Wirth, Mutschler, Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie

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15
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
M. Bernateck, N. Putschky, H. Zeidler
Einleitung
Mit dem Begriff „entzündlich-rheumatische Erkrankungen“ wird eine Gruppe von Krankheiten entzündlicher
Genese zusammengefasst, die Gelenke, Wirbelsäule, Sehnen und Sehnenscheiden, Sehnenansätze, Schleimbeutel,
Muskeln, Gefäße, Nerven, Bindegewebe, Haut und innere
Organe befallen können.
Die meisten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
sind multifaktorieller Genese, wobei genetische Dispositionen, auslösende infektiöse Ursachen und immunologische Reaktionsmuster eine führende Rolle einnehmen. So
kann ein Erreger verschiedene Erkrankungen verursachen
und verschiedene Erreger können ein gleiches rheumatisches Syndrom auslösen. Ein Beispiel für die Erzeugung
von verschiedenen rheumatischen Syndromen ist die Infektion mit Chlamydien, die eine seronegative Oligoarthritis, HLA-B27-assoziierte Spondyloarthritis, das ReiterSyndrom und eine juvenile Arthritis verursachen kann.
Die reaktive Arthritis und das Reiter-Syndrom sind beispielhaft für die Entstehung eines klinischen Syndroms
durch verschiedenste Erreger, wie Yersinien, Salmonellen,
Shigellen, Campylobacter, Chlamydien und Ureaplasmen.
Rheumatoide Arthritis
Synonyme
Chronische Polyarthritis.
Definition und Klassifikation
Die rheumatoide Arthritis ist eine entzündliche Systemerkrankung, welche sich hauptsächlich an den Gelenken,
aber auch an Sehnen, Sehnenansätzen, Schleimbeuteln,
serösen Häuten, dem Gefäßsystem, den Augen und inneren Organen manifestieren kann. Die Klassifikation erfolgt
gemäß den Kriterien des American Congress of Rheumatology (Tab. 15.1).
Gelenke
Ätiologie und Pathogenese
Als krankheitsauslösend werden exogene Faktoren (z. B.
virale oder bakterielle Infektionen) und endogene Faktoren (z. B. genetische Disposition, HLA-DRB1, immunologische und endokrine Pathomechanismen) diskutiert. Neben der pathogenetischen Rolle der zellulären Immunantwort (T- und B-Zellen) hat sich der Nachweis einer Dysbalance des Zytokinnetzwerkes mit Erhöhung des Tumornekrosefaktors-α und von Interleukin-1 als relevant für
neue therapeutische Optionen der Immunmodulation erwiesen.
Tabelle 15.1 Klassifikationskriterien für die rheumatoide
Arthritis (ACR 1988)
1 Morgensteifigkeit
mindestens 1 Stunde anhaltend
2 Weiche Schwellungen
Arthritis von 3 oder mehr Gelenken
3 Arthritis der
Hände
Fingergrund-, Fingermittel- oder
Handgelenke
4 Symmetrische
Arthritis
simultane Beteiligung der gleichen
Gelenkregionen
5 Rheumaknoten
subkutane Knoten in Gelenknähe
oder Streckseiten
6 Rheumafaktor
positiv
Rheumafaktor im Serum nachgewiesen
7 Radiologische
Veränderungen
gelenknahe Osteoporose und/oder
Erosionen
Epidemiologie
Die rheumatoide Arthritis tritt bei allen Rassen und sozialen Schichten sowie in allen Klimazonen weltweit auf. Sie
hat eine jährliche Inzidenz von ca. 0,2 pro 1000 bei Männern und von ca. 0,5 pro 1000 bei Frauen. Die Prävalenz
schwankt zwischen 0,2 und 1,4% (Silman u. Hochberg
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Rheumatoide Arthritis
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2001). Frauen erkranken 2- bis 3-mal häufiger als Männer,
der Manifestationsgipfel liegt in der 4. und 5. Lebensdekade.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
a
b
c
Abb. 15.1 a – c Tenosynovialitiden (aus Schattenkirchner:
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. In: Praxis
der Orthopädie. Bd. I, Thieme, Stuttgart 2001).
a Symmetrische Polyarthritis, am ausgeprägtesten in den
Fingermittelgelenken, bei einer mit hoher Entzündungsaktivität beginnenden rheumatoiden Arthritis.
b Tenosynovialitis über dem Handgelenk bei einer beginnenden rheumatoiden Arthritis.
c Tenosynovialitis an der Volarseite des Handgelenks mit
Karpaltunnelsyndrom (siehe Atrophie der Thenarmuskulatur) in einer frühen Krankheitsphase.
Labordiagnostik
Die Labordiagnostik zeigt die Entzündungsparameter wie
BSG und C-reaktives Protein gering oder mäßig erhöht. Es
tritt eine Entzündungsanämie mit erniedrigtem Serumei-
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Gelenke
Meist sind Gelenkbeschwerden die ersten objektivierbaren Frühsymptome in Form von Morgensteifigkeit, weichen Gelenkschwellungen, zum Teil auch nur Gelenkschmerzen (Arthralgien), die meist symmetrisch an Fingergrund- und Fingermittelgelenken auftreten oder auch
im Bereich anderer Gelenke wie Hand-, Schulter-, Knieoder Zehengrundgelenke. Bei ca. 30% der Fälle ist der Beginn monoartikulär. Nur bei 20% der Patienten kommt es
zu einem akuten Krankheitsbeginn mit Polysynovialitis
und ausgeprägter Allgemeinsymptomatik. Etwa 10% der
Erkrankten klagen initial lediglich über Wirbelsäulenschmerzen im Bereich der HWS.
