FOTOS: S. ELLERINGMANN / BILDERBERG Wissenschaft Minimal-invasive Herzoperation: Kurzer Schnitt zwischen zweiter und dritter Rippe MEDIZIN Wechsel der Gezeiten Neue Operationstechniken ermöglichen Eingriffe am Herzen, die den Patienten weniger belasten: geringere Schmerzen, kleinere Narben und zügige Heilung. M eterlang sind die Schläuche und Kanülen, ein wenig kürzer die Hohlstangen, die dem Patienten ins Körperinnere geschoben werden. Im Licht von Punktscheinwerfern und Minikameras am Kopf der Gestänge dirigiert der Operateur kleine Fräsen und Messer, Zangen und Spatel durch Körperhöhlen und Eingeweide. Vor zehn Jahren galt die SchlüssellochChirurgie, mit der sich die Gallenblase, der Meniskus oder der Blinddarm entfernen lassen, noch als kühne Einzelleistung experimentierfreudiger Mediziner. Mittlerweile sind die relativ unblutigen, patientenfreundlichen Operationsmethoden in vielen Praxen und Kliniken Routine. Nun gerät auch die letzte Bastion der klassischen Chirurgie ins Wanken. Mit „minimal-invasiven“ Techniken wagen sich immer mehr Operateure auch bis ins Lebenszentrum des menschlichen Organismus vor – ans Herz. Ermöglicht wurden die neuen Herz-OPTechniken durch spezielle Geräte, die vor allem von zwei US-Firmen konstruiert wurden. Deutsche Herzchirurgen haben die – zum Teil nicht risikofreien – Methoden verbessert und weiterentwickelt. Die Systeme der kalifornischen Hersteller Heartport in Redwood City und CardioThoracic Systems (CTS) in Cupertino erlauben es, am Herzen zu operieren, ohne werden. Für die europäische Kundschaft hat das Unternehmen in Schweden ein Trainingscamp eingerichtet. Der minimalinvasive Heartport-Eingriff erfolgt am ruhiggestellten Herzen mit Unterstützung einer Herz-Lungen-Maschine. Beim CTS-Verfahren hingegen wird die Pumpbewegung des schlagenden Herzens nur mit Medikamenten verlangsamt und zusätzlich durch ein gabelähnliches Instrument mechanisch gedämpft. Bei 900 Patienten, erklären die Manager von CTS, sei in den ersten drei Monaten dieses Jahres mit Hilfe der neuen Methode ein Bypass gelegt worden. 170 Ärzte würden die Methode schon einsetzen, 400 Mediziner kämen demnächst hinzu. Zwischen den beiden Firmen und auch anderen Geräteherstellern, die ähnliche Neuheiten erproben, tobt inzwischen ein harter Kampf. Es geht um den 30-Milliarden-Dollar-Markt der Herzchirurgie, betroffen sind – hauptsächlich in den westlichen Industrieländern – jährlich etwa eine Million Patienten. „Der Geist ist aus der Flasche, und niemals wird er dorthin zurückkehren“, sagt der amerikanische Herzchirurg Delos Cosgrove von der Cleveland Clinic über die Zukunftsaussichten der neuen OP-Techniken. Sie markieren, so Cosgroves Überzeugung, „einen Gezeitenwechsel in der Herzchirurgie“. Nüchterner beurteilt der Dresdner Medizinprofessor Stephan Schüler, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum, die Neuheiten aus Amerika. Schülers OPMannschaft gehörte zu den ersten Operateuren, die das Heartport-System in Europa im Rahmen eines Forschungsprogramms mit der Säge das Brustbein zu spalten und die Rippen aufzuspreizen. Schnitte von drei bis neun Zentimeter Länge sowie über sogenannte ports in den Brustraum eingeführte Instrumente befähigen den Chirurgen, einen Bypass zu legen und Klappen auszutauschen – sogar am schla- Fenster zum Herz Minimal-invasive Bypass-Operation genden Herzen. Durch eine neun Zentimeter große Öffnung Die Entwicklung weg werden die Operationswerkzeuge zum von den blutigen RiesenHerz geführt. schnitten, den klaffenden Wunden und halbmeterlangen Narben beginnt sich als neuer Trend in der OPTechnik zu festigen. In einer Reihe von Herzzentren, etwa in Leipzig und Dresden, aber auch an anderen Kliniken in Europa und den USA, bemühen sich Chirurgen, durch imArteria subclavia mer kleinere SchnittöffBypass über nungen an den pulsierenSeitenarterie den Pumpmuskel heranzu(Arteria Vene kommen. Die linke, aus der Armammaria) Rund 500 Patienten sind teria subclavia entnach Angaben der Herstel- springende SeitenarEngstelle lerfirma inzwischen mit der terie wird hinter die Heartport-Methode ope- verstopfte Engstelle Herzkranzriert worden. 