222 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen M. Bernateck, N. Putschky, H. Zeidler Einleitung Mit dem Begriff „entzündlich-rheumatische Erkrankungen“ wird eine Gruppe von Krankheiten entzündlicher Genese zusammengefasst, die Gelenke, Wirbelsäule, Sehnen und Sehnenscheiden, Sehnenansätze, Schleimbeutel, Muskeln, Gefäße, Nerven, Bindegewebe, Haut und innere Organe befallen können. Die meisten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind multifaktorieller Genese, wobei genetische Dispositionen, auslösende infektiöse Ursachen und immunologische Reaktionsmuster eine führende Rolle einnehmen. So kann ein Erreger verschiedene Erkrankungen verursachen und verschiedene Erreger können ein gleiches rheumatisches Syndrom auslösen. Ein Beispiel für die Erzeugung von verschiedenen rheumatischen Syndromen ist die Infektion mit Chlamydien, die eine seronegative Oligoarthritis, HLA-B27-assoziierte Spondyloarthritis, das ReiterSyndrom und eine juvenile Arthritis verursachen kann. Die reaktive Arthritis und das Reiter-Syndrom sind beispielhaft für die Entstehung eines klinischen Syndroms durch verschiedenste Erreger, wie Yersinien, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Chlamydien und Ureaplasmen. Rheumatoide Arthritis Synonyme Chronische Polyarthritis. Definition und Klassifikation Die rheumatoide Arthritis ist eine entzündliche Systemerkrankung, welche sich hauptsächlich an den Gelenken, aber auch an Sehnen, Sehnenansätzen, Schleimbeuteln, serösen Häuten, dem Gefäßsystem, den Augen und inneren Organen manifestieren kann. Die Klassifikation erfolgt gemäß den Kriterien des American Congress of Rheumatology (Tab. 15.1). Gelenke Ätiologie und Pathogenese Als krankheitsauslösend werden exogene Faktoren (z. B. virale oder bakterielle Infektionen) und endogene Faktoren (z. B. genetische Disposition, HLA-DRB1, immunologische und endokrine Pathomechanismen) diskutiert. Neben der pathogenetischen Rolle der zellulären Immunantwort (T- und B-Zellen) hat sich der Nachweis einer Dysbalance des Zytokinnetzwerkes mit Erhöhung des Tumornekrosefaktors-α und von Interleukin-1 als relevant für neue therapeutische Optionen der Immunmodulation erwiesen. Tabelle 15.1 Klassifikationskriterien für die rheumatoide Arthritis (ACR 1988) 1 Morgensteifigkeit mindestens 1 Stunde anhaltend 2 Weiche Schwellungen Arthritis von 3 oder mehr Gelenken 3 Arthritis der Hände Fingergrund-, Fingermittel- oder Handgelenke 4 Symmetrische Arthritis simultane Beteiligung der gleichen Gelenkregionen 5 Rheumaknoten subkutane Knoten in Gelenknähe oder Streckseiten 6 Rheumafaktor positiv Rheumafaktor im Serum nachgewiesen 7 Radiologische Veränderungen gelenknahe Osteoporose und/oder Erosionen Epidemiologie Die rheumatoide Arthritis tritt bei allen Rassen und sozialen Schichten sowie in allen Klimazonen weltweit auf. Sie hat eine jährliche Inzidenz von ca. 0,2 pro 1000 bei Männern und von ca. 0,5 pro 1000 bei Frauen. Die Prävalenz schwankt zwischen 0,2 und 1,4% (Silman u. Hochberg Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Rheumatoide Arthritis 223 2001). Frauen erkranken 2- bis 3-mal häufiger als Männer, der Manifestationsgipfel liegt in der 4. und 5. Lebensdekade. Diagnostik Klinische Diagnostik a b c Abb. 15.1 a – c Tenosynovialitiden (aus Schattenkirchner: Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. In: Praxis der Orthopädie. Bd. I, Thieme, Stuttgart 2001). a Symmetrische Polyarthritis, am ausgeprägtesten in den Fingermittelgelenken, bei einer mit hoher Entzündungsaktivität beginnenden rheumatoiden Arthritis. b Tenosynovialitis über dem Handgelenk bei einer beginnenden rheumatoiden Arthritis. c Tenosynovialitis an der Volarseite des Handgelenks mit Karpaltunnelsyndrom (siehe Atrophie der Thenarmuskulatur) in einer frühen Krankheitsphase. Labordiagnostik Die Labordiagnostik zeigt die Entzündungsparameter wie BSG und C-reaktives Protein gering oder mäßig erhöht. Es tritt eine Entzündungsanämie mit erniedrigtem Serumei- Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Gelenke Meist sind Gelenkbeschwerden die ersten objektivierbaren Frühsymptome in Form von Morgensteifigkeit, weichen Gelenkschwellungen, zum Teil auch nur Gelenkschmerzen (Arthralgien), die meist symmetrisch an Fingergrund- und Fingermittelgelenken auftreten oder auch im Bereich anderer Gelenke wie Hand-, Schulter-, Knieoder Zehengrundgelenke. Bei ca. 30% der Fälle ist der Beginn monoartikulär. Nur bei 20% der Patienten kommt es zu einem akuten Krankheitsbeginn mit Polysynovialitis und ausgeprägter Allgemeinsymptomatik. Etwa 10% der Erkrankten klagen initial lediglich über Wirbelsäulenschmerzen im Bereich der HWS. Das klinische Vollbild der rheumatoiden Arthritis zeigt persistierende schmerzhafte Synovialitiden mit Überwärmung, Morgensteifigkeit, Kraftlosigkeit und früh einsetzender periartikulärer Muskelatrophie. An den Händen („Visitenkarte des Rheumatikers“) bilden sich weiche Schwellungen symmetrisch an den Fingergrund- und Fingermittelgelenken sowie an den Handgelenken aus (Abb. 15.1 a). An den Handgelenken kommt es häufig auch zu Tenosynovialitiden (Abb. 15.1 b u. c). In den großen Gelenken (Hüft-, Knie-, Sprung- und Ellenbogengelenke) finden sich Gelenkergüsse