Das klinische Vollbild der rheumatoiden Arthritis zeigt
persistierende schmerzhafte Synovialitiden mit Überwärmung, Morgensteifigkeit, Kraftlosigkeit und früh einsetzender periartikulärer Muskelatrophie. An den Händen
(„Visitenkarte des Rheumatikers“) bilden sich weiche
Schwellungen symmetrisch an den Fingergrund- und Fingermittelgelenken sowie an den Handgelenken aus
(Abb. 15.1 a). An den Handgelenken kommt es häufig auch
zu Tenosynovialitiden (Abb. 15.1 b u. c). In den großen Gelenken (Hüft-, Knie-, Sprung- und Ellenbogengelenke) finden sich Gelenkergüsse und Funktionseinschränkungen.
Auch Bursitiden gehören zum Erscheinungsbild der rheumatoiden Arthritis sowie die Rheumaknoten an den
Streckseiten der Gelenke.
Die destruktive Potenz dieser Erkrankung zerstört
Knorpel, Sehnengewebe und Knochen. Daraus resultieren
die typischen Veränderungen wie Ulnardeviation und
Schwanenhalsdeformität der Finger II–V sowie die Z-Deformität der Daumen oder der rheumatische Spreizvorfuß
mit plantarer Verschwielung und Hallux valgus. Durch die
Tenosynovialitis im Handgelenkbereich kommt es oft zu
einem Karpaltunnelsyndrom.
Indirekte Arthritiszeichen sind der positive (schmerzhafte) volare Beugeschmerz im Handgelenk sowie das positive Zeichen nach Gaenslen und der Vorfußkompressionsschmerz (Querdruckschmerz der Fingergrundgelenke
bzw. der Metatarsalgelenke).
Charakteristische Komplikationen am Kniegelenk sind
die Poplitealzysten (Baker-Zysten), die eine Verbindung
zum Gelenkraum besitzen und zum Teil hernienartig in
die Logen der Wadenmuskulatur vordringen können. Des
Weiteren klagen manche Patienten über Schmerzen im
Nacken oder Hinterkopf, zum Teil auch retroorbital oder
temporal, wenn eine Zervikalarthritis vorliegt, die in
schwersten Fällen zu atlantoaxialen Subluxationen, einer
basilären Impression und subaxialen Dislokation führen
kann.
Extraartikuläre Manifestationen sind in Tabelle 15.2 zusammengefasst.
15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
Augen
Skleritis, Episkleritis, Keratitis sicca
Muskulatur
Myositis
Niere
Glomerulonephritis, Amyloidose
Psyche
sekundäre krankheitsbedingte Depressivität
sen und erhöhtem Ferritin auf, eventuell besteht bei hoher
Aktivität eine Leukozytose und/oder Thrombozytose.
Rheumafaktoren sind in ca. 70% und antinukleäre Antikörper in ca. 30% der Fälle positiv. Zyklische zitrullinierte
Polypeptid-Antikörper (CCP-AK) stehen als neue Marker
bei der Diagnosestellung der rheumatoiden Arthritis zur
Verfügung. CCP-AK besitzen eine Sensitivität von 71% und
eine Spezifität von 95% (Dubrous 2005). Sie können der
klinisch-symptomatischen Krankheitsmanifestation um
Jahre vorausgehen.
Im Gelenkpunktat ist eine Zellzahl von 5000 – 50 000/µl
mit überwiegend Granulozyten zu finden.
Bildgebende Diagnostik
n
tio
nk
Fu
ie
rap
the
rgo
-/E
sio
hy
,P
AR
NS
Schulung
Psychotherapie
de
roi h/
Ste misc
l
te
sys loka
In der bildgebenden Diagnostik zeigen sich nativröntgenologisch je nach Erkrankungsstadium periartikuläre
Weichteilschwellungen, gelenknahe Demineralisation,
Gelenkspaltverschmälerung, Aufbrauch der Grenzlamelle,
Erosionen (insbesondere im Bereich der Metakarpal- und
Metatarsalköpfchen) sowie Destruktionen und Ankylosen.
Die Arthrosonographie dient der frühen Synovitisdiagnostik, insbesondere bei Schulter-, Hüft-, und Kniegelenken, noch bevor sich ossäre Veränderungen röntgenologisch darstellen lassen. In der Magnetresonanztomographie (MRT) werden Ergussbildungen, synoviale Hyperämie und Proliferation, entzündliches Knochenödem, Tenosynovialitiden der Streck- und Beugesehnen sowie erosive Veränderungen dargestellt, welche nativröntgenologisch noch nicht detektiert werden konnten. Computertomographie und MRT eignen sich besonders an der HWS
zum Nachweis von entzündlichen Veränderungen im atlantozervikalen Übergangsbereich und zur frühzeitigen
Erkennung von eventuellen Rückenmarkkompressionen.
Konservative Behandlung: Sie ist multimodal und umfasst
neben verschiedenen Medikamenten das gesamte Spektrum physikalischer Maßnahmen (z. B. Krankengymnastik, Kryotherapie, Lagerungsschienen, Orthesen) einschließlich der Ergotherapie zur Gelenkschutzberatung
und Hilfsmittelversorgung, die Patientenschulung und
weitere rehabilitative und psychosoziale Maßnahmen
(Abb. 15.2).
Zur raschen analgetisch-antiphlogistischen Therapie
werden nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) eingesetzt. Bei gesicherter Diagnose und nachgewiesener klinischer und humoraler Krankheitsaktivität wird eine Basistherapie mit langwirksamen Antirheumatika bzw. Immunmodulatoren eingeleitet (z. B. Methotrexat, Hydroxychloroquin, Sulfasalazin, Leflunomid, Azathioprin, TNFblockierende Substanzen, Interleukin-1-Rezeptorantagonisten). Die Basistherapie muss bei fehlender Remission
von einer Monotherapie zu einer Kombinationstherapie
gesteigert und zeitnah (initial alle 3 Monate) der Erkrankungsaktivität angepasst werden (Abb. 15.3).
n
Lunge/Pleura Pleuritis sicca und exsudativa, interstitielle
Lungenfibrose, intrapulmonale Rheumaknoten
Therapie
Ziele der Therapie sind neben der Schmerzlinderung und
Funktionserhaltung vor allem das Aufhalten der Krankheitsaktivität und Gelenkzerstörung bis hin zum Erzielen
einer kompletten Remission, die durch den Einsatz von
immunsuppressiven Kombinationstherapien und die
hocheffektiven neuen Immunmodulatoren zunehmend
häufiger erreicht wird.
