BerlinerSchulevorsorglichgeschlossen

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Dienstag, 24. Februar 2015
Nachrichten
Nr. 46
Neue Presse
3
In Berlin grassiert die schlimmste Masern-Welle seit Einführung der Meldepflicht. Jetzt starb ein kleiner Junge. Viele sehen Masern trotzdem als harmlose
Kinderkrankheit und schützen sich – oder ihren Nachwuchs – nicht mit Hilfe einer Impfung. Das findet der hannoversche Immunologe Reinhold Schmidt von
der MHH ziemlich fahrlässig und setzt sich für eine Impfpflicht ein. Er hat gesehen, welche Folgen die Symptome haben können.
Die katastrophale Kinderkrankheit
Berliner Schule vorsorglich geschlossen
VON GISELA GROSS
Berlin. Masern äußern sich
zunächst kaum anders als eine
Grippe. Für harmlos und vorübergehend halten viele
die Infektionskrankheit. Doch das Bild
ist trügerisch: Das
zeigt der aktuelle
Masern-Ausbruch in Berlin seit Oktober
2014. Mehr als
570 Fälle sind
dem Berliner
Landesamt für
Gesundheit und
Soziales (Lageso)
von Ausbruchsbeginn
bis gestern gemeldet
worden – rund 90 Prozent aller Erkrankten waren
nicht geimpft.
Seitdem gestern der Tod eines
an Masern erkrankten Kleinkindes aus Berlin-Reinickendorf
bekannt wurde, ist die Debatte
um eine Impfpflicht neu entbrannt. Wie sich der anderthalbjährige Junge angesteckt hat,
blieb zunächst unklar. Vorerkrankungen sollen nicht
vorgelegen haben. „Das
Kind war geimpft,
aber nicht gegen
Masern“, sagte
Berlins Gesundheitssenator
Mario
Czaja
(CDU).
Auch
eine
Sekundarschule in
Berlin-Lichtenrade
blieb gestern wegen
eines erkrankten Jugendlichen
vorsorglich geschlossen. Mitschüler und Lehrer müssen
nun ihre Impfbücher vorweisen.
Regulär nach Stundenplan soll
es heute weitergehen. Masern
sind hochansteckend. Als „Kata-
strophe
aus
medizinischer
Sicht“ bezeichnete der Berliner
Sprecher des Berufsverbandes
der Kinder- und Jugendärzte,
Jakob Maske, den Ausbruch in
der Hauptstadt.
Kleine Kinder unter
einem
Jahr
seien
besonders
gefährdet: „Diese
Gruppe
kann
man nur
schützen, wenn
das Umfeld
geimpft ist.“
Sind
Mütter
von Kleinkindern
nicht geimpft oder verfügen sie
nur über wenige Antikörper, die
sie etwa beim Stillen weitergeben, greift der sogenannte Nestschutz nicht. Unter elf Monaten
sollen Kleinkinder nicht gegen
Masern geimpft werden.
Bei Schülern seien die Impfraten in Berlin nicht schlechter als
anderswo, sagte die amtierende
Leiterin des Fachbereichs Impfprävention am RobertKoch-Institut (RKI),
Anette Siedler. Allerdings
bestehe
bei der zweiten
Masernimpfung
noch
Nachholbedarf.
Die Ausbrüche in Berlin sieht Siedler
allerdings weniger in
Zusammenhang
mit
Impfverweigerern: Die
Großstadt mit ihren Großveranstaltungen und dem
Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum biete der
Wie ist der Stand in Niedersachsen
Im gesamten Bundesland sind
bisher 27 Fälle gemeldet worden, davon sieben in der Region
Hannover. Von den 27 Fällen
Gehen wir auf Mythenforschung.
Mythos 1: Die Masernimpfung ist
unnatürlich, schädlich und beteiligt
an Krankheiten wie Krebs ...
Das ist völliger Unsinn. Die Impfungen sind natürliche und biologische
Wege, Menschen vor Erkrankungen
zu schützen. Was damit in Verbindung gebracht wird, davon ist kein
Funken wahr. 1998 wurde die Impfung in Großbritannien mit Autismus
in Verbindung gebracht. Das hat sich
alles als ein Riesenschwindel herausgestellt.
Mythos 2:
Es handelt sich
um eine
Lebendimpfung,
vermehrungsfähige Viren
dringen in die
Zellkerne vor,
und keiner kann
das weitere Verhalten der Viren kontrollieren ...
Das stimmt nicht. Es
ist zwar eine Lebendimpfung, damit läuft
auch
eine
leichte Infektion ab, aber die Viren
bleiben ja nicht ewig im Körper, sondern integrieren sich in das menschliche Genom wie andere Viren auch. Es
gibt keine Langzeitfolgen des abgeschwächten Virus, und das vermehrt
sich auch nicht im menschlichen Körper.
Was ist von Masernpartys zu halten,
die Eltern für ihre ungeschützten
Kinder organisieren?