und Funktionseinschränkungen. Auch Bursitiden gehören zum Erscheinungsbild der rheumatoiden Arthritis sowie die Rheumaknoten an den Streckseiten der Gelenke. Die destruktive Potenz dieser Erkrankung zerstört Knorpel, Sehnengewebe und Knochen. Daraus resultieren die typischen Veränderungen wie Ulnardeviation und Schwanenhalsdeformität der Finger II–V sowie die Z-Deformität der Daumen oder der rheumatische Spreizvorfuß mit plantarer Verschwielung und Hallux valgus. Durch die Tenosynovialitis im Handgelenkbereich kommt es oft zu einem Karpaltunnelsyndrom. Indirekte Arthritiszeichen sind der positive (schmerzhafte) volare Beugeschmerz im Handgelenk sowie das positive Zeichen nach Gaenslen und der Vorfußkompressionsschmerz (Querdruckschmerz der Fingergrundgelenke bzw. der Metatarsalgelenke). Charakteristische Komplikationen am Kniegelenk sind die Poplitealzysten (Baker-Zysten), die eine Verbindung zum Gelenkraum besitzen und zum Teil hernienartig in die Logen der Wadenmuskulatur vordringen können. Des Weiteren klagen manche Patienten über Schmerzen im Nacken oder Hinterkopf, zum Teil auch retroorbital oder temporal, wenn eine Zervikalarthritis vorliegt, die in schwersten Fällen zu atlantoaxialen Subluxationen, einer basilären Impression und subaxialen Dislokation führen kann. Extraartikuläre Manifestationen sind in Tabelle 15.2 zusammengefasst. 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Augen Skleritis, Episkleritis, Keratitis sicca Muskulatur Myositis Niere Glomerulonephritis, Amyloidose Psyche sekundäre krankheitsbedingte Depressivität sen und erhöhtem Ferritin auf, eventuell besteht bei hoher Aktivität eine Leukozytose und/oder Thrombozytose. Rheumafaktoren sind in ca. 70% und antinukleäre Antikörper in ca. 30% der Fälle positiv. Zyklische zitrullinierte Polypeptid-Antikörper (CCP-AK) stehen als neue Marker bei der Diagnosestellung der rheumatoiden Arthritis zur Verfügung. CCP-AK besitzen eine Sensitivität von 71% und eine Spezifität von 95% (Dubrous 2005). Sie können der klinisch-symptomatischen Krankheitsmanifestation um Jahre vorausgehen. Im Gelenkpunktat ist eine Zellzahl von 5000 – 50 000/µl mit überwiegend Granulozyten zu finden. Bildgebende Diagnostik n tio nk Fu ie rap the rgo -/E sio hy ,P AR NS Schulung Psychotherapie de roi h/ Ste misc l te sys loka In der bildgebenden Diagnostik zeigen sich nativröntgenologisch je nach Erkrankungsstadium periartikuläre Weichteilschwellungen, gelenknahe Demineralisation, Gelenkspaltverschmälerung, Aufbrauch der Grenzlamelle, Erosionen (insbesondere im Bereich der Metakarpal- und Metatarsalköpfchen) sowie Destruktionen und Ankylosen. Die Arthrosonographie dient der frühen Synovitisdiagnostik, insbesondere bei Schulter-, Hüft-, und Kniegelenken, noch bevor sich ossäre Veränderungen röntgenologisch darstellen lassen. In der Magnetresonanztomographie (MRT) werden Ergussbildungen, synoviale Hyperämie und Proliferation, entzündliches Knochenödem, Tenosynovialitiden der Streck- und Beugesehnen sowie erosive Veränderungen dargestellt, welche nativröntgenologisch noch nicht detektiert werden konnten. Computertomographie und MRT eignen sich besonders an der HWS zum Nachweis von entzündlichen Veränderungen im atlantozervikalen Übergangsbereich und zur frühzeitigen Erkennung von eventuellen Rückenmarkkompressionen. Konservative Behandlung: Sie ist multimodal und umfasst neben verschiedenen Medikamenten das gesamte Spektrum physikalischer Maßnahmen (z. B. Krankengymnastik, Kryotherapie, Lagerungsschienen, Orthesen) einschließlich der Ergotherapie zur Gelenkschutzberatung und Hilfsmittelversorgung, die Patientenschulung und weitere rehabilitative und psychosoziale Maßnahmen (Abb. 15.2). Zur raschen analgetisch-antiphlogistischen Therapie werden nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) eingesetzt. Bei gesicherter Diagnose und nachgewiesener klinischer und humoraler Krankheitsaktivität wird eine Basistherapie mit langwirksamen Antirheumatika bzw. Immunmodulatoren eingeleitet (z. B. Methotrexat, Hydroxychloroquin, Sulfasalazin, Leflunomid, Azathioprin, TNFblockierende Substanzen, Interleukin-1-Rezeptorantagonisten). Die Basistherapie muss bei fehlender Remission von einer Monotherapie zu einer Kombinationstherapie gesteigert und zeitnah (initial alle 3 Monate) der Erkrankungsaktivität angepasst werden (Abb. 15.3). n Lunge/Pleura Pleuritis sicca und exsudativa, interstitielle Lungenfibrose, intrapulmonale Rheumaknoten Therapie Ziele der Therapie sind neben der Schmerzlinderung und Funktionserhaltung vor allem das Aufhalten der Krankheitsaktivität und Gelenkzerstörung bis hin zum Erzielen einer kompletten Remission, die durch den Einsatz von immunsuppressiven Kombinationstherapien und die hocheffektiven neuen Immunmodulatoren zunehmend häufiger erreicht wird. era tio funktionelle periphere Durchblutungsstörungen, Gangrän Op Peri-, Myo-, Endokarditis Gefäße rz NS AR ,A na lge tik a Herz polyarthrosen besonders Kollagenosen und Paraneoplasien abgegrenzt werden. me Tabelle 15.2 Extraartikuläre Manifestationen bei rheumatoider Arthritis Sch 224 Basistherapie Destruktion Gelenke Differenzialdiagnose Differenzialdiagnostisch müssen neben Spondyloarthritiden, reaktiven Arthritiden, infektiösen Gelenkerkrankungen, Kristallarthropathien und aktivierten Fingergelenk- Abb. 15.2 Synopse der Behandlung der chronischen Polyarthritis (Strunk u. Mitarb. 