Unsere Verantwortung für die Zukunft Seit jeher gestaltet, kultiviert und verändert der Mensch die Natur, um sie für seine Bedürfnisse nutzbar zu machen. Dabei läuft er immer auch die Gefahr, sich mit Eingriffen in die Umwelt selber Schaden zuzufügen. So bedroht die durch Treibhausgase angeheizte Klimaveränderung vor allem in den Küstengebieten Millionen von Menschen – beispielsweise in Bangladesh, wo der steigende Meeresspiegel und heftigere Wirbelstürme zu verheerenden Überschwemmungen führen. Gefährdet ist auch die Bevölkerung in weiten Teilen Afrikas. Ihrem Lebensraum droht die Versteppung und Verwüstung. Aber auch bei uns in der Schweiz spüren wir die Folgen des Klimawandels, wenn der Schnee vor allem in den tieferen Lagen des Berggebiets immer spärlicher fällt und dadurch die Touristen ausbleiben. Die Klimaerwärmung untergräbt die natürlichen Lebensgrundlagen, verschärft soziale Spannungen, vertreibt Menschen aus ihrer Heimat und schürt dadurch gefährliche Konflikte. Zwar hat sich die internationale Staatengemeinschaft 1992 auf eine Klimakonvention geeinigt. Doch nun muss die vereinbarte Reduktion der Treibhausgase umgesetzt werden. Dieser Prozess ist langwierig und braucht sehr viel Geduld. Trotz Rückschlägen gibt es keinen anderen Weg, als unsere Verantwortung für die Zukunft wahrzunehmen und die unterschiedlichen Ziele in zähen Verhandlungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Schweiz engagiert sich, um diesen Prozess voranzubringen: als Vermittlerin auf internationaler Ebene und mit einer glaubwürdigen Klimapolitik im Inland. Moritz Leuenberger, Bundesrat Vorsteher des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK 2➔ UMWELT 2/03 KLIMAPROGNOSEN Die Heizung der Erde gerät ausser Kontrolle Die Temperatur der Erde steigt schneller als erwartet. Hauptgrund dafür ist die Verschwendung von Kohle, Öl und Erdgas. Als Folge der Erwärmung würden extreme Wetterereignisse und lebensbedrohende Naturkatastrophen zunehmen, warnen die Klimaexperten der UNO. Der Stand des Wissens zum Klimawandel umfasst drei Bände, ist über 2500 Seiten dick und fast fünf Kilo schwer. Das von der UNO eingesetzte Expertengremium Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC hat 2001 bereits seinen dritten Statusbericht veröffentlicht. In ihrer Bestandesaufnahme kommen die Klimaexperten zu einem alarmierenden Befund: Das Klima ändert sich schneller als erwartet, und die aussergewöhnlich starke Erwärmung in der jüngeren Vergangenheit lässt sich mit natürlichen Klimaschwankungen allein nicht mehr erklären. Weder die veränderte Sonneneinstrahlung noch die Aktivität von Vulkanen sind dafür verantwortlich. «Es gibt neue und klarere Belege dafür, dass der Grossteil der Erwärmung, die in den letzten fünfzig Jahren beobachtet wurde, auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist», hält das IPCC fest. www.proclim.ch/IPCC2001.html www.klima-schweiz.ch/faq LINKS Zu viel Kohlendioxid bleibt in der Atmosphäre Der Gehalt von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre hat seit 1750 um über 30 Prozent zugenommen. Dieses wichtigste Treibhausgas trägt etwa 60 Prozent zur vom Menschen verursachten Klimaerwärmung bei. In den vergangenen 420 000 Jahren sei die CO2- Konzentration nie so hoch gewesen wie heute, betonen die Klimaexperten. Hauptursache dieser Zunahme ist die Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas. Rund drei Viertel der in den letzten zwanzig Jahren vom Menschen verursachten CO2-Emissionen in die Atmosphäre sind auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe zurückzuführen. Den Rest macht die Waldzerstörung – vor allem durch Brandrodungen – aus. Gebündeltes Wissen von über 2000 Experten Das IPCC ist eine in der Wissenschaft bisher einzigartige Institution. An seinem Klimabericht 2001 haben während dreier Jahren weit über 2000 Forschungsfachleute aus der ganzen Welt mitgearbeitet. Es ist ihr Ziel, den und Mitautor des IPCC-Berichts. «Wenn unter den Wissenschaftern kein Einverständnis besteht, wird dies in den Berichten deutlich hervorgehoben – zum Beispiel bei der Rolle der Wolken für die globale Erwärmung.» Die UNO hat das IPCC 1988 ins Leben gerufen. Es bietet der Klimakonvention wissenschaftliche Unterstützung. Dieses Abkommen soll die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisieren, das eine gefährliche Veränderung des Klimasystems verhindert. Aufwändige Computersimulationen Manchen Politikverantwortlichen dienten bestehende Unsicherheiten über den Einfluss des Menschen auf das Klima in der Vergangenheit als Rechtfertigung fürs Nichtstun. Nicht zuletzt aus diesem MENSCHLICHE AKTIVITÄTEN Grund spricht der jüngste BESTIMMEN DIE WELTWEITE IPCC-Bericht eine deutlicheERWÄRMUNG re Sprache als seine beiden Vorgänger. Erstmals äussern aktuellen Stand der wissenschaftlichen sich die Wissenschafter auch zur EintreErkenntnisse zu sichten. Das IPCC be- tenswahrscheinlichkeit ihrer Prognotreibt keine eigene Forschung, sondern sen. Hält der Statusbericht zum Beispiel fasst neu publizierte Ergebnisse zusam- fest, dass im 21. Jahrhundert praktisch men. Die Aussagen dieses Gremiums überall auf der Welt eine Zunahme von stellten eine «Momentaufnahme des Hitzewellen «sehr wahrscheinlich» sei, Forschungskonsenses» dar, sagt Tho- dürfte dies nach Einschätzung der Wismas Stocker, Professor für Klima- und senschaft mit einer Wahrscheinlichkeit Umweltphysik an der Universität Bern von 90 bis 99 Prozent eintreffen. [ ] Fortsetzung S. 8 6➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL CO2-Konzentration 350 ppm* 300 ppm 250 ppm 200 ppm *parts per million Temperatur 15°C 10°C 5°C Meeresspiegel 0 Meter –50 Meter –100 Meter Quelle: Barnola, Nature –150 000 Jahre Bilder: AURA, Keystone (unten rechts) –100 000 Jahre –50 000 Jahre heute Wird das Klima wärmer, nehmen Wetterextreme – und damit auch Naturkatastrophen – in der Schweiz weiter zu. Vor allem im Berggebiet ist mit mehr Starkniederschlägen, Hochwasser und Erdrutschen zu rechnen. Die Parallelen im Verlauf der drei Kurven während der letzten 150 000 Jahre sind offensichtlich. Je mehr Kohlendioxid (CO2) die Atmosphäre enthält, desto höher klettern die Temperaturen. Mit zunehmender Wärme schmilzt das Eis an den Polen und in den Gebirgsregionen. Zudem dehnt sich das Wasser in den Ozeanen aus. Dadurch steigt der Meeresspiegel an und bedroht die fruchtbaren und stark besiedelten Lebensräume in den Küstenregionen. Die CO2-Konzentration der Luft hat vor allem in den letzten 200 Jahren kontinuierlich zugenommen und lag seit Menschengedenken noch nie so hoch wie heute. UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔7 Der Treibhauseffekt Ohne den natürlichen Treibhauseffekt wäre die Erde ein lebensfeindlicher Planet mit tief gefrorener Oberfläche. Anstelle der weltweiten Durchschnittstemperatur von 15,5 Grad Celsius würde in Bodennähe eisige Kälte bei 18 Grad unter Null vorherrschen. Spurengase in der Luft wie Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Ozon (O3), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und andere sorgen jedoch für die nötige Erwärmung der Atmosphäre. Vergleichbar mit einem Glasdach lassen diese natürlichen Treibhausgase das sichtbare Sonnenlicht ungefiltert auf die Erde einstrahlen, behindern aber dessen Wärmeabstrahlung in den Weltraum. Damit heizen sie die Erdoberfläche und die untere Luftschicht auf. Das Gasgemisch unserer Atemluft besteht zu mehr als 99,9 Prozent aus Stickstoff, Sauerstoff und Argon. Anteilmässig machen die für den Treibhauseffekt verantwortlichen Spurengase folglich weniger als ein Promille aus. Dies erklärt, weshalb menschliche Eingriffe die natürlichen Konzentrationen der wärmedämmenden Gase gravierend verändern und sich damit spürbar auf das weltweite Klima auswirken. Seit 1860 hat der Verbrauch fossiler Brennstoffe wie Erdöl, Kohle und Erdgas um das 60-fache zugenommen. Als Folge davon gelangen derzeit jährlich rund 24 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre. 8➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Diese Voraussagen sind mit Hilfe komplexer Computermodelle zu Stande gekommen. Die heutigen globalen Klimamodelle simulieren nicht nur das Geschehen in der Atmosphäre, sondern umfassen sowohl Ozeane als auch Meereis. Damit bilden sie die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Komponenten des Klimasystems erstaunlich realistisch nach. Für ihren Blick in die Zukunft stützen sich die Klimaforscher auf 40 sozio-ökonomische Szenarien, die eine mögliche Entwicklung der Welt vorwegnehmen. Entscheidende Faktoren sind dabei das Bevölkerungsund Wirtschaftswachstum sowie die Einführung von umweltschonenden Technologien. Je nach Annahme liefern die Modelle eine ganze Bandbreite von Prognosen. Die Temperaturen etwa werden bis zum Jahr 2100 je nach Emissionsszenario zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius ansteigen. Wie neuste Berechnungen zeigen, ist die Wahrscheinlichkeit allerdings hoch, dass die pessimistischeren Vorhersagen eintreffen. lichen Bericht anzubringen und Schlussfolgerungen abzuschwächen. Für Aufsehen sorgte vor einem Jahr auch die Nicht-Wiederwahl des Amerikaners Robert Watson als Präsident des IPCC. Die Kaltstellung des ehemaligen Clinton-Wissenschaftsberaters erfolgte «auf Druck der US-Regierung und des amerikanischen Ölkonzerns Exxon», wie sogar die als wirtschaftsfreundlich bekannte «Financial Times» schrieb. Durch eine Indiskretion war bekannt geworden, wie sich der weltweit grösste Erdölmulti Exxon Mobil im Weissen Haus für eine Entfernung des unbequemen Umweltchemikers eingesetzt hatte. Der Konzern mochte Watsons ungeschminkte Alarmrufe zur Klimazukunft nicht länger hinnehmen. ■ José Romero, BUWAL, und Kaspar Meuli LESETIPP Publikumsbroschüre Das Klima in Menschenhand. Neue Fakten und Perspektiven. Grosse politische Tragweite Das IPCC macht keine Politik, sondern stellt lediglich wissenschaftliche Grundlagen für politische und gesellschaftliche Entscheidungen bereit. So oder so haben die Berichte aber eine politische Tragweite wie kaum andere Forschungspublikationen zuvor. Entsprechend gross sind die Versuche politischer Einflussnahme. Zwar hat die Staatengemeinschaft den dritten Statusbericht 2001 einstimmig verabschiedet, doch gingen der Annahme des Dokuments heftige Auseinandersetzungen voraus. Erdölexportierende Länder wie Saudiarabien und energiehungrige Entwicklungsländer wie China versuchten bis zuletzt, Änderungen am wissenschaft- 24 Seiten, BUWAL 2002, Sprachen: D, F, I; mit Arbeitsblättern; kostenloser Bezug: BBL, Vertrieb Publikationen, 3003 Bern, Tel 031 325 50 50, verkauf.zivil@bbl. admin.ch, www.bundespublikationen.ch, Bestellnummer: 319.345.d Klimaänderung 2001. Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger. www.proclim.ch/IPCC2001.html INFOS José Romero, Sektion Konventionen, Abteilung Internationales, BUWAL Tel. 031 322 68 62 Fax 031 323 03 49 [email protected] Leben mit der Klimakatastrophe: Dürrefolgen in Indien und Lebensmittellieferungen für das an Trockenheit leidende Malawi Verweilzeit der wichtigsten Treibhausgase in der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) 5 bis 200 Jahre Methan (CH4) 12 Jahre Lachgas (N2O) 114 Jahre Synthetische Treibhausgase bis 50 000 Jahre Emissionen Schweiz Lachgas (N2O): 7% Emissionen weltweit inklusive Entwaldung HFKW, PFKW, SF6: 2% HFKW, PFKW, SF6: 1% Lachgas (N2O): 15% Methan (CH4): 9% Methan (CH4): 16% Quelle: BUWAL Kohlendioxid (CO2): 83% Quelle: IPCC Kohlendioxid (CO2): 67% Immer mehr Stürme und Hochwasser: die Folgen in Jakarta (Indonesien) und Venedig Alle Bilder: Keystone UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔9 Anzahl betroffener Menschen in Millionen 80 70 60 50 40 30 Meeresspiegel Die Schätzung geht von der heutigen Besiedelung aus. Zusätzliche Schutzmassnahmen können die Anzahl der Betroffenen um rund 60 Prozent vermindern. Zu den katastrophalen Szenarien der Klimaveränderung zählt die Überflutung von kleinen Inselstaaten wie die Malediven sowie von tief gelegenen und dicht besiedelten Küstengebieten in Bangladesch oder im Nildelta. Im 20. Jahrhundert stieg der mittlere Meeresspiegel um 10 bis 20 Zentimeter. In diesem Jahrhundert wird je nach Szenario ein Anstieg zwischen 9 und 88 Zentimetern erwartet. Gründe dafür sind die wärmebedingte Ausdehnung der Ozeane und das Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden. 20 10 0 Niederlande Ägypten Nigeria Bangladesch China Indien Japan Quelle: IPCC 1996, Climate Change 1995 – Impacts, Adaptations and Mitigation of Climate Change: Scientific-technical Analysis Versicherte Schäden in Milliarden US-Dollars Wirtschaft und Gesellschaft Der Klimawandel tangiert die Landwirtschaft am unmittelbarsten. Zwar dürften die Erträge bei mässiger Erwärmung in den mittleren Breiten zunehmen. Steigen die Temperaturen jedoch stärker an, ist hier eher mit Ernteverlusten zu rechnen. In tropischen und subtropischen Regionen zeigen die Modelle vorwiegend sinkende Erträge – nicht zuletzt auf Grund der zunehmenden Wasserknappheit. Generell dürften häufigere Flut- und Hitzekatastrophen menschliche Siedlungsräume vermehrt belasten. Wetterextreme können zu Schadenereignissen führen, deren Bewältigung Länder und Völker vor völlig neue Herausforderungen stellt. 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1970 1975 1980 Naturkatastrophen 1985 1990 1995 2000 Von Menschen verursachte Katastrophen Quelle: Swiss Re Globale Temperatur (°C) CO2-Konzentration (ppm) Temperaturanstieg seit 1880 370 0,6 360 340 0,2 330 320 0 310 -0,2 300 290 -0,4 280 1880 Temperatur 350 0,4 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Quelle: IPCC 10➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche hat sich im 20. Jahrhundert um 0,6 Grad Celsius erhöht. Die vergangenen zehn Jahre waren die wärmsten überhaupt. Dabei markieren 1998 und 2002 die Wärmerekorde seit Beginn der Klimaaufzeichnungen im Jahr 1861. Gemäss IPCC ist die weltweite Erwärmung die bisher offenkundigste Auswirkung des Klimawandels. In den kommenden 100 Jahren werden die Temperaturen je nach Szenario um 1,4 bis 5,8 Grad zunehmen. Gletscherrückgang Gesundheit Die Klimaerwärmung bringt vielerorts eine stärkere Gefährdung der Gesundheit mit sich. Zu den direkten Einflüssen zählen häufigere Wetterextreme wie Hitzewellen, unter denen besonders alte und kranke Menschen zu leiden haben. Doch auch indirekte Auswirkungen wie die Verbreitung von Krankheitsträgern durch steigende Temperaturen haben gravierende Konsequenzen. So verseuchen zum Beispiel Stechmücken immer grössere Gebiete der Welt mit Malaria. Am meisten betroffen ist die arme Bevölkerung in den Entwicklungsländern. 15 1 2 3 4 10 5 6 Quelle: Universität Bern Wird es wärmer, dürfte sich das heutige Verbreitungsgebiet der Malaria weiter ausdehnen. Länge in 1 km-Einheiten 5 7 8 1500 1600 1700 1800 1900 2000 Quelle: IPCC 2001 Biodiversität Bereits heute sind Auswirkungen des Klimawandels auf Flora und Fauna feststellbar. Die Pflanzen blühen in unseren Breiten deutlich früher, aber auch die Zugvögel treffen früher bei uns ein und haben ihre Brutzeit vorverlegt. Das Verbreitungsgebiet verschiedenster Pflanzen- und Tierarten wird sich weiterhin polwärts und in die Höhe verschieben, und die Artenzusammensetzung verändert sich. Gewisse gefährdete Arten, deren Lebensraum bereits stark eingeschränkt ist, werden einer weiteren Belastung ausgesetzt. Dadurch nimmt die Gefahr ihres Aussterbens zu. heute +2,5°C +4°C Quelle: BUWAL Umwelt Schweiz 2002 Das Verbreitungsgebiet verschiedenster Pflanzen- und Tierarten wird sich polwärts verschieben. 