era
tio
funktionelle periphere Durchblutungsstörungen, Gangrän
Op
Peri-, Myo-, Endokarditis
Gefäße
rz
NS
AR
,A
na
lge
tik
a
Herz
polyarthrosen besonders Kollagenosen und Paraneoplasien abgegrenzt werden.
me
Tabelle 15.2 Extraartikuläre Manifestationen bei rheumatoider Arthritis
Sch
224
Basistherapie
Destruktion
Gelenke
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch müssen neben Spondyloarthritiden, reaktiven Arthritiden, infektiösen Gelenkerkrankungen, Kristallarthropathien und aktivierten Fingergelenk-
Abb. 15.2 Synopse der Behandlung der chronischen Polyarthritis (Strunk u. Mitarb. 2005).
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Spondyloarthritiden
Ziel der Basistherapie: rasche klinische und laborchemische Remission
MTX (alternativ LEF oder SASP)
Remission
Glukokortikoide
+
Beurteilung
spätestens
nach 3 Monaten
Reduktion der
Glukokortikoide
Remission
Beurteilung
spätestens
nach 3 Monaten
keine
Remission
Intensivierung der Therapie
z. B. • MTX + SASP + HCQ
• MTX + LEF
• MTX + CIA
225
Abb. 15.3 Basistherapie der initialen rheumatoiden Arthritis
(nach Gromnica-Ihle 2002).
MTX = Methotrexat
LEF = Leflunomid
SASP = Salazosulfapyridin
HCQ = Hydroxychloroquin
CIA = Cyclosporin A
TNF = Tumornekrosefaktor
IL-1-Ra = Interleukin-1-Rezeptorantagonist
LWAR = langwirksame Antirheumatika
keine
Remission
Reduktion bzw. Absetzen
der Glukokortikoide
Dosis-Adaption der LWAR
Step down
Bis die immunsuppressive Therapie ihre Wirkung entfaltet hat (in der Regel nach 6 – 12 Wochen), werden Glukokortikoide im Niedrig-Dosis-Bereich (2,5 – 7,5 mg), als
Stoßbehandlung (0,5 – 1 mg/kg KG) oder als Pulstherapie
(Tagesdosen 250 mg bis 1000 mg parenteral an 3 – 5 Tagen)
eingesetzt.
Operative Behandlung: Operative Therapiemaßnahmen
sind in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung
die Radiosynoviorthese, Artikulo- und Tenosynovektomien, Korrekturosteotomien, Resektionsarthroplastiken,
der endoprothetische Gelenkersatz oder Arthrodesen.
Prognose und Verlauf
Prognostisch sind progressive, intermittierende und fluktuierende Verläufe, aber nur sehr selten spontane Remissionen bekannt. 70 – 80% der Fälle verlaufen in Schüben
mit großer Variationsbreite. Ungünstige Faktoren sind eine hohe humorale Entzündungsaktivität (CRP), hochtitrige Rheumafaktoren, positive CCP-Antikörper, Rheumaknoten, geringe Faustkraft, schlechter Funktionsstatus
und Nachweis von HLA-DR4. Durch eine schnelle Diagnosestellung („Früharthritis-Sprechstunde “), möglichst innerhalb von 3 Monaten nach Erstmanifestation, können
Verlauf und Prognose entscheidend verbessert werden.
Spondyloarthritiden
Definition und Klassifikation
Der Überbegriff Spondyloarthritis umfasst eine Gruppe
von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, welche
neben einer Assoziation mit dem genetischen Marker
HLA-B27 klinische Gemeinsamkeiten wie Achsenskelettbefall, Oligoarthritis und extraartikuläre Manifestationen
zeigen:
앫 Spondylitis ankylosans,
앫 Spondylo-/Arthritis psoriatica,
앫 reaktive Spondyloarthritis (posturethritisch, postenteritisch),
앫 Spondyloarthritis bei entzündlicher Darmerkrankung
(Morbus Crohn, Colitis ulcerosa),
앫 SAPHO-Syndrom (Synovialitis, Akne, Pustulose, Hyperostose, Osteitis),
앫 undifferenzierte Spondyloarthritis.
Die Zuordnung zu dieser Krankheitsgruppe ist mittels der
ESSG-Kriterien möglich (Tab. 15.3).
Ätiopathogenese
Sowohl genetische Disposition als auch exogene Faktoren
spielen bei der Ätiologie und Pathogenese der Spondyloarthritiden eine wichtige Rolle. Das zeigt sich bei der
Spondylitis ankylosans durch den in ca. 90% der Fälle
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Gelenke
Synonyme
Spondylarthropathie, Spondylarthritis, Spondarthritis.