2005). Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Spondyloarthritiden Ziel der Basistherapie: rasche klinische und laborchemische Remission MTX (alternativ LEF oder SASP) Remission Glukokortikoide + Beurteilung spätestens nach 3 Monaten Reduktion der Glukokortikoide Remission Beurteilung spätestens nach 3 Monaten keine Remission Intensivierung der Therapie z. B. • MTX + SASP + HCQ • MTX + LEF • MTX + CIA 225 Abb. 15.3 Basistherapie der initialen rheumatoiden Arthritis (nach Gromnica-Ihle 2002). MTX = Methotrexat LEF = Leflunomid SASP = Salazosulfapyridin HCQ = Hydroxychloroquin CIA = Cyclosporin A TNF = Tumornekrosefaktor IL-1-Ra = Interleukin-1-Rezeptorantagonist LWAR = langwirksame Antirheumatika keine Remission Reduktion bzw. Absetzen der Glukokortikoide Dosis-Adaption der LWAR Step down Bis die immunsuppressive Therapie ihre Wirkung entfaltet hat (in der Regel nach 6 – 12 Wochen), werden Glukokortikoide im Niedrig-Dosis-Bereich (2,5 – 7,5 mg), als Stoßbehandlung (0,5 – 1 mg/kg KG) oder als Pulstherapie (Tagesdosen 250 mg bis 1000 mg parenteral an 3 – 5 Tagen) eingesetzt. Operative Behandlung: Operative Therapiemaßnahmen sind in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung die Radiosynoviorthese, Artikulo- und Tenosynovektomien, Korrekturosteotomien, Resektionsarthroplastiken, der endoprothetische Gelenkersatz oder Arthrodesen. Prognose und Verlauf Prognostisch sind progressive, intermittierende und fluktuierende Verläufe, aber nur sehr selten spontane Remissionen bekannt. 70 – 80% der Fälle verlaufen in Schüben mit großer Variationsbreite. Ungünstige Faktoren sind eine hohe humorale Entzündungsaktivität (CRP), hochtitrige Rheumafaktoren, positive CCP-Antikörper, Rheumaknoten, geringe Faustkraft, schlechter Funktionsstatus und Nachweis von HLA-DR4. Durch eine schnelle Diagnosestellung („Früharthritis-Sprechstunde “), möglichst innerhalb von 3 Monaten nach Erstmanifestation, können Verlauf und Prognose entscheidend verbessert werden. Spondyloarthritiden Definition und Klassifikation Der Überbegriff Spondyloarthritis umfasst eine Gruppe von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, welche neben einer Assoziation mit dem genetischen Marker HLA-B27 klinische Gemeinsamkeiten wie Achsenskelettbefall, Oligoarthritis und extraartikuläre Manifestationen zeigen: 앫 Spondylitis ankylosans, 앫 Spondylo-/Arthritis psoriatica, 앫 reaktive Spondyloarthritis (posturethritisch, postenteritisch), 앫 Spondyloarthritis bei entzündlicher Darmerkrankung (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), 앫 SAPHO-Syndrom (Synovialitis, Akne, Pustulose, Hyperostose, Osteitis), 앫 undifferenzierte Spondyloarthritis. Die Zuordnung zu dieser Krankheitsgruppe ist mittels der ESSG-Kriterien möglich (Tab. 15.3). Ätiopathogenese Sowohl genetische Disposition als auch exogene Faktoren spielen bei der Ätiologie und Pathogenese der Spondyloarthritiden eine wichtige Rolle. Das zeigt sich bei der Spondylitis ankylosans durch den in ca. 90% der Fälle Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Gelenke Synonyme Spondylarthropathie, Spondylarthritis, Spondarthritis. 226 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Tabelle 15.3 ESSG-Kriterien zur Einordnung der Spondylitis ankylosans in die Gruppe der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen Hauptkriterien (aktuell oder anamnestisch) entweder 앫 entzündlicher Wirbelsäulenschmerz oder 앫 Arthritis: asymmetrisch, peripher, bevorzugt untere Extremität und 앫 1 Nebenkriterium (aktuell oder anamnestisch) Nebenkriterien 앫 positive Familienanamnese (Verwandte 1./2. Grades mit Spondylitis ankylosans, Psoriasis, reaktiver Arthritis, Morbus Crohn/Colitis ulcerosa, akute Uveitis) 앫 Psoriasis 앫 entzündliche Darmerkrankung 앫 Urethritis/Zervizitis/Diarrhö 1 Monat vor Beginn der Arthritis 앫 wechselnder Gesäßschmerz (rechts/links) 앫 Enthesiopathie 앫 radiologisch Sakroiliitis nachweisbaren positiven HLA-B27 sowie bei der reaktiven Arthritis durch die ursächlichen Infektionen mit z. B. Chlamydien, Yersinien und anderen enteralen Erregern. Epidemiologie Die Prävalenz der Spondyloarthritiden liegt bei 1,9%, davon entfallen 0,9% auf die Spondylitis ankylosans. Vor allem junge Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren erkranken, wobei Frauen nur wenig seltener als Männer betroffen sind. Diagnostik Klinische Diagnostik Zur Diagnose der Spondylitis ankylosans können die modifizierten New-York-Kriterien (Tab. 15.4) verwendet werden. Eine wahrscheinliche Diagnose ergibt sich, wenn: Gelenke Tabelle 15.4 Modifizierte New-York-Kriterien zur Diagnose der Spondylitis ankylosans Klinisch 앫 tief sitzende Kreuzschmerzen/-steife ⬎ 3 Monate; Besserung durch Bewegung, aber nicht durch Ruhe 앫 Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Vorwärts- und Seitwärtsbewegung sowie Streckung 앫 verminderte Atembreite geschlechts- und altersadaptiert (⬍ 2,5 cm) Radiologisch 앫 beidseitige Sakroiliitis Grad 2 – 4 앫 einseitige Sakroiliitis Grad 3 – 4 앫 alle klinischen Kriterien vorhanden sind ohne ein