1 Nigardsbreen Norwegen 2 Leurufjardarjokull Island, 3 Wedgemount Kanada, 4 Grindelwald Schweiz, 5 Hintereisferner Österreich, 6 Rhonegletscher Schweiz, 7 Pared Sur Chile, 8 Franz-Josef-Gletscher Neuseeland Gletscher und Schneedecke Das Hochgebirge reagiert besonders sensibel auf die Klimaerwärmung. So haben die Gletscher in den Alpen allein zwischen dem letzten Höchststand um 1850 und 1970 einen Drittel ihrer Fläche und mehr als die Hälfte ihrer Masse verloren. Im IPCCBericht ist vom «umfassenden Rückzug der nicht-polaren Gletscher» im 20. Jahrhundert die Rede. Aber auch die mit Schnee bedeckte Fläche hat seit 1960 um etwa 10 Prozent abgenommen. Künftig werden sich die Gletscher noch stärker zurückziehen und zum Teil ganz verschwinden. Auch die Schneebedeckung wird weiter abnehmen. UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔11 NATURGEFAHREN Wenns warm wird in den Bergen Im Alpenraum schmelzen die Gletscher weg, und das wärmere Klima bringt mehr Stürme, Starkniederschläge, Hochwasser und Erdrutsche. Zwar hat die Bergbevölkerung Erfahrung im Umgang mit Naturgefahren, doch die neuen klimabedingten Risiken beunruhigen auch routinierte Fachleute. Auf dem Blatt «Innertkirchen» der Schweizer Landeskarte im Massstab 1:25 000 von 1995 ist kein Triftsee zu finden. Der Talkessel im Zungenbereich des Triftgletschers – hoch über Gadmen im westlichen Berner Oberland – war damals noch mit Eis gefüllt. Beim Felsriegel der Windegg und Drosiegg stand der Gletscher an und streckte bloss die Zungenspitze ein paar Meter in die Schlucht, durch die sein Bach ausfliesst. Doch jetzt liegt das Eisniveau dreissig Meter tiefer, und der Gletscher mündet in einen kleinen See. Nur wenige Alpengletscher schrumpfen gegenwärtig so rasant wie der Triftgletscher. An Länge hat er bis vor kurzem zwar nur wenig eingebüsst, denn zuerst sind die aufgestauten Eismassen abgeschmolzen. Doch seit der Kontakt mit dem Felsriegel abgerissen ist, beschleunigt sich der Rückzug. Im Messjahr 2000/2001 betrug er 250 Meter. Nun schwimmen Eisbrocken im grünlich milchigen Wasser – eine landschaftliche Idylle für jeden Bergwanderer. Gefahren eines Eisabbruchs Im Dorf Gadmen – einige hundert Meter weiter unten im Tal – sieht man dies etwas anders. Hier trifft sich eine Delegation des Gemeinderates mit Fachleuten für Naturgefahren. Die Gemeindepräsidentin Barbara Kehrli will von den Experten wissen, ob beim Triftsee eine akute Auslaufgefahr bestehe. Im Moment nicht, beruhigt sie der ETH-Glaziologe Martin Funk. Doch der 12➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL See wachse rasch, und in drei bis fünf Jahren könnte sich der Gletscher aus dem Geländekessel zurückgezogen haben. Die Wasserfläche wird dann nahe an die gut 600 Meter hohe Talflanke reichen, über die sich das Eis aus dem grossen Einzugsgebiet zwischen Tierberg und Tieralplistock ergiesst. Dann könnte ein Eisabbruch aus der steilen Gletscherzunge in den See stürzen und eine Flutwelle auslösen, die schlimmstenfalls bis in den unteren Teil des Gadmentals schwappen würde. Gefahrenkarten verhüten Schäden Welche Gebiete davon betroffen wären, wird die vom Geologen Hans-Rudolf Keusen gegenwärtig erarbeitete Gefahrenkarte zeigen. Der Bund verpflichtet die Kantone, solche Gefahrenkarten zu erstellen, und übernimmt bis zu 70 Prozent der Kosten. Die ermittelten Naturgefahren sind bei allen raumwirksamen Tätigkeiten angemessen zu berücksichtigen – dies gilt insbesondere für die Richt- und Nutzungsplanung. Gefährdete Zonen sind je nach Gefahrensituation rot, blau oder gelb markiert, wobei im roten Bereich ein absolutes Bauverbot gilt. Weisse Gebiete, in denen keine Naturgefahren drohen, wird man auf der Karte von Gadmen bloss auf kleiner Fläche finden. Das Dorf unter dem schützenden Blattenwald liegt eingeklemmt zwischen zwei Lawinenzügen. Im schneereichen Februar 1999 war es drei Wochen lang abgeschnitten, und einzelne Wohnhäuser mussten damals evakuiert werden. Ein Teil der Gemeindefläche ist zudem durch Steinschlag gefährdet. Jetzt kommen neue Risiken aus dem Triftsee hinzu. Auch der Permafrost taut auf Aber nicht nur durch das Schmelzen der Alpengletscher entstehen neue Naturgefahren. Wie das Gletschereis verflüssigt sich auch das gefrorene Wasser, welches im Untergrund loses Gestein zusammenhält. In den letzten hundert Jahren ist die Untergrenze der so genannten Permafrostböden um 150 bis 250 Meter angestiegen. Damit nimmt das Risiko zu, dass zuvor stabile Hänge und Felspartien ins Rutschen geraten. Fortsetzung S. 14 Schweiz ohne Gletscher Der Rückzug der Alpengletscher setzte schon nach ihrem nacheiszeitlichen Maximum in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Bis 1970 waren bereits ein Drittel der gesamten Eisfläche und das halbe Volumen abgeschmolzen. Danach beschleunigte sich die Entwicklung, sodass die Schweizer Gletscher in den letzten dreissig Jahren mindestens einen weiteren Viertel ihrer Eismasse einbüssten. Bei anhaltendem Trend werden im Lauf dieses Jahrhunderts 50 bis 90 Prozent der Alpengletscher völlig verschwinden. Schweizer Gletscher, Längenänderungen 1999/2000 wachsend stationär schwindend nicht klassiert Quelle: «Alpen» 10/2001 1 Grosser Aletsch 2 Fiescher 3 Gorner 4 Corbassière 5 Unterer Grindelwald 6 Otemma 23,3 km 15,1 km 12,9 km 10,2 km 8,3 km 8 km 7 Rhone 8 Findelen 9 Morteratsch 10 Gauli 11 Trift Quelle: Jahresbericht der Glaziologischen Komission 2000 7,9 km 7,7 km 6,7 km 6,3 km 5,7 km J. Helbing Einige der längsten Gletscher der Schweiz Dramatische Schwindsucht in den Alpen: Das Eis des Triftgletschers löst sich im natürlich gestauten Schmelzwasser auf (oben). Das Berninamassiv steht noch, doch der Morteratschgletscher hat sich zwischen 1911 (links unten) und 2001 stark zurückgezogen. Gesellschaft für ökologische Forschung, München UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔13 Ereigniskataster «StorMe» Keystone Wer Gefahrenkarten erarbeitet oder Schutzbauten plant, muss sich auf Erfahrungswerte abstützen können – auch wenn bezüglich Naturgefahren im Alpenraum künftig wohl vieles anders sein wird. Mit dem Projekt «StorMe» stellt der Bund den Kantonen eine Datenbank über historische und aktuelle Naturereignisse auf Internetbasis zur Verfügung. Naturphänomene mit Gefahrenpotenzial – wie Lawinen, Felsstürze, Rutschungen, Murgänge und Überschwemmungen – können hier mit einem Standard-Formular erfasst und auf diese Weise allen Interessierten zugänglich gemacht werden. Kontakt: [email protected] Lawinenniedergang in Vals 1951 Fortsetzung von S. 12 Zudem können nach Starkregen vermehrt Murgänge anreissen. Rutschungen und Murgänge im Bereich des auftauenden Permafrosts spielen sich allerdings in Höhenlagen um 2700 Meter ab. Weit abseits von besiedeltem Gebiet dürften diese Naturvorgänge deshalb in der Regel nur wenig Schäden anrichten. Mehr Hochwasser im Winter Weit bedrohlicher ist ein anderer Aspekt des Klimawandels: Wie globale Modelle zeigen, kann die Atmosphäre bei einer Erwärmung um 1 Grad Celsius [ NATURGEFAHREN SIND BEI DER RICHT- UND NUTZUNGSPLANUNG ANGEMESSEN ZU BERÜCKSICHTIGEN 7 Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Laut den Klimaexperten des IPCC haben die Niederschläge auf der Nordhalbkugel im 20. Jahrhundert dadurch wohl bereits um 5 bis 10 Prozent zugenommen. Es gibt aber nicht mehr Regentage, sondern das Wasser fällt in Form von häufigeren Starkregen vom Himmel. Modellrechnungen für Europa zeigen bei einem weiteren Temperaturanstieg um zwei Grad eine Zunahme Saisonale Klimaprognosen Das Wettergeschehen in Mitteleuropa ist geprägt von sehr weiträumigen und über längere Zeit wirksamen Klimamechanismen, die periodischen Schwankungen unterliegen – ähnlich dem El Niño-Phänomen im Pazifik. Mit dem Forschungsprojekt «Saisonale Vorhersagen – Verständnis der Klimamechanismen» des nationalen Schwerpunkts Klima möchten verschiedene Wissenschafter diesen klimatischen Prozessen auf den Grund gehen. Ziel ihrer Arbeit mit einer Reihe von computergestützten globalen und regionalen Klimamodellen sind saisonale Klimaprognosen. Obwohl auf lange Sicht keine detaillierten Wetterprognosen möglich sind, dürfte es dennoch nützlich sein, aussergewöhnliche Klimaphänomene wie etwa zu trockene Sommer oder Perioden mit Starkniederschlägen frühzeitig mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen zu können. Von solchen Informationen profitieren beispielsweise die Stromwirtschaft, der Hochwasserschutz, die öffentlichen Wasserversorgungen, die Schifffahrt, Tourismusanbieter oder die Landwirtschaft. www.nccr-climate.unibe.ch 14➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ] der Starkniederschläge um 20 bis 40 Prozent. Dies führt vor allem dort zu Problemen, wo feinkörnige Böden im steilen Gelände das Wasser nur langsam versickern lassen. In der Schweiz sind schätzungsweise 7 Prozent der Gesamtfläche von Hanginstabilitäten betroffen. Hier können Starkregen vermehrt Murgänge und Rutschungen auslösen – wie etwa im November 2002 mancherorts im Bündnerland. «Winterhochwasser werden voraussichtlich zunehmen», erklärt Peter Greminger, Leiter des Bereichs Schutzwald und Naturgefahren beim BUWAL: «In den Hochalpen ist andererseits mehr Schnee zu erwarten, womit sich das Überschwemmungsrisiko bei einem Zusammentreffen von Schneeschmelze und Starkregen auch im Frühling erhöhen dürfte – so wie zuletzt im Mai 1999.» Damals waren unter anderem Thun, das Mattequartier in Bern und grosse Gebiete am Bodensee überflutet. Das Erfahrungswissen reicht nicht mehr Zumindest im stärker betroffenen Alpenraum verfügen viele Gemeinden über eine jahrhundertelange Erfahrung Keystone Das Walliser Dorf Baltschieder im Rhonetal nach dem Murgang vom Oktober 2000: Die gesamte Bevölkerung musste evakuiert werden. Auf Grund vermehrter Starkniederschläge ist künftig häufiger mit solchen Katastrophen zu rechnen. www.cenat.ch www.wsl.ch www.naturgefahren.ch im Umgang mit Naturgefahren. Hier gilt die Erkenntnis, dass jederzeit wieder passieren kann, was schon früher geschehen ist. Schutzmassnahmen wie das Sperren von Verkehrswegen, Evakuierungen der Bevölkerung, lokale Nutzungsverbote oder Schutzbauten orientieren sich häufig an vergangenen Ereignissen. Tradiertes Wissen, langjährige Statistiken, Dorfchroniken sowie stumme Zeugen in der Landschaft geben recht gut Auskunft über Wetterund Klimaextreme sowie Naturkatastrophen in den letzten tausend Jahren. Dieser Erfahrungsschatz ist nach wie vor wichtig für die Schadenprävention, doch er dürfte schon bald nicht mehr ausreichen. «Das Klima eilt der Geschichte davon, die Verhältnisse entfernen sich immer weiter von der historischen Normalität», stellt Peter Greminger fest. «Um gefährdete Gebiete zu erkennen und Schutzvorkehrungen zu planen, werden wir deshalb stärker auch auf Modellrechnungen und Computersimulationen angewiesen sein.» Weil höhere Temperaturen in der LINKS Atmosphäre für mehr Turbulenzen sorgen, dürften vor allem winterliche Stürme in Zukunft häufiger auftreten. Der Orkan Lothar, welcher am 26. Dezember 1999 über Westeuropa fegte und auch in der Schweiz ganze Wäl- der umlegte, kann durchaus ein natürliches Ausnahmeereignis gewesen sein. Doch er passt in den klimatischen Trend. So hat die Zyklonaktivität über dem Nordatlantik, mit der Sturmereignisse in Mitteleuropa zusammenhängen, in den letzten 20 Jahren ebenfalls zugenommen. das der Wissenschafter im Auftrag des BUWAL durchführt. Es soll Akteuren in Politik und Wirtschaft die Bandbreite an geeigneten Möglichkeiten aufzeigen, damit sie bei ihren Entscheiden das Vorsorgeprinzip im Hinblick auf künftige Naturgefahren konsequent berücksichtigen können. Künftige Extremereignisse simulieren Mit Szenarien künftiger Extremereignisse befasst sich Professor Martin Beniston vom Geographischen Institut der Universität Freiburg i.Ü. Er simuliert die klimatische Zukunft im Alpenraum mit Hilfe eines regionalen Klimamodells an einem Supercomputer. Natürlich können diese Modelle das Wetter im übernächsten Jahrzehnt nicht voraussagen. Möglich sind aber Prognosen zur Wahrscheinlichkeit. Müssen wir uns auf häufigere Stürme gefasst machen? Welche Gebiete könnten hauptsächlich betroffen sein? Welche Sturmstärken sind zu erwarten? Antworten auf solche Fragen seien für Entscheidungsträger aller Art sehr hilfreich, meint Martin Beniston. Denn angesichts der Unsicherheiten über die regionale Klimaentwicklung und neue Gefahrensituationen müsse man möglichst nach dem Vorsorgeprinzip handeln. In diese Richtung zielt ein Projekt, ■ Hansjakob Baumgartner LESETIPP OcCC: Das Klima ändert – auch in der Schweiz. Die wichtigsten Ergebnisse des dritten Wissensstandsberichts des IPCC aus der Sicht der Schweiz. 2002. www.proclim.ch/IPCC2001.html INFOS Peter Greminger Bereichsleiter Schutzwald und Naturgefahren, BUWAL Tel. 031 324 78 61 Fax 031 324 78 66 [email protected] Simon Burren StoreMe-Manager Bereich Schutzwald und Naturgefahren, BUWAL Tel. 031 324 86 40 [email protected] UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔15 SCHNEEARME WINTER Der Wintersport wird zum Nischenangebot Wie überleben Schweizer Wintersportorte in tieferen Lagen, wenn der Schnee ausbleibt? UMWELT sprach mit Matthias Kurt, dem Marketingleiter der Bergbahnen Lenk-Betelberg, über die Perspektiven seines Dorfes in einer wärmeren Zukunft. Matthias Kurt, Marketingleiter der Bergbahnen Lenk-Betelberg im Berner Oberland UMWELT: Der höchste Lift der Bergbahnen Lenk-Betelberg im Berner Oberland führt auf das Leiterli, auf genau 2000 Meter über Meer. Bis dort hinauf könnte in den nächsten 50 Jahren die Schneesicherheitsgrenze ansteigen. Hat man sich bei der Bahngesellschaft über solche Entwicklungen schon Gedanken gemacht? Matthias Kurt: Nein, bisher nicht. 