Antrag der Abgeordneten: Franziska Hildebrandt, Jan Vahlenkamp

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Antrag der Abgeordneten: Franziska Hildebrandt, Jan Vahlenkamp, Umut Ibis (alle SDS)
Videoüberwachung von Versammlungen stoppen!
Das Studierendenparlament möge beschließen:
Der AStA und das Studierendenparlament der Universität Hamburg sprechen sich aus
aktuellem Anlass gegen die rechtswidrige Videoüberwachung von Versammlungen aus.
Der AStA unterstützt die Fortsetzungsfeststellungsklage zur Überprüfung der Rechtslage bei
der Videoüberwachung des Protestcamps „Alternative Uni“, das vom 7.6.-10.6.2011 auf dem
Jungfernstieg stattfand. Dies beinhaltet zum Einen finanzielle Unterstützung (circa 800 1200 €) der beteiligten Studierenden, die aufgrund der rechtswidrigen Videoüberwachung
eventuell mit Folgen rechnen müssen, aber auch selbst rechtliche Schritte dagegen einleiten
werden.
Zum anderen leistet der AStA infrastrukturelle Unterstützung, um das Anliegen, die Klage
und ihren Verlauf z.B. durch Pressemitteilungen und Flugblätter öffentlich zu machen.
Begründung:
Im Rahmen der Studierendenproteste fand am 7.6.2011 im Anschluss an die
Großdemonstration ein Protestcamp auf dem Jungfernstieg statt. Dieses wurde mit dem
Tenor "Alternative Universität" auf dem Jungfernstieg als Dauerkundgebung angemeldet
und dauerte bis zum Abend des 10.6.2011.
Während des Aufbaus des Camps kam es zu einem Polizeieingriff. Laut den Aussagen der
zwei Polizisten wurden sie auf eine „Gefahrensituation“ durch die gegenüberliegende
Verkehrskamera aufmerksam gemacht, die auf das Camp gezoomt war.1
Wir bestreiten die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung sowie das Vorliegen einer
Gefahrensituation. Denn wie aus dem Kommentar des Hamburgischen
Datenschutzbeauftragten hervorgeht, ist eine Videoüberwachung von Versammlungen nur
unter ganz besonderen Umständen zulässig:
"Die Videoüberwachung sei nur unter den Voraussetzungen der §§ 12a, 19a
Versammlungsgesetz zulässig, also nur, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme
rechtfertigen, dass von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen
Versammlungen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen."
Eine "erhebliche Gefahr" besteht demnach nur, wenn " (...) eine Gefahr für ein bedeutsames
Rechtsgut wie z.B. der Bestand des Staates, das Leben, die Gesundheit, die Freiheit, nicht
unwesentliche Vermögenswerte sowie andere strafrechtlich geschützte Güter (...)" besteht.
1
Zitat aus der Senatsantwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage (siehe Anhang): "Die Verkehrskamera verfügt
über eine Zoomfunktion. Diese Zoomfunktion wurde genutzt, um die mögliche Gefahrensituation erforschen zu
können. Das Vorliegen einer Gefahrensituation wurde bestätigt."
Die oben erwähnte Gefahrensituation leiteten die Beamten aber aus dem Versuch ab, ein
Transparent an den Fahnenmasten des Versammlungsortes zu befestigen. Dazu kletterte ein
Mensch an einem der Masten hoch, wurde dann von der Polizei aufgefordert,
herunterzusteigen und es kam zu einer Personalienfeststellung. Diesen Vorgang als
„erhebliche Gefahr“ zu deklarieren empfinden wir mehr als fragwürdig und lächerlich.
Aufgrund dieser klaren Indizienlage, die in der Senatsantwort nur angedeutet aber eben
nicht abschließend bewertet wird, möchten wir die Rechtslage eindeutig geklärt wissen, u.a.
auch um einen Präzendenzfall zu schaffen, auf den sich zukünftige Protestformen berufen
können. Das für solche Fälle vorgesehene Verfahren ist die Fortsetzungsfeststellungsklage.2
Wir sehen es als wichtige Aufgabe der Studierendenvertretung an, dieses Unrecht gegen
einen studentischen Protest rechtskräftig verurteilen zu lassen, um damit eventuellen
künftigen Repressionen gegen friedliche Proteste einen Riegel vorzuschieben und
präzendenzartig Rechtsklarheit zu schaffen.
Die Studentische Interessenvertretung muss sich entschieden dagegen wehren, dass alle
Studierenden unter Generalverdacht gestellt und kriminalisiert werden. Es darf von Seiten
der Polizei nicht der Eindruck erweckt werden, als ginge von studentischem Protest
automatisch eine Gefahr für oben erwähnte Rechtsgüter aus.
Wenn jede*r Teilnehmende der Versammlung damit rechnen muss, dass die Anwesenheit
oder das Verhalten bei einer Veranstaltung durch Behörden registriert wird, könnte sie*ihn
dies von einer Teilnahme abschrecken. Durch diese Form der Einschüchterung könnte
mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung
eingewirkt werden.
