Unsere Verantwortung für die Zukunft

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Unsere
Verantwortung
für die
Zukunft
Seit jeher gestaltet, kultiviert und verändert der
Mensch die Natur, um sie für seine Bedürfnisse nutzbar zu machen. Dabei läuft er immer auch die
Gefahr, sich mit Eingriffen in die Umwelt selber Schaden zuzufügen.
So bedroht die durch Treibhausgase angeheizte
Klimaveränderung vor allem in den Küstengebieten
Millionen von Menschen – beispielsweise in Bangladesh, wo der steigende Meeresspiegel und heftigere
Wirbelstürme zu verheerenden Überschwemmungen
führen. Gefährdet ist auch die Bevölkerung in weiten
Teilen Afrikas. Ihrem Lebensraum droht die Versteppung und Verwüstung. Aber auch bei uns in der
Schweiz spüren wir die Folgen des Klimawandels,
wenn der Schnee vor allem in den tieferen Lagen des
Berggebiets immer spärlicher fällt und dadurch die
Touristen ausbleiben.
Die Klimaerwärmung untergräbt die natürlichen
Lebensgrundlagen, verschärft soziale Spannungen,
vertreibt Menschen aus ihrer Heimat und schürt
dadurch gefährliche Konflikte. Zwar hat sich die
internationale Staatengemeinschaft 1992 auf eine
Klimakonvention geeinigt. Doch nun muss die vereinbarte Reduktion der Treibhausgase umgesetzt
werden. Dieser Prozess ist langwierig und braucht
sehr viel Geduld.
Trotz Rückschlägen gibt es keinen anderen Weg,
als unsere Verantwortung für die Zukunft wahrzunehmen und die unterschiedlichen Ziele in zähen
Verhandlungen auf einen gemeinsamen Nenner zu
bringen. Die Schweiz engagiert sich, um diesen
Prozess voranzubringen: als Vermittlerin auf internationaler Ebene und mit einer glaubwürdigen
Klimapolitik im Inland.
Moritz Leuenberger, Bundesrat
Vorsteher des Eidg. Departements für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK
2➔ UMWELT 2/03
KLIMAPROGNOSEN
Die Heizung
der Erde gerät ausser Kontrolle
Die Temperatur der Erde steigt schneller als erwartet. Hauptgrund dafür ist die Verschwendung von
Kohle, Öl und Erdgas. Als Folge der Erwärmung würden extreme Wetterereignisse und lebensbedrohende Naturkatastrophen zunehmen, warnen die Klimaexperten der UNO.
Der Stand des Wissens zum Klimawandel umfasst drei Bände, ist über 2500
Seiten dick und fast fünf Kilo schwer.
Das von der UNO eingesetzte Expertengremium Intergovernmental Panel on
Climate Change IPCC hat 2001 bereits
seinen dritten Statusbericht veröffentlicht. In ihrer Bestandesaufnahme kommen die Klimaexperten zu einem alarmierenden Befund: Das Klima ändert
sich schneller als erwartet, und die
aussergewöhnlich starke Erwärmung in
der jüngeren Vergangenheit lässt sich
mit natürlichen Klimaschwankungen
allein nicht mehr erklären. Weder die
veränderte Sonneneinstrahlung noch
die Aktivität von Vulkanen sind dafür
verantwortlich. «Es gibt neue und klarere Belege dafür, dass der Grossteil der
Erwärmung, die in den letzten fünfzig
Jahren beobachtet wurde, auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist»,
hält das IPCC fest.
www.proclim.ch/IPCC2001.html
www.klima-schweiz.ch/faq
LINKS
Zu viel Kohlendioxid bleibt
in der Atmosphäre
Der Gehalt von Kohlendioxid
(CO2) in der Atmosphäre hat
seit 1750 um über 30 Prozent
zugenommen. Dieses wichtigste Treibhausgas trägt etwa
60 Prozent zur vom Menschen
verursachten Klimaerwärmung
bei. In den vergangenen
420 000 Jahren sei die CO2-
Konzentration nie so hoch gewesen wie
heute, betonen die Klimaexperten.
Hauptursache dieser Zunahme ist die
Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas. Rund drei Viertel der in den letzten
zwanzig Jahren vom Menschen verursachten CO2-Emissionen in die Atmosphäre sind auf den Verbrauch fossiler
Brennstoffe zurückzuführen. Den Rest
macht die Waldzerstörung – vor allem
durch Brandrodungen – aus.
Gebündeltes Wissen von
über 2000 Experten
Das IPCC ist eine in der Wissenschaft
bisher einzigartige Institution. An seinem Klimabericht 2001 haben während dreier Jahren weit über 2000
Forschungsfachleute aus der ganzen
Welt mitgearbeitet. Es ist ihr Ziel, den
und Mitautor des IPCC-Berichts.
«Wenn unter den Wissenschaftern kein
Einverständnis besteht, wird dies in
den Berichten deutlich hervorgehoben
– zum Beispiel bei der Rolle der Wolken
für die globale Erwärmung.»
Die UNO hat das IPCC 1988 ins
Leben gerufen. Es bietet der Klimakonvention wissenschaftliche Unterstützung. Dieses Abkommen soll die
Konzentration von Treibhausgasen in
der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisieren, das eine gefährliche Veränderung des Klimasystems verhindert.
Aufwändige Computersimulationen
Manchen Politikverantwortlichen dienten bestehende Unsicherheiten über
den Einfluss des Menschen auf das
Klima in der Vergangenheit als Rechtfertigung fürs Nichtstun.
Nicht zuletzt aus diesem
MENSCHLICHE AKTIVITÄTEN
Grund spricht der jüngste
BESTIMMEN DIE WELTWEITE
IPCC-Bericht eine deutlicheERWÄRMUNG
re Sprache als seine beiden
Vorgänger. Erstmals äussern
aktuellen Stand der wissenschaftlichen sich die Wissenschafter auch zur EintreErkenntnisse zu sichten. Das IPCC be- tenswahrscheinlichkeit ihrer Prognotreibt keine eigene Forschung, sondern sen. Hält der Statusbericht zum Beispiel
fasst neu publizierte Ergebnisse zusam- fest, dass im 21. Jahrhundert praktisch
men. Die Aussagen dieses Gremiums überall auf der Welt eine Zunahme von
stellten eine «Momentaufnahme des Hitzewellen «sehr wahrscheinlich» sei,
Forschungskonsenses» dar, sagt Tho- dürfte dies nach Einschätzung der Wismas Stocker, Professor für Klima- und senschaft mit einer Wahrscheinlichkeit
Umweltphysik an der Universität Bern von 90 bis 99 Prozent eintreffen.
[
]
Fortsetzung S. 8
6➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
CO2-Konzentration
350 ppm*
300 ppm
250 ppm
200 ppm
*parts per million
Temperatur
15°C
10°C
5°C
Meeresspiegel
0 Meter
–50 Meter
–100 Meter
Quelle: Barnola, Nature
–150 000 Jahre
Bilder: AURA, Keystone (unten rechts)
–100 000 Jahre
–50 000 Jahre
heute
Wird das Klima wärmer, nehmen Wetterextreme
– und damit auch Naturkatastrophen – in der
Schweiz weiter zu. Vor allem im Berggebiet ist
mit mehr Starkniederschlägen, Hochwasser und
Erdrutschen zu rechnen.
Die Parallelen im Verlauf der drei Kurven während
der letzten 150 000 Jahre sind offensichtlich. Je
mehr Kohlendioxid (CO2) die Atmosphäre enthält,
desto höher klettern die Temperaturen. Mit zunehmender Wärme schmilzt das Eis an den Polen
und in den Gebirgsregionen. Zudem dehnt sich
das Wasser in den Ozeanen aus. Dadurch steigt
der Meeresspiegel an und bedroht die fruchtbaren und stark besiedelten Lebensräume in den
Küstenregionen. Die CO2-Konzentration der Luft
hat vor allem in den letzten 200 Jahren kontinuierlich zugenommen und lag seit Menschengedenken noch nie so hoch wie heute.
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔7
Der Treibhauseffekt
Ohne den natürlichen Treibhauseffekt wäre die Erde ein lebensfeindlicher Planet mit tief gefrorener
Oberfläche. Anstelle der weltweiten
Durchschnittstemperatur von 15,5
Grad Celsius würde in Bodennähe
eisige Kälte bei 18 Grad unter Null
vorherrschen. Spurengase in der
Luft wie Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Ozon (O3), Methan
(CH4), Lachgas (N2O) und andere
sorgen jedoch für die nötige Erwärmung der Atmosphäre. Vergleichbar mit einem Glasdach lassen diese
natürlichen Treibhausgase das sichtbare Sonnenlicht ungefiltert auf die
Erde einstrahlen, behindern aber
dessen Wärmeabstrahlung in den
Weltraum. Damit heizen sie die Erdoberfläche und die untere Luftschicht auf.
Das Gasgemisch unserer Atemluft besteht zu mehr als 99,9 Prozent aus Stickstoff, Sauerstoff und
Argon.
Anteilmässig machen die für
den Treibhauseffekt verantwortlichen Spurengase folglich weniger
als ein Promille aus. Dies erklärt,
weshalb menschliche Eingriffe die
natürlichen Konzentrationen der
wärmedämmenden Gase gravierend verändern und sich damit
spürbar auf das weltweite Klima auswirken.
Seit 1860 hat der Verbrauch fossiler Brennstoffe wie Erdöl, Kohle
und Erdgas um das 60-fache zugenommen. Als Folge davon gelangen
derzeit jährlich rund 24 Milliarden
Tonnen CO2 in die Atmosphäre.
8➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Diese Voraussagen sind mit Hilfe komplexer Computermodelle zu Stande
gekommen. Die heutigen globalen Klimamodelle simulieren nicht nur das
Geschehen in der Atmosphäre, sondern
umfassen sowohl Ozeane als auch
Meereis. Damit bilden sie die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Komponenten des Klimasystems erstaunlich
realistisch nach. Für ihren Blick in die
Zukunft stützen sich die Klimaforscher
auf 40 sozio-ökonomische Szenarien,
die eine mögliche Entwicklung der
Welt vorwegnehmen. Entscheidende
Faktoren sind dabei das Bevölkerungsund Wirtschaftswachstum sowie die
Einführung von umweltschonenden
Technologien. Je nach Annahme liefern
die Modelle eine ganze Bandbreite von
Prognosen. Die Temperaturen etwa
werden bis zum Jahr 2100 je nach Emissionsszenario zwischen 1,4 und 5,8
Grad Celsius ansteigen. Wie neuste Berechnungen zeigen, ist die Wahrscheinlichkeit allerdings hoch, dass die pessimistischeren Vorhersagen eintreffen.
lichen Bericht anzubringen und
Schlussfolgerungen abzuschwächen. Für
Aufsehen sorgte vor einem Jahr auch
die Nicht-Wiederwahl des Amerikaners
Robert Watson als Präsident des IPCC.
Die Kaltstellung des ehemaligen Clinton-Wissenschaftsberaters erfolgte «auf
Druck der US-Regierung und des amerikanischen Ölkonzerns Exxon», wie
sogar die als wirtschaftsfreundlich bekannte «Financial Times» schrieb.
Durch eine Indiskretion war bekannt
geworden, wie sich der weltweit grösste
Erdölmulti Exxon Mobil im Weissen
Haus für eine Entfernung des unbequemen Umweltchemikers eingesetzt hatte. Der Konzern mochte Watsons ungeschminkte Alarmrufe zur Klimazukunft
nicht länger hinnehmen.
■ José Romero, BUWAL,
und Kaspar Meuli
LESETIPP
Publikumsbroschüre Das Klima in Menschenhand. Neue Fakten und Perspektiven.
Grosse politische Tragweite
Das IPCC macht keine Politik, sondern
stellt lediglich wissenschaftliche Grundlagen für politische und gesellschaftliche Entscheidungen bereit. So oder so
haben die Berichte aber eine politische
Tragweite wie kaum andere Forschungspublikationen zuvor. Entsprechend
gross sind die Versuche politischer Einflussnahme. Zwar hat die Staatengemeinschaft den dritten Statusbericht
2001 einstimmig verabschiedet, doch
gingen der Annahme des Dokuments
heftige Auseinandersetzungen voraus.
Erdölexportierende Länder wie Saudiarabien und energiehungrige Entwicklungsländer wie China versuchten bis
zuletzt, Änderungen am wissenschaft-
24 Seiten, BUWAL 2002, Sprachen: D, F, I;
mit Arbeitsblättern; kostenloser Bezug: BBL,
Vertrieb Publikationen, 3003 Bern,
Tel 031 325 50 50, verkauf.zivil@bbl.
admin.ch, www.bundespublikationen.ch,
Bestellnummer: 319.345.d
Klimaänderung 2001. Zusammenfassungen
für politische Entscheidungsträger.
www.proclim.ch/IPCC2001.html
INFOS
José Romero, Sektion
Konventionen, Abteilung
Internationales, BUWAL
Tel. 031 322 68 62
Fax 031 323 03 49
[email protected]
Leben mit der Klimakatastrophe: Dürrefolgen in Indien und Lebensmittellieferungen für das an Trockenheit leidende Malawi
Verweilzeit der wichtigsten Treibhausgase in der Atmosphäre
Kohlendioxid (CO2) 5 bis 200 Jahre
Methan (CH4)
12 Jahre
Lachgas (N2O)
114 Jahre
Synthetische Treibhausgase
bis 50 000 Jahre
Emissionen Schweiz
Lachgas (N2O): 7%
Emissionen weltweit inklusive Entwaldung
HFKW, PFKW, SF6: 2%
HFKW, PFKW, SF6: 1%
Lachgas (N2O): 15%
Methan (CH4): 9%
Methan (CH4): 16%
Quelle: BUWAL
Kohlendioxid (CO2): 83%
Quelle: IPCC
Kohlendioxid (CO2): 67%
Immer mehr Stürme und Hochwasser: die Folgen in Jakarta (Indonesien) und Venedig
Alle Bilder: Keystone
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔9
Anzahl betroffener Menschen in Millionen
80
70
60
50
40
30
Meeresspiegel
Die Schätzung geht
von der heutigen
Besiedelung aus.
Zusätzliche Schutzmassnahmen können
die Anzahl der
Betroffenen um
rund 60 Prozent
vermindern.
Zu den katastrophalen Szenarien der Klimaveränderung zählt die Überflutung von kleinen
Inselstaaten wie die Malediven sowie von tief
gelegenen und dicht besiedelten Küstengebieten in Bangladesch oder im Nildelta. Im
20. Jahrhundert stieg der mittlere Meeresspiegel um 10 bis 20 Zentimeter. In diesem Jahrhundert wird je nach Szenario ein Anstieg
zwischen 9 und 88 Zentimetern erwartet.
Gründe dafür sind die wärmebedingte Ausdehnung der Ozeane und das Abschmelzen von
Gletschern und Eisschilden.
20
10
0
Niederlande Ägypten
Nigeria Bangladesch China
Indien
Japan
Quelle: IPCC 1996, Climate Change 1995 – Impacts, Adaptations and Mitigation of Climate Change:
Scientific-technical Analysis
Versicherte Schäden in Milliarden US-Dollars
Wirtschaft und Gesellschaft
Der Klimawandel tangiert die Landwirtschaft am unmittelbarsten. Zwar dürften die Erträge bei mässiger Erwärmung in
den mittleren Breiten zunehmen. Steigen die Temperaturen
jedoch stärker an, ist hier eher mit Ernteverlusten zu rechnen. In
tropischen und subtropischen Regionen zeigen die Modelle vorwiegend sinkende Erträge – nicht zuletzt auf Grund der zunehmenden Wasserknappheit. Generell dürften häufigere Flut- und
Hitzekatastrophen menschliche Siedlungsräume vermehrt belasten. Wetterextreme können zu Schadenereignissen führen,
deren Bewältigung Länder und Völker vor völlig neue Herausforderungen stellt.
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1970
1975
1980
Naturkatastrophen
1985
1990
1995
2000
Von Menschen verursachte Katastrophen
Quelle: Swiss Re
Globale Temperatur (°C)
CO2-Konzentration (ppm)
Temperaturanstieg seit 1880
370
0,6
360
340
0,2
330
320
0
310
-0,2
300
290
-0,4
280
1880
Temperatur
350
0,4
1900
1920
1940
1960
1980
2000
Quelle: IPCC
10➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche hat sich
im 20. Jahrhundert um 0,6 Grad Celsius erhöht. Die vergangenen zehn Jahre waren die wärmsten überhaupt.
Dabei markieren 1998 und 2002 die Wärmerekorde seit
Beginn der Klimaaufzeichnungen im Jahr 1861. Gemäss
IPCC ist die weltweite Erwärmung die bisher offenkundigste Auswirkung des Klimawandels. In den kommenden
100 Jahren werden die Temperaturen je nach Szenario um
1,4 bis 5,8 Grad zunehmen.
Gletscherrückgang
Gesundheit
Die Klimaerwärmung bringt vielerorts eine stärkere Gefährdung der Gesundheit mit
sich. Zu den direkten Einflüssen zählen häufigere Wetterextreme wie Hitzewellen,
unter denen besonders alte und kranke Menschen zu leiden haben. Doch auch indirekte Auswirkungen wie die Verbreitung von Krankheitsträgern durch steigende
Temperaturen haben gravierende Konsequenzen. So verseuchen zum Beispiel Stechmücken immer grössere Gebiete der Welt mit Malaria. Am meisten betroffen ist die
arme Bevölkerung in den Entwicklungsländern.
15
1
2
3
4
10
5
6
Quelle: Universität Bern
Wird es wärmer, dürfte sich das heutige Verbreitungsgebiet der Malaria weiter ausdehnen.
Länge in 1 km-Einheiten
5
7
8
1500
1600
1700
1800
1900
2000
Quelle: IPCC 2001
Biodiversität
Bereits heute sind Auswirkungen des Klimawandels auf Flora und Fauna feststellbar.
Die Pflanzen blühen in unseren Breiten deutlich früher, aber auch die Zugvögel treffen früher bei uns ein und haben ihre Brutzeit vorverlegt. Das Verbreitungsgebiet verschiedenster Pflanzen- und Tierarten wird sich weiterhin polwärts und in die Höhe
verschieben, und die Artenzusammensetzung verändert sich. Gewisse gefährdete
Arten, deren Lebensraum bereits stark eingeschränkt ist, werden einer weiteren Belastung ausgesetzt. Dadurch nimmt die Gefahr ihres Aussterbens zu.
heute
+2,5°C
+4°C
Quelle: BUWAL Umwelt Schweiz 2002
Das Verbreitungsgebiet verschiedenster Pflanzen- und Tierarten wird sich polwärts verschieben.
1 Nigardsbreen Norwegen 2 Leurufjardarjokull Island,
3 Wedgemount Kanada, 4 Grindelwald Schweiz, 5 Hintereisferner Österreich, 6 Rhonegletscher Schweiz, 7 Pared
Sur Chile, 8 Franz-Josef-Gletscher Neuseeland
Gletscher
und Schneedecke
Das Hochgebirge reagiert besonders
sensibel auf die Klimaerwärmung. So
haben die Gletscher in den Alpen
allein zwischen dem letzten Höchststand um 1850 und 1970 einen Drittel ihrer Fläche und mehr als die
Hälfte ihrer Masse verloren. Im IPCCBericht ist vom «umfassenden Rückzug der nicht-polaren Gletscher» im
20. Jahrhundert die Rede. Aber auch
die mit Schnee bedeckte Fläche hat
seit 1960 um etwa 10 Prozent abgenommen. Künftig werden sich die
Gletscher noch stärker zurückziehen
und zum Teil ganz verschwinden.
Auch die Schneebedeckung wird
weiter abnehmen.
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔11
NATURGEFAHREN
Wenns warm wird in den Bergen
Im Alpenraum schmelzen die Gletscher weg, und das wärmere Klima bringt mehr Stürme, Starkniederschläge, Hochwasser und Erdrutsche. Zwar hat die Bergbevölkerung Erfahrung im Umgang
mit Naturgefahren, doch die neuen klimabedingten Risiken beunruhigen auch routinierte Fachleute.
Auf dem Blatt «Innertkirchen» der
Schweizer Landeskarte im Massstab
1:25 000 von 1995 ist kein Triftsee zu
finden. Der Talkessel im Zungenbereich
des Triftgletschers – hoch über Gadmen
im westlichen Berner Oberland – war
damals noch mit Eis gefüllt. Beim Felsriegel der Windegg und Drosiegg stand
der Gletscher an und streckte bloss die
Zungenspitze ein paar Meter in die
Schlucht, durch die sein Bach ausfliesst.
Doch jetzt liegt das Eisniveau dreissig
Meter tiefer, und der Gletscher mündet
in einen kleinen See.
