Dossier "Ökonomie mit Energie"

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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Dossier „Ökonomie mit Energie“
Ausgabe 136, 2016
1. Artikel/Grafik: Kampf gegen Kohlendioxid (05.04.2016)
„Für die einen ist es ein Fluch, für die anderen ein Segen: Die Preise für Emissionszertifikate dümpeln seit Jahren auf niedrigem Niveau. Derzeit kostet die Berechtigung,
eine Tonne Kohlendioxid zu emittieren, rund fünf Euro. In der Spitze waren es 30
Euro, doch das liegt viele Jahre zurück. Frankreich will nun einen Mindestpreis für
Zertifikate verordnen. Die Gelegenheit ist günstig: In diesem Jahr steht ohnehin eine
Reform des Emissionshandels auf der Agenda. Doch Kritiker warnen vor den
Folgen.“
Verortung
v.
a.
in
den
Themenbereichen
„Energiepolitik“,
„Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft“ und „Umweltschutz“
1.
Erläutern Sie die grundlegende Funktionsweise des Emissionszertifikatehandels. Erörtern Sie, inwieweit dieser einen ökonomischen Ansatz zur Bewältigung ökologischer Problemlagen darstellt.
2.
Ermitteln Sie die Stellung des Zertifikatehandels im Rahmen der europäischen
Klimaschutzpolitik.
3.
Fassen Sie die Entwicklung der Zertifikatspreise in den letzten Jahren zusammen. Legen Sie wesentliche Einflussfaktoren auf die Preisbildung dar.
4.
Überprüfen Sie, inwiefern die generellen Zielsetzungen des Zertifikatehandels
durch die Preisentwicklung gefährdet werden.
5.
Geben Sie vor diesem Hintergrund den aktuellen Vorschlag der französischen
Regierung wieder.
6.
Benennen Sie Befürworter und Gegner der vorgeschlagenen Systemveränderungen und erschließen Sie sich deren Interessen und Argumente.
7.
Arbeiten Sie die derzeit bestehenden Ausnahmeregelungen heraus und analysieren Sie die Diskussion bezüglich ihrer Einschränkung. Erörtern Sie die in
diesem Kontext auftretenden Konflikte zwischen ökologischen und ökonomischen Zielsetzungen und Interessen.
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
2. Artikel: Goldene Zeiten für Stromspeicher (05.04.2016)
„Detlef Neuhaus kann seit fünf Jahren nichts als Verluste vorweisen. Schlimmer noch:
Auch 2016 wird der Chef des Solarmodulherstellers Solarwatt wohl wieder rote
Zahlen melden. Das Siechtum kennt kein Ende. Mehr als 200 Mitarbeiter mussten
bereits gehen. Der Umsatz der Dresdener Firma zerbröselte von einst mehr als 320
Millionen Euro auf 60 Millionen Euro. Dennoch blickt Neuhaus voll Optimismus in
die Zukunft. […] Und dabei genießt er die volle Rückendeckung von einem der
reichsten Deutschen: Stefan Quandt. Der BMW-Erbe hat Solarwatt 2012 gerettet und
finanziert den Wandel des Unternehmens - vom Anbieter austauschbarer Solarmodule
hin zum Entwickler intelligenter Energiesysteme, die im Kern aus Batteriespeichern
und Photovoltaikanlagen bestehen.“
Verortung v. a. in den Themenbereichen „Wertschöpfung“ und „Energiemix der
Zukunft“
1. Beschreiben Sie die Entwicklung des Unternehmens Solarwatt in eigenen Worten. Legen Sie insbesondere dar, wie sich die Rahmenbedingungen für die unternehmerischen Aktivitäten verändert haben und wie sich dies konkret ausgewirkt hat.
2. Erläutern Sie den derzeit vom Unternehmen angestoßenen Strategiewechsel
und benennen Sie die hiermit verfolgten Zielsetzungen.
3. Überprüfen Sie, inwieweit das Unternehmen hiermit eine grundsätzliche Entwicklung im energiewirtschaftlichen Bereich aufgreift.
4. Erschließen Sie sich hierzu die Notwendigkeit und Relevanz der Entwicklung
von Speicher- und Batterietechnologien. Erörtern Sie deren Bedeutung für die
Erreichung energiepolitischer Zielsetzungen.
3. Artikel: EnBW verbummelt Schadensersatz (07.04.2016)
„Der drittgrößte deutsche Energiekonzern EnBW hat mit seiner Atomklage gegen den
Bund und das Land Baden-Württemberg wegen des AKW-Moratoriums 2011 keinen
Erfolg. Das Landgericht Bonn wies die Klage am Dienstag ab. Der Versorger habe
nicht umgehend gegen die Abschaltung von Atomkraftwerken geklagt, begründete das
Gericht sein Urteil. Unter dem damaligen Vorstandschef Hans-Peter Villis hatte die
EnBW noch gezögert, gegen das Moratorium vorzugehen, da das Land den
Energieversorger kurz zuvor zurückgekauft hatte und die EnBW nicht gegen den
neuen Eigentümer klagen wollte.“
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Verortung v. a. in den Themenbereichen
„Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft“
„Wertschöpfung“
und
1. Erläutern Sie den Hintergrund und Inhalt der Gerichtsklage des EnBWKonzerns. Benennen Sie die von EnBW angestrebten Zielsetzungen.
2. Fassen Sie das Urteil des Landegerichts und dessen Begründung zusammen.
3. Erschließen Sie sich mögliche Auswirkungen für die vergleichbaren Prozesse
der anderen Atomkraftbetreiber.
4. Artikel: Der Traum vom Elektroflugzeug (08.04.2016)
„Wer zum ersten Mal vom Boden abhebt, der braucht viel Mut. Doch kaum hatten die
ersten Flugpioniere ein Propellerflugzeug in der Luft, war die Welt eine andere. Das
Düsentriebwerk machte das Fliegen dann zu einem Massenphänomen. Und in
Zukunft, davon sind Experten überzeugt, werden Flugzeuge immer öfter elektrisch
betrieben - leiser, effizient und umweltfreundlich. ,Wir glauben, dass elektrisches
Fliegen möglich ist‘, sagt Siemens-Chef Joe Kaeser: ,Und wenn es möglich ist, dann
werden Airbus und Siemens diesen Antrieb entwickeln.‘ Einen ,satten dreistelligen
Millionenbetrag‘ wollen der Flugzeughersteller und der Elektrokonzern in den
kommenden fünf Jahren in den ,Paradigmenwechsel‘ investieren.“
Verortung v. a. in den Themenbereichen „Wertschöpfung“, „Energiemix der
Zukunft“ und „Umweltschutz“
1. Ermitteln Sie den Anteil des weltweiten Flugverkehrs am CO2-Aufkommen.
Überprüfen Sie grob, welche Wirkungen eine Umstellung auf Elektrotechnik im
Flugverkehr entsprechend haben könnte.
2. Geben Sie die im Artikel vorgestellten Unternehmenspläne wieder. Benennen
Sie die beteiligten Akteure.
3. Erläutern Sie die mit den Forschungsvorhaben verfolgten Zielsetzungen.
4. Setzen Sie sich mit den bestehenden Herausforderungen und Aufgaben auseinander.
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
5. Artikel: Kleinkraftwerke: Kleine Motoren groß gefragt (08.04.2016)
„Bei allen Klagen über die Schwierigkeiten bei der Energiewende: Es gibt einige
Unternehmen, die davon profitieren. Die Hersteller von Windrädern haben seit Jahren
volle Auftragsbücher. Auch mit dem Ausbau der Stromnetze lässt sich viel Geld
verdienen. In naher Zukunft werden zudem die Anbieter fossiler Kraftwerke
profitieren. Klassische Großkraftwerke sind dabei allerdings out, gefragt sind im
Zeitalter der Dezentralisierung vielmehr kleine Motorenkraftwerke an verschiedenen
Orten. Die Hersteller solcher Anlagen - Firmen wie GE Jenbacher, Wärtsilä und MAN
- rechnen mit guten Geschäften. Der Gesetzgeber schafft den passenden Rahmen.“
Verortung v. a. in den Themenbereichen „Wertschöpfung“, „Energiepolitik“
und „Energiemix der Zukunft“
1. Erläutern Sie, inwieweit sich in den letzten Jahren die Rolle fossiler Kraftwerke
im deutschen Strommarkt verändert hat.
2. Erläutern Sie die derzeit in diesem Zusammenhang geplanten gesetzlichen Veränderungen.
3. Überprüfen Sie, welche Unternehmen und Branchen hiervon profitieren würden bzw. Nachteile hätten.
4. Analysieren Sie die Veränderungen der gesamten Struktur der Stromgewinnung, sollten sich die im Artikel dargestellten Unternehmenspläne realisieren.
6. Artikel/Grafiken: Rettungsplan für RWE (13.04.2016)
7. Interview/Grafik: Peter Terium/Rolf Martin Schmitz (RWE): „Wir
bleiben Nachbarn - und Partner“ (13.04.2016)
8. Artikel/Grafiken: Bilanzcheck: Den Kraftwerken geht die Kraft aus
(19.04.2016)
9. Artikel: RWE findet Langeweile attraktiv (19.04.2016)
„Energieversorger haben jahrzehntelang üppige Gewinne eingefahren. Doch
inzwischen bereiten die Konzerne ihren Eigentümern nur noch Sorgen. Deutschlands
größter Stromproduzent RWE ist besonders schwer betroffen: 2015 musste das
Unternehmen Milliarden abschreiben und rutschte zum zweiten Mal in drei Jahren in
die Verlustzone. Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert müssen die
Aktionäre auf eine Dividende verzichten. Das Schlimmste steht RWE noch bevor.
,2018/2019 wird es schon arg eng. Wir werden noch mehr sparen müssen‘, sagte der
künftige Chef der RWE AG, Rolf Martin Schmitz, dem Handelsblatt im gemeinsamen
Interview mit dem amtierenden RWE-Chef Peter Terium. Auf die Mitarbeiter kommt
ein weiterer Stellenabbau zu. Details nannte er nicht. Schmitz betonte aber, dass der
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Konzern die Kosten noch mehr drücken müsse: ,Bei der schwierigen Marktlage sehe
ich nicht, dass wir um weitere Einschnitte herumkommen, speziell 2018 und 2019,
wenn es richtig ernst wird.‘ Um langfristig das Überleben des Konzerns zu sichern,
reichen Sparrunden nicht. Zum Jahresende spaltet sich RWE auf. Schmitz übernimmt
die RWE AG, die die Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke sowie den Gasgroßhandel
betreibt. Der bisherige Konzernchef Terium führt künftig eine Tochtergesellschaft, in
der RWE die ertragreichen Bereiche Vertrieb, Netze und erneuerbare Energien
bündelt.“
Verortung
v.
a.
in
den
Themenbereichen
„Wertschöpfung“,
„Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft“ und „Energiemix der Zukunft“
1. Erläutern Sie, inwieweit sich die Rahmenbedingungen und das Wettbewerbsumfeld für die großen deutschen Energieversorger in den vergangenen Jahren
verändert haben. Erschließen Sie sich insbesondere die Wirkungen der zentralen energiepolitischen Entscheidungen.
2. Analysieren Sie anhand des RWE-Konzerns die betriebswirtschaftlichen Folgen. Geben Sie hierzu relevante Kennzahlen wieder.
3. Arbeiten Sie die im Konzern als Reaktion auf die Entwicklungen angestoßenen
Strategiewechsel und Veränderungen heraus. Analysieren Sie deren konkrete
Ansatzpunkte und Zielsetzungen.
4. Erläutern Sie insbesondere Umfang und Vorgehensweise bei der Konzernaufspaltung. Vergleichen Sie diese mit den Entscheidungen des Eon-Konzerns und
ermitteln Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
5. Setzen Sie sich mit den Auswirkungen der Veränderungsprozesse für die Stakeund Shareholder des Unternehmens auseinander. Erörtern Sie die diesbezüglichen Einschätzungen und Zielsetzungen/Hoffnungen der Konzernführung.
6. Überprüfen Sie, welche Risiken und Herausforderungen für das Unternehmen
in absehbarer Zukunft bestehen. Diskutieren Sie vor diesem Hintergrund die
Notwendigkeit und Perspektiven der Unternehmensentscheidungen und begründen Sie Ihre Einschätzungen.
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
10. Artikel/Grafiken: Banger Blick aufs Ölkartell (14.04.2016)
11. Artikel: Saudi-Arabien: Große Pläne, leere Kasse (14.04.2016)
12. Artikel/Grafiken: Hartes Ringen um den Ölpreis (18.04.2016)
13. Artikel/Grafik/Karikatur: Opec: Chaos mit Ansage (19.04.2016)
14. Artikel: Förderländer: Milliarden-Einbußen für die Königskinder
(19.04.2016)
„Der seit Mitte 2014 von über 110 Dollar auf rund 40 Dollar abgestürzte Ölpreis setzt
einer Reihe von Staaten [z. B. Saudi-Arabien] zu. Sie sehnen sich nach einem Anstieg.
Für das zerstrittene Ölkartell Opec geht es um noch viel mehr. Können sich seine
Mitglieder nicht auf eine Begrenzung der Fördermenge einigen, bedeutet das einen
weiteren Machtverlust für die Opec, die jahrzehntelang den Markt dominiert hat. […]
Auch nach stundenlangen Diskussionen konnten sich die Ölförderländer im
katarischen Doha nicht auf eine Begrenzung der Ölförderung einigen. Saudi-Arabien
pochte darauf, dass auch Iran einen Kompromiss unterschreibt. Doch dessen Vertreter
reisten erst gar nicht an. So mussten 16 Ölminister der Organisation Erdöl
exportierender Staaten (Opec) und Vertreter einiger Nicht-Opec-Länder wie Russland
am Sonntag unverrichteter Dinge wieder heimfliegen - ohne die erhoffte Lösung im
Gepäck. Die Rohstoffmärkte reagierten zunächst geschockt. Der Preis für ein Barrel
(159 Liter) der Sorte Brentöl rauschte am frühen Montag um bis zu sieben Prozent
oder drei Dollar nach unten. Im Verlauf stabilisierte er sich bei 40 Dollar und kletterte
am Abend wieder über die Marke von 42 Dollar. Vor dem Treffen hatten viele
Händler auf einen Kompromiss gesetzt und den Preis je Fass um acht Dollar nach
oben getrieben.“
Verortung
v.
a.
in
den
„Angebot/Nachfrage/Preisbildung“
Weltenergieversorgung“
Themenbereichen
„Wertschöpfung“,
und
„Perspektiven
der
1. Ermitteln Sie die Entwicklung des Ölpreises in den vergangenen Monaten. Arbeiten Sie wesentliche Einflussfaktoren auf die Preisbildung heraus.
2. Erschließen Sie sich am Beispiel Saudi-Arabien die Auswirkungen der Preisentwicklung auf die Volkswirtschaften der erdölfördernden Golfstaaten.
3. Überprüfen Sie, inwieweit in deren Fall von einer Abhängigkeit vom Ölexport
gesprochen werden kann.
4. Erläutern Sie die generelle Stellung und die Zielsetzungen der Organisation
Erdöl exportierender Länder (Opec) im internationalen Marktgeschehen.
5. Arbeiten Sie die aktuellen Interessenkonflikte innerhalb der Opec heraus und
erklären Sie, wie sich diese auf die Preisentwicklung auswirken.
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
6. Überprüfen Sie, inwieweit sich derzeit die zukünftige Positionierung der Opec
zu entscheiden scheint. Begründen Sie Ihre Einschätzungen.
15. Artikel/Grafik: Der Kohle-Krimi (15.04.2016)
16. Artikel/Grafiken: Braunkohle zum Spottpreis (19.04.2016)
17. Interview: Jan Sringl (EPH): „Unser Interesse ist langfristig“
(19.04.2016)
18. Artikel: Daniel Kretinsky (EPH): Wetten auf die Kohle (20.04.2016)
„Der tschechische Energiekonzern Energeticky aPrumyslovy Holding, kurz EPH, wird
gemeinsam mit dem Finanzpartner PPF Investments Ltd die fünf Kohlegruben in der
Lausitz übernehmen und dazu noch drei Kohlekraftwerke und eine 50-ProzentBeteiligung an einem weiteren Kraftwerk. Vattenfall erhält allenfalls einen
symbolischen Kaufpreis - und muss eine Milliardensumme einbringen, um die
Verbindlichkeiten abzudecken. […] In der Bilanz von Vattenfall wird sich der
Verkauf nach eigenen Angaben mit einem Verlust von bis zu drei Milliarden Euro
niederschlagen. Ein weiteres Engagement in der Braunkohle könnte aber noch teurer
werden, erklärte Vorstandschef Hall: ,Wir sehen erhebliche Risiken bei der
Entwicklung der Großhandelspreise für Strom, und wir müssen politische Risiken
beachten.‘ Die Braunkohle ist schließlich alles andere als attraktiv. Zum einen
übernehmen die Tschechen ein Geschäft mit begrenzter Laufzeit. Es ist klar, dass die
Förderung in den Jahren nach 2030 auslaufen wird. Braunkohle wird langfristig nicht
zur Energiewende passen. Zum anderen hat sich die Rentabilität der
Braunkohlekraftwerke radikal verschlechtert. […] Noch ist der Deal nicht perfekt.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich kündigte an, bis zum Abschluss auf die
Interessen des Landes zu achten […]“
Verortung
v.
a.
in
den
Themenbereichen
„Wertschöpfung“,
„Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft“ und „Energiemix der Zukunft“
1. Erläutern Sie, inwieweit sich die Rahmenbedingungen für die Betreiber von
Kohlekraftwerken in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert haben.
2. Geben Sie die wesentlichen Eckdaten des Verkaufs an den tschechischen Energiekonzern EPH wieder. Überprüfen Sie, inwieweit dieser bereits vollständig
vollzogen ist.
3. Arbeiten Sie die zentralen Zielsetzungen des Vattenfall-Konzerns heraus.
4. Stellen Sie diesen die Überlegungen und Pläne von EPH und seinem Eigentümer gegenüber.
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
5. Analysieren Sie, inwieweit hier nicht nur unternehmerische, sondern auch
(landes-)politische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen.