50 Jahre sind ja auch eine lange Zeit. Aber der Klimawandel beschäftigt uns natürlich schon. Der Trend zu milden Wintern ist spürbar und zwingt uns bereits heute zum Handeln. Und was tut Ihr? Kurzfristig setzen wir auf künstliche Beschneiung. Wir haben in den letzten Jahren 2,5 Millionen Franken in Beschneiungsanlagen investiert und setzen in diesem Sommer nochmals 1 Million ein. Dann können wir einzelne Pisten vollständig beschneien. Die Anlage wird in 15 Jahren abgeschrieben. Bis dann werden die Temperaturbedingungen für deren Betrieb sicher noch stimmen. Danach werden wir weiter sehen. Aber gerade attraktiv ist das Skifahren auf ein paar weissen Pistenstrassen in einer aperen Landschaft auch nicht. Ski- und Snowboardfans werden weiter- 16➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL hin kommen. Natürlich werden es viel weniger sein als heute, doch der alpine Wintersport verliert als Volkssport ohnehin an Bedeutung. Schon allein deshalb müssen wir uns etwas einfallen lassen. Wo sehen Sie die Chancen der Lenk jenseits des Wintersports? Im vergangenen Dezember ist der «Lenkerhof», der nach einer Pleite zweieinhalb Jahre leer stand, als 5-Stern-Hotel mit 140 Betten neu eröffnet worden. Er bietet Wellness an – am selben Ort, wo schon im 17. Jahrhundert ein Bäderhotel stand. Die Nische «Gesundheit» ist ausbaufähig: Bergluft ist gesund – zu jeder Jahreszeit. [ kann. Mit dem Blumenpfad, dem LuchsTrail und dem Murmeltier-Trail auf dem Betelberg gehen wir jetzt schon in diese Richtung. Lenk ist Entschleunigung. Bereits heute sind viele Gäste über die Festtage Erholungsgäste: Sie wollen eine ruhige Zeit in den Bergen verbringen und müssen nicht unbedingt Ski fahren. Diese Form von Tourismus bringt zwar nicht mehr so viel Umsatz wie der Skitourismus, sichert aber auf lange Sicht Einkommen und Arbeitsplätze. Lenk im Jahr 2030: Was fällt Ihnen dazu ein? Ein Bergdorf in einer nach wie vor prächtigen Landschaft. Die Bevölkerung wird immer noch vom Tourismus leben, DER TREND ZU MILDEN WINTERN IST SPÜRBAR UND ZWINGT UNS BEREITS HEUTE ZUM HANDELN Der Talabschluss nördlich der Lenk ist einer der schönsten im Alpenraum. Lenk bietet Blumenpracht, Alpentierwelt und eine Moorlandschaft von nationaler Bedeutung. Wir können diese Ressourcen besser nutzen, indem wir beispielsweise geführte Wanderungen anbieten, an denen der Gast die Naturund Kulturlandschaft intensiver erleben ] wenn auch auf schmalerer Basis. Sehen Sie, um 1970 zählte die Gemeinde 1300 Einwohner. Dank dem Wintersport wurden es bis heute 2500. In dreissig Jahren werden es vielleicht wieder bloss 2000 sein – aber Lenk im Simmental wird ein lebendiges Dorf bleiben. Alpinen Wintersport wird es noch geben, aber bloss als Nische. Kurze Hosen statt gut isolierende Skianzüge: In der Lenk könnte der Sommertourismus ... Gefährdete Skitradition Lenk im Berner Oberland liegt 1068 Meter über Meer und ist ein Bergdorf mit langjähriger Skitradition. Schon 1937 nahm der erste Lift seinen Betrieb auf. Tausende von Schulklassen haben hier ihre Skilager verbracht. Nahezu die ganze Bevölkerung lebt direkt oder indirekt vom Tourismus. Auswärtige Arbeitsplätze in vernünftigen Pendlerdistanzen gibt es kaum. Wie in der Lenk sind vor allem in den Voralpen sowie im Jura zahlreiche Skiregionen gefährdet, wenn das Klima wärmer wird. stark gefährdete Skiregionen gefährdete Skiregionen Quelle: BUWAL 1994 und Messerli 1990 ... den Wintertourismus bald ablösen. Oben: AURA; unten: Keystone und AURA UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔17 Winter im Engadin: Statt vom Himmel kommt der Schnee immer häufiger aus der Kanone oder vom Lastwagen. Abschied vom Winter Blühende Primeln in den Gärten des Unterlandes, grüne Weihnachten auch in den Bergdörfern, apere Skipisten, Skilifts ausser Betrieb und nach Neujahr ein Wärmesturm: Über die Festtage des Winters 2002/2003 spielte das Wetter wieder einmal verrückt. Doch in einigen Jahrzehnten ist dies womöglich der Normalfall. Die wahrscheinlichsten Klimaszenarien für den Alpenraum sehen sehr milde Winter mit Regen statt Schnee bis in höhere Lagen voraus. www.proclim.ch/Press/PDF/ClimatePress15D.pdf Höher hinauf und Kunstschnee Durch Flucht in die Höhe versuchen einige Skiorte, den alpinen Wintersport in eine wärmere Zukunft zu retten. Zum BeiLINK spiel auf der Lauchernalp im Lötschental VS, wo im kommenden Winter die Bahn auf den 3111 Meter hohen Hockenhorngrat den Betrieb aufnehmen wird. Doch das Rezept taugt nur für die wenigen Gebiete, wo überhaupt erschliessbare Hänge in solchen Höhenlagen zur Verfügung stehen. Anderswo setzt man auf Kunstschnee. Der Verband der Schweizer Seilbahnunternehmungen ortet hier Nachholbedarf. Im Wettrüsten mit Schneekanonen liegt die Schweiz gegenüber den Österreichern klar im Rückstand. Dort werden 30 Prozent der Pistenfläche künstlich beschneit, bei uns sind es 9 Prozent. Doch Schneekanonen schiessen nur bei Minustemperaturen. Viele Skigebiete sind deshalb langfristig wohl zu warm für Kunstschnee. AURA Skisport nur noch im Wallis und in Graubünden? Noch gelten 85 Prozent der hiesigen Skigebiete als schneesicher, was nicht heisst, «Pulver gut» sei garantiert. Skilager, während deren es kaum für eine ordentliche Schneeballschlacht reichte, haben auch ältere Leute in Erinnerung. «Schneesicher» ist ein betriebswirtschaftlich definiertes Attribut: Es gilt für Wintersportorte, auf deren Pisten in mindestens sieben von zehn Wintern während 100 Tagen eine minimale Schneedecke von 30 bis 50 Zentimetern liegt. Unter solchen Bedingungen lassen sich Bergbahnen und Skilifte rentabel betreiben. Heute liegt die Schneesicherheitsgrenze auf 1200 Metern. Bei der erwarteten Temperaturentwicklung in Mitteleuropa dürfte sie in den nächsten 30 bis 50 Jahren auf 1600 bis 2000 Meter ansteigen. Mehr als ein Drittel unserer Skigebiete befinden sich unterhalb von 1500 Metern. In Höhenlagen ab 1800 Metern verbleiben noch 44 Prozent, und diese Gebiete befinden sich praktisch alle in den Kantonen Wallis und Graubünden. LESETIPP Wintertourismus: Können die Folgen der Klimaerwärmung mit Investitionen kompensiert werden? Climate-Press Nr. 15, Januar 2003; Bezug: ProClim, Bärenplatz 2, 3011 Bern, Tel. 031 328 23 23 INFOS zu den Beiträgen auf den Seiten 16 bis 21 Markus Nauser, Sektion Ökonomie und Klima, BUWAL Tel. 031 324 42 80 Fax 031 323 03 67 ■ Hansjakob Baumgartner 18➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL [email protected] KLIMAPOLITIK Vereint gegen den Klimakollaps Die Fäden der Schweizer Klimapolitik laufen beim BUWAL zusammen. Doch nicht nur das federführende Amt, sondern auch weitere Bundesstellen setzen in ihren Fachgebieten die Ziele der Klimakonvention um. Weil der Klimaschutz eine Vielzahl von öffentlichen Aufgaben betrifft, ziehen verschiedene Bundesämter am gleichen Strick. Als verantwortliches Amt für die Schweizer Klimapolitik erstellt das BUWAL unter anderem ein Inventar der Treibhausgase und erarbeitet Entscheidungsgrundlagen für Massnahmen zur Emissionsreduktion. Die Anstrengungen zur Verminderung der klimaschädigenden Gase betreffen heute fast alle Lebensbereiche und gehen zudem weit über die Landesgrenzen hinaus. Deshalb sind sowohl die Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik als auch die internationale Zusammenarbeit für die klimapolitischen Ziele der Schweiz von erheblicher Bedeutung. www.klima-schweiz.ch Klimaschutz ist ein Teil der nachhaltigen Entwicklung «Eine moderne Auffassung der Umweltpolitik betrachtet den Klimaschutz nicht isoliert, sondern versteht ihn als Teil einer umfassenden Strategie, in der ökonomische, ökologische und soziale Anliegen den gleichen Stellenwert haben», stellt José Romero fest, der beim BUWAL die internationalen Kontakte zur Klimakonvention betreut. Mit diesem Grundsatz reiht sich die schweizerische Klimapolitik nahtlos ins Konzept der nachhaltigen Entwicklung LINK ein, wie sie 1992 am Erdgipfel in Rio definiert worden ist. Auch die vom Bundesrat verabschiedete «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2002» ist breit angelegt. Hier wurden zehn Handlungsfelder mit insgesamt 22 Massnahmen beschlossen. Sie reichen von Anreizen zur Ressourcenschonung über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie bis hin zur konsequenten Weiterentwicklung der bisherigen Energie- und Klimapolitik. BUWAL: Kernaktivitäten CO2-Gesetz: Das BUWAL kümmert sich um die Umsetzung des CO2-Gesetzes als wichtigstes Instrument der Schweizer Klimapolitik. Dieses erfasst nahezu 80 Prozent der inländischen Treibhausgasemissionen. Um diese zu reduzieren, vertraut das BUWAL auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft (s. S. 22). Stoffverordnung: Das Amt vermindert mit einer Revision der Stoffverordnung den Ausstoss von synthetischen Treibhausgasen. Auf Grund ihres hohen Erwärmungspotenzials stellen diese Substanzen eine neue Bedrohung für das Klima dar (s. S. 30). Technologieförderung: Das BUWAL setzt jährlich rund 3 Millionen Franken zur Förderung von innovativen Umwelttechnologien ein. Die Mittel kommen der Entwicklung von neuen Anlagen und Verfahren zugute, welche die Umweltbelastung reduzieren und die Ökoeffizienz der Schweizer Wirtschaft verbessern. Der sparsamere Einsatz von Erdölprodukten und anderen Ressourcen entlastet auch das Klima (s. S. 32). Wald und Holz: Als wichtigen Beitrag zum Klimaschutz setzt das BUWAL seine Politik der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und Holzabsatzförderung um. Bäume entziehen der Atmosphäre während des Wachstums Kohlendioxid, und der Einsatz von Holz als Rohstoff und Energieträger hilft Emissionen vermeiden (s. S. 34). International: Ebenso bedeutsam wie die Politik im Inland ist die internationale Zusammenarbeit bei der Umsetzung von klimarelevanten Strategien und Massnahmen. Das BUWAL vertritt die Schweiz deshalb in multilateralen Umweltorganisationen und Abkommen wie dem UNO-Umweltprogramm UNEP, der Klimakonvention und dem Globalen Umweltfonds GEF. Der GEF fördert Projekte mit globalem Umweltbezug und ist heute das wichtigste Finanzierungsinstrument für den Umweltbereich. BUWAL-Direktor Philippe Roch vertritt im GEF-Rat nicht nur die Schweiz, sondern auch die Interessen der so genannten «Helvetistan»-Gruppe. Dazu gehören die zentralasiatischen Länder Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. www.umwelt-schweiz.ch ■ Vera Bueller UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔19 Bundesamt für Energie BFE: Bundesamt für Verkehr BAV: Bundesamt für Strassen Mit «EnergieSchweiz» auf Klimakurs NEAT – von der Strasse auf die Bahn ASTRA: Rund 80 Prozent der Treibhausgasemissionen im Inland stammen aus dem Verbrauch fossiler Energieträger. Einsparungen im Energiebereich bedeuten deshalb meistens auch Fortschritte in der Klimapolitik. Der Bund hat 2001 das Programm «EnergieSchweiz» lanciert. Mit einem Jahresbudget von 55 Millionen Franken unterstützt es Anstrengungen von Wirtschaft, Kantonen und Gemeinden, die zu einer sparsamen Energieverwendung und zur Nutzung von erneuerbaren Energien beitragen. Der Bevölkerung bietet es Informationen für den energiebewussten Konsum. Bis zum Jahr 2010 sollen der Verbrauch fossiler Energien und die energiebedingten CO2-Emissionen mit «EnergieSchweiz» um 10 Prozent gesenkt werden. Das Programm ist somit ein zentrales Instrument, um die Ziele des CO2Gesetzes zu erreichen. www.energie-schweiz.ch Laut Prognosen wird der motorisierte Strassenverkehr in naher Zukunft kontinuierlich weiter wachsen. Dieser verursacht bei steigender Tendenz heute bereits etwa 35 Prozent der CO2-Emissionen im Inland. Um den ÖV zu stärken und möglichst viel alpenquerenden Güterschwerverkehr von der Strasse auf die Bahn zu verlagern, muss die Schieneninfrastruktur modernisiert und ausgebaut werden. Ein zentrales Element dieses Ausbaus ist die NEAT. Neue Basistunnel am Gotthard, Ceneri, Zimmerberg, Hirzel und Lötschberg mit Ausbauten auf den Zufahrtsstrecken bringen dem Personen- und Güterverkehr kürzere, schnellere und leistungsfähigere NordSüd-Verbindungen. Und mit jeder vermiedenen Lastwagenfahrt zwischen Basel und Chiasso gehen 230 kg CO2 weniger in die Luft. www.bav.admin.ch Das BFE fördert Häuser mit geringem Energieverbrauch, die auch das Klima weniger belasten. Die NEAT soll den alpenquerenden Güterverkehr auf die klimaverträgliche Schiene umlagern. Bahn frei für eine umweltgerechte Mobilität ohne CO2-Ausstoss. AURA BUWAL/AURA AURA 20➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Langsamverkehr – aus eigener Kraft mobil Langsamverkehr steht für den nichtmotorisierten Verkehr zu Fuss und mit dem Velo sowie für andere ausschliesslich muskelbetriebene Fortbewegungsarten. Mit 50 Millionen Franken will der Bund in einem ersten Schritt die Voraussetzungen für diese emissionsfreien Mobilitätsformen verbessern. Das «Leitbild zur Förderung des Langsamverkehrs» enthält eine breite Palette von Massnahmen zur Schaffung attraktiver, sicherer und zusammenhängender Wegnetze. Vorgesehen sind auch Nebenanlagen wie Veloparkplätze, Gepäckaufbewahrungsstellen usw. Auf diese Weise soll sich der Langsamverkehr neben dem ÖV und dem motorisierten Individualverkehr zum gleichberechtigten dritten Pfeiler einer modernen Verkehrspolitik entwickeln. Gesundheit, Luftqualität und Klima profitieren davon gleichermassen. www.astra.admin.ch Bundesamt für Landwirtschaft Staatssekretariat Direktion für Entwicklung und BLW: für Wirtschaft seco: Zusammenarbeit DEZA: Klimaverträgliche Landwirtschaft Wissen weiter geben Hilfe zur Selbsthilfe Für den Transfer von umweltfreundlichen Technologien in Entwicklungsund Schwellenländer fördert das Staatssekretariat für Wirtschaft seco den lokalen Aufbau von Zentren für eine saubere Produktion. Als Dienstleistungsanbieter beraten die so genannten NCPC kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) vor Ort in allen Fragen der Ökoeffizienz. Der optimierte Einsatz von Rohstoffen, Energie und Wasser hilft Produktionskosten einzusparen und reduziert gleichzeitig die umwelt- und klimaschädigenden Emissionen. In Zukunft will man die Aktivitäten der NCPC vermehrt auch auf soziale Aspekte ausweiten – insbesondere auf die Arbeitsnormen. Damit sollen sich diese zu Zentren für eine nachhaltige Produktion entwickeln. Seit 1998 hat das seco den Aufbau von solchen Projekten in Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien unterstützt. www.seco-admin.ch Die globale Klimapolitik wird nur Erfolg haben, wenn auch die Entwicklungsländer ihre Politik auf mehr Nachhaltigkeit ausrichten. Das tun sie aber nur, wenn sie sich in ihren Bemühungen nicht allein gelassen fühlen. Hier knüpft die DEZA mit ihrem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe an. So hat sie 2001 und 2002 je einen Finanzierungsbeitrag von 230 000 US-Dollar an eine Spezialeinheit des UN-Entwicklungsprogramms UNDP geleistet. Dieses unterstützt ärmere Länder beim Erarbeiten einer eigenen Klimapolitik. Entwickelt wurde überdies eine Anleitung zur Abschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Klimaveränderung auf ein Land. Damit lässt sich der Bedarf für Schutz- und Anpassungsmassnahmen besser beurteilen. www.deza.ch Die angestrebte Reduktion der Nutztierzahlen senkt den Ausstoss von Methan und Lachgas. Stofffärberei in Kolumbien: Massnahmen für eine saubere Produktion helfen auch dem Klima. Von der DEZA unterstützter Technologietransfer: sparsamer Antrieb für Auto-Rikschas in Indien. AURA Monika Flückiger HTA Biel Mit dem Programm «Agrarpolitik 2002» läuft in der Schweizer Landwirtschaft seit den 90er-Jahren eine umfassende Reform. Einerseits will man damit die Wettbewerbsfähigkeit stärken und zum andern nachgewiesene ökologische Leistungen mit Direktzahlungen fördern. Dies wirkt sich auch positiv auf das Klima aus, denn eine umweltverträglichere Düngung, die Anpassung der Tierzahlen an die Nutzfläche, mehr ökologische Ausgleichsflächen sowie eine sorgfältige Bodenbewirtschaftung reduzieren die aus der Landwirtschaft stammenden klimaschädigenden Substanzen Methan und Lachgas. Für den Klimaschutz ist dies nicht unbedeutend, liegt doch der Anteil der Landwirtschaft am inländischen Treibhausgas-Ausstoss bei fast 12 Prozent. www.blw.admin.ch UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔21 CO2-GESETZ Die Wirtschaft sucht Freiwillige Die Schweiz muss ihren Ausstoss an Kohlendioxid bis 2010 um 10 Prozent senken. Dazu setzt der Bund vor allem auf freiwillige Massnahmen. Das CO2-Gesetz bietet der Wirtschaft entsprechend grosse Handlungsspielräume. Zahlreiche Unternehmen und Branchenverbände arbeiten gegenwärtig an Projekten zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen. In Wädenswil am Zürichsee werden Pflanzen aus der ganzen Welt verarbeitet. Die gut 120 Angestellten der Emil Flachsmann AG produzieren hier aus Blättern, Rinden, Wurzeln und Früchten natürliche Aromen und Extrakte für die Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie. Dabei fallen täglich mehrere Tonnen an festen Pflanzenabfällen und 50 bis 200 Kubikmeter Abwasser an. Statt diese Rückstände wie früher teuer zu entsorgen, hat die Firma 1998 eine eigene Klär- und Biogasanlage in Betrieb genommen. Hier werden die Grünabfälle in einem kombinierten Verfahren vergoren und liefern die Antriebsenergie für zwei Gasmotoren, welche wiederum je einen Generator antreiben. Der so gewonnene Ökostrom deckt einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs, und mit der Abwärme lassen sich erst noch die Firmengebäude beheizen. Dank dieser innovativen Anlage spart der Betrieb nicht nur Abwassergebühren und Entsorgungskosten, sondern zusätzlich über 100 000 Liter Heizöl pro Jahr. Damit entlastet der innovative Biogasreaktor auch das Klima und die CO2-Bilanz der Schweiz. Freiwilligkeit vor staatlichem Eingriff Die Emil Flachsmann AG ist Mitglied der Grossverbraucher-Gruppe Zürichsee. Unterstützt durch Bund und Kanton haben sich bereits in den 90erJahren mehrere Unternehmen in der Region organisiert, um durch den Aus- tausch von technischem Know-how und betrieblichen Erfahrungen ihre Energieeffizienz zu verbessern. Jede Firma verfügt über spezifische Kompetenzen, welche sie in diesen Lernprozess einbringen kann. In ihrem Kernanliegen wird die Gruppe inzwischen von der 1999 gegründeten Energie-Agentur der Wirtschaft EnAW unterstützt. «Wir wollen den Tatbeweis erbringen, dass freiwillige Massnahmen der Wirtschaft zur Senkung des CO2-Ausstosses Erfolg versprechen», erklärt EnAW-Geschäftsleiter Max Zürcher. Dazu schliesst die Agentur mit verschiedenen Gruppen von Unternehmen Zielvereinbarungen ab. Darin verpflichten sich die Betriebe, ihre Möglichkeiten zur CO2-Reduktion in einem gemeinsamen – von der EnAW begleiteten – Prozess voll auszuschöpfen. differenziert steuern kann», erklärt Andrea Burkhardt von der Sektion Ökonomie und Klima beim BUWAL. «Greifen die freiwilligen Anstrengungen im einen Teilbereich besser als im andern, können somit unterschiedlich hohe Abgabesätze zur Anwendung kommen.» Angerechnet werden sämtliche Massnahmen, die den energiebedingten CO2-Ausstoss wirksam vermindern – also auch solche aus anderen Politikbereichen. Dazu zählen etwa die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA, welche den Güterverkehr verstärkt auf die Schiene verlagern soll, oder das Aktionsprogramm EnergieSchweiz des Bundesamtes für Energie BFE zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Förderung von erneuerbaren Energien. 