Nur wenige Alpengletscher schrumpfen gegenwärtig so rasant wie der Triftgletscher. An Länge hat er bis vor kurzem zwar nur wenig eingebüsst, denn
zuerst sind die aufgestauten Eismassen
abgeschmolzen. Doch seit der Kontakt
mit dem Felsriegel abgerissen ist, beschleunigt sich der Rückzug. Im Messjahr 2000/2001 betrug er 250 Meter.
Nun schwimmen Eisbrocken im grünlich milchigen Wasser – eine landschaftliche Idylle für jeden Bergwanderer.
Gefahren eines Eisabbruchs
Im Dorf Gadmen – einige hundert
Meter weiter unten im Tal – sieht man
dies etwas anders. Hier trifft sich eine
Delegation des Gemeinderates mit
Fachleuten für Naturgefahren. Die Gemeindepräsidentin Barbara Kehrli will
von den Experten wissen, ob beim Triftsee eine akute Auslaufgefahr bestehe.
Im Moment nicht, beruhigt sie der
ETH-Glaziologe Martin Funk. Doch der
12➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
See wachse rasch, und in drei bis fünf
Jahren könnte sich der Gletscher aus
dem Geländekessel zurückgezogen haben. Die Wasserfläche wird dann nahe
an die gut 600 Meter hohe Talflanke
reichen, über die sich das Eis aus dem
grossen Einzugsgebiet zwischen Tierberg und Tieralplistock ergiesst. Dann
könnte ein Eisabbruch aus der steilen
Gletscherzunge in den See stürzen und
eine Flutwelle auslösen, die schlimmstenfalls bis in den unteren Teil des Gadmentals schwappen würde.
Gefahrenkarten verhüten Schäden
Welche Gebiete davon betroffen wären,
wird die vom Geologen Hans-Rudolf
Keusen gegenwärtig erarbeitete Gefahrenkarte zeigen. Der Bund verpflichtet
die Kantone, solche Gefahrenkarten zu
erstellen, und übernimmt bis zu 70 Prozent der Kosten. Die ermittelten Naturgefahren sind bei allen raumwirksamen
Tätigkeiten angemessen zu berücksichtigen – dies gilt insbesondere für die
Richt- und Nutzungsplanung. Gefährdete Zonen sind je nach Gefahrensituation rot, blau oder gelb markiert, wobei
im roten Bereich ein absolutes Bauverbot gilt. Weisse Gebiete, in denen keine
Naturgefahren drohen, wird man auf
der Karte von Gadmen bloss auf kleiner
Fläche finden. Das Dorf unter dem
schützenden Blattenwald liegt eingeklemmt zwischen zwei Lawinenzügen.
Im schneereichen Februar 1999 war es
drei Wochen lang abgeschnitten, und
einzelne Wohnhäuser mussten damals
evakuiert werden. Ein Teil der Gemeindefläche ist zudem durch Steinschlag
gefährdet. Jetzt kommen neue Risiken
aus dem Triftsee hinzu.
Auch der Permafrost taut auf
Aber nicht nur durch das Schmelzen
der Alpengletscher entstehen neue Naturgefahren. Wie das Gletschereis verflüssigt sich auch das gefrorene Wasser,
welches im Untergrund loses Gestein
zusammenhält. In den letzten hundert
Jahren ist die Untergrenze der so genannten Permafrostböden um 150 bis
250 Meter angestiegen. Damit nimmt
das Risiko zu, dass zuvor stabile Hänge
und Felspartien ins Rutschen geraten.
Fortsetzung S. 14
Schweiz
ohne Gletscher
Der Rückzug der Alpengletscher setzte
schon nach ihrem nacheiszeitlichen
Maximum in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Bis 1970 waren bereits ein
Drittel der gesamten Eisfläche und das
halbe Volumen abgeschmolzen. Danach
beschleunigte sich die Entwicklung, sodass die Schweizer Gletscher in den letzten dreissig Jahren mindestens einen
weiteren Viertel ihrer Eismasse einbüssten. Bei anhaltendem Trend werden im
Lauf dieses Jahrhunderts 50 bis 90 Prozent der Alpengletscher völlig verschwinden.
Schweizer Gletscher, Längenänderungen 1999/2000
wachsend
stationär
schwindend
nicht klassiert
Quelle: «Alpen» 10/2001
1 Grosser Aletsch
2 Fiescher
3 Gorner
4 Corbassière
5 Unterer Grindelwald
6 Otemma
23,3 km
15,1 km
12,9 km
10,2 km
8,3 km
8 km
7 Rhone
8 Findelen
9 Morteratsch
10 Gauli
11 Trift
Quelle: Jahresbericht der Glaziologischen Komission 2000
7,9 km
7,7 km
6,7 km
6,3 km
5,7 km
J. Helbing
Einige der längsten Gletscher der Schweiz
Dramatische Schwindsucht in den Alpen: Das Eis des Triftgletschers löst sich im natürlich
gestauten Schmelzwasser auf (oben). Das Berninamassiv steht noch, doch der Morteratschgletscher hat sich zwischen 1911 (links unten) und 2001 stark zurückgezogen.
Gesellschaft für ökologische Forschung, München
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔13
Ereigniskataster «StorMe»
Keystone
Wer Gefahrenkarten erarbeitet oder Schutzbauten plant, muss sich auf Erfahrungswerte abstützen können – auch wenn bezüglich Naturgefahren im Alpenraum künftig wohl vieles anders sein wird. Mit dem Projekt «StorMe» stellt der
Bund den Kantonen eine Datenbank über historische und aktuelle Naturereignisse auf Internetbasis zur Verfügung. Naturphänomene mit Gefahrenpotenzial
– wie Lawinen, Felsstürze, Rutschungen, Murgänge und Überschwemmungen –
können hier mit einem Standard-Formular erfasst und auf diese Weise allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Kontakt: [email protected]
Lawinenniedergang in Vals 1951
Fortsetzung von S. 12
Zudem können nach Starkregen vermehrt Murgänge anreissen. Rutschungen und Murgänge im Bereich des auftauenden Permafrosts spielen sich
allerdings in Höhenlagen um 2700 Meter ab. Weit abseits von besiedeltem
Gebiet dürften diese Naturvorgänge
deshalb in der Regel nur wenig Schäden anrichten.
Mehr Hochwasser im Winter
Weit bedrohlicher ist ein anderer
Aspekt des Klimawandels: Wie globale
Modelle zeigen, kann die Atmosphäre
bei einer Erwärmung um 1 Grad Celsius
[
NATURGEFAHREN SIND BEI DER RICHT- UND NUTZUNGSPLANUNG ANGEMESSEN ZU BERÜCKSICHTIGEN
7 Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Laut den Klimaexperten des IPCC
haben die Niederschläge auf der Nordhalbkugel im 20. Jahrhundert dadurch
wohl bereits um 5 bis 10 Prozent zugenommen. Es gibt aber nicht mehr Regentage, sondern das Wasser fällt in
Form von häufigeren Starkregen vom
Himmel. Modellrechnungen für Europa
zeigen bei einem weiteren Temperaturanstieg um zwei Grad eine Zunahme
Saisonale Klimaprognosen
Das Wettergeschehen in Mitteleuropa ist geprägt von sehr weiträumigen und
über längere Zeit wirksamen Klimamechanismen, die periodischen Schwankungen unterliegen – ähnlich dem El Niño-Phänomen im Pazifik. Mit dem Forschungsprojekt «Saisonale Vorhersagen – Verständnis der Klimamechanismen»
des nationalen Schwerpunkts Klima möchten verschiedene Wissenschafter diesen
klimatischen Prozessen auf den Grund gehen. Ziel ihrer Arbeit mit einer Reihe von
computergestützten globalen und regionalen Klimamodellen sind saisonale Klimaprognosen. Obwohl auf lange Sicht keine detaillierten Wetterprognosen möglich sind, dürfte es dennoch nützlich sein, aussergewöhnliche Klimaphänomene
wie etwa zu trockene Sommer oder Perioden mit Starkniederschlägen frühzeitig
mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen zu können. Von solchen Informationen profitieren beispielsweise die Stromwirtschaft, der Hochwasserschutz, die
öffentlichen Wasserversorgungen, die Schifffahrt, Tourismusanbieter oder die
Landwirtschaft. www.nccr-climate.unibe.ch
14➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
]
der Starkniederschläge um 20 bis 40
Prozent. Dies führt vor allem dort zu
Problemen, wo feinkörnige Böden im
steilen Gelände das Wasser nur langsam
versickern lassen. In der Schweiz sind
schätzungsweise 7 Prozent der Gesamtfläche von Hanginstabilitäten betroffen. Hier können Starkregen vermehrt
Murgänge und Rutschungen auslösen –
wie etwa im November 2002 mancherorts im Bündnerland.
«Winterhochwasser werden voraussichtlich zunehmen», erklärt Peter Greminger, Leiter des Bereichs Schutzwald
und Naturgefahren beim BUWAL: «In
den Hochalpen ist andererseits mehr
Schnee zu erwarten, womit sich das
Überschwemmungsrisiko bei einem
Zusammentreffen von Schneeschmelze
und Starkregen auch im Frühling erhöhen dürfte – so wie zuletzt im Mai
1999.» Damals waren unter anderem
Thun, das Mattequartier in Bern und
grosse Gebiete am Bodensee überflutet.
Das Erfahrungswissen
reicht nicht mehr
Zumindest im stärker betroffenen
Alpenraum verfügen viele Gemeinden
über eine jahrhundertelange Erfahrung
Keystone
Das Walliser Dorf Baltschieder im Rhonetal nach dem Murgang vom Oktober 2000: Die gesamte Bevölkerung musste evakuiert werden.
Auf Grund vermehrter Starkniederschläge ist künftig häufiger mit solchen Katastrophen zu rechnen.
www.cenat.ch
www.wsl.ch
www.naturgefahren.ch
im Umgang mit Naturgefahren. Hier
gilt die Erkenntnis, dass jederzeit wieder
passieren kann, was schon früher geschehen ist. Schutzmassnahmen wie
das Sperren von Verkehrswegen, Evakuierungen der Bevölkerung, lokale
Nutzungsverbote oder Schutzbauten
orientieren sich häufig an vergangenen
Ereignissen. Tradiertes Wissen, langjährige Statistiken, Dorfchroniken sowie
stumme Zeugen in der Landschaft
geben recht gut Auskunft über Wetterund Klimaextreme sowie Naturkatastrophen in den letzten tausend Jahren.
Dieser Erfahrungsschatz ist nach
wie vor wichtig für die Schadenprävention, doch er dürfte schon bald nicht
mehr ausreichen. «Das Klima eilt der
Geschichte davon, die Verhältnisse entfernen sich immer weiter von der historischen Normalität», stellt Peter Greminger fest. «Um gefährdete Gebiete zu
erkennen und Schutzvorkehrungen zu
planen, werden wir deshalb stärker
auch auf Modellrechnungen und Computersimulationen angewiesen sein.»
Weil höhere Temperaturen in der
LINKS Atmosphäre für mehr Turbulenzen sorgen, dürften vor allem
winterliche Stürme in Zukunft
häufiger auftreten. Der Orkan Lothar, welcher am 26. Dezember
1999 über Westeuropa fegte und
auch in der Schweiz ganze Wäl-
der umlegte, kann durchaus ein natürliches Ausnahmeereignis gewesen sein.
Doch er passt in den klimatischen
Trend. So hat die Zyklonaktivität über
dem Nordatlantik, mit der Sturmereignisse in Mitteleuropa zusammenhängen, in den letzten 20 Jahren ebenfalls
zugenommen.
das der Wissenschafter im Auftrag des
BUWAL durchführt. Es soll Akteuren in
Politik und Wirtschaft die Bandbreite
an geeigneten Möglichkeiten aufzeigen, damit sie bei ihren Entscheiden
das Vorsorgeprinzip im Hinblick auf
künftige Naturgefahren konsequent
berücksichtigen können.
Künftige Extremereignisse
simulieren
Mit Szenarien künftiger Extremereignisse befasst sich Professor Martin Beniston vom Geographischen Institut
der Universität Freiburg i.Ü. Er simuliert die klimatische Zukunft im Alpenraum mit Hilfe eines regionalen Klimamodells an einem Supercomputer. Natürlich können diese Modelle das Wetter im übernächsten Jahrzehnt nicht
voraussagen. Möglich sind aber Prognosen zur Wahrscheinlichkeit. Müssen wir uns auf häufigere Stürme gefasst
machen? Welche Gebiete könnten
hauptsächlich betroffen sein? Welche
Sturmstärken sind zu erwarten? Antworten auf solche Fragen seien für Entscheidungsträger aller Art sehr hilfreich, meint Martin Beniston. Denn
angesichts der Unsicherheiten über die
regionale Klimaentwicklung und neue
Gefahrensituationen müsse man möglichst nach dem Vorsorgeprinzip handeln. In diese Richtung zielt ein Projekt,
■ Hansjakob Baumgartner
LESETIPP
OcCC: Das Klima ändert – auch in der Schweiz.
Die wichtigsten Ergebnisse des dritten Wissensstandsberichts des IPCC aus der Sicht der
Schweiz. 2002.
www.proclim.ch/IPCC2001.html
INFOS
Peter Greminger
Bereichsleiter Schutzwald
und Naturgefahren, BUWAL
Tel. 031 324 78 61
Fax 031 324 78 66
[email protected]
Simon Burren
StoreMe-Manager
Bereich Schutzwald und
Naturgefahren, BUWAL
Tel. 031 324 86 40
[email protected]
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔15
SCHNEEARME WINTER
Der Wintersport wird zum
Nischenangebot
Wie überleben Schweizer Wintersportorte in tieferen Lagen, wenn der Schnee ausbleibt? UMWELT
sprach mit Matthias Kurt, dem Marketingleiter der Bergbahnen Lenk-Betelberg, über die Perspektiven seines Dorfes in einer wärmeren Zukunft.
Matthias Kurt, Marketingleiter der Bergbahnen
Lenk-Betelberg im Berner Oberland
UMWELT: Der höchste Lift der Bergbahnen
Lenk-Betelberg im Berner Oberland führt
auf das Leiterli, auf genau 2000 Meter
über Meer. Bis dort hinauf könnte in den
nächsten 50 Jahren die Schneesicherheitsgrenze ansteigen. Hat man sich bei der
Bahngesellschaft über solche Entwicklungen schon Gedanken gemacht?
Matthias Kurt: Nein, bisher nicht. 50 Jahre sind ja auch eine lange Zeit. Aber der
Klimawandel beschäftigt uns natürlich
schon. Der Trend zu milden Wintern ist
spürbar und zwingt uns bereits heute
zum Handeln.
Und was tut Ihr?
Kurzfristig setzen wir auf künstliche
Beschneiung. Wir haben in den letzten
Jahren 2,5 Millionen Franken in Beschneiungsanlagen investiert und setzen
in diesem Sommer nochmals 1 Million
ein. Dann können wir einzelne Pisten
vollständig beschneien. Die Anlage wird
in 15 Jahren abgeschrieben. Bis dann
werden die Temperaturbedingungen für
deren Betrieb sicher noch stimmen.
Danach werden wir weiter sehen.
Aber gerade attraktiv ist das Skifahren
auf ein paar weissen Pistenstrassen in
einer aperen Landschaft auch nicht.
Ski- und Snowboardfans werden weiter-
16➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
hin kommen. Natürlich werden es
viel weniger sein
als heute, doch der alpine Wintersport
verliert als Volkssport ohnehin an Bedeutung. Schon allein deshalb müssen wir
uns etwas einfallen lassen.
Wo sehen Sie die Chancen der Lenk
jenseits des Wintersports?
Im vergangenen Dezember ist der «Lenkerhof», der nach einer Pleite zweieinhalb Jahre leer stand, als 5-Stern-Hotel
mit 140 Betten neu eröffnet worden. Er
bietet Wellness an – am selben Ort, wo
schon im 17. Jahrhundert ein Bäderhotel
stand. Die Nische «Gesundheit» ist ausbaufähig: Bergluft ist gesund – zu jeder
Jahreszeit.
[
kann. Mit dem Blumenpfad, dem LuchsTrail und dem Murmeltier-Trail auf dem
Betelberg gehen wir jetzt schon in diese
Richtung.
Lenk ist Entschleunigung. Bereits heute sind viele Gäste über die Festtage Erholungsgäste: Sie wollen eine ruhige Zeit
in den Bergen verbringen und müssen
nicht unbedingt Ski fahren. Diese Form
von Tourismus bringt zwar nicht mehr so
viel Umsatz wie der Skitourismus, sichert
aber auf lange Sicht Einkommen und
Arbeitsplätze.
Lenk im Jahr 2030: Was fällt
Ihnen dazu ein?
Ein Bergdorf in einer nach wie vor
prächtigen Landschaft. Die Bevölkerung
wird immer noch vom Tourismus leben,
DER TREND ZU MILDEN WINTERN
IST SPÜRBAR UND ZWINGT UNS BEREITS
HEUTE ZUM HANDELN
Der Talabschluss nördlich der Lenk
ist einer der schönsten im Alpenraum.
Lenk bietet Blumenpracht, Alpentierwelt und eine Moorlandschaft von nationaler Bedeutung. Wir können diese
Ressourcen besser nutzen, indem wir
beispielsweise geführte Wanderungen
anbieten, an denen der Gast die Naturund Kulturlandschaft intensiver erleben
]
wenn auch auf schmalerer Basis. Sehen
Sie, um 1970 zählte die Gemeinde 1300
Einwohner. Dank dem Wintersport wurden es bis heute 2500. In dreissig Jahren
werden es vielleicht wieder bloss 2000
sein – aber Lenk im Simmental wird ein
lebendiges Dorf bleiben. Alpinen Wintersport wird es noch geben, aber bloss
als Nische.
Kurze Hosen statt gut isolierende Skianzüge: In der Lenk könnte der Sommertourismus ...
Gefährdete Skitradition
Lenk im Berner Oberland liegt 1068
Meter über Meer und ist ein Bergdorf
mit langjähriger Skitradition. Schon
1937 nahm der erste Lift seinen Betrieb auf. Tausende von Schulklassen
haben hier ihre Skilager verbracht.
Nahezu die ganze Bevölkerung lebt
direkt oder indirekt vom Tourismus.
Auswärtige Arbeitsplätze in vernünftigen Pendlerdistanzen gibt es kaum.
Wie in der Lenk sind vor allem in den
Voralpen sowie im Jura zahlreiche
Skiregionen gefährdet, wenn das Klima wärmer wird.
stark gefährdete Skiregionen
gefährdete Skiregionen
Quelle: BUWAL 1994 und
Messerli 1990
... den Wintertourismus bald ablösen.
Oben: AURA; unten: Keystone und AURA
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔17
Winter im Engadin:
Statt vom Himmel kommt
der Schnee immer häufiger
aus der Kanone oder vom
Lastwagen.
Abschied vom Winter
Blühende Primeln in den Gärten des Unterlandes, grüne Weihnachten auch in den Bergdörfern, apere Skipisten, Skilifts ausser
Betrieb und nach Neujahr ein Wärmesturm: Über die Festtage des
Winters 2002/2003 spielte das Wetter wieder einmal verrückt.
Doch in einigen Jahrzehnten ist dies womöglich der Normalfall.
Die wahrscheinlichsten Klimaszenarien für den Alpenraum sehen
sehr milde Winter mit Regen statt Schnee bis in höhere Lagen
voraus.
www.proclim.ch/Press/PDF/ClimatePress15D.pdf
Höher hinauf und Kunstschnee
Durch Flucht in die Höhe versuchen einige Skiorte, den alpinen
Wintersport in eine wärmere Zukunft zu retten. Zum BeiLINK spiel auf der Lauchernalp im Lötschental VS, wo im kommenden Winter die Bahn auf den 3111 Meter hohen Hockenhorngrat den Betrieb aufnehmen wird. Doch das Rezept
taugt nur für die wenigen Gebiete, wo überhaupt erschliessbare Hänge in solchen Höhenlagen zur Verfügung stehen.
Anderswo setzt man auf Kunstschnee. Der Verband der
Schweizer Seilbahnunternehmungen ortet hier Nachholbedarf. Im Wettrüsten mit Schneekanonen liegt die Schweiz
gegenüber den Österreichern klar im Rückstand. Dort werden 30 Prozent der Pistenfläche künstlich beschneit, bei uns
sind es 9 Prozent. Doch Schneekanonen schiessen nur bei
Minustemperaturen. Viele Skigebiete sind deshalb langfristig wohl zu warm für Kunstschnee.
AURA
Skisport nur noch im Wallis und in Graubünden?
