? Und wird nicht „Menschenwürde" zu biologistisch verstanden, wenn sie erst bei dem – wie auch immer zu interpretierenden – „drohenden Zusammenbruch der Personalität «16 relevant werden soll? Oder wenn vom „Recht auf den eigenen Tod" gesprochen wird, warum soll dann davon ausgerechnet die „selbstverfügte" und damit eigentlich „ureigenste" Tötung ausgeschlossen sein? Und wenn schließlich das „Recht auf den eigenen Tod" – wie auch von Otto zutreffend betont – keinesfalls als „Anspruch gegenüber Drit-; ten" soll verstanden werden dürfen 2', was bleibt dann eigent; lich noch an positivem Aussagegehalt von diesem Postulat übrig? Gewiß mag mit Otto ein möglicher Gegenstand dieses' Rechts in dem „Anspruch gegen Dritte, die Verwirklichung 24 So etwa hinsichtlich der unterschiedlichen Begründungen für die Straffrei heit der Suizidteilnahme; denn obgleich diese schon tathestandlieh mangels Haupttat — ausgeschlossen ist, bleibt doch die Frage, warum die Selbsttötung ihrerseits nicht strafbar ist: wegen bloßer Entschuldigung oder weil gerechtfer-* tilgt? Vgl. Eser in Schänke/Schröder Vorbem. 25 f. vor S 211. 25 Otto. DIT-Guuchten bei C (S. 29ff.) bzw. D (S. 72ff.). 2‘ Otto, aa0 S. 62ff. 27 Otto, aaO S. 23. 17/1986 Eser, Freiheit zum Sterben - Kein Recht auf Tötung des eigenen Todes nicht zu be- oder zu verhindern", zu erblicken sein; doch selbst gegenüber dieser Formulierung wäre zu fragen, ob man dabei eigentlich noch von einem echten „Anspruch" sprechen kann: Denn würde nicht auch dies eine notfalls erzwingbare Pflicht Dritter zur Abstandnahme implizieren? Desungeachtet kommt jedoch in dieser Problemumschreibung ein durchaus zutreffender Gedanke zum Vorschein, der lediglich etwas anders zu benennen wäre. Denn worum es in den ganzen Auseinandersetzungen um die Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe letztlich geht, ist die Freiheit zum Sterben: und zwar sowohl zum Sterbendürfen des Betroffenen wie auch zum Sterbenlassendürfen durch Dritte. Wenn zumindest diese Freiheit im Sinne eines „status negativus" gegen die Aufdrängung von Lebenszwang einerseits und gegen die Inpflichtnahme Dritter andererseits abgesichert wäre, wäre sowohl das gewährleistet, was mit „Sterben in Würde" gemeint ist, wie auch das abgeblockt, was auf einen „Tötungsanspruch" hinauslaufen könnte. Demzufolge wären in der obigen Skala einerseits jedenfalls die Positionen (1) bis (4) sowie andererseits die Positionen (9) bis (11) als inakzeptabel auszugrenzen: Erstere deshalb, weil sie der Freiheit zum Sterben entgegenstehen; letztere deshalb, weil damit ein die Freiheit zum Sterben übersteigendes Recht auf Tötung samt Hilfsanspruch proklamiert wird. Demgegenüber kommt die Freiheit zum Sterben zweifellos am klarsten in der Position (5) zum Ausdruck. Doch dürften zu diesem Bereich auch die Positionen (7) und (8) zu rechnen sein: Erstere deshalb, weil es hier ohnehin nicht um gezielte Tötung, sondern um eine Abwägung zwischen Leidensheroismus und Lebensrisiko geht und bei Lösung dieses buchstäblich höchstpersönlichen Konflikts rechtlicher Erduldungszwang fehl am Platze wäre. Letztere deshalb, weil es bei der Freiheit zur Selbsttötung – im Unterschied zu Position (9) – nicht um ein Tötungsrecht, sondern lediglich um die Abschirmung gegenüber Behinderungen Dritter geht und mit bloßer Zulassung der Teilnahme das Fremdtötungsverbot tabu bleibt". Einordnungsbedürftig bleibt somit nur noch die Position (6), und diese ist bezeichnenderweise gerade aus dem letztgenannten Grunde problematisch. Denn während es bei allen übrigen Positionen um (tatsächlich oder zumindest mutmaßlich) „selbstgewolltes" Sterben geht, wird beim Sterbenlassendürfen durch Dritte, ohne daß ein entsprechender Wille des Patienten erkennbar ist, einseitig" über diesen befunden. Dies noch mit einem „Recht auf den eigenen Tod" begründen zu wollen, dürfte selbst mit kühnsten Interpretationskünsten schwierig sein: Auch insoweit bleibt daher mit Verkürzung des DJT-Titels auf ein selbstbestimmungsorientiertes „Recht auf den eigenen Tod" ein praktisch höchst bedeutsamer Problembereich zumindest thematisch ausgespart". Doch auch mit einer „Freiheit zum Sterben" wird jedenfalls dann kaum zu argumentieren sein, wenn man für die Inanspruchnahme von Freiheit einen darauf • gerichteten Willen voraussetzt. Wenn man sich daher nicht, wie dies gelegentlich bei Aufdrängung von „Menschenwürde wider Willen" geschieht, zu 21 Otto, ebenda. 2' Näher zu diesem tiefgreifenden normativen Unterschied zwischen bloßer Teilnahme an tödlicher » Selbstverfügung' und » fremdverfügender* Tötung auf Verlangen vgl. auch Eser, Suizid (Anm. 8) S. 398 EL sowie in Fritsche/Goulon/ Eser/Braun/Ried« (Anm. 8) S. 31 0. xl Was jedoch - erfreulicherweise - Otto in seinem DIT-Gutachten nicht daran gehindert hat, diese Thematik, wenngleich unter Ausklammerung des Sterbenlassens von schwergeschädigten Neugeborenen (vgl. sein Vorwort S. 9), dennoch einzubeziehen (S. 49ff., 72f.), St Vgl. etwa die Auseinandersetzungen um die » Menschenunwürdigkeit" von einverständlichen Peep-Shows (BVerwG NJW 1982, 664 m. Anm. v. Ohlshausen NJW 1982, 2221 ff., Höfling/Gern NJW 1983, 1582 ff.) oder von einverständlicher Unterwerfung unter einen Lügendetektor (BVerfG NJW 1982, 375 m. Anm. Schwabe NJW 1982, 367 f., Amelang NStZ 1982, 38 ff., Achenbach NStZ 1984, 350 ff.). 