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15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
Tabelle 15.3 ESSG-Kriterien zur Einordnung der Spondylitis ankylosans in die Gruppe der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
Hauptkriterien
(aktuell oder
anamnestisch)
entweder
앫 entzündlicher Wirbelsäulenschmerz
oder
앫 Arthritis: asymmetrisch, peripher,
bevorzugt untere Extremität
und
앫 1 Nebenkriterium (aktuell oder
anamnestisch)
Nebenkriterien
앫 positive Familienanamnese (Verwandte 1./2. Grades mit Spondylitis ankylosans, Psoriasis, reaktiver
Arthritis, Morbus Crohn/Colitis
ulcerosa, akute Uveitis)
앫 Psoriasis
앫 entzündliche Darmerkrankung
앫 Urethritis/Zervizitis/Diarrhö
1 Monat vor Beginn der Arthritis
앫 wechselnder Gesäßschmerz
(rechts/links)
앫 Enthesiopathie
앫 radiologisch Sakroiliitis
nachweisbaren positiven HLA-B27 sowie bei der reaktiven
Arthritis durch die ursächlichen Infektionen mit z. B. Chlamydien, Yersinien und anderen enteralen Erregern.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Spondyloarthritiden liegt bei 1,9%, davon entfallen 0,9% auf die Spondylitis ankylosans. Vor allem junge Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren
erkranken, wobei Frauen nur wenig seltener als Männer
betroffen sind.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Zur Diagnose der Spondylitis ankylosans können die modifizierten New-York-Kriterien (Tab. 15.4) verwendet
werden. Eine wahrscheinliche Diagnose ergibt sich, wenn:
Gelenke
Tabelle 15.4 Modifizierte New-York-Kriterien zur Diagnose der
Spondylitis ankylosans
Klinisch
앫 tief sitzende Kreuzschmerzen/-steife ⬎ 3 Monate; Besserung durch Bewegung, aber nicht
durch Ruhe
앫 Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Vorwärts- und Seitwärtsbewegung
sowie Streckung
앫 verminderte Atembreite geschlechts- und
altersadaptiert (⬍ 2,5 cm)
Radiologisch
앫 beidseitige Sakroiliitis Grad 2 – 4
앫 einseitige Sakroiliitis Grad 3 – 4
앫 alle klinischen Kriterien vorhanden sind ohne ein radiologisches Kriterium oder
앫 ein radiologisches Kriterium ohne klinische Kriterien.
Eine sichere Diagnose kann gestellt werden, wenn ein radiologisches und mindestens ein klinisches Kriterium
nachweisbar sind.
Typisch für den Achsenskelettbefall bei Spondyloarthritiden ist der entzündliche Kreuzschmerz, der anamnestisch oftmals bereits eine Abgrenzung gegenüber degenerativen Beschwerden erlaubt und auch ein wichtiges diagnostisches Kriterium der Spondylitis ankylosans ist:
앫 Krankheitsbeginn vor dem 40. Lebensjahr,
앫 schleichender Beginn der Beschwerden,
앫 Dauer mindestens 3 Monate,
앫 nächtliche Schmerzen mit Erwachen in der zweiten
Nachthälfte,
앫 Morgensteifigkeit,
앫 Besserung bei Bewegung und im Tagesverlauf,
앫 alternierende Schmerzen im Gesäß evtl. mit ischialgiformer Ausstrahlung an der Oberschenkelrückseite bis
zum Knie,
앫 gutes Ansprechen auf NSAR.
Die Arthritis psoriatica zeigt sich in ihrer klinischen Ausprägung sehr vielgestaltig und hat 5 verschiedene Befallsmuster:
앫 Endgelenkbefall (assoziierte Nagelläsion),
앫 erosiv-destruierend (mit Ankylosen und Mutilationen),
앫 symmetrische Polyarthritis (ähnlich chronische Polyarthritis),
앫 Mon- oder Oligoarthritis (teils Strahlbefall Finger/Zeh),
앫 spondyloarthritisch (nicht selten einseitiger ISG-Befall).
Humorale Entzündungsparameter (BSG und C-reaktives
Protein) sind bei bis zu 70% der Patienten erhöht. Das HLAB27 kommt bei den verschiedenen Spondyloarthritiden
unterschiedlich oft vor; bei Achsenskelettbefall ist es häufiger nachweisbar.
Eine Übersicht der verschiedenen klinischen Charakteristika der Spondyloarthritiden ist in Tabelle 15.5 zu finden.
Bildgebende Diagnostik
Radiologische Zeichen einer Sakroiliitis sind das Nebeneinander von Sklerosierungen, unregelmäßigem Gelenkspalt, Erosionen und Ankylosen (buntes Bild) (Abb. 15.4 a
u. b). Die zugehörige Stadieneinteilung (Tab. 15.6) ist für
die Diagnosesicherung der Spondylitis ankylosans notwendig. An der Lendenwirbelsäule muss auf typische entzündliche Wirbelsäulenveränderungen geachtet werden
(Abb. 15.5 a u. b). Die Magnetresonanztomographie kann
besonders floride Entzündungen der Iliosakralgelenke
nachweisen (Abb. 15.6). Die Computertomographie gibt
dagegen einen besseren Aufschluss über fortgeschrittene
knöcherne Veränderungen in den Kreuzbein-DarmbeinGelenken. In der Szintigraphie kann ein pathologischer
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Spondyloarthritiden
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Tabelle 15.5 Charakteristika verschiedener Spondyloarthritiden
Spondylitis ankylosans
Spondyloarthritis
psoriatica
Reaktive Spondyloarthritis
Spondyloarthritis bei
entzündlicher Darmerkrankung
Manifestationsalter
jüngeres Erwachsenenalter
jüngeres und mittleres
Erwachsenenalter
jüngeres und mittleres
Erwachsenenalter
jüngeres und mittleres Erwachsenenalter
Geschlecht
3-mal häufiger bei
Männern
gleich häufig
bevorzugt Männer
gleich häufig
Beginn
allmählich
unterschiedlich
akut
allmählich
Sakroiliitis/Spondylitis
100%
20%
50%
20%
Sakroiliitissymmetrie
symmetrisch
asymmetrisch
asymmetrisch
symmetrisch
Periphere Arthritis
25%
95%
90%
20%
Enthesitis
⫹⫹
⫹⫹
⫹⫹
⫹
Diarrhö
⫺
⫺
⫹/⫹⫹
⫹⫹
Urogenitale Beteiligung
(⫹)
⫺
⫹/⫹⫹
⫺
Augenbeteiligung
30%
20%
50%
15%
Mukokutane Läsionen
⫺
100%
40%
selten
Herzbeteiligung
5%
selten
10%
selten
Sakroiliakalindex diagnostisch hilfreich sein und bei
zusätzlicher Single-Photonen-Emissions-Computertomographie (SPECT) den entzündlichen Befall der kleinen Wirbelgelenke zeigen. Mittels Ultraschall lassen sich z. B. Bursitiden (Trochanter major) und Tenosynovialitiden (Achillessehne) objektivieren.