Noch gelten 85 Prozent der hiesigen Skigebiete als schneesicher,
was nicht heisst, «Pulver gut» sei garantiert. Skilager, während
deren es kaum für eine ordentliche Schneeballschlacht reichte,
haben auch ältere Leute in Erinnerung. «Schneesicher» ist ein
betriebswirtschaftlich definiertes Attribut: Es gilt für Wintersportorte, auf deren Pisten in mindestens sieben von zehn Wintern
während 100 Tagen eine minimale Schneedecke von 30 bis 50
Zentimetern liegt. Unter solchen Bedingungen lassen sich Bergbahnen und Skilifte rentabel betreiben.
Heute liegt die Schneesicherheitsgrenze auf 1200 Metern. Bei
der erwarteten Temperaturentwicklung in Mitteleuropa dürfte sie
in den nächsten 30 bis 50 Jahren auf 1600 bis 2000 Meter ansteigen. Mehr als ein Drittel unserer Skigebiete befinden sich unterhalb von 1500 Metern. In Höhenlagen ab 1800 Metern verbleiben
noch 44 Prozent, und diese Gebiete befinden sich praktisch alle
in den Kantonen Wallis und Graubünden.
LESETIPP
Wintertourismus: Können die Folgen der Klimaerwärmung mit Investitionen kompensiert werden?
Climate-Press Nr. 15, Januar 2003; Bezug: ProClim, Bärenplatz 2,
3011 Bern, Tel. 031 328 23 23
INFOS zu den Beiträgen auf den Seiten 16 bis 21
Markus Nauser, Sektion
Ökonomie und Klima, BUWAL
Tel. 031 324 42 80
Fax 031 323 03 67
■ Hansjakob Baumgartner
18➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
[email protected]
KLIMAPOLITIK
Vereint gegen den Klimakollaps
Die Fäden der Schweizer Klimapolitik laufen beim BUWAL zusammen. Doch nicht nur das federführende Amt, sondern auch weitere Bundesstellen setzen in ihren Fachgebieten die Ziele der
Klimakonvention um. Weil der Klimaschutz eine Vielzahl von öffentlichen Aufgaben betrifft, ziehen
verschiedene Bundesämter am gleichen Strick.
Als verantwortliches Amt für die
Schweizer Klimapolitik erstellt das
BUWAL unter anderem ein Inventar der
Treibhausgase und erarbeitet Entscheidungsgrundlagen für Massnahmen zur
Emissionsreduktion. Die Anstrengungen zur Verminderung der klimaschädigenden Gase betreffen heute fast alle
Lebensbereiche und gehen zudem weit
über die Landesgrenzen hinaus. Deshalb sind sowohl die Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik als
auch die internationale Zusammenarbeit für die klimapolitischen Ziele der
Schweiz von erheblicher Bedeutung.
www.klima-schweiz.ch
Klimaschutz ist ein Teil
der nachhaltigen Entwicklung
«Eine moderne Auffassung der Umweltpolitik betrachtet den Klimaschutz
nicht isoliert, sondern versteht ihn als
Teil einer umfassenden Strategie, in der
ökonomische, ökologische und soziale
Anliegen den gleichen Stellenwert haben», stellt José Romero fest, der beim
BUWAL die internationalen Kontakte
zur Klimakonvention betreut. Mit diesem Grundsatz reiht sich die schweizerische Klimapolitik nahtlos ins Konzept der nachhaltigen Entwicklung
LINK ein, wie sie 1992 am Erdgipfel
in Rio definiert worden ist.
Auch die vom Bundesrat verabschiedete «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2002» ist breit
angelegt. Hier wurden zehn
Handlungsfelder mit insgesamt
22 Massnahmen beschlossen. Sie reichen von Anreizen zur Ressourcenschonung über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie bis
hin zur konsequenten Weiterentwicklung der bisherigen Energie- und Klimapolitik.
BUWAL:
Kernaktivitäten
CO2-Gesetz: Das BUWAL kümmert sich
um die Umsetzung des CO2-Gesetzes
als wichtigstes Instrument der Schweizer Klimapolitik. Dieses erfasst nahezu
80 Prozent der inländischen Treibhausgasemissionen. Um diese zu reduzieren, vertraut das BUWAL auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von
Staat und Wirtschaft (s. S. 22).
Stoffverordnung: Das Amt vermindert
mit einer Revision der Stoffverordnung
den Ausstoss von synthetischen Treibhausgasen. Auf Grund ihres hohen Erwärmungspotenzials stellen diese Substanzen eine neue Bedrohung für das
Klima dar (s. S. 30).
Technologieförderung: Das BUWAL
setzt jährlich rund 3 Millionen Franken
zur Förderung von innovativen Umwelttechnologien ein. Die Mittel kommen der Entwicklung von neuen Anlagen und Verfahren zugute, welche die
Umweltbelastung reduzieren und die
Ökoeffizienz der Schweizer Wirtschaft
verbessern. Der sparsamere Einsatz von
Erdölprodukten und anderen Ressourcen entlastet auch das Klima (s. S. 32).
Wald und Holz: Als wichtigen Beitrag
zum Klimaschutz setzt das BUWAL seine Politik der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und Holzabsatzförderung um. Bäume entziehen der Atmosphäre während des Wachstums Kohlendioxid, und der Einsatz von Holz als
Rohstoff und Energieträger hilft Emissionen vermeiden (s. S. 34).
International: Ebenso bedeutsam wie
die Politik im Inland ist die internationale Zusammenarbeit bei der Umsetzung von klimarelevanten Strategien
und Massnahmen. Das BUWAL vertritt
die Schweiz deshalb in multilateralen
Umweltorganisationen und Abkommen wie dem UNO-Umweltprogramm
UNEP, der Klimakonvention und dem
Globalen Umweltfonds GEF. Der GEF
fördert Projekte mit globalem Umweltbezug und ist heute das wichtigste
Finanzierungsinstrument für den Umweltbereich. BUWAL-Direktor Philippe
Roch vertritt im GEF-Rat nicht nur die
Schweiz, sondern auch die Interessen
der so genannten «Helvetistan»-Gruppe. Dazu gehören die zentralasiatischen Länder Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan
und Usbekistan.
www.umwelt-schweiz.ch
■ Vera Bueller
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔19
Bundesamt für Energie BFE:
Bundesamt für Verkehr BAV:
Bundesamt für Strassen
Mit «EnergieSchweiz»
auf Klimakurs
NEAT – von der Strasse
auf die Bahn
ASTRA:
Rund 80 Prozent der Treibhausgasemissionen im Inland stammen aus dem
Verbrauch fossiler Energieträger. Einsparungen im Energiebereich bedeuten
deshalb meistens auch Fortschritte in
der Klimapolitik. Der Bund hat 2001 das
Programm «EnergieSchweiz» lanciert.
Mit einem Jahresbudget von 55 Millionen Franken unterstützt es Anstrengungen von Wirtschaft, Kantonen und
Gemeinden, die zu einer sparsamen
Energieverwendung und zur Nutzung
von erneuerbaren Energien beitragen.
Der Bevölkerung bietet es Informationen für den energiebewussten Konsum.
Bis zum Jahr 2010 sollen der Verbrauch
fossiler Energien und die energiebedingten CO2-Emissionen mit «EnergieSchweiz» um 10 Prozent gesenkt werden. Das Programm ist somit ein zentrales Instrument, um die Ziele des CO2Gesetzes zu erreichen.
www.energie-schweiz.ch
Laut Prognosen wird der motorisierte
Strassenverkehr in naher Zukunft kontinuierlich weiter wachsen. Dieser verursacht bei steigender Tendenz heute
bereits etwa 35 Prozent der CO2-Emissionen im Inland. Um den ÖV zu stärken
und möglichst viel alpenquerenden Güterschwerverkehr von der Strasse auf die
Bahn zu verlagern, muss die Schieneninfrastruktur modernisiert und ausgebaut
werden. Ein zentrales Element dieses
Ausbaus ist die NEAT. Neue Basistunnel
am Gotthard, Ceneri, Zimmerberg,
Hirzel und Lötschberg mit Ausbauten
auf den Zufahrtsstrecken bringen dem
Personen- und Güterverkehr kürzere,
schnellere und leistungsfähigere NordSüd-Verbindungen. Und mit jeder vermiedenen Lastwagenfahrt zwischen
Basel und Chiasso gehen 230 kg CO2
weniger in die Luft.
www.bav.admin.ch
Das BFE fördert Häuser mit geringem Energieverbrauch, die auch das Klima weniger belasten.
Die NEAT soll den alpenquerenden Güterverkehr
auf die klimaverträgliche Schiene umlagern.
Bahn frei für eine umweltgerechte Mobilität ohne
CO2-Ausstoss.
AURA
BUWAL/AURA
AURA
20➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Langsamverkehr – aus
eigener Kraft mobil
Langsamverkehr steht für den nichtmotorisierten Verkehr zu Fuss und mit dem
Velo sowie für andere ausschliesslich
muskelbetriebene Fortbewegungsarten.
Mit 50 Millionen Franken will der Bund
in einem ersten Schritt die Voraussetzungen für diese emissionsfreien Mobilitätsformen verbessern. Das «Leitbild zur
Förderung des Langsamverkehrs» enthält eine breite Palette von Massnahmen
zur Schaffung attraktiver, sicherer und
zusammenhängender Wegnetze. Vorgesehen sind auch Nebenanlagen wie
Veloparkplätze, Gepäckaufbewahrungsstellen usw. Auf diese Weise soll sich der
Langsamverkehr neben dem ÖV und
dem motorisierten Individualverkehr
zum gleichberechtigten dritten Pfeiler
einer modernen Verkehrspolitik entwickeln. Gesundheit, Luftqualität und Klima
profitieren davon gleichermassen.
www.astra.admin.ch
Bundesamt für Landwirtschaft
Staatssekretariat
Direktion für Entwicklung und
BLW:
für Wirtschaft seco:
Zusammenarbeit DEZA:
Klimaverträgliche
Landwirtschaft
Wissen weiter geben
Hilfe zur Selbsthilfe
Für den Transfer von umweltfreundlichen Technologien in Entwicklungsund Schwellenländer fördert das Staatssekretariat für Wirtschaft seco den
lokalen Aufbau von Zentren für eine
saubere Produktion. Als Dienstleistungsanbieter beraten die so genannten
NCPC kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) vor Ort in allen Fragen der
Ökoeffizienz. Der optimierte Einsatz von
Rohstoffen, Energie und Wasser hilft
Produktionskosten einzusparen und reduziert gleichzeitig die umwelt- und
klimaschädigenden Emissionen. In Zukunft will man die Aktivitäten der NCPC
vermehrt auch auf soziale Aspekte
ausweiten – insbesondere auf die
Arbeitsnormen. Damit sollen sich diese
zu Zentren für eine nachhaltige Produktion entwickeln. Seit 1998 hat das seco
den Aufbau von solchen Projekten in
Mittel- und Südamerika, Afrika und
Asien unterstützt.
www.seco-admin.ch
Die globale Klimapolitik wird nur Erfolg
haben, wenn auch die Entwicklungsländer ihre Politik auf mehr Nachhaltigkeit
ausrichten. Das tun sie aber nur, wenn
sie sich in ihren Bemühungen nicht
allein gelassen fühlen. Hier knüpft die
DEZA mit ihrem Prinzip der Hilfe zur
Selbsthilfe an. So hat sie 2001 und
2002 je einen Finanzierungsbeitrag von
230 000 US-Dollar an eine Spezialeinheit des UN-Entwicklungsprogramms
UNDP geleistet. Dieses unterstützt ärmere Länder beim Erarbeiten einer eigenen Klimapolitik. Entwickelt wurde
überdies eine Anleitung zur Abschätzung der wirtschaftlichen und sozialen
Auswirkungen der Klimaveränderung
auf ein Land. Damit lässt sich der Bedarf
für Schutz- und Anpassungsmassnahmen besser beurteilen.
www.deza.ch
Die angestrebte Reduktion der Nutztierzahlen
senkt den Ausstoss von Methan und Lachgas.
Stofffärberei in Kolumbien: Massnahmen für eine
saubere Produktion helfen auch dem Klima.
Von der DEZA unterstützter Technologietransfer:
sparsamer Antrieb für Auto-Rikschas in Indien.
AURA
Monika Flückiger
HTA Biel
Mit dem Programm «Agrarpolitik 2002»
läuft in der Schweizer Landwirtschaft
seit den 90er-Jahren eine umfassende
Reform. Einerseits will man damit die
Wettbewerbsfähigkeit stärken und zum
andern nachgewiesene ökologische Leistungen mit Direktzahlungen fördern.
Dies wirkt sich auch positiv auf das Klima
aus, denn eine umweltverträglichere
Düngung, die Anpassung der Tierzahlen
an die Nutzfläche, mehr ökologische
Ausgleichsflächen sowie eine sorgfältige
Bodenbewirtschaftung reduzieren die
aus der Landwirtschaft stammenden
klimaschädigenden Substanzen Methan
und Lachgas. Für den Klimaschutz ist
dies nicht unbedeutend, liegt doch der
Anteil der Landwirtschaft am inländischen Treibhausgas-Ausstoss bei fast
12 Prozent.
www.blw.admin.ch
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔21
CO2-GESETZ
Die Wirtschaft sucht Freiwillige
Die Schweiz muss ihren Ausstoss an Kohlendioxid bis 2010 um 10 Prozent senken. Dazu setzt der Bund
vor allem auf freiwillige Massnahmen. Das CO2-Gesetz bietet der Wirtschaft entsprechend grosse
Handlungsspielräume. Zahlreiche Unternehmen und Branchenverbände arbeiten gegenwärtig an
Projekten zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen.
In Wädenswil am Zürichsee werden
Pflanzen aus der ganzen Welt verarbeitet. Die gut 120 Angestellten der Emil
Flachsmann AG produzieren hier aus
Blättern, Rinden, Wurzeln und Früchten natürliche Aromen und Extrakte für
die Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie. Dabei fallen täglich mehrere Tonnen an festen Pflanzenabfällen und 50
bis 200 Kubikmeter Abwasser an. Statt
diese Rückstände wie früher teuer zu
entsorgen, hat die Firma 1998 eine eigene Klär- und Biogasanlage in Betrieb
genommen. Hier werden die Grünabfälle in einem kombinierten Verfahren
vergoren und liefern die Antriebsenergie für zwei Gasmotoren, welche wiederum je einen Generator antreiben. Der
so gewonnene Ökostrom deckt einen
wesentlichen Teil des Energiebedarfs,
und mit der Abwärme lassen sich erst
noch die Firmengebäude beheizen.
Dank dieser innovativen Anlage spart
der Betrieb nicht nur Abwassergebühren und Entsorgungskosten, sondern
zusätzlich über 100 000 Liter Heizöl pro
Jahr. Damit entlastet der innovative
Biogasreaktor auch das Klima und die
CO2-Bilanz der Schweiz.
Freiwilligkeit vor staatlichem Eingriff
Die Emil Flachsmann AG ist Mitglied
der Grossverbraucher-Gruppe Zürichsee. Unterstützt durch Bund und Kanton haben sich bereits in den 90erJahren mehrere Unternehmen in der
Region organisiert, um durch den Aus-
tausch von technischem Know-how
und betrieblichen Erfahrungen ihre
Energieeffizienz zu verbessern. Jede Firma verfügt über spezifische Kompetenzen, welche sie in diesen Lernprozess
einbringen kann. In ihrem Kernanliegen wird die Gruppe inzwischen von
der 1999 gegründeten Energie-Agentur
der Wirtschaft EnAW unterstützt. «Wir
wollen den Tatbeweis erbringen, dass
freiwillige Massnahmen der Wirtschaft
zur Senkung des CO2-Ausstosses Erfolg
versprechen», erklärt EnAW-Geschäftsleiter Max Zürcher. Dazu schliesst die
Agentur mit verschiedenen Gruppen
von Unternehmen Zielvereinbarungen
ab. Darin verpflichten sich die Betriebe,
ihre Möglichkeiten zur CO2-Reduktion
in einem gemeinsamen – von der
EnAW begleiteten – Prozess voll auszuschöpfen.
differenziert steuern kann», erklärt
Andrea Burkhardt von der Sektion Ökonomie und Klima beim BUWAL. «Greifen die freiwilligen Anstrengungen im
einen Teilbereich besser als im andern,
können somit unterschiedlich hohe
Abgabesätze zur Anwendung kommen.»
Angerechnet werden sämtliche
Massnahmen, die den energiebedingten CO2-Ausstoss wirksam vermindern
– also auch solche aus anderen Politikbereichen. Dazu zählen etwa die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe
LSVA, welche den Güterverkehr verstärkt auf die Schiene verlagern soll,
oder das Aktionsprogramm EnergieSchweiz des Bundesamtes für Energie
BFE zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Förderung von erneuerbaren Energien.
10 Prozent weniger CO2 bis 2010
Das seit 1. Mai 2000 gültige CO2-Gesetz
erfasst annähernd 80 % der schweizerischen Treibhausgas-Emissionen, die im
Kyoto-Protokoll geregelt sind. Für Kohlendioxid aus dem Verbrauch fossiler
Energie ist ein rechtlich verbindliches
Reduktionsziel von minus 10 % bis
2010 gegenüber dem Ausgangsjahr
1990 verankert. Dabei müssen die Emissionen aus Brennstoffen auf Grund separater Teilziele um 15 % und jene aus
Treibstoffen um 8 % abnehmen. «Diese
Aufgliederung hat den Vorteil, dass der
Bundesrat ungleiche Entwicklungen
Die Wirtschaft springt auf
Gegenwärtig ist man von den im CO2Gesetz festgelegten Zielwerten noch relativ weit entfernt. So lag der relevante
Kohlendioxid-Ausstoss im Jahr 2001
gegenüber 1990 leicht höher bei 41,4
Millionen Tonnen. Einem Rückgang bei
den Brennstoffen um 0,8 Millionen
Tonnen oder 3,2 % stehen zusätzliche
Emissionen aus dem Treibstoffverbrauch in der Grössenordnung von gut
1,1 Millionen Tonnen CO2 oder 7,3 %
gegenüber. Allerdings laufen die freiwilligen Anstrengungen erst jetzt im grossen Stil an. Bis Mitte 2003 will die
Fortsetzung S. 24
22➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Die Flachsmann AG in Wädenswil ZH nutzt Pflanzen zur Gewinnung von Aromen, Extrakten, Biogas und Ökostrom. Dadurch reduziert die Firma ihren CO2-Ausstoss.
1 TJ = eine Billion Joule
100 000 TJ
entsprechen dem
Energiegehalt von
2,4 Mio. Tonnen Rohöl
TJ
1 000 000
Entwicklung des Energieverbrauchs in der Schweiz
900 000
Müll- und Industrieabfälle
Gas
Fernwärme
800 000
700 000
Elektrizität
600 000
Übrige erneuerbare Energien
Holz
500 000
400 000
Treibstoff
300 000
200 000
Erdölbrennstoffe
100 000
0
Quelle: Bundesamt für Energie
Kohle und Koks
1910
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
85
90
95
2000
Immer mehr Unternehmen und Branchen verpflichten sich, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu senken – so auch die schweizerische Zementindustrie.
oben: BUWAL/E.Ammon, AURA; unten: AURA und Keystone
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔23
Der lange Weg der CO2-Abgabe
In der Aufbruchstimmung nach dem Erdgipfel von Rio wollte der Bund die fossiFortsetzung von S. 22
len Brenn- und Treibstoffe als wichtigste CO2-Quellen in den frühen 90er-Jahren
mit einer Abgabe belegen. Er versprach sich vom finanziellen Anreiz eine
EnAW Zielvereinbarungen mit Firmengruppen über 2,5 Millionen Tonnen
CO2 aus dem Verbrauch von Brennstoffen abschliessen. Dies entspricht
gut 20 % der entsprechenden CO2Emissionen der Wirtschaft. Mittelfristig möchte die EnAW diesen Anteil auf
40 % Prozent steigern. Die Zielvereinbarungen können die Grundlage für
Verpflichtungen gegenüber dem Bund
bilden. Einzelne Branchen wie etwa die
Zementindustrie haben sich bereits
direkt gegenüber den Behörden zur Reduktion ihrer Emissionen verpflichtet.
Erfolgreich umgesetzte Verpflichtungen befreien die beteiligten Unternehmen von der Entrichtung einer allfälligen CO2-Abgabe.
Reduktion des Ausstosses an Kohlendioxid im Sinne der in Rio beschlossenen
Klimakonvention. Das ursprüngliche Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand
der Wirtschaft, die in der Folge stärker eingebunden wurde. Die enge Zusammenarbeit mündete 1996 in einer neuen, breit abgestützten Vorlage zum
CO2-Gesetz. Massgebend für deren Erfolg war der hohe Stellenwert von freiwilligen Massnahmen im Gesetz. Wirtschaft und Private erhalten dadurch ein grosses Mass an Selbstverantwortung. Die CO2-Abgabe wird nur eingeführt, wenn
die Eigenanstrengungen nicht genügen, um die verankerten Reduktionsziele zu
erreichen. Mit diesem Kunstgriff liess sich die Klippe, an der die erste Vorlage
zerschellt war, erfolgreich umschiffen.