791 einer aufgedrängten » Freiheit" zum Sterben versteigen oder das „Recht" auf den eigenen Tod nicht zu einer entsprechenden „Pflicht" zur Inanspruchnahme dieses Rechts pervertieren will, so bleibt nichts anderes als das Eingeständnis, daß sich der „einseitige" Behandlungsabbruch schwerlich mit irgendwelchen Selbstbestimmungsargumenten begründen läßt, sondern einer anderen Grundlage bedarf. Ob diese dadurch zu gewinnen ist, daß man – wie vor allem im Fall irreversiblen Bewußtseinsverlusts – die Lebenserhaltungspflicht von vorn- herein entsprechend einschränkt bzw. mit Zumutbarkeits- grenzen oder Rechtfertigungsgrundsätzen arbeitet ist zwar eine rechtsdogmatisch wichtige, aber gegenüber der damit verbundenen Grundwerteproblematik eher nachrangige Frage, die hier nur aufgeworfen, aber nicht weiter verfolgt werden kann. Denn vorrangig entscheidungsbedürftig ist die Frage, wie unter den heutigen Gegebenheiten der ärztliche Auftrag zu bestimmen ist" und wieviel der einzelne an sozialem Einsatz für sein Leben legitimerweise erwarten darf. Das aber ist weniger eine rechtsdogmatische als vielmehr eine sozialpolitische Frage, die nicht zuletzt davon abhängt, wieviel diese unsere Gesellschaft für die Erhaltung verlöschenden Lebens zu tun bereit ist und wie sie dabei unter Berücksichtigung sonstiger öffentlicher Aufgaben die Prioritäten setzen will34. 5. Bevor daraus strafrechtliche Konsequenzen zum geltenden wie auch zu einem künftigen Recht zu ziehen sind, bleibt noch ein mehr sozialethisches Prinzip anzusprechen: die mitmenschliche Solidarität. Wenn sich hier die »Freiheit zum Sterben" als rechtlicher Angelpunkt herausgestellt hat, so ist dies weder als moralische Billigung der Selbsttötung und noch weniger als Aufforderung zu verstehen, den Lebensmüden einfach sich selbst zu überlassen. Im Gegenteil: wie bereits an anderer Stelle dargetan", ist für mich das Leben ein viel zu hoher Wert, als daß ich dessen Preisgabe – und zwar gleich, ob durch eigene oder fremde Hand – leichthin für moralisch verantwortbar hielte. Auch müßte man auf empirischer Ebene bei Annahme von Freiverantwortlichkeit weitaus skeptischer sein, als dies immer wieder in der Rechtsprechung geschieht'. Dies ist jedoch kein hinreichender Grund, um einen Mitmenschen mit strafrechtlichen Mitteln – und sei es auch nur mittelbar durch Verhinderungspflichten Dritter – zum Weiterleben zu zwingen, sofern er aufgrund eigener Gewissensentscheidung wohlüberlegt und offenbar frei von Willensmängeln daraus scheiden will. Mitmenschliche Solidarität, wenn aufgezwungen, macht die betroffene Person zum Objekt. Auch insoweit ist die Menschenwürde als unantastbar zu respektieren. Das aber scheint am besten dadurch gewährleistet, daß das Weiterlebenwollen und Sterbendürfen frei ist von rechtlichem Zwang, um statt dessen die moralische Verpflichtung zu mitmenschlicher Solidarität zur Geltung kommen zu lassen. IV. Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts Wenn vorangehend auf das geltende Recht allenfalls beiläufig Bezug genommen wurde, so geschah das nicht von ungefähr; denn da es hier – wie schon eingangs erwähnt – primär um rechtspolitische Grundsatzüberlegungen geht, hätte die Fixie" Näher dazu - auch mit Darstellung meiner eigenen Lösungsvorstellungen der Meinungsüberblick in Auer/ Menzel/ Eser (Anm. 7) S. 119 ff. sowie in Schönlee/Schröder Vorbem. 29 f. vor 211. " Im Ansatz wohl ebenso Otto, DIT-Gutachten S. 36. 34 Auf diese - bislang noch viel zu wenig beachtete, weil verständlicherweise gerne verdrängte Abhängigkeit des Lebenserhaltungsgebots von dem, was der einzelne von seinen Mitmenschen und der Gesellschaft insgesamt an Hilfe überhaupt erwarten und fordern darf, hat insbesondere schon Sax, Zur recht-, lichen Problematik der Sterbehilfe durch vorzeitigen Abbruch der Intensivbehandlung, JZ 1975, S. 137-151, 149, hingewiesen. " Eser, MedR 1985, 17. m Vgl. Eser in Schönlee/Schröder Vorbem. 34, 36, 43 sowie in Auer/Menzel/ Eser (Anm. 7) S. 103 ff. 792 Eser, Freiheit zum Sterben - Kein Recht auf Tötung rung auf vorgegebene Positionen leicht das Blickfeld verengen und verzerren können. Auch im folgenden ist daher weder eine Einzeldarstellung des geltenden Rechts noch eine dogmatische Auseinandersetzung mit bestimmten Positionen beabsichtigt. Vielmehr geht es allein darum, inwieweit Gesetz und Praxis die vorangehend als Leitpunkt anerkannte „Freiheit zum Sterben" zu gewährleisten vermögen bzw. einer entsprechenden Reform bedürfen. Selbst das kann freilich in diesem Rahmen nur angedeutet werden. 