10 Prozent weniger CO2 bis 2010 Das seit 1. Mai 2000 gültige CO2-Gesetz erfasst annähernd 80 % der schweizerischen Treibhausgas-Emissionen, die im Kyoto-Protokoll geregelt sind. Für Kohlendioxid aus dem Verbrauch fossiler Energie ist ein rechtlich verbindliches Reduktionsziel von minus 10 % bis 2010 gegenüber dem Ausgangsjahr 1990 verankert. Dabei müssen die Emissionen aus Brennstoffen auf Grund separater Teilziele um 15 % und jene aus Treibstoffen um 8 % abnehmen. «Diese Aufgliederung hat den Vorteil, dass der Bundesrat ungleiche Entwicklungen Die Wirtschaft springt auf Gegenwärtig ist man von den im CO2Gesetz festgelegten Zielwerten noch relativ weit entfernt. So lag der relevante Kohlendioxid-Ausstoss im Jahr 2001 gegenüber 1990 leicht höher bei 41,4 Millionen Tonnen. Einem Rückgang bei den Brennstoffen um 0,8 Millionen Tonnen oder 3,2 % stehen zusätzliche Emissionen aus dem Treibstoffverbrauch in der Grössenordnung von gut 1,1 Millionen Tonnen CO2 oder 7,3 % gegenüber. Allerdings laufen die freiwilligen Anstrengungen erst jetzt im grossen Stil an. Bis Mitte 2003 will die Fortsetzung S. 24 22➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Die Flachsmann AG in Wädenswil ZH nutzt Pflanzen zur Gewinnung von Aromen, Extrakten, Biogas und Ökostrom. Dadurch reduziert die Firma ihren CO2-Ausstoss. 1 TJ = eine Billion Joule 100 000 TJ entsprechen dem Energiegehalt von 2,4 Mio. Tonnen Rohöl TJ 1 000 000 Entwicklung des Energieverbrauchs in der Schweiz 900 000 Müll- und Industrieabfälle Gas Fernwärme 800 000 700 000 Elektrizität 600 000 Übrige erneuerbare Energien Holz 500 000 400 000 Treibstoff 300 000 200 000 Erdölbrennstoffe 100 000 0 Quelle: Bundesamt für Energie Kohle und Koks 1910 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 2000 Immer mehr Unternehmen und Branchen verpflichten sich, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu senken – so auch die schweizerische Zementindustrie. oben: BUWAL/E.Ammon, AURA; unten: AURA und Keystone UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔23 Der lange Weg der CO2-Abgabe In der Aufbruchstimmung nach dem Erdgipfel von Rio wollte der Bund die fossiFortsetzung von S. 22 len Brenn- und Treibstoffe als wichtigste CO2-Quellen in den frühen 90er-Jahren mit einer Abgabe belegen. Er versprach sich vom finanziellen Anreiz eine EnAW Zielvereinbarungen mit Firmengruppen über 2,5 Millionen Tonnen CO2 aus dem Verbrauch von Brennstoffen abschliessen. Dies entspricht gut 20 % der entsprechenden CO2Emissionen der Wirtschaft. Mittelfristig möchte die EnAW diesen Anteil auf 40 % Prozent steigern. Die Zielvereinbarungen können die Grundlage für Verpflichtungen gegenüber dem Bund bilden. Einzelne Branchen wie etwa die Zementindustrie haben sich bereits direkt gegenüber den Behörden zur Reduktion ihrer Emissionen verpflichtet. Erfolgreich umgesetzte Verpflichtungen befreien die beteiligten Unternehmen von der Entrichtung einer allfälligen CO2-Abgabe. Reduktion des Ausstosses an Kohlendioxid im Sinne der in Rio beschlossenen Klimakonvention. Das ursprüngliche Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der Wirtschaft, die in der Folge stärker eingebunden wurde. Die enge Zusammenarbeit mündete 1996 in einer neuen, breit abgestützten Vorlage zum CO2-Gesetz. Massgebend für deren Erfolg war der hohe Stellenwert von freiwilligen Massnahmen im Gesetz. Wirtschaft und Private erhalten dadurch ein grosses Mass an Selbstverantwortung. Die CO2-Abgabe wird nur eingeführt, wenn die Eigenanstrengungen nicht genügen, um die verankerten Reduktionsziele zu erreichen. Mit diesem Kunstgriff liess sich die Klippe, an der die erste Vorlage zerschellt war, erfolgreich umschiffen. Die Zustimmung der Schweiz zum 1997 ausgehandelten Kyoto-Protokoll entspricht einer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Reduktion ihrer TreibhausgasEmissionen. Trotz Einsicht in die Notwendigkeit einer gesetzlich fundierten Klimapolitik zogen sich die Beratungen im Parlament zu Detailfragen des CO2Gesetzes bis zum Herbst 1999 hin. Unter anderem bestand Uneinigkeit darüber, www.klima-schweiz.ch/politik www.klima-schweiz.ch/co2-statistik www.energie-schweiz.ch www.enaw.ch Autoimporteure in der Pflicht Auch die Autoimporteure haben den Weg einer Vereinbarung mit dem Bund gewählt. Darin verpflichten sie sich, den Durchschnittsverbrauch neuer Personenwagen bis 2008 jährlich um 3 % zu senken. Als Orientierungshilfe für die Käufer ist zudem seit dem 1. Januar 2003 eine Energieetikette für Autos vorgeschrieben. Falls sich abzeichnet, dass der Flottenverbrauch von Neuwagen nicht wie vereinbart sinkt, wird der Bund gestützt auf das Energiegesetz Vorschriften erlassen. Als flankierende Massnahme ist ab dem LINKS 1. Januar 2004 zusätzlich die Förderung von schwefelfreien Treibstoffen geplant, welche den Einsatz von sparsameren Benzinmotoren ermöglichen (vgl. Artikel zur Dieselproblematik auf Seite 27). Frühstens ab dem Jahr 2004 kann auf fossilen Energien eine CO2-Abgabe erhoben werden. De- 24➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ob Bundesrat oder Parlament die Kompetenz zur Einführung der CO2-Abgabe erhalten sollten. Der Kompromiss kommt den Gegnern der Abgabe entgegen. So entscheidet zwar die Regierung, ob und wann eine solche eingeführt wird, doch müssen National- und Ständerat die Höhe der Abgabesätze genehmigen. Entscheidend werden somit die Zusammensetzung des Parlaments und politische Prioritäten zum Zeitpunkt der Einführung sein. ren Höhe hängt wesentlich vom Erfolg brauch entscheiden. «Wer sparsam der freiwilligen Massnahmen ab. Um fährt, der profitiert von diesem Lenden erst angelaufenen Reduktionsbe- kungseffekt», sagt Andrea Burkhardt, mühungen mehr Zeit einzuräumen, ist «denn die Einnahmen aus der CO2eine Einführung nicht vor 2005 vorVON DEN IM CO2-GESETZ FESTgesehen. Je grösser GELEGTEN ZIELWERTEN IST MAN NOCH die Ziellücke, umso RELATIV WEIT ENTFERNT stärker müssten fossile Energien mit der Lenkungsabgabe künstlich verteu- Abgabe fliessen nicht in die Staatskasse, ert werden, um die Nachfrage zu dämp- sondern werden zurückverteilt: an die fen. Die Erfahrung im benachbarten Bevölkerung gleichmässig pro Kopf Ausland zeigt, dass sich Autokäufer bei und an die Unternehmen gemäss AHVsteigenden Benzinpreisen vermehrt für Lohnsumme.» Modelle mit geringerem Treibstoffver- ■ Redaktion: Beat Jordi [ ] Die neue Energieetikette für sparsame Autos. Nicht nur die Autobranche, sondern alle Wirtschaftszweige sollen ihren Beitrag zur CO2-Reduktion leisten: Produktionsstrasse bei Lindt & Sprüngli (oben rechts), Cellulose-Herstellung in Attisholz SO und Erdölraffinerie in Cressier NE (unten von links). Anteil der Sektoren im Jahr 2000 am Total der Treibhausgase in CO2-Äquivalenten Entwicklung der Emissionen gemäss CO2-Gesetz Brennstoffe Treibstoffe Total Abfall 5,9% Landwirtschaft 11,7% 110 Index 1990 = 100 Verkehr 30,8% Industrie 20% 100 Haushalte 20,8% Dienstleistungen 10,8% 90 1990 Quelle: BUWAL Oben sowie unten links: Keystone; unten rechts: BUWAL/Docuphot 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 Quelle: BUWAL UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔25 Klimaschutz ist Gesundheitsvorsorge Wo Erdölprodukte, Kohle und Erdgas verbrannt werden, gelangt nicht nur das klimaschädigende Kohlendioxid in die Atmosphäre. Vielmehr sind diese fossilen Energien auch die wichtigste Quelle der lokalen und regionalen Luftverschmutzung. Weniger CO2 ist deshalb fast immer gleichbedeutend mit einer geringeren Belastung unserer Atemluft durch Schadstoffe wie Feinstaub, Stickoxide, Kohlenmonoxid, leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe oder Ozon. Dieses toxische Gemisch führt hier zu Lande jedes Jahr zu rund 3000 vorzeitigen Todesfällen. Die vom BUWAL mitfinanzierte Studie SAPALDIA zeigt, dass chronische Atemwegserkrankungen im Inland bei zunehmender Luftbelastung umso häufiger auftreten. Darunter leiden vor allem Kinder, Chronischkranke und ältere Menschen. Allein bei Kindern treten als Folge jährlich etwa 45 000 Fälle von akuter Bronchitis auf. Neben der menschlichen Gesundheit beeinträchtigen die Schadstoffe auch die Nutzpflanzen sowie den Wald und verursachen überdies massive Gebäudeschäden. Eine Studie des Bundes von 1996 beziffert die ungedeckten Kosten der heutigen Energieversorgung denn auch auf 11 bis 16 Milliarden Franken pro Jahr. Jede eingesparte Tonne Kohlendioxid bringt deshalb nicht nur einen Langzeitnutzen für das globale Klima, sondern führt auf lokaler Ebene zu einer unmittelbaren Verbesserung der Luftqualität. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden einzig Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter. Doch in allen andern Fällen heisst Klimaschutz zugleich auch Gesundheitsvorsorge. 26➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Reduzierter Energieverbrauch ohne Komfortverlust: Die Migros hat den CO2-Ausstoss ihrer Läden markant gesenkt. Massnahmen zur CO2-Reduktion entlasten auch die Atemwege. AURA Die Migros unternimmt grosse Anstrengungen für den Klimaschutz. Seit 1992 hat sie den CO2-Ausstoss pro Quadratmeter Verkaufsfläche um 45% gesenkt. Trotz einem starken Ausbau des Filialnetzes setzen die Läden insgesamt 20% weniger Kohlendioxid frei als noch vor zehn Jahren. Auch die Industriebetriebe des Grossverteilers haben ihren Wärmeverbrauch pro produzierte Tonne seither um rund 25% vermindert. Gemäss einer Zielvereinbarung mit der EnAW soll jetzt auch der Brennstoffbedarf für die Beheizung und Kühlung der Bürogebäude in Zürich halbiert werden, was etwa 500 Tonnen CO2 einspart. Dazu saniert der Migros-Genossenschaftsbund MGB sein Hochhaus am Limmatplatz nach Minergie-Standards. Unter anderem will man künftig das Gebäude im Sommer vollständig mit Grundwasser kühlen. Im Treibstoffbereich leistet der Grossverteiler ebenfalls Pionierarbeit. So wandelt die Genossenschaft Migros Zürich in Zusammenarbeit mit der Kompogas AG alle Grünabfälle und Speisereste in CO2-neutrale Energie um. Damit können neun mit Biogas betriebene Lastwagen die Zürcher MigrosFilialen schadstoffarm und klimaschonend beliefern. Dank dieser innovativen Technologie werden jährlich rund 200 000 Liter Diesel eingespart. Keystone Das Sparbeispiel LESETIPP Kenngrössen zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen in der Schweiz. BUWAL 2002. www.klima-schweiz.ch/daten > Kenngrössen INFOS Andrea Burkhardt Sektion Ökonomie und Klima, BUWAL Tel. 031 322 64 94 Fax 031 323 03 67 [email protected] DIESEL-PW Mit Partikelfilter auf der Überholspur Immer mehr Leute in der Schweiz kaufen sich einen Neuwagen mit Dieselmotor. Die Autobranche fördert diesen Trend. Sie verspricht sich davon eine Reduktion des Treibstoffverbrauchs und will so den Ausstoss an Kohlendioxid senken. Für das Klima und unsere Gesundheit geht die Rechnung aber nur auf, wenn Dieselautos mit modernen Russfiltern ausgerüstet sind. Lange Gesichter bei der schweizerischen Automobilbranche: 2002 schrumpfte der Verkauf an neuen Personenwagen gegenüber dem Vorjahr um 6,9 % auf 293 034 Fahrzeuge. Im Vergleich zum rückläufigen Gesamtmarkt fanden PW mit Dieselmotoren jedoch reissenden Absatz. Innert Jahresfrist legten die Verkaufszahlen hier um 24,5 % auf 52 097 Einheiten zu. Damit betrug ihr Anteil an den im Jahr 2002 neu zugelassenen Autos 17,8 % – das ist gut dreimal so viel wie noch 1998. Die Dieselquote am Gesamtbestand der Personenwagen ist in der Schweiz mittlerweile auf 5,8 % gestiegen und hat sich seit 1994 verdoppelt. Die im Branchenverband «auto-schweiz» organisierten Importeure sind überzeugt, dass dieser Trend auch künftig anhalten wird. Imagewandel des Dieselmotors Die seit den späten 90er-Jahren stark steigenden Absatzzahlen der Diesel-PW sind Ausdruck eines Imagewandels. Lange Zeit hatten Dieselfahrzeuge auf Grund der Motorentechnologie früherer Generationen bei uns den schlechten Ruf von lärmigen und russenden Traktoren mit rauem Lauf und eingeschränkter Leistung. Heute indessen rühmt man den sparsamen Treibstoffverbrauch, die guten Laufeigenschaften sowie die Leistung der modernen Dieselautos. Führende Hersteller wie Merce- des und BMW bauen die stark verbesserte Technologie mittlerweile in ihre Topklasse ein. In einigen Ländern Europas werden Dieselfahrzeuge speziell mit günstigeren Treibstoffpreisen gefördert – so etwa in Österreich, Belgien, Frankreich und Spanien. Hier liegt der Anteil der Diesel-PW am Neuwagenbestand denn auch durchwegs über 50 % – in Österreich sogar bei 70 %. Autoimporteure geben Gas Mit billigerem Kraftstoff möchten jetzt auch die schweizerischen Autoimporteure den Dieselmotor auf die Überholspur steuern. In einer Vereinbarung mit dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK hat sich auto-schweiz im Februar 2002 zum Ziel bekannt, den Treibstoffverbrauch aller verkauften Neuwagen von 8,4 Litern pro 100 Kilometer im Jahr 2000 bis 2008 auf 6,4 Liter zu senken. Dazu will die Vereinigung den Absatz von Dieselautos auf Kosten der Benzinfahrzeuge in den nächsten Jahren weiter steigern. Zielgrösse ist ein Anteil von 30% an den Neuzulassungen. Das dadurch mögliche Sparpotenzial erklärt sich mit dem höheren Wirkungsgrad des Dieselmotors. Obwohl die in der Schweiz verkauften Neufahrzeuge mit Dieselantrieb im Durchschnitt gut 200 Kilogramm mehr Leergewicht auf die Waage bringen als neu zugelassene Benzinautos, verbrennen sie auf 100 Kilometer «nur» 6,7 Liter Treibstoff und damit 1,8 Liter weniger als ein mittlerer Benzinmotor. Vergleicht man PW mit ähnlicher Ausstattung, resultiert beim Dieselauto ein Minderverbrauch in Litern von 20 bis 30 %. Dieser Vorteil kommt im Inland jedoch nicht voll zum Tragen, weil auf unseren Strassen überdurchschnittlich viele leis-tungsstarke und schwere Diesel-PW verkehren. «Um den Verbrauch weiter zu senken, muss das breitere Angebot von kleinen Dieselfahrzeugen von den Kunden auch genutzt werden», heisst es deshalb bei auto-schweiz. Durchzogene Klimabilanz Je weniger fossilen Treibstoff ein Auto benötigt, desto geringer ist auch sein Ausstoss an klimaschädigendem Kohlendioxid (CO2). Weil ein Liter Diesel ein höheres spezifisches Gewicht hat als die gleiche Menge Benzin, schlägt der Minderverbrauch an Kraftstoff beim Diesel-PW aber nicht voll auf die Treibhausgasbilanz durch. Ein Ende 2002 veröffentlichter Bericht des Bundesamtes für Energie BFE zur «CO2Reduktion durch Beeinflussung der Treibstoffpreise» beziffert den realen CO2-Vorteil der neuen Dieselflotte