Die Zustimmung der Schweiz zum 1997 ausgehandelten Kyoto-Protokoll entspricht einer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Reduktion ihrer TreibhausgasEmissionen. Trotz Einsicht in die Notwendigkeit einer gesetzlich fundierten Klimapolitik zogen sich die Beratungen im Parlament zu Detailfragen des CO2Gesetzes bis zum Herbst 1999 hin. Unter anderem bestand Uneinigkeit darüber,
www.klima-schweiz.ch/politik
www.klima-schweiz.ch/co2-statistik
www.energie-schweiz.ch
www.enaw.ch
Autoimporteure in der Pflicht
Auch die Autoimporteure haben den
Weg einer Vereinbarung mit dem Bund
gewählt. Darin verpflichten sie sich,
den Durchschnittsverbrauch neuer Personenwagen bis 2008 jährlich um 3 %
zu senken. Als Orientierungshilfe für die
Käufer ist zudem seit dem 1. Januar
2003 eine Energieetikette für Autos vorgeschrieben. Falls sich abzeichnet, dass
der Flottenverbrauch von Neuwagen
nicht wie vereinbart sinkt, wird der
Bund gestützt auf das Energiegesetz Vorschriften erlassen. Als flankierende
Massnahme ist ab dem
LINKS 1. Januar 2004 zusätzlich
die Förderung von schwefelfreien Treibstoffen geplant, welche den Einsatz
von sparsameren Benzinmotoren ermöglichen (vgl.
Artikel zur Dieselproblematik auf Seite 27).
Frühstens ab dem Jahr
2004 kann auf fossilen
Energien eine CO2-Abgabe erhoben werden. De-
24➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
ob Bundesrat oder Parlament die Kompetenz zur Einführung der CO2-Abgabe
erhalten sollten. Der Kompromiss kommt den Gegnern der Abgabe entgegen.
So entscheidet zwar die Regierung, ob und wann eine solche eingeführt wird,
doch müssen National- und Ständerat die Höhe der Abgabesätze genehmigen.
Entscheidend werden somit die Zusammensetzung des Parlaments und politische Prioritäten zum Zeitpunkt der Einführung sein.
ren Höhe hängt wesentlich vom Erfolg brauch entscheiden. «Wer sparsam
der freiwilligen Massnahmen ab. Um fährt, der profitiert von diesem Lenden erst angelaufenen Reduktionsbe- kungseffekt», sagt Andrea Burkhardt,
mühungen mehr Zeit einzuräumen, ist «denn die Einnahmen aus der CO2eine
Einführung
nicht vor 2005 vorVON DEN IM CO2-GESETZ FESTgesehen. Je grösser
GELEGTEN ZIELWERTEN IST MAN NOCH
die Ziellücke, umso
RELATIV WEIT ENTFERNT
stärker müssten fossile Energien mit
der Lenkungsabgabe künstlich verteu- Abgabe fliessen nicht in die Staatskasse,
ert werden, um die Nachfrage zu dämp- sondern werden zurückverteilt: an die
fen. Die Erfahrung im benachbarten Bevölkerung gleichmässig pro Kopf
Ausland zeigt, dass sich Autokäufer bei und an die Unternehmen gemäss AHVsteigenden Benzinpreisen vermehrt für Lohnsumme.»
Modelle mit geringerem Treibstoffver- ■ Redaktion: Beat Jordi
[
]
Die neue Energieetikette für sparsame Autos. Nicht nur die Autobranche, sondern alle Wirtschaftszweige sollen ihren Beitrag zur CO2-Reduktion leisten:
Produktionsstrasse bei Lindt & Sprüngli (oben rechts), Cellulose-Herstellung in Attisholz SO und Erdölraffinerie in Cressier NE (unten von links).
Anteil der Sektoren im Jahr 2000 am
Total der Treibhausgase in CO2-Äquivalenten
Entwicklung der Emissionen gemäss CO2-Gesetz
Brennstoffe
Treibstoffe
Total
Abfall 5,9%
Landwirtschaft 11,7%
110
Index 1990 = 100
Verkehr 30,8%
Industrie 20%
100
Haushalte 20,8%
Dienstleistungen
10,8%
90
1990
Quelle: BUWAL
Oben sowie unten links: Keystone; unten rechts: BUWAL/Docuphot
91
92
93
94
95
96
97
98
99
2000
01
Quelle: BUWAL
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔25
Klimaschutz ist Gesundheitsvorsorge
Wo Erdölprodukte, Kohle und Erdgas verbrannt werden, gelangt nicht nur
das klimaschädigende Kohlendioxid in die Atmosphäre. Vielmehr sind diese
fossilen Energien auch die wichtigste Quelle der lokalen und regionalen Luftverschmutzung. Weniger CO2 ist deshalb fast immer gleichbedeutend mit
einer geringeren Belastung unserer Atemluft durch Schadstoffe wie Feinstaub, Stickoxide, Kohlenmonoxid, leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe oder
Ozon. Dieses toxische Gemisch führt hier zu Lande jedes Jahr zu rund 3000
vorzeitigen Todesfällen. Die vom BUWAL mitfinanzierte Studie SAPALDIA
zeigt, dass chronische Atemwegserkrankungen im Inland bei zunehmender
Luftbelastung umso häufiger auftreten. Darunter leiden vor allem Kinder,
Chronischkranke und ältere Menschen. Allein bei Kindern treten als Folge
jährlich etwa 45 000 Fälle von akuter Bronchitis auf.
Neben der menschlichen Gesundheit beeinträchtigen die Schadstoffe
auch die Nutzpflanzen sowie den Wald und verursachen überdies massive
Gebäudeschäden. Eine Studie des Bundes von 1996 beziffert die ungedeckten Kosten der heutigen Energieversorgung denn auch auf 11 bis 16 Milliarden Franken pro Jahr.
Jede eingesparte Tonne Kohlendioxid bringt deshalb nicht nur einen
Langzeitnutzen für das globale Klima, sondern führt auf lokaler Ebene zu
einer unmittelbaren Verbesserung der Luftqualität. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden einzig Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter. Doch in allen
andern Fällen heisst Klimaschutz zugleich auch Gesundheitsvorsorge.
26➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Reduzierter Energieverbrauch ohne Komfortverlust: Die
Migros hat den CO2-Ausstoss ihrer Läden markant gesenkt.
Massnahmen zur CO2-Reduktion entlasten auch
die Atemwege.
AURA
Die Migros unternimmt grosse Anstrengungen für den Klimaschutz. Seit
1992 hat sie den CO2-Ausstoss pro Quadratmeter Verkaufsfläche um 45%
gesenkt. Trotz einem starken Ausbau des Filialnetzes setzen die Läden insgesamt 20% weniger Kohlendioxid frei als noch vor zehn Jahren. Auch die
Industriebetriebe des Grossverteilers haben ihren Wärmeverbrauch pro
produzierte Tonne seither um rund 25% vermindert.
Gemäss einer Zielvereinbarung mit der EnAW soll jetzt auch der Brennstoffbedarf für die Beheizung und Kühlung der Bürogebäude in Zürich
halbiert werden, was etwa 500 Tonnen CO2 einspart. Dazu saniert der
Migros-Genossenschaftsbund MGB sein Hochhaus am Limmatplatz nach
Minergie-Standards. Unter anderem will man künftig das Gebäude im Sommer vollständig mit Grundwasser kühlen.
Im Treibstoffbereich leistet der Grossverteiler ebenfalls Pionierarbeit. So
wandelt die Genossenschaft Migros Zürich in Zusammenarbeit mit der
Kompogas AG alle Grünabfälle und Speisereste in CO2-neutrale Energie um.
Damit können neun mit Biogas betriebene Lastwagen die Zürcher MigrosFilialen schadstoffarm und klimaschonend beliefern. Dank dieser innovativen Technologie werden jährlich rund 200 000 Liter Diesel eingespart.
Keystone
Das Sparbeispiel
LESETIPP
Kenngrössen zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen
in der Schweiz. BUWAL 2002.
www.klima-schweiz.ch/daten > Kenngrössen
INFOS
Andrea Burkhardt
Sektion Ökonomie
und Klima, BUWAL
Tel. 031 322 64 94
Fax 031 323 03 67
[email protected]
DIESEL-PW
Mit Partikelfilter
auf der Überholspur
Immer mehr Leute in der Schweiz kaufen sich einen Neuwagen mit Dieselmotor. Die Autobranche
fördert diesen Trend. Sie verspricht sich davon eine Reduktion des Treibstoffverbrauchs und will so
den Ausstoss an Kohlendioxid senken. Für das Klima und unsere Gesundheit geht die Rechnung aber
nur auf, wenn Dieselautos mit modernen Russfiltern ausgerüstet sind.
Lange Gesichter bei der schweizerischen
Automobilbranche: 2002 schrumpfte
der Verkauf an neuen Personenwagen
gegenüber dem Vorjahr um 6,9 % auf
293 034 Fahrzeuge. Im Vergleich zum
rückläufigen Gesamtmarkt fanden PW
mit Dieselmotoren jedoch reissenden
Absatz. Innert Jahresfrist legten die Verkaufszahlen hier um 24,5 % auf 52 097
Einheiten zu. Damit betrug ihr Anteil
an den im Jahr 2002 neu zugelassenen
Autos 17,8 % – das ist gut dreimal so
viel wie noch 1998. Die Dieselquote am
Gesamtbestand der Personenwagen ist
in der Schweiz mittlerweile auf 5,8 %
gestiegen und hat sich seit 1994 verdoppelt. Die im Branchenverband
«auto-schweiz» organisierten Importeure sind überzeugt, dass dieser Trend
auch künftig anhalten wird.
Imagewandel des Dieselmotors
Die seit den späten 90er-Jahren stark
steigenden Absatzzahlen der Diesel-PW
sind Ausdruck eines Imagewandels.
Lange Zeit hatten Dieselfahrzeuge auf
Grund der Motorentechnologie früherer Generationen bei uns den schlechten Ruf von lärmigen und russenden
Traktoren mit rauem Lauf und eingeschränkter Leistung. Heute indessen
rühmt man den sparsamen Treibstoffverbrauch, die guten Laufeigenschaften
sowie die Leistung der modernen Dieselautos. Führende Hersteller wie Merce-
des und BMW bauen die stark verbesserte Technologie mittlerweile in ihre
Topklasse ein. In einigen Ländern Europas werden Dieselfahrzeuge speziell mit
günstigeren Treibstoffpreisen gefördert
– so etwa in Österreich, Belgien, Frankreich und Spanien. Hier liegt der Anteil
der Diesel-PW am Neuwagenbestand
denn auch durchwegs über 50 % – in
Österreich sogar bei 70 %.
Autoimporteure geben Gas
Mit billigerem Kraftstoff möchten jetzt
auch die schweizerischen Autoimporteure den Dieselmotor auf die Überholspur steuern. In einer Vereinbarung mit
dem Departement für Umwelt, Verkehr,
Energie und Kommunikation UVEK hat
sich auto-schweiz im Februar 2002 zum
Ziel bekannt, den Treibstoffverbrauch
aller verkauften Neuwagen von 8,4 Litern pro 100 Kilometer im Jahr 2000 bis
2008 auf 6,4 Liter zu senken. Dazu will
die Vereinigung den Absatz von Dieselautos auf Kosten der Benzinfahrzeuge
in den nächsten Jahren weiter steigern.
Zielgrösse ist ein Anteil von 30% an den
Neuzulassungen.
Das dadurch mögliche Sparpotenzial erklärt sich mit dem höheren Wirkungsgrad des Dieselmotors. Obwohl
die in der Schweiz verkauften Neufahrzeuge mit Dieselantrieb im Durchschnitt gut 200 Kilogramm mehr Leergewicht auf die Waage bringen als neu
zugelassene Benzinautos, verbrennen
sie auf 100 Kilometer «nur» 6,7 Liter
Treibstoff und damit 1,8 Liter weniger
als ein mittlerer Benzinmotor. Vergleicht man PW mit ähnlicher Ausstattung, resultiert beim Dieselauto ein
Minderverbrauch in Litern von 20 bis
30 %. Dieser Vorteil kommt im Inland
jedoch nicht voll zum Tragen, weil auf
unseren Strassen überdurchschnittlich
viele leis-tungsstarke und schwere Diesel-PW verkehren. «Um den Verbrauch
weiter zu senken, muss das breitere Angebot von kleinen Dieselfahrzeugen
von den Kunden auch genutzt werden»,
heisst es deshalb bei auto-schweiz.
Durchzogene Klimabilanz
Je weniger fossilen Treibstoff ein Auto
benötigt, desto geringer ist auch sein
Ausstoss an klimaschädigendem Kohlendioxid (CO2). Weil ein Liter Diesel
ein höheres spezifisches Gewicht hat
als die gleiche Menge Benzin, schlägt
der Minderverbrauch an Kraftstoff
beim Diesel-PW aber nicht voll auf die
Treibhausgasbilanz durch. Ein Ende
2002 veröffentlichter Bericht des
Bundesamtes für Energie BFE zur «CO2Reduktion durch Beeinflussung der
Treibstoffpreise» beziffert den realen
CO2-Vorteil der neuen Dieselflotte
gegenüber den Benzinfahrzeugen hier
zu Lande mit durchschnittlich knapp
10%. Trotz reduziertem Kohlendioxid-
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔27
Angriff auf
die Gesundheit
Ausstoss taugt die Förderung von
herkömmlichen Dieselmotoren nicht
als Klimaschutzmassnahme. «Diesel-PW
ohne Partikelfilter emittieren 1000-mal
mehr feine Russpartikel als Benzinautos», erklärt Felix Reutimann von der
BUWAL-Sektion Verkehr. «Gemäss den
Erkenntnissen der UNO-Klimaexperten
im jüngsten IPCC-Bericht von 2001
gilt als erwiesen, dass diese Russpartikel zur Klimaerwärmung beitragen.
Kontraproduktive Dieselförderung
Der Wissenschafter Mark Z. Jacobsen
von der kalifornischen Stanford University kommt in einer Studie denn
auch zum Schluss, die heutige Dieselförderung vieler europäischer Staaten
sei aus Sicht des Klimaschutzes kontraproduktiv. Bei neuen Dieselfahrzeugen,
die den gültigen Abgasnormen entsprechen, ist der Effekt der Klimaerwärmung durch den hohen Russausstoss
nämlich grösser als die abkühlende
Wirkung infolge der geringeren CO2Emissionen. «Erst wenn der Partikelausstoss unter 0,01 Gramm pro Kilometer
liegt, überwiegt der abkühlende Effekt»,
erklärt Paul Filliger von der BUWALSektion Ökonomie und Klima. «Selbst
neue Dieselmodelle, welche der verschärften – ab 2006 gültigen – EURO 4Norm von 0,025 Gramm Partikel pro
Kilometer genügen, belasten das Klima
somit stärker als benzinbetriebene PW.»
www.proclim.ch/press/diesel.html
www.umweltschweiz.ch/fokus/2003_02/de/index.html
www.autoumweltliste.ch
LINKS
28➔
Peugeot geht voran
Die technischen Möglichkeiten
für eine effiziente Abgasreinigung
des Dieselmotors sind freilich
noch längst nicht ausgeschöpft.
Insbesondere die Ausrüstung der
PW mit Partikelfiltersystemen
kommt einem Quantensprung
gleich. Als erster grosser Autokonzern bietet der französische Hersteller Peugeot seine Modelle 307,
406, 607 und 807 sowie C5 und
C8 in den Motorversionen 2,0
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
und 2,2 l HDI mit Partikelfiltersystem
an. Hier werden die feinen Partikel aus
dem Verbrennungsprozess gesammelt
und nach 400 bis 500 Kilometern unter
Einspritzung einer geringen Additivmenge automatisch abgebrannt, ohne
dass man es beim Fahren überhaupt
bemerkt. Der Partikelausstoss wird dadurch um 95 % reduziert. Die nach
80 000 Kilometern fällige Reinigung
des Filters geschieht im Rahmen eines
normalen Services in der Garage. Dabei
wird auch gleich der 5-Liter-Tank für
das Additiv wieder aufgefüllt.
Nur mit wirksamen Partikelfiltern
ein Vorteil für das Klima
Ein Langzeittest des Umweltbundesamtes Berlin in Zusammenarbeit mit dem
deutschen Automobilclub ADAC hat
für den Peugeot 607 mit dem neuen Filtersystem über 80 000 Kilometer einen
Partikelausstoss von lediglich 0,001
Gramm pro Kilometer ermittelt. Diese
Abgaskonzentration liegt 25-mal tiefer
als der ab 2006 gültige EURO 4-Grenzwert. «Der Stand der Technik ist den
Abgasvorschriften somit um Jahre voraus», stellt Felix Reutimann fest. «Problematisch daran ist, dass längst nicht
alle Autoproduzenten ihre Neufahrzeuge auf freiwilliger Basis mit solchen Partikelfiltersystemen ausrüsten.»
Immerhin wollen noch in diesem Jahr
auch Ford, Toyota und Fiat nachziehen.
«Aus Gründen des Klimaschutzes
und der Gesundheitsvorsorge ist eine
Förderung und Bevorzugung von Dieselfahrzeugen gegenüber Benzinautos
nur dann sinnvoll, wenn die Modelle
über wirksame Partikelfilter verfügen»,
erklärt Felix Reutimann. Aus diesem
Grund prüfen die Bundesämter BFE
und BUWAL gegenwärtig entsprechende Förderungsmodelle. Das Ziel lautet:
Keinen Diesel ohne Filter!
«Alles in allem ist das Krebs erzeugende Potenzial von Dieselmotoren auch bei Einhaltung der EURO
4-Abgasnormen zehnmal so gross
wie jenes der Benzinfahrzeuge»,
erklärt Felix Reutimann vom
BUWAL. Insbesondere der übermässige Ausstoss von lungengängigen Russpartikeln macht Dieselautos ohne Partikelfilter zu einer
Gefahr für die Gesundheit. Mehr
Diesel-PW heisse somit auch mehr
Atemwegserkrankungen, Asthmaanfälle, Herz-Kreislauf-Störungen,
Lungenkrebs und vorzeitige Todesfälle. Wirksame Abhilfe verspricht hier einzig die Ausrüstung
mit Partikelfiltern.
Allerdings emittieren Dieselmotoren auch dreimal mehr
gesundheitsschädigende
Stickoxide als Benzinmotoren mit
Katalysator. In Verbindung mit
Kohlenwasserstoffen und unter
Einwirkung des Sonnenlichts entsteht aus diesen Abgasen vor
allem in den Sommermonaten
das aggressive Reizgas Ozon. Dieses greift vor allem die Schleimhäute der Augen und Atemwege
an. Neben der Lösung des Russproblems muss deshalb in einem
weiteren Schritt auch der Stickoxid-Ausstoss von Dieselmotoren
reduziert werden. Dazu sind derzeit Modelle mit Denox-Katalysatoren und SCR-Systemen in der
Entwicklungsphase, die bald einmal marktreif sein dürften.
INFOS
Felix Reutimann
Abteilung Luftreinhaltung
und NIS, BUWAL
Tel. 031 322 54 91
■ Beat Jordi
Fax 031 324 01 37
[email protected]
Es gibt sparsame Autos wie dieses öffentliche Elektromobil in Martigny VS. Doch nach wie vor sind schwere und leistungsstarke Fahrzeuge ein Absatzrenner.
Weil sie über immer mehr Komfort verfügen und viel Treibstoff verbrennen, hat der durchschnittliche Treibhausgas-Ausstoss eines Autos pro Kilometer trotz
technischem Fortschritt seit 1990 nicht abgenommen.
Personenwagendichte in ausgewählten Ländern
pro 1000 Einwohner
600
Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor
Fahrzeugleistungen total
Gesamtfahrzeugbestand
Treibhausgas-Emissionen Verkehr
565
506
483
472
500
400
272
120
300
110
200
106
66
100
100
Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 2000/2001
7
China
Kenia
Türkei
Mexiko
Polen
USA
Frankreich
Schweiz
Italien
8
1990
91
92
93
94
95
96
97
98
99
2000
Quelle: BUWAL
Nur Dieselautos mit Partikelfilter – wie sie Peugeot als erster Hersteller produziert – schädigen das Klima weniger als Benzinfahrzeuge.
oben links: Keystone; oben rechts: BUWAL/E.Ammon/AURA; unten: Peugeot SA
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔29
SYNTHETISCHE TREIBHAUSGASE
Auch Kältemittel heizen ein
Zum Kühlen, Schäumen oder Isolieren werden weltweit immer mehr synthetische Treibhausgase eingesetzt. Diese Chemikalien verbleiben zum Teil während Jahrtausenden in der Atmosphäre. Ihr
Klimaerwärmungspotenzial ist ungleich grösser als jenes von Kohlendioxid, Methan oder Lachgas.