1. Ein vorab bewußt zu machender Grundmangel des geltenden Rechts liegt bereits darin, daß es – abgesehen von der Strafmilderung bei Tötung auf Verlangen (5 216 StGB) – keinerlei Sonderregeln für Hilfe in und zum Sterben gibt, wie ja überhaupt das StGB den Besonderheiten ärztlichen Handelns in keiner Weise Rechnung trägt". Demzufolge ist auch. für den hier in Frage stehenden Bereich auf allgemeine Verbots- und Erlaubnisnormen zurückzugreifen, die jedoch weder eine sachlich angemessene noch eine hinreichend klare Handhabung ermöglichen. Das ist keineswegs als Vorwurf gegenüber dem historischen Gesetzgeber von 1871 zu verstehen; denn wie hätte er voraussehen sollen, in welcher Weise sich die Möglichkeiten der Medizin entwickeln würden? Inzwischen jedoch kommt man an der Tatsache nicht vorbei, daß das überkommene Recht vor allem in zweierlei Hinsicht hinter der Entwicklung zurückgeblieben ist: Zum einen insofern, als die gegenwärtigen Lebensschutztatbestände ausschließlich gegen Lebensverkürzung gerichtet sind, ohne dem neuen Schutzinteresse gegen „aufgedrängte Lebens- und Sterbensverlängerung" Rechnung zu tragen". Zum anderen insofern, als es beim Schutz des Lebens bislang lediglich um seine quantitativ-zeitliche Dimension geht, während Aspekte der Leidensminderung und Sterbenserleichterung und damit die qualitativ-personale Dimension würdevollen Sterbens – denn auch dabei geht es ja noch um ein Stück Leben – unberücksichtigt bleiben. Gewiß ließe sich dem – wie einmal mehr von Otto demonstriert – bis zu einem gewissen Grad nach Notstandsgrundsätzen Rechnung tragen"; aber selbst auf diesem Wege, der ohnehin über keineswegs sichere Interpretationsbrücken führt, bleibt die Menschenwürdigkeit des Sterbens eben nur sekundäres Rechtfertigungsvehikel, ohne zu einem primären Schutzziel zu erstarken. Dieser Mangel schutzspezifischer Sonderregelungen wird noch dadurch potenziert, daß die statt dessen heranzuziehenden allgemeinen Prinzipien, weil teilweise gegenläufig, für Wertungswidersprüche empfänglich sind. Das zeigt sich bereits im Gegenüber des grundsätzlichen Fremdtötungsverbots einerseits und der Straffreiheit der Selbsttötung andererseits; denn diese beiden Prinzipien müssen spätestens dann miteinander in Konflikt geraten, wenn – wie bei Suizidteilnahme und Tötung auf Verlangen – ein Dritter in das Tötungsgeschehen einbezogen wird. Dieser Wertkonflikt wird naturgemäß noch komplizierter, wenn man auch noch das grundsätzliche Selbstbestimmungsrecht des Patienten sowie die Wahrung seiner Menschenwürde hinzunimmt"'. Ein solches Konfliktpotential zu konstatieren, soll nun freilich nicht heißen, daß zu seiner Vermeidung schlicht das eine Prinzip dem anderen zu opfern wäre; denn wenn es – wie schon zuvor (bei 111.3) 37 Vgl. Eser (Anm. 7) ZStW 97, insbes. 3 ff. - Und selbst soweit es dann doch einmal irgendwelche Sonderregeln für ärztliche Tätigkeit gibt, wie beispielsweise für Arzneimittelprüfung nach dem Arzneimittelgesetz von 1976 (§§ 40-212, 95-98), fehlt es an der notwendigen Abstimmung mit dem StGB: vgl. Eser, Kontrollierte Arzneimittelerprobung in rechtlicher Sicht, in: Internist 3 (1982), 218-226. 3$ Vgl. oben 11.2. 39 Otto, DJT-Gutachten 5. 34, 42ff., 50, 56ff., 92 sowie neuestens auch Herzberg NJW 1986, 1639 f. 4° Dazu Eser, in Eid (Anm. 7) S. 49 ff. sowie Eser, Der Arzt im Spannungsfeld von Recht und Ethik, in Focus MHL (Med. Hochschule Lübeck) 3 (1986) S. 48-55. Z festgestellt – richtig ist, daß es auch im Bereich des Lebensschutzes keine Absolutheit von Prinzipien gibt, dann ist das Eingehen von gegenseitigen Kompromissen kein zu vermeidendes, sondern im Sinne optimaler Konkordanz ein zu erstrebendes Ziel. Wohl aber gilt es zu verhindern, daß sich. solche Wertkonflikte zu Wertungswidersprüchen auswachsen, die – wie vom BGH im Wittig-Fall selbst eingeräumt" – von der Rechtsprechung allein offenbar nicht zu lösen sind. Muß sich aber da nicht der Gesetzgeber auf den Plan gerufen fühlen? 2. Dies gilt insbesondere für die derzeit mangelnde Gewährleistung „einverständlichen" Sterben(lassen)dü,fens und damit für den eigentlichen Kernbereich der Freiheit zum Sterben". Denn obgleich selbst die Rechtsprechung an der Straffreiheit aktiver Suizidteilnahme nicht vorbeikommt, hat doch bekanntlich der BGH diese Grundentscheidung des Gesetzgebers dadurch weitgehend unterlaufen, daß er späte-. stens bei Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit des Betroffenen eine Erfolgsabwendungspflicht des Garanten bzw. eine Jedermann-Hilfspflicht (nach § 323 c) dekretiert". Zwar fehlt es nicht an Versuchen, diese Rettungspflicht auf Suizidfälle zu beschränken", um damit wenigstens bei „Normalpatienten" weiterhin eine einverständliches Sterbenlassen zu ermöglichen. Doch ganz abgesehen davon, ob dieses Bemühen um „Schadensbegrenzung" eines verfehlten – weil bereits die Freiheit zum Sterben verleugnenden – Grundansatzes überhaupt tauglich ist", bleibt jedenfalls die Differenzierung zwischen „Suizidenten" und „Normalpatienten" in Zweifel zu ziehen, und zwar sowohl aus normativen Gründen – weil diskriminatorisch und in sich widersprüchlich – wie auch -wegen medizinisch-psychologischer Vordergründigkeit". Ähnliches wäre auch gegen Ottos Differenzierungsversuch zwischen dem Fall einer „definitiv gesetzten Todesursache" einerseits und davorliegenden Stadien – nämlich noch nicht definitiv gesetzter bzw. noch reversibler Todesursache – andererseits" einzuwenden. Denn ganz ungeachtet der Frage, wie solche Phasen medizinisch voneinander abgrenzbar und notfalls forensisch nachweisbar sein sollen, ist auch diese Differenzierung mit zweierlei erkauft: mit einer Abwertung verlöschenden Lebens und mit einem Nichternstnehmen der Freiheit zum Sterben. Denn solange der Sterbewille nur dann und allein deshalb beachtenswert sein soll, wenn und weil es sich um bereits definitiv verlöschendes Leben handelt, geht es im Grunde gar nicht um eine positive Respektierung der Freiheit zum Sterben, sondern lediglich um eine eher negative Preisgabe nicht mehr erhaltenswerten Lebens und damit um dessen Abwertung. 