19. Artikel/Grafik: Industrie trauert Einheitsstrompreis nach (18.04.2016)
„Vor wenigen Jahren noch galten die hohen Strompreise als Bedrohung Nummer eins
für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Großverbraucher wie die Chemie- und die
Aluminiumindustrie, aber auch Papier- und Glasfabriken, Gießereien und andere
Metallverarbeiter sahen sich im internationalen Wettbewerb benachteiligt und drohten
vielfach mit ihrer Abwanderung. […] Inzwischen befinden sich die Strompreise im
freien Fall - das Überangebot an Wind- und Solarenergie hat den Preis im Großhandel
für eine Megawattstunde binnen fünf Jahren von 60 auf 20 Euro gedrückt. […] Doch
auch die großen Abnehmer sind nicht zufrieden. ,Der Großhandelspreis wird für
Industriekunden immer unwichtiger‘, sagt Michael Niese, Geschäftsführer der
Wirtschaftsvereinigung Metalle. ,Für die Rohstoffindustrie jedenfalls ergeben sich
keine Vorteile.‘ […] Für die Unternehmen ist entscheidend, wie die Mischung
zwischen lang- und mittelfristigen Verträgen mit dem Stromlieferanten aussieht, und
ob sie so viel Energie verbrauchen, dass sie von den Belastungen des ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG) in Teilen freigestellt sind. Auch Netznutzung ist nicht mehr
gleich Netznutzung: Die Netzentgelte driften regional immer stärker auseinander. […]
Dass sich die Wettbewerbssituation für die betroffenen Branchen nicht verbessert hat,
liegt auch an der parallelen Entwicklung in den wichtigsten Industriestaaten: Dort
gehen die Strompreise zurück, ganz besonders in den USA, wo billig gefördertes Gas
inzwischen sogar Kohle aus dem Rennen geworfen hat.“
Verortung v. a. in den Themenbereichen „Angebot/Nachfrage/Preisbildung“,
„Energiepolitik“ und „Energie und Makroökonomie“
1. Fassen Sie die Entwicklung der Strompreise in Deutschland in der jüngsten
Vergangenheit zusammen.
2. Überprüfen Sie, inwieweit die großen Industriebranchen von den Preisveränderungen profitieren.
3. Erschließen Sie sich hierzu die verschiedenen Faktoren, die hierauf Einfluss
haben. Setzen Sie sich hierzu u. a. mit den Sonderregelungen innerhalb des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sowie den internationalen Entwicklungen auseinander.
4. Geben Sie die diesbezüglichen Bewertungen der Industrievertreter wieder.
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5. Nehmen Sie kritisch Stellung. Erörtern Sie hierzu die Interessenlage und nehmen Sie Bezug auf Stellungnahmen in Zeiten steigender Energiepreise.
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Kampf gegen Kohlendioxid
Franzosen fordern einen Mindestpreis für Emissionszertifikate.
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Für die einen ist es ein Fluch, für die anderen ein Segen: Die Preise für Emissionszertifikate dümpeln seit Jahren auf niedrigem Niveau. Derzeit kostet die Berechtigung,
eine Tonne Kohlendioxid zu emittieren, rund fünf Euro. In der Spitze waren es 30
Euro, doch das liegt viele Jahre zurück. Frankreich will nun einen Mindestpreis für
Zertifikate verordnen. Die Gelegenheit ist günstig: In diesem Jahr steht ohnehin eine
Reform des Emissionshandels auf der Agenda. Doch Kritiker warnen vor den Folgen.
Die französische Regierung regt einen Mindestpreis von zehn Euro an, der bis 2030
auf 30 Euro ansteigen soll. Ihre Argumente: Angesichts der niedrigen Zertifikatepreise
sei es nicht attraktiv genug, in mehr Effizienz zu investieren. Ein Mindestpreis würde
außerdem die Volatilität aus dem Markt nehmen und Investitionen kalkulierbarer machen. Die Franzosen selbst wären von ihrem Vorschlag kaum betroffen: Ihre Energieversorgung fußt hauptsächlich auf Kernkraft, die keine Kohlendioxidemissionen hat.
Der Verfall der Zertifikatepreise hat verschiedene Ursachen. Einerseits haben viele
Unternehmen in schlechten Zeiten Zertifikate gehortet. Daher müssen sie heute nur
wenige Zertifikate nachkaufen. Das drückt die Preise. Außerdem werden durch den
rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien fossil befeuerte Kraftwerke aus dem
Markt gedrängt. Das senkt den Bedarf an Zertifikaten und lässt die Preise fallen. Der
Emissionshandel ist der zentrale Ansatz der EU, um in den Sektoren Industrie und
Energie die Kohlendioxidemissionen zu senken. Alle zur Teilnahme verpflichteten
Anlagenbetreiber müssen für jede emittierte Tonne Kohlendioxid ein Zertifikat nachweisen. Die Menge an Zertifikaten wird Jahr für Jahr entsprechend den politisch beschlossenen Reduktionszielen gekürzt. Das System soll Anreize schaffen, Energie
effizient zu verbrauchen.
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In Deutschland finden die Franzosen Fürsprecher für ihren Vorschlag. Dem Emissionshandel komme eine Schlüsselstellung in der europäischen Klimapolitik zu, doch
hätten sich auf dem Markt bislang keine langfristigen Knappheitspreise bilden können, sagte Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, dem Handelsblatt. Zum einen verfielen die Preise, weil die Erwartungen der
Händler durch die Politik enttäuscht worden seien. „Zweitens vermindern die nationalen Zusatzanstrengungen der Mitgliedstaaten die Emissionen nicht. Sondern sie führen
zu weiteren Preissenkungen“, kritisiert Edenhofer. „Diese Effekte können durch einen
Mindestpreis verhindert werden.“ Ein „plausibles Szenario“ wäre „ein Einstieg im
Jahr 2020 mit einem Mindestpreis von 25 Euro pro Tonne Kohlendioxid und einer
starken Erhöhung des Preises nach 2030“. Nach Überzeugung Edenhofers wäre eine
Einigung auf einen europäischen Mindestpreis „ein Signal für eine umfassende Dekarbonisierung in Europa“.
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Verhaltene Zustimmung kommt auch vom Bundesverband Emissionshandel und Klimaschutz (BVEK). Ein Mindestpreis entspreche zwar nicht der reinen Lehre und sei
daher „nur die zweitbeste Lösung“, sagte Jürgen Hacker, Vorsitzender des BVEK,
dem Handelsblatt. Es sei aber richtig, „der Industrie die Folterinstrumente zu zeigen“.
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Die Industrie sieht das natürlich anders. „Das Konzept des Emissionsrechtehandels
sieht vor, dass sich die Zertifikatepreise am Markt bilden. Mindestpreise wären daher
ein unzulässiger Eingriff“, sagte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dem Handelsblatt. Es sei ohnehin für die kommenden Jahre von erheblichen Preissteigerungen auszugehen. „Um Milliardenbelastungen zu vermeiden und
die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie zu sichern, ist vor allem
eine wirtschaftlich und technisch erreichbare Zuteilung entscheidend“, erklärte Kerkhoff.
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Die Sorgen der Stahlindustrie haben ihre Ursache in der laufenden Debatte über die
Reform des Emissionshandels für die Zeit nach 2020. Derzeit arbeitet Brüssel an entsprechenden Plänen. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll die Zuteilung
kostenfreier Emissionszertifikate für Branchen, die im internationalen Wettbewerb
stehen, deutlich restriktiver werden. So sollen die Benchmarks, an denen sich die Zuteilung der Zertifikate bemisst, deutlich verschärft werden. Die knapp 60 Benchmarks
- individuell zugeschnitten auf bestimmte Produktionsverfahren und Produkte - sind
aber schon heute zum Teil so bemessen, dass sie europaweit auch von der modernsten
und effizientesten Anlage nicht erreicht werden können. Die Benchmarks sollen jährlich mit einem „universellen Kürzungsfaktor“ verschärft werden. Hinzu kommt, dass
die Gesamtmenge der Zertifikate jährlich künftig nicht mehr nur um 1,7 Prozent, sondern um 2,2 Prozent gekürzt werden soll.
Aus Sicht der Industrie sind die EU-Pläne eine explosive Mischung. Sie könnten die
Zusatzkosten, die der Klimaschutz verursacht, erheblich erhöhen - und die Wettbewerbsfähigkeit betroffener Branchen weiter verringern.
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Quelle: Stratmann, K., Handelsblatt, Nr. 065, 05.04.2016, 13
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Goldene Zeiten für Stromspeicher
Der Boom von Lithium-Ionen-Akkus erfasst bald auch Unternehmen.
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Detlef Neuhaus kann seit fünf Jahren nichts als Verluste vorweisen. Schlimmer noch:
Auch 2016 wird der Chef des Solarmodulherstellers Solarwatt wohl wieder rote Zahlen melden. Das Siechtum kennt kein Ende. Mehr als 200 Mitarbeiter mussten bereits
gehen. Der Umsatz der Dresdener Firma zerbröselte von einst mehr als 320 Millionen
Euro auf 60 Millionen Euro. Dennoch blickt Neuhaus voll Optimismus in die Zukunft.
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Der Manager mit dem grau melierten Haar und dem spitzbübischen Lächeln arbeitet
schließlich an der Energie-Revolution. Und dabei genießt er die volle Rückendeckung
von einem der reichsten Deutschen: Stefan Quandt. Der BMW-Erbe hat Solarwatt
2012 gerettet und finanziert den Wandel des Unternehmens - vom Anbieter austauschbarer Solarmodule hin zum Entwickler intelligenter Energiesysteme, die im
Kern aus Batteriespeichern und Photovoltaikanlagen bestehen.
„2017 werden wir eine schwarze Null schreiben“, prophezeit Neuhaus. Denn spätestens dann werde sich der Batteriespeichermarkt „vervielfachen“, sagt der Manager.
Die desaströse Bilanz der vergangenen Jahre? Wäre schnell vergessen. Abgehackt als
Anlaufkosten. Das Kalkül von Neuhaus könnte tatsächlich aufgehen. „Für Ausrüster
und Hersteller aus der Speicher- und Photovoltaik-Industrie brechen goldene Zeiten
an“, sagt Robert Seiter. Der Energieexperte der Beratungsgesellschaft Ernst & Young
hat eine umfassende Studie zum Potenzial von Batteriespeichern zur Stromkostenreduzierung erstellt, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Demnach werden die Preise
für Lithium-Ionen-Akkus teils noch schneller fallen als bisher angenommen.
Während es 2015 im Schnitt noch rund 600 Dollar kostete, eine Kilowattstunde Strom
mit Hilfe von Batteriespeichern zu puffern, werden es 2020 bereits weniger als 300
Dollar sein. Parallel dazu dürften die Strompreise für Verbraucher zumindest temporär
steigen. Denn der Umbau der Energieversorgung - weg von fossilen Brennstoffen hin
zu Solar- und Windstrom - verschlingt weiterhin Milliarden. Die Folge: Statt Strom
wie bisher vom örtlichen Energieversorger zu beziehen, lohnt es sich zunehmend,
Sonnenenergie vom Dach zu speichern und selbst zu verbrauchen.
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„In den kommenden Jahren werden auch immer mehr Unternehmen dazu übergehen,
eigene Speicherkapazitäten aufzubauen, um die Stromkosten zu senken“, analysiert
Energieexperte Seiter. Bisher war das insbesondere für energieintensive Industriekonzerne kaum sinnvoll, da sie ohnehin von niedrigen Stromkosten profitieren. Durch den
massiven Verfall der Batteriepreise ergeben sich aber plötzlich ganz neue Anwendungsbereiche. Die größte Chance, eigene Energiekosten zu reduzieren, ist für Firmen
künftig das sogenannte „peak shaving“. Dabei wird Strom aus dem Netz in LithiumIonen-Akkus gespeichert, wenn Strom billig ist. Das ist häufig am Wochenende oder
in der Nacht der Fall, da zu dieser Zeit viele Fabriken stillstehen und die Energienachfrage gering ist. Unter der Woche wird die zuvor gepufferte Energie wieder aus den
Batterien entnommen. Die Differenz zum Tarifpreis ergibt den Einspareffekt. Und der
ist mitunter gewaltig.
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Ab 2020 können Unternehmen alleine in Deutschland ihre Energiekosten um mehr als
17 Milliarden Dollar (14,9 Milliarden Euro) pro Jahr senken - vorausgesetzt, die Betriebe bauen im großen Stil Photovoltaikanlagen, Batteriespeicher und Blockheizkraftwerke zu. Das größte Potenzial ergibt sich dabei für Firmen aus den Sektoren
Gewerbe, Dienstleistungen und Handel.
In den zehn größten OECD-Ländern und den zehn größten Ländern, die nicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit angehören, beträgt das EnergieEinsparvolumen für die Industrie 439 Milliarden Dollar pro Jahr. Gerade in Schwellenländern wie Indien ergeben sich überproportionale Effekte durch die Vermeidung
von Stromausfallkosten.
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Bis jetzt haben sich allerdings nur sehr wenige Firmen und Haushalte Batteriespeicher
zugelegt. In Deutschland gibt es aktuell 32 000 Akkus, die zum Strompuffern genutzt
werden. Der Durchbruch der Technologie wird mittlerweile aber von Weltkonzernen
befeuert. Allen voran Tesla-Chef Elon Musk elektrisiert den Markt mit seiner 3 000Dollar-Batterie Powerwall. Doch auch die deutschen Automobilhersteller drängen in
das Geschäft.
Quelle: Hubik, F., Handelsblatt, Nr. 065, 05.04.2016, 21
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EnBW verbummelt Schadensersatz
Landgericht Bonn weist Atom-Klage des Energiekonzerns zurück.
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Der drittgrößte deutsche Energiekonzern EnBW hat mit seiner Atomklage gegen den
Bund und das Land Baden-Württemberg wegen des AKW-Moratoriums 2011 keinen
Erfolg. Das Landgericht Bonn wies die Klage am Dienstag ab. Der Versorger habe
nicht umgehend gegen die Abschaltung von Atomkraftwerken geklagt, begründete das
Gericht sein Urteil. Unter dem damaligen Vorstandschef Hans-Peter Villis hatte die
EnBW noch gezögert, gegen das Moratorium vorzugehen, da das Land den
Energieversorger kurz zuvor zurückgekauft hatte und die EnBW nicht gegen den
neuen Eigentümer klagen wollte.
Später hatte die EnBW doch noch 261 Millionen Euro Schadensersatz vom Bund und
vom Land Baden-Württemberg für die Abschaltung von zwei Atomkraftwerken nach
der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 durchsetzen wollen.
Die Karlsruher können innerhalb eines Monats Berufung gegen die Entscheidung
einlegen. „Wir werden die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, diese prüfen und
dann über das weitere Vorgehen entscheiden“, ließ EnBW-Chef Frank Mastiaux
mitteilen.
Mit Blick auf den Bund wies das Gericht die Klage nun ab, weil die
Einstellungsanordnungen gegen die beiden Meiler nicht durch den Bund erlassen
worden seien, sondern durch das Land. Aber auch gegen Baden-Württemberg könne
EnBW keine Ansprüche geltend machen, weil der Versorger es „schuldhaft
unterlassen hat, den Schaden durch die Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden“.
Die EnBW hatte in einer Pressemitteilung im April 2011 lediglich erklärt, dass das
Unternehmen zwar an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen zweifle, dagegen aber
nicht prozessieren wolle. Auch die deutschen AKW-Betreiber Eon und RWE klagen
gegen Bund und Länder wegen des nach Fukushima verhängten dreimonatigen
Betriebsverbots für die sieben ältesten deutschen AKWs. Das Moratorium lief von
März bis Juni 2011 und mündete im endgültigen Atomausstieg.
Ursprünglich hatte lediglich RWE geklagt. Nachdem der Energieriese vor dem
Verwaltungsgericht in Hessen und dem Bundesverwaltungsgericht recht bekommen
hatte, zogen Eon und EnBW nach.
Sollte die Einschätzung des Bonner Gerichts Schule machen, könnte es auch für die
Schadensersatzforderung von Eon eng werden, über die Ende April vor dem
Landgericht Hannover verhandelt wird. Eon-Chef Johannes Teyssen hatte im
Gegensatz zu dem damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann zunächst nicht gegen das
Atommoratorium geklagt. Inzwischen fordert der Energieriese 380 Millionen Euro für
die Zwangspause, RWE fordert 235 Millionen Euro.
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Möglich ist, dass sich die Atomklagen in Luft auflösen, wenn die Betreiber mit dem
Bund die Modalitäten der Abriss- und Entsorgungskosten aushandeln. Zu den
Atomklagen gehören auch Milliardenforderungen von Eon, RWE und Vattenfall
wegen des 2011 beschlossenen endgültigen Atomausstiegs. Ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts steht dazu noch aus.
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Quelle: mwb/Reuters, Handelsblatt, Nr. 067, 07.04.2016, 19
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Der Traum vom Elektroflugzeug
Airbus und Siemens arbeiten gemeinsam an der nächsten Generation der
Antriebstechnik.
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Wer zum ersten Mal vom Boden abhebt, der braucht viel Mut. Doch kaum hatten die
ersten Flugpioniere ein Propellerflugzeug in der Luft, war die Welt eine andere. Das
Düsentriebwerk machte das Fliegen dann zu einem Massenphänomen. Und in
Zukunft, davon sind Experten überzeugt, werden Flugzeuge immer öfter elektrisch
betrieben - leiser, effizient und umweltfreundlich. „Wir glauben, dass elektrisches
Fliegen möglich ist“, sagt Siemens-Chef Joe Kaeser: „Und wenn es möglich ist, dann
werden Airbus und Siemens diesen Antrieb entwickeln.“
Einen „satten dreistelligen Millionenbetrag“ wollen der Flugzeughersteller und der
Elektrokonzern in den kommenden fünf Jahren in den „Paradigmenwechsel“
investieren. 200 Spezialisten werden in Ottobrunn bei München in einem
„Systemhaus elektrisches Fliegen“ zusammenarbeiten und die „Machbarkeit“ von EAntrieben erforschen. „Wir klotzen jetzt richtig ran“, sagt Airbus-Chef Tom Enders
bei der Grundsteinlegung des Systemhauses. Sein Ziel: Bis 2030 soll ein
Regionalflugzeug mit einem hybridelektrischen Antrieb entwickelt werden, das bis zu
100 Passagiere transportieren kann.
Der so wortstark verkündete Ehrgeiz der beiden Partner hat einen triftigen Grund. Alle
20 Jahre verdoppelt sich der Flugverkehr. Ein solches Wachstum ist mit den
konventionellen Düsenantrieben bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an
Klimaschutz und Lärmreduzierung schlicht nicht umzusetzen. Seit Jahren forscht die
Industrie bereits nach Alternativen. Biosprit aus Algen könnte die Klimabilanz
verbessern. Zulieferer wie Safran entwickeln Elektroantriebe, mit denen Flugzeuge
ohne den Einsatz von Turbinen auf dem Rollfeld fahren können. Am Frankfurter
Flughafen werden seit kurzem Flugzeuge von diesel-elektrischen Schleppern bis zur
Startbahn geschleppt.