Im Interesse des Klimaschutzes will der Bundesrat das rasche Absatzwachstum deshalb stoppen.
Mit einem Anteil von rund 83 % ist Kohlendioxid in der
Schweiz das wichtigste vom Menschen verursachte Treibhausgas (vgl. Seite 9). Methan, das vor allem aus der Landwirtschaft
und aus Abfalldeponien entweicht, macht 9 % aus. Lachgas aus
Verkehr und Landwirtschaft trägt 7 % zur Klimaerwärmung bei,
und der Rest von 1 % entfällt auf synthetische Chemikalien.
Bei den letzteren handelt es sich um teilweise fluorierte
Kohlenwasserstoffe (HFKW), vollständig fluorierte Kohlenwasserstoffe (PFKW), Schwefelhexafluorid (SF6) und die neu
auf dem Markt erhältlichen Fluorether (HFE). Einige dieser
äusserst stabilen Substanzen verbleiben während Jahrhunderten bis Jahrtausenden in der Atmosphäre und verfügen
über ein enormes Klimaerwärmungspotenzial, das jenes von
Kohlendioxid x-tausendfach übertreffen kann.
Die chemische Industrie hat diese Stoffe hauptsächlich
als Ersatz für die in den Industriestaaten verbotenen ozonschichtabbauenden Substanzen wie FCKW, HFCKW oder
Halone entwickelt. Weil sie erst seit Mitte der 90er-Jahre
vermarktet werden, scheint ihr Anteil am weltweiten Treibhausgas-Ausstoss mit 1 bis 2 % Prozent zwar noch gering.
Doch angesichts der rapiden Verbrauchszunahme könnte
sich ihre Wirkung bis zum Jahr 2010 fast vervierfachen.
men bis zum Jahr 2010 zehnmal höher liegen als 1995.
Damit könnte ihr Anteil in relativ kurzer Zeit auf über 4 %
des gesamten Treibhausgas-Ausstosses ansteigen. Die Umsetzung der im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtung
zur Reduktion der klimaschädigenden Emissionen um 8 %
wäre dadurch ernsthaft gefährdet. So weit muss es aber nicht
kommen.
BUWAL/Emanuel Ammon/AURA
Kein Sonderfall Schweiz
Untersuchungen des BUWAL von 1998 und 2001 zeigen, dass
die Situation hier zu Lande vergleichbar ist mit jener im übrigen Europa. Laut Hochrechnungen würden die Emissionen
der synthetischen Treibhausgase ohne restriktive Massnah-
Grosse Kühlanlagen sind eine der wichtigsten Quellen für die Belastung der
Atmosphäre mit synthetischen Treibhausgasen. Hier besteht ein grosses
Potenzial zur Reduktion der Emissionen.
Klimaerwärmungspotenzial der wichtigsten in der Luft stabilen Stoffe (gemäss IPCC 1995)
Stoffe
Verweilzeit in der Atmosphäre in Jahren
HFKW-Gruppe
1,2 bis 260
PFKW-Gruppe
2600 bis > 50 000
SF6
3 200
HFE-Gruppe
4,4 bis 150
1 Quelle: IPCC 2001
30➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Klimaerwärmungspotenzial (GWP) nach IPCC 1995 (GWP CO2 = 1)
140 bis 11 7001
7000 bis 9 2001
23 9001
570 bis 14 9001
Mio. Tonnen CO2-Aquivalente
Ein Ersatzprodukt folgt
dem andern
Bei der Herstellung von Schaumstoffen zur Wärmedämmung kamen bis anfangs der 90er-Jahre unter
anderem die ozonabbauenden FCKW zum Einsatz.
Deren Verbot im Montreal-Protokoll zum Schutz
der Ozonschicht verlangte nach Ersatzlösungen. In
Eine starke Reduktion ist möglich
der Folge entwickelte die chemische Industrie mit
Nach den Erkenntnissen von internationalen Experten und
den HFCKW eine zweite Stoffgeneration. Diese
gestützt auf Erfahrungen in der Schweiz lassen sich synthetisind für die Ozonschicht zwar weniger fatal, aber
sche Gase in vielen Fällen durch andere Produkte oder Verdennoch schädlich. Deshalb zeichneten sich hier
fahren ersetzen. Wo eine Substitution nicht machbar oder
von Anfang an spätere Verbote und somit ein bloss
ohne Vorteile für die Umwelt ist, bestehen verschiedene Mögbefristeter Einsatz ab.
lichkeiten, um die Emissionen durch technische Massnahmen
Für die Anwender dieser Stoffe bestand aber
bei der Anwendung und Entsorgung stark zu verringern.
auch die Möglichkeit, grössere technische Anpassungen vorzunehmen und andere Technologien
einzusetzen, die weder das Klima noch die Ozonschicht beeinträchtigen. Solche Alternativlösungen
Extreme Zunahme der synthetischen Treibhausgase
basieren im Wesentlichen
auf Pentan oder Wasser, wei1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10
sen jedoch technische Nach1,5
teile wie Entflammbarkeit
Metallproduktion
oder leicht geringere IsolierFenster
fähigkeit auf. Unternehmen,
Hochspannungsschalter
1,2
Halbleiter
die sich trotzdem für diesen
Reinigungsmittel Elektronik
Weg entschieden haben,
Spraydosen, Medizinalsprays sind nach Überwindung der
0,9
Klimaanlagen Fahrzeuge
technischen Probleme heute
in einer vorteilhaften Lage.
Stationäre Klimaanlagen
Angesichts der bevorstehen0,6
Transportkälte
den Einschränkungen für
synthetische Treibhausgase
Industrie und Gewerbekälte
werden sie nun für ihre zu0,3
sätzlichen Bemühungen belohnt.
Kältegeräte Haushalt
Wie zu erwarten, finden
Prognose ➔
sich dagegen die übrigen
Entwicklung und Prognose der Emissionen von HFKW, PFKW und SF6 seit
Schaumstoffhersteller weltweit in einer ähnlichen
Quelle: Carbotech 2002
1990. Für Schaumstoffe sind noch keine Daten verfügbar.
Situation wie vor zehn Jahren wieder. Auf Grund
des überall wirksam werdenden Verbots der
HFCKW müssen sie sich entweder für eine dritte
Wichtigste Quellen für die Belastung der Atmosphäre mit
Stoffgeneration – die klimaschädlichen HFKW –
diesen langlebigen Stoffen sind Klimaanlagen von Autos,
oder für die neuen Verfahren zur SchaumstoffherKühlanlagen sowie Schäume für die Wärmedämmung. Zum
stellung mit Pentan oder Wasser entscheiden. Im
Glück besteht hier auch das grösste Potenzial zur Emissionsredirekten Konkurrenzkampf haben die umweltgeduktion. Daneben sind freilich weitere Anwendungen als Isorechteren Lösungen immer noch einen schweren
liergase in Hochspannungsanlagen, Lösungsmittel und FeuerStand, weil die HFKW-Hersteller diese Substanzen
löschsubstanzen nicht zu vernachlässigen. Vor allem Einsatzaggressiv vermarkten, um ihre hohen Entwickbereiche, die zu einer direkten Freisetzung dieser synthetischen
lungskosten abschreiben zu können. In der
Treibhausgase führen – wie etwa Treibmittel für Spraydosen –
Schweiz wird der HFKW-Einsatz mit der neuen Remüssen einer besonders strengen Kontrolle unterliegen.
gelung auf das technisch Notwendige beschränkt.
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔31
■ Blaise Horisberger, BUWAL
INFOS
Blaise Horisberger
Sektion umweltgefährdende
Produkte, BUWAL
Tel. 031 322 90 24
Fax 031 324 79 78
[email protected]
32➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
I n n o v a t i v e Te c h n o l o g i e n f ü r d e n K l i m a s c h u t z
www.produkte-umwelt.ch > Schutz der Atmosphäre
Klare Rahmenbedingungen
für die Wirtschaft
Nach Dänemark und Österreich hat jetzt
auch die Schweiz beschlossen, mit einer
Änderung der Stoffverordnung StoV verbindliche Regeln für synthetische Treibhausgase einzuführen. Grundsätzlich gilt
für jeden reglementierten Bereich ein generelles Verbot mit bestimmten Ausnahmen. So legt die StoV fest, unter welchen
Bedingungen welche Anwendungen nach
wie vor erlaubt sind. In solchen Fällen
schreibt die Verordnung Massnahmen zur
Emissionsminderung vor. Für neue Verwendungen oder Einsatzbereiche ohne
geeignete Ersatzstoffe und -technologien
besteht die Möglichkeit, auf ein begründetes Gesuch hin eine Sondergenehmigung
zu erhalten. Im Bereich der Kälte- und Klimatechnik wird die Anwendungsliste ersetzt durch ein Bewilligungsverfahren für
stationäre Anlagen, die mehr als 3 Kilogramm Kältemittel enthalten.
Alle Bestimmungen basieren auf dem
Stand der Technik. Dabei werden die Verfügbarkeit der Produkte ebenso berücksichtigt wie die technische Eignung, die
wirtschaftliche Tragbarkeit, Sicherheitsnormen sowie die ökologischen Vorteile
in Bezug auf den gesamten Lebenszyklus.
Die Übergangsfristen erlauben es den betroffenen Industrie- und GewerLINK
bebetrieben, die Weichen bei
ohnehin fälligen Neuinvestitionen rechtzeitig zu stellen, um
so spätere Umstellungskosten zu
vermeiden. Dank der Bereitschaft
der Branchen zu einer produktiven
Zusammenarbeit mit den Behörden wird die Schweiz den Ausstoss
von synthetischen Treibhausgasen
in den nächsten Jahren stabilisieren oder sogar senken können.
Keystone
Ausgezeichnet mit dem europäischen Solarpreis: Das aus Holz konstruierte Mehrfamilienhaus «Sunny Woods» in Zürich-Höngg kommt dank guter Isolation und einer
innovativen Nutzung der Sonnenenergie ohne fossile Brennstoffe aus.
PD
Klimaschonende Gewinnung von Energie, Baurohstoffen und hochwertigem Tierfutter
aus Gras. Die Technologieförderung des BUWAL hat die Entwicklung dieser Pilotanlage in Märwil TG unterstützt.
Keystone
Erneuerbare Energie ohne CO2-Ausstoss: Die Solaranlage auf dem Dach des Basler
St. Jakob-Stadions speist jährlich 130 000 Kilowattstunden Strom ins öffentliche Netz.
Eberhard & Partner AG
Bohrung nach Erdwärme in Auenstein AG: Diese umweltschonende Energiequelle
ist zwar vielerorts verfügbar, wird aber aus finanziellen Gründen noch zu wenig
genutzt.
H. Moser, Biel
Dieser Lastwagen für Muldentransporte belastet die Atmosphäre nicht mit
Kohlendioxid: Er fährt mit klimaneutralem Biogas aus der Bieler Kläranlage.
BUWAL/E. Ammon/AURA
Der Bauer Reto Grossenbacher aus Reidermoos LU gewinnt aus Grüngut
und tierischen Abfällen Biogas für den Betrieb eines Blockheizkraftwerks und
verarbeitet die Reststoffe zu einer hochwertigen Düngererde.
Keystone
Klimaverträgliche Mobilität: Test im Windkanal für das HightechElektrofahrrad der Bieler Hochschule für Technik und Architektur.
Keystone
Die von Sulzer Hexis entwickelte Hochtemperatur-Brennstoffzelle deckt den
Strombedarf eines Einfamilienhauses und nutzt die Abwärme zum Heizen.
BKW, Bern
Das grösste Windkraftwerk steht auf dem Mont Crosin im Berner Jura und produziert mit sechs Turbinen gut 80 Prozent der im Inland gewonnenen Windenergie.
CO2-SENKEN
Holzen für den Klimaschutz
Im Schweizer Wald wächst deutlich mehr Holz als genutzt wird. Dadurch binden die Bäume jährlich
etwa 4 Millionen Tonnen Kohlendioxid (C02). Dies entspricht fast 10 Prozent des inländischen CO2Ausstosses. Einen nachhaltigen Effekt für das Klima erreicht man aber erst, wenn an Stelle von
energieintensiven Rohstoffen und fossilen Energien wieder mehr Holz zum Einsatz kommt.
Der Schweizer Wald ist ein hocheffizientes Kraftwerk, das täglich über
20 500 Kubikmeter (m3) nutzbares Holz
produziert, indem es Licht, Wasser und
Kohlendioxid in pflanzliche Materie
umwandelt. Dazu entziehen die Waldbäume der Atmosphäre jeden Tag gut
20 000 Tonnen CO2, also etwa eine
Tonne des Treibhausgases pro m3 Holzwachstum. Da liegt es nahe, den Wald
als Instrument des Klimaschutzes zu
nutzen. So erlaubt das Kyoto-Protokoll
vom Dezember 1997 den Ländern unter
gewissen Voraussetzungen, ihre CO2Bilanz aufzubessern, indem sie das in
ihren Wäldern gebundene Kohlendioxid als Emissionsreduktion verbuchen.
Begrenzte Möglichkeiten
Im Inland sieht man das Leistungsvermögen des Waldes als CO2-Senke dennoch nüchtern. Ihr höchstes Potenzial
entwickeln Wälder während der
Wachstumsphase, wenn am meisten
Holz gebildet wird und die Aufnahme
34➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
von CO2 am grössten ist. Ganz junge
und alte Bäume absorbieren vergleichsweise wenig Treibhausgas. Der Leistungsausweis des Schweizer Waldes
lässt sich allerdings sehen: Das Treib-
[
können gar dazu führen, dass der Wald
jäh von der CO2-Senke zur Kohlendioxid-Quelle mutiert – etwa, wenn ein
Brand die Bäume in Rauch aufgehen
lässt.
PRO KUBIKMETER HOLZWACHSTUM ENTZIEHEN
DIE BÄUME DER ATMOSPHÄRE EINE TONNE CO2
hausgasinventar weist aus, dass er pro
Jahr 4 Millionen Tonnen Kohlendioxid
bindet und damit knapp zehn Prozent
der helvetischen CO2-Emissionen aufnimmt.
Dass Wälder den klimaschädigenden Ausstoss an Treibhausgasen
nachhaltig auszugleichen vermögen,
entspricht aber eher politischem
Wunschdenken als einer wissenschaftlich haltbaren Einschätzung. Langfristig betrachtet gibt ein Wald, in dem
Bäume wachsen und sterben, nämlich
gleich viel CO2 an die Atmosphäre ab,
wie er aufnimmt. Schadenereignisse
]
Auch Orkane wie Lothar, der am
26. Dezember 1999 auf einen Schlag
13 Millionen Kubikmeter Holz fällte,
wirken sich ungünstig auf die Treibhausgasbilanz des Waldes aus. Immerhin wurden etwa 80 Prozent des Sturmholzes aufbereitet und genutzt. Mehr
als die Hälfte ging an Sägereien oder
Spanplattenfabriken. Auf diese Weise
bleibt das CO2 noch längere Zeit gebunden. Der Rest fand als Energieholz
Verwendung und erspart dadurch Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Heizöl oder
Erdgas.
Seilziehen
um die Senkenleistung
Im Schweizer Wald lagern Rohstoffe und gespeicherte Sonnenenergie, deren Nutzung
die Atmosphäre nicht mit Kohlendioxid belastet – ganz im Gegensatz zu Erdölprodukten.
www.lignum.ch/deutsch/pages/SB/SB.htm
www.holzenergie.ch
www.wbgu.de/wbgu_sn1998.html
www.pewclimate.org/projects/land_use.cfm
Bauen mit Holz schont das Klima
Was schliesslich mit dem Holz geschieht, ist aus Sicht des Klimaschutzes also nicht weniger wichtig als seine
Produktion im Wald. Nur wenn es zur
Herstellung von dauerhaften Produkten verwendet wird, bleibt das Kohlendioxid der Atmosphäre über das Lebensalter der Bäume hinaus entzogen.
Holz statt Beton und Stahl, Parkett
an Stelle von Keramikfliesen, heisst
folglich die Devise. Kennzahlen aus einer Studie des BUWAL belegen, wieviel Gutes dem Klima so getan wird.
Baut man beispielsweise eine Gebäudeaussenwand aus Holz
statt aus Backsteinen, geLINKS
langt 75 Prozent weniger
CO2 in die Atmosphäre.
Und ein Kubikmeter verbautes Fichtenholz vermeidet die Emission von
rund einer Tonne des
Treibhausgases, wenn es
andere
Konstruktionsmaterialien ersetzt und
zum Schluss noch als
Energieholz genutzt wird.
Im systematischen Ersatz
von energieintensiven, schwer abbaubaren Baustoffen liegt folglich ein
beträchtliches Klimaschutzpotenzial.
Am Ende der Lebensdauer lässt sich
die im Altholz gespeicherte Energie
erst noch einfach nutzen – dies im
Unterschied zu anderen Baumaterialien wie Beton oder Stahl.
Geschlossener
CO2-Kreislauf beim Brennholz
Auch wenn Holz als Brennstoff zum
Einsatz gelangt, sieht die CO2-Bilanz
bedeutend besser aus als bei Öl- oder
Gasfeuerungen. Bei einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, die hier zu
Lande gewährleistet ist, wird das von
den Holzheizungen ausgestossene
CO2 durch die wachsenden Bäume
wieder aufgenommen. Damit ist der
CO2-Kreislauf von Energieholz geschlossen. Sind es Buchenscheite, die
in der Stube für wohlige Wärme sorgen, wird pro Kubikmeter Holz gut
eine halbe Tonne Kohlendioxid weniger freigesetzt als bei der Verbrennung
von Heizöl für die gleiche Wärmeleistung.
■ Lucienne Rey
Die Frage der Anrechnung von Wäldern
als CO2-Senken für die Verpflichtungen
im Kyoto-Protokoll führte an den Klimakonferenzen zu intensiven Debatten.
Einzelne grosse Industrieländer mit ausgedehnten Waldgebieten wie Kanada
oder Russland wollen die Senken nutzen. Dagegen sind die EU und mit ihr die
Schweiz zurückhaltend. Aus ihrer Sicht
lässt sich das Klimaproblem langfristig
nicht durch Senken, sondern einzig über
eine Reduktion der Emissionen lösen.
Der erzielte Kompromiss sieht vor,
dass Wälder nicht generell angerechnet
werden können, sondern nur gewisse
Aktivitäten, welche solche Senken erzeugen. Dazu gehören vor allem Aufforstungen und die Waldbewirtschaftung,
aber auch das Pflanzen von Bäumen auf
Feldern und innerhalb der Siedlungen.
Gutgeschrieben werden auch der Ackerbau ohne Pflug und die Bewirtschaftung
von Grasland, welche zu einer vermehrten CO2-Aufnahme im Humus führen.
Hingegen sind Rodungen als Quellen
anzurechnen, weil sie Kohlendioxid freisetzen. Der Kompromiss birgt aber seine
Tücken. «Mit Ausnahme der Aufforstungen und Rodungen ist es sehr aufwändig, genau festzustellen, wie viel CO2
durch die verschiedenen Aktivitäten tatsächlich gebunden wird», erklärt Richard Volz vom Bereich Walderhaltung
beim BUWAL.
Eine Gefahr besteht auch darin, dass
auf Kosten der Natur im Wald künstliche
Senken geschaffen werden. Besonders
fatal wäre es, wenn natürliche, ökologisch wertvolle Wälder schnellwüchsigen Plantagen geopfert würden, die
kurzfristig viel CO2 aufnehmen.
INFOS
Richard Volz
Bereich Walderhaltung
BUWAL
Tel. 031 324 77 86
Fax 031 324 78 66
[email protected]
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔35
AURA
Heinz Leuenberger, FHBB
KLIMASOLIDARITÄT
Dunkle Wolken über
den Ländern des Südens
Von jeher verursachen die Industriestaaten im Norden weitaus am meisten Treibhausgase. Die
gravierenden Auswirkungen der Klimaerwärmung bekommen dagegen vor allem die ärmeren Länder
des Südens zu spüren. Hier untergraben immer heftigere Naturkatastrophen die wirtschaftliche
Entwicklung. Die Schweiz erachtet den Klimaschutz denn auch als zentrales Anliegen der internationalen Zusammenarbeit.
Gibt es eine Klimagerechtigkeit? Auf
der Erde leben heute 6,3 Milliarden
Menschen. Davon leistet sich 1 Milliarde Privilegierter im Norden einen
Wohlstand, der die gemeinsamen Lebensgrundlagen langfristig zerstört.