3. Beruht sonach schon das einverständliche Sterben(lassen)dürfen derzeit auf brüchiger Grundlage, so betritt man, mit dem „einseitigen" Behandlungsabbruch völlig ungesichertes Gelände. Denn außer dem inzwischen weithin als Abbruchsgrund akzeptierten irreversiblen Bewußtseinsverlust 4' Vgl. BGHSt 32, 367, 371. " Vgl. oben III 4 zu Position (5). 4 Näher zu den Entwicklungsstufen dieser Rechtsprechung, die im WütigFall BGHSt 32, 367 JZ 1984, 893 ihren - vorläufigen (?) - Höhepunkt erfahren hat, u. a. Eser MedR 1985, 6 ff., Gropp, Suizidbeteiligung und Sterbehilfe in der Rechtsprechung, NStZ 1985, 97-103. 44 So namentlich der Berichterstatter des BGH im Witzig-Fall Kratzer, Strafrechtliche Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten und zur Zulässigkeit der Sterbehilfe, MDR 1985, 710-716, sowie in: Anhörung „Sterbehilfe" (Anm. 2) S. 79 f. Vgl. ferner die einschränkenden Interpretationsversuche von Otto, DJT-Gutachten S. 63ff., 75ff. 45 Vgl. demgegenüber Eser MedR 1985, 16 sowie in: Anhörung „Sterbehilfe (Anm. 2) S. 83 f. Auch die Logik, mit der Kutzer das Gegenteil des vom BGH (in NJW 1983, 350/351) Gesagten herzuleiten versucht (MDR 1985, 711 Anm. 13), ist mir nicht nachvollziehbar. Weiterhin skeptisch auch Schmitt (Anm. 5) bei C 11. 4' Näher Eser MedR 1985, 14 f. Gropp NStZ 1985, 103. 47 Otto, DJT-Gutachten C (S. 29ff.) bzw. D (S. 72 ff.). 41 Vgl. Otto, DJT-Gutachten S. 35 m. weit. Nachw., aber auch Schmitt (Anm. 5) bei D IV. 17/1986 Eser, Freiheit zum Sterben — Kein Recht auf Tötung gibt es für das Vorfeld zwar verschiedenartige Vorschläge", aber noch keine abgesicherten Kriterien. Auch der BGH hat insoweit die Unsicherheit eher noch vergrößert, indem er das Schicksal des Betroffenen zwar einerseits der „pflichtgemäßen ärztlichen Entscheidung" überläßt", ohne aber andererseits für die Eingrenzung dieses Ermessensspielraums hinreichend klare Entscheidungskriterien zu benennen. Das aber ist schon deshalb bedauerlich genug, weil der Bereich „einseitigen" Unterlassens oder Abbrechens lebenserhaltender Maßnahmen, sofern man nicht den Bereich „einverständlichen" Sterbenlassens durch Überstrapazierung „mutmaßlichen" Sterbeverlangens realitätswidrig überdehnen will, ohnehin schon groß ist. Und dieser wird naturgemäß noch größer, wenn – wie im Wittig-Urteil tendenziell angelegt – dem Sterbewillen die grundsätzliche Beachtlichkeit aberkannt und damit – durch zwangsläufige Eliminierung „einverständlichen" Sterbenlassens – der „einseitige" Behandlungsabbruch zum Regelfall wird 52 Damit aber wird das Fehlen von klaren Entscheidungskriterien umso fataler. 4. Solche Regelungsmängel wiegen naturgemäß umso schwerer, je mehr man sich der Grenze zum aktiven Tun nähert. Das gilt namentlich für den Streit um die dogmatische Einordnung des sog. » technischen" Behandlungsabbruchs durch Abstellen lebenserhaltender Geräte, wie etwa von Respiratoren. Daß dies – je nachdem, ob als bloßes Unterlassen oder als positives Tun zu behandeln – zu unterschiedlicher Zulässigkeit sollte führen können, wäre für den gesunden Menschenverstand nur schwer begreiflich zu machen. Falls man aber einerseits nicht den Weg bloßen Unterlassens glaubt gehen zu können und damit der Zugang zu den zuvor erörterten Regeln für Sterbenlassen verschlossen bleibt, andererseits aber auch bei Annahme von aktivem Tun zum gleichen Ergebnis kommen will, sieht man sich zu Lösungen gezwungen, die zwar – wie jetzt wieder von Otto demonstriert" – den Dogmatiker zu konstruktiven Höchstleistungen mit buchstäblich Orwell'schen Visionen herausfordern können, dies aber damit erkaufen müssen, daß entweder von vorneherein der Schutzzweck des Lebensachtungsgebots eingeschränkt wird oder fragwürdige Rechtfertigungsbrücken zu bauen sind'. Auch dieser sich aus dem Schweigen des Gesetzes ergebende Streit trägt nicht gerade zur Rechtssicherheit bei – im Gegenteil dürfte dies einer der Gründe für das vielbeklagte Faktum sein, daß selbst im Falle irreversiblen Bewußtseinsverlusts der Arzt die Maschinerie glaubt aufrechterhalten zu müssen, statt den Moribunden in Würde sterben zu lassen. 