Doch die Königsdisziplin besteht darin, nach und nach auch den Turbinenantrieb für
den Flug auf Elektroantriebe umzustellen. Dass so etwas möglich ist, hat Airbus
bereits mit dem E-Fan bewiesen. Das 2014 vorgestellte Elektroflugzeug kann bis zu
vier Personen transportieren und hat bereits den Ärmelkanal überquert. Zudem zählt
Airbus zu den Mitgliedern des 2005 gegründeten Vereins „Bauhaus Luftfahrt“ - mit
dabei sind auch der Triebwerkshersteller MTU und Liebherr. Der Verein präsentierte
2012 mit dem Ce-Liner eine Konzeptstudie für einen mit Strom betriebenen
Kurzstreckenjet für 190 Passagiere.
Doch für den Serieneinsatz in Passagierflugzeugen reicht die Technik noch lange
nicht. So muss die Leistungskraft der Elektromotoren um den Faktor fünf erhöht
werden, sagt Frank Anton, der bei Siemens das Projekt elektrisches Fliegen leitet.
Auch die nötige Speicherfähigkeit der Batterien sei noch unzureichend, um rein
elektrisch größere Strecken fliegen zu können. Hinzu kommen die in der Luftfahrt
extrem strengen Zertifizierungsprozesse. Die Forscher am „Bauhaus Luftfahrt“ geben
als mögliches Datum für einen Marktstart des Ce-Liners die Jahre 2035 bis 2040 an.
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Bis dahin werden die Ingenieure wie beim Auto erst einmal auf den Hybrid setzen:
Eine konventionelle Turbine erzeugt den Strom für ein Propellertriebwerk und
zahlreiche andere stromgetriebene Anwendungen im Flugzeug. Damit müsse das
Bordnetz innerhalb des Flugzeugs von heute 270 Volt möglicherweise auf
Spannungen jenseits von mehr als 1 000 Volt hochgefahren werden, sagt Martin
Nuesseler von Airbus. Klar ist: Mit den heutigen Konzepten vom Flugzeugbau hat
eine solche Maschine dann nicht mehr viel zu tun.
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Doch Airbus-Chef Enders und Siemens-Chef Kaeser sind entschlossen, dieses
Neuland zu erobern. Siemens ist stark bei Elektromotoren für die Industrie und bei
Zugantrieben. Doch bei Elektroautos bekommen die Münchener bislang kaum ein
Bein auf den Boden. Bei elektrischen Antrieben für Flugzeuge hat Siemens nun
langfristig die Chance, eine strategische Lücke gegenüber dem großen Rivalen GE zu
schließen. Immerhin sind die Amerikaner einer der größten Anbieter von
konventionellen Triebwerken für Passagierjets.
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Quelle: Höpner, A./Fasse, M., Handelsblatt, Nr. 068, 08.04.2016, 18
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Kleinkraftwerke: Kleine Motoren groß gefragt
Die Energiewende erfordert flexibel einsetzbare Kleinkraftwerke.
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Bei allen Klagen über die Schwierigkeiten bei der Energiewende: Es gibt einige
Unternehmen, die davon profitieren. Die Hersteller von Windrädern haben seit Jahren
volle Auftragsbücher. Auch mit dem Ausbau der Stromnetze lässt sich viel Geld
verdienen.
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In naher Zukunft werden zudem die Anbieter fossiler Kraftwerke profitieren.
Klassische Großkraftwerke sind dabei allerdings out, gefragt sind im Zeitalter der
Dezentralisierung vielmehr kleine Motorenkraftwerke an verschiedenen Orten. Die
Hersteller solcher Anlagen - Firmen wie GE Jenbacher, Wärtsilä und MAN - rechnen
mit guten Geschäften. Der Gesetzgeber schafft den passenden Rahmen.
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Das Strommarktgesetz befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren. Es soll
dafür sorgen, dass der wachsende Anteil erneuerbarer Energien mit der restlichen
Stromerzeugung harmoniert. Bislang ist das nicht immer der Fall. Schwerfällige
Großkraftwerke lassen sich nur mit großer Mühe mit der volatilen Erzeugung aus
Windkraft- und Photovoltaikanlagen in Einklang bringen. Kleine, schnell regelbare
Kraftwerke würden besser mit den Erneuerbaren harmonieren. Das neue Gesetz will
Investitionen ankurbeln, indem es Preisspitzen zulässt: Wer schnell auf Preissignale
reagieren kann, soll damit Geld verdienen können.
„Das deutsche Strommarktgesetz weist in die richtige Richtung“, sagte Kari Hietanen
dem Handelsblatt. „Daraus lassen sich neue Geschäftsmodelle entwickeln.“ Hietanen
ist Vorstandsmitglied bei Wärtsilä, einem finnischen Hersteller von
Motorenkraftwerken. Wärtsilä erzielt mit 18 800 Mitarbeitern einen Umsatz von fünf
Milliarden Euro und ist in 70 Ländern aktiv. Die Finnen nehmen nun den deutschen
Markt ins Visier. Zugleich ist Hietanen Präsident der European Engine Power Plants
Association, in der sich die Hersteller von Motorenkraftwerken zusammengeschlossen
haben. Mitglieder sind neben Wärtsilä auch MAN, Caterpillar, GE und Liebherr.
„Die Rolle der konventionellen Kraftwerke wird sich komplett ändern. Im
Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien brauchen wir kleine und effiziente
Kraftwerke, die sich blitzschnell zuschalten lassen. Diese Anlagen können wir
anbieten“, sagt Hietanen. Eine Megawattstunde Strom, die man innerhalb von fünf
Minuten liefern könne, sei wesentlich wertvoller als die Megawattstunde, die erst nach
einer Stunde abrufbar sei. Tatsächlich braucht eine klassische Gasturbine leicht bis zu
einer halben Stunde, ehe sie die volle Leistung bringt. Ein kleiner Gasmotor liefert
bereits nach einer Minute den ersten Strom und entfaltet nach fünf Minuten die volle
Leistung. Hersteller wie Wärtsilä setzen zudem auf Modularität: Mehrere kleine
Motoren von zehn oder 20 Megawatt Leistung, die man separat warten kann, bilden
ein größeres Kraftwerk von zum Beispiel 400 Megawatt.
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Von dem Trend zur Dezentralisierung profitiert auch Jenbacher. Seit der Übernahme
durch General Electric 2003 hat sich der Umsatz des Gasmotorenherstellers
vervierfacht. Mehr als 36 000 Gasmotoren wurden in mehr als 100 Länder geliefert.
„Stromversorgungsunternehmen beginnen zu erkennen, dass dezentrale
Energieerzeugungslösungen schneller in das Netz zu bringen sind als traditionelle
Kraftwerke“, sagt Carlos Lange, Chef der Sparte „Distributed Power“ von GE dem
Handelsblatt.
Als Beispiel nennt er das geplante Gasheizkraftwerk in Kiel. Durch den Einsatz
hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung sei dieses ein „zukunftsweisendes Beispiel
für Flexibilität an der Strombörse gepaart mit günstigen Wärmeerzeugungskosten“.
Ab Oktober 2018 sollen dann in dem neuen Kraftwerk 20 Jenbacher-Gasmotoren eine
Gesamtleistung von 190 Megawatt elektrischer und 192 Megawatt thermischer
Energie erbringen.
Den Trend haben viele erkannt. Siemens etwa hatte lange vor allem auf die großen
Gaskraftwerke gesetzt. In Europa lassen sich die großen Turbinen aber kaum noch
verkaufen. Da andere Anbieter zudem innovationsstärker waren, sank die Profitabilität
der Energieerzeugungssparte, lange Ertragsperle des Konzerns. Vorstandschef Joe
Kaeser steuerte um und erweiterte die Produktpalette durch milliardenschwere
Übernahmen nach unten.
Quelle: Höpner, A./Stratmann, K., Handelsblatt, Nr. 068, 08.04.2016, 30
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Rettungsplan für RWE
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Der Energieriese kämpft ums Überleben: Im Handelsblatt-Interview kündigen die
beiden Chefs, Peter Terium und Rolf Martin Schmitz, eine neue Sparrunde und eine
Charmeoffensive bei Investoren an.
Energieversorger haben jahrzehntelang üppige Gewinne eingefahren. Doch
inzwischen bereiten die Konzerne ihren Eigentümern nur noch Sorgen. Deutschlands
größter Stromproduzent RWE ist besonders schwer betroffen: 2015 musste das
Unternehmen Milliarden abschreiben und rutschte zum zweiten Mal in drei Jahren in
die Verlustzone. Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert müssen die
Aktionäre auf eine Dividende verzichten.
Das Schlimmste steht RWE noch bevor. „2018 2019 wird es schon arg eng. Wir
werden noch mehr sparen müssen“, sagte der künftige Chef der RWE AG, Rolf
Martin Schmitz, dem Handelsblatt im gemeinsamen Interview mit dem amtierenden
RWE-Chef Peter Terium. Auf die Mitarbeiter kommt ein weiterer Stellenabbau zu.
Details nannte er nicht. Schmitz betonte aber, dass der Konzern die Kosten noch mehr
drücken müsse: „Bei der schwierigen Marktlage sehe ich nicht, dass wir um weitere
Einschnitte herumkommen, speziell 2018 und 2019, wenn es richtig ernst wird.“Um
langfristig das Überleben des Konzerns zu sichern, reichen Sparrunden nicht. Zum
Jahresende spaltet sich RWE auf. Schmitz übernimmt die RWE AG, die die Atom-,
Kohle- und Gaskraftwerke sowie den Gasgroßhandel betreibt. Der bisherige
Konzernchef Terium führt künftig eine Tochtergesellschaft, in der RWE die
ertragreichen Bereiche Vertrieb, Netze und erneuerbare Energien bündelt. Der
Verkauf von Aktien an dieser Tochter soll die RWE AG finanziell zur Not retten. Mit
der neuen Gesellschaft schaffe der Konzern „eine finanzielle Reserve, um die RWE
AG durch die Durststrecke zu bringen“, sagte Konzernchef Terium.
Die Energiewende zwingt RWE zum Handeln. Wind- und Solarenergie drängen die
großen Kraftwerke aus dem Markt. Innerhalb von fünf Jahren ist der Strompreis
wegen des Überangebots im Großhandel von 60 Euro auf rund 20 Euro je
Megawattstunde abgestürzt. Zu dem Preis lässt sich aber kein konventionelles
Kraftwerk kostendeckend betreiben. Ende des Jahres beschloss RWE deshalb die
Abspaltung der ertragreichen Bereiche. Ein Jahr zuvor hatte Eon-Chef Johannes
Teyssen einen ähnlichen Schnitt gemacht. Der Konkurrent spaltet aber die alten
Kraftwerke ab und konzentriert Eon auf das neue Geschäft.Nach Einschätzung von
Terium und Schmitz ist das ein entscheidender Fehler. Eon müsse Investoren für den
Problem-Teil finden, RWE für den Teil, der Geld verdiene: „Ich denke, dass unsere
Strategie die bessere ist“, sagte Schmitz. Den Beweis müssen er und Terium noch
erbringen.Am Mittwoch kommender Woche wird RWE-Chef Peter Terium einen
schwierigen Gang antreten. Auf der Hauptversammlung in der Essener Grugahalle
muss sich der Manager, der noch die alte RWE und die neue „grüne“
Tochtergesellschaft in Personalunion leitet, auf viele kritische Fragen gefasst machen
- und auch auf viel Unmut.
Es ist weniger die spektakuläre Aufspaltung des Traditionskonzerns, die die Aktionäre
umtreibt. Es ist vielmehr der Schock, den Terium den Anlegern am 17. Februar
versetzt hat. RWE berichtete in einer Ad-hoc-Mitteilung nicht nur über hohe
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Abschreibungen und einen Nettoverlust. Der Energiekonzern teilte den
Stammaktionären gleichzeitig und völlig überraschend mit, dass sie in diesem Jahr
keinen Cent ausgeschüttet bekommen. Im Vorjahr hatte RWE noch einen Euro je
Aktie bezahlt. Das sind die Aktionäre von „ihrer RWE“ nicht gewohnt. Seit mehr als
einem halben Jahrhundert lockte der Energiekonzern die Anleger vor allem mit seiner
verlässlichen Ausschüttung. Selbst in den vergangenen Jahren, als der Konzern schon
in der Krise steckte, zahlte RWE das maximal Mögliche aus.Für Hunderttausende
Kleinanleger und Hunderte Fonds ist das eine Enttäuschung, für die kommunalen
Aktionäre ist es eine Katastrophe. Die ohnehin klammen Kommunen an Rhein und
Ruhr, die seit der Gründung bei RWE engagiert sind und noch immer knapp 24
Prozent der Anteile halten, müssen, verglichen mit dem vergangenen Jahr, auf rund
150 Millionen Euro verzichten. Die vier Vertreter im Aufsichtsrat mussten den Schritt
zwar akzeptieren, auf Regionalkonferenzen gingen die Bürgermeister und Landräte
aber auf die Barrikaden. Nach Informationen des Handelsblatts aus Kreisen der
kommunalen Aktionäre prüfen die Kommunen noch immer, ob sie Terium auf der
Hauptversammlung die Entlastung verweigern. Dafür müssen sie beantragen, dass
nicht über den Vorstand insgesamt, sondern einzeln abgestimmt wird. Ein
entsprechender Antrag könnte noch auf der Hauptversammlung gestellt werden.
Das RWE-Management versucht, die Wogen zu glätten. Am Mittwoch vergangener
Woche stellten sich Peter Terium, Vize-Chef Rolf Martin Schmitz und die anderen
Vorstände in der Konzernzentrale den Fragen der Bürgermeister. Die Atmosphäre sei
friedlich gewesen, berichtete ein Teilnehmer. Terium und Schmitz versuchten, die
Alternativlosigkeit der Maßnahme zu erklären. Ein handfestes Kompromissangebot
hatten sie aber nicht dabei: Die kommunalen Aktionäre wären gern im Aufsichtsrat
der neuen Tochter vertreten - damit sie weiter Einfluss auf die ertragreichen Bereiche
Vertrieb, Netze und erneuerbare Energien haben. Das lehnten Terium und Schmitz im
Interview mit dem Handelsblatt aber strikt ab. Ende der Woche soll es noch einmal
ein Treffen von Spitzenvertretern beider Parteien geben. „Noch ist offen, wie wir uns
auf der Hauptversammlung verhalten“, erklärte ein Vertreter der kommunalen
Aktionäre. Beide Seiten sind aber wohl an einer Entspannung interessiert. Ärger mit
dem Ankeraktionär können Terium und Schmitz auf Dauer nicht gebrauchen. Der
Konzern steckt schließlich in der größten Krise seiner Geschichte. Im bisherigen
Kerngeschäft, der konventionellen Stromerzeugung, brechen im Rekordtempo die
Gewinne weg. Die Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke warfen im vergangenen Jahr nur
noch eine Rendite auf das eingesetzte Kapital (Roce) von 2,9 Prozent ab. Das ist viel
zu wenig, um die Kapitalkosten zu verdienen. Vor fünf Jahren, ehe die Energiewende
nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima verschärft wurde, lieferte die Sparte noch
eine Roce von deutlich mehr als 20 Prozent ab. Inzwischen wurden aber viele
Kraftwerke durch den Boom der erneuerbaren Energien aus dem Markt gedrängt. Es
ist nur eine Frage der Zeit, bis die Sparte in die Verlustzone rutscht.
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Die Aufspaltung soll nun Kräfte freisetzen, damit RWE durch die Krise kommt - und
in den kommenden Jahren vielleicht auch wieder eine Dividende bezahlt. Das
Management werde sich „alle Mühe geben“, versprach Terium: „Aber es wird kein
Selbstläufer.“ Jürgen Flauger
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Quelle: Brors, P./Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 071, 13.04.2016, 1/4
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Peter Terium/Rolf Martin Schmitz (RWE): „Wir bleiben Nachbarn - und
Partner“
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Der amtierende und der künftige Vorstandschef erklären, wie ernst die Lage des
Energiekonzerns ist und warum die Aufspaltung neue Kräfte freisetzen wird.
Als sich die beiden RWE-Vorstände Peter Terium und Rolf Martin Schmitz in der
obersten Etage der Konzernzentrale für den Fotografen in Position bringen, zieht der
eine, Schmitz, den anderen, Terium, ein Stück vom Emporengeländer weg. „Fall mir
da nicht runter, Peter, ich brauche dich noch“, sagt Schmitz. Worauf Terium
entgegnet: „Danke, das ist ja schon mal gut zu wissen.“ Zwei Persönlichkeiten, die in
einer durchaus heiklen Beziehung zueinander stecken - spannender Stoff für ein
ausführliches Interview.
[…] Herr Schmitz, jetzt werden Sie also doch RWE-Chef. Allerdings übernehmen Sie
einen Rumpfkonzern, der in der schwersten Krise seiner Geschichte steckt. So haben
Sie sich das nicht vorgestellt, oder?
Schmitz: Ach, ich bin da Kölner und denke mir: Et kütt, wie et kütt. Ich lebe immer
im Moment und denke ungern zurück, sondern nach vorne. Natürlich steckt RWE in
einer ernsten Krise. Bei einem Strompreis von 20 Euro je Megawattstunde, der im
Großhandel bezahlt wird, kann kein Kraftwerk überleben - vor fünf Jahren waren es
noch rund 60 Euro. Die RWE AG steht aber auf drei Standbeinen, der konventionellen
Stromerzeugung, dem profitablen Energiehandel und der neuen Tochtergesellschaft.
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Wie ernst ist die Lage? Würden Sie Ihr Gehalt darauf verwetten, dass es die RWE AG
noch gibt, wenn Ihr Vertrag 2021 ausläuft?
Schmitz: Ja.
Terium: Und meines dazu. Was wäre Ihr Einsatz?
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Da können wir nicht mithalten. In der Branche werden Eon und RWE schon mal als
Pleitekandidaten bezeichnet. Ist das Hysterie oder ein denkbares Szenario?
Schmitz: Denkbar ist alles. Ich halte es aber für absolut unwahrscheinlich. Der
niedrige Strompreis kann so nicht bleiben, sonst bricht der Markt zusammen. Wir
sind zuversichtlich: Die Politik wird da rechtzeitig gegensteuern.