Wie sollen die restlichen 5,3 Milliarden
Menschen ihre legitimen Bedürfnisse
befriedigen, ohne dass die Ökosysteme
unseres Planeten kollabieren? Und was
ist mit den 8 Milliarden, die in dreissig
Jahren den Globus bevölkern? Es stellt
sich die Frage, mit welchem Recht ein
Nordamerikaner heute zehnmal mehr
Kohlendioxid (CO2) verursacht als eine
Chinesin und zwanzigmal so viel wie
ein Afrikaner.
36➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Verantwortung des Nordens
Die internationale Zusammenarbeit
muss den benachteiligten Ländern
dringend eine nachhaltige, klimaverträgliche Entwicklung ermöglichen. An
der historischen Verantwortung des
Nordens besteht nämlich kein Zweifel.
Seit zwei Jahrhunderten entwickeln
sich die Industrieländer, indem sie
fossile Energien wie Kohle, Erdöl und
Erdgas massenhaft, aber wenig effizient
als Betriebsstoff für ihre Wirtschaft einsetzen. Mit einem Anteil von 20 % an
der Weltbevölkerung verursachen sie
gegenwärtig 60 % des weltweiten CO2Ausstosses. Rund ein Viertel der globalen CO2-Emissionen aus dem Ver-
brauch fossiler Energie geht allein auf
das Konto der USA, wo lediglich 4,5 %
der Menschheit leben. Trotz dem
Kyoto-Protokoll, das die USA im Übrigen nicht unterzeichnet haben, werden
die Emissionen der Industrieländer –
laut der Internationalen Energieagentur – auch in den nächsten Jahren
weiter zunehmen.
Der Süden holt auf
Heute geht der Trend vor allem in den
Schwellenländern in eine ähnliche
Richtung. So heizen Entwaldung, Intensivlandwirtschaft, Überbauungen,
Industrie und Verkehr den Treibhauseffekt an. Bis 2015 wird der Süden etwa
Katastrophale Bilanz
Keystone
Auch die Entwicklungsländer emittieren immer mehr
Treibhausgase – so wie hier in der vietnamesischen
Hauptstadt Hanoi (l.).
Die Klimaerwärmung bedroht den Lebensraum von
Millionen Menschen. Bei der Jahrhundertflut in
Moçambique im Jahr 2000 (o.) konnten die meisten
Überschwemmungsopfer nur ihr Leben retten.
die Hälfte zum globalen Ausstoss an klimaschädigenden Gasen beitragen. «Wenn
die reichen Länder als Hauptverursacher
heute nicht mit gutem Beispiel vorangehen und eine bedeutende Reduktion ihrer
Emissionen erzielen, darf man ähnliche
Anstrengungen vom Rest der Welt wohl
kaum erwarten», meint José Romero von
der BUWAL-Abteilung Internationales.
An der 8. UNO-Klimakonferenz vom
November 2002 in New Delhi haben sich
die Entwicklungsländer denn auch geweigert, über die Reduktion ihrer Emissionen
nach 2012 zu diskutieren. Trotz dem
Widerstand gegen konkrete Reduktionsziele verkennt freilich auch der Süden die
klimatischen Risiken keineswegs. Vielmehr erwarten die ärmeren Staaten, dass
der Norden sie in ihren Bemühungen zur
Senkung der Treibhausgase unterstützt.
Tropische Wirbelstürme, verheerende Überschwemmungen, Erdrutsche,
Dürren, Hitzeperioden und Kältewellen treten rund um den Erdball in immer
kürzeren Abständen auf. Die Weltorganisation für Meteorologie WMO in Genf
schreibt die zunehmende Häufung und Intensität solcher Ereignisse grösstenteils den menschlichen Aktivitäten zu.
So forderten Naturkatastrophen zwischen 1991 und 2000 im Mittel jährlich
250 000 Menschenleben. 98 % der Opfer kommen aus Entwicklungsländern,
80 % allein aus Asien. Die zu 90 % wetter- oder klimabedingten Ereignisse betreffen laut WMO jährlich 200 Millionen Menschen – siebenmal so viele wie alle
politischen Konflikte. 2002 beliefen sich allein die materiellen Schäden auf
70 Milliarden US-Dollar; das sind 40 % mehr als die gesamte weltweite Entwicklungshilfe pro Jahr.
Die Auswirkungen der Klimaänderung sind weltweit spürbar. Der steigende
Meeresspiegel bedroht Inselgruppen und – vorab in Asien – die stark bevölkerten Küstengebiete. Dadurch könnten viele fruchtbare Deltas zu Hochrisikogebieten werden. Ebenfalls alarmierend ist die Beeinträchtigung des Trinkwassers durch Dürren, eindringendes Meerwasser, Verschmutzung und Bodenversalzung. Anhaltende Trockenheit zieht zudem weitere Umweltprobleme wie
Überweidung, Übernutzung von Ackerland, Erosion, Abholzung und Bevölkerungsdruck nach sich. Zusätzlich leiden die ohnehin geschwächten
Menschen häufiger an Krankheiten, die in Zusammenhang mit dem Temperaturanstieg stehen. Dazu zählen etwa Kreislauf- und Atemwegserkrankungen,
Malaria, Denguefieber, Gelbfieber und Durchfall.
Bedingt durch die Klimaänderung ist in den nächsten Jahrzehnten mit Millionen von Toten und einem Vielfachen an Umweltflüchtlingen zu rechnen.
Extreme Wetter- und Klimabedingungen bedrohen vielerorts die wirtschaftlichen Grundlagen und das Überleben der Menschen. Um die Auswirkungen
abzuschwächen, müssen die Entwicklungsländer möglichst rasch Zugang zu
umweltschonenden Technologien und entsprechendem Know-how erhalten.
Fortsetzung S. 38
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔37
Monika Flückiger
Giesserei in Lima (Peru): Dank Schweizer Hilfe sollen Betriebe in Entwicklungsländern die Umwelt künftig weniger belasten.
Klimaschutz ist eine Frage des Überlebens
Zentralamerika erstickt in den Abgasen. Seit 1992 engagiert
sich das technische Hilfswerk Swisscontact deshalb in einem
Programm zur Bekämpfung der Schadstoffbelastung durch
den Verkehr. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation
(NGO) sensibilisiert Behörden und Bevölkerung, schlägt
schärfere Umweltgesetze vor, fördert technische Kontrollen,
bleifreies Benzin sowie Katalysatoren und bildet Fachleute
wie Instruktoren, Polizeibeamte und Mechaniker aus. Bereits
sind in den Projektländern Guatemala und Costa Rica positive Auswirkungen auf die Lebensqualität festzustellen. Gestützt auf diesen Erfolg werden in Chile, Ecuador und Indonesien ähnliche Programme durchgeführt, weitere sind in
Peru, Bolivien und Vietnam in Vorbereitung.
In Indien fördert die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA die effiziente Energienutzung und den
Einsatz von erneuerbaren Energien in KMU. Gleichzeitig
entwickelt die Ingenieurschule Biel eine Moto-Rikscha mit
www.deza.ch
www.gefweb.org
www.undp.org
LINKS
kombiniertem Benzin- und Elektroantrieb. Dieses typische
Transportmittel wird die Umwelt in den asiatischen Städten
deutlich weniger belasten als die konventionellen Modelle
mit ihren stinkenden Zweitaktmotoren. Zudem dürfte die
Produktion auch für die indische Industrie von Interesse sein.
DEZA, seco und BUWAL setzen sich dafür ein, dass künftig alle Entwicklungsvorhaben auch ökologische Anliegen
wie den Klimaschutz berücksichtigen. Die Bundesstellen tun
dies mit eigenen Vorzeigeprojekten, nehmen aber auch
Einfluss auf multilaterale Agenturen und Geldgeber wie
UNEP, GEF oder Weltbank. Neben dem Klimaschutz verfolgt die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit im
Umweltbereich noch andere Ziele wie die Verhinderung
weiterer Umweltschäden, eine effizientere Nutzung von
Ressourcen und Energie oder die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung von UNO-Konventionen.
Fortsetzung von S. 37
Die enorme Herausforderung ist
dabei unübersehbar: Indien
und China mit einem Anteil
von 37 % an der Weltbevölkerung sollen ein umweltverträgliches Wachstum erzielen. Al-
INFOS
José Romero, Abteilung
Internationales, BUWAL
Tel. 031 322 68 62
Fax 031 323 03 49
[email protected]
38➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
lein der rasche wirtschaftliche Aufschwung in diesen asiatischen Ländern stellt die Staatengemeinschaft
vor ein Dilemma, das dringend durch
internationale Zusammenarbeit gelöst
werden muss.
Win-win-Situation
Der im Kyoto-Protokoll vorgesehene
Mechanismus für umweltverträgliche
Entwicklung (CDM) ermöglicht interessierten Industriestaaten zudem den
Erwerb von Emissionsgutschriften.
Wenn sie einem Entwicklungsland
helfen, dessen Treibhausgase zu vermindern, können sie sich diese Reduktion als Guthaben im eigenen
Land anrechnen lassen. Damit haben
sie das Recht, ihr im Kyoto-Protokoll
festgelegtes Emissionsziel zu überschreiten, ohne das Klimasystem dadurch stärker zu beeinträchtigen.
Letztlich geht es aber stets darum, dass
beide Seiten von diesem neuen Instrument profitieren.
■ Daniel Wermus
Archiv Kantensprung AG
Das Gundeldinger Feld in Basel: Umbauarbeiten für ein klimaschonendes Quartier.
2000-WATT-GESELLSCHAFT
Es gibt ein Leben nach dem Erdöl
Ohne Komforteinbusse könnte unsere Gesellschaft mit viel weniger Energie auskommen als heute.
Doch weil das umweltschädigende Erdöl so billig ist, werden die klimaschonenden Technologien
kaum genutzt. Pioniere zeigen, dass es auch anders geht – zum Beispiel in Basel.
In Basel hat die Energiezukunft schon
begonnen: Ende 2002 wurden die
letzten Produktionsanlagen auf dem
12 700 Quadratmeter grossen Fabrikareal «Gundeldinger Feld» demontiert.
In der alten Gebäudesubstanz entsteht
jetzt ein umweltverträgliches und klimaschonendes Gewerbe-, Freizeit- und
Kulturzentrum mit 250 Arbeitsplätzen
und Wohnraum für 80 bis 100
Menschen. Das Gebäude wird optimal
isoliert und kommt dadurch mit viel
weniger Heizenergie aus. «Wir verfolgen drei Ziele», erklärt die Architektin
Barbara Buser. «Das Gundeldinger Feld
wird ein Treffpunkt für die Quartierbevölkerung, die notwendigen
Umbauten erfolgen nach baubiologischen Kriterien, und die Umweltbilanz
entspricht den Vorgaben der ‹2000Watt-Gesellschaft›.»
Ziel: 70 Prozent weniger Treibhausgase
Dem ehrgeizigen Umweltziel liegen die
Erkenntnisse der Klimaexperten zu
Grunde. Sie zeigen, dass der Ausstoss an
Treibhausgasen weltweit um mindestens 70% sinken muss, wenn eine gefährliche Störung des Klimasystems
verhindert werden soll. Vor diesem
Hintergrund hat die ETH Zürich ihre
Vision einer 2000-Watt-Gesellschaft
entwickelt. Demnach soll der Energiebedarf pro Kopf ohne nennenswerte
Komforteinbussen von heute rund
6000 auf 2000 Watt sinken. Die Zielgrösse entspricht dem Gesamtverbrauch von 20 permanent brennenden
Glühbirnen à 100 Watt. Im Jahr 2050
sollte das ausreichen, um den gesamten
Bedarf einer Person für Mobilität, Wärme, Licht und die in den konsumierten
Gütern versteckte graue Energie zu
decken. Davon darf dereinst jedoch nur
noch ein Viertel – also 500 Watt – aus
nicht erneuerbaren Quellen stammen,
wenn das Kriterium der Nachhaltigkeit
erfüllt sein soll. 500 Watt entsprechen
der Dauerleistung, die mit 1,1 Liter
Benzin pro Tag erzeugt werden kann.
Und diese Benzinmenge reicht aus, um
in einem Jahr immerhin eine Fahrstrecke von rund 13 500 Kilometern
mit einem Drei-Liter-Auto zurückzulegen.
Der lange Weg zur Nachhaltigkeit
Zwar liegt der Gesamtenergieverbrauch
im weltweiten Durchschnitt gegenwärtig bei ungefähr 2000 Watt pro Person,
doch ist der Konsum zwischen Industrie- und Entwicklungsländern völlig
ungleich verteilt. «Zudem machen die
fossilen Energien Erdöl, Kohle und Erdgas über 85 % des heutigen Verbrauchs
aus», erklärt Markus Nauser vom
BUWAL. «Vom Ziel der Nachhaltigkeit
ist man also noch meilenweit entfernt.»
Das Beispiel Gundeldinger Feld
zeigt, wie steinig der Weg zur 2000Watt-Gesellschaft unter den heutigen
Bedingungen ist. Die Reduktion des
Energieverbrauchs um zwei Drittel erfordert Zusatzinvestitionen für das
Bauprojekt von insgesamt rund 3 Mil-
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔39
in Watt
1500
heute
1200
in der 2000-Watt-Gesellschaft
900
600
300
Wohnen
und Arbeiten
Güter
und Nahrung
Infrastruktur
Strom
Auto
Flugreisen
Der Energieverbrauch heute und als Zielgrösse in der 2000-Watt-Gesellschaft:
eine grosse Kluft zwischen Anspruch und Realität.
lionen Franken. Probleme bereiten
weniger die technischen Hürden der
Wärmedämmung als vielmehr die Finanzierung. Nur rund ein Drittel der
Mehrkosten lässt sich durch Energieeinsparungen wieder hereinholen. Für
die restlichen zwei Millionen ist man
auf Donatoren angewiesen. Die Mieter
müssen nicht mit Zusatzkosten rechnen, verpflichten sich aber, die Energiesparziele aktiv zu unterstützen.
www.foes-ev.de
www.minergie.ch
www.passivhaus.de
Erdöl ist viel zu billig
«Viele innovative Technologien zur
Reduktion des Ressourcenverbrauchs
scheitern an den Billigpreisen für Erdöl», sagt Markus Nauser. Heute sind nur
die wenigsten Technologien ausgereizt.
Etwa zwei Drittel der Energie gehen
nutzlos verloren. So erreicht der Benzinautomotor einen durchschnittlichen Wirkungsgrad von nur gerade
15 %. Die Brennstoffzelle als wesentlich
effizientere Antriebsquelle der Zukunft
schafft über 90 %. Doch schon jetzt liegen grosse Verbesserungen
LINKS drin. Insgesamt schätzt die
EU-Kommission das gegenwärtig nutzbare Sparpotenzial durch verbesserte Energieeffizienz auf 18 %. In
vielen Fällen werden aber
40➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Öffentlicher
Verkehr
Quelle: ETH Zürich
selbst finanziell lohnende Investitionen nur zum Teil realisiert.
Brach liegendes Sparpotenzial
Auch in den beiden Sektoren Verkehr
und Gebäude, die im Inland mit Abstand am meisten Energie verbrauchen,
liegt ein beträchtliches Sparpotenzial
brach. So verpuffen die Anstrengungen
der Autohersteller für effizientere Motoren, weil immer mehr grössere und
luxuriösere Wagen verkauft werden.
Der Durchschnittsverbrauch liegt heute
mit 8,3 Litern für 100 Kilometer etwa
auf dem Niveau der frühen 60er-Jahre.
Derweil wird die Produktion des ersten
Drei-Liter-Autos in Deutschland vorerst
wieder eingestellt. Kaum jemand ist
bereit, den Preis für sparsamste Motorentechnologie zu zahlen, solange der
Anteil der Treibstoffkosten an den Gesamtkosten eines Autos derart gering
ist. Dennoch rechnen Experten künftig
mit einer markanten Senkung des Spritverbrauchs, bevor sich in 20 bis 30 Jahren alternative Motorenkonzepte auf
breiter Ebene durchsetzen.
Die heute verfügbaren Technologien ermöglichen auch im Gebäudebereich weitere Fortschritte. So hat der
Minergie-Standard bei Neubauten die
Wirtschaftlichkeit erreicht. Bei Sanie-
rungen ist er zwar technisch realisierbar, doch haben die Tiefpreise für
umweltschädigende Energien zur Folge,
dass sich solche Investitionen nach den
heute üblichen Massstäben noch zu wenig rasch auszahlen. «Wenn sich die
Idee einer stärkeren Energiebesteuerung bei gleichzeitiger Reduktion der
Arbeitsnebenkosten auf politischer
Ebene durchsetzt, könnte das ‹Nullenergiehaus› schon in 20 Jahren die
Standardlösung für Neubauten sein»,
meint Markus Nauser.
Erfindergeist und Innovation allein
werden nicht genügen, um die Ziele der
2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen.
Ebenso wichtig ist die Anpassung der
gesellschaftlichen Spielregeln. Dazu
braucht es Mehrheiten an der Urne für
umweltpolitische Weichenstellungen
wie die Einführung einer ökologischen
Steuerreform. Stimmen die Anreize via
Portemonnaie, werden sich automatisch auch der Umgang mit Energie, das
Mobilitätsverhalten und die Wohnraumansprüche verändern. Damit dürfte der künftige Lebensstil auch den
Anforderungen des Klimaschutzes und
einer nachhaltigen Entwicklung besser
genügen. Spätestens dann werden Vorhaben wie im Gundeldinger Feld nicht
mehr vom Goodwill von Donatoren abhängen, sondern moderner, komfortabler und umweltverträglicher Alltag sein.
■ Urs Fitze
INFOS
Markus Nauser, Sektion
Ökonomie und Klima, BUWAL
Tel. 031 324 42 80
Fax 031 323 03 67
[email protected]
INTERVIEW MIT BUWAL-DIREKTOR PHILIPPE ROCH
Wir brauchen mehr geistige
Mobilität und Lebensqualität
Keystone
UMWELT: Laut Klimaexperten sitzen wir
in einem Wagen, der mit 100 Stundenkilometern in eine Mauer rast. Ist es nicht
lächerlich, wenn das Kyoto-Protokoll die
Geschwindigkeit bloss auf 95 km/h senken will?
Philippe Roch: Es stimmt, dass die von
den reichen Ländern bis 2010 verlangte
Reduktion der CO2-Emissionen – 5 %
im Mittel und 8 % für die Schweiz – nur
ein Anfang sein kann. Gemäss den Klimaexperten braucht es eine Verminderung in der Grössenordnung von 70 %,
um das Klima im 21. Jahrhundert zu
stabilisieren. Diese Kluft zwischen Anforderung und Realität zeigt, dass wir
mitten in einem zivilisatorischen Entscheidungsprozess stecken. Wir stossen
an die Grenzen des Systems – unabhängig von den Korrekturmassnahmen
und technischen Verbesserungen. Wir
bringen nicht nur die Atmosphäre aus
dem Gleichgewicht, sondern erschöpfen auch die Ressourcen. Die grossräumige Umweltverschmutzung, Industrieunfälle, der Krieg und die Spannungen im Mittleren Osten, Konflikte um
Rohstoffe und Terrorismus sind Zeichen eines Zivilisationsmodells in der
Krise. Und irgendwann in den nächsten
Jahrzehnten geht uns mit dem Erdöl
der Betriebsstoff aus.
Und trotzdem möchten mehr als drei
Milliarden Menschen in Asien so leben
wie wir.
Ich verurteile dies nicht, doch es ist ein
entscheidender Grund für das Scheitern
unseres Energiesystems. Die einzige
Lösung besteht darin, mit massiven Investitionen im Süden die Sonnenenergie und den Einsatz von sauberen Technologien zu fördern. Wir in den reichen
Industrieländern müssen über einen
weniger verschwenderischen Lebensstil
nachdenken. Einzelne politische Entscheide zur Förderung des öffentlichen
Verkehrs und der erneuerbaren Energien zielen bereits in diese Richtung.
Aber es gibt auch rückwärts gewandte
Vorstösse wie die Avanti-Initiative, welche in die verkehrte Richtung steuern
und dem Klima damit schaden.
Die grundsätzliche Veränderung ist
jedoch spiritueller Natur: Wir sollten
vom Konsum unabhängige Werte wie
Natur, Kultur, Geselligkeit und Lebensqualität im Quartier wieder aufwerten.
Dann muss man auch nicht jedes Wochenende irgendwohin flüchten. Hier
ist nicht von Geboten oder Verboten
die Rede. Eine solche Veränderung geht
von Kunstschaffenden, Denkern und
allen Personen aus, die eine andere Mobilität entwickeln: die geistige Beweglichkeit zur Förderung von alternativen
Werten.
Stellt man sich solche Fragen auch in
den USA als treibende Kraft der energiefressenden Gesellschaft?