5. Ähnliches gilt für den Regelungsmangel bei Schmerzlinderung mit lebensverkürzendem Risiko. Selbst wenn zutreffen mag, daß die Straflosigkeit einer solchen „indirekten Euthanasie" schon seit langem nicht mehr streitig sei", sind die Begründungen dafür nach wie vor höchst strittig" und demzufolge auch die jeweiligen Grenzen problematisch. Damit aber sieht sich gerade der gewissenhafte Arzt einem strafrechtlichen Risiko ausgesetzt. 49 Vgl. fähnke, Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 10. Aufl. 1980, Vorbem. 18 f. vor s 211; Otto, DJT-Gutachten S. 49f. bzw. 5. 72f., 87ff., jeweils m. weit. Nachw.; zu meinen eigenen Vorstellungen vgl. Eser in Auer/ Menzel/ Eser (Anm. 7) S. 119 ff. sowie in Schänke/Schröder Vorbem. 29 vor s 211. so BGHSt 32, 367, 377 ff. 31 Näher Eser MedR 1985, 15 f. 32 So auch schon die Befürchtungen von Schmitt, Der Arzt und sein lebensmüder Patient, JZ 1984, 866-869, 868. 53 Otto, DJT-Gutachten 5. 42ff. 54 Zum Meinungsstand im einzelnen vgl. — neben Otto u0 — Eser in Auer/ MenzeUEser (Anm. 7) S. 138 ff. sowie in Scbönke/Schröder Vorbem. 32 vor s 211, feneriähniee LK Vorbem. 161. vor S211. $5 So Schmitt (Anm. 5) bei D 1 vgl aber demgegenüber noch MaurachSchroevIer, Strafrecht, Bes. Teil, Teilbd. I, 6. Aufl. 1977, S. 15 sowie die Nachw. bei Otto, DJT-Gutachten S. 57 mit Anm. 135. 36 Vgl. Eser in Auer/ Eser/ Menzel (Anm. 7) S. 88 ff. sowie in Schänke/Schröder Vorbem. 26 vor s 211, Otto, DJT-Gutachten S. 54ff. 793 6. Auch das Schweigen des Gesetzes zum Sterbenlassen von schwerstgeschädigten Neugeborenen erweist sich immer mehr als abträglich, und zwar nicht nur für die Rechtssicherheit, sondern auch für den Lebensschutz: Eltern und Ärzte fühlen sich in ihrer Entscheidungsnot vom Recht alleingelassen. Und unter dem dadurch entstandenen Grauschleier einer undurchsichtigen Praxis laufen die betroffenen Neugeborenen Gefahr, selbst dann durch Nichtbehandlung preisgegeben zu werden, wenn ein lebenserhaltender Eingriff an sich möglich wäre. Auch wenn es bei dieser sog. „Früheuthanasie" weder um Freiheit zum Sterben noch überhaupt um Sterbehilfe, sondern im Grunde bereits um Eugenik geht", bleibt bei allem Verständnis für die nicht zuletzt zeitgeschichtlich bedingte Sensibilität dieser Problematik zu bedauern, daß sie – wie namentlich auch bei Otto" – immer wieder ausgeklammert wird". Denn ratlosen Eltern und Ärzten für den Ernstfall einen Verbotsirrtum in Aussicht zu stellen, wie dies angesichts der Unsicherheit der Rechtslage naheliegen könnte", mag sich zwar als " Erste Hilfe" anbieten, kann aber sicherlich keine Dauerlösung sein. Hier tut sowohl Offenlegung der Probleme wie auch rechtliche Klarstellung not, wenn einer unkontrollierten Ausuferung Einhalt geboten werden soll. 7. Wäre die Möglichkeit des Sterben(lassen)dürfens – einschließlich bei freiverantwortlichem Suizid – in der hier vertretenen Weise abgesichert, so wäre damit auch den Forderungen nach Legalisierung der Tötung auf Verlangen – ganz abgesehen von den bereits genannten grundsätzlichen Bedenken – schon praktisch der Boden weitgehend entzogen". Deshalb wäre insoweit gegenüber dem geltenden Verbot allenfalls seine Ausnahmslosigkeit selbst in Extremsituationen zu monieren. Solchen Fällen aber, wie sie etwa dann auftreten können, wo sich ein Gelähmter aus einem unerträglich gewordenen Leiden nicht selbst zum Tode verhelfen kann, wird man jedoch allenfalls durch Einräumung eines Absehens von Strafe Rechnung tragen können". V. Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform 1. Angesichts der offenbaren Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts, wie sie vorangehend zutage traten, muß es überraschen, daß von manchen ein gesetzgeberisches Reformbedürfnis nach wie vor verneint wird". Dies ist jedoch leicht erklärbar, wenn man nach den Hintergründen für diese unterschiedliche Einstellung sucht und sich die Abhängigkeit der Reformbedürftigkeit vom jeweiligen Reformziel klarmacht. Begnügt man sich damit, daß bei gesetzlich offenen Fragen die Rechtsprechung sich schon irgendwie durchzufinden wisse, zumal ja die Lehre bereits adäquate Lösungen bereithalte°, so mag das vielleicht den beruhigen, der sich letztendlich auf den »gesunden Menschenverstand der Richter" glaubt verlas57 Vgl. Eser in Auerhiienzel/Eser (Anm. 7) S. 141 ff. DJT-Gutachten Vorwort (S. 9). 59 Zu ersten Lösungsbemühungen vgl. die Nachw. bei Schmitt (Anm. 5) bei D III, der diesen Problemkreis freilich selbst noch nicht für ‚gesetzgebungsreif" hält. Auch im AE-Arbeitskreis, der sich immerhin zu einem ersten Regelungsteilschritt durchgerungen hat (AE-Sterbehilfe § 214 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2), gab es durchaus Stimmen, die diesen Problembereich überhaupt nicht angesprochen sehen wollten. 60 Vgl. zu einem Freiburger Fall Eser in Lawin/Huth (Anm. 7) S. 78. 61 Vgl. oben 111.4 sowie in Eser, Suizid (Anm. 8) S. 400, ferner Möllering (Anm. 22) S. 93 ff. 62 Vgl. Schmitt (Anm. 5) bei D II. 63 So auch Otto, DJT-Gutachten S. 93. Vgl. auch Eser, in Suizid (Anm. 8) S. 400 m. Anm. 41. 64 So — nach Kutzer (Anm. 44), der allenfalls umgekehrt an Verschärfungen durch Strafbarerklärung selbstsüchtiger Suizidteilnahme denkt (MDR 1985, 716) — jetzt namentlich auch Otto, DJT-Gutachten 5. 