200 OP- geleitet und mit dem gefäße Teams sollen noch bis zum Herzkranzgefäß vernäht. Ende dieses Jahres in deren Der Herzmuskel wird wieAnwendung unterwiesen der ausreichend durchblutet. d e r s p i e g e l 2 5 / 1 9 9 7 201 Wissenschaft getestet haben. Zwar eigne sich die Methode „ganz gut“ zum Klappenersatz, doch bei der – weitaus häufigeren – Bypass-Operation „stießen wir schnell an die Grenzen des nicht ungefährlichen Systems“, sagt Schüler. Ein „erhebliches Risiko“ entdeckten die Dresdner Mediziner beispielsweise in dem laut Gebrauchsanweisung empfohlenen Einsatz bestimmter Herzkatheter. Diese müssen durch Arterien vorgeschoben werden, die „nach Lage der Dinge bei BypassPatienten häufig verkalkt sind“ (Schüler). Bei der Einführung der Katheter besteht die Gefahr, winzige Ablagerungen loszureißen, die später einen Gefäßverschluß verursachen können. Schülers junge OP-Garde („Alle Ende 20 bis Mitte 30“) wählte einen anderen Zugang: „Wir setzen links zwischen der zweiten und dritten Rippe einen etwa neun Zentimeter langen Schnitt“, beschreibt Schüler die OP-Vorbereitung, „spreizen die Rippen auseinander und – voilà – das Herz liegt frei“ (siehe Grafik). Durch diese Öffnung läßt sich zum einen die unter dem Brustbein verlaufende Arterie, die für einen Bypass der linken Herzkranzgefäße verwandt wird, herauspräparieren. Aber der etwa faustgroße Zugang reicht auch aus, das Herz anzuheben und so zu drehen, daß nicht nur einer, sondern zwei oder drei Bypässe gelegt werden können. Das Heartport-System hingegen taugt für maximal eine Überbrückung. Da bei der Dresdner Methode zudem die Herz-Lungen-Maschine direkt an die Gefäße des Herzens angeschlossen werden kann, wird der riskante Kathetereinschub vermieden. Rund 50 Patienten wurden bislang mit dem Dresdner Verfahren operiert, ohne schwere Zwischenfälle: Es gab keinen Tod „Die Reha-Klinik wird sich für Bypass-Patienten schon bald erübrigen“ auf dem OP-Tisch, in keinem Fall mußte während der Operation zur herkömmlichen Methode des großen Schnitts übergewechselt werden. Die Dresdner Pioniere haben auch die anfangs sehr langen Operationszeiten verkürzen können, von fünf auf mittlerweile rund drei Stunden. Schüler: „Wir nähern uns den Standards der herkömmlichen Technik“, die mit durchschnittlich zwei OP-Stunden angesetzt wird. „Vorsichtig, aber gezielt“ streben die sächsischen Mediziner eine Ausweitung ihrer Methode an. „Wir wollen sämtliche am Herzen anstehenden Operationen minimal-invasiv ausführen“, sagt Schüler. In der Pathologie, auf der dem Containerbau des Herzzentrums gegenüberliegenden Seite der Dresdner Schubertstraße, macht 202 d e r sich das Schüler-Team derzeit mit einem neuen 3-D-Mikroskop vertraut. Mit seiner Hilfe sollen mit noch kleineren Schnitten noch größere OP-Gebiete im Brustkorb erschlossen werden. Nutznießer sind schon jetzt die Patienten. Erspart wird ihnen beispielsweise das häufig als psychische Belastung empfundene Aufsägen des Brustkorbs. Auch die Chirurg Schüler mit OP-Werkzeug „Voilà – das Herz liegt frei“ Risiken hohen Blutverlusts, die Gefahr von Infektionen und die starken Schmerzen nach der Operation, die der überkommenen Technik des großen Schnitts anhaften, werden verringert. Darüber hinaus verkürzt sich die Zeit der Rekonvaleszenz. In Dresden werden Bypass-Patienten nach vier bis sechs Tagen in ihr normales Alltagsleben entlassen. „Die Reha-Klinik“, glaubt Schüler, werde sich für diese Patienten „schon bald erübrigen“. Spätestens dann würden sich auch die „bislang noch höheren OP-Kosten rechnen“. Wie lange die mit der neuen Methode gelegten Umgehungsadern offen bleiben, müssen allerdings noch Langzeituntersuchungen zeigen. Der amerikanischen CTS-Methode, bei welcher der Bypass am schlagenden Herzen gelegt wird, vermag Schüler nicht viel abzugewinnen. Daß in den ersten CTS-Erfahrungsberichten häufig von „Problemen der Nahtverbindungen“ die Rede ist, kommt für den Dresdner Chirurgen nicht überraschend. Mehr als ein Dutzend Stiche mit haarfeinen Nadeln und Fäden muß der Operateur setzen, um die Gefäße (Durchmesser: jeweils ein bis zwei Millimeter) zu verbinden – eine verzwickte Fummelarbeit, die schon beim bequemeren Zugang während herkömmlicher Operationen schwierig genug ist. „Am schlagenden Herzen“, erzählt Schüler, „ist diese Näherei ein furchtbares Gemache.“ ™ s p i e g e l 2 5 / 1 9 9 7