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Aber eine Besserung ist doch nicht in Sicht. Am Terminmarkt kostet Strom derzeit
auch für 2018, 2019 nicht mehr.
Terium: Es gibt doch zwei mögliche Szenarien: Entweder macht der Staat nichts, dann
werden Kraftwerke im großen Stil aus dem Markt gedrückt. Es gibt dann einen
Engpass, und der Preis wird durch die Decke schießen. Das ist nicht wünschenswert,
weil der Strompreis erstens zu hoch und zweitens unkalkulierbar wäre. Deshalb halte
ich das zweite Szenario für realistischer, dass der Staat eingreift und mit einem
sogenannten Kapazitätsmarkt die Kraftwerksbetreiber für das Bereithalten von
Reserven entlohnt, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Wir können mit
beiden Szenarien leben.
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Tatsächlich? Ihnen läuft doch angesichts der schlechten Zahlen die Zeit davon.
Terium: Stimmt, es gibt eine Durststrecke. Insofern mussten wir reagieren. Mit der
NewCo schaffen wir nun ja aber eine finanzielle Reserve, die uns hilft, die RWE AG
durch die Durststrecke zu bringen. Wir hätten stattdessen auch Teile verkaufen
können, zuerst das Gasnetz in Tschechien, dann die Netze in Deutschland. Das wäre
aber die freiwillige Selbstauflösung gewesen. Wir halten jetzt alle Perlen zusammen
und kreieren ein modernes Energiewende-Unternehmen.
Wann werden die Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke in die Verlustzone rutschen?
Schmitz: Noch profitieren wir davon, dass wir Strom im Voraus verkauft haben. 2018
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Erst im Januar haben Sie Ihr Sparziel aufgestockt. Selbst das wird nicht ausreichen?
Muss sich die Belegschaft auf einen weiteren Stellenabbau einstellen?
Schmitz: Wir werden noch mehr sparen müssen. Details kann ich jetzt noch nicht
nennen. Wir werden aber die Kosten noch mehr drücken müssen. Bei der schwierigen
Marktlage sehe ich nicht, dass wir um weitere Einschnitte herumkommen, speziell
2018 und 2019, wenn es richtig ernst wird.
Und die Aktionäre? Die müssen auf eine Dividende verzichten. Die lässt sich auch in
den nächsten Jahren nicht darstellen.
Terium: Zur Dividende können wir keine konkrete Aussage machen. Ich kann nur
versprechen, dass wir uns alle Mühe geben werden, wieder eine Dividende zu zahlen.
Dafür ist unter anderem der Erfolg der NewCo entscheidend. Aber es wird kein
Selbstläufer.
Schmitz: Wir verstehen, dass die Aktionäre enttäuscht sind. Der Markt hat fest mit
einer Dividende gerechnet. Aber seit Dezember und Januar haben sich die
Rahmenbedingungen für uns noch einmal so dramatisch verschlechtert, dass wir
reagieren und das Geld zusammenhalten mussten.
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Bei allen betriebswirtschaftlichen Überlegungen: Was bedeutet die Spaltung denn
kulturell für das Unternehmen?
Terium: Uns wurde manchmal vorgeworfen, dass wir zu spät reagieren. Das stimmt
nicht. Wir haben nicht spät reagiert, das Unternehmen war einfach noch nicht so weit.
Wir haben lange gebraucht, bis in jeder Ecke des Unternehmens klar war, dass dieser
Schnitt nicht nur notwendig ist, sondern auch gut - und zwar gut für beide Teile.
Aber die Mitarbeiter in den Kraftwerken müssen das Gefühl haben, dass sie mit ihren
Problemen alleingelassen werden.
Schmitz: Nein, der Status quo ist doch das Problem. Da sind die stolzen Kraftwerker
und Tagebau-Mitarbeiter, die über viele Jahre die Hälfte des Ergebnisses gebracht
haben und jetzt zusehen müssen, wie der Markt zerbröselt. Umgekehrt gab es im Netz
und Vertrieb viele, die dachten: „Verdammt noch mal, jetzt werden wir geopfert, nur
weil die Erzeuger Probleme haben.“ Insofern ist der Schritt für beide
Mitarbeitergruppen ein Befreiungsschlag. Die einen sehen, dass mit einem Verkauf
von NewCo-Aktien ihr Überleben gesichert werden kann. Und die anderen können
weiter in einem voll funktionsfähigen und ertragreichen Unternehmen arbeiten.
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Also, für die NewCo leuchtet uns das ein. Die Mitarbeiter werden sich freuen, wenn
sie dort landen. Aber bei der alten RWE gibt es doch keine rosarote Zukunft.
Terium: Die Kraftwerker sind doch auch stolz auf ihr Geschäft. Die wissen, dass unser
Energiesystem nicht ohne die großen Kraftwerke funktionieren wird und dass sie
gebraucht werden.
Schmitz: Auch die RWE AG hat eine eigene Zukunftsstory. Aus der NewCo wird ja
vermutlich mehr Geld zurückfließen, als die RWE AG für ihre Verpflichtungen
braucht.
Experten sehen den NewCo-Börsenwert bei 15 bis 20 Milliarden Euro. Da scheinen
verborgene Werte zu schlummern.
Schmitz: Ich kenne solche Schätzungen auch, aber ich werde sie im Vorfeld des
Börsengangs nicht bewerten. Richtig ist aber, dass der Wert unserer
Zukunftsgeschäfte derzeit sicherlich von den Belastungen in der konventionellen
Stromerzeugung und den politischen Unsicherheiten überschattet wird.
Herr Terium, Sie wollen ein Baumeister sein. Aber was sind Sie, Herr Schmitz? Mehr
als ein bloßer Sanierer? Oder Abwickler?
Schmitz: Wir haben auch die Chance, mit unserem Know-how und mit Geldzufluss,
den ich steuern kann, neue Geschäfte zu entwickeln. Warum sollte die RWE AG nicht
irgendwann von einer Konsolidierung der Branche profitieren? Da gibt es keine
konkreten Pläne. Natürlich müssen wir intelligent vorgehen. Aber lassen Sie mich klar
festhalten: Ich trete an, weil ich an die Zukunft der RWE AG glaube. Die RWE AG
wird ihre eigene Story haben.
Und wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Terium? Wie erleichtert sind Sie, dass Sie sich
demnächst nicht mehr mit Atomenergie und Braunkohle herumschlagen müssen?
Terium: Überhaupt nicht. Das Einzige, was ich als Befreiung empfinde, ist, dass ich
RWE wieder eine Zukunftsperspektive gegeben habe. Das war ja das Schwierige in
den vergangenen Jahren. Wir haben gekämpft wie Löwen, kamen mit dem Sparen
aber einfach nicht hinterher.
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Wie wollen Sie denn das Geld mit der neuen Gesellschaft verdienen, das Ihnen im
bisherigen Kerngeschäft wegbricht? Netze und Vertrieb mögen ertragreich sein, die
Margen sind aber gering.
Terium: Das regulierte Geschäft bietet aber ein hohes Maß an Sicherheit - und genau
das suchen die Anleger derzeit. Eine angemessene Rendite auf die NewCo-Aktie ist
doch besser als Strafzinsen auf dem Sparbuch. Und mit rund 40 Milliarden Euro
Umsatz und ca. 40 000 Mitarbeitern ist die neue Gesellschaft auch keine Start-upBude, sondern ein gestandenes, stabiles Unternehmen, das zusätzlich zum
Kerngeschäft noch Wachstumschancen bietet.
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Mit Verlaub, aber bei den erneuerbaren Energien ist RWE noch immer ein Zwerg.
Der Anteil an der Stromerzeugung lag 2015 bei gerade einmal fünf Prozent.
Terium: RWE ist aber auch insgesamt der größte Stromproduzent in Deutschland. In
absoluten Zahlen gemessen ist unsere alternative Stromerzeugung schon ordentlich.
Bei Onshore-Wind sind wir in Deutschland, gemessen in Megawatt, derzeit
Marktführer. Bei Offshore-Wind in Europa liegen wir unter den Top fünf.
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Sie wollen neue Energiedienstleistungen entwickeln, kooperieren mit Start-ups im
Silicon Valley. Das ist ja schön und gut. Aber wie wollen Sie denn damit die Verluste
der Kraftwerke wettmachen?
Terium: Das müssen wir doch gar nicht. Der Wert des Unternehmens besteht erst mal
darin, was es schon hat: Vertrieb und Netz bieten eine attraktive Anlage in einem
stabilen Geschäft, das im hohen Maße reguliert ist und grundsätzlich eine
vorhersehbare Rendite bietet. Das wird Anleger anlocken. Und oben drauf wachsen
wir bei den erneuerbaren Energien und treiben Innovationen voran, damit wir auch in
fünf oder zehn Jahren noch zukunftsfähiges Geschäft haben.
Schmitz: Mit der NewCo befreien wir das stabile Geschäft von den Risiken in der
konventionellen Stromproduktion. Das wird dem Börsenkurs der NewCo guttun. Und
von einem hohen Börsenkurs der NewCo würde wiederum die RWE AG profitieren.
Wir verkaufen gar nicht die große Wachstumsstory im Erneuerbaren-Bereich. Die
Devise heißt kontrolliertes Wachstum. Die NewCo-Aktie wird keine Google- oder
Apple-Aktie.
Letztlich wollen Sie aber das Tafelservice verkaufen, um RWE zu retten.
Terium: Wir verkaufen aber nicht Teller für Teller, sondern halten das Service
zusammen und geben es in Gänze an die neue Gesellschaft ab, an der sich dann auch
andere Aktionäre beteiligen können.
Ende des Jahres soll die neue Gesellschaft an die Börse. Wie realistisch ist das beim
derzeit volatilen Umfeld?
Terium: Volatilität allein ist kein Problem. Gerade in Zeiten, in denen die Märkte
volatil sind, suchen die Anleger Sicherheit. Für regulierte Geschäfte sind die
Bewertungen hoch.
Im vergangenen Sommer haben Sie noch über die Strategie von Eon-Chef Johannes
Teyssen, der seinen Konzern auch aufspaltet, gelästert, ein halbes Jahr später haben
Sie ihn kopiert. Wie kam es eigentlich zu dem Sinneswandel?
Terium: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das Konzept des integrierten
Energiekonzerns, der sich um alles kümmert, richtig ist. Das klappt aber nur, wenn der
Markt funktioniert. Das war Ende vergangenen Jahres nicht mehr der Fall. Bei einem
Strompreis von knapp unter 30 Euro, bei dem er im Sommer war, geht es noch. Bei 25
Euro nicht mehr.
Sie müssen anerkennen, dass das, was Teyssen gemacht, doch nicht so dumm war.
Schmitz: Ich denke, dass unsere Strategie die bessere ist. Wir haben uns überlegt, wie
der Energieversorger der Zukunft aussehen soll.
Das will Eon nach Abspaltung der Kraftwerke ja auch sein ...
Schmitz: Da ist jetzt aber auch die Kernkraft noch mit drin. Und Eon will Uniper an
den Markt bringen, also das konventionelle Geschäft. Das Problem haben wir nicht.
Wir verkaufen Aktien an dem Teil, der heute gutes Geld verdient. Deshalb stinkt mir
der ständige Vergleich mit Eon gewaltig - und das sage ich, obwohl ich selbst 18 Jahre
für Eon gearbeitet habe. Das ist ein völlig anderes Konzept.
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In der kommenden Woche werden Sie Ihre Pläne der Hauptversammlung
präsentieren. Rechnen Sie mit viel Widerstand?
Terium: Natürlich ist der Ausfall der Dividende für die Aktionäre nicht angenehm.
Das wird immer zugespitzt auf die kommunalen Aktionäre. Aber das tut
beispielsweise auch unseren Mitarbeiter-Aktionären weh. Oder auch dem Ontario
Teachers Pension Funds. Die bezahlen aus den Dividenden die Pensionen der Lehrer.
Und von derartigen Aktionären gibt es bei RWE viele.
Und wie haben die reagiert?
Terium: Das Beste, was wir erreichen konnten, haben wir erreicht: Keiner hat es
gemocht, aber alle haben es verstanden.
Naja, die Kommunen sind nachhaltig verstimmt.
Terium: Aber auch die vier Vertreter der kommunalen Aktionäre haben im
Aufsichtsrat zugestimmt.
Schmitz: Die Dividendenentscheidung ist mittlerweile akzeptiert. Die Kommunen
waren mehr über die Kommunikation verstimmt. Aber da blieb uns keine andere
Möglichkeit. Wenn wir eine Entscheidung treffen, die der Markt so nicht erwartet,
müssen wir das nach dem Kapitalmarktrecht direkt veröffentlichen. Da durften wir
vorher nicht die Kämmerer anrufen.
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Sie haben also in der Disziplin Kommunikation keine Fehler gemacht?
Terium: Ich kann ja nachvollziehen, dass die Kommunen verstimmt sind. Wir arbeiten
aber daran, das Verhältnis wieder geradezurücken. Die Kommunen sind ja nicht nur
unsere Aktionäre, sondern auch unsere Geschäftspartner. Und das schätzen wir.
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Die Kommunen fürchten durch die Abspaltung der NewCo an Einfluss auf die
ertragreichen Geschäfte zu verlieren. Warum geben Sie dem Ankeraktionär nicht
einen Sitz im Aufsichtsrat der NewCo?
Schmitz: Sitze in Aufsichtsräten werden ja nicht zugeteilt, die stehen den
Anteilseignern zu. Das würden sonst die Aktionäre, die wir für die NewCo gewinnen
wollen, nicht verstehen.
Eben hieß es noch, die Kommunen wären auch wichtige Partner.
Schmitz: Wir haben in der NewCo drei Beratergremien eingeführt, sogenannte
International Business Councils, für Vertrieb, Netze und erneuerbare Energien. Da
wird konkret über das Geschäft geredet, da sitzen Experten drin, und da werden auch
die Kommunen zu Wort kommen.
Warum sind Sie beim Thema Sitz im Aufsichtsrat so hartleibig? Das wäre doch ein
Schritt auf die Kommunen zu?
Terium: Ich kann doch nicht um des lieben Friedens willen das Aktionärsrecht
aushebeln. Wir haben zudem letzte Woche mit den Kommunen gesprochen, wir haben
viele Fragen beantwortet und konnten, denke ich, vieles klären.
Zum Schluss noch ein anderer eher emotionaler Aspekt: Haben Sie eigentlich schon
geklärt, wer künftig hier im prächtigen RWE-Turm bleiben wird?
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Schmitz: Den Turm wird Peter mit seiner Gesellschaft behalten. Die RWE AG zieht
aus. Wir bleiben aber ganz in der Nähe.
Terium: Ja. Auch wenn wir beide uns trennen, bleiben wir Nachbarn - und Partner.
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Vita Rolf Martin Schmitz
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Karriere Der 58-Jährige wäre vor fünf Jahren schon einmal fast RWE-Chef
geworden. Er war der erklärte Wunschkandidat der kommunalen Aktionäre für die
Nachfolge von Jürgen Großmann. Nachdem die Wahl auf Terium fiel, blieb Schmitz
aber im Vorstand weiter als Chief Operating Officer und ist seit 2012 Teriums
Vizechef. Der Rheinländer hat lange für Eon gearbeitet, leitete den Kölner
Regionalversorger Rheinenergie und war Präsident des Bundesverbands der Energieund Wasserwirtschaft.
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Aufgabe Wenn der Börsengang der Tochter klappt, wird Schmitz den
Vorstandsvorsitz der RWE AG übernehmen. Der bestens in der Politik verdrahtete
Manager muss sich nicht nur um die Sanierung des Konzerns kümmern, sondern in
Berlin auch bessere Rahmenbedingungen aushandeln. Aktuell verhandelt er über
die Verteilung der Lasten beim Atomausstieg.
Vita Peter Terium
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Karriere Keiner hatte den Niederländer auf der Rechnung, als er 2011 von
Aufsichtsratschef Manfred Schneider als Kandidat für die Nachfolge von Jürgen
Großmann präsentiert wurde. Ein Jahr lang stand er Großmann als Vize zur
Seite, seit Sommer 2012 ist er Vorstandschef von RWE. Der 52-jährige ist seit
2003 im Konzern und leitete unter anderem die neue Tochter in den Niederlanden,
Essent, und den Großhandel.
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Aufgabe Terium führt aktuell die RWE AG und die neue Gesellschaft, in die RWE
zum 1. April das Geschäft mit Netz, Vertrieb und erneuerbaren Energien
abgespaltet hat, in Personalunion. Teriums Auftrag: Er soll die neue
Gesellschaft an die Börse bringen. Ende des Jahres will RWE die ersten zehn
Prozent platzieren, dann will Terium sich auf die neue Aufgabe komplett
konzentrieren - und seinen Posten bei der RWE AG räumen.
Quelle: Brors, P./Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 071, 13.04.2016, 5
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Bilanzcheck: Den Kraftwerken geht die Kraft aus
Deutschlands größter Stromproduzent RWE verdient im Kerngeschäft kaum noch
Geld.
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Was haben die Kämmerer von Essen, Mülheim und vielen anderen Städten an Rhein
und Ruhr mit Tausenden Lehrern in der kanadischen Provinz Ontario gemein? Sie alle
leiden unter der Krise der RWE AG und haben seit dem 17. Februar allen Grund,
verärgert zu sein. An diesem Tag versetzte der Chef des Energiekonzerns Peter
Terium seinen Anlegern einen regelrechten Schock. Völlig überraschend teilte RWE
mit, den Stammaktionären in diesem Jahr keinen einzigen Cent Dividende zu
bezahlen. Der Markt hatte zwar mit einer Kürzung gerechnet - nicht aber mit einer
Streichung. Das hat es bei RWE seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht
gegeben.
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Jahrzehntelang hatte RWE die Anleger vielmehr mit hohen Dividenden umworben.
Selbst in den vergangenen Jahren, als es dem Konzern schon immer schlechter ging,
versuchte das Management, noch das maximal Mögliche auszuschütten. Vor einem
Jahr, als die Aktionäre einen Euro je Aktie bekamen, lag die Dividendenrendite mit
3,9 Prozent noch über dem Durchschnitt aller Dax-Unternehmen. Die Dividenden von
RWE hatten die Kämmerer der Kommunen, die noch immer rund 24 Prozent der
Anteile halten, auch in diesem Jahr fest im Haushalt eingeplant. Hunderttausende
Kleinanleger haben auf sie gewartet. Und wegen der Dividende ist auch der Ontario
Teachers Pension Fund engagiert. Die Ausschüttung von RWE sollte mithelfen, die
Pensionen Tausender Lehrer zu finanzieren.