Bei der Arthritis psoriatica können typische und teilweise spezifische nativradiologische Befunde (Nebeneinander von Erosionen und Proliferationen, Periostreaktionen,
produktive Fibroostitis, Parasyndesmophyten) wesentlich
zur Diagnosesicherung beitragen.
Therapie
Infolge des fehlenden kausalen Therapieansatzes ist die
Erhaltung der Beweglichkeit oberstes Ziel. Voraussetzung
hierfür ist die konsequente Behandlung von Entzündung
und Schmerz, wodurch einerseits das Risiko irreversibler
Veränderungen reduziert und andererseits die regelmäßige physikalische Therapie ermöglicht wird.
Operative Behandlung: Die operative Therapie kann notfallmäßig bei neurologischen Ausfällen durch atlantodentale
Dislokation, Wirbelkörperfraktur oder Spondylodiszitis
notwendig werden. Im Einzelfall können eine Aufrichtungsosteotomie bei ausgeprägter Kyphosierung der Wirbelsäule, der endoprothetische Gelenkersatz, die Synovektomie, eine Radiosynoviorthese oder Arthrodese erwogen werden.
Prognose
Spondyloarthritiden haben meist eine gute Prognose hinsichtlich Erwerbstätigkeit und Lebenserwartung. Gelegentlich kann es bei der Spondylitis ankylosans und der
Arthritis psoriatica jedoch zu schweren Verlaufsformen
mit früher Invalidisierung und höherer Mortalität kommen.
Gelenke
Konservative Behandlung: Sie wird der Aktivität und Ausprägung der Erkrankung angepasst und erfolgt sympto-
matisch mit NSAR und intraartikulären Steroiden. Bei über
3 Monate dauernder peripherer Arthritis erfolgt eine Basistherapie mit Sulfasalazin (bei Psoriasis mit MTX), bei
hoher Aktivität mit TNF-α-Inhibitoren. Für die Wirbelsäule ist ein Selbstübungsprogramm notwendig.
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15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
b
Abb. 15.4 a u. b Typische nativradiologische Befunde bei
Spondyloarthritis am Becken (aus: Merckle Rheumatologie
visuell. Rheumatologische Bilddatenbank. Vol. 1, Thieme,
Stuttgart 2002).
a Fortgeschrittene beidseitige Sakroiliitis (Grad 3).
b Deutliche Enthesitis an Symphyse und Sitzbeinen.
a
Gelenke
Abb. 15.5 a u. b „BambusstabWirbelsäule“ bei Morbus Bechterew (a) und typische „Zuckerguss-Wirbelsäule“ bei Morbus
Forrestièr (b) (aus: Merckle
Rheumatologie visuell. Rheumatologische Bilddatenbank.
Vol. 1, Thieme, Stuttgart 2002).
a
b
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Reaktive Arthritiden
229
Tabelle 15.6 Stadieneinteilung der Spondylitis ankylosans
Stadium
Befund
0
Normalbefund
1
verwaschener Gelenkspalt,
Pseudoerweiterung,
mäßige Sklerosierung
2
unregelmäßige Gelenkspalterweiterung,
ausgeprägte Sklerosierung,
Erosionen, „Perlschnurbild“
3
Gelenkspalterweiterung oder -verengung,
Erosionen,
Sklerosierungen,
partielle Ankylosierung
4
totale Ankylose
Abb. 15.6 Schwere aktive Sakroiliitis links, rechts gering
ausgeprägter Befund im CT der Iliosakralgelenke bei
Spondarthritis (aus: Merckle Rheumatologie visuell. Rheumatologische Bilddatenbank. Vol. 1, Thieme, Stuttgart
2002).
Reaktive Arthritiden
Synonyme
Reiter-Syndrom (Trias von Arthritis, Urethritis, Konjunktivitis).
Definition und Klassifikation
Die reaktive Arthritis ist eine rheumatische Gelenkentzündung, welche im zeitlichen Zusammenhang mit einer
vorausgegangenen bakteriellen gastrointestinalen, urogenitalen oder bronchopulmonalen Infektion steht.
Ätiopathogenese
Die reaktive Arthritis entsteht infolge einer primären Infektion außerhalb des Gelenks mit nachfolgender Verteilung der Erreger und Persistenz von Erregerbestandteilen
in der Synovialis. Die Manifestation der Erkrankung ist abhängig von immungenetischen Faktoren und Störungen
der Immunregulation.
Epidemiologie
Bei der reaktiven Arthritis treten klinisch 1 – 3 Wochen zuvor dysurische Beschwerden, vorübergehende Diarrhö
oder kurzzeitige pharyngeale Symptome auf. Die Arthritis
befällt meist asymmetrisch Knie- und Sprunggelenke;
nicht selten kommt es auch zur Daktylitis (hochakute
wurstförmige Schwellung eines Finger- oder Zehenstrahls). Tief sitzende Kreuzschmerzen (Sakroiliitis) bestehen ebenso wie schmerzhafte Enthesiopathien, insbesondere der Fersen (Achillodynie, Achillobursitis, Fasciitis
plantaris), oft einseitig auftretend. Extraartikuläre Manifestationen betreffen Augen (Uveitis, Konjunktivitis), Haut
(Keratoderma blenorrhagicum, psoriatiforme Effloreszenzen an Handflächen und Fußsohlen, Erythema nodosum
(druckschmerzhaft münzgroße Effloreszenzen an den Unterschenkeln), Schleimhaut (schmerzlose, rasch abheilende Mundulzera), Urogenitalsystem (Prostatitis, Epididymitis, Urethritis, Balanitis, Zervizitis, Salpingitis) und selten innere Organe (Herz, Nervensystem).
Ergänzend zur klinische Diagnostik erfolgt eine gezielte
erregerorientierte Diagnostik. Das HLA-B27 ist häufig positiv.
Bei der radiologischen Untersuchung zeigen chronische
Verläufe mitunter erosive Vorfußarthritiden, produktive
Ossifizierungen an den Enthesen des Fersen- und Sitzbeines, paraspinale Ossifikationen und unilaterale Sakroiliitiden.