Dass die USA beim Kyoto-Prozess abseits stehen, ist sicherlich negativ. Doch
man darf nicht alles an der Politik eines
Präsidenten messen. Es gibt in diesem
Land auch viele Forschende und Lokalpolitiker, die bedeutende Veränderungen erreichen. Man mag mich als
naiven Optimisten sehen, doch eines
Tages wird man auch in den USA erkennen, wie riskant die Abhängigkeit vom
Erdöl ist und dass auch ein Irak-Krieg
keine Lösung bringt. Die USA verfügen
über das wirtschaftliche und geistige
Potenzial, um wirkungsvoll und rasch
zum erforderlichen Wandel beizutragen. Es liegt an uns, sie durch konstruktive Kritik in diese Richtung zu lenken.
Hat die Schweiz überhaupt genügend
Gewicht, um etwas zu verändern?
In internationalen Foren zählt die
Schweiz zu den am stärksten engagierten Akteuren. Durch ihre Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit ist es
ihr mehrfach gelungen, festgefahrene
Situationen zu entflechten. Dank der
schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit und unserer Unterstützung
des Globalen Umweltfonds GEF entstanden viele Projekte für weniger energieintensive und umweltbelastende
Produktionsverfahren. Die Schweizer
Industrie hat ihrerseits saubere Technologien entwickelt. Um diese zu fördern,
hat das Staatssekretariat für Wirtschaft
seco in China eine entsprechende Stelle geschaffen.
Sind das nicht Tropfen auf einen
heissen Stein?
Evolution entsteht gerade durch eine
Menge von Wassertropfen. Es ist die geballte Kraft von vielen Einzelaktionen,
welche letztlich die Welt verändert!
Interview: Daniel Wermus
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔41
KLIMASCHUTZ IM ALLTAG
Kyoto
liegt vor der eigenen Haustür
Fast alles, was wir tun und konsumieren, setzt Treibhausgase frei. Wer sich bewusst ernährt,
umweltschonend heizt, vor allem mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und auf das Fliegen
verzichtet, kann jedoch schon heute klimaverträglich leben.
Für mehr als 27 Kilo Kohlendioxid
(CO2) aus der Verbrennung fossiler
Energie ist ein Durchschnittsmensch in
der Schweiz täglich verantwortlich. Die
grauen Emissionen sind eingerechnet,
denn CO2 geht nicht nur direkt über
Heizungskamine und Auspuffrohre in
die Luft – auch in jedem Konsumgut
und Gebäude verstecken sich Treibhausgase, die in der Produktionsphase
anfallen. So betrachtet belastet die
Schweiz das Weltklima nicht nur mit
den 6 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr,
die in der amtlichen Statistik erfasst
sind, sondern mit gut 10 Tonnen.
Das ist fünfmal zu viel. Um die unvermeidliche Zunahme der Temperatur
in einem erträglichen Rahmen zu halten, muss die Menschheit den CO2-Ausstoss in absehbarer Zeit auf jährlich unter 2 Tonnen pro Person senken. Bei
allen Möglichkeiten der Technik ist klar,
dass sich der heutige Lebensstil und Ressourcenverbrauch auf der nördlichen
Halbkugel nicht auf acht oder gar zehn
Milliarden Menschen übertragen lassen.
Der Mensch ist, was er isst
Bis vor einigen Jahren entwich im
Inland noch ein Grossteil des Kohlendioxids den Raumheizungen. Heute
sind Automotoren die wichtigste Quel-
le. Ebenfalls stark zugenommen haben
die grauen Emissionen in den Nahrungsmitteln. Je nachdem, was auf den
Tisch kommt, gehen sehr unterschiedliche CO2-Mengen in die Luft.
[
Nachhaltige Mobilität
Wer kein eigenes Auto hat und nie
fliegt, befriedigt sein Mobilitätsbedürfnis mit viermal weniger CO2 als der
Durchschnittsschweizer. Der Beitrag
DER CO2-AUSSTOSS PRO KOPF MUSS AUF JÄHRLICH WENIGER ALS 2 TONNEN GESENKT WERDEN
Nehmen wir Familie Cucinotta*.
Die Eltern Laura und Felix sind Vegetarier, aber Gourmets. Sie kochen phantasievoll für sich und ihre beiden Kinder.
Frisches, saisongerechtes Gemüse in
seiner ganzen Vielfalt ist an der Tagesordnung. Dagegen sind Fertigmenüs
aus der Tiefkühltruhe ebenso verpönt
wie der Mikrowellenherd.
Bei solchen Ernährungsgewohnheiten setzt eine Person jährlich weniger
als eine Tonne CO2 frei. Wer dagegen
viel Fleisch isst, täglich Tiefgefrorenes
auftaut und nicht auf regionale Herkunft achtet, kommt auf mindestens
eine halbe Tonne mehr. Schlachtvieh
zu mästen erfordert eben einen viel höheren Energieeinsatz als Pflanzenbau,
denn für jede Kalorie Fleisch braucht es
ein Mehrfaches an pflanzlichen Kalorien in Form von Futtermitteln.
]
des Flugverkehrs zur Klimaerwärmung
ist zwar noch relativ gering, nimmt
aber rasch an Bedeutung zu. Bezüglich
CO2-Ausstoss pro Kopf entspricht ein
Kilometer zu zweit im Auto etwa einem
Kilometer in der Luft. Im Schweizer
Mittel legt ein PW jährlich etwa 13 500
Kilometer zurück. Ein Retourflug in die
Karibik entspricht 16 000 Kilometern.
Dabei entweichen rund 3 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Wer mindestens einmal pro Jahr soweit fliegt, produziert deshalb in der
Regel mehr Treibhausgase als Automobilisten, die ihre Bilanz zudem durch
die Wahl eines sparsamen Modells aufbessern können. Die Extreme des CO2Ausstosses pro Fahrkilometer liegen bei
allen Kategorien weit auseinander. In
der unteren Mittelklasse reicht die
Spannweite gemäss Typenprüfung von
Fortsetzung S. 44
42➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Ernährung
Privatkonsum
Privatfahrzeuge
Wohnen
Flugreisen
Öffentlicher Konsum
Heizen
Öffentlicher Verkehr
Fotos: AURA/BUWAL/Docuphot
Die wichtigsten Einflussfaktoren zur Berechnung der persönlichen CO2-Bilanz.
Rechne!
Errechnen Sie Ihre persönliche CO2-Bilanz am PC via Internet. Der ECO2-Rechner ist
viel leichter auszufüllen als eine Steuererklärung, aber instruktiv im Ergebnis und
bietet einiges an Hintergrundinformation: www.ecospeed.ch > Tools > ECO2 Privat
Erdölverbrauch in Litern
pro Kilo Gemüse, je nach Herkunft
CO2-Ausstoss aus dem Verbrauch fossiler Energie
pro Person im internationalen Vergleich
4,8
5
Tonnen pro Kopf/Jahr
20
4
18
16
3
14
12
10
2
8
6
1
Quelle: WWF Schweiz
Indien 0,9
Brasilien 1,8
China 2,4
Mexiko 3,7
Schweiz 5,8
Frankreich 6,2
Italien 7,4
Österreich 7,7
Grossbritannien 8,9
Quelle:
Internationale
Energieagentur
(IEA) 2002
Japan 9,1
Übersee
Flugzeug
Deutschland 10,1
Übersee
Schiff
2
Russland 10,3
Europa
4
0,25
Australien 17,2
Schweiz
0,2
USA 20,6
0,1
Der weltweite CO2-Ausstoss betrug im Jahr 2000 23 900 Mio. Tonnen.
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔43
Fortsetzung von S. 42
144 g CO2/km bis in den Bereich von
250 g CO2/km – jeweils ohne graue
Emissionen.
Warme Stuben
Die Treibhausgase durch das Heizen
lassen sich individuell nur begrenzt beeinflussen. In Mietwohnungen sind
Gebäudezustand und Heizsystem vorgegeben. Hier besteht jedoch das grösste Reduktionspotenzial. Eine durchschnittliche Schweizer Wohnung hat
eine Fläche von 95 Quadratmetern.
Um sie mit einer modernen Heizung
warm zu halten, braucht es bei sehr
guter Wärmedämmung – nach Minergie-Standard – und einem energiebewussten Verhalten der Bewohner pro
Jahr etwa 450 Liter Heizöl extra-leicht.
Dabei werden rund 1,2 Tonnen CO2
freigesetzt. In einem schlecht isolierten
Gebäude mit veralteter Heizung entweicht dagegen ein Mehrfaches an
Kohlendioxid.
Steht im Keller eine Holzheizung,
sind die Netto-Emissionen nahezu
null, denn Heizen mit Holz ist CO2neutral. Zwar geht dabei ebenfalls Kohlendioxid in die Luft, doch dies wäre
auch der Fall, wenn das Holz im Wald
verrottet.
Ganz ohne Effekt ist das persönliche Verhalten in den eigenen vier
Wänden aber nicht. Nathalie Dubois*
weiss, worauf es ankommt. Die Temperatur in ihrer 3-Zimmer-Wohnung
überschreitet nie 21 Grad – das Schlafzimmer bleibt kühler – und gelüftet
wird jeweils kurz, aber gründlich. Bei
ihrem neuen Freund Peter Bürgi* hingegen sind alle Zimmer auf 23 Grad beheizt, und zur Belüftung steht dauernd
ein kleines Fenster offen. Ergebnis: Bei
Nathalie gehen pro Jahr 1,6 Tonnen
44➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
Der ökologische Fussabdruck
Im Living Planet Report hat der WWF mit dem ökologischen Fussabdruck einen
weiteren Ansatz definiert, um die Umweltverträglichkeit zu messen. Damit ist
die gesamte biologisch produktive Land- oder Meeresfläche gemeint, die eine
Person, ein Land oder eine ganze Weltregion benötigt, um Nahrungsmittelpflanzen, Fleisch, Meeresfrüchte, Holz sowie Textilien zu produzieren und die
eigene Energieversorgung sicherzustellen. Der Fussabdruck bezüglich CO2Emissionen entspricht der Waldfläche, die nötig wäre, um das freigesetzte
Kohlendioxid zu absorbieren.
Die biologische Kapazität der Erde liegt heute bei 1,9 Hektaren pro Person.
Ein Afrikaner beansprucht weniger als 1,4, eine Westeuropäerin deren 5 und
ein Nordamerikaner 9,6 Hektaren.
Berechnen Sie Ihren Fussabdruck: www.footprint.ch
Eine Person in der
Schweiz beansprucht
bei durchschnittlichem
Lebensstil 4,12 Hektaren
produktive Fläche.
Umgerechnet auf die
Gesamtbevölkerung des
Landes ergibt dies gut
300 000 Quadratkilometer. Im Inland sind
ohne die Gewässer und
Gebirge aber nur 30 757
Quadratkilometer verfügbar. Das nutzbare Land
entspricht also in keiner
Weise dem Raumbedarf,
der für unseren
Lebensstil und Ressourcenverschleiss nötig ist.
Global denken – lokal handeln
Am Erdgipfel in Rio von 1992 wurde ein
innovatives Instrument lanciert, um den
klimapolitischen Spielraum der Städte
und Gemeinden optimal zu nutzen. Die
UNO-Konferenz forderte die kommunalen Behörden weltweit dazu auf, im Dialog mit der Bevölkerung eine Lokale
Agenda 21 zu erarbeiten. Aus diesen
Prozessen sollen sich Projekte für eine
gesündere Umwelt und mehr Lebensqualität entwickeln – zum Beispiel für
einen sparsamen Energieeinsatz, die Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren
oder mehr Natur in Stadt und Land (vgl.
UMWELT 2/2002).
www.agenda21local.ch
www.agenda-21.ch
CO2 für Raumwärme in die Luft, bei
ihrem Freund sind es 3,4 Tonnen, also
mehr als doppelt so viel.
Aber bald wird auch Peters Bilanz
besser aussehen. Die beiden haben sich
nämlich entschieden, eine Wohnung
zu kündigen und zusammenzuziehen.
Auch wenn Nathalies Umerziehungsversuche nichts fruchten sollten, wird
Peter seine Emissionen für die Raumheizung auf einen Schlag um die Hälfte
reduzieren. Denn nach wie vor ist der
individuelle Wohnraumbedarf ein entscheidender Faktor für den Heizenergieverbrauch. Im Schweizer Mittel
belegt eine Person – bei zunehmender
Tendenz – rund 45 Quadratmeter beheizte Wohnfläche.
ob man die 2400 Quadratmeter Geschossfläche mit Erdöl oder Holzschnitzeln beheizen soll. Im zweiten Fall vermeidet die Gemeinde CO2-Emissionen
im Umfang von nahezu 60 Tonnen
jährlich oder 500 Kilo pro Kind.
Eine Halbierung ist
schon heute möglich
Marie-Louise Jacquemet* ist der Zeit um
Jahrzehnte voraus. Obwohl sie mit
ihrer schulpflichtigen Tochter Nora
durchaus komfortabel und genüsslich
lebt, macht ihr CO2-Ausstoss weniger
als die Hälfte des Schweizer Durchschnitts aus. Die Krankenschwester in
Bereich
Der Einfluss der Stimmbürger
In einem Punkt sind wir alle gleich: 600
Kilo CO2 pro Kopf und Jahr setzen wir
durch den «öffentlichen Konsum» frei.
Diese Emissionen fallen beim Bau und
Betrieb der öffentlichen Infrastruktur
sowie bei der Erfüllung öffentlicher
Aufgaben an. Als Privatperson kann
man hier nicht viel ausrichten – wohl
aber als Stimmbürger mit politischen
Einflussmöglichkeiten über die Wahrnehmung der Volksrechte.
Schon auf Gemeindeebene lässt sich
klimapolitisch einiges bewegen. Braucht
etwa das Schulhaus für 120 Kinder eine
neue Heizung, so stellt sich die Frage,
www.energieeffizienz.ch
www.klima-schweiz.ch/fakten
LINKS
Kaderposition lebt in einer Mietwohnung. Das Haus ist nach neusten Energiestandards gebaut und wird mit
einer modernen Holzschnitzelanlage
beheizt. Marie-Louise kocht vegetarisch
und fährt per Tram oder Velo zur Arbeit. Sie besitzt kein Auto, fliegt praktisch nie, reist aber gerne und legt mit
ihrem SBB-Generalabonnement und
der Familienkarte jährlich rund 15 000
Kilometer im Zug zurück. Das reicht für
mehrere Auslandreisen und Ausflüge in
die Berge.
* Alle Namen sind frei erfunden.
■ Hansjakob Baumgartner
Emissionen in Tonnen CO2 pro Person und Jahr
Marie-Louise Jacquemet*
Heizen
Wohnen
Ernährung
Privatfahrzeuge
Öffentlicher Verkehr
Flugreisen
Privatkonsum
Öffentlicher Konsum
0,0
0,7
1,0
0,2
0,6
0,0
1,6
0,6
Schweizer Durchschnitt
gemäss ECO2-Rechner
1,6
1,2
1,6
2,9
0,2
0,3
1,7
0,6
Total
4,7
10,1
Marie-Louise Jacquemet* lebt ohne Abstriche am Lebensstandard energiebewusst. Sie belastet die
Atmosphäre nicht einmal halb so stark mit Kohlendioxid wie eine Person im Schweizer Durchschnitt.
INFOS
Thomas Bucher, Bereichsleiter
Markus Nauser, Sektion
Umweltbildung, BUWAL
Ökonomie und Klima, BUWAL
Tel. 031 322 93 26
Tel. 031 324 42 80
Fax 031 322 70 54
Fax 031 323 03 67
[email protected]
[email protected]
UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL
➔45
O N L I N EKLIMA
www.klima-schweiz.ch (D, F, I, E)
Schweizer Klimapolitik
Die Seite des BUWAL enthält nicht nur Wissenswertes über die
Schweizer Klimapolitik, sondern neben statistischen Daten
auch praktische Tipps zum Klimaschutz im Alltag. Zudem sind
Arbeitsblätter für Schulen zum Thema «Das Klima in Menschenhand» online verfügbar.
www.climate-change.ch (D)
Alles Wissenswerte auf einen Blick
Ein breit gefächertes Angebot von Informationen zu allen
Aspekten des Klimas. Neben Wissenswertem zu Ursachen und
Auswirkungen der Klimaveränderung werden auch Bezüge
aufgezeigt zu Themen wie Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft und Gesundheit.
www.uno.de/umwelt/index.cfm (D)
Was tut die UNO?
Die Site informiert darüber, welchen Platz Klimaschutz auf der
internationalen Agenda einnimmt. Informationen und Dokumente zum Europäischen Umweltprogramm sind ebenso abrufbar wie ein übersichtlicher Leitfaden für Laien zur Klimakonvention und zum Protokoll von Kyoto.
http://unfccc.int/portfranc/ (D, F)
Klimakonvention
Hier können Interessierte die Texte der Klimaschutzkonvention und des Protokolls von Kyoto herunterladen. Daneben
enthält die Site Informationen zu den Zielen der Klimakonferenzen und zu den Unterzeichnerstaaten.
www.treibhauseffekt.com (D)
Was ist der Treibhauseffekt?
Die Website vermittelt eine anschauliche Erklärung des Treibhauseffektes sowie zahlreiche Energiespartipps. Ein Quiz richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die ihr Wissen testen
können.
www.ecospeed.ch > Tools > ECO2 Privat (D)
Ihre persönliche Energie- und CO2-Bilanz
Der ECO2-Rechner berechnet Ihren persönlichen Energieverbrauch und CO2-Ausstoss. Er zeigt auf, wie stark Sie die
Umwelt im Vergleich mit anderen Personen bei uns oder im
Ausland belasten. Dabei wird auch die in den Gütern
versteckte graue Energie bilanziert. Die Website verdeutlicht
zudem, mit welchen Massnahmen man Energie und CO2 einsparen kann.
46➔ UMWELT 2/03 ONLINE
www.energie-atlas.ch (D, F, I)
Erneuerbare Energie europaweit
Die Karten des Energieatlas zeigen für alle europäischen Länder auf, welche erneuerbaren Energieformen hier realisierbar
oder schon verbreitet sind. Dazu liefert die Site technische Informationen zur Nutzung von erneuerbaren Energiequellen.
www.solarspar.ch (D)
Klimaschutz konkret
Der Verein Solarspar analysiert den Energieverbrauch eines
Unternehmens, einer Gemeinde oder Schule, schlägt Energiesparmassnahmen vor und hilft bei der Finanzierung. Die
Site informiert über laufende Projekte und Möglichkeiten,
selber einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
www.wwf.ch (D, F. I)
Nützliches für den Alltag
Neben Informationen zu Klimawandel und Klimaschutz bietet
die Seite des WWF Schweiz vor allem nützliche Energiespartipps und Anregungen zum Klimaschutz im alltäglichen Handeln. Die Informationen sind häufig spielerisch aufbereitet
und sprechen auch Jugendliche an.
www.toptotop.org > Swiss TOPtoTOP (D,E)
Expeditionen für den Klimaschutz
Der Verein TOPtoTOP organisiert klimaverträgliche Expeditionen und verbindet dabei Naturerlebnisse mit Umweltarbeit.
Anhand von lokalen und regionalen Initiativen mit Vorbildcharakter will man die Leute motivieren, selber aktiv zu werden und ihren persönlichen Beitrag zum Schutz des Klimas zu
leisten.
www.topten.ch (D, F, I)
Energiesparende Geräte
Gestützt auf Testresultate von bewährten Instituten informiert
die Website unter anderem über energieeffiziente Produkte
und Dienstleistungen. Wichtige Kriterien zur Bewertung von
Geräten und Fahrzeugen sind zudem eine möglichst geringe
Umweltbelastung sowie die Sozialverträglichkeit der Angebote.
www.energiestadt.ch (D, F, I)
Ausgezeichnete Städte und Gemeinden
In der Schweiz leben insgesamt 1,5 Millionen Menschen in
Energiestädten. Dieses Label gilt als Leistungsausweis für die
Umsetzung einer umweltbewussten Energiepolitik auf Gemeindeebene. Die Website will den Erfahrungsaustausch
fördern und stellt neue Projekte vor.
TROCKENWIESENINVENTAR
Ich sag dir, wo die Blumen sind
Ein Bundesinventar erfasst die schönsten Blumenwiesen der Schweiz. Die neue Agrarpolitik
begünstigt den Schutz dieser wertvollen Lebensräume.
www.umwelt-schweiz.ch > Fachgebiete >
Lebensräume & Parks > Trockenwiesen und -weiden
LINK
Zwei Drittel der hiesigen Landwirtschaftsfläche sind Grünland, doch nur ein kleiner Teil
davon ist bunt: Insgesamt
16 000 Hektaren umfassen die
bis anhin kartierten Flächen
für das Inventar der Trockenwiesen und -weiden der
Schweiz (TWW). Ende 2002
hatten die Botanikerinnen und
Botaniker, welche die Mähwiesen, Wildheuplanggen und
trockenen Magerweiden von
nationaler Bedeutung bewerten und deren Vegetation er-
48➔ UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ
fassen, 17 Kantone bearbeitet. Geht
alles nach Fahrplan, wird der Bundesrat
Ende 2004 die erste Inventarserie samt
Schutzverordnung in Kraft setzen.