Gar nichts. Es gibt diesen Irrglauben, dass es gut sei, die Masern auf
natürlichem Weg durchzumachen,
und deswegen werden solche Veranstaltungen durchgeführt. Das ändert
nichts an dem riesigen Risiko, dass
die Masern schwerwiegende Folgen
für einen Erkrankten haben können.
Wenn man jetzt sieht, welche schwierigen Verläufe es aktuell in Berlin gibt:
43 Prozent der Erkrankten mussten
in die Klinik. Das war sicher keine einfach ablaufende Erkrankung.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit,
an einer Impfung zu erkranken oder
gar zu sterben?
Null. Es ist eine sichere Impfung. Da
kann man nicht dran erkranken oder
sterben.
Masern wurden aus den Balkanstaaten eingeschleppt, hier gibt es
impfmüde Eltern. Was halten Sie
von einer Impfpflicht?
Ich persönlich bin dafür, auch wenn
ich weiß, dass es politisch nicht gewollt ist. Man müsste sicherstellen,
dass alle Kinder im Kindergarten
geimpft sind. Spätestens, wenn sie in
die Schule kommen. In den liberalen
USA etwa müssen die Kinder dann
geimpft sein, auch zum Schutz der
anderen.
In Berlin ist gestern ein Kind an der
Krankheit gestorben. Wie groß ist
die Gefahr, zu sterben oder langanhaltende Schäden zu bekommen?
Wenn es eine Hirnbeteiligung gibt,
liegt das Risiko von Tod oder bleibenden Schäden bei 50 bis 100 Prozent.
?
IMPFPASS AUCH FÜR DIE MAMA:
Da Kinder nicht vor dem elften
Monat geimpft werden sollen,
ist es wichtig, dass ihre Eltern
gegen Masern immun sind.
?
der- und Jugendärzte
(BVKJ). Der für Masern typische Hautausschlag zeige sich
erst nach ein paar Tagen. Eine
Therapie gegen Masern gibt
es nicht. Möglich ist nur eine
Behandlung der Krankheitsanzeichen wie Fieber. Antibiotika
sind gegen Virenerkrankungen
wirkungslos.
?
Mensch nicht gegen
Masern geimpft ist – sogar auf
mehrere Meter Entfernung.
Schon fünf Tage vor dem typischen roten Hautausschlag
sind Infizierte ansteckend.
Was passiert im schlimmsten Fall
Masern schwächen das Immunsystem. Bronchitis, Mittelohr- oder Lungenentzündungen können die Folge sein, selten auch eine Gehirnentzündung. Daran sterben bis zu 20
Können sich Erwachsene
noch unproblematisch
impfen lassen?
Das ist kein Problem,das
sind ja abgeschwächte
Was macht eine KinderImpfstoffe. Man sollte
krankheit eigentlich so
sich sogar dringend impgefährlich?
Reinhold
fen lassen. Durch ungeSie ist umso gefährlicher, je
Schmidt
schützte Erwachsene haben
später sie auftritt. Gerade
wir jetzt so hohe Zahlen und
bei Masern ist oft das Gehirn
auch schwere Verläufe der Krankbetroffen, etwa durch Hirnhautentheit. Obwohl laut Weltgesundzündungen. Es können hinterher
heitsorganisation dieLangzeitschäden aufses Jahr das Jahr der
treten. Je später es
Masernausrottung
einen Erwachin Deutschland sein
senen
sollte, haben wir
trifft,
jetzt schon wieder mehr Erkrankungen als im
gesamten
Jahr 2013, das ein starkes MasernJahr mit fast 2000 Fällen war. Allein
in Berlin gibt es mehr als 500 registrierte Fälle. Die Durchimpfungsrate, die wir derzeit haben, ist einfach
nicht hoch genug. Wir brauchen 95
Prozent.
?
Wie wird die Krankheit übertragen
Die Viren werden von Mensch
zu Mensch durch Tröpfchen
übertragen, zum Beispiel beim
Husten, Niesen oder Sprechen.
Fast jeder Kontakt führt zu
einer Ansteckung, wenn ein
Professor Reinhold Schmidt, Leiter
der Klinik Immunologie und Rheumatologie an der MHH in Hannover,
rät im NP-Interview dringend
zu einem Impfschutz gegen
Masern.
der ungeschützt ist, desto stärker
können die Folgen sein. Ein Fünfjähriger ist nicht so stark betroffen wie ein
25-Jähriger.
Monaten geimpft werden. Nach mindestens einem
Monat folgt eine zweite Spritze,
dann liegt die Wirksamkeit der
Impfung bei mehr als 95 Prozent. Wer Kontakt mit einem
Infizierten hatte, könne sich
bis zu drei Tage später noch
impfen lassen – so bestehe
eher die Chance, doch nicht zu
erkranken, sagt Löscher.
Wie erkenne ich Masern
Die Anzeichen für Masern sind
gerade am Anfang schwer
zu erkennen. „Masern beginnen mit unspezifischen Symptomen, man fühlt sich abgeschlagen und schlapp und hat
Husten oder auch eine Augenentzündung – wie bei einer
Grippe“, erklärt Jakob Maske
vom Berufsverband der Kin-
VON PETRA RüCKERL
wurden 19 aus Familien
gemeldet, die aus Balkan-Staaten (Bosnien-Herzegowina und
Serbien) eingereist sind.