90ff. (vgl. aber auch unten zu Anm. 74) sowie die überwiegende Meinung auf dem 4. Rechtspolitischen Kongreß der CDU/CSU (vgl. Annecke ZRP 1986. 153. 141 '5 dieser Tendenz etwa Otto aaO. 794 Eser, Freiheit zum Sterb en — Kein Recht auf Tötung sen zu dürfen. Ohne diesen in Zweifel ziehen zu wollen, wird man aber bereits fragen müssen, ob nicht gerade das Strafrecht als handlungsleitendes Recht den Bürger als dem eigentlichen Normadressaten mehr schuldig ist als nur die Inaussichtstellung einer nachträglich richtigen Beurteilung. Gegenüber einem solchen post factum-Modell ä la „die Rechtsprechung wird's schon richten" ist bereits die ante factum wichtige Orientierungsfunktion des Gesetzes in Erinnerung zu rufen°. Dafür aber kann nicht schon genügen, daß es – wie gerade im Bereich der Sterbehilfe – einschlägige Lehrmeinungen und Literatur in Fülle gibt. Denn ganz abgesehen von der Zumutung an den Nichtjuristen, sich in Grundfragen von Leben und Sterben mit einer Mischung von schweigsamem Gesetz, teils zuwiderlaufender Rechtsprechung und wiederum gegenläufiger Lehre konfrontiert zu sehen, wo selbst der Jurist kaum noch durchzublicken vermag, und ganz abgesehen von der – durch das dem allgemeinen Trend zuwiderlaufende Wittig-Urteil einmal mehr belegten – Ungewißheit, ob und inwieweit die Rechtsprechung selbst einer weithin akzeptierten Lehre folgen wird", also ganz abgesehen von solchen erschwerenden Unsicherheiten hat der Bürger gerade in diesem Fundamentalbereich menschlichen Zusammenlebens das Recht auf ein Gesetz, das ihm auch ohne langwieriges Wälzen von Entscheidungssammlungen und Kommentaren die Grundlinien für sein Handeln erkennbar macht. Schon davon aber kann, wie erst jüngst wieder der von Otto präsentierte Konstruktionsaufwand zeigt", derzeit keine Rede sein. Deshalb ist in erster Linie Rechtsklarheit geboten, und zwar für alle Beteiligten: für den Patienten, damit er sowohl vor vorzeitiger Lebensverkürzung wie auch vor aufgedrängter Lebensverlängerung sicher sein kann; für den Arzt, damit er Sicherheit darüber hat, inwieweit er zur Lebenserhaltung verpflichtet bzw. umgekehrt berechtigt ist, von lebensverlängernden Behandlungen abzusehen oder leidensmindernde Maßnahmen auch um den Preis einer etwaigen Sterbensbeschleunigung einzusetzen; für den Angehörigen, damit er weiß, was von ihm selbst an Hilfe erwartet wird bzw. was er dem Arzt an lebensverlängernden Wünschen oder auch sterbensbeschleunigenden Ansinnen zumuten darf m. Angesichts dieses Allgemeininteresses geht insbesondere auch der beliebte Verweis auf einschlägige Richtlinien von Ärzteorganisationen – ganz ungeachtet ihrer strafrechtlichen Beachtlichkeit n – von Grund auf fehl; denn Sterbehilfe ist nicht bloß Sache eines sektoralen Standesrechts, sondern geht jeden Bürger an. Im übrigen ist dieses Klarstellungsbedürfnis selbst für solche Formen von Sterbehilfe zu betonen, die – wie die Schmerzlinderung mit lebensverkürzendem Risiko – weithin außer Streit stehen; denn selbst auf die Gefahr hin, damit »schlafende Hunde zu wecken", ist die Rechtsordnung gerade dem gewissenhaften Arzt Sicherheit und Klarheit schuldig. Darüber hinaus ist ein Eingreifen des Gesetzgebers umso mehr geboten, wo einem Korrekturbedüifnis gegenüber abweichender Rechtsprechung Rechnung zu tragen ist. Dies gilt insbesondere für das Geflecht von Unterlassungsstrafbarkeit, mit dem der BGH die Straflosigkeit der Suizidteilnahme zu " So die tröstlich gemeinte Empfehlung von Kutzer, in Anhörung „Sterbehilfe" (Anm. 2) S. 51/105 f. u Vgl. Vorwort zum AE-Sterbehilfe (Anm. 3). 6' Vgl. Eser MedR 1985, 7. 69 hier, ohne dazu inhaltlich Stellung nehmen zu wollen, lediglich auf die sich beim »technischen" Behandlungsabbruch aus der Abgrenzung von Tun und Unterlassen ergebenden Folgeprobleme sowie auf den bei Selbsttötung zunächst ausgeweiteten Begriffs des „Unglücksfalles" mit nachfolgender Einschränkung der „,Hilfspflicht" hingewiesen sei (Otto, DJT-Gutachten S. 42 ff. bzw. S. 47ff., 69ff.). 70 Zu dieser leider auch bei Otto allenfalls beiläufig erwähnten– Dimension des Angehörigen vgl. Eser MedR 1985, 16 f. sowie in Auer/ I inzel/Eser (Anm. 7) S. 116 f. 7' Vgl. Eser MedR. 1985, 16. 72 So die Befürchtung von Schmitt (Anm. 5) D I. 73 Vgl. oben IV. 2 sowie Schmitt (Anm. 5) bei A III, B. 07Z unterlaufen sucht". Insoweit würde selbst Otto, sofern der BGH zu einer Selbstkorrektur nicht bereit sein sollte, entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung eine gesetzliche Remedur für geboten halten". Nicht weniger dringlich ist ein Tätigwerden des Gesetzgebers schließlich dort, wo es um Grundwertungen geht, die von der gesamten Rechtsgemeinschaft zu verantworten sind. Ein solches Wertentscheidungsbedürfnis besteht insbesondere für den einseitigen sowie für das Behandeln oder Sterbenlassen von schwerstgeschädigten Neugeborenen". Man sage nicht, daß diese Fragen viel zu delikat seien, um in der Öffentlichkeit diskutiert zu werden. Wer so argumentiert, muß sich den Verdacht gefallen lassen, den Grauschleier der Unkontrolliertheit klaren und allgemein verbindlichen Schutzvorschriften vorzuziehen und dem individuellen Ermessen des einzelnen Arztes zu überlassen, was in Gestalt des Gesetzgebers von der Allgemeinheit zu verantworten wäre. Auch in einer Nichtregelung kann eine Wertentscheidung liegen – und dies nicht selten gerade zum Nachteil derer, die sich selbst nicht wehren können. 