Terium weiß, dass ihn am Mittwoch auf der Hauptversammlung in der Essener
Grugahalle viel Unmut erwartet. Der Schritt war nach seinen Worten aber
alternativlos. RWE ist 2015 in die Verlustzone gerutscht. Unter dem Strich verbuchte
der Konzern einen Fehlbetrag von 170 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor hatte er noch
einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro ausgewiesen. Das liegt vor allem an
Wertberichtigungen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro, die RWE auf Kraftwerke in
Deutschland und Großbritannien vornahm. Zum wiederholten Mal schrieb der
Energiekonzern einen Milliardenbetrag auf sein bisheriges Kerngeschäft ab, die
Stromerzeugung mit großen Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken. Das schlug sich im
neutralen Ergebnis mit einem Minus von 2,9 Milliarden Euro nieder.
RWEs große Kraftwerke leiden unter der Energiewende. Im selben Maße wie der
Markt mit Wind- und Solarstrom geflutet wird, werden die konventionellen
Kraftwerke aus dem Markt gedrängt. Der Strompreis ist im Großhandel dramatisch
abgestürzt. Anfang des Jahres kostete eine Megawattstunde kaum mehr als 20 Euro.
Bei diesen Strompreisen verdiene „kein einziges Kraftwerk Geld“, hielt Terium bei
der Bilanzpressekonferenz nüchtern fest. RWE spürt nach eigenen Angaben eine
regelrechte „Erosion der Kraftwerksmargen“. Vor fünf Jahren, als die Energiewende
nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima verschärft wurde, kostete die
Megawattstunde noch gut 60 Euro.
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Damals erwirtschaftete RWE in der konventionellen Stromerzeugung noch mehr als
die Hälfte des Betriebsergebnisses und auf dem Heimatmarkt Deutschland mit den
Kraftwerken eine traumhafte Rendite auf das eingesetzte Kapital (Roce) von fast 30
Prozent. Im vergangenen Jahr erreichte RWE in der konventionellen Stromerzeugung
nur noch ein Betriebsergebnis von 543 Millionen Euro. Das waren 45 Prozent weniger
als im Jahr zuvor - und gerade noch 14 Prozent des Konzernbetriebsergebnisses von
3,8 Milliarden Euro. Der Roce der Sparte ist in den vergangenen Jahren auf 2,9
Prozent zusammengeschrumpft. Damit liegt die konventionelle Stromerzeugung
deutlich unter dem Konzernschnitt von acht Prozent. Vor allem aber kann die Sparte
die Kapitalkosten nicht mehr verdienen. Sie liegen bei 9,25 Prozent. Unter dem Strich
war der Wertbeitrag mit 1,2 Milliarden Euro negativ. Der Margenverfall in der
Stromproduktion schlägt sich auch im Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit
nieder. Er verringerte sich um 40 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro.
Die Lage in der konventionellen Stromerzeugung hat sich 2015 weiter verschärft, und
es wird wohl noch schlimmer. Am Terminmarkt wird Strom auch für die Jahre 2018
und 2019 für kaum mehr als 20 Euro je Megawattstunde gehandelt. Die Margen bei
RWE dürften damit noch stärker unter Druck geraten. Denn aktuell profitiert der
Konzern noch davon, dass er sich zum Teil noch vor zwei, drei Jahren am
Terminmarkt höhere Notierungen gesichert hat. Der Effekt läuft aber allmählich aus.
Der Preisverfall im Großhandel war allein im zweiten Halbjahr so dramatisch, dass
sich Terium zu einer radikalen Maßnahme gezwungen sah, die er zuvor noch
kritisierte. Anders als Eon-Chef Johannes Teyssen, der schon Ende 2014 die
Abspaltung der defizitären Kraftwerke beschlossen hatte, wollte Terium noch im
Sommer am integrierten Versorger festhalten, der sich um alle Stufen von der
Stromerzeugung bis zum Vertrieb kümmert. Damals kostete Strom aber auch noch
knapp 30 Euro je Megawattstunde.
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Anfang Dezember - der Strompreis war unter 25 Euro gefallen - überraschte Terium
dann seinerseits mit einem radikalen Strategiewechsel. Im Gegensatz zu Teyssen will
er aber gerade das ertragreiche Geschäft abspalten, die Netze, den Vertrieb und die
erneuerbaren Energien. Die RWE AG soll die neue Tochter als Finanzbeteiligung
führen und selbst nur noch für die konventionellen Kraftwerke und den Großhandel
operativ verantwortlich sein. Bis Ende des Jahres will Terium das neue Unternehmen
an der Börse platzieren und zehn Prozent der Aktien verkauft haben. Bis dahin führt
Terium beide Teile, dann will er sich auf die Führung der neuen Gesellschaft
beschränken. Sein Nachfolger als RWE-Chef, der bisherige Vize Rolf Martin Schmitz
muss sich um die Sanierung der Kraftwerke kümmern. Und er muss mit dem Verkauf
weiterer Anteile der neuen Gesellschaft die Lasten tragen, die Terium ihm hinterlässt,
und die sind gewaltig. Im vergangenen Jahr konnte RWE zwar die Schulden um 5,8
Milliarden Euro senken - vor allem durch den erfolgreichen Verkauf des Öl- und
Gasproduzenten Dea. Trotzdem drücken den Konzern noch Nettoschulden von 25,1
Milliarden Euro. Die Schuldenquote, die Nettoschulden zum Ergebnis vor Zinsen,
Steuern und Abschreibungen (Ebitda) ins Verhältnis setzt, sank zwar leicht von 3,8
auf 3,6 Prozent, liegt aber damit immer noch auf einem für Ratingagenturen kritischen
Wert. Eine weitere Abstufung kann sich die RWE AG kaum noch leisten. Aktuell
wird sie von Moody's mit „Baa2“ und bei Standard & Poor's mit „BBB“ beurteilt.
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Kritisch bewerten die Ratingagenturen vor allem die hohen Folgekosten, die der
Konzern für die Nutzung der Kernenergie und für die Braunkohleförderung tragen
muss. 10,5 Milliarden Euro hat RWE allein für die Abwicklung der Kernenergie
zurückgestellt. Und in Berlin wird gerade darüber verhandelt, ob diese Summe
überhaupt ausreicht.
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Für RWE steht viel auf dem Spiel - in Berlin und beim Konzernumbau. Die Anleger
müssen sich weiter Sorgen machen - egal, ob sie in Essen oder Ontario sitzen. „Ich
kann nur versprechen, dass wir uns alle Mühe geben werden, wieder eine Dividende
zu zahlen“, sagte Terium in der vergangenen Woche im Interview mit dem
Handelsblatt: „Aber es wird kein Selbstläufer.“
Stärke 1: Erneuerbare Energien
Keine Frage: RWE hat die Energiewende verschlafen. Noch 2005, als Deutschland
längst den Umstieg auf erneuerbare Energien eingeleitet hatte, startete Deutschlands
größter Stromproduzent das größte Investitionsprogramm im Bereich seiner fossilen
Kraftwerke. Mehr als zwölf Milliarden Euro investierte RWE in Bau und
Modernisierung von Kohle- und Gasanlagen. Erst 2008 setzte RWE zur Aufholjagd an
mit der Gründung der Tochter RWE Innogy, die sich auf das Geschäft mit
erneuerbaren Energien konzentrieren sollte.
Nach einer langen Anlaufphase trägt das Engagement inzwischen aber Früchte. Im
vergangenen Jahr fiel das Betriebsergebnis der Sparte mit 493 (2014: 186) Millionen
Euro schon fast so hoch aus wie in der konventionellen Stromerzeugung. Die Rendite
auf das eingesetzte Kapital (Roce) lag mit 8,4 (3,8) Prozent erstmals über den
Kapitalkosten von 8,0 Prozent. Damit konnte die Tochter einen positiven Wertbeitrag
liefern, auch wenn er mit 23 Millionen Euro noch bescheiden war. 2014 war der
Wertbeitrag aber mit minus 240 Millionen Euro noch deutlich negativ.
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RWE Innogy hatte in den vergangenen Jahren Milliarden in den Aufbau von
regenerativer Erzeugung investiert - vor allem in teure Offshore-Windparks. 2015
gingen aber zwei große Projekte, Gwynt yMor in Großbritannien und Nordsee Ost in
Deutschland, ans Netz und liefern endlich auch Erträge.
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Die Sparte, die mit Netz- und Vertriebsgeschäft die neue Gesellschaft bildet, soll von
der Aufspaltung des Konzerns direkt profitieren. In den vergangenen Jahren fiel selbst
das Zukunftsgeschäft von RWE Innogy dem radikalen Sparkurs zum Opfer. Selbst die
Investitionen in neue Windparks wurden gedrosselt, weil dem Konzern schlicht das
Geld fehlte. Die Einnahmen, die RWE mit der Platzierung der ersten zehn Prozent an
der Börse einnimmt, sollen komplett dem Wachstum der neuen Gesellschaft
zugutekommen - ein Großteil dürfte in die erneuerbaren Energien fließen. Ungeachtet
der bisherigen Erfolge hat der Konzern aber auch noch einen großen Nachholbedarf.
Gerade einmal fünf Prozent des 2015 insgesamt produzierten Stromes war grün. juf.
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Stärke 2: Erfolgreicher Dea-Verkauf
Anfang März vergangenen Jahres besiegelte RWE den Verkauf seiner Öl- und
Gastochter Dea an die Investmentgesellschaft Letter One aus Luxemburg. Die
Transaktion hatte - inklusive Schulden - ein Volumen von 5,1 Milliarden Euro. RWE
machte damit einen großen Schritt beim Abbau der hohen Verschuldung. Die
Nettoschulden lagen Ende 2015 mit 25,1 Milliarden Euro um rund 5,8 Milliarden
Euro niedriger als noch ein Jahr zuvor. Im Wesentlichen lag das am Verkauf der Dea.
Zwar verliert RWE mit dem Verkauf der Dea auch die Gewinne, die das Unternehmen
regelmäßig ablieferte. Vor zwei Jahren hatte die Tochtergesellschaft noch fast ein
Zehntel des Betriebsergebnisses erzielt und eine Rendite auf das eingesetzte Kapital
(Roce) von 15,7 Prozent erreicht. Allerdings haben sich die Bedingungen im
Ölgeschäft und damit auch die Aussichten für Dea seither radikal verschlechtert. Der
Verkauf war deshalb bestens getimt. Als RWE und Letter One im März 2014 den
Kaufvertrag abschlossen, kostete ein Barrel Öl noch mehr als 100 Dollar. Als der
Verkauf vollzogen wurde, war der Preis schon auf unter 70 Dollar gestürzt und aktuell
schwankt er um 40 Dollar. Zudem war das Geschäft von Dea auch sehr
kapitalintensiv. Die Kapitalkosten lagen damals bei 12,75 Prozent. Die klamme RWE
AG hätte die anstehenden Investitionen in neue Felder kaum finanzieren können.
Dabei musste Konzernchef Peter Terium lange um den Verkauf bangen. Seine Pläne
wurden durch die Spannungen zwischen Europa und Russland wegen der UkraineKrise gefährdet. Hinter Letter One steht schließlich der russische Oligarch Michail
Fridman. Insbesondere in Großbritannien, wo Dea viel Gas förderte, stieß der Deal
deswegen auf Kritik. Die britische Regierung drohte mit einem Veto. Beim Verkauf
verpflichtete sich RWE deshalb auch, die britischen Aktivitäten wieder
zurückzunehmen, sollte Dea innerhalb eines Jahres von Sanktionen betroffen sein. Die
Regelung ist aber inzwischen gegenstandslos, weil Dea die britischen Aktivitäten im
Dezember 2015 an die Chemiegruppe Ineos aus der Schweiz verkauft hat. juf.
Schwäche 1: Konfliktträchtige Aktionärsstruktur
Seit die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG im Jahr 1898 gegründet wurde,
bestimmen die Kommunen und Landkreise an Rhein und Ruhr die Geschicke des
Unternehmens mit. Schon in den ersten Jahren übernahmen sie Anteile, und noch
heute halten die Kommunen 24 Prozent der RWE AG. Gleichzeitig sitzen sie im
Aufsichtsrat - aktuell mit vier Vertretern.
Die enge Partnerschaft mit den Kommunen hat für RWE traditionell viele Vorteile.
Der Konzern ist wie kein zweiter in der Region verwurzelt, und die Kommunen sind
nicht nur Aktionäre, sondern auch Kunden und Partner. RWE hat in vielen Gemeinden
und Städten die Konzession, die den Betrieb der Netze gestatten, beliefert Stadtwerke
und ist an vielen selbst beteiligt. Die Kommunen sehen sich mit ihrer Beteiligung als
Schutz gegen feindliche Übernahmen.Die einzigartige Aktionärsstruktur sorgte in der
Vergangenheit aber auch immer wieder für Konflikte mit dem Management. Die
kommunalen Vertreter pochten im Aufsichtsrat auf Standortinteressen und
verbündeten sich dabei hin und wieder mit der Arbeitnehmerseite.
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In den vergangenen Monaten ist der Streit wieder eskaliert. Vor allem die Streichung
der Dividende war für die Kommunen ein regelrechter Schock. Viele hatten zwar mit
einer Kürzung gerechnet, nicht aber mit einem Totalausfall. Für die Kämmerer ist das
ein echtes Problem. In den ohnehin klammen Haushalten hatten sie die Dividenden
fest eingeplant. Verglichen mit dem vergangenen Jahr, müssen die kommunalen
Aktionäre auf rund 150 Millionen Euro verzichten. Die Aufspaltung des Konzerns
tragen die Kommunen zwar prinzipiell mit, sie fürchten aber um ihren Einfluss. Die
RWE AG, deren Aktien sie halten, ist schließlich nur noch am Problembereich, den
konventionellen Kraftwerken, und dem Großhandel direkt beteiligt. Das attraktive
Zukunftsgeschäft wird abgespalten. Die Kommunen fordern deshalb auch eine
Vertretung im Aufsichtsrat der neuen Gesellschaft. RWE-Chef Peter Terium lehnt das
zwar strikt ab. Doch die kommunalen Aktionäre wollen den Druck offenbar noch
verstärken. So haben sie in den vergangenen Wochen geprüft, Terium in der
Hauptversammlung die Entlastung zu verweigern. juf.
Schwäche 2: Hoher Braunkohle-Anteil
Sie war Jahrzehnte lang die große Stärke der RWE AG: Die Braunkohleförderung im
rheinischen Revier. Der Konzern konnte den Energieträger im Versorgungsgebiet
selbst fördern und in den benachbarten Braunkohlekraftwerken günstig verfeuern.
Braunkohlekraftwerke sind so günstig wie sonst nur Atomkraftwerke. In beiden
Kraftwerken liegen die Grenzkosten, also die Preise, ab denen sich die Produktion
lohnt, im Schnitt bei 20 bis 25 Euro je Megawattstunde. Bei Steinkohle reicht die
Spanne von 25 bis 35 Euro und bei Gas sogar von 45 bis 55 Euro. Im vergangenen
Jahr produzierte RWE mit seinen Braunkohlekraftwerken 37 Prozent seines Stromes so viel wie mit keinem anderen Energieträger.
Bei den aktuellen Strompreisen von knapp über 22 Euro je Megawattstunde rechnen
sich aber selbst Braunkohlekraftwerke kaum noch. Und auch die letzten Margen
könnten schnell aufgezehrt sein, wenn endlich - wie von der Politik gewünscht - der
Emissionshandel anzieht. Aktuell dümpeln die Preise für Zertifikate, die ein
Stromproduzent für den Ausstoß einer Tonne CO 2 vorweisen muss, bei kaum mehr
als fünf Euro. Spätestens seitdem auf dem Weltklimagipfel in Paris eine Verschärfung
des Klimaschutzes beschlossen wurde ist die EU-Kommission entschlossen, CO 2 Zertifikate zu verteuern. Bei der Verstromung mit Braunkohle fällt so viel CO 2 an
wie mit keinem anderen Energieträger. RWE stößt deshalb so viel CO 2 aus wie kein
zweites Unternehmen in Europa. Im vergangenen Jahr waren es 150,8 Millionen
Tonnen. Das waren zwar fast fünf Millionen Tonnen weniger als vor einem Jahr, für
144 Millionen Tonnen musste RWE aber Zertifikate kaufen. Bei einem Preis je Tonne
von fünf Euro sind 720 Millionen Euro fällig. Steigt der Preis auf 20 Euro - was
Experten fordern - wären es 2,9 Milliarden Euro. Gleichzeitig steigt der Druck, die
Braunkohleförderung schneller zurückzufahren als bisher genehmigt. Nach der
Kernenergie steht nun die Braunkohle im Fokus der Umweltschützer. Sie fordern
einen zügigen Ausstieg. Je schneller RWE die Tagebau-Flächen rekultivieren muss,
desto teurer wird es für den Energiekonzern. juf
Vorstandsvorsitzender der RWE AG
Quelle: Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 18
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RWE findet Langeweile attraktiv
Die neue Tochter wirbt mit dem Netzgeschäft um Investoren. Das liefert solide
Gewinne, läuft aber nicht überall rund.
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Es ist nicht lang her, da empfanden die Energieriesen die Strom- und Gasnetze nur
noch als Last. Während sie mit den großen Kraftwerken üppige zweistellige Renditen
erwirtschafteten, mussten sie im Netzgeschäft mit den Regulierungsbehörden um
jedes Prozent feilschen. Auf dem Heimatmarkt achtet die Bundesnetzagentur penibel
darauf, dass auch Konkurrenten zu fairen Preisen Zugang zu den Leitungen haben. In
den anderen Märkten ist die Aufsicht nicht weniger streng. Die Energiekonzerne
zogen die logische Konsequenz und stellten reihenweise Netzgesellschaften zum
Verkauf. RWE veräußerte 75 Prozent am deutschen Höchstspannungsnetz und das
Ferngasnetz - also jeweils den überregionalen Transport.
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Mit dem dramatischen Margenverfall in der Stromproduktion haben sich die
Verhältnisse radikal geändert. De Renditen, die die Regulierungsbehörden gestatten,
sind zwar nicht üppig - aber immerhin verlässlich. Und auch die Margen, die RWE im
Vertrieb verbucht, helfen, die Bilanz zu retten. Während die Rendite auf das
eingesetzte Kapital (Roce) in der konventionellen Stromerzeugung im vergangenen
Jahr nur noch bei 2,9 Prozent lag und damit deutlich unter den Kapitalkosten von 9,25
Prozent, erzielte RWE auf dem Heimatmarkt in der Sparte Vertrieb Verteilnetze eine
stolze Marge von 11,1 Prozent - bei Kapitalkosten von 7,75 Prozent. Noch besser sieht
es in Ost- und Südosteuropa aus. Dort erreichte RWE bei identischen Kapitalkosten
eine Rendite von 20 Prozent.