Außerdem ist es in diesem speziellen Fall auch eine politische Aussage gegen die
zunehmende Überwachung des öffentlichen und privaten Raumes. Die informationelle
Selbstbestimmung ist ein Grundrecht und sollte daher mit allen Mitteln geschützt werden.
Aufgrund der langen Prozessdauer (3-4 Jahre) ist es zudem wichtig, eine langfristige
Partnerin zu haben, die die Klage institutionell begleiten und so für beständige
Informationen und finanzielle Kontinuität sorgen kann. Für die Finanzierung kann der
dafür vorgesehene Posten "Musterklagen" im Haushalt des AStA herangezogen werden.
2
Als Fortsetzungsfeststellungsklage (...) bezeichnet man im öffentlichen Recht eine Klage vor dem
Verwaltungsgericht, dem Finanzgericht oder Sozialgericht, mit der die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines
erledigten Verwaltungsakts begehrt wird.
Anhang
17. Juni 2011
Schriftliche Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christiane Schneider (Fraktion DIE LINKE) vom 10.06.11
und Antwort des Senats
- Drucksache 20/767 Betr.: Videoüberwachung einer studentischen Versammlung
Aus einem Bericht der taz hamburg vom 10. Juni 2011 geht hervor, dass das
studentische Protestcamp „Alternative Uni“ auf dem Jungfernstieg von der Polizei
mit einer stationären Videokamera von Dienstag, den 7. Juni bis Mittwoch, den 8.
Juni, überwacht wurde.
Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:
1. Welcher Veranstalter hat das studentische Protestcamp mit welchem Tenor an
welchem Ort zu welchem Zeitpunkt bei der Versammlungsbehörde angemeldet?
Der Veranstalter für die Versammlung war nach den Angaben der Anmelderin die Partei DIE
LINKE (SDS Hochschulgruppe). Die Versammlung wurde am 7. Juni 2011 schriftlich für die
Örtlichkeit Jungfernstieg / Reesendammbrücke angemeldet. Der Tenor lautete
„Aktionsplenum Alternative Uni!“.
2. Wie viele Kooperationsgespräche hat die Versammlungsbehörde mit welchem Inhalt
mit der Anmelderin und/oder Versammlungsleiterin geführt? Wie viele Zelte durften
auf der Fläche aufgebaut werden? Bitte detailliert darstellen.
Die Mitarbeiter der Versammlungsbehörde führten vier telefonische Kooperationsgespräche
und ein persönliches Kooperationsgespräch vor Ort mit der Anmelderin und Leiterin der
Versammlung. Dabei wurde vereinbart, dass fünf sogenannte Campingzelte an der
Örtlichkeit Jungfernstieg/ Reesendammbrücke auf der Seite zur Binnenalster aufgestellt,
Nägel nicht in den Boden eingebracht und Gefährdungen von Fußgängern durch Zeltleinen
verhindert werden. Vereinbart wurde weiterhin, Fahnenmasten und die Brüstung zur Alster
hin für die Befestigung der Zelte zu nutzen. Eine Lautsprecheranlage war für die Zeit der
sogenannten Vorlesungen zugelassen.
3. Hat die Versammlungsbehörde beschränkende Auflagen gegen die Kundgebung vom
Dienstag, den 7. Juni, bis Donnerstag, den 9. Juni, erlassen? Wenn ja, warum? Wenn
nein, warum nicht?
Nein. Die Voraussetzungen lagen für die Versammlung mit dem Tenor „Aktionsplenum
Alternative Uni“ nicht vor.
4. Wer hat die Videoüberwachung des studentischen Protestcamps auf dem
Jungfernstieg zu welchem Zeitpunkt aufgrund welcher Rechtsgrundlage angeordnet?
Eine Videoüberwachung der Versammlung ist nicht angeordnet worden.
5. Welche Videokamera wurde für welchen Zeitraum – bitte in Stunden und Minuten
angeben – auf das studentische Protestcamp gerichtet? Wurden die Videobilder auch
aufgezeichnet? Wenn ja, für welchen Zeitraum? Wenn nein, warum nicht?
6. Ist es technisch möglich, von der Übersichtsaufnahme der Kamera an den
Versammlungsort heranzuzoomen? Wenn ja, wann wurde dies aus welchen Gründen
getan? Wenn nein, warum wurde dies nicht getan?
7. Mit welcher Funktion der Videokamera – Übersichtsaufnahme oder Zoomfunktion –
wurde ein Studierender beobachtet, der einen Fahnenmast hochkletterte, um ein
Transparent zu befestigen? Wann wurde dies von welcher Dienststelle durch welche
Videokamera beobachtet, und welche polizeilichen Maßnahmen erfolgten daraufhin
auf welcher Rechtsgrundlage? Wurden die Personalien des Protestkletterers
aufgenommen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Am 7. Juni 2011 um 19:07 Uhr ergab eine Übersichtsaufnahme der Verkehrskamera an der
Örtlichkeit Jungfernstieg / Reesendamm den Eindruck, dass eine Person einen Fahnenmast
auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite hinaufzuklettern versuchte. Die Verkehrskamera
verfügt über eine Zoomfunktion. Diese Zoomfunktion wurde genutzt, um die mögliche
Gefahrensituation erforschen zu können. Das Vorliegen einer Gefahrensituation wurde
bestätigt. Die Beobachtung dieser Gefahrensituation erfolgte bis zum Eintreffen der
entsandten Polizeibeamten durch Mitarbeiter der Zentraldirektion. Durch die
Polizeibeamten wurde die Person angetroffen und aufgefordert, vom Fahnenmast herunterund künftig nicht mehr hinaufzuklettern. Die Identität der Person wurde zur
Gefahrenabwehr und Wahrung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche Dritter nach § 4 des
Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) festgestellt.