Gelenke
Die Arthritis befällt 2 – 3% der an den entsprechenden Infektionen Erkrankten mit einer hohen Dunkelziffer infolge
asymptomatischer Infektionen. Die jährliche Inzidenz beträgt 30 – 40/100 000 Einwohner, Frauen und Männer sind
gleich häufig betroffen, der Altersgipfel liegt zwischen
dem 20. und 40. Lebensjahr.
Diagnostik
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15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
Differenzialdiagnose
Therapie
Differenzialdiagnostisch sind die Psoriasisarthropathie,
die Kristallarthropathien und infektiöse Arthritiden (Erreger im Gelenkpunktat) abzugrenzen. Die Lyme-Arthritis
kann serologisch und die akute Sarkoidose, insbesondere
bei Sprunggelenksarthritis und Erythema nodosum (Löfgren-Syndrom), mittels Röntgen des Thorax ausgeschlossen werden.
Die symptomatische Therapie umfasst NSAR, lokal Glukokortikoide und den vorübergehenden Einsatz von Basistherapeutika. Antibiotika haben keinen Einfluss auf die
Arthritis.
Die Erkrankung ist in zwei Drittel der Fälle innerhalb
von einem Jahr selbstlimitierend, der Rest der Patienten
zeigt über diesen Zeitpunkt hinaus noch Symptome, oft jedoch in abgeschwächter Form. Rezidive sind möglich.
Lyme-Arthritis
Synonyme
Lyme-Borreliose.
Definition und Klassifikation
Die Lyme-Arthritis ist eine durch Borrelia burgdorferi verursachte, nach Monaten bis Jahren auftretende entzündliche Gelenkerkrankung mit bevorzugt schmerzlosem Befall eines Kniegelenks.
Ätiopathogenese
Borrelien gehören zur Gruppe der Spirochäten und werden in Europa durch die Schildzecke übertragen.
Epidemiologie
Etwa 25% der Zecken in Deutschland sind Borrelienträger.
Das allgemeine Risiko, bei einem Zeckenstich mit Borrelien infiziert zu werden, beträgt hierzulande ca. 5%. Nur
bei jedem 20. Fall kommt es zu Krankheitserscheinungen.
Diagnostik
Therapie
Die kausale Therapie der Arthritis im Rahmen einer Borreliose ist die Antibiose über 3 – 4 Wochen. Bei persistierender Ergussbildung mit deutlicher Synovialisproliferation
ist eine arthroskopische Synovektomie sinnvoll.
In 90% der Fälle führt die antibiotische Therapie (hochdosiert Penicilline) zur Ausheilung der Erkrankung. Bei
den anderen Patienten persistiert die Arthritis mindestens
ein Jahr, heilt dann aber in der Regel spontan aus; Rezidive
und Reinfektionen sind möglich.
Gelenke
Die Patienten klagen über eine anhaltende, oft schmerzlose Schwellung meist eines Gelenks, wobei das Kniegelenk
am häufigsten betroffen ist. Anamnestisch ist nur in ca. einem Drittel der Fälle mit Lyme-Arthritis ein durchschnittlich 6 Monate vorausgegangener Zeckenstich bzw. ein Erythema chronicum migrans erinnerlich. Klinisch ist in der
Regel ein deutlicher (Knie-)Gelenkerguss mit sekundärem
Funktionsdefizit, jedoch oft ohne Bewegungsschmerz
feststellbar.
Bei klinischem Verdacht muss die Diagnose serologisch
durch einen Suchtest (Enzymimmunoassay) für Antikörper der Klassen IgG und IgM, gefolgt von einem Bestätigungstest (Immunoblot) gesichert werden. Die PCR auf
Borrelien-DNA in Synovia, Urin, Hautbiopsien und Liquor
steht bisher nur in spezialisierten Labors zur Verfügung.
Die konventionelle Röntgendiagnostik zeigt in der Regel
keinen pathologischen Befund und dient letztendlich nur
der Ausschlussdiagnostik (Arthrose, Chondrokalzinose,
Osteonekrose). Arthrosonographisch kann jedoch eine
Beurteilung hinsichtlich des Ausmaßes einer möglichen
Synovialisproliferation und Baker-Zyste gemacht werden.
Entsprechend dem jeweiligen Befallsmuster müssen
differenzialdiagnostisch Spondyloarthritiden, Kristallarthropathien, Arthritis bei Sarkoidose sowie reaktive Arthritiden abgegrenzt werden.
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Undifferenzierte Arthritis
231
Undifferenzierte Arthritis
Synonyme
Diagnostik
Unklassifizierte seronegative Arthritis, nicht definierte Arthritis, Arthritis unbekannter Diagnose, nicht klassifizierte Monarthritis, nicht spezifische Arthritis, Synovitis unbekannter Ursache.
Klinische Diagnostik
Definition und Klassifikation
Der Begriff „undifferenziert“ für nicht klassifizierbare Arthritiden bzw. Spondyloarthritiden dient als vorläufige Diagnose bzw. Arbeitsdiagnose für nosologisch nicht sicher
einzuordnende Erkrankungen. Damit wird eine heterogene Gruppe von Krankheitsbildern umschrieben, für die
folgende Möglichkeiten in Frage kommen:
앫 Frühform einer bekannten Erkrankung,
앫 abortive Verlaufsform,
앫 Überlappungssyndrom,
앫 ätiologisch-nosologisch noch unklare Erkrankung.
Nach klinischen Gesichtspunkten kann eine weitere Unterteilung in undifferenzierte Arthritiden und undifferenzierte Spondyloarthritiden vorgenommen werden. Letztere sind bereits dargestellt (s. oben).