Plötzlich gelten das langweilige regulierte Netz- und das umkämpfte
Vertriebsgeschäft als „sexy“. Sie sind jedenfalls die Hauptargumente, mit denen Peter
Terium Investoren für die neue „grüne“Tochtergesellschaft anlocken will: „Das
regulierte Geschäft bietet ein hohes Maß an Sicherheit - und genau das suchen die
Anleger derzeit“, sagte der RWE-Chef im Interview mit dem Handelsblatt. „Eine
angemessene Rendite auf die NewCo-Aktie ist doch besser als Strafzinsen auf dem
Sparbuch.“
RWE mag zwar einzelne Netzgesellschaften verkauft haben, der Konzern betreibt
aber insbesondere in Deutschland noch ein weitverzweigtes regionales Verteilnetz.
Das Unternehmen besitzt hier Stromleitungen mit einer Länge von 330 000
Kilometern - etwa ein Fünftel des gesamten deutschen Netzes. Dazu kommen
Gasleitungen von knapp 50 000 Kilometern - fast ein Zehntel des deutschen
Gasnetzes. Europaweit hat RWE 16,4 Millionen Stromkunden und sieben Millionen
Gaskunden. Bei Strom sieht sich RWE in Deutschland und den Niederlanden als
Marktführer und im umkämpften britischen Markt auf Position drei.
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In Großbritannien muss RWE aber erleben, dass auch der Vertrieb kein Selbstläufer
ist. Dort ist die Tochter N-Power durch Missmanagement in Turbulenzen geraten.
Probleme mit Abrechnung und Service haben Kunden verprellt und hohe Kosten
verursacht. Beim Betriebsergebnis stand zum Jahresende ein Fehlbetrag von 137
Millionen Euro. Im Jahr zuvor war es noch ein Gewinn von 227 Millionen Euro. Der
Roce von 9,5 Prozent, den N-Power 2014, noch geliefert hatte, schmolz komplett ab.
Der britische Vertrieb war 2015 der einzige Bereich mit einer negativen
Kapitalrendite von 5,9 Prozent.
Nicht ganz so schlimm sieht es in Belgien und den Niederlanden aus, aber auch dort
laufen die Geschäfte nicht wie gewünscht. Die Tochter lieferte einen Roce von 8,0
Prozent ab - und verfehlte damit knapp die Kapitalkosten von 8,25 Prozent.
Ende des Jahres will sich Terium komplett auf die Führung des neuen Unternehmens
konzentrieren. Auch auf ihn wartet viel Arbeit. Jürgen Flauger.
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Quelle: Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 20
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Banger Blick aufs Ölkartell
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Die Hoffnung auf eine gebremste Ölproduktion hat den Preis des Rohstoffs zuletzt
nach oben getrieben. Doch das Treffen der Opec-Länder könnte den Aufwärtstrend
stoppen.
Unter der prachtvollen Jugendstil-Glasdecke im Salon „Sandoz“ des Lausanner
Luxushotels Beau Rivage reichten die Sitzplätze nicht aus. Denn es kommt nicht oft
vor, dass Igor Setschin, Chef des russischen Ölkonzerns Rosneft, sich öffentlich zum
Ölpreis äußert. Doch an diesem Dienstag tut er genau das auf einer Rohstofftagung
der „Financial Times“ - wenn auch zurückhaltend. „Der Ölpreis kann nicht lange auf
dem aktuellen Niveau verharren, denn er ist zu tief, als dass die Ölförderer ihre Kosten
decken könnten“, erklärte er. Der Rosneft-Chef rechnet damit, dass das Überangebot
binnen zwei Jahren verschwindet.
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Der seit Mitte 2014 von über 110 Dollar auf rund 40 Dollar abgestürzte Ölpreis setzt
einer Reihe von Staaten zu. Sie sehnen sich nach einem Anstieg. Für das zerstrittene
Ölkartell Opec geht es um noch viel mehr. Können sich seine Mitglieder nicht auf
eine Begrenzung der Fördermenge einigen, bedeutet das einen weiteren Machtverlust
für die Opec, die jahrzehntelang den Markt dominiert hat. Ein bevorstehendes Treffen
der Wiener Organisation mit Russland an diesem Sonntag in Doha hat in den
vergangenen Wochen zwar wieder Hoffnung aufkeimen und den Ölpreis recht kräftig
nach oben schießen lassen. Doch mittlerweile überwiegt schon wieder die Skepsis im
Markt. Das liegt nicht zuletzt an den Fundamentaldaten. Staaten wie der Irak oder
Russland fördern auf Rekordniveau und haben die Produktion zuletzt sogar
ausgeweitet.
Für Staaten wie Russland spitzt sich die Lage immer mehr zu. Wegen des klaffenden
Haushaltsdefizits will sich das Land von 19,5 Prozent der Rosneft-Anteile trennen.
Der Kreml will einen möglichst hohen Preis erzielen. Doch das wird schwer einerseits wegen des niedrigen Ölpreises, andererseits wegen der dringenden Bitte von
Rosneft-Chef Setschin, keine weiteren Anteile an BP zu veräußern, damit die Briten
keine Sperrminorität bekommen. Bisher hält BP 19,75 Prozent an Rosneft. Einen
ähnlichen Stunt plant Saudi-Arabien mit dem Börsengang seines Staatskonzerns Saudi
Aramco. Erst am Dienstag hat die Ratingagentur Fitch sein Rating für das Land auf
AA- und den Ausblick auf „negativ“ gesenkt. Grund ist das 98 Milliarden Dollar
schwere Haushaltsdefizit.
Mit einer Einigung in Doha, so die Hoffnung, könnte der Ölpreis endlich nachhaltig
steigen und damit die klammen Staaten entlasten. Doch einen Durchbruch erwartet
kaum jemand. „Ein reines Festschreiben der Produktion wäre keine Überraschung.
Denn im Moment rechnet niemand damit, dass die Saudis in diesem Jahr die
Förderung noch ausweiten“, sagt Steffen Bukold, Energieexperte des Hamburger
Forschungs- und Beratungsbüros Energycomment. „Iran und Libyen werden mit sehr,
sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mitmachen“, erklärt der Energieanalyst der
Raiffeisen Bank International, Hannes Loacker.
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Derzeit präsentiert sich die Organisation Erdöl fördernder Staaten alles andere als
geeint. Einige Mitglieder misstrauen Saudi-Arabien, dem größten Förderer innerhalb
der Opec. Die Befürchtung: Riad geht es vor allem um die weitere Schwächung der
iranischen und russischen Wirtschaft, um nach wie vor die Rolle einer
Hegemonialmacht im Nahen Osten spielen zu können. „Saudi-Arabien könnte den
Ölhahn auch noch weiter aufdrehen, wenn eine Einigung auf eine Obergrenze
ausbleiben sollte. Die Motive dafür könnten politisch motiviert oder wirtschaftlich
getrieben sein“, spekuliert Raiffeisen-Rohstoff-Experte Loacker.
Indes ist unklar, ob Irans Ölminister am Sonntag persönlich nach Doha kommt - oder
nur einen Stellvertreter schickt. „Iran wird seine Linie durchziehen und die Produktion
wie geplant ausweiten. Das wird mittlerweile auch in der Opec akzeptiert“, ist sich
Experte Bukold sicher. Das kürzlich erst langjährigen Wirtschaftssanktionen
entronnene Land fördert derzeit 3,2 Millionen Barrel (159 Liter) und will die
Produktion um weitere 800 000 Barrel ausweiten.
Damit wird der Druck auf den Markt weiter steigen. Laut ihrem am Mittwoch
veröffentlichten Monatsbericht erwartet die Opec einen Anstieg der globalen
Nachfrage im laufenden Jahr um 1,2 Millionen Barrel pro Tag. Das liegt um etwa 50
000 unter vorherigen Prognosen. Die Zurückhaltung ist in erster Linie dem
langsameren Wachstum in China und Lateinamerika geschuldet. Die Opec schätzt,
dass bei einer weltweiten Nachfrage von knapp 93 Millionen Fass pro Tag 31,5
Millionen aus ihrer Förderung gebraucht werden. Das Problem: Die Mitgliedstaaten
der Organisation produzieren aktuell 32,25 Millionen Fass. Einen rasch steigenden
Ölpreis sieht auch der russische Wirtschaftsminister, Alexej Uljukajew, nicht: „Ich
glaube, dass er zwar kurzfristig etwas anzieht, auf 40 bis 50 Dollar. Aber danach wird
er nicht weiter steigen“, sagte er dem Handelsblatt. So werde etwa die Nachfrage aus
China und anderen Schwellenländern niedriger bleiben als früher, weil sie ihre
Wirtschaft auf Dienstleistungen umbauen. „Dazu kommt das Wachstum der
erneuerbaren Energien.“
Rohstoffhändler hingegen glauben mittelfristig an eine Ausbalancierung des Markts.
„Die Frage ist nicht, ob dieser Ausgleich stattfindet, sondern wann. In diesem
Anpassungsprozess wird der Preis aber stark schwanken“, sagte Torbjörn Törnqvist,
Vorstandschef des Genfer Ölhändlers Gunvor auf dem Branchentreff in Lausanne.
Seiner Ansicht nach würde der Anpassungsprozess noch „einige Zeit“ in Anspruch
nehmen. Alex Beard, Chefölhändler bei Glencore, und Trafigura-Chef Jeremy Weir
rechnen bereits für die zweite Jahreshälfte damit, dass sich Angebot und Nachfrage
ausgleichen werden. Beard schränkte zugleich ein: Noch würden riesige Lager auf
dem Markt lasten. „Um eine durchgreifende Preisrally zu bekommen, müssen diese
erst abgearbeitet werden“, sagte er. Um die Ausbalancierung voranzutreiben, bräuchte
es statt der nun diskutierten Deckelung der Fördergrenze vielmehr eine Kürzung.
Doch die steht nicht zur Debatte. Auf die Frage nach einer möglichen Kürzung blaffte
der saudische Ölminister Ali al-Naimi einen saudischen Reporter an: „Vergessen Sie
das Thema.“
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Erst vor wenigen Tagen hatte der stellvertretende Kronprinz von Saudi-Arabien
gesagt, dass sein Land zum Einfrieren der Ölproduktion nur dann bereit sei, wenn sich
auch Iran - als traditioneller Gegenspieler der Saudis in der Opec - beteiligt.
Selbst wenn es zu einer Einigung am Sonntag in Doha kommt, bleibt der Ölpreis eine
Variable mit vielen Unbekannten. Nicht nur Iran gilt als unberechenbar. Auch
Libyen, Irak, Kanada oder Brasilien könnten ihre Förderung ausweiten. Das größte
Fragezeichen steht aber hinter den USA. Die immer wieder von Experten totgesagte
Schieferölproduktion hat sich erstaunlich gut gehalten. Nach Schätzungen der
amerikanischen Energiebehörde zur Schieferölproduktion soll im Mai die Förderung
lediglich um 114 000 Fass auf 4,84 Millionen Barrel pro Tag sinken. Noch ist der
Trend rückläufig. „Bei Preisen oberhalb von 50 Dollar könnte sich dies allerdings
ändern“, kommentiert der Rohstoff-Analyst Carsten Fritsch von der Commerzbank.
Quelle: Siebenhaar, H.-P./Alich, H./Brüggmann, M./Streit, M., Handelsblatt, Nr. 072, 14.04.2016, 26
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Saudi-Arabien: Große Pläne, leere Kasse
Das Öl-Land soll modernisiert werden - doch im Haushalt klafft eine Lücke.
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Einen 23 Milliarden Dollar schweren Deal konnte Saudi-Arabien gerade abschließen:
Fünf Jahre lang wird das ölreiche Königreich an Ägypten 700 000 Tonnen Ölprodukte
pro Monat liefern. Positive Nachrichten wie diese braucht das Land derzeit
händeringend. Denn sonst gibt es fast nur Rückschläge zu vermelden: So hat inmitten
der angelaufenen Welle großer Kreditaufnahmen die Ratingagentur Fitch die Bonität
Saudi-Arabiens herabgesetzt und glaubt offenbar auch nicht an schnelle Besserung:
Der Ausblick wurde auf „negativ“ gesetzt.
Der Grund dafür ist im saudischen Haushalt zu finden: Wegen des stark gefallenen
Ölpreises klaffte nach Jahren großer Überschüsse 2015 ein Loch von 14,8 Prozent des
Bruttoinlandprodukts. Und, so die Fitch-Analysten, dies werde sich in diesem Jahr
kaum ändern. Das Wirtschaftswachstum - 2015 noch 3,4 Prozent - werde sich dieses
Jahr auf 1,5 Prozent verlangsamen. Um den im Zuge des „arabischen Frühlings“
angeschobenen gigantischen Ausbau der Infrastruktur in einem Umfang von fast einer
Billion Dollar finanzieren zu können, hat das Königreich bereits begonnen, Milliarden
bei heimischen Banken aufzunehmen. Außerdem plant es große Anleihe-Emissionen
an den internationalen Finanzmärkten.
Der Grund: Der neue König Salman hat als einziger Herrscher eines arabischen
Petrostaats eine große und junge Bevölkerung von 30 Millionen Menschen zu
versorgen. Viele davon suchen Jobs. Zwar produziert Saudi Aramco, der weltgrößte
Ölförderer, nach Angaben eines hochrangigen saudischen Offiziellen, „auch bei einem
Ölpreis von zehn Dollar profitabel“. Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt Riad
allerdings Einnahmen von ungefähr 96 Dollar pro Fass Rohöl (159 Liter).
Die Öleinnahmen machen laut der Ratingagentur Standard & Poor's (S & P) 2015 nur
noch 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, im Jahr zuvor waren es noch 42
Prozent. S & P bewertet die Lage Saudi-Arabiens zwar etwas positiver als Konkurrent
Fitch, sieht aber „genauso Risiken wie Chancen“: Wachstumspotenzial durch
Reformen, aber auch eine Verschärfung der Haushaltslage oder noch mehr regionale
politische Instabilität.
Derweil plant Vizekronprinz Mohammed Bin Salman den großen Umbau des
Königreichs am Golf: Tiefgreifende Reformen sind angestrebt, sogar ein erster kleiner
Börsengang mit etwa fünf Prozent der Aktien von Saudi Aramco und der geplante
Aufbau des mit zwei Billionen Dollar gefüllten größten Staatsfonds der Welt - für die
Zeit nach der Öl-Ära. Die Privatisierung von 146 Staatsfirmen ist bereits beschlossene
Sache. Auch die Unternehmensberatung McKinsey sieht für Riad die Chance, mit
Hilfe konsequenter Reformen bis 2030 die Wirtschaftskraft zu verdoppeln.In SaudiArabien liege die Chance in der „kompletten Neuordnung der Wirtschaft“, sagte Fahd
Al-Rasheed, Managing Director der King Abdullah Economic City bei Dschidda, dem
Handelsblatt. Der drastische Abbau von Subventionen, die Diversifizierung der
Ökonomie weg von der Ölabhängigkeit und eine Privatisierungswelle führten „zu
einem deutlich gestiegenen globalen Interesse an Saudi-Arabien“.
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Dabei tobt ein Preiskampf mit dem Rivalen Iran: National Iranian Oil Company
(NIOC) verkauft gerade seine Ölsorte Forozan Blend nach Asien deutlich unter dem
Preis, den der weltgrößte Ölförderer Saudi Aramco für sein Arab Medium verlangt.
Während Riad mittlerweile für eine Preisstabilisierung zur Fördermengenbegrenzung
bereit scheint, verkündet Irans Ölminister Bijan Namdar Zanganeh: „Wir werden bis
Ende 2017 vier Millionen Barrel täglich produzieren.“ Das sei Irans „gutes Recht“.
Denn die Sanktionen hätten zum Einbruch der Förderung von 3,9 auf 2,7 Millionen
Fass Rohöl täglich geführt.
Im Februar und März hat der zweitgrößte Opec-Förderstaat seine Produktion bereits
um 0,3 auf 3,2 Millionen Barrel am Tag erhöhen können. Iran und Saudi-Arabien
liefern sich einen heftigen Machtkampf um die Vorherrschaft in der in Schiiten und
Sunniten gespaltenen islamischen Welt.
Quelle: Brüggmann, M., Handelsblatt, Nr. 072, 14.04.2016, 27
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Hartes Ringen um den Ölpreis
Mächtige Produzenten verhandeln in Doha, um eine weitere Verbilligung des
Rohstoffs zu verhindern.
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So viel Aufmerksamkeit hat das Ölkartell Opec schon lange nicht mehr auf sich
gezogen. Mit Spannung hat die gesamte Finanzwelt das Treffen wichtiger OpecMitglieder mit anderen Öl-Förderländern am gestrigen Sonntag im katarischen Doha
verfolgt. Bis Redaktionsschluss konnten sich die Länder nicht auf eine gemeinsame
Linie einigen. Das liegt auch daran, dass ein wichtiger Ölproduzent dem Treffen
ferngeblieben ist: das Opec-Land Iran. Diese Gemengelage dürfte den Ölpreis nicht
gerade stützen.
Insgesamt 16 ölfördernde Staaten, darunter Schwergewichte wie das Opec-Land
Saudi-Arabien und Nichtmitglied Russland, haben sich in Doha getroffen - um den
Rückgang des Rohölpreises endlich zu stoppen, unter dem die Ölproduzenten seit
2014 leiden. Vor allem die Saudis sollen aber die Latte für eine Einigung immer höher
gelegt haben, sagen Informierte. Der Streit offenbart, wie tief gespalten die Opec ist.
„Schon seit Monaten ist die Opec zerstritten“, betont Eugen Weinberg, Chef des
Rohstoffresearchs der Commerzbank. „Es ist ein fehlgeschlagenes Kartell.“ Alle
wollten zwar höhere Preise, aber keiner sei bereit, etwas dafür zu tun. Um die Preise
stabilisieren zu können, hätten alle 13 Mitglieder der Organisation Erdöl
exportierender Länder, Opec, an einem Strang ziehen müssen.