gegenüber den Benzinfahrzeugen hier zu Lande mit durchschnittlich knapp 10%. Trotz reduziertem Kohlendioxid- UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔27 Angriff auf die Gesundheit Ausstoss taugt die Förderung von herkömmlichen Dieselmotoren nicht als Klimaschutzmassnahme. «Diesel-PW ohne Partikelfilter emittieren 1000-mal mehr feine Russpartikel als Benzinautos», erklärt Felix Reutimann von der BUWAL-Sektion Verkehr. «Gemäss den Erkenntnissen der UNO-Klimaexperten im jüngsten IPCC-Bericht von 2001 gilt als erwiesen, dass diese Russpartikel zur Klimaerwärmung beitragen. Kontraproduktive Dieselförderung Der Wissenschafter Mark Z. Jacobsen von der kalifornischen Stanford University kommt in einer Studie denn auch zum Schluss, die heutige Dieselförderung vieler europäischer Staaten sei aus Sicht des Klimaschutzes kontraproduktiv. Bei neuen Dieselfahrzeugen, die den gültigen Abgasnormen entsprechen, ist der Effekt der Klimaerwärmung durch den hohen Russausstoss nämlich grösser als die abkühlende Wirkung infolge der geringeren CO2Emissionen. «Erst wenn der Partikelausstoss unter 0,01 Gramm pro Kilometer liegt, überwiegt der abkühlende Effekt», erklärt Paul Filliger von der BUWALSektion Ökonomie und Klima. «Selbst neue Dieselmodelle, welche der verschärften – ab 2006 gültigen – EURO 4Norm von 0,025 Gramm Partikel pro Kilometer genügen, belasten das Klima somit stärker als benzinbetriebene PW.» www.proclim.ch/press/diesel.html www.umweltschweiz.ch/fokus/2003_02/de/index.html www.autoumweltliste.ch LINKS 28➔ Peugeot geht voran Die technischen Möglichkeiten für eine effiziente Abgasreinigung des Dieselmotors sind freilich noch längst nicht ausgeschöpft. Insbesondere die Ausrüstung der PW mit Partikelfiltersystemen kommt einem Quantensprung gleich. Als erster grosser Autokonzern bietet der französische Hersteller Peugeot seine Modelle 307, 406, 607 und 807 sowie C5 und C8 in den Motorversionen 2,0 UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL und 2,2 l HDI mit Partikelfiltersystem an. Hier werden die feinen Partikel aus dem Verbrennungsprozess gesammelt und nach 400 bis 500 Kilometern unter Einspritzung einer geringen Additivmenge automatisch abgebrannt, ohne dass man es beim Fahren überhaupt bemerkt. Der Partikelausstoss wird dadurch um 95 % reduziert. Die nach 80 000 Kilometern fällige Reinigung des Filters geschieht im Rahmen eines normalen Services in der Garage. Dabei wird auch gleich der 5-Liter-Tank für das Additiv wieder aufgefüllt. Nur mit wirksamen Partikelfiltern ein Vorteil für das Klima Ein Langzeittest des Umweltbundesamtes Berlin in Zusammenarbeit mit dem deutschen Automobilclub ADAC hat für den Peugeot 607 mit dem neuen Filtersystem über 80 000 Kilometer einen Partikelausstoss von lediglich 0,001 Gramm pro Kilometer ermittelt. Diese Abgaskonzentration liegt 25-mal tiefer als der ab 2006 gültige EURO 4-Grenzwert. «Der Stand der Technik ist den Abgasvorschriften somit um Jahre voraus», stellt Felix Reutimann fest. «Problematisch daran ist, dass längst nicht alle Autoproduzenten ihre Neufahrzeuge auf freiwilliger Basis mit solchen Partikelfiltersystemen ausrüsten.» Immerhin wollen noch in diesem Jahr auch Ford, Toyota und Fiat nachziehen. «Aus Gründen des Klimaschutzes und der Gesundheitsvorsorge ist eine Förderung und Bevorzugung von Dieselfahrzeugen gegenüber Benzinautos nur dann sinnvoll, wenn die Modelle über wirksame Partikelfilter verfügen», erklärt Felix Reutimann. Aus diesem Grund prüfen die Bundesämter BFE und BUWAL gegenwärtig entsprechende Förderungsmodelle. Das Ziel lautet: Keinen Diesel ohne Filter! «Alles in allem ist das Krebs erzeugende Potenzial von Dieselmotoren auch bei Einhaltung der EURO 4-Abgasnormen zehnmal so gross wie jenes der Benzinfahrzeuge», erklärt Felix Reutimann vom BUWAL. Insbesondere der übermässige Ausstoss von lungengängigen Russpartikeln macht Dieselautos ohne Partikelfilter zu einer Gefahr für die Gesundheit. Mehr Diesel-PW heisse somit auch mehr Atemwegserkrankungen, Asthmaanfälle, Herz-Kreislauf-Störungen, Lungenkrebs und vorzeitige Todesfälle. Wirksame Abhilfe verspricht hier einzig die Ausrüstung mit Partikelfiltern. Allerdings emittieren Dieselmotoren auch dreimal mehr gesundheitsschädigende Stickoxide als Benzinmotoren mit Katalysator. In Verbindung mit Kohlenwasserstoffen und unter Einwirkung des Sonnenlichts entsteht aus diesen Abgasen vor allem in den Sommermonaten das aggressive Reizgas Ozon. Dieses greift vor allem die Schleimhäute der Augen und Atemwege an. Neben der Lösung des Russproblems muss deshalb in einem weiteren Schritt auch der Stickoxid-Ausstoss von Dieselmotoren reduziert werden. Dazu sind derzeit Modelle mit Denox-Katalysatoren und SCR-Systemen in der Entwicklungsphase, die bald einmal marktreif sein dürften. INFOS Felix Reutimann Abteilung Luftreinhaltung und NIS, BUWAL Tel. 031 322 54 91 ■ Beat Jordi Fax 031 324 01 37 [email protected] Es gibt sparsame Autos wie dieses öffentliche Elektromobil in Martigny VS. Doch nach wie vor sind schwere und leistungsstarke Fahrzeuge ein Absatzrenner. Weil sie über immer mehr Komfort verfügen und viel Treibstoff verbrennen, hat der durchschnittliche Treibhausgas-Ausstoss eines Autos pro Kilometer trotz technischem Fortschritt seit 1990 nicht abgenommen. Personenwagendichte in ausgewählten Ländern pro 1000 Einwohner 600 Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor Fahrzeugleistungen total Gesamtfahrzeugbestand Treibhausgas-Emissionen Verkehr 565 506 483 472 500 400 272 120 300 110 200 106 66 100 100 Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 2000/2001 7 China Kenia Türkei Mexiko Polen USA Frankreich Schweiz Italien 8 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 Quelle: BUWAL Nur Dieselautos mit Partikelfilter – wie sie Peugeot als erster Hersteller produziert – schädigen das Klima weniger als Benzinfahrzeuge. oben links: Keystone; oben rechts: BUWAL/E.Ammon/AURA; unten: Peugeot SA UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔29 SYNTHETISCHE TREIBHAUSGASE Auch Kältemittel heizen ein Zum Kühlen, Schäumen oder Isolieren werden weltweit immer mehr synthetische Treibhausgase eingesetzt. Diese Chemikalien verbleiben zum Teil während Jahrtausenden in der Atmosphäre. Ihr Klimaerwärmungspotenzial ist ungleich grösser als jenes von Kohlendioxid, Methan oder Lachgas. Im Interesse des Klimaschutzes will der Bundesrat das rasche Absatzwachstum deshalb stoppen. Mit einem Anteil von rund 83 % ist Kohlendioxid in der Schweiz das wichtigste vom Menschen verursachte Treibhausgas (vgl. Seite 9). Methan, das vor allem aus der Landwirtschaft und aus Abfalldeponien entweicht, macht 9 % aus. Lachgas aus Verkehr und Landwirtschaft trägt 7 % zur Klimaerwärmung bei, und der Rest von 1 % entfällt auf synthetische Chemikalien. Bei den letzteren handelt es sich um teilweise fluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW), vollständig fluorierte Kohlenwasserstoffe (PFKW), Schwefelhexafluorid (SF6) und die neu auf dem Markt erhältlichen Fluorether (HFE). Einige dieser äusserst stabilen Substanzen verbleiben während Jahrhunderten bis Jahrtausenden in der Atmosphäre und verfügen über ein enormes Klimaerwärmungspotenzial, das jenes von Kohlendioxid x-tausendfach übertreffen kann. Die chemische Industrie hat diese Stoffe hauptsächlich als Ersatz für die in den Industriestaaten verbotenen ozonschichtabbauenden Substanzen wie FCKW, HFCKW oder Halone entwickelt. Weil sie erst seit Mitte der 90er-Jahre vermarktet werden, scheint ihr Anteil am weltweiten Treibhausgas-Ausstoss mit 1 bis 2 % Prozent zwar noch gering. Doch angesichts der rapiden Verbrauchszunahme könnte sich ihre Wirkung bis zum Jahr 2010 fast vervierfachen. men bis zum Jahr 2010 zehnmal höher liegen als 1995. Damit könnte ihr Anteil in relativ kurzer Zeit auf über 4 % des gesamten Treibhausgas-Ausstosses ansteigen. Die Umsetzung der im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtung zur Reduktion der klimaschädigenden Emissionen um 8 % wäre dadurch ernsthaft gefährdet. So weit muss es aber nicht kommen. BUWAL/Emanuel Ammon/AURA Kein Sonderfall Schweiz Untersuchungen des BUWAL von 1998 und 2001 zeigen, dass die Situation hier zu Lande vergleichbar ist mit jener im übrigen Europa. Laut Hochrechnungen würden die Emissionen der synthetischen Treibhausgase ohne restriktive Massnah- Grosse Kühlanlagen sind eine der wichtigsten Quellen für die Belastung der Atmosphäre mit synthetischen Treibhausgasen. Hier besteht ein grosses Potenzial zur Reduktion der Emissionen. Klimaerwärmungspotenzial der wichtigsten in der Luft stabilen Stoffe (gemäss IPCC 1995) Stoffe Verweilzeit in der Atmosphäre in Jahren HFKW-Gruppe 1,2 bis 260 PFKW-Gruppe 2600 bis > 50 000 SF6 3 200 HFE-Gruppe 4,4 bis 150 1 Quelle: IPCC 2001 30➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Klimaerwärmungspotenzial (GWP) nach IPCC 1995 (GWP CO2 = 1) 140 bis 11 7001 7000 bis 9 2001 23 9001 570 bis 14 9001 Mio. Tonnen CO2-Aquivalente Ein Ersatzprodukt folgt dem andern Bei der Herstellung von Schaumstoffen zur Wärmedämmung kamen bis anfangs der 90er-Jahre unter anderem die ozonabbauenden FCKW zum Einsatz. Deren Verbot im Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht verlangte nach Ersatzlösungen. In Eine starke Reduktion ist möglich der Folge entwickelte die chemische Industrie mit Nach den Erkenntnissen von internationalen Experten und den HFCKW eine zweite Stoffgeneration. Diese gestützt auf Erfahrungen in der Schweiz lassen sich synthetisind für die Ozonschicht zwar weniger fatal, aber sche Gase in vielen Fällen durch andere Produkte oder Verdennoch schädlich. Deshalb zeichneten sich hier fahren ersetzen. Wo eine Substitution nicht machbar oder von Anfang an spätere Verbote und somit ein bloss ohne Vorteile für die Umwelt ist, bestehen verschiedene Mögbefristeter Einsatz ab. lichkeiten, um die Emissionen durch technische Massnahmen Für die Anwender dieser Stoffe bestand aber bei der Anwendung und Entsorgung stark zu verringern. auch die Möglichkeit, grössere technische Anpassungen vorzunehmen und andere Technologien einzusetzen, die weder das Klima noch die Ozonschicht beeinträchtigen. Solche Alternativlösungen Extreme Zunahme der synthetischen Treibhausgase basieren im Wesentlichen auf Pentan oder Wasser, wei1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 sen jedoch technische Nach1,5 teile wie Entflammbarkeit Metallproduktion oder leicht geringere IsolierFenster fähigkeit auf. Unternehmen, Hochspannungsschalter 1,2 Halbleiter die sich trotzdem für diesen Reinigungsmittel Elektronik Weg entschieden haben, Spraydosen, Medizinalsprays sind nach Überwindung der 0,9 Klimaanlagen Fahrzeuge technischen Probleme heute in einer vorteilhaften Lage. Stationäre Klimaanlagen Angesichts der bevorstehen0,6 Transportkälte den Einschränkungen für synthetische Treibhausgase Industrie und Gewerbekälte werden sie nun für ihre zu0,3 sätzlichen Bemühungen belohnt. Kältegeräte Haushalt Wie zu erwarten, finden Prognose ➔ sich dagegen die übrigen Entwicklung und Prognose der Emissionen von HFKW, PFKW und SF6 seit Schaumstoffhersteller weltweit in einer ähnlichen Quelle: Carbotech 2002 1990. Für Schaumstoffe sind noch keine Daten verfügbar. Situation wie vor zehn Jahren wieder. Auf Grund des überall wirksam werdenden Verbots der HFCKW müssen sie sich entweder für eine dritte Wichtigste Quellen für die Belastung der Atmosphäre mit Stoffgeneration – die klimaschädlichen HFKW – diesen langlebigen Stoffen sind Klimaanlagen von Autos, oder für die neuen Verfahren zur SchaumstoffherKühlanlagen sowie Schäume für die Wärmedämmung. Zum stellung mit Pentan oder Wasser entscheiden. Im Glück besteht hier auch das grösste Potenzial zur Emissionsredirekten Konkurrenzkampf haben die umweltgeduktion. Daneben sind freilich weitere Anwendungen als Isorechteren Lösungen immer noch einen schweren liergase in Hochspannungsanlagen, Lösungsmittel und FeuerStand, weil die HFKW-Hersteller diese Substanzen löschsubstanzen nicht zu vernachlässigen. Vor allem Einsatzaggressiv vermarkten, um ihre hohen Entwickbereiche, die zu einer direkten Freisetzung dieser synthetischen lungskosten abschreiben zu können. In der Treibhausgase führen – wie etwa Treibmittel für Spraydosen – Schweiz wird der HFKW-Einsatz mit der neuen Remüssen einer besonders strengen Kontrolle unterliegen. gelung auf das technisch Notwendige beschränkt. UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔31 ■ Blaise Horisberger, BUWAL INFOS Blaise Horisberger Sektion umweltgefährdende Produkte, BUWAL Tel. 031 322 90 24 Fax 031 324 79 78 [email protected] 32➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL I n n o v a t i v e Te c h n o l o g i e n f ü r d e n K l i m a s c h u t z www.produkte-umwelt.ch > Schutz der Atmosphäre Klare Rahmenbedingungen für die Wirtschaft Nach Dänemark und Österreich hat jetzt auch die Schweiz beschlossen, mit einer Änderung der Stoffverordnung StoV verbindliche Regeln für synthetische Treibhausgase einzuführen. Grundsätzlich gilt für jeden reglementierten Bereich ein generelles Verbot mit bestimmten Ausnahmen. So legt die StoV fest, unter welchen Bedingungen welche Anwendungen nach wie vor erlaubt sind. In solchen Fällen schreibt die Verordnung Massnahmen zur Emissionsminderung vor. Für neue Verwendungen oder Einsatzbereiche ohne geeignete Ersatzstoffe und -technologien besteht die Möglichkeit, auf ein begründetes Gesuch hin eine Sondergenehmigung zu erhalten. Im Bereich der Kälte- und Klimatechnik wird die Anwendungsliste ersetzt durch ein Bewilligungsverfahren für stationäre Anlagen, die mehr als 3 Kilogramm Kältemittel enthalten. Alle Bestimmungen basieren auf dem Stand der Technik. Dabei werden die Verfügbarkeit der Produkte ebenso berücksichtigt wie die technische Eignung, die wirtschaftliche Tragbarkeit, Sicherheitsnormen sowie die ökologischen Vorteile in Bezug auf den gesamten Lebenszyklus. Die Übergangsfristen erlauben es den betroffenen Industrie- und GewerLINK bebetrieben, die Weichen bei ohnehin fälligen Neuinvestitionen rechtzeitig zu stellen, um so spätere Umstellungskosten zu vermeiden. Dank der Bereitschaft der Branchen zu einer produktiven Zusammenarbeit mit den Behörden wird die Schweiz den Ausstoss von synthetischen Treibhausgasen in den nächsten Jahren stabilisieren oder sogar senken können. Keystone Ausgezeichnet mit dem europäischen Solarpreis: Das aus Holz konstruierte Mehrfamilienhaus «Sunny Woods» in Zürich-Höngg kommt dank guter Isolation und einer innovativen Nutzung der Sonnenenergie ohne fossile Brennstoffe aus. PD Klimaschonende Gewinnung von Energie, Baurohstoffen und hochwertigem Tierfutter aus Gras. Die Technologieförderung des BUWAL hat die Entwicklung dieser Pilotanlage in Märwil TG unterstützt. Keystone Erneuerbare Energie ohne CO2-Ausstoss: Die Solaranlage auf dem Dach des Basler St. Jakob-Stadions speist jährlich 130 000 Kilowattstunden Strom ins öffentliche Netz. Eberhard & Partner AG Bohrung nach Erdwärme in Auenstein AG: Diese umweltschonende Energiequelle ist zwar vielerorts verfügbar, wird aber aus finanziellen Gründen noch zu wenig genutzt. H. Moser, Biel Dieser Lastwagen für Muldentransporte belastet die Atmosphäre nicht mit Kohlendioxid: Er fährt mit klimaneutralem Biogas aus der Bieler Kläranlage. BUWAL/E. Ammon/AURA Der Bauer Reto Grossenbacher aus Reidermoos LU gewinnt aus Grüngut und tierischen Abfällen Biogas für den Betrieb eines Blockheizkraftwerks und verarbeitet die Reststoffe zu einer hochwertigen Düngererde. Keystone Klimaverträgliche Mobilität: Test im Windkanal für das HightechElektrofahrrad der Bieler Hochschule für Technik und Architektur. Keystone Die von Sulzer Hexis entwickelte Hochtemperatur-Brennstoffzelle deckt den Strombedarf eines Einfamilienhauses und nutzt die Abwärme