Die Kamerastellung ist anschließend auf den größtmöglichen Weitwinkel gestellt und
ansonsten bis zum 8. Juni 2011 um 16:30 Uhr beibehalten worden. Bilder dieser Kamera
wurden zu keinem Zeitpunkt aufgezeichnet, da hierfür kein Erfordernis bestand.
8. Wann und mit welcher Begründung haben die Studierenden Widerspruch gegen die
Videoüberwachung eingelegt und eine Einstweilige Anordnung beim
Verwaltungsgericht Hamburg gegen die Innenbehörde beantragt?
Am 8. Juni 2011 gegen 16:05 Uhr erhielt die Polizei von einer Rechtsanwältin ein
Faxschreiben, mit dem gegen die Videoüberwachung der angemeldeten Versammlung
Widerspruch eingelegt wurde. Zur Begründung ist auf den am 8. Juni 2011 beim
Verwaltungsgericht Hamburg eingereichten Eilantrag verwiesen worden.
9. Welche Frist hat das Verwaltungsgericht der Innenbehörde für ihre Stellungnahme
eingeräumt? Wann erfolgte die Stellungnahme der Innenbehörde gegenüber dem
Verwaltungsgericht und welchen Inhalt hatte diese?
Das Gericht forderte die Polizei auf, bis zum 9. Juni 2011 um 10:00 Uhr eine Stellungnahme
abzugeben. Diese Stellungnahme erfolgte am 9. Juni 2011 gegen 10:50 Uhr.
Dabei wurde dem Gericht mitgeteilt, dass die Einstellung der Verkehrskamera vom 8. Juni
2011 um 16:30 Uhr nach Vorlage des Widerspruchs unverzüglich verändert und auf den
westlichen Teil des Jungfernstiegs ausgerichtet worden war. Zudem wurden die oben
genannten gefahrenabwehrenden Maßnahmen gegenüber dem Gericht und der
Antragsgegnerin dargelegt.
10. Ist die Innenbehörde der Auffassung, dass die Videoüberwachung rechtswidrig war?
Wenn ja, warum und aufgrund welcher rechtlichen Begutachtung? Wenn nein,
warum nicht?
11. Ist der Datenschutzbeauftragte über den Vorfall informiert? Wenn ja, seit wann?
Welche datenschutzrechtliche Auffassung hat der Hamburgische
Datenschutzbeauftragte hinsichtlich der Videoüberwachung einer insgesamt
friedlichen und gewaltfreien studentischen Kundgebung durch die Polizei? Welche
Konsequenzen hat diese Rechtsauffassung des Datenschutzbeauftragten?
Die zuständige Behörde hat noch keine abschließende Prüfung vorgenommen. Unabhängig
von der rechtlichen Einordnung wäre es sinnvoll gewesen, die Position der Kamera nach
Beendigung der Beobachtung der kletternden Person zu verändern, um den offensichtlich
entstandenen Eindruck der Videobeobachtung bei Versammlungsteilnehmern zu vermeiden.
Der für die Beantwortung dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage um eine Stellungnahme
gebetene Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI)
teilt hierzu mit, dass er seit dem 9. Juni 2011 sowohl durch die Presseberichterstattung als
auch durch eine Eingabe nach § 26 Hamburgisches Datenschutzgesetz über den Vorfall
informiert sei. Die Videoüberwachung sei nur unter den Voraussetzungen der §§ 12a, 19a
Versammlungsgesetz zulässig, also nur, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme
rechtfertigen, dass von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen
Versammlungen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgingen.
Ob diese Voraussetzungen im Falle des Protestcamps „Alternative Uni“ vorlägen, werde
seitens des HmbBfDI zurzeit im Rahmen der vorliegenden Eingabe geprüft und könne
mangels abgeschlossener Sachverhaltsaufklärung derzeit noch nicht abschließend
beantwortet werden.
Diese vom HmbBfDI formulierte Rechtsauffassung gibt - sofern bei der Videoüberwachung
personenbezogene Daten erhoben werden und/oder sofern Bilder aufgezeichnet werden,
die eine nachträgliche Identifizierung von Versammlungsteilnehmern ermöglichen - die
herrschende Rechtsauffassung wieder. Im Übrigen ist die Prüfung etwaiger Konsequenzen
erst nach einer abschließenden Bewertung des Sachverhalts möglich.
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