Wann wird geimpft
Wer sich gegen die Masern
impfen lässt, ist nicht sofort
gegen die gefährliche Krankheit immun. Bis dahin dauert
es ungefähr zehn bis 14 Tage,
erklärt Professor Thomas
Löscher, Leiter der Abteilung
für Infektions- und Tropenmedizin des Klinikums der Universität München. Säuglinge können erst ab einem Alter von elf
Krankheit eher einen Nährboden. Die Behörden nehmen an,
dass der Ausbruch unter Asylbewerbern aus Bosnien-Herzegowina und Serbien seinen Anfang
nahm. Dort sei in den Wirren des
Bürgerkriegs der 1990er Jahre
nicht mehr routiniert geimpft
worden.
Auch in den USA sind seit
Dezember 2014 zahlreiche Menschen an Masern erkrankt – viele
steckten sich in einem Freizeitpark in Kalifornien an.
Todesfälle durch Masern sind
in Deutschland bereits vorgekommen: „Das kann Kinder wie
Erwachsene treffen“, sagte RKIExpertin Siedler. Dass die Krankheitkeineswegsharmlosverläuft,
zeigen auch die Berliner Zahlen:
Etwa ein Viertel der Erkrankten
musste ins Krankenhaus.
Auch während des Ausbruchs sei eine Impfung noch
ratsam, sagte Mediziner Jakob
Maske. Wer noch nicht immunisiert sei, solle das
„sofort“ nachholen.
Eine
Impfpflicht
sieht Maske jedoch
nicht als Lösung:
„Wir
müssen
Eltern überzeugen, dass die Impfung wichtig ist.“
„Masern können für Kranke schwerwiegende Folgen haben“
Infektion
Masernvirus
verbreitet sich
beim Sprechen,
Husten, Niesen
über Tröpfchen
wird direkt beim Einatmen
oder durch Körperkontakt
aufgenommen
Symptome
mögliche Komplikationen
nach 8 bis 10 Tagen
zusätzliche Infekte
durch Immunschwäche
• Bronchitis
• Lungenentzündung
• Durchfall
uneindeutige Symptome:
• Fieber
• Bindehautentzündung
• Schnupfen
• Husten
Ausschlag an Gaumen
und Mundschleimhaut
Bis 2015 sollten Masern in Deutschland eliminiert werden. Dazu hat sich
die Bundesregierung Ende 2011 gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verpflichtet. Das bedeutet:
maximal 82 Krankheitsfälle im Jahr.
Davon ist die Bundesrepublik derzeit
weit entfernt.
Allein in Berlin sind von Oktober
2014 bis Januar 2015 mehr als 370
Fälle gemeldet worden. Das Virus
breitet sich nach Informationen des
Robert-Koch-Instituts (RKI) weiter
aus. Um Epidemien zu verhindern und
die Masern langfristig zu eliminieren,
empfiehlt die ständige Impfkommission der Bundesrepublik Deutschland
Hirnentzündung
• im Anschluss an die Masernerkrankung oder
• in seltenen Fällen:
Jahre später
Lebensgefahr
Behandlung
?
Prozent der Betroffenen. Bei fast einem Drittel der
Erkrankten bleiben schwere
Folgeschäden wie geistige
Behinderung oder Lähmungen
zurück.
Masern in Deutschland
Masern – tückische Viren
seit 1973 die Impfung gegen Masern.
Bei Masern wird ein Lebendimpfstoff
gegeben, der aus einer abgeschwächten Form des Virus besteht. Menschen
mit einer Immunschwäche wird er deshalb nicht verabreicht.
Damit sich ein eingeschlepptes
Masernvirus nicht verbreiten kann,
fordert die WHO eine Impfquote von
95 Prozent. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums liegt die
bundesweite Impfquote für die erste
Masernimpfung bei fast 97 Prozent, für
die zweite bei gut 92 Prozent. Um 95
Prozent zu erreichen, fordert der Verband der Kinder- und Jugendärzte eine
Impfpflicht für Masern.
Bettruhe
erst nach 14 Tagen
95 % Menschen, die mit
Viren in Kontakt gekommen
sind, erkranken.
bräunlichrosafarbene
Flecken auf
der Haut,
beginnend
im Gesicht
Dauer: 4 bis 7 Tage
Medikamente gegen
Fieber, Husten
Vorbeugung
Impfung
Kleinkinder vom 12. Monat an
Quelle: RKI
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KLEINER PIKS, WICHTIGER
SCHUTZ: Die erste Impfung –
empfohlen im Alter von etwa
12 bis 14 Monaten – erhalten
in Deutschland 97 Prozent der
Kinder. Bei der zweiten aber –
empfohlen im Alter von 15 bis
23 Monaten – werden offenbar
einige Eltern nachlässig.
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