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Seit fast zwei Jahren steht der Rohölpreis weltweit unter Druck. In Europa hat sich Öl
der Nordseesorte Brent von rund 115 Dollar je Barrel (159 Liter) um rund zwei Drittel
verbilligt auf gut 40 Dollar. Zeitweise rutschte der Preis sogar unter 30 Dollar - auf
den tiefsten Stand seit mehr als sechs Jahren. Doch vor dem Treffen in Doha war
Hoffnung auf eine Drosselung der Produktion geweckt worden. Spekulationen trieben
den Preis um acht Dollar.
Schon im Februar hatten sich wichtige Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, Venezuela
und Russland darauf verständigt, die Ölförderung auf dem Niveau vom Januar
einzufrieren. Allerdings machte vor allem Saudi-Arabien, der weltweit größte
Ölexporteur, den Beschluss davon abhängig, dass sich weitere Exporteure anschließen
würden. Das schmälert den Wert eines Abkommens von vornherein.
Die Saudis zielen damit insbesondere auf den Erzrivalen Iran. Kronprinz Mohammed
bin Salman, offizieller Vertreter der Saudis in Doha, hatte betont, dass sein Land die
Förderung nur dann deckeln werde, wenn alle großen Länder mitzögen, auch Iran.
Saudi Arabien als weltgrößter Ölproduzent könne sein Volumen bei 10,3 bis 10,4
Millionen Barrel pro Tag einfrieren. Zugleich drohte der Kronprinz aber, dass das
Königreich die Kapazität auch schnell bis auf 11,5 Millionen Barrel pro Tag
hochfahren könne: „Ich sage nicht, dass wir mehr produzieren sollten, aber wir
könnten mehr produzieren.“
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„Schon dass Iran nicht dabei ist, lässt tief blicken“, erklärt Frank Schallenberger, Chef
des Rohstoffresearchs der Landesbank Baden-Württemberg. Er hält eine Annäherung
zwischen den Saudis und Iran für nahezu ausgeschlossen. Iran hatte von vornherein
eine Deckelung der Produktion abgelehnt, da es von der Aufhebung der Sanktionen
nach dem Atomabkommen profitieren wolle. Das Land fördert täglich immer noch
eine Million Barrel Öl weniger als vor den Sanktionen. Den Ausfall der iranischen
Förderung hatten vor allem die Saudis aufgefangen.
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Diskrepanzen in der Opec sind nicht neu. Schon in der Vergangenheit wollten Länder
wie Venezuela, Iran oder Irak vor allem ihre Staatskassen durch möglichst hohe
Mineralöleinnahmen auffüllen. Die Saudis hatten dagegen eine gemäßigtere Haltung
vertreten. Dahinter steckte die Sorge, dass zu hohe Preise die Nachfrage bremsen
könnten. Wegen des Preisverfalls stehen aber inzwischen alle Länder unter Druck.
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Zumindest kurzfristig dürften also die Ölpreise niedrig bleiben. „Das Überangebot
von etwa 1,5 Millionen Barrel am Tag bleibt bestehen“, sagt Stratege Schallenberger,
„zumal die Saudis ihr Ziel, die amerikanische Schieferölförderung zu verdrängen,
nicht erreicht haben.“ Saudi-Arabien hatte die Produktion stetig erhöht, um die USSchieferölförderer unrentabel zu machen. Strategen rechnen daher mit einem
Rückgang des Ölpreises unter 40 Dollar. Bis Ende 2016 hält aber Weinberg wieder
gut 50 Dollar für möglich.
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Quelle: Palm, R., Handelsblatt, Nr. 074, 18.04.2016, 28
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Opec: Chaos mit Ansage
Das zerstrittene Ölkartell kann sich nicht auf eine Deckelung der Produktion einigen.
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Der Verhandlungsmarathon brachte kein Ergebnis und wurde zur großen
Enttäuschung. Auch nach stundenlangen Diskussionen konnten sich die
Ölförderländer im katarischen Doha nicht auf eine Begrenzung der Ölförderung
einigen. Saudi-Arabien pochte darauf, dass auch Iran einen Kompromiss
unterschreibt. Doch dessen Vertreter reisten erst gar nicht an. So mussten 16
Ölminister der Organisation Erdöl exportierender Staaten (Opec) und Vertreter einiger
Nicht-Opec-Länder wie Russland am Sonntag unverrichteter Dinge wieder
heimfliegen - ohne die erhoffte Lösung im Gepäck.
Die Rohstoffmärkte reagierten zunächst geschockt. Der Preis für ein Barrel (159 Liter)
der Sorte Brentöl rauschte am frühen Montag um bis zu sieben Prozent oder drei
Dollar nach unten. Im Verlauf stabilisierte er sich bei 40 Dollar und kletterte am
Abend wieder über die Marke von 42 Dollar. Vor dem Treffen hatten viele Händler
auf einen Kompromiss gesetzt und den Preis je Fass um acht Dollar nach oben
getrieben.
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Was bedeutet die geplatzte Konferenz für die Opec?
„Das Scheitern ist nicht gut für die Glaubwürdigkeit der Ölproduzenten“, sagt Christof
Rühl, Chef der Research-Abteilung der Abu Dhabi Investment Authority (ADIA),
einem der größten Staatsfonds der Welt, dem Handelsblatt. Bereits vor dem Treffen
hatte der Ölhistoriker und Vizepräsident des Energieberatungsunternehmens IHS,
Daniel Yergin, das Ende der Opec als wirtschaftliche Weltmacht angekündigt. Er
sollte recht behalten. Die Opec ist zerstritten. Das gilt besonders für die völlig
zerstrittenen Länder Saudi-Arabien und Iran. „Die Fronten scheinen verhärtet“, sagt
Rühl, der bis Mitte 2014 Chefvolkswirt des britischen Ölkonzerns BP war. Ohnehin
pocht Iran darauf, nach dem Ende der Sanktionen durch den Westen in diesem Jahr
seine Ölförderquote wieder zu steigern. Dies war allen Teilnehmern bekannt. „SaudiArabien hat somit eine Einigung bewusst torpediert und ein Scheitern billigend in
Kauf genommen“, sagt Eugen Weinberg, Chef-Rohstoffanalyst der Commerzbank.
Das Scheitern in Doha bezeichnet er als „Fiasko“.
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Was bedeutet das Scheitern für die Staatshaushalte?
In der Opec rumort es nicht nur zwischen Saudi-Arabien und Iran. „Venezuela und
Nigeria befinden sich in einer Krise“, sagt Per Magnus Nysveen, Seniorpartner der
norwegischen Ölberatungsfirma Rystad, dem Handelsblatt. Die Länder sind stark von
den Öleinnahmen abhängig - und drängen auf eine Begrenzung des Angebots, um den
Preis zu treiben. Aktuell übersteigen ihre Produktionskosten den Marktpreis.
Venezuela etwa benötigt 110 bis 120 Dollar je Barrel, um seinen Staatshaushalt
auszugleichen. „Hinzu kommt, dass diese Staaten kaum Vermögenswerte haben, um
die anhaltende Baisse abzufedern“, sagt Josef Auer, Analyst der Deutschen Bank.
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Wie geht es jetzt weiter?
Der Oman, das größte Nicht-Opec-Förderland am Persischen Golf, bietet im Konflikt
zwischen Iran und Saudi-Arabien seine Vermittlungsdienste an. „Wir müssen
schauen, was gut für uns alle ist“, sagte der omanische Öl- und Gasminister
Mohammed Al Rumhy der Nachrichtenagentur Bloomberg. Das Angebot ist alles
andere als uneigennützig: Nach Berechnungen der Deutschen Bank braucht der
Golfstaat einen Ölpreis von knapp 90 Dollar für einen ausgeglichenen Haushalt.
Wie wahrscheinlich ist eine spätere Einigung?
Russland hat bereits angekündigt, weiter mit Saudi-Arabien verhandeln zu wollen.
Seit Februar dieses Jahres kommen immer wieder Gerüchte über mögliche
Fördergrenzen auf. Passiert ist nichts. Allein Russland fördert so viel wie seit Zeiten
der Sowjetunion nicht mehr. Das nächste Opec-Treffen findet im Juni statt. Eine
vorherige Einigung gilt als unwahrscheinlich. „Selbst wenn es dann zu einer
Begrenzung kommen sollte, wird das kaum einen Effekt haben“, sagt Rystad-Partner
Nysveen. Schon Ende des Jahres könnten sich Angebot und Nachfrage
ausbalancieren, schätzt er. Von großen Mitgliedern wie Saudi-Arabien oder den
Vereinigten Arabischen Emiraten einmal abgesehen könne die Opec ohnehin kaum
noch ihre Förderung steigern. „Selbst bei Russland, das erst im März mit 10,9
Millionen Barrel pro Tag einen neuen Förderrekord meldete, flacht die
Steigerungskurve ab“, erklärt Nysveen.
Was heißt das für die Verbraucher?
In der Theorie anhaltend billiges Öl. In der Praxis wird diese Hoffnung den
Verbrauchern im Moment aber durch Streiks von Ölarbeitern in Kuwait genommen:
Sie sorgen für einen erheblichen Rückgang der Förderung. Nach Schätzungen eines
Sprechers der Kuwait Oil Company fiel die Produktion von täglich 2,8 Millionen auf
1,1 Millionen Barrel. Das dürfte den Einbruch des Ölpreises bereits direkt nach dem
Scheitern der Gespräche zusätzlich gemildert haben. Ein großer Preisrückgang an den
Tankstellen ist deshalb kaum zu erwarten. Mittelfristig erwarten Experten sogar
anziehende Preise. „Es gibt deutliche Signale, dass der Boden erreicht worden ist“,
sagte Energieexperte Rühl. Mit seiner Einschätzung steht er nicht allein da. „Bis Ende
dieses Jahres könnte der Preis wieder auf 50 Dollar steigen. 2018 könnte es bis auf 70
Dollar nach oben gehen“, erwartet etwa Deutsche-Bank-Analyst Auer.
Quelle: Streit, M./Palm, R., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 34
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Förderländer: Milliarden-Einbußen für die Königskinder
Die Golfstaaten stehen vor gewaltigen Haushaltslöchern. Ratingagenturen senken
ihre Bonitätsbewertung deutlich.
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Zu einem kleinen Schnitt bei der globalen Ölförderung kam es am Montag nach der
gescheiterten Sitzung des Opec-Ölkartells über eine Produktions-Mengenbegrenzung
doch noch: Kuwait fuhr seine Förderung von den normalen drei Millionen Barrel pro
Tag auf 1,1 Millionen Fass herunter. Aber nicht, um doch noch eine gemeinsame
Lösung für den Konflikt zu finden - sondern, weil ein Großteil der kuwaitischen
Ölarbeiter in einen Streik getreten ist aus Protest gegen geplante Kürzungen bei
Staatsfirmen und im öffentlichen Dienst. Dazu ist Kuwait wie die meisten GolfStaaten gezwungen wegen des massiven Wegbrechens der Staatseinnahmen infolge
des eingebrochenen Ölpreises. Zudem haben die Regenten dort und in den Vereinigten
Arabischen Emiraten, in Saudi-Arabien und anderen Staaten bereits die massiven
Benzin-, Wasser- und Stromsubventionen gekürzt. Das führte zu negativen
Reaktionen in der Bevölkerung. Hinzu kamen Enttäuschungen über großen
Arbeitsplatzabbau erstmals seit vielen Jahren und Lohnkürzungen.
Ungeachtet der gescheiterten Ölförderbremse will Saudi-Arabien nun am 25. April
sein „Programm für die Zeit nach dem Öl“ vorstellen und damit den größten
Umbauplan in der Geschichte des Landes. Dabei sollen 146 Staatsfirmen privatisiert
werden - darunter sogar die Börse Tadawul. Saudi Aramco, der weltgrößte Ölförderer,
soll teilprivatisiert und in ein Industriekonglomerat umgewandelt werden. Hinzu
kommt der Aufbau des mit zwei Billionen Dollar gefüllten weltgrößten Staatsfonds.
„Wir wollen nicht mehr abhängig vom Ölpreis sein“, begründete Vize-Kronprinz
Mohammed bin Salman den Plan. So solle das Königreich jährlich Wachstumsraten
von drei bis fünf Prozent erreichen.
Derzeit sieht die Lage deutlich trüber aus: 2015 kam das Land auf ein Haushaltsdefizit
von 98 Milliarden Dollar - 14,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dabei war Riads
Wirtschaft 2015 noch um 3,4 Prozent gewachsen. Für dieses Jahr rechnet der
Internationale Währungsfonds mit nur noch 1,2 Prozent Wachstum und 1,9 Prozent
2017. Diese Lage verschärft den Druck, an internationale Finanzmärkte zu gehen und
dort Anleihen zu platzieren.
Doch dies dürften sich Investoren teuer bezahlen lassen, da die Ratingagenturen die
Bonität der meisten Golf-Staaten deutlich herabgestuft haben. Denn Analysten
erwarten einen Anstieg des Haushaltsdefizits der sechs Staaten des GolfKooperationsrates (GCC) auf durchschnittlich 12,5 Prozent. Schlusslicht ist dabei
Bahrain, wo das Haushaltsloch auf 35 Prozent steigen könnte. Die Ratingagentur
Moody's hat Bahrains Bonität bereits auf „Ramschniveau“ herabgesetzt.2016 und
2017 müssen die GCC-Staaten Kredite im Umfang von 94 Milliarden Dollar
zurückzahlen oder refinanzieren laut Analysten von HSBC. Für dieses Jahr rechnet die
Ratingagentur Standard & Poor's mit Kreditaufnahmen der Golfstaaten und
Nordafrikas in Höhe von 134 Milliarden Dollar. Mathias Brüggmann
Quelle: Brüggmann, M., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 34
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Der Kohle-Krimi
Der tschechische Konzern EPH greift nach dem ostdeutschen Revier von Vattenfall.
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Es ist alles angerichtet. Am Sonntag kommt in Schweden der Aufsichtsrat von
Vattenfall zusammen, um über den geplanten Verkauf der Braunkohle-Aktivitäten in
Ostdeutschland zu beraten. Am Montag muss dann der Aufsichtsrat der deutschen
Tochter den Plänen zustimmen. Wenn sich der Energiekonzern tatsächlich für einen
Verkauf entscheidet, wird dann der neue Eigentümer verkündet: Die angebotene
Braunkohleförderung und mehrere Kraftwerke werden aller Wahrscheinlichkeit nach
von der tschechischen Energeticky aPrumyslovy Holding (EPH) übernommen. Die
Beteiligten lehnen zwar einen Kommentar ab, in mit der Transaktion vertrauten
Kreisen wird davon aber fest ausgegangen. Es gab ohnehin nicht viele Interessenten.
Die Braunkohleförderung von Vattenfall ist die zweitgrößte in Deutschland. EPH
gehört bereits das drittgrößte Unternehmen, Mibrag, das ebenfalls in Ostdeutschland
ansässig ist. Während in Westdeutschland, im rheinischen Revier, RWE baggert, wird
der Abbau im Osten also - wenn die Aufsichtsräte zustimmen - künftig komplett EPH
gehören. Noch ist der Deal nicht besiegelt - schon wird er zum Politikum. Im
Hintergrund werden Zweifel gestreut, ob EPH in der Lage ist, die Braunkohle auch
über Jahrzehnte hinweg zu betreiben - und vor allem den absehbaren geordneten
Ausstieg aus der Förderung zu gewährleisten.
Die Frage werde sehr ernst genommen, erfuhr das Handelsblatt aus Kreisen der
Landesregierung von Sachsen, wo neben Brandenburg ein Großteil der
Braunkohlefelder liegen. Die Länder haben vor allem die Interessen der rund 8 000
Mitarbeiter in teilweise strukturschwachen Regionen im Blick. Gleichzeitig pochen
sie darauf, dass der neue Eigentümer den Rückbau und die Rekultivierung der fünf
Kohlefelder finanzieren kann. Das Ende der Förderung ist schließlich absehbar.
Wegen des Klimaschutzes dürfte die Förderung in den Jahren nach 2030 auslaufen.
Dafür sind Milliarden notwendig, wobei die Belastungen mit der Zeit steigen - je
näher das endgültige Aus rückt. In mit der Transaktion vertrauten Kreisen wird die
Summe, die über die Jahre fällig werden könnte, auf 3,5 Milliarden Euro beziffert.
Vattenfall habe dafür in der Bilanz 1,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Diese Summe
werden die Schweden dem Käufer überweisen müssen.
Das Problem: Noch Ende 2014, als Vattenfall den Prozess gestartet hat, war davon
auszugehen, dass die Aktivitäten noch einige Jahre ordentliche Gewinne abwerfen.
Braunkohle ist schließlich ein vergleichsweise günstiger Energieträger. Damals
kostete Strom im Großhandel noch mehr als 30 Euro je Megawattstunde. In der
Zwischenzeit ist der Preis im Terminmarkt der Energiebörse EEX aber abgestürzt. Für
die Jahre 2017 bis 2021 kostet die Megawattstunde nur noch gut 22 Euro. Bei diesen
Preisen dürften die drei Braunkohlekraftwerke, die Vattenfall mit verkauft, in die
Verlustzone rutschen.
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Ab 2022, wenn das letzte Kernkraftwerk vom Netz geht, könnten die Preise zwar
wieder anziehen. Bis dahin ist aber eine Durststrecke zu überwinden - und ob dann
tatsächlich solide Erträge anfallen, bleibt abzuwarten. EPH ist wohl bereit, einen
kleinen Preis für die Aktivitäten zu bezahlen. Da Vattenfall im Gegenzug die
Rückstellungen einbringen muss, wird es für die Schweden vermutlich so oder so ein
Zuschussgeschäft werden. „Aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken
ohne Ende“, sagt der Manager eines Konkurrenten. Je nachdem wie schlecht sich der
Markt entwickle, könnte das Geld, das Vattenfall für die Rückbau-Verpflichtungen
einbringe, aber durch die Defizite im laufenden Betrieb aufgezehrt werden.
Die Schweden hatten eine Alternative auf dem Tisch, die dieses Problem gelöst hätte:
Der Stromproduzent Steag und der Finanzinvestor Macquarie hatten eine Stiftung
vorgeschlagen, die die Mittel für den Rückbau gesichert hätte. Die Variante wäre für
Vattenfall aber noch einmal teuer geworden: Der Konzern sollte wegen der niedrigen
Strompreise noch einmal 1,5 Milliarden Euro einbringen, hieß es in den mit der
Transaktion vertrauten Kreisen.