radiologisches Kriterium oder 앫 ein radiologisches Kriterium ohne klinische Kriterien. Eine sichere Diagnose kann gestellt werden, wenn ein radiologisches und mindestens ein klinisches Kriterium nachweisbar sind. Typisch für den Achsenskelettbefall bei Spondyloarthritiden ist der entzündliche Kreuzschmerz, der anamnestisch oftmals bereits eine Abgrenzung gegenüber degenerativen Beschwerden erlaubt und auch ein wichtiges diagnostisches Kriterium der Spondylitis ankylosans ist: 앫 Krankheitsbeginn vor dem 40. Lebensjahr, 앫 schleichender Beginn der Beschwerden, 앫 Dauer mindestens 3 Monate, 앫 nächtliche Schmerzen mit Erwachen in der zweiten Nachthälfte, 앫 Morgensteifigkeit, 앫 Besserung bei Bewegung und im Tagesverlauf, 앫 alternierende Schmerzen im Gesäß evtl. mit ischialgiformer Ausstrahlung an der Oberschenkelrückseite bis zum Knie, 앫 gutes Ansprechen auf NSAR. Die Arthritis psoriatica zeigt sich in ihrer klinischen Ausprägung sehr vielgestaltig und hat 5 verschiedene Befallsmuster: 앫 Endgelenkbefall (assoziierte Nagelläsion), 앫 erosiv-destruierend (mit Ankylosen und Mutilationen), 앫 symmetrische Polyarthritis (ähnlich chronische Polyarthritis), 앫 Mon- oder Oligoarthritis (teils Strahlbefall Finger/Zeh), 앫 spondyloarthritisch (nicht selten einseitiger ISG-Befall). Humorale Entzündungsparameter (BSG und C-reaktives Protein) sind bei bis zu 70% der Patienten erhöht. Das HLAB27 kommt bei den verschiedenen Spondyloarthritiden unterschiedlich oft vor; bei Achsenskelettbefall ist es häufiger nachweisbar. Eine Übersicht der verschiedenen klinischen Charakteristika der Spondyloarthritiden ist in Tabelle 15.5 zu finden. Bildgebende Diagnostik Radiologische Zeichen einer Sakroiliitis sind das Nebeneinander von Sklerosierungen, unregelmäßigem Gelenkspalt, Erosionen und Ankylosen (buntes Bild) (Abb. 15.4 a u. b). Die zugehörige Stadieneinteilung (Tab. 15.6) ist für die Diagnosesicherung der Spondylitis ankylosans notwendig. An der Lendenwirbelsäule muss auf typische entzündliche Wirbelsäulenveränderungen geachtet werden (Abb. 15.5 a u. b). Die Magnetresonanztomographie kann besonders floride Entzündungen der Iliosakralgelenke nachweisen (Abb. 15.6). Die Computertomographie gibt dagegen einen besseren Aufschluss über fortgeschrittene knöcherne Veränderungen in den Kreuzbein-DarmbeinGelenken. In der Szintigraphie kann ein pathologischer Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Spondyloarthritiden 227 Tabelle 15.5 Charakteristika verschiedener Spondyloarthritiden Spondylitis ankylosans Spondyloarthritis psoriatica Reaktive Spondyloarthritis Spondyloarthritis bei entzündlicher Darmerkrankung Manifestationsalter jüngeres Erwachsenenalter jüngeres und mittleres Erwachsenenalter jüngeres und mittleres Erwachsenenalter jüngeres und mittleres Erwachsenenalter Geschlecht 3-mal häufiger bei Männern gleich häufig bevorzugt Männer gleich häufig Beginn allmählich unterschiedlich akut allmählich Sakroiliitis/Spondylitis 100% 20% 50% 20% Sakroiliitissymmetrie symmetrisch asymmetrisch asymmetrisch symmetrisch Periphere Arthritis 25% 95% 90% 20% Enthesitis ⫹⫹ ⫹⫹ ⫹⫹ ⫹ Diarrhö ⫺ ⫺ ⫹/⫹⫹ ⫹⫹ Urogenitale Beteiligung (⫹) ⫺ ⫹/⫹⫹ ⫺ Augenbeteiligung 30% 20% 50% 15% Mukokutane Läsionen ⫺ 100% 40% selten Herzbeteiligung 5% selten 10% selten Sakroiliakalindex diagnostisch hilfreich sein und bei zusätzlicher Single-Photonen-Emissions-Computertomographie (SPECT) den entzündlichen Befall der kleinen Wirbelgelenke zeigen. Mittels Ultraschall lassen sich z. B. Bursitiden (Trochanter major) und Tenosynovialitiden (Achillessehne) objektivieren. Bei der Arthritis psoriatica können typische und teilweise spezifische nativradiologische Befunde (Nebeneinander von Erosionen und Proliferationen, Periostreaktionen, produktive Fibroostitis, Parasyndesmophyten) wesentlich zur Diagnosesicherung beitragen. Therapie Infolge des fehlenden kausalen Therapieansatzes ist die Erhaltung der Beweglichkeit oberstes Ziel. Voraussetzung hierfür ist die konsequente Behandlung von Entzündung und Schmerz, wodurch einerseits das Risiko irreversibler Veränderungen reduziert und andererseits die regelmäßige physikalische Therapie ermöglicht wird. Operative Behandlung: Die operative Therapie kann notfallmäßig bei neurologischen Ausfällen durch atlantodentale Dislokation, Wirbelkörperfraktur oder Spondylodiszitis notwendig werden. Im Einzelfall können eine Aufrichtungsosteotomie bei ausgeprägter Kyphosierung der Wirbelsäule, der endoprothetische Gelenkersatz, die Synovektomie, eine Radiosynoviorthese oder Arthrodese erwogen werden. Prognose Spondyloarthritiden haben meist eine gute Prognose hinsichtlich Erwerbstätigkeit und Lebenserwartung. Gelegentlich kann es bei der Spondylitis ankylosans und der Arthritis psoriatica jedoch zu schweren Verlaufsformen mit früher Invalidisierung und höherer Mortalität kommen. Gelenke Konservative Behandlung: Sie wird der Aktivität und Ausprägung der Erkrankung angepasst und erfolgt sympto- matisch mit NSAR und intraartikulären Steroiden. Bei über 3 Monate dauernder peripherer Arthritis erfolgt eine Basistherapie mit Sulfasalazin (bei Psoriasis mit MTX), bei hoher Aktivität mit TNF-α-Inhibitoren. Für die Wirbelsäule ist ein Selbstübungsprogramm notwendig. Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG 228 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen b Abb. 15.4 a u. b Typische nativradiologische Befunde bei Spondyloarthritis am Becken (aus: Merckle Rheumatologie visuell. Rheumatologische Bilddatenbank. Vol. 1, Thieme, Stuttgart 2002). a Fortgeschrittene beidseitige Sakroiliitis (Grad 3). b Deutliche Enthesitis an Symphyse und Sitzbeinen. a Gelenke Abb. 15.5 a u. b „BambusstabWirbelsäule“ bei Morbus Bechterew (a) und typische „Zuckerguss-Wirbelsäule“ bei Morbus Forrestièr (b) (aus: Merckle Rheumatologie visuell. Rheumatologische Bilddatenbank. Vol. 1, Thieme, Stuttgart 2002). a b Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Reaktive Arthritiden 229 Tabelle 15.6 Stadieneinteilung der Spondylitis ankylosans Stadium Befund 0 Normalbefund 1 verwaschener Gelenkspalt, Pseudoerweiterung, mäßige Sklerosierung 2 unregelmäßige Gelenkspalterweiterung, ausgeprägte Sklerosierung, Erosionen, „Perlschnurbild“ 3 Gelenkspalterweiterung oder -verengung, Erosionen, Sklerosierungen, partielle Ankylosierung 4 totale Ankylose Abb. 15.6 Schwere aktive Sakroiliitis links, rechts gering ausgeprägter Befund im CT der Iliosakralgelenke bei Spondarthritis (aus: Merckle Rheumatologie visuell. Rheumatologische Bilddatenbank. Vol. 1, Thieme, Stuttgart 2002). Reaktive Arthritiden Synonyme Reiter-Syndrom (Trias von Arthritis, Urethritis, Konjunktivitis). Definition und Klassifikation Die reaktive Arthritis ist eine rheumatische Gelenkentzündung, welche im zeitlichen Zusammenhang mit einer vorausgegangenen bakteriellen gastrointestinalen, urogenitalen oder bronchopulmonalen Infektion steht. Ätiopathogenese Die reaktive Arthritis entsteht infolge einer primären Infektion außerhalb des Gelenks mit nachfolgender Verteilung der Erreger und Persistenz von Erregerbestandteilen in der Synovialis. Die Manifestation der Erkrankung ist abhängig von immungenetischen Faktoren und Störungen der Immunregulation. Epidemiologie Bei der reaktiven Arthritis treten klinisch 1 – 3 Wochen zuvor dysurische Beschwerden, vorübergehende Diarrhö oder kurzzeitige pharyngeale Symptome auf. Die Arthritis befällt meist asymmetrisch Knie- und Sprunggelenke; nicht selten kommt es auch zur Daktylitis (hochakute wurstförmige Schwellung eines Finger- oder Zehenstrahls). Tief sitzende Kreuzschmerzen (Sakroiliitis) bestehen ebenso wie schmerzhafte Enthesiopathien, insbesondere der Fersen (Achillodynie, Achillobursitis, Fasciitis plantaris), oft einseitig auftretend. Extraartikuläre Manifestationen betreffen Augen (Uveitis, Konjunktivitis), Haut (Keratoderma blenorrhagicum, psoriatiforme Effloreszenzen an Handflächen und Fußsohlen, Erythema nodosum (druckschmerzhaft münzgroße Effloreszenzen an den Unterschenkeln), Schleimhaut (schmerzlose, rasch abheilende Mundulzera), Urogenitalsystem (Prostatitis, Epididymitis, Urethritis, Balanitis, Zervizitis, Salpingitis) und selten innere Organe (Herz, Nervensystem). Ergänzend zur klinische Diagnostik erfolgt eine gezielte erregerorientierte Diagnostik. Das HLA-B27 ist häufig positiv. Bei der radiologischen Untersuchung zeigen chronische Verläufe mitunter erosive Vorfußarthritiden, produktive Ossifizierungen an den Enthesen des Fersen- und Sitzbeines, paraspinale Ossifikationen und unilaterale Sakroiliitiden. Gelenke Die Arthritis befällt 2 – 3% der an den entsprechenden Infektionen Erkrankten mit einer hohen Dunkelziffer infolge asymptomatischer Infektionen. Die jährliche Inzidenz beträgt 30 – 40/100 000 Einwohner, Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen, der Altersgipfel liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Diagnostik Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG 230 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Differenzialdiagnose Therapie Differenzialdiagnostisch sind die Psoriasisarthropathie, die Kristallarthropathien und infektiöse Arthritiden (Erreger im Gelenkpunktat) abzugrenzen. Die Lyme-Arthritis kann serologisch und die akute Sarkoidose, insbesondere bei Sprunggelenksarthritis und Erythema nodosum (Löfgren-Syndrom), mittels Röntgen des Thorax ausgeschlossen werden. Die symptomatische Therapie umfasst NSAR, lokal Glukokortikoide und den vorübergehenden Einsatz von Basistherapeutika. Antibiotika haben keinen Einfluss auf die Arthritis. Die Erkrankung ist in zwei Drittel der Fälle innerhalb von einem Jahr selbstlimitierend, der Rest der Patienten zeigt über diesen Zeitpunkt hinaus noch Symptome, oft jedoch in abgeschwächter Form. Rezidive sind möglich. Lyme-Arthritis Synonyme Lyme-Borreliose. Definition und Klassifikation Die Lyme-Arthritis ist eine durch Borrelia burgdorferi verursachte, nach Monaten bis Jahren auftretende entzündliche Gelenkerkrankung mit bevorzugt schmerzlosem Befall eines Kniegelenks. Ätiopathogenese Borrelien gehören zur Gruppe der Spirochäten und werden in Europa durch die Schildzecke übertragen. Epidemiologie Etwa 25% der Zecken in Deutschland sind Borrelienträger. Das allgemeine Risiko, bei einem Zeckenstich mit Borrelien infiziert zu werden, beträgt hierzulande ca. 5%. Nur bei jedem 20. Fall kommt es zu Krankheitserscheinungen. Diagnostik Therapie Die kausale Therapie der Arthritis im Rahmen einer