zum Heizen. BKW, Bern Das grösste Windkraftwerk steht auf dem Mont Crosin im Berner Jura und produziert mit sechs Turbinen gut 80 Prozent der im Inland gewonnenen Windenergie. CO2-SENKEN Holzen für den Klimaschutz Im Schweizer Wald wächst deutlich mehr Holz als genutzt wird. Dadurch binden die Bäume jährlich etwa 4 Millionen Tonnen Kohlendioxid (C02). Dies entspricht fast 10 Prozent des inländischen CO2Ausstosses. Einen nachhaltigen Effekt für das Klima erreicht man aber erst, wenn an Stelle von energieintensiven Rohstoffen und fossilen Energien wieder mehr Holz zum Einsatz kommt. Der Schweizer Wald ist ein hocheffizientes Kraftwerk, das täglich über 20 500 Kubikmeter (m3) nutzbares Holz produziert, indem es Licht, Wasser und Kohlendioxid in pflanzliche Materie umwandelt. Dazu entziehen die Waldbäume der Atmosphäre jeden Tag gut 20 000 Tonnen CO2, also etwa eine Tonne des Treibhausgases pro m3 Holzwachstum. Da liegt es nahe, den Wald als Instrument des Klimaschutzes zu nutzen. So erlaubt das Kyoto-Protokoll vom Dezember 1997 den Ländern unter gewissen Voraussetzungen, ihre CO2Bilanz aufzubessern, indem sie das in ihren Wäldern gebundene Kohlendioxid als Emissionsreduktion verbuchen. Begrenzte Möglichkeiten Im Inland sieht man das Leistungsvermögen des Waldes als CO2-Senke dennoch nüchtern. Ihr höchstes Potenzial entwickeln Wälder während der Wachstumsphase, wenn am meisten Holz gebildet wird und die Aufnahme 34➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL von CO2 am grössten ist. Ganz junge und alte Bäume absorbieren vergleichsweise wenig Treibhausgas. Der Leistungsausweis des Schweizer Waldes lässt sich allerdings sehen: Das Treib- [ können gar dazu führen, dass der Wald jäh von der CO2-Senke zur Kohlendioxid-Quelle mutiert – etwa, wenn ein Brand die Bäume in Rauch aufgehen lässt. PRO KUBIKMETER HOLZWACHSTUM ENTZIEHEN DIE BÄUME DER ATMOSPHÄRE EINE TONNE CO2 hausgasinventar weist aus, dass er pro Jahr 4 Millionen Tonnen Kohlendioxid bindet und damit knapp zehn Prozent der helvetischen CO2-Emissionen aufnimmt. Dass Wälder den klimaschädigenden Ausstoss an Treibhausgasen nachhaltig auszugleichen vermögen, entspricht aber eher politischem Wunschdenken als einer wissenschaftlich haltbaren Einschätzung. Langfristig betrachtet gibt ein Wald, in dem Bäume wachsen und sterben, nämlich gleich viel CO2 an die Atmosphäre ab, wie er aufnimmt. Schadenereignisse ] Auch Orkane wie Lothar, der am 26. Dezember 1999 auf einen Schlag 13 Millionen Kubikmeter Holz fällte, wirken sich ungünstig auf die Treibhausgasbilanz des Waldes aus. Immerhin wurden etwa 80 Prozent des Sturmholzes aufbereitet und genutzt. Mehr als die Hälfte ging an Sägereien oder Spanplattenfabriken. Auf diese Weise bleibt das CO2 noch längere Zeit gebunden. Der Rest fand als Energieholz Verwendung und erspart dadurch Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Heizöl oder Erdgas. Seilziehen um die Senkenleistung Im Schweizer Wald lagern Rohstoffe und gespeicherte Sonnenenergie, deren Nutzung die Atmosphäre nicht mit Kohlendioxid belastet – ganz im Gegensatz zu Erdölprodukten. www.lignum.ch/deutsch/pages/SB/SB.htm www.holzenergie.ch www.wbgu.de/wbgu_sn1998.html www.pewclimate.org/projects/land_use.cfm Bauen mit Holz schont das Klima Was schliesslich mit dem Holz geschieht, ist aus Sicht des Klimaschutzes also nicht weniger wichtig als seine Produktion im Wald. Nur wenn es zur Herstellung von dauerhaften Produkten verwendet wird, bleibt das Kohlendioxid der Atmosphäre über das Lebensalter der Bäume hinaus entzogen. Holz statt Beton und Stahl, Parkett an Stelle von Keramikfliesen, heisst folglich die Devise. Kennzahlen aus einer Studie des BUWAL belegen, wieviel Gutes dem Klima so getan wird. Baut man beispielsweise eine Gebäudeaussenwand aus Holz statt aus Backsteinen, geLINKS langt 75 Prozent weniger CO2 in die Atmosphäre. Und ein Kubikmeter verbautes Fichtenholz vermeidet die Emission von rund einer Tonne des Treibhausgases, wenn es andere Konstruktionsmaterialien ersetzt und zum Schluss noch als Energieholz genutzt wird. Im systematischen Ersatz von energieintensiven, schwer abbaubaren Baustoffen liegt folglich ein beträchtliches Klimaschutzpotenzial. Am Ende der Lebensdauer lässt sich die im Altholz gespeicherte Energie erst noch einfach nutzen – dies im Unterschied zu anderen Baumaterialien wie Beton oder Stahl. Geschlossener CO2-Kreislauf beim Brennholz Auch wenn Holz als Brennstoff zum Einsatz gelangt, sieht die CO2-Bilanz bedeutend besser aus als bei Öl- oder Gasfeuerungen. Bei einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, die hier zu Lande gewährleistet ist, wird das von den Holzheizungen ausgestossene CO2 durch die wachsenden Bäume wieder aufgenommen. Damit ist der CO2-Kreislauf von Energieholz geschlossen. Sind es Buchenscheite, die in der Stube für wohlige Wärme sorgen, wird pro Kubikmeter Holz gut eine halbe Tonne Kohlendioxid weniger freigesetzt als bei der Verbrennung von Heizöl für die gleiche Wärmeleistung. ■ Lucienne Rey Die Frage der Anrechnung von Wäldern als CO2-Senken für die Verpflichtungen im Kyoto-Protokoll führte an den Klimakonferenzen zu intensiven Debatten. Einzelne grosse Industrieländer mit ausgedehnten Waldgebieten wie Kanada oder Russland wollen die Senken nutzen. Dagegen sind die EU und mit ihr die Schweiz zurückhaltend. Aus ihrer Sicht lässt sich das Klimaproblem langfristig nicht durch Senken, sondern einzig über eine Reduktion der Emissionen lösen. Der erzielte Kompromiss sieht vor, dass Wälder nicht generell angerechnet werden können, sondern nur gewisse Aktivitäten, welche solche Senken erzeugen. Dazu gehören vor allem Aufforstungen und die Waldbewirtschaftung, aber auch das Pflanzen von Bäumen auf Feldern und innerhalb der Siedlungen. Gutgeschrieben werden auch der Ackerbau ohne Pflug und die Bewirtschaftung von Grasland, welche zu einer vermehrten CO2-Aufnahme im Humus führen. Hingegen sind Rodungen als Quellen anzurechnen, weil sie Kohlendioxid freisetzen. Der Kompromiss birgt aber seine Tücken. «Mit Ausnahme der Aufforstungen und Rodungen ist es sehr aufwändig, genau festzustellen, wie viel CO2 durch die verschiedenen Aktivitäten tatsächlich gebunden wird», erklärt Richard Volz vom Bereich Walderhaltung beim BUWAL. Eine Gefahr besteht auch darin, dass auf Kosten der Natur im Wald künstliche Senken geschaffen werden. Besonders fatal wäre es, wenn natürliche, ökologisch wertvolle Wälder schnellwüchsigen Plantagen geopfert würden, die kurzfristig viel CO2 aufnehmen. INFOS Richard Volz Bereich Walderhaltung BUWAL Tel. 031 324 77 86 Fax 031 324 78 66 [email protected] UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔35 AURA Heinz Leuenberger, FHBB KLIMASOLIDARITÄT Dunkle Wolken über den Ländern des Südens Von jeher verursachen die Industriestaaten im Norden weitaus am meisten Treibhausgase. Die gravierenden Auswirkungen der Klimaerwärmung bekommen dagegen vor allem die ärmeren Länder des Südens zu spüren. Hier untergraben immer heftigere Naturkatastrophen die wirtschaftliche Entwicklung. Die Schweiz erachtet den Klimaschutz denn auch als zentrales Anliegen der internationalen Zusammenarbeit. Gibt es eine Klimagerechtigkeit? Auf der Erde leben heute 6,3 Milliarden Menschen. Davon leistet sich 1 Milliarde Privilegierter im Norden einen Wohlstand, der die gemeinsamen Lebensgrundlagen langfristig zerstört. Wie sollen die restlichen 5,3 Milliarden Menschen ihre legitimen Bedürfnisse befriedigen, ohne dass die Ökosysteme unseres Planeten kollabieren? Und was ist mit den 8 Milliarden, die in dreissig Jahren den Globus bevölkern? Es stellt sich die Frage, mit welchem Recht ein Nordamerikaner heute zehnmal mehr Kohlendioxid (CO2) verursacht als eine Chinesin und zwanzigmal so viel wie ein Afrikaner. 36➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Verantwortung des Nordens Die internationale Zusammenarbeit muss den benachteiligten Ländern dringend eine nachhaltige, klimaverträgliche Entwicklung ermöglichen. An der historischen Verantwortung des Nordens besteht nämlich kein Zweifel. Seit zwei Jahrhunderten entwickeln sich die Industrieländer, indem sie fossile Energien wie Kohle, Erdöl und Erdgas massenhaft, aber wenig effizient als Betriebsstoff für ihre Wirtschaft einsetzen. Mit einem Anteil von 20 % an der Weltbevölkerung verursachen sie gegenwärtig 60 % des weltweiten CO2Ausstosses. Rund ein Viertel der globalen CO2-Emissionen aus dem Ver- brauch fossiler Energie geht allein auf das Konto der USA, wo lediglich 4,5 % der Menschheit leben. Trotz dem Kyoto-Protokoll, das die USA im Übrigen nicht unterzeichnet haben, werden die Emissionen der Industrieländer – laut der Internationalen Energieagentur – auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Der Süden holt auf Heute geht der Trend vor allem in den Schwellenländern in eine ähnliche Richtung. So heizen Entwaldung, Intensivlandwirtschaft, Überbauungen, Industrie und Verkehr den Treibhauseffekt an. Bis 2015 wird der Süden etwa Katastrophale Bilanz Keystone Auch die Entwicklungsländer emittieren immer mehr Treibhausgase – so wie hier in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi (l.). Die Klimaerwärmung bedroht den Lebensraum von Millionen Menschen. Bei der Jahrhundertflut in Moçambique im Jahr 2000 (o.) konnten die meisten Überschwemmungsopfer nur ihr Leben retten. die Hälfte zum globalen Ausstoss an klimaschädigenden Gasen beitragen. «Wenn die reichen Länder als Hauptverursacher heute nicht mit gutem Beispiel vorangehen und eine bedeutende Reduktion ihrer Emissionen erzielen, darf man ähnliche Anstrengungen vom Rest der Welt wohl kaum erwarten», meint José Romero von der BUWAL-Abteilung Internationales. An der 8. UNO-Klimakonferenz vom November 2002 in New Delhi haben sich die Entwicklungsländer denn auch geweigert, über die Reduktion ihrer Emissionen nach 2012 zu diskutieren. Trotz dem Widerstand gegen konkrete Reduktionsziele verkennt freilich auch der Süden die klimatischen Risiken keineswegs. Vielmehr erwarten die ärmeren Staaten, dass der Norden sie in ihren Bemühungen zur Senkung der Treibhausgase unterstützt. Tropische Wirbelstürme, verheerende Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren, Hitzeperioden und Kältewellen treten rund um den Erdball in immer kürzeren Abständen auf. Die Weltorganisation für Meteorologie WMO in Genf schreibt die zunehmende Häufung und Intensität solcher Ereignisse grösstenteils den menschlichen Aktivitäten zu. So forderten Naturkatastrophen zwischen 1991 und 2000 im Mittel jährlich 250 000 Menschenleben. 98 % der Opfer kommen aus Entwicklungsländern, 80 % allein aus Asien. Die zu 90 % wetter- oder klimabedingten Ereignisse betreffen laut WMO jährlich 200 Millionen Menschen – siebenmal so viele wie alle politischen Konflikte. 2002 beliefen sich allein die materiellen Schäden auf 70 Milliarden US-Dollar; das sind 40 % mehr als die gesamte weltweite Entwicklungshilfe pro Jahr. Die Auswirkungen der Klimaänderung sind weltweit spürbar. Der steigende Meeresspiegel bedroht Inselgruppen und – vorab in Asien – die stark bevölkerten Küstengebiete. Dadurch könnten viele fruchtbare Deltas zu Hochrisikogebieten werden. Ebenfalls alarmierend ist die Beeinträchtigung des Trinkwassers durch Dürren, eindringendes Meerwasser, Verschmutzung und Bodenversalzung. Anhaltende Trockenheit zieht zudem weitere Umweltprobleme wie Überweidung, Übernutzung von Ackerland, Erosion, Abholzung und Bevölkerungsdruck nach sich. Zusätzlich leiden die ohnehin geschwächten Menschen häufiger an Krankheiten, die in Zusammenhang mit dem Temperaturanstieg stehen. Dazu zählen etwa Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Malaria, Denguefieber, Gelbfieber und Durchfall. Bedingt durch die Klimaänderung ist in den nächsten Jahrzehnten mit Millionen von Toten und einem Vielfachen an Umweltflüchtlingen zu rechnen. Extreme Wetter- und Klimabedingungen bedrohen vielerorts die wirtschaftlichen Grundlagen und das Überleben der Menschen. Um die Auswirkungen abzuschwächen, müssen die Entwicklungsländer möglichst rasch Zugang zu umweltschonenden Technologien und entsprechendem Know-how erhalten. Fortsetzung S. 38 UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔37 Monika Flückiger Giesserei in Lima (Peru): Dank Schweizer Hilfe sollen Betriebe in Entwicklungsländern die Umwelt künftig weniger belasten. Klimaschutz ist eine Frage des Überlebens Zentralamerika erstickt in den Abgasen. Seit 1992 engagiert sich das technische Hilfswerk Swisscontact deshalb in einem Programm zur Bekämpfung der Schadstoffbelastung durch den Verkehr. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation (NGO) sensibilisiert Behörden und Bevölkerung, schlägt schärfere Umweltgesetze vor, fördert technische Kontrollen, bleifreies Benzin sowie Katalysatoren und bildet Fachleute wie Instruktoren, Polizeibeamte und Mechaniker aus. Bereits sind in den Projektländern Guatemala und Costa Rica positive Auswirkungen auf die Lebensqualität festzustellen. Gestützt auf diesen Erfolg werden in Chile, Ecuador und Indonesien ähnliche Programme durchgeführt, weitere sind in Peru, Bolivien und Vietnam in Vorbereitung. In Indien fördert die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA die effiziente Energienutzung und den Einsatz von erneuerbaren Energien in KMU. Gleichzeitig entwickelt die Ingenieurschule Biel eine Moto-Rikscha mit www.deza.ch www.gefweb.org www.undp.org LINKS kombiniertem Benzin- und Elektroantrieb. Dieses typische Transportmittel wird die Umwelt in den asiatischen Städten deutlich weniger belasten als die konventionellen Modelle mit ihren stinkenden Zweitaktmotoren. Zudem dürfte die Produktion auch für die indische Industrie von Interesse sein. DEZA, seco und BUWAL setzen sich dafür ein, dass künftig alle Entwicklungsvorhaben auch ökologische Anliegen wie den Klimaschutz berücksichtigen. Die Bundesstellen tun dies mit eigenen Vorzeigeprojekten, nehmen aber auch Einfluss auf multilaterale Agenturen und Geldgeber wie UNEP, GEF oder Weltbank. Neben dem Klimaschutz verfolgt die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit im Umweltbereich noch andere Ziele wie die Verhinderung weiterer Umweltschäden, eine effizientere Nutzung von Ressourcen und Energie oder die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung von UNO-Konventionen. Fortsetzung von S. 37 Die enorme Herausforderung ist dabei unübersehbar: Indien und China mit einem Anteil von 37 % an der Weltbevölkerung sollen ein umweltverträgliches Wachstum erzielen. Al- INFOS José Romero, Abteilung Internationales, BUWAL Tel. 031 322 68 62 Fax 031 323 03 49 [email protected] 38➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL lein der rasche wirtschaftliche Aufschwung in diesen asiatischen Ländern stellt die Staatengemeinschaft vor ein Dilemma, das dringend durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden muss. Win-win-Situation Der im Kyoto-Protokoll vorgesehene Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) ermöglicht interessierten Industriestaaten zudem den Erwerb von Emissionsgutschriften. Wenn sie einem Entwicklungsland helfen, dessen Treibhausgase zu vermindern, können sie sich diese Reduktion als Guthaben im eigenen Land anrechnen lassen. Damit haben sie das Recht, ihr im Kyoto-Protokoll festgelegtes Emissionsziel zu überschreiten, ohne das Klimasystem dadurch stärker zu beeinträchtigen. Letztlich geht es aber stets darum, dass beide Seiten von diesem neuen Instrument profitieren. ■ Daniel Wermus Archiv Kantensprung AG Das Gundeldinger Feld in Basel: Umbauarbeiten für ein klimaschonendes Quartier. 