Ätiopathogenese
Ätiologisch sind die undifferenzierten Arthritiden heterogen. So fanden sich eine erhöhte Assoziation mit dem
HLA-B27 und eine Häufung von Rheumafaktoren, die auf
eine mögliche Frühform einer Spondylitis ankylosans
oder einer rheumatoiden Arthritis hinweisen. Häufig lassen sich in der Anamnese kürzlich durchgemachte Infektionen eruieren (Hülsemann u. Zeidler 2001). Dies bestätigen neuere molekularbiologische Untersuchungen, bei
denen in der Synovialflüssigkeit oder Synovialmembran
bakterielle DNA von Chlamydien, Borrelien und anderen
Bakterien identifiziert wurden (Braun u. Mitarb. 1997,
Schnarr u. Mitarb. 2001).
Epidemiologie
Bildgebende Diagnostik
In der Bildgebung können mit der Arthrosonographie Ergüsse und/oder eine Synovialisproliferation nachgewiesen werden. Auch begleitende Tenosynovialitiden oder
Enthesiopathien können sonographisch identifiziert bzw.
dokumentiert werden. Die native Röntgendiagnostik ist
abgesehen von den Weichteilveränderungen unauffällig.
Die Kernspintomographie ergibt das typische Bild einer
Arthritis.
Da die Klassifikation als undifferenzierte Arthritis eine
vorläufige Arbeitsdiagnose darstellt, muss differenzialdiagnostisch im weiteren Verlauf nach dem Übergang in eine definierte rheumatische Erkrankung gefahndet und
ggf. die Diagnose revidiert werden.
Therapie
Die symptom- und problemorientierte konservative Behandlung stützt sich auf Bewegungs- und Kryotherapie,
nichtsteroidale Antiphlogistika, evtl. intraartikuläre Glukokortikoide und langwirkende Antirheumatika bei chronischen Verläufen.
Wegen des günstigen Spontanverlaufs sind operative
Eingriffe (Synovektomie) primär nicht indiziert, eher alternativ die Radiosynoviorthese oder chemische Synoviorthese.
Bei der Mehrzahl der Patienten kommt es nach Wochen
bis Monaten zur kompletten Remission ohne Residuen
(Schumacher u. Mitarb. 2004, Verpoort u. Mitarb. 2004).
Gelenke
Frühe Arthritiden mit einer Krankheitsdauer von weniger
als 6 – 12 Monaten können in 20 – 56% der Fälle keiner bekannten Erkrankung zugeordnet werden (Hülsemann u.
Zeidler 1995). Betroffen sind Patienten im jüngeren bis
mittleren Lebensalter (41 plus 15 Jahre) und Frauen etwa
doppelt so häufig als Männer.
Die Symptome einer Arthritis mit Schmerzen, Schwellungen, Überwärmung und Funktionsbehinderung treten
akut, subakut oder langsam schleichend auf, wobei meist
ein oder wenige Gelenke betroffen sind. Anamnestisch
finden sich oft Hinweise auf durchgemachte Infekte, wie
z. B. der oberen Luftwege, des Urogenital- oder des Gastrointestinaltraktes, ohne dass sich ein Erreger nachweisen oder ein Zusammenhang mit der Arthritis beweisen
lässt. Klinisch finden sich die typischen Zeichen einer Arthritis mit Schwellung, Druckschmerzhaftigkeit, Überwärmung, Fluktuation und eingeschränkter Beweglichkeit. Mitunter lassen sich auch Tenosynovialitiden und
druckschmerzhafte Enthesiopathien nachweisen.
Als Entzündungszeichen sind die BSG und das C-reaktive
Protein erhöht, können jedoch auch normal sein. Rheumafaktoren und HLA-B27 können positiv sein. Die Analyse
der Synovialflüssigkeit ergibt den Befund eines entzündlichen, überwiegend granulozytären Ergusses mit einer
Zellzahl von über 3000/µl.
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15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
Entzündlich-systemische Erkrankungen des Bindegewebes
Synonyme
Kollagenosen.
Definition und Klassifikation
Bei den Kollagenosen handelt sich um eine Gruppe von
Systemerkrankungen, bei denen das Bindegewebe (z. B.
Kollagen) und die Gefäße (Vaskulitis) die Orte der autoimmunologisch vermittelten Entzündung sind. Prinzipiell ist
eine Manifestation in allen Organsystemen möglich. Meist
werden Gelenke, die Haut und innere Organe befallen.
Ätiopathogenetisch und diagnostisch richtungsweisend
sind die serologisch nachweisbaren krankheitsspezifischen Autoantikörper.
Folgende Erkrankungen werden zu den Kollagenosen
gezählt:
앫 systemischer Lupus erythematodes,
앫 Sklerodermie,
앫 Polymyositis/Dermatomyositis,
앫 Mischkollagenose (MCTD: mixed connective tissue
disease oder Sharp-Syndrom),
앫 primäres Sjögren-Syndrom,
앫 undifferenzierte entzündlich-systemische Bindegewebeerkrankung.
Bei den Vaskulitiden ist die Gefäßwand und insbesondere
das Endothel Ort der autoimmunologisch vermittelten
Entzündung. Es handelt sich um eine inhomogene Gruppe
von ätiologisch, pathogenetisch und histopathologisch
verschiedenen Erkrankungen. Daher existieren unterschiedliche Klassifikationen. Die derzeit übliche Einteilung erfolgt gemäß der Größe der befallenen Gefäße.
Systemischer Lupus erythematodes
Epidemiologie
Die Prävalenz des systemischen Lupus erythematodes in
Europa beträgt 25 – 30/100.000 Einwohner. Es erkranken
zu 80 – 90% Frauen, meist in der 3. Lebensdekade.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Der Gelenkbefall manifestiert sich klinisch in Form von
Arthralgien und Arthritiden von wechselndem Charakter,
in der Regel polyartikulär und symmetrisch, vorzugsweise
an Fingermittel- und -grundgelenken, aber auch die großen Gelenke sind betroffen sowie nicht selten die Fingerendgelenke. Als Deformierungen können eine ulnare Deviation und Schwanenhalsdeformierung (Jaccoud-Arthropathie) entstehen, es kommt jedoch nicht zu erosiven
Destruktionen. Allgemeinsymptome wie Müdigkeit,
Schwäche, Gewichtsverlust oder Fieber fehlen selten. Die
weitere Symptomatologie ist sehr variabel in Abhängigkeit von den jeweiligen Organmanifestationen.