Borreliose ist die Antibiose über 3 – 4 Wochen. Bei persistierender Ergussbildung mit deutlicher Synovialisproliferation ist eine arthroskopische Synovektomie sinnvoll. In 90% der Fälle führt die antibiotische Therapie (hochdosiert Penicilline) zur Ausheilung der Erkrankung. Bei den anderen Patienten persistiert die Arthritis mindestens ein Jahr, heilt dann aber in der Regel spontan aus; Rezidive und Reinfektionen sind möglich. Gelenke Die Patienten klagen über eine anhaltende, oft schmerzlose Schwellung meist eines Gelenks, wobei das Kniegelenk am häufigsten betroffen ist. Anamnestisch ist nur in ca. einem Drittel der Fälle mit Lyme-Arthritis ein durchschnittlich 6 Monate vorausgegangener Zeckenstich bzw. ein Erythema chronicum migrans erinnerlich. Klinisch ist in der Regel ein deutlicher (Knie-)Gelenkerguss mit sekundärem Funktionsdefizit, jedoch oft ohne Bewegungsschmerz feststellbar. Bei klinischem Verdacht muss die Diagnose serologisch durch einen Suchtest (Enzymimmunoassay) für Antikörper der Klassen IgG und IgM, gefolgt von einem Bestätigungstest (Immunoblot) gesichert werden. Die PCR auf Borrelien-DNA in Synovia, Urin, Hautbiopsien und Liquor steht bisher nur in spezialisierten Labors zur Verfügung. Die konventionelle Röntgendiagnostik zeigt in der Regel keinen pathologischen Befund und dient letztendlich nur der Ausschlussdiagnostik (Arthrose, Chondrokalzinose, Osteonekrose). Arthrosonographisch kann jedoch eine Beurteilung hinsichtlich des Ausmaßes einer möglichen Synovialisproliferation und Baker-Zyste gemacht werden. Entsprechend dem jeweiligen Befallsmuster müssen differenzialdiagnostisch Spondyloarthritiden, Kristallarthropathien, Arthritis bei Sarkoidose sowie reaktive Arthritiden abgegrenzt werden. Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Undifferenzierte Arthritis 231 Undifferenzierte Arthritis Synonyme Diagnostik Unklassifizierte seronegative Arthritis, nicht definierte Arthritis, Arthritis unbekannter Diagnose, nicht klassifizierte Monarthritis, nicht spezifische Arthritis, Synovitis unbekannter Ursache. Klinische Diagnostik Definition und Klassifikation Der Begriff „undifferenziert“ für nicht klassifizierbare Arthritiden bzw. Spondyloarthritiden dient als vorläufige Diagnose bzw. Arbeitsdiagnose für nosologisch nicht sicher einzuordnende Erkrankungen. Damit wird eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern umschrieben, für die folgende Möglichkeiten in Frage kommen: 앫 Frühform einer bekannten Erkrankung, 앫 abortive Verlaufsform, 앫 Überlappungssyndrom, 앫 ätiologisch-nosologisch noch unklare Erkrankung. Nach klinischen Gesichtspunkten kann eine weitere Unterteilung in undifferenzierte Arthritiden und undifferenzierte Spondyloarthritiden vorgenommen werden. Letztere sind bereits dargestellt (s. oben). Ätiopathogenese Ätiologisch sind die undifferenzierten Arthritiden heterogen. So fanden sich eine erhöhte Assoziation mit dem HLA-B27 und eine Häufung von Rheumafaktoren, die auf eine mögliche Frühform einer Spondylitis ankylosans oder einer rheumatoiden Arthritis hinweisen. Häufig lassen sich in der Anamnese kürzlich durchgemachte Infektionen eruieren (Hülsemann u. Zeidler 2001). Dies bestätigen neuere molekularbiologische Untersuchungen, bei denen in der Synovialflüssigkeit oder Synovialmembran bakterielle DNA von Chlamydien, Borrelien und anderen Bakterien identifiziert wurden (Braun u. Mitarb. 1997, Schnarr u. Mitarb. 2001). Epidemiologie Bildgebende Diagnostik In der Bildgebung können mit der Arthrosonographie Ergüsse und/oder eine Synovialisproliferation nachgewiesen werden. Auch begleitende Tenosynovialitiden oder Enthesiopathien können sonographisch identifiziert bzw. dokumentiert werden. Die native Röntgendiagnostik ist abgesehen von den Weichteilveränderungen unauffällig. Die Kernspintomographie ergibt das typische Bild einer Arthritis. Da die Klassifikation als undifferenzierte Arthritis eine vorläufige Arbeitsdiagnose darstellt, muss differenzialdiagnostisch im weiteren Verlauf nach dem Übergang in eine definierte rheumatische Erkrankung gefahndet und ggf. die Diagnose revidiert werden. Therapie Die symptom- und problemorientierte konservative Behandlung stützt sich auf Bewegungs- und Kryotherapie, nichtsteroidale Antiphlogistika, evtl. intraartikuläre Glukokortikoide und langwirkende Antirheumatika bei chronischen Verläufen. Wegen des günstigen Spontanverlaufs sind operative Eingriffe (Synovektomie) primär nicht indiziert, eher alternativ die Radiosynoviorthese oder chemische Synoviorthese. Bei der Mehrzahl der Patienten kommt es nach Wochen bis Monaten zur kompletten Remission ohne Residuen (Schumacher u. Mitarb. 2004, Verpoort u. Mitarb. 