2. Was die gesetzestechnische Form einer Regelung für Sterbehilfe betrifft, wäre es natürlich begrüßenswert, wenn dies im Zuge einer gleichzeitigen Regelung der Heilbehandlung geschehen könnte: etwa in der Weise, daß – einer alten. Reformforderung entsprechend – die „eigenmächtige Heilbehandlung" vertatbestandlicht wird und alles sonstige auf Heilung und Leidensverminderung ausgerichtete ärztliche Handeln als tatbestandslos zu betrachten wäre. Gegen eine solche „Heilbehandlungslösung", wie sie offenbar Tröndle – einer gesprächsweisen Andeutung zufolge – für sein DJT-Referat vorschwebt, drängen sich jedoch aus der Sicht der Sterbehilfe sogleich folgende Fragen auf: Falls danach ärztliches Handeln generell straffrei und einziges Strafbarkeitskriterium nur noch das Handeln gegen den Willen des Patienten sein soll, wird damit nicht eine viel zu weitgehende – weil möglicherweise . auch einverständlich aktive Lebensverkürzung, umfassende – Straffreistellung erreicht bzw, umgekehrt die Möglichkeit des praktisch höchst bedeutsamen „einseitigen Behandlungsabbruchs" von vorneherein verbaut? Und wie soll überhaupt Nichtaufnahme einer Behandlung – und damit ein weiter Bereich passiven Sterbenlassens – zwecks Tatbestandsausschlusses als „Heilbehandlung" verstanden werden können? Wenn man aber dafür allein schon auf das ärztliche Moment der Nichtbehandlungsentscheidung abheben wollte, würde dann nicht im Umkehrschluß jegliches – und zwar auch einverständliches – Sterbenlassen durch Angehörige zur Strafbarkeit . führen – mit zwangsläufiger Diskriminierung zwischen Arzten und Angehörigen? Schon diese wenigen Fragen legen die Vermutung nahe, daß mit einer solchen Lösung die an sich erstrebenswerte Enttatbestandlichung der „Heilbehandlung" entweder mit fragwürdigen Auswirkungen für die Sterbehilfe erkauft würde oder letztlich denn doch nicht ohne eine positive Definierung von Heilbehandlung und Sterbehilfe auszukommen wäre. 3. Nicht zuletzt aus diesem Grund erscheint mir eine positive Ausforrnulierung zulässiger Sterbehilfe, so wie dies jüngst der AE-Sterbehilfe" versucht hat, als der bessere Weg. Da ich diesen Entwurf im wesentlichen selbst mitgetragen habe und seine Begründung hoffentlich für sich selber spricht, möchte ich mich hier mit einigen schlagwortartigen Hinweisen zu seinen Zielen und Leitgedanken begnügen 71: 74 Otto, DJT-Gutachten S. 94, 99. 75 Vgl. oben IV. 3. 74 Vgl. oben IV. 6. 77 Vgl. oben zu Anm. 3. 71 V I. dazu auch die Einführung zum AE-Sterbehilfe, insbes. S. 2 8. 17/1986 Eser, Freiheit zum Sterben – Kein Recht auf Tötung – Schaffung von Rechtsklarheit für alle Beteiligten – Versuch einer möglichst umfassenden und aus sich selbst heraus verständlichen Regelung '9 – Sicherung des Lebensschutzes ohne Lebenszwang – Schutzwürdigkeit des Lebens unter Ablehnung jeder Differenzierung nach seinem Wert" – Ermöglichung optimaler Leidensminderung – Selbstbestimmung des Betroffenen als Regelungsgrundlage – Vorrang der Hilfe im Sterben gegenüber der Hilfe Ilim Sterben – Respektierung freiverantwortlicher Selbsttötung durch Begrenzung von Rettungspflichten wider Willen des Betroffenen – bei Zweifeln an der Verantwortlichkeit Vorrang der Lebenserhaltung: in dubio pro vita – Beibehaltung der grundsätzlichen Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, daher allenfalls ausnahmsweises Absehen von Strafe – Bindung ärztlichen Ermessens an objektivierbare Entscheidungskriterien – Verzicht auf ausdrückliche Kriminalisierung einer Weigerung, dem Sterbeverlangen eines Patienten nachzukommen". In diesem Sinne schlägt der AE-Sterbehilfe vor, den 16. Abschnitt des StGB über „Straftaten gegen das Leben" durch folgende Vorschriften zu ergänzen: „§ 214: Abbruch oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen (1) Wer lebenserhaltende Maßnahmen abbricht oder unterläßt, handelt nicht rechtswidrig, wenn 1. der Betroffene dies audrücklich und ernstlich verlangt oder 2. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis das Bewußtsein unwiederbringlich verloren hat oder im Falle eines schwerstgeschädigten Neugeborenen niemals erlangen wird oder 3. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis sonst zu einer Erklärung über Aufnahme oder Fortführung der Behandlung außerstande ist und aufgrund verläßlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß er im Hinblick auf Dauer und Verlauf seines aussichtslosen Leidenszustandes, insbesondere seinen nahe bevorstehenden Tod, diese Behandlung ablehnen würde, oder 4. bei nahe bevorstehendem Tod im Hinblick auf den Leidenszustand des Betroffenen und die Aussichtslosigkeit einer Heilbehandlung die Aufnahme oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach ärztlicher Erkenntnis nicht mehr angezeigt ist. (2) Abs. 1 gilt auch für den Fall, daß der Zustand des Betroffenen auf einem Selbsttötungsversuch beruht. Insoweit unterscheidet sich der AE-Sterbehilfe einerseits namentlich auch von Schmitts Regelungsvorschlag (Anm. 5 bei F), der verschiedene Regelungsprobleme – wie insbes. beim „einseitigen" Behandlungsabbruch und bei Behandlung von schwergeschädigten Neugeborenen – bewußt ausgeklammert hat (vgl. Anm. 5 zu III bzw. IV). Andererseits ist jedoch „umfassend" nicht unbedingt als „abschließend" zu verstehen; denn daß sicherlich noch manche andere Probleme einer Lösung harren, darüber war sich natürlich auch der AEArbeitskreis im klaren. Deshalb konnte es im Moment nur darum gehen, zumindest die derzeit konsensfähig erscheinenden Positionen gesetztestechmach umzusetzen, was natürlich nicht bedeuten muß, daß – um gleich einem zu erwartenden Einwand zu begegnen – alles nicht ausdrücklich Geregelte zwangsläufig rechtswidrig sein müßte. go Insoweit unterscheidet sich der AE-Sterbehilfe namentlich vom Vorschlag Schmitts, eine Lebensverlängerung gegen den Willen des Betroffenen im Rahmeneines neuzuschaffenden Tatbestands der „eigenmächtigen Heilbehandlung « ausdrücklich unter Strafe zu stellen (Anm. 5 bei C III, F III); denn ganz abgesehen davon, daß sich klaren Fällen eigenmächtiger Behandlung derzeit bereits durch den Körperverletzungstatbestand begegnen läßt (vgl. AE-Sterbehilfe S. 7), erscheint es arztethisch problematisch, wenn das hier primäre Anliegen des Sterbenlassendürfens schlankweg als ein strafrechdich erzwingbares S terbenlassenmussen zu verstehen wäre und sich dadurch gerade der sensible Arzt angesichts des schmalen Grats zwischen vorzeitiger Lebensverkürzung oder eigenmächtiger Lebensverlängerung entweder mit dem einen oder dem anderen Bein „im Gefängnis" wähnen könnte. 795 214 a: Leidensmindernde Maßnahmen \X'er als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklichem oder mutmaßlichem Einverständnis Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, auch wenn dadurch als nicht vermeidbare Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird. § 215: Nichthinderung einer Selbsttötung (1) Wer es unterläßt, die Selbsttötung eines anderen zu hindern, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Selbsttötung auf einer frei verantwortlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren ernstlichen Entscheidung beruht. (2) Von einer solchen Entscheidung darf insbesondere nicht ausgegangen werden, wenn der andere noch nicht 18 Jahre alt ist oder wenn seine freie Willensbestimmung entsprechend §§ 20, 21 StGB beeinträchtigt ist. 216: Tötung auf Verlangen (1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen (unverändert). (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann. (3) Der Versuch ist strafbar (bisheriger Absatz 2). VI. Ausblick Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, daß den Empfehlungen des DJT über den Tag hinaus signalhafte Bedeutung zukommt: indem entweder die weitere Diskussion vorerst abgeblockt oder zukunftsweisend für eine legislative Reform geöffnet wird. Wenn ich letzterem bis vor kurzem selbst eher zurückhaltend gegenüberstand, dann vor allem deshalb, weil ich noch keine konsensfähige Basis für ein Tätigwerden des Gesetzgebers zu sehen vermochte und statt dessen besser auf Wegweisung durch die Rechtsprechung glaubte vertrauen zu dürfen. In beiderlei Hinsicht hat sich jedoch inzwischen Wesentliches geändert: Einerseits besteht nach dem wenig geradlinigen und zudem auch fehlorientierten Kurs der Rechtsprechung wenig Hoffnung, daß auf diesem Wege eine akzeptable Lösung gefunden werden könnte. Andererseits hat das Ergebnis des AE-Arbeitskreises gezeigt, daß selbst bei zunächst weit auseinandergehenden Grundeinstellungen – und zwar sowohl zwischen wie auch unter Medizinern und Juristen – dennoch ein tragfähiger Konsens erreichbar ist, wenn man sich mit unvoreingenommener Offenheit und Bereitschaft zur Toleranz auf die anstehenden Fragen einläßt. Das soll nicht heißen, daß wir für unseren Entwurf letzte Vollkommenheit in Anspruch nehmen wollten. Deshalb ist Kritik willkommen, solange sie sich nicht mit vordergründigen Einwänden begnügt, sondern mit Blick auf das Gesamtziel um konstruktive Verbesserungen bemüht ist. Gleiches gilt natürlich auch für etwaige andere Reformvorschläge, die jedenfalls nicht das Opfer jener werden sollten, die mit formalistischer Beckmesserei, im Grunde nichts anderes als,ihre insgeheime Reformunwilligkeit zu kaschieren suchen. Nicht als ob eine Regelung nicht auch gesetzestechnisch in Ordnung sein müßte. Nur darf diese abschließende Feinarbeit nicht den Mut nehmen, überhaupt eine Regelung anzustreben, die – anders als der gegenwärtige Rechtszustand – nicht nur dem konstruktionserfahrenen Juristen zugänglich ist, sondern auch für den eigentlich angesprochenen Bürger mehr Transparenz und Orientierung bringt. Es wäre dem diesjährigen DJT sehr zu wünschen, daß er sich dieser sowohl humanitären wie auch, rechtstaatlichen Herausforderung im Grenzbereich des Sterbens gewachsen zeigt.