Charakteristisch ist das Schmetterlingserythem im Gesicht in bis zu 50% der Fälle. Des Weiteren können morbilliforme (masernartige) Exantheme, insbesondere nach
UV-Exposition, oder vaskulitische Effloreszenzen z. B. an
den Unterschenkeln und am Nagelfalz beobachtet werden. Eine Oligo- bzw. Polysynovitis findet sich oft in den
Fingermittel-, Knie- und Handgelenken. Die Lupusnephritis verläuft meist klinisch stumm und nur bei bereits vorangeschrittener Erkrankung treten beidseitige Unterschenkelödeme als Ausdruck der Proteinurie mit nephrotischem Syndrom auf.
Ätiopathogenese
Labordiagnostik
Die Ursache dieser Erkrankungen ist unbekannt. Prinzipiell liegen eine Hyperreaktivität der B-Zellen und eine
verminderte T-Lymphozytenaktivität vor. Durch polyklonale B-Zell-Aktivierung und Durchbrechen der Toleranz
gegen körpereigene Strukturen (ausgelöst durch bisher
unbekannte Mechanismen) werden zahlreiche Antikörper
gegen Körperantigene produziert (Autoaggression).
Der systemische Lupus erythematodes ist die häufigste
Kollagenose und wird deshalb exemplarisch ausführlicher
dargestellt.
Laborchemisch sind neben den humoralen Entzündungszeichen (BSG, α2-Globuline und Gammaglobuline in der
Elektrophorese) die Bestimmung der antinukleären Antikörper (ANA) in einem Suchtest (Immunfluoreszenz) und
im positivem Fall die Anforderung der krankheitsspezifischen Antikörper gegen doppelsträngige DNA-(Anti-dsDNA-)AK, Sm-AK und Anti-ribosomale-AK) richtungsweisend. Die Synoviaanalyse zeigt nur eine geringe Zellvermehrung auf 3000 bis 5000/µl mit überwiegend lymphozytären Zellen im Differenzialbild.
Gelenke
Bildgebende Diagnostik
Das Röntgenbild zeigt auch bei einem langfristigen Krankheitsverlauf neben Weichteilschwellungen nur eine geringe gelenknahe Osteoporose und im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis keine erosiven Veränderungen. Die
weitere bildgebende Diagnostik dient zur Erfassung von
Organmanifestationen.
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Weitere entzündlich-rheumatische Erkrankungen
Differenzialdiagnose
In Betracht zu ziehen sind andere Kollagenosen, die rheumatoide Arthritis, hämatologische Systemerkrankungen,
Infektionen, und der medikamenteninduzierte Lupus erythematodes.
Therapie
Die Diagnosestellung des Lupus erythematodes visceralis
bedeutet eine sorgfältige langfristige (oft lebenslange)
Überwachung. Besonders wichtig ist die Patienteninformation über das Krankheitsbild und die im Einzelfall je
nach Schwere der Erkrankung erforderliche Therapie.
Die medikamentöse Behandlung orientiert sich an der
Krankheitsaktivität (DNS-Antikörpertiter, Komplementerniedrigung) und bestehenden Organbeteiligungen. Es
kommen nichtsteroidale Antiphlogistika und Glukokorti-
233
koide in Frage sowie langwirksame Antirheumatika (Hydroxychloroquin, Methotrexat) und Immunsuppressiva
(Azathioprin, Cyclophosphamid).
Prognose
Die Erkrankung verläuft meist schubweise, schleichend
oder hoch akut beginnend, gelegentlich sehr milde und
monosymptomatisch, häufiger schwerwiegend und nicht
selten tödlich. Als Spätkomplikation trägt eine gehäufte
Atherosklerose zur erhöhten Mortalität bei.
Durch schnellere Diagnosestellung und bessere therapeutische Optionen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate gegenwärtig bei ca. 90%.
Die Individualprognose ist abhängig vom Organbefall.
Prognostisch ungünstig sind ein früher Nieren- oder ZNSBefall sowie eine hohe Krankheitsaktivität.
Weitere entzündlich-rheumatische Erkrankungen
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Gelenke
Die Polymyalgia rheumatica ist gekennzeichnet durch
Muskelschmerzen und Muskelsteifigkeit symmetrisch im
Bereich der Schulter- und Beckenregion, gelegentlich können Synovialitiden auftreten, vor allem in den Sternoklavikular-, Knie- und Handgelenken. Häufig besteht gleichzeitig eine Riesenzellarteriitis. Bei den Laborbefunden zeigt
sich praktisch immer eine sehr starke Erhöhung der BSG
und des CRP, spezifische Autoantikörper fehlen. Die Therapie der Wahl besteht in der Gabe von Glukokortikoiden,
die meist zu einer schlagartigen Besserung führen.
Das RS3PE-Syndrom (remitting seronegative symmetrical synovitis with Pitting edema) befällt Hände und Füße
und geht mit einem ausgeprägten, eindrückbaren Ödem
einher. Oft lässt sich eine Tenosynovialitis der Fingerstrecksehnen und der Beugesehnen nachweisen (Finnel u.
Cuesta 2000). Therapie der Wahl sind niedrig dosierte
Glukokortikoide und als Basistherapie Hydroxychloroquin.
Der adulte Morbus Still ist charakterisiert durch die
Hauptsymptome Fieber, Arthralgien, makulopapulöses
Exanthem und Leukozytose (Yamaguchi 1992). Die Entzündungsparameter BSG und C-reaktives Protein sind zumeist deutlich erhöht. Charakteristisch ist eine Hyperferritinämie. Die Symptomatologie spricht in leichten Fällen
auf nichtsteroidale Antiphlogistika, bei deren Versagen
zumeist auf Glukokortikoide an.
234
15 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
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