Weder Vattenfall noch EPH wollten sich zu der Problematik äußern. In Kreisen von
Vattenfall wurde aber betont, dass der Konzern natürlich auf verbindliche Zusagen des
Käufers dringe. Die Politik ist aufgeschreckt. Es müsse sichergestellt sein, dass die
Zusagen von Vattenfall mit Blick auf die Renaturierung der Braunkohle-Tagebaue
und mit Blick auf den Erhalt von Jobs „eins zu eins“ auch für den neuen Betreiber
gelten, hieß es in sächsischen Regierungskreisen. „Sollten die Rückstellungen am
Ende nicht sicher zur Verfügung stehen, blieben die Lasten am Ende womöglich bei
den Ländern hängen. Es müssen verlässliche Vorkehrungen getroffen werden, damit
das nicht passieren kann“, hieß es in den Kreisen weiter. An diesem Punkt werde man
keinerlei Abstriche machen und notfalls den Finger in die Wunde legen.
Quelle: Siebenhaar, H.-P./Stratmann, K./Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 073, 15.04.2016, 24
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Braunkohle zum Spottpreis
Der Energiekonzern Vattenfall bekommt für seine Aktivitäten in Ostdeutschland nur
einen symbolischen Preis.
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Das Gebot von Greenpeace war für Vattenfall-Chef Magnus Hall eine reine
Provokation. Im vergangenen Oktober mischten sich die Umweltschützer ungebeten
in den Verkaufsprozess für die Braunkohlesparte des schwedischen Energiekonzerns
in Ostdeutschland ein. Greenpeace bot aber nichts anderes an, als die Aktivitäten
abzuwickeln - und verlangte dafür auch noch Geld. Denn wert, so Greenpeace, sei der
Klimakiller Nummer eins nichts mehr.
Jetzt hat Hall doch noch einen Käufer gefunden, wie das Unternehmen am Montag
mitteilte: Der tschechische Energiekonzern Energeticky aPrumyslovy Holding, kurz
EPH, wird gemeinsam mit dem Finanzpartner PPF Investments Ltd die fünf
Kohlegruben in der Lausitz übernehmen und dazu noch drei Kohlekraftwerke und
eine 50-Prozent-Beteiligung an einem weiteren Kraftwerk. Die finanziellen
Bedingungen sind aber nicht wirklich besser als bei der Greenpeace-Offerte.
Vattenfall erhält allenfalls einen symbolischen Kaufpreis - und muss eine
Milliardensumme einbringen, um die Verbindlichkeiten abzudecken. Die Sparte wird
mit Barmitteln von 1,7 Milliarden Euro ausgestattet, wie EPH und PPF betonten. In
der Bilanz von Vattenfall wird sich der Verkauf nach eigenen Angaben mit einem
Verlust von bis zu drei Milliarden Euro niederschlagen. Ein weiteres Engagement in
der Braunkohle könnte aber noch teurer werden, erklärte Hall: „Wir sehen erhebliche
Risiken bei der Entwicklung der Großhandelspreise für Strom, und wir müssen
politische Risiken beachten.“
Die Braunkohle ist schließlich alles andere als attraktiv. Zum einen übernehmen die
Tschechen ein Geschäft mit begrenzter Laufzeit. Es ist klar, dass die Förderung in den
Jahren nach 2030 auslaufen wird. Braunkohle wird langfristig nicht zur Energiewende
passen. Zum anderen hat sich die Rentabilität der Braunkohlekraftwerke radikal
verschlechtert. Noch Ende 2014, als Vattenfall den Verkaufsprozess startete, war
davon auszugehen, dass sie noch einige Jahre ordentliche Gewinne abwerfen. Damals
kostete Strom im Großhandel noch mehr als 30 Euro je Megawattstunde. In der
Zwischenzeit ist der Preis im Terminmarkt abgestürzt. Für die Jahre 2017 bis 2021
kostet die Megawattstunde nur noch 22 Euro.
Vattenfall-Chef Hall wird deshalb froh sein, überhaupt einen Käufer gefunden zu
haben. Neben EPH hatte nur die ebenfalls aus Tschechien stammende
Kohlegesellschaft Czech Coal öffentlich ein Gebot bestätigt. Auf dem Tisch hatte das
Vattenfall-Management bis zuletzt aber auch das Angebot des deutschen
Stromproduzenten Steag und des Finanzinvestors Macquarie liegen, die Vattenfalls
Aktivitäten in eine Stiftung einbringen wollten.
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EPH setzt darauf, dass die Strompreise ab 2022, nach dem Atomausstieg, wieder
anziehen werden. In mit der Transaktion vertrauten Kreisen wird dies jedoch
bezweifelt. Es wird stattdessen vor Risiken für die 7 500 betroffenen Mitarbeiter und
den Steuerzahler gewarnt.
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EPH übernimmt schließlich die Verantwortung für den geordneten Ausstieg aus dem
Braunkohletagebau. Die Felder müssen zurückgebaut und rekultiviert werden. EPH
beziffert die Verbindlichkeiten insgesamt - für Rekultivierung, Pensionen und andere
Verpflichtungen - mit zwei Milliarden Euro.
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„Wegen der derzeit schwierigen Marktbedingungen war es eine Kernfrage in den
Verhandlungen, dass das Unternehmen mit ausreichend Cash-Reserven ausgestattet
wird“, betonte EPH-Vorstand Jan Springl. Das Konsortium will in den kommenden
Jahren auf Dividenden verzichten. EPH gehört schon die Mitteldeutsche
Braunkohlegesellschaft (Mibrag). Damit werden die Tschechen künftig im Osten
komplett für den Abbau des Energieträgers verantwortlich sein, im Westen fördert
RWE Braunkohle.
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Noch ist der Deal nicht perfekt. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich kündigte
an, bis zum Abschluss auf die Interessen des Landes zu achten: „Ich erwarte von
Vattenfall im weiteren Verkaufsverfahren, dass nicht nur der Erlös im Blickpunkt
steht, sondern auch die Verpflichtungen und Bekenntnisse des Neuerwerbers für die
Region Berücksichtigung finden.“ Auch die schwedische Regierung muss noch
zustimmen: Schwedens Wirtschaftsminister Mikael Damberg erklärte, dass er und die
rot-grüne Regierung den vorgeschlagenen Verkauf prüfen werden. „Das wird einige
Monate dauern“, sagte er auf einer Pressekonferenz in Stockholm. „Das ist eine
komplizierte Transaktion, die auch finanzielle Effekte kurz- und langfristig hat.“
Quelle: Flauger, J./Hubik, F./Siebenhaar, H.-P./Steuer, H., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 14
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Jan Sringl (EPH): „Unser Interesse ist langfristig“
Die Nummer zwei von EPH erklärt, warum der Konzern in Braunkohle investiert.
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Herr Springl, warum investieren Sie denn noch in Braunkohle?
Weil wir an die Zukunft von Braunkohle glauben. Aktuell hat Braunkohle einen
Anteil von 25 Prozent an der Stromproduktion in Deutschland, und wir glauben, dass
der Anteil auch noch für lange Zeit hoch sein wird. Deutschland kann es sich nicht
leisten, nach der Kernenergie auch auf Kohle zu verzichten. Wenn in ein paar Jahren
das letzte Kernkraftwerk vom Netz ist, benötigen wir Kohlekraftwerke, um die
Stromversorgung abzusichern. Das Angebot der erneuerbaren Energien schwankt zu
stark.
Wie lange wird EPH in Ostdeutschland noch Kohle fördern?
Wir gehen von mindestens 20 Jahren aus. Das hängt aber letztlich von den politischen
Rahmenbedingungen ab. Wir sind natürlich zu Gesprächen bereit.
Und Sie sehen in der Braunkohle auch ein lohnendes Geschäft?
Natürlich. Sonst würden wir das nicht machen.
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Aktuell sind die Strompreise im Großhandel aber so niedrig, dass sich selbst
Braunkohlekraftwerke nicht lohnen?
Ja, die Situation ist für alle Stromproduzenten schwierig. Aber die Anlagen, die wir
von Vattenfall übernehmen, gehören zu den modernsten und effizientesten in
Deutschland. Wenn sich Kraftwerke lohnen, dann diese. Und wir glauben auch, dass
die Preise mittelfristig wieder anziehen.
Wie lange wird die Durststrecke dauern?
Zwischen zwei und vier Jahren.
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Wie wollen Sie das durchstehen?
Vattenfall wird das Unternehmen mit Barmitteln in Höhe von 1,7 Milliarden Euro
ausstatten.
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Die dürften schnell aufgezehrt sein. Wie wollen Sie denn dann den Rückbau der
Tagebaue gewährleisten, der in den kommenden Jahrzehnten ansteht.
Wenn wir nicht überzeugt wären, dass die Aktivitäten mit genügend Mittel
ausgestattet sind, hätten wir uns nicht auf das Geschäft eingelassen. Wir sind aber
auch überzeugt, dass die Sparte mittelfristig wieder profitabel arbeiten wird.
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EPH wird also langfristig für die Verpflichtungen einstehen?
Unser Interesse ist langfristig und strategisch. Das sehen Sie auch daran, dass wir in
den kommenden Jahren auf Dividenden verzichten.
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Quelle: Flauger, J., Handelsblatt, Nr. 075, 19.04.2016, 14
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Daniel Kretinsky (EPH): Wetten auf die Kohle (20.04.2016)
Tschechiens Jung-Milliardär ist ein schillernder Unternehmer.
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Eine feinere Adresse lässt sich in Tschechien nicht finden: Der Einkaufsboulevard
Parizká im Herzen von Prag dient dem tschechischen Energiekonzern EPH als
Firmensitz. Zwischen den Luxustempeln von Hermes, Dior, und Gucci lenkt Daniel
Kretinsky mit rund drei Dutzend Mitarbeitern auf mehreren Büroetagen sein mittelund osteuropäisches Strom- und Gasimperium.
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Gemeinsam mit einem Finanzinvestor hat der 40-Jährige nun fünf Kohlegruben in der
Lausitz, drei Kohlekraftwerke sowie eine 50-Prozent-Beteiligung an einem weiteren
Kraftwerk vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall übernommen. Für Kretinsky
ein gutes Geschäft. Denn der Milliardär aus Brünn zahlt dafür nur einen symbolischen
Kaufpreis von einem Euro. Vattenfall wiederum stattet die Tochter mit Barmitteln von
1,7 Milliarden Euro aus. Im Gegenzug übernimmt EPH die Verantwortung für
Rekultivierung, Pensionen und andere Verpflichtungen - ein Volumen, das mit zwei
Milliarden Euro beziffert wird. Mit dem Geschäft sind Kretinsky und sein Konzern,
der mehr als 12 000 Menschen beschäftigt, endgültig zu einem wichtigen Spieler auf
dem europäischen Strommarkt aufgestiegen. Den Sieg im Bieterwettbewerb um die
Braunkohlesparte hat der Unternehmer unterdessen im Stillen ausgekostet: keine
Pressekonferenz, keine Fotos, keine Interviews. Die Scheu vor Medien hat durchaus
System. Kretinsky sucht nicht den großen Auftritt. Er spinnt lieber im Hintergrund
seine Fäden.
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Die öffentliche Zurückhaltung hat gute Gründe. In Prag wird der Jurist mit dem
bubenhaften Gesicht von manchen als Oligarch bezeichnet. Tatsächlich mischt
Kretinsky längst nicht mehr nur im Energiegeschäft, sondern auch in der Sportwelt
kräftig mit. Der Vorstandschef und EPH-Mitgesellschafter ist Präsident und
Mitbesitzer von Sparta Prag. Auf dem Fußballfeld und beim Golfen pflegt er seine
Kontakte. Zudem ist der Sohn eines Informatik-Professors in der Medienbranche
investiert. Er ist einer der Eigentümer der meistgelesenen Boulevardzeitung "Blesk".
Zuletzt hatte Kretinsky aber keine gute Presse: Sein Name tauchte in den "Panama
Papers" auf. Ihm gehört die Briefkastenfirma "Wonderful Yacht Holdings" auf den
Britischen Jungferninseln. Einziger Geschäftszweck: der Besitz eines Katamarans.
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Kretinskys Geschäftsmodell in Deutschland ist hingegen eine Wette: Er glaubt an die
Braunkohle als zeitlich begrenzte Energiequelle im internationalen Stromgeschäft,
sieht sie als "ideale Brückentechnologie". Er setzt darauf, dass die Strompreise ab
2022, nach dem Atomausstieg, wieder steigen.
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Mit dem jüngsten Zukauf ist der Ehrgeiz des Investors indes noch nicht gestillt. Er
nimmt offenbar weitere Länder wie Polen ins Visier. An finanziellen Mitteln mangelt
es offenbar nicht. "Noch nie ist eine unserer Transaktionen am Geld gescheitert",
sagte Kretinsky selbstbewusst vor dem Vattenfall-Deal.
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Quelle: Flauger, J./Siebenhaar, H.-P., Handelsblatt, Nr. 076, 20.04.2016, 47
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
Industrie trauert Einheitsstrompreis nach
Staatliche Abgaben: Großkunden profitieren kaum von sinkenden Energiepreisen.
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Wie sehr sich doch die Zeiten ändern: Vor wenigen Jahren noch galten die hohen
Strompreise als Bedrohung Nummer eins für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Großverbraucher wie die Chemie- und die Aluminiumindustrie, aber auch Papier- und
Glasfabriken, Gießereien und andere Metallverarbeiter sahen sich im internationalen
Wettbewerb benachteiligt und drohten vielfach mit ihrer Abwanderung. Immerhin
beschäftigen die energieintensiven Industrien mehr als 800 000 Mitarbeiter.
Inzwischen befinden sich die Strompreise im freien Fall - das Überangebot an Windund Solarenergie hat den Preis im Großhandel für eine Megawattstunde binnen fünf
Jahren von 60 auf 20 Euro gedrückt. Für die großen Stromproduzenten ist das
wirtschaftlich gesehen eine Katastrophe - zu diesen Preisen lässt sich kein Kraftwerk
mehr kostendeckend betreiben. Doch auch die großen Abnehmer sind nicht zufrieden.
„Der Großhandelspreis wird für Industriekunden immer unwichtiger“, sagt Michael
Niese, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Metalle. „Für die Rohstoffindustrie
jedenfalls ergeben sich keine Vorteile.“
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Zwar sind die Preise auch für die Großverbraucher gesunken - wenn auch nicht im
gleichen Maßstab wie an der Strombörse in Leipzig. „Die machen häufig nur noch ein
Viertel des Gesamtstrompreises für die Firmen aus“, sagt Christian Schimansky vom
Umwelt- und Energiereferat des Bundesverbandes der Deutschen Gießerei-Industrie.
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Denn der Strompreis ist schon lange nicht mehr ein Strompreis für alle: Für die
Unternehmen ist entscheidend, wie die Mischung zwischen lang- und mittelfristigen
Verträgen mit dem Stromlieferanten aussieht, und ob sie so viel Energie verbrauchen,
dass sie von den Belastungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Teilen
freigestellt sind. Auch Netznutzung ist nicht mehr gleich Netznutzung: Die
Netzentgelte driften regional immer stärker auseinander. Im Norden und Nordosten
Deutschlands müssen neue Windparks ans Netz angeschlossen werden. Das treibt in
den Regionen die Netzentgelte in die Höhe. „Da bietet sich inzwischen ein sehr
differenziertes Bild“, sagt Schimansky. „Mit dem Einheitsstrompreis hat das kaum
noch was zu tun.“
Dass sich die Wettbewerbssituation für die betroffenen Branchen nicht verbessert hat,
liegt auch an der parallelen Entwicklung in den wichtigsten Industriestaaten: Dort
gehen die Strompreise zurück, ganz besonders in den USA, wo billig gefördertes Gas
inzwischen sogar Kohle aus dem Rennen geworfen hat. Das spiegelt sich auch in den
Preisen für Metalle wider: So liegt der Preis für eine Tonne Aluminium inzwischen
bei 1 350 Euro - vor fünf Jahren kassierten Produzenten wie Trimet noch gut 1 900
Euro. „Die Aluminiumpreise sind schon extrem niedrig“, heißt es dort. „Das Leben
mit geringen Margen hat bei uns schon Tradition.“
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Dossier „Ökonomie mit Energie“ vom 20.04.2016
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Da stört es dann, wenn der Staat weiter an der Abgabenschraube dreht: KWKAufschlag, Konzessionsabgabe, Netznutzung, Stromsteuer und natürlich die EEGUmlage - um nur einige zu nennen. „Der gesamtstaatliche Anteil macht inzwischen
schon 70 Prozent des Strompreises für die Industrie aus“, sagt Schimansky. So beklagt
ein ostdeutscher Elektrostahlproduzent die seit Jahresanfang deutlich gestiegenen
Netzentgelte um ein Drittel durch den Netzbetreiber 50 Hertz. „Dies wird zunehmend
zu einem Standortnachteil für energieintensive Unternehmen in den neuen
Bundesländern“, heißt es.
Für manchen Betrieb ist schon entscheidend, ob er bei der EEG-Umlage privilegiert
wird oder nicht. Den Ausschlag gibt die „Besondere Ausgleichsregelung“ des EEG.
Gut 2 000 Unternehmen des produzierenden Gewerbes profitieren davon. Ab einer
bestimmten Stromkostenintensität greifen gestaffelte Privilegierungen, in keinem Fall
allerdings gibt es eine komplette Freistellung von der EEG-Umlage.
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Beispiel Chemieindustrie: In Deutschland befinden sich rund 2 000 Chemiestandorte,
an 140 greift die Ausgleichsregelung. Insgesamt zahlen die Unternehmen der Branche
nach Angaben des Verbandes VCI zwischen einer bis 1,3 Milliarden Euro an EEGUmlage.
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Bei den deutschen Gießereien kommen lediglich 140 von insgesamt 600 in den
Genuss verringerter Zahlungen. Bei den anderen macht die inzwischen auf 6,35 Cent
je Kilowattstunde gestiegene Umlage den Unterschied zwischen wirtschaftlichem
Überleben und Sterben aus. Immerhin entfällt inzwischen mehr als die Hälfte des
Strompreises allein auf die EEG-Umlage. Bei einer familiengeführten Eisengießerei
mit 260 Mitarbeitern, so rechnet Schimansky vor, entspreche die EEG-Umlage in
dieser Höhe fast drei Prozent des Umsatzes. Das Problem: Die durchschnittliche
Umsatzrendite liege bei der harten internationalen Konkurrenz zwischen einem und
drei Prozent. „Die EEG-Begrenzung ist überlebenswichtig, sonst ist dieser Betrieb
bald pleite.“
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Quelle: Wocher, M./Stratmann, K., Handelsblatt, Nr. 074, 18.04.2016, 23
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