Höchste botanische Vielfalt
Trockene, magere Wiesen und Weiden
gehören hier zu Lande zu den Lebensräumen mit der höchsten botanischen
Vielfalt. Nirgendwo sonst blühen auf
kleiner Fläche so viele verschiedene
Gräser und Kräuter. Ein Grossteil der
ansässigen Arten – darunter etliche Orchideen – sind auf diesen Lebensraum
spezialisiert und anderswo ohne Chan-
cen. Dies gilt auch für manche Insekten: Jeder zweite einheimische Schmetterling braucht artenreiche Wiesen, sei
es als Habitat der Raupe oder des ausgewachsenen Falters.
Als Teil der Kulturlandschaft ist die
Mähwiese eine relativ junge Erscheinung. Landschaftsprägend wurde sie
Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Bauern auf ganzjährige Stallhaltung umstellten. Bis um 1950 war extensive
Nutzung mit zweimaligem Schnitt –
Heu und Emd – der Normalfall. Heute
sind auf ertragreichen Wiesen bis zu
sechs Schnitte möglich.
oekoskop
Von links aussen: der Österreichische Drachenkopf (Dracocephalum austriacum) ist stark gefährdet und findet sich nur im unteren Rhonetal
und Unterengadin, das Helm-Knabenkraut (Orchis militaris) wächst auf Magerwiesen und in Buschwäldern, die Spitzorchis (Anacamptis pyramidalis)
ist ebenfalls eine gefährdete Pflanze. Man findet sie auf Magerwiesen und -weiden. Der Clusius Enzian (Gentiana clusii) liebt Kalkböden.
Ohne Nutzung kommt Wald auf
In den letzten 60 Jahren sind schätzungsweise 90 % der Trockenwiesen
verschwunden – im Flachland gibt es
praktisch keine mehr. Weniger als ein
Viertel der bisher erfassten TWWFläche liegt unterhalb von 750 Höhenmetern. Der grösste Teil befindet sich in
steilem Gelände. Etwa 60 % werden beweidet, 30 % gemäht und 10 % liegen
brach.
Das TWW ist rechtlich ein Biotopinventar. Wie die Moore und Auen von
nationaler Bedeutung, sind die TWWObjekte vollständig zu erhalten. Das
bedeutet in ihrem Fall eine angepasste
Nutzung: Wiesen brauchen den Mäher
und Weiden das Vieh, sonst nimmt die
natürliche Vegetationsentwicklung ih-
ren Lauf, und auf den einst gerodeten
Flächen wächst wieder Wald. Die 10 %
Brachflächen signalisieren denn auch
Handlungsbedarf.
Die Nutzung wird mit den Landwirten vertraglich geregelt. Kernpunkte
sind meist der Verzicht auf Dünger und
in der Regel ein Schnitt pro Jahr.
Trockenwiesen sind beitragsberechtigte ökologische Ausgleichsflächen.
Die Umsetzung des TWW fügt sich
nahtlos in die neue Agrarpolitik ein –
nicht zuletzt dank der Öko-Qualitätsverordnung ÖQV, welche zusätzliche
Möglichkeiten zur Finanzierung des aktiven Naturschutzes durch Bäuerinnen
und Bauern bietet.
INFOS
Edith Madl
Sektion Artenund Biotopschutz, BUWAL
Tel. 031 322 99 80
Fax 031 324 75 79
[email protected]
LESETIPP
Trockenwiesenpost heisst das Informationsbulletin des TWW-Projekts. Es erscheint einmal
im Jahr. Herausgeber: BUWAL
Bestelladresse: oekoskop, Dornacherstr. 192,
4053 Basel, Tel. 061 336 99 44,
■ Hansjakob Baumgartner
[email protected]
UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ
➔49
2
1
TOURISMUS
Die Landschaft ist das Kapital
Intakte Landschaften und eine gelebte Kultur machen die spezielle Ausstrahlung vieler Ausflugs- und
Ferienorte in der Schweiz aus. Um diese Trümpfe noch besser auszuspielen, müssen Fachleute aus
den Bereichen Tourismus, Gastronomie, Landwirtschaft, Natur- und Heimatschutz vermehrt
zusammenarbeiten. Das BUWAL will deshalb die schonende Entwicklung der Kulturlandschaften
durch den Tourismus fördern und die Synergien mit der Reisebranche stärken.
Die Via Spluga von Thusis GR über den
Splügen nach Chiavenna ist mehr als
eine Alpenüberquerung, mehr als ein
Weg von der Schweiz nach Italien.
Schon kurz nach dem Start erlebt der
Wanderer in der bereits vor 2000 Jahren begangenen Viamala-Schlucht ein
gewaltiges Naturschauspiel. Die Wanderung führt durch eindrückliche Alpenlandschaften mit einer lebendigen
50➔ UMWELT 2/03 TOURISMUS
Vergangenheit. Kulturgüter von internationaler Bedeutung wie die jungsteinzeitlichen Felszeichnungen von
Carschenna oberhalb Sils im Domleschg
oder die Kirche St. Martin von Zillis mit
ihrer frühmittelalterlichen Decke zeugen davon. Das Passdorf Splügen wurde
1995 wegen seines vorzüglich erhaltenen und gepflegten Dorfbildes mit dem
Wakker-Preis ausgezeichnet.
65-km-Wanderung im Paket
Diese Natur- und Kulturschätze zu erhalten und touristisch besser zu vermarkten, ist das Ziel des Projekts «Via
Spluga», das von Regio Plus – einem Impulsprogramm zur Unterstützung des
Strukturwandels im ländlichen Raum –
und dem Fonds Landschaft Schweiz FLS
unterstützt wird. Die Via Spluga wurde
zu einem gut begehbaren Fernwander-
1
2
3
4
5
6
7
8
9
4
3
Alle Bilder: Photo TIARA, Rothenbrunnen
Von links: 1 Blick am Eingang der Viamalaschlucht zurück nach Thusis, 2 Zillis – Hängebrücke
Viamalaschlucht, 3 Wasserfall in der Roflaschlucht, 4 Splügen – Schweizer Zollstation
weg ausgebaut und der alte Säumerpfad
durch die Viamala wieder in Stand gestellt. Die gesamte, 65 Kilometer lange
Wanderung kann heute als touristisches Paket gebucht werden – mit fünf
Übernachtungen, Gepäcktransport von
Hotel zu Hotel und weiteren Extras.
Dieses Angebot habe zu einer spürbaren
Belebung in der Hotellerie geführt,
meint Projektleiter Willy Ziltener. Davon würden auch die regionale Landwirtschaft und das Gewerbe profitieren.
Die Via Spluga ist beispielhaft für eine
Partnerschaft zwischen Landschaftsschutz und Tourismus, die zwar noch
am Anfang steht, aber bereits erste
Früchte trägt. Die Vielfalt und Einzigar-
tigkeit der Landschaft sind denn auch
das Kapital des Schweizer Tourismus.
76 Prozent der Einheimischen, die ihre
Ferien im Inland verbringen, nennen
Natur und Landschaft als Grund für
ihre Ortswahl. Von den ausländischen
Gästen kommen gar 83 Prozent, weil
ihnen die Schweiz landschaftlich besonders gut gefällt.
Landschaftliche Schönheit
hat ihren Preis
Intakte Natur und landschaftliche
Schönheit sind keine selbstverständlichen Güter – auch wenn sie heute
noch oft als solche betrachtet werden.
Unsere Kulturlandschaften sind im
Auskunft und Reservierung für
Wanderungen entlang der Via Spluga:
Freizeit Graubünden, 7208 Malans
Tel. 081 300 06 90
[email protected],
www.freizeit-graubuenden.ch
Laufe der Jahrhunderte durch die Arbeit
der ortsansässigen Menschen entstanden, wobei insbesondere die landwirtschaftliche Bewirtschaftung den Charakter vieler Gegenden bis heute prägt.
Diese Tätigkeiten der Bäuerinnen und
Bauern müssen in angepasster Form
weitergeführt werden, weil die Landschaft sonst ihr Gesicht verliert. Nur
mit Sorgfalt und Respekt für die vorhandene Vielfalt lassen sich schöne
Landschaften auch in Zukunft erhalten
UMWELT 2/03 TOURISMUS ➔51
6
5
Von links: 5 Sustenhäuser bei Montespluga, 6 Wegverlauf in der Cardinelloschlucht, 7 Isola, 8 Wegverlauf bei Vho, 9 Ansicht von Chiavenna
www.viaspluga.com
www.regioplus.ch
www.fls-fsp.ch
www.ftl.hsr.ch/framesets/f_start.htm
und entwickeln. Gelingt dies nicht, so
drohen dem inländischen Tourismus –
gemäss Berechnungen des Staatssekretariats für Wirtschaft seco – erhebliche Einbussen. Falls sich die landschaftlichen Qualitäten bei uns im Vergleich zu den umliegenden Ländern
verschlechtern sollten, wäre mit 20
Prozent weniger einheimischen und gar mit 30 ProLINKS
zent weniger ausländischen
Feriengästen zu rechnen.
Dies käme einem Einnahmenverlust von 2 Milliarden Franken gleich. Das
seco schätzt den Unternehmenswert der Landschaft
für den Schweizer Tourismus auf 70 Milliarden
Franken. Dies entspricht gut
52➔ UMWELT 2/03 TOURISMUS
[
DIE SCHONENDE ENTWICKLUNG UND DER SCHUTZ
VON LANDSCHAFTEN LEISTEN EINEN WICHTIGEN
BEITRAG ZUR LEBENSQUALITÄT IN TOURISMUSORTEN
dem vierfachen Unternehmenswert der
Schweizer Hotellerie.
Der Bund hilft mit
BUWAL und seco unterstützen deshalb
Tourismusangebote, welche Natur und
Landschaft schonen sowie die lokale
Kultur und Wirtschaft stärken. Schwerpunkte bilden dabei die touristische
Vermarktung, die Unterstützung von
guten Angeboten sowie die Schaffung
von neuen Natur- und Landschaftsparks. Diese Initiativen sollen zu erlebnisreichen, lebendigen Landschaften
führen, welche auch dem Menschen
]
zugänglich sind. Die schonende Entwicklung und – wo nötig – auch der
Schutz von Landschaften leisten einen
wichtigen Beitrag zur Lebensqualität in
den Tourismusorten, zur Erholungsfunktion sowie zur dauerhaften Nutzung der natürlichen Ressourcen. Das
Segment des naturnahen Tourismus
wird gemäss seco dann erfolgreich
wachsen, wenn es durch glaubwürdige,
engagierte Anbieter getragen wird, auf
erlebnisorientierten Angeboten aufbaut und diese den Zielgruppen verständlich vermittelt. Eine unkomplizierte Buchung gehört ebenso dazu wie
7
8
9
Alle Bilder: Photo TIARA, Rothenbrunnen
die regionale Zusammenarbeit von
Gastronomie und Landwirtschaft. Gute
Voraussetzungen für solche natur- und
landschaftsorientierte Tourismusangebote finden sich nicht zuletzt in
Regionen, die durch verschiedene Bundesinventare geschützt sind – so etwa
durch Objekte des Bundesinventars der
Landschaften und Naturdenkmäler
von nationaler Bedeutung (BLN).
■ Matthias Stremlow, BUWAL
INFOS
Matthias Stremlow, Sektion
Landschaft und Infrastruktur
BUWAL
Tel. 031 324 84 01
Fax 031 324 75 79
[email protected]
Eine Lebensader für Randregionen
Eine von den Bundesstellen BUWAL und seco gemeinsam organisierte Tagung
zum naturnahen Tourismus hat Fachleute aus den Bereichen Tourismus,
Natur- und Landschaftsschutz, Regionalplanung und Politik zusammengebracht. Als Dialogplattform markierte sie den Beginn einer intensiven
Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus unterschiedlichen Gebieten mit gemeinsamen regionalpolitischen Interessen.
Wie die Tagung zeigte, ist die Wertschöpfung von landschaftsorientierten
Angeboten im Tourismus alles andere als marginal. Auch berühmte Kurorte
wie Zermatt, Montana, Gstaad oder St. Moritz hängen entscheidend vom
natürlichen Kapital eines landschaftlich intakten Hinterlandes ab.
Vermehrt versuchen auch strukturschwache Regionen, ihre spezifischen
Eigenheiten zu vermarkten, die früher noch als Hindernis auf dem Weg zum
Fortschritt galten. So hat sich etwa das Luzerner Entlebuch mit seinem alpenweit grössten Anteil an geschützten Moorlandschaften für ein von der Unesco
anerkanntes Biosphärenreservat engagiert.
Am 4. und 5. Juni 2003 findet in Willisau LU der vom BUWAL unterstützte
Kongress «SwissNaTour» statt. Hier will man die Aspekte des Marketings im
naturnahen Tourismus vertiefen. www.regioher.ch
UMWELT 2/03 TOURISMUS
➔53
WILDTIERE
Come-back des Rebhuhns
1993 brütete im Klettgau SH das letzte Paar, jetzt sind es wieder ein bis zwei Dutzend. Eine ökologische Aufwertung der Landschaft und wissenschaftlich begleitete Freilassungen verhalfen dem
Rebhuhn in diesem Gebiet zu einem zweiten Leben.
Zunächst ist bloss eine amorphe, graue
Masse am Heckenrand zu erkennen, so
nahe hocken die Vögel beieinander.
Doch dann löst sich das Getümmel auf,
die Konturen einzelner Rebhühner
zeichnen sich ab. 6 Hähne und 3 Hennen zählt die «Kette», wie Rebhuhngruppen recht treffend genannt werden: Einer nach dem anderen treten die
Vögel auf die Wiese, emsig im Grünzeug pickend. Plötzlich flattern sie wie
auf Kommando auf und streichen im
Formationsflug ab.
Vögel auf Sendestation
Der Biologe Markus Jenny hat die Hühner zuvor mit seinem Peilgerät lokalisiert. Zwei von ihnen tragen oberhalb
des Bürzels einen 10 g schweren Sender,
der sie nicht im Geringsten stört. Die
Kette ist noch vollzählig, kann Karl
Baumann, der örtliche Wildhüter, bestätigen. Er hat sie schon in den Wochen zuvor mehrmals hier beobachtet.
Gemeinsam sind die beiden zuständig
54➔ UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ
für die Überwachung der Rebhühner im
schaffhausischen Klettgau, einer Agrarlandschaft mit Getreideäckern in der
Ebene, Rebland in den sonnigen Hanglagen und ein paar malerischen Dörfern. Das Kerngebiet der Population
bilden die «Widen» nordöstlich von
Neunkirch.
Der Bestand wurde künstlich angesiedelt. Knapp 300 Hühner aus Polen,
Deutschland und Frankreich, rund die
Hälfte davon Wildfänge, wurden zwischen 1998 und 2002 ausgesetzt. Sie
halten sich wacker. «Der Bruterfolg war
im vergangenen Jahr gut, die Sterblichkeit ist erstaunlich gering», berichtet
Markus Jenny. Eine Zählung im Herbst
2002 ergab rund hundert Individuen.
Das Projekt zur Wiederansiedlung,
durchgeführt von der Schweizerischen
Vogelwarte im Auftrag des BUWAL, hat
eine mehr als zehnjährige Vorgeschichte. Anfangs der 1990er-Jahre lancierte
die Vogelwarte je ein Schutzprogramm
im Klettgau und in der Champagne
genevoise (siehe Kasten). In diesen zwei
Gebieten hielten sich damals die beiden letzten hiesigen Vorkommen der
einst weit verbreiteten Vogelart, deren
Bestand in der Schweiz von mindestens
10 000 Stück in den 1960er-Jahren auf
höchstens ein paar Dutzend zusammengebrochen war.
Brachen und Niederhecken
Rebhühner leben vorwiegend vegetarisch. Bloss in den ersten Lebenswochen ernähren sie sich von Insekten
und Spinnen. Wo Stauden und Kräuter
üppig spriessen, finden die Vögel reichlich Grünzeug, Sämereien und tierisches Kükenfutter. Das Nest baut die
Henne am liebsten in Brachen, Säumen
mit dürrem, verfilztem Altgras oder an
den Rand von Hecken und Kleingehölzen.
Solche Strukturen werden im Klettgau seit 1991 durch Sonderprämien gezielt gefördert. Die ersten Buntbrachen
der Schweiz erblühten hier. Sie prägen
Das Klettgau SH ist wieder rebhuhntauglich geworden. Der Lebensraum reicht
für etwa 60 Rebhuhnpaare.
Wiederansiedlung
auch in Genf
Markus Jenny
heute vor allem in den Widen das
Landschaftsbild. Die Brachen wurden
hier nicht eingesät, man liess der spontanen Vegetationsentwicklung ihren
Lauf. Hochwertige Ökoflächen sind
auch die dornigen Niederhecken und
Kleingehölze sowie die sehr extensiv
genutzten Wiesen, die im Rahmen des
Rebhuhnprojekts angelegt wurden.
Die ökologische Aufwertung der
Landschaft trug rasch Früchte. Die Lerche und andere Vogelarten naturnaher
Ackerlandschaften brüten wieder erfolgreicher als auch schon, der Hasenbestand erhöhte sich spürbar. Doch für
das Rebhuhn kamen die Massnahmen
zu spät.
www.vogelwarte.ch
Lebensraum für 60 Paare
Inzwischen ist das Klettgau jedoch wieder rebhuhntauglich geworden. Die
Kapazität des Lebensraums dürfte für
etwa 60 Paare reichen, ergab eine Biotopanalyse. Im Sommer 2002 waren es
bereits 10 bis 13 Paare. Die regelmässige
Peilung der besenderten Vögel ergab,
dass die angelegten Ökoflächen inLINK tensiv genutzt werden.
Das erste Etappenziel des
Wiederansiedlungsprojekts ist damit erfüllt. Zusätzliche Aussetzungen fortpflanzungsfähiger Hühner
braucht es vorläufig keine mehr.
Hingegen will man der Bestandesvermehrung künstlich nachhelfen: Paare
ohne Nachwuchs erhalten Jungvögel
aus einer naturnahen Zucht in Frankreich zur Adoption. Letztere werden in
einer Volière im Revier des Paars deponiert. Nachts locken sie die Altvögel mit
ihren Rufen herbei. Auf den Elterntrieb
ist Verlass. Durch eine Reuse schlüpfen
Henne und Hahn in die Volière und
bleiben darin gefangen. Tags darauf
werden Jung und Alt gemeinsam freigelassen – und bleiben fortan beisammen.
Neue Chancen
dank Öko-Qualitätsverordnung
Noch liegt der Bestand im Klettgau
deutlich unter dem Niveau, bei dem das
Überleben nicht mehr eine Frage von
Glück und Pech ist. Ein paar Jahre mit
Regenwetter zur Brutzeit könnten das
Werk wieder zunichte machen, fürchtet
Markus Jenny. Das Rebhuhn wird auch
in den kommenden Jahren ein Sorgenkind des Artenschutzes bleiben. Chancen bietet die seit 2002 wirksame ÖkoQualitätsverordnung. Mit ihr werden
Mittel frei für agrarökologische Projekte, die den Hühnern auch anderswo
wieder zu besseren Lebensbedingungen
verhelfen könnten.
Ebenfalls auf der Förderung von
Buntbrachen basiert das Rebhuhnprojekt in der Champagne
genevoise. Es läuft seit gut zehn
Jahren, die Landwirte ziehen
mit. Bei mehreren Vogelarten
vielfältiger Ackerlandschaften,
namentlich dem Schwarzkehlchen, der Dorngrasmücke und
der Grauammer, bewirkten die
Massnahmen auch schon regelrechte Bestandesexplosionen;
doch eine Trendwende im Rückgang der Rebhühner erbrachten
sie nicht. Der Bestand sank stetig von 17 Paaren Ende der
1980er-Jahre auf ein letztes im
Sommer 2002. Woran liegt es?
Vielleicht war die Zahl der Hühner bereits zu Beginn des Projekts unter das kritische Limit gerutscht. Deshalb soll nun auch in
Genf das Rebhuhn eine zweite
Chance erhalten. Vorgegangen
wird nach demselben Schema
wie im Klettgau. Die erste Aussetzungsrunde ist für 2004 geplant.
INFOS
Rolf Anderegg
Bereich Wildtiere, BUWAL
Tel. 031 324 78 33
Fax 031 324 78 66
■ Hansjakob Baumgartner
[email protected]
UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ
➔55
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