2004). Gelenke Frühe Arthritiden mit einer Krankheitsdauer von weniger als 6 – 12 Monaten können in 20 – 56% der Fälle keiner bekannten Erkrankung zugeordnet werden (Hülsemann u. Zeidler 1995). Betroffen sind Patienten im jüngeren bis mittleren Lebensalter (41 plus 15 Jahre) und Frauen etwa doppelt so häufig als Männer. Die Symptome einer Arthritis mit Schmerzen, Schwellungen, Überwärmung und Funktionsbehinderung treten akut, subakut oder langsam schleichend auf, wobei meist ein oder wenige Gelenke betroffen sind. Anamnestisch finden sich oft Hinweise auf durchgemachte Infekte, wie z. B. der oberen Luftwege, des Urogenital- oder des Gastrointestinaltraktes, ohne dass sich ein Erreger nachweisen oder ein Zusammenhang mit der Arthritis beweisen lässt. Klinisch finden sich die typischen Zeichen einer Arthritis mit Schwellung, Druckschmerzhaftigkeit, Überwärmung, Fluktuation und eingeschränkter Beweglichkeit. Mitunter lassen sich auch Tenosynovialitiden und druckschmerzhafte Enthesiopathien nachweisen. Als Entzündungszeichen sind die BSG und das C-reaktive Protein erhöht, können jedoch auch normal sein. Rheumafaktoren und HLA-B27 können positiv sein. Die Analyse der Synovialflüssigkeit ergibt den Befund eines entzündlichen, überwiegend granulozytären Ergusses mit einer Zellzahl von über 3000/µl. Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG 232 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Entzündlich-systemische Erkrankungen des Bindegewebes Synonyme Kollagenosen. Definition und Klassifikation Bei den Kollagenosen handelt sich um eine Gruppe von Systemerkrankungen, bei denen das Bindegewebe (z. B. Kollagen) und die Gefäße (Vaskulitis) die Orte der autoimmunologisch vermittelten Entzündung sind. Prinzipiell ist eine Manifestation in allen Organsystemen möglich. Meist werden Gelenke, die Haut und innere Organe befallen. Ätiopathogenetisch und diagnostisch richtungsweisend sind die serologisch nachweisbaren krankheitsspezifischen Autoantikörper. Folgende Erkrankungen werden zu den Kollagenosen gezählt: 앫 systemischer Lupus erythematodes, 앫 Sklerodermie, 앫 Polymyositis/Dermatomyositis, 앫 Mischkollagenose (MCTD: mixed connective tissue disease oder Sharp-Syndrom), 앫 primäres Sjögren-Syndrom, 앫 undifferenzierte entzündlich-systemische Bindegewebeerkrankung. Bei den Vaskulitiden ist die Gefäßwand und insbesondere das Endothel Ort der autoimmunologisch vermittelten Entzündung. Es handelt sich um eine inhomogene Gruppe von ätiologisch, pathogenetisch und histopathologisch verschiedenen Erkrankungen. Daher existieren unterschiedliche Klassifikationen. Die derzeit übliche Einteilung erfolgt gemäß der Größe der befallenen Gefäße. Systemischer Lupus erythematodes Epidemiologie Die Prävalenz des systemischen Lupus erythematodes in Europa beträgt 25 – 30/100.000 Einwohner. Es erkranken zu 80 – 90% Frauen, meist in der 3. Lebensdekade. Diagnostik Klinische Diagnostik Der Gelenkbefall manifestiert sich klinisch in Form von Arthralgien und Arthritiden von wechselndem Charakter, in der Regel polyartikulär und symmetrisch, vorzugsweise an Fingermittel- und -grundgelenken, aber auch die großen Gelenke sind betroffen sowie nicht selten die Fingerendgelenke. Als Deformierungen können eine ulnare Deviation und Schwanenhalsdeformierung (Jaccoud-Arthropathie) entstehen, es kommt jedoch nicht zu erosiven Destruktionen. Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Schwäche, Gewichtsverlust oder Fieber fehlen selten. Die weitere Symptomatologie ist sehr variabel in Abhängigkeit von den jeweiligen Organmanifestationen. Charakteristisch ist das Schmetterlingserythem im Gesicht in bis zu 50% der Fälle. Des Weiteren können morbilliforme (masernartige) Exantheme, insbesondere nach UV-Exposition, oder vaskulitische Effloreszenzen z. B. an den Unterschenkeln und am Nagelfalz beobachtet werden. Eine Oligo- bzw. Polysynovitis findet sich oft in den Fingermittel-, Knie- und Handgelenken. Die Lupusnephritis verläuft meist klinisch stumm und nur bei bereits vorangeschrittener Erkrankung treten beidseitige Unterschenkelödeme als Ausdruck der Proteinurie mit nephrotischem Syndrom auf. Ätiopathogenese Labordiagnostik Die Ursache dieser Erkrankungen ist unbekannt. Prinzipiell liegen eine Hyperreaktivität der B-Zellen und eine verminderte T-Lymphozytenaktivität vor. Durch polyklonale B-Zell-Aktivierung und Durchbrechen der Toleranz gegen körpereigene Strukturen (ausgelöst durch bisher unbekannte Mechanismen) werden zahlreiche Antikörper gegen Körperantigene produziert (Autoaggression). Der systemische Lupus erythematodes ist die häufigste Kollagenose und wird deshalb exemplarisch ausführlicher dargestellt. Laborchemisch sind neben den humoralen Entzündungszeichen (BSG, α2-Globuline und Gammaglobuline in der Elektrophorese) die Bestimmung der antinukleären Antikörper (ANA) in einem Suchtest (Immunfluoreszenz) und im positivem Fall die Anforderung der krankheitsspezifischen Antikörper gegen doppelsträngige DNA-(Anti-dsDNA-)AK, Sm-AK und Anti-ribosomale-AK) richtungsweisend. Die Synoviaanalyse zeigt nur eine geringe Zellvermehrung auf 3000 bis 5000/µl mit überwiegend lymphozytären Zellen im Differenzialbild. Gelenke Bildgebende Diagnostik Das Röntgenbild zeigt auch bei einem langfristigen Krankheitsverlauf neben Weichteilschwellungen nur eine geringe gelenknahe Osteoporose und im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis keine erosiven Veränderungen. Die weitere bildgebende Diagnostik dient zur Erfassung von Organmanifestationen. Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Weitere entzündlich-rheumatische Erkrankungen Differenzialdiagnose In Betracht zu ziehen sind andere Kollagenosen, die rheumatoide Arthritis, hämatologische Systemerkrankungen, Infektionen, und der medikamenteninduzierte Lupus erythematodes. Therapie Die Diagnosestellung des Lupus erythematodes visceralis bedeutet eine sorgfältige langfristige (oft lebenslange) Überwachung. Besonders wichtig ist die Patienteninformation über das Krankheitsbild und die im Einzelfall je nach Schwere der Erkrankung erforderliche Therapie. Die medikamentöse Behandlung orientiert sich an der Krankheitsaktivität (DNS-Antikörpertiter, Komplementerniedrigung) und bestehenden Organbeteiligungen. Es kommen nichtsteroidale Antiphlogistika und Glukokorti- 233 koide in Frage sowie langwirksame Antirheumatika (Hydroxychloroquin, Methotrexat) und Immunsuppressiva (Azathioprin, Cyclophosphamid). Prognose Die Erkrankung verläuft meist schubweise, schleichend oder hoch akut beginnend, gelegentlich sehr milde und monosymptomatisch, häufiger schwerwiegend und nicht selten tödlich. Als Spätkomplikation trägt eine gehäufte Atherosklerose zur erhöhten Mortalität bei. Durch schnellere Diagnosestellung und bessere therapeutische Optionen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate gegenwärtig bei ca. 90%. Die Individualprognose ist abhängig vom Organbefall. Prognostisch ungünstig sind ein früher Nieren- oder ZNSBefall sowie eine hohe Krankheitsaktivität. Weitere entzündlich-rheumatische Erkrankungen Literatur Arnett, F.C., S.M. Edworthy, D.A. Bloch u. Mitarb. (1988): The American Rheumatism Association 1987 revised Criteria for the Classification of Rheumatoid Arthritis. Arthritis Rheum 31: 315 – 324 Braun, J., M. Tuszewski, U. Eggens u. Mitarb. (1997): Nested polymerase chain reaction strategy simultaneously targeting DNA sequences of multiple bacterial species in inflammatory joint diseases. 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Zeidler (2001): Sonstige Arthritis (undifferenzierte Arthritis und undifferenzierte Spondarthritis, M13). In: H. Zeidler, J. Zacher, F. Hiepe (Hrsg.): Interdisziplinäre klinische Rheumatologie. Springer, Berlin: 740 – 742 Huppertz, H.I., A. Krause (2003): Lyme-Boreliose. Internist 44:175 – 183 Köhler, L., J.G. Kuipers, S. Schnarr, H. Zeidler (2004): Spondylitis ankylosans: Fortschritte in der medikamentösen Therapie. Dtsch Ärztebl 101-A (21): 1507 – 1513 Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG Gelenke Die Polymyalgia rheumatica ist gekennzeichnet durch Muskelschmerzen und Muskelsteifigkeit symmetrisch im Bereich der Schulter- und Beckenregion, gelegentlich können Synovialitiden auftreten, vor allem in den Sternoklavikular-, Knie- und Handgelenken. Häufig besteht gleichzeitig eine Riesenzellarteriitis. Bei den Laborbefunden zeigt sich praktisch immer eine sehr starke Erhöhung der BSG und des CRP, spezifische Autoantikörper fehlen. Die Therapie der Wahl besteht in der Gabe von Glukokortikoiden, die meist zu einer schlagartigen Besserung führen. Das RS3PE-Syndrom (remitting seronegative symmetrical synovitis with Pitting edema) befällt Hände und Füße und geht mit einem ausgeprägten, eindrückbaren Ödem einher. Oft lässt sich eine Tenosynovialitis der Fingerstrecksehnen und der Beugesehnen nachweisen (Finnel u. Cuesta 2000). Therapie der Wahl sind niedrig dosierte Glukokortikoide und als Basistherapie Hydroxychloroquin. Der adulte Morbus Still ist charakterisiert durch die Hauptsymptome Fieber, Arthralgien, makulopapulöses Exanthem und Leukozytose (Yamaguchi 1992). Die Entzündungsparameter BSG und C-reaktives Protein sind zumeist deutlich erhöht. Charakteristisch ist eine Hyperferritinämie. Die Symptomatologie spricht in leichten Fällen auf nichtsteroidale Antiphlogistika, bei deren Versagen zumeist auf Glukokortikoide an. 234 15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Tan, E.M., A.S. Cohen, J.F. Fries, A.T. Masi, D.J. McShane, N.F. Rothfield, J.G. Schaller, N. Talal, R.J. Winchester (1982): The 1982 revised criteria for the classification of systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum 25: 1271 – 1277 Verpoort, K.N., H. van Dongen, C.F. Allaart u. Mitarb. (2004): Undifferentiated arthritis. Disease course assessed in several inception cohorts. Clin Exp Rheumatol 22 (Suppl 35): 12 – 17 Yamaguchi, M., A. Ohta, T. Tsunematsu (1992): Preliminary criteria for the diagnosis of adult Still’s disease. J Rheumatol 19: 424 – 430 Zeidler, H., J. Kuipers, L. Köhler (2004): Chlamydia-induced arthritis. Curr Opin Rheumatol 16: 380 – 392 Gelenke Kuipers, J., H. Zeidler, L. Köhler (2006): Kriterien rheumatischer Erkrankungen. Klassifikation, Diagnose, Aktivität und Prognose. Wiskom, Friedrichshafen Schnarr, S., N. Putschky, M.C. Jendro u. Mitarb. (2001): Chlamydia and Borrelia DNA in synovial fluid of patients with early undifferentiated oligoarthritis: results of a prospective study. Arthritis Rheum 44: 2679 – 2685 Schumacher, H.R., W. Habre, R. Meador, E.C. Hsia (2004): Predictive factors in early arthritis: Long-term follow-up. Semin Arthritis Rheum 33: 264 – 272 Silman, A.J., M.C. Hochberg (2001): Epidemiology of the rheumatic diseases. 2nd ed. Oxford University Press, Oxford Strunk, J. Lange, U. Müller-Ladner (2005): Rheumatoide Arthritis. Dtsch Med Wschr 130: 1761 – 1768 Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131406415), 䉷 2007 Georg Thieme Verlag KG