2000-WATT-GESELLSCHAFT Es gibt ein Leben nach dem Erdöl Ohne Komforteinbusse könnte unsere Gesellschaft mit viel weniger Energie auskommen als heute. Doch weil das umweltschädigende Erdöl so billig ist, werden die klimaschonenden Technologien kaum genutzt. Pioniere zeigen, dass es auch anders geht – zum Beispiel in Basel. In Basel hat die Energiezukunft schon begonnen: Ende 2002 wurden die letzten Produktionsanlagen auf dem 12 700 Quadratmeter grossen Fabrikareal «Gundeldinger Feld» demontiert. In der alten Gebäudesubstanz entsteht jetzt ein umweltverträgliches und klimaschonendes Gewerbe-, Freizeit- und Kulturzentrum mit 250 Arbeitsplätzen und Wohnraum für 80 bis 100 Menschen. Das Gebäude wird optimal isoliert und kommt dadurch mit viel weniger Heizenergie aus. «Wir verfolgen drei Ziele», erklärt die Architektin Barbara Buser. «Das Gundeldinger Feld wird ein Treffpunkt für die Quartierbevölkerung, die notwendigen Umbauten erfolgen nach baubiologischen Kriterien, und die Umweltbilanz entspricht den Vorgaben der ‹2000Watt-Gesellschaft›.» Ziel: 70 Prozent weniger Treibhausgase Dem ehrgeizigen Umweltziel liegen die Erkenntnisse der Klimaexperten zu Grunde. Sie zeigen, dass der Ausstoss an Treibhausgasen weltweit um mindestens 70% sinken muss, wenn eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert werden soll. Vor diesem Hintergrund hat die ETH Zürich ihre Vision einer 2000-Watt-Gesellschaft entwickelt. Demnach soll der Energiebedarf pro Kopf ohne nennenswerte Komforteinbussen von heute rund 6000 auf 2000 Watt sinken. Die Zielgrösse entspricht dem Gesamtverbrauch von 20 permanent brennenden Glühbirnen à 100 Watt. Im Jahr 2050 sollte das ausreichen, um den gesamten Bedarf einer Person für Mobilität, Wärme, Licht und die in den konsumierten Gütern versteckte graue Energie zu decken. Davon darf dereinst jedoch nur noch ein Viertel – also 500 Watt – aus nicht erneuerbaren Quellen stammen, wenn das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllt sein soll. 500 Watt entsprechen der Dauerleistung, die mit 1,1 Liter Benzin pro Tag erzeugt werden kann. Und diese Benzinmenge reicht aus, um in einem Jahr immerhin eine Fahrstrecke von rund 13 500 Kilometern mit einem Drei-Liter-Auto zurückzulegen. Der lange Weg zur Nachhaltigkeit Zwar liegt der Gesamtenergieverbrauch im weltweiten Durchschnitt gegenwärtig bei ungefähr 2000 Watt pro Person, doch ist der Konsum zwischen Industrie- und Entwicklungsländern völlig ungleich verteilt. «Zudem machen die fossilen Energien Erdöl, Kohle und Erdgas über 85 % des heutigen Verbrauchs aus», erklärt Markus Nauser vom BUWAL. «Vom Ziel der Nachhaltigkeit ist man also noch meilenweit entfernt.» Das Beispiel Gundeldinger Feld zeigt, wie steinig der Weg zur 2000Watt-Gesellschaft unter den heutigen Bedingungen ist. Die Reduktion des Energieverbrauchs um zwei Drittel erfordert Zusatzinvestitionen für das Bauprojekt von insgesamt rund 3 Mil- UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔39 in Watt 1500 heute 1200 in der 2000-Watt-Gesellschaft 900 600 300 Wohnen und Arbeiten Güter und Nahrung Infrastruktur Strom Auto Flugreisen Der Energieverbrauch heute und als Zielgrösse in der 2000-Watt-Gesellschaft: eine grosse Kluft zwischen Anspruch und Realität. lionen Franken. Probleme bereiten weniger die technischen Hürden der Wärmedämmung als vielmehr die Finanzierung. Nur rund ein Drittel der Mehrkosten lässt sich durch Energieeinsparungen wieder hereinholen. Für die restlichen zwei Millionen ist man auf Donatoren angewiesen. Die Mieter müssen nicht mit Zusatzkosten rechnen, verpflichten sich aber, die Energiesparziele aktiv zu unterstützen. www.foes-ev.de www.minergie.ch www.passivhaus.de Erdöl ist viel zu billig «Viele innovative Technologien zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs scheitern an den Billigpreisen für Erdöl», sagt Markus Nauser. Heute sind nur die wenigsten Technologien ausgereizt. Etwa zwei Drittel der Energie gehen nutzlos verloren. So erreicht der Benzinautomotor einen durchschnittlichen Wirkungsgrad von nur gerade 15 %. Die Brennstoffzelle als wesentlich effizientere Antriebsquelle der Zukunft schafft über 90 %. Doch schon jetzt liegen grosse Verbesserungen LINKS drin. Insgesamt schätzt die EU-Kommission das gegenwärtig nutzbare Sparpotenzial durch verbesserte Energieeffizienz auf 18 %. In vielen Fällen werden aber 40➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Öffentlicher Verkehr Quelle: ETH Zürich selbst finanziell lohnende Investitionen nur zum Teil realisiert. Brach liegendes Sparpotenzial Auch in den beiden Sektoren Verkehr und Gebäude, die im Inland mit Abstand am meisten Energie verbrauchen, liegt ein beträchtliches Sparpotenzial brach. So verpuffen die Anstrengungen der Autohersteller für effizientere Motoren, weil immer mehr grössere und luxuriösere Wagen verkauft werden. Der Durchschnittsverbrauch liegt heute mit 8,3 Litern für 100 Kilometer etwa auf dem Niveau der frühen 60er-Jahre. Derweil wird die Produktion des ersten Drei-Liter-Autos in Deutschland vorerst wieder eingestellt. Kaum jemand ist bereit, den Preis für sparsamste Motorentechnologie zu zahlen, solange der Anteil der Treibstoffkosten an den Gesamtkosten eines Autos derart gering ist. Dennoch rechnen Experten künftig mit einer markanten Senkung des Spritverbrauchs, bevor sich in 20 bis 30 Jahren alternative Motorenkonzepte auf breiter Ebene durchsetzen. Die heute verfügbaren Technologien ermöglichen auch im Gebäudebereich weitere Fortschritte. So hat der Minergie-Standard bei Neubauten die Wirtschaftlichkeit erreicht. Bei Sanie- rungen ist er zwar technisch realisierbar, doch haben die Tiefpreise für umweltschädigende Energien zur Folge, dass sich solche Investitionen nach den heute üblichen Massstäben noch zu wenig rasch auszahlen. «Wenn sich die Idee einer stärkeren Energiebesteuerung bei gleichzeitiger Reduktion der Arbeitsnebenkosten auf politischer Ebene durchsetzt, könnte das ‹Nullenergiehaus› schon in 20 Jahren die Standardlösung für Neubauten sein», meint Markus Nauser. Erfindergeist und Innovation allein werden nicht genügen, um die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. Ebenso wichtig ist die Anpassung der gesellschaftlichen Spielregeln. Dazu braucht es Mehrheiten an der Urne für umweltpolitische Weichenstellungen wie die Einführung einer ökologischen Steuerreform. Stimmen die Anreize via Portemonnaie, werden sich automatisch auch der Umgang mit Energie, das Mobilitätsverhalten und die Wohnraumansprüche verändern. Damit dürfte der künftige Lebensstil auch den Anforderungen des Klimaschutzes und einer nachhaltigen Entwicklung besser genügen. Spätestens dann werden Vorhaben wie im Gundeldinger Feld nicht mehr vom Goodwill von Donatoren abhängen, sondern moderner, komfortabler und umweltverträglicher Alltag sein. ■ Urs Fitze INFOS Markus Nauser, Sektion Ökonomie und Klima, BUWAL Tel. 031 324 42 80 Fax 031 323 03 67 [email protected] INTERVIEW MIT BUWAL-DIREKTOR PHILIPPE ROCH Wir brauchen mehr geistige Mobilität und Lebensqualität Keystone UMWELT: Laut Klimaexperten sitzen wir in einem Wagen, der mit 100 Stundenkilometern in eine Mauer rast. Ist es nicht lächerlich, wenn das Kyoto-Protokoll die Geschwindigkeit bloss auf 95 km/h senken will? Philippe Roch: Es stimmt, dass die von den reichen Ländern bis 2010 verlangte Reduktion der CO2-Emissionen – 5 % im Mittel und 8 % für die Schweiz – nur ein Anfang sein kann. Gemäss den Klimaexperten braucht es eine Verminderung in der Grössenordnung von 70 %, um das Klima im 21. Jahrhundert zu stabilisieren. Diese Kluft zwischen Anforderung und Realität zeigt, dass wir mitten in einem zivilisatorischen Entscheidungsprozess stecken. Wir stossen an die Grenzen des Systems – unabhängig von den Korrekturmassnahmen und technischen Verbesserungen. Wir bringen nicht nur die Atmosphäre aus dem Gleichgewicht, sondern erschöpfen auch die Ressourcen. Die grossräumige Umweltverschmutzung, Industrieunfälle, der Krieg und die Spannungen im Mittleren Osten, Konflikte um Rohstoffe und Terrorismus sind Zeichen eines Zivilisationsmodells in der Krise. Und irgendwann in den nächsten Jahrzehnten geht uns mit dem Erdöl der Betriebsstoff aus. Und trotzdem möchten mehr als drei Milliarden Menschen in Asien so leben wie wir. Ich verurteile dies nicht, doch es ist ein entscheidender Grund für das Scheitern unseres Energiesystems. Die einzige Lösung besteht darin, mit massiven Investitionen im Süden die Sonnenenergie und den Einsatz von sauberen Technologien zu fördern. Wir in den reichen Industrieländern müssen über einen weniger verschwenderischen Lebensstil nachdenken. Einzelne politische Entscheide zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und der erneuerbaren Energien zielen bereits in diese Richtung. Aber es gibt auch rückwärts gewandte Vorstösse wie die Avanti-Initiative, welche in die verkehrte Richtung steuern und dem Klima damit schaden. Die grundsätzliche Veränderung ist jedoch spiritueller Natur: Wir sollten vom Konsum unabhängige Werte wie Natur, Kultur, Geselligkeit und Lebensqualität im Quartier wieder aufwerten. Dann muss man auch nicht jedes Wochenende irgendwohin flüchten. Hier ist nicht von Geboten oder Verboten die Rede. Eine solche Veränderung geht von Kunstschaffenden, Denkern und allen Personen aus, die eine andere Mobilität entwickeln: die geistige Beweglichkeit zur Förderung von alternativen Werten. Stellt man sich solche Fragen auch in den USA als treibende Kraft der energiefressenden Gesellschaft? Dass die USA beim Kyoto-Prozess abseits stehen, ist sicherlich negativ. Doch man darf nicht alles an der Politik eines Präsidenten messen. Es gibt in diesem Land auch viele Forschende und Lokalpolitiker, die bedeutende Veränderungen erreichen. Man mag mich als naiven Optimisten sehen, doch eines Tages wird man auch in den USA erkennen, wie riskant die Abhängigkeit vom Erdöl ist und dass auch ein Irak-Krieg keine Lösung bringt. Die USA verfügen über das wirtschaftliche und geistige Potenzial, um wirkungsvoll und rasch zum erforderlichen Wandel beizutragen. Es liegt an uns, sie durch konstruktive Kritik in diese Richtung zu lenken. Hat die Schweiz überhaupt genügend Gewicht, um etwas zu verändern? In internationalen Foren zählt die Schweiz zu den am stärksten engagierten Akteuren. Durch ihre Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit ist es ihr mehrfach gelungen, festgefahrene Situationen zu entflechten. Dank der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit und unserer Unterstützung des Globalen Umweltfonds GEF entstanden viele Projekte für weniger energieintensive und umweltbelastende Produktionsverfahren. Die Schweizer Industrie hat ihrerseits saubere Technologien entwickelt. Um diese zu fördern, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft seco in China eine entsprechende Stelle geschaffen. Sind das nicht Tropfen auf einen heissen Stein? Evolution entsteht gerade durch eine Menge von Wassertropfen. Es ist die geballte Kraft von vielen Einzelaktionen, welche letztlich die Welt verändert! Interview: Daniel Wermus UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔41 KLIMASCHUTZ IM ALLTAG Kyoto liegt vor der eigenen Haustür Fast alles, was wir tun und konsumieren, setzt Treibhausgase frei. Wer sich bewusst ernährt, umweltschonend heizt, vor allem mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und auf das Fliegen verzichtet, kann jedoch schon heute klimaverträglich leben. Für mehr als 27 Kilo Kohlendioxid (CO2) aus der Verbrennung fossiler Energie ist ein Durchschnittsmensch in der Schweiz täglich verantwortlich. Die grauen Emissionen sind eingerechnet, denn CO2 geht nicht nur direkt über Heizungskamine und Auspuffrohre in die Luft – auch in jedem Konsumgut und Gebäude verstecken sich Treibhausgase, die in der Produktionsphase anfallen. So betrachtet belastet die Schweiz das Weltklima nicht nur mit den 6 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr, die in der amtlichen Statistik erfasst sind, sondern mit gut 10 Tonnen. Das ist fünfmal zu viel. Um die unvermeidliche Zunahme der Temperatur in einem erträglichen Rahmen zu halten, muss die Menschheit den CO2-Ausstoss in absehbarer Zeit auf jährlich unter 2 Tonnen pro Person senken. Bei allen Möglichkeiten der Technik ist klar, dass sich der heutige Lebensstil und Ressourcenverbrauch auf der nördlichen Halbkugel nicht auf acht oder gar zehn Milliarden Menschen übertragen lassen. Der Mensch ist, was er isst Bis vor einigen Jahren entwich im Inland noch ein Grossteil des Kohlendioxids den Raumheizungen. Heute sind Automotoren die wichtigste Quel- le. Ebenfalls stark zugenommen haben die grauen Emissionen in den Nahrungsmitteln. Je nachdem, was auf den Tisch kommt, gehen sehr unterschiedliche CO2-Mengen in die Luft. [ Nachhaltige Mobilität Wer kein eigenes Auto hat und nie fliegt, befriedigt sein Mobilitätsbedürfnis mit viermal weniger CO2 als der Durchschnittsschweizer. Der Beitrag DER CO2-AUSSTOSS PRO KOPF MUSS AUF JÄHRLICH WENIGER ALS 2 TONNEN GESENKT WERDEN Nehmen wir Familie Cucinotta*. Die Eltern Laura und Felix sind Vegetarier, aber Gourmets. Sie kochen phantasievoll für sich und ihre beiden Kinder. Frisches, saisongerechtes Gemüse in seiner ganzen Vielfalt ist an der Tagesordnung. Dagegen sind Fertigmenüs aus der Tiefkühltruhe ebenso verpönt wie der Mikrowellenherd. Bei solchen Ernährungsgewohnheiten setzt eine Person jährlich weniger als eine Tonne CO2 frei. Wer dagegen viel Fleisch isst, täglich Tiefgefrorenes auftaut und nicht auf regionale Herkunft achtet, kommt auf mindestens eine halbe Tonne mehr. Schlachtvieh zu mästen erfordert eben einen viel höheren Energieeinsatz als Pflanzenbau, denn für jede Kalorie Fleisch braucht es ein Mehrfaches an pflanzlichen Kalorien in Form von Futtermitteln. ] des Flugverkehrs zur Klimaerwärmung ist zwar noch relativ gering, nimmt aber rasch an Bedeutung zu. Bezüglich CO2-Ausstoss pro Kopf entspricht ein Kilometer zu zweit im Auto etwa einem Kilometer in der Luft. Im Schweizer Mittel legt ein PW jährlich etwa 13 500 Kilometer zurück. Ein Retourflug in die Karibik entspricht 16 000 Kilometern. Dabei entweichen rund 3 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Wer mindestens einmal pro Jahr soweit fliegt, produziert deshalb in der Regel mehr Treibhausgase als Automobilisten, die ihre Bilanz zudem durch die Wahl eines sparsamen Modells aufbessern können. Die Extreme des CO2Ausstosses pro Fahrkilometer liegen bei allen Kategorien weit auseinander. In der unteren Mittelklasse reicht die Spannweite gemäss Typenprüfung von Fortsetzung S. 44 42➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Ernährung Privatkonsum Privatfahrzeuge Wohnen Flugreisen Öffentlicher Konsum Heizen Öffentlicher Verkehr Fotos: AURA/BUWAL/Docuphot Die wichtigsten Einflussfaktoren zur Berechnung der persönlichen CO2-Bilanz. Rechne! Errechnen Sie Ihre persönliche CO2-Bilanz am PC via Internet. Der ECO2-Rechner ist viel leichter auszufüllen als eine Steuererklärung, aber instruktiv im Ergebnis und bietet einiges an Hintergrundinformation: www.ecospeed.ch > Tools > ECO2 Privat Erdölverbrauch in Litern pro Kilo Gemüse, je nach Herkunft CO2-Ausstoss aus dem Verbrauch fossiler Energie pro Person im internationalen Vergleich 4,8 5 Tonnen pro Kopf/Jahr 20 4 18 16 3 14 12 10 2 8 6 1 Quelle: WWF Schweiz Indien 0,9 Brasilien 1,8 China 2,4 Mexiko 3,7 Schweiz 5,8 Frankreich 6,2 Italien 7,4 Österreich 7,7 Grossbritannien 8,9 Quelle: Internationale Energieagentur (IEA) 2002 Japan 9,1 Übersee Flugzeug Deutschland 10,1 Übersee Schiff 2 Russland 10,3 Europa 4 0,25 Australien 17,2 Schweiz 0,2 USA 20,6 0,1 Der weltweite CO2-Ausstoss betrug im Jahr 2000 23 900 Mio. Tonnen. UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔43 Fortsetzung von S. 42 144 g CO2/km bis in den Bereich von 250 g CO2/km – jeweils ohne graue Emissionen. Warme Stuben Die Treibhausgase durch das Heizen lassen sich individuell nur begrenzt beeinflussen. In Mietwohnungen sind Gebäudezustand und Heizsystem vorgegeben. Hier besteht jedoch das grösste Reduktionspotenzial. Eine durchschnittliche Schweizer Wohnung hat eine Fläche von 95 Quadratmetern. Um sie mit einer modernen Heizung warm zu halten, braucht es bei sehr guter Wärmedämmung – nach Minergie-Standard – und einem energiebewussten Verhalten der Bewohner pro Jahr etwa 450 Liter Heizöl extra-leicht. Dabei werden rund 1,2 Tonnen CO2 freigesetzt. In einem schlecht isolierten Gebäude mit veralteter Heizung entweicht dagegen ein Mehrfaches an Kohlendioxid. Steht im Keller eine Holzheizung, sind die Netto-Emissionen nahezu null, denn Heizen mit Holz ist CO2neutral. Zwar geht dabei ebenfalls Kohlendioxid in die Luft, doch dies wäre auch der Fall, wenn das Holz im Wald verrottet. Ganz ohne Effekt ist das persönliche Verhalten in den eigenen vier Wänden aber nicht. Nathalie Dubois* weiss, worauf es ankommt. Die Temperatur in ihrer 3-Zimmer-Wohnung überschreitet nie 21 Grad – das Schlafzimmer bleibt kühler – und gelüftet wird jeweils kurz, aber gründlich. Bei ihrem neuen Freund Peter Bürgi* hingegen sind alle Zimmer auf 23 Grad beheizt, und zur Belüftung steht dauernd ein kleines Fenster offen. Ergebnis: Bei Nathalie gehen pro Jahr 1,6 Tonnen 44➔ UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL Der ökologische Fussabdruck Im Living Planet Report hat der WWF mit dem ökologischen Fussabdruck einen weiteren Ansatz definiert, um die Umweltverträglichkeit zu messen. Damit ist die gesamte biologisch produktive Land- oder Meeresfläche gemeint, die eine Person, ein Land oder eine ganze Weltregion benötigt, um Nahrungsmittelpflanzen, Fleisch, Meeresfrüchte, Holz sowie Textilien zu produzieren und die eigene Energieversorgung sicherzustellen. Der Fussabdruck bezüglich CO2Emissionen entspricht der Waldfläche, die nötig wäre, um das freigesetzte Kohlendioxid zu absorbieren. Die biologische Kapazität der Erde liegt heute bei 1,9 Hektaren pro Person. Ein Afrikaner beansprucht weniger als 1,4, eine Westeuropäerin deren 5 und ein Nordamerikaner 9,6 Hektaren. Berechnen Sie Ihren Fussabdruck: www.footprint.ch Eine Person in der Schweiz beansprucht bei durchschnittlichem Lebensstil 4,12 Hektaren produktive Fläche. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung des Landes ergibt dies gut 300 000 Quadratkilometer. Im Inland sind ohne die Gewässer und Gebirge aber nur 30 757 Quadratkilometer verfügbar. Das nutzbare Land entspricht also in keiner Weise dem Raumbedarf, der für unseren Lebensstil und Ressourcenverschleiss nötig ist. Global denken – lokal handeln Am Erdgipfel in Rio von 1992 wurde ein innovatives Instrument lanciert, um den klimapolitischen Spielraum der Städte und Gemeinden optimal zu nutzen. Die UNO-Konferenz forderte die kommunalen Behörden weltweit dazu auf, im Dialog mit der Bevölkerung eine Lokale Agenda 21 zu erarbeiten. Aus diesen Prozessen sollen sich Projekte für eine gesündere Umwelt und mehr Lebensqualität entwickeln – zum Beispiel für einen sparsamen Energieeinsatz, die Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren oder mehr Natur in Stadt und Land (vgl. UMWELT 2/2002). www.agenda21local.ch www.agenda-21.ch CO2 für Raumwärme in die Luft, bei ihrem Freund sind es 3,4 Tonnen, also mehr als doppelt so viel. Aber bald wird auch Peters Bilanz besser aussehen. Die beiden haben sich nämlich entschieden, eine Wohnung zu kündigen und zusammenzuziehen. Auch wenn Nathalies Umerziehungsversuche nichts fruchten sollten, wird Peter seine Emissionen für die Raumheizung auf einen Schlag um die Hälfte reduzieren. Denn nach wie vor ist der individuelle Wohnraumbedarf ein entscheidender Faktor für den Heizenergieverbrauch. Im Schweizer Mittel belegt eine Person – bei zunehmender Tendenz – rund 45 Quadratmeter beheizte Wohnfläche. ob man die 2400 Quadratmeter Geschossfläche mit Erdöl oder Holzschnitzeln beheizen soll. Im zweiten Fall vermeidet die Gemeinde CO2-Emissionen im Umfang von nahezu 60 Tonnen jährlich oder 500 Kilo pro Kind. Eine Halbierung ist schon heute möglich Marie-Louise Jacquemet* ist der Zeit um Jahrzehnte voraus. Obwohl sie mit ihrer schulpflichtigen Tochter Nora durchaus komfortabel und genüsslich lebt, macht ihr CO2-Ausstoss weniger als die Hälfte des Schweizer Durchschnitts aus. Die Krankenschwester in Bereich Der Einfluss der Stimmbürger In einem Punkt sind wir alle gleich: 600 Kilo CO2 pro Kopf und Jahr setzen wir durch den «öffentlichen Konsum» frei. Diese Emissionen fallen beim Bau und Betrieb der öffentlichen Infrastruktur sowie bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben an. Als Privatperson kann man hier nicht viel ausrichten – wohl aber als Stimmbürger mit politischen Einflussmöglichkeiten über die Wahrnehmung der Volksrechte. Schon auf Gemeindeebene lässt sich klimapolitisch einiges bewegen. Braucht etwa das Schulhaus für 120 Kinder eine neue Heizung, so stellt sich die Frage, www.energieeffizienz.ch www.klima-schweiz.ch/fakten LINKS Kaderposition lebt in einer Mietwohnung. Das Haus ist nach neusten Energiestandards gebaut und wird mit einer modernen Holzschnitzelanlage beheizt. Marie-Louise kocht vegetarisch und fährt per Tram oder Velo zur Arbeit. Sie besitzt kein Auto, fliegt praktisch nie, reist aber gerne und legt mit ihrem SBB-Generalabonnement und der Familienkarte jährlich rund 15 000 Kilometer im Zug zurück. Das reicht für mehrere Auslandreisen und Ausflüge in die Berge. * Alle Namen sind frei erfunden. ■ Hansjakob Baumgartner Emissionen in Tonnen CO2 pro Person und Jahr Marie-Louise Jacquemet* Heizen Wohnen Ernährung Privatfahrzeuge Öffentlicher Verkehr Flugreisen Privatkonsum Öffentlicher Konsum 0,0 0,7 1,0 0,2 0,6 0,0 1,6 0,6 Schweizer Durchschnitt gemäss ECO2-Rechner 1,6 1,2 1,6 2,9 0,2 0,3 1,7 0,6 Total 4,7 10,1 Marie-Louise Jacquemet* lebt ohne Abstriche am Lebensstandard energiebewusst. Sie belastet die Atmosphäre nicht einmal halb so stark mit Kohlendioxid wie eine Person im Schweizer Durchschnitt. INFOS Thomas Bucher, Bereichsleiter Markus Nauser, Sektion Umweltbildung, BUWAL Ökonomie und Klima, BUWAL Tel. 031 322 93 26 Tel. 031 324 42 80 Fax 031 322 70 54 Fax 031 323 03 67 [email protected] [email protected] UMWELT 2/03 KLIMAWANDEL ➔45 O N L I N EKLIMA www.klima-schweiz.ch (D, F, I, E) Schweizer Klimapolitik Die Seite des BUWAL enthält nicht nur Wissenswertes über die Schweizer Klimapolitik, sondern neben statistischen Daten auch praktische Tipps zum Klimaschutz im Alltag. Zudem sind Arbeitsblätter für Schulen zum Thema «Das Klima in Menschenhand» online verfügbar. www.climate-change.ch (D) Alles Wissenswerte auf einen Blick Ein breit gefächertes Angebot von Informationen zu allen Aspekten des Klimas. Neben Wissenswertem zu Ursachen und Auswirkungen der Klimaveränderung werden auch Bezüge aufgezeigt zu Themen wie Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft und Gesundheit. www.uno.de/umwelt/index.cfm (D) Was tut die UNO? Die Site informiert darüber, welchen Platz Klimaschutz auf der internationalen Agenda einnimmt. Informationen und Dokumente zum Europäischen Umweltprogramm sind ebenso abrufbar wie ein übersichtlicher Leitfaden für Laien zur Klimakonvention und zum Protokoll von Kyoto. http://unfccc.int/portfranc/ (D, F) Klimakonvention Hier können Interessierte die Texte der Klimaschutzkonvention und des Protokolls von Kyoto herunterladen. Daneben enthält die Site Informationen zu den Zielen der Klimakonferenzen und zu den Unterzeichnerstaaten. www.treibhauseffekt.com (D) Was ist der Treibhauseffekt? Die Website vermittelt eine anschauliche Erklärung des Treibhauseffektes sowie zahlreiche Energiespartipps. Ein Quiz richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die ihr Wissen testen können. www.ecospeed.ch > Tools > ECO2 Privat (D) Ihre persönliche Energie- und CO2-Bilanz Der ECO2-Rechner berechnet Ihren persönlichen Energieverbrauch und CO2-Ausstoss. Er zeigt auf, wie stark Sie die Umwelt im Vergleich mit anderen Personen bei uns oder im Ausland belasten. Dabei wird auch die in den Gütern versteckte graue Energie bilanziert. Die Website verdeutlicht zudem, mit welchen Massnahmen man Energie und CO2 einsparen kann. 46➔ UMWELT 2/03 ONLINE www.energie-atlas.ch (D, F, I) Erneuerbare Energie europaweit Die Karten des Energieatlas zeigen für alle europäischen Länder auf, welche erneuerbaren Energieformen hier realisierbar oder schon verbreitet sind. Dazu liefert die Site technische Informationen zur Nutzung von erneuerbaren Energiequellen. www.solarspar.ch (D) Klimaschutz konkret Der Verein Solarspar analysiert den Energieverbrauch eines Unternehmens, einer Gemeinde oder Schule, schlägt Energiesparmassnahmen vor und hilft bei der Finanzierung. Die Site informiert über laufende Projekte und Möglichkeiten, selber einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. www.wwf.ch (D, F. I) Nützliches für den Alltag Neben Informationen zu Klimawandel und Klimaschutz bietet die Seite des WWF Schweiz vor allem nützliche Energiespartipps und Anregungen zum Klimaschutz im alltäglichen Handeln. Die Informationen sind häufig spielerisch aufbereitet und sprechen auch Jugendliche an. www.toptotop.org > Swiss TOPtoTOP (D,E) Expeditionen für den Klimaschutz Der Verein TOPtoTOP organisiert klimaverträgliche Expeditionen und verbindet dabei Naturerlebnisse mit Umweltarbeit. Anhand von lokalen und regionalen Initiativen mit Vorbildcharakter will man die Leute motivieren, selber aktiv zu werden und ihren persönlichen Beitrag zum Schutz des Klimas zu leisten. www.topten.ch (D, F, I) Energiesparende Geräte Gestützt auf Testresultate von bewährten Instituten informiert die Website unter anderem über energieeffiziente Produkte und Dienstleistungen. Wichtige Kriterien zur Bewertung von Geräten und Fahrzeugen sind zudem eine möglichst geringe Umweltbelastung sowie die Sozialverträglichkeit der Angebote. www.energiestadt.ch (D, F, I) Ausgezeichnete Städte und Gemeinden In der Schweiz leben insgesamt 1,5 Millionen Menschen in Energiestädten. Dieses Label gilt als Leistungsausweis für die Umsetzung einer umweltbewussten Energiepolitik auf Gemeindeebene. Die Website will den Erfahrungsaustausch fördern und stellt neue Projekte vor. TROCKENWIESENINVENTAR Ich sag dir, wo die Blumen sind Ein Bundesinventar erfasst die schönsten Blumenwiesen der Schweiz. Die neue Agrarpolitik begünstigt den Schutz dieser wertvollen Lebensräume. www.umwelt-schweiz.ch > Fachgebiete > Lebensräume & Parks > Trockenwiesen und -weiden LINK Zwei Drittel der hiesigen Landwirtschaftsfläche sind Grünland, doch nur ein kleiner Teil davon ist bunt: Insgesamt 16 000 Hektaren umfassen die bis anhin kartierten Flächen für das Inventar der Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW). Ende 2002 hatten die Botanikerinnen und Botaniker, welche die Mähwiesen, Wildheuplanggen und trockenen Magerweiden von nationaler Bedeutung bewerten und deren Vegetation er- 48➔ UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ fassen, 17 Kantone bearbeitet. Geht alles nach Fahrplan, wird der Bundesrat Ende 2004 die erste Inventarserie samt Schutzverordnung in Kraft setzen. Höchste botanische Vielfalt Trockene, magere Wiesen und Weiden gehören hier zu Lande zu den Lebensräumen mit der höchsten botanischen Vielfalt. Nirgendwo sonst blühen auf kleiner Fläche so viele verschiedene Gräser und Kräuter. Ein Grossteil der ansässigen Arten – darunter etliche Orchideen – sind auf diesen Lebensraum spezialisiert und anderswo ohne Chan- cen. Dies gilt auch für manche Insekten: Jeder zweite einheimische Schmetterling braucht artenreiche Wiesen, sei es als Habitat der Raupe oder des ausgewachsenen Falters. Als Teil der Kulturlandschaft ist die Mähwiese eine relativ junge Erscheinung. Landschaftsprägend wurde sie Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Bauern auf ganzjährige Stallhaltung umstellten. Bis um 1950 war extensive Nutzung mit zweimaligem Schnitt – Heu und Emd – der Normalfall. Heute sind auf ertragreichen Wiesen bis zu sechs Schnitte möglich. oekoskop Von links aussen: der Österreichische Drachenkopf (Dracocephalum austriacum) ist stark gefährdet und findet sich nur im unteren Rhonetal und Unterengadin, das Helm-Knabenkraut (Orchis militaris) wächst auf Magerwiesen und in Buschwäldern, die Spitzorchis (Anacamptis pyramidalis) ist ebenfalls eine gefährdete Pflanze. Man findet sie auf Magerwiesen und -weiden. Der Clusius Enzian (Gentiana clusii) liebt Kalkböden. Ohne Nutzung kommt Wald auf In den letzten 60 Jahren sind schätzungsweise 90 % der Trockenwiesen verschwunden – im Flachland gibt es praktisch keine mehr. Weniger als ein Viertel der bisher erfassten TWWFläche liegt unterhalb von 750 Höhenmetern. Der grösste Teil befindet sich in steilem Gelände. Etwa 60 % werden beweidet, 30 % gemäht und 10 % liegen brach. Das TWW ist rechtlich ein Biotopinventar. Wie die Moore und Auen von nationaler Bedeutung, sind die TWWObjekte vollständig zu erhalten. Das bedeutet in ihrem Fall eine angepasste Nutzung: Wiesen brauchen den Mäher und Weiden das Vieh, sonst nimmt die natürliche Vegetationsentwicklung ih- ren Lauf, und auf den einst gerodeten Flächen wächst wieder Wald. Die 10 % Brachflächen signalisieren denn auch Handlungsbedarf. Die Nutzung wird mit den Landwirten vertraglich geregelt. Kernpunkte sind meist der Verzicht auf Dünger und in der Regel ein Schnitt pro Jahr. Trockenwiesen sind beitragsberechtigte ökologische Ausgleichsflächen. Die Umsetzung des TWW fügt sich nahtlos in die neue Agrarpolitik ein – nicht zuletzt dank der Öko-Qualitätsverordnung ÖQV, welche zusätzliche Möglichkeiten zur Finanzierung des aktiven Naturschutzes durch Bäuerinnen und Bauern bietet. INFOS Edith Madl Sektion Artenund Biotopschutz, BUWAL Tel. 031 322 99 80 Fax 031 324 75 79 [email protected] LESETIPP Trockenwiesenpost heisst das Informationsbulletin des TWW-Projekts. Es erscheint einmal im Jahr. Herausgeber: BUWAL Bestelladresse: oekoskop, Dornacherstr. 192, 4053 Basel, Tel. 061 336 99 44, ■ Hansjakob Baumgartner [email protected] UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ ➔49 2 1 TOURISMUS Die Landschaft ist das Kapital Intakte Landschaften und eine gelebte Kultur machen die spezielle Ausstrahlung vieler Ausflugs- und Ferienorte in der Schweiz aus. Um diese Trümpfe noch besser auszuspielen, müssen Fachleute aus den Bereichen Tourismus, Gastronomie, Landwirtschaft, Natur- und Heimatschutz vermehrt zusammenarbeiten. Das BUWAL will deshalb die schonende Entwicklung der Kulturlandschaften durch den Tourismus fördern und die Synergien mit der Reisebranche stärken. Die Via Spluga von Thusis GR über den Splügen nach Chiavenna ist mehr als eine Alpenüberquerung, mehr als ein Weg von der Schweiz nach Italien. Schon kurz nach dem Start erlebt der Wanderer in der bereits vor 2000 Jahren begangenen Viamala-Schlucht ein gewaltiges Naturschauspiel. Die Wanderung führt durch eindrückliche Alpenlandschaften mit einer lebendigen 50➔ UMWELT 2/03 TOURISMUS Vergangenheit. Kulturgüter von internationaler Bedeutung wie die jungsteinzeitlichen Felszeichnungen von Carschenna oberhalb Sils im Domleschg oder die Kirche St. Martin von Zillis mit ihrer frühmittelalterlichen Decke zeugen davon. Das Passdorf Splügen wurde 1995 wegen seines vorzüglich erhaltenen und gepflegten Dorfbildes mit dem Wakker-Preis ausgezeichnet. 65-km-Wanderung im Paket Diese Natur- und Kulturschätze zu erhalten und touristisch besser zu vermarkten, ist das Ziel des Projekts «Via Spluga», das von Regio Plus – einem Impulsprogramm zur Unterstützung des Strukturwandels im ländlichen Raum – und dem Fonds Landschaft Schweiz FLS unterstützt wird. Die Via Spluga wurde zu einem gut begehbaren Fernwander- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 4 3 Alle Bilder: Photo TIARA, Rothenbrunnen Von links: 1 Blick am Eingang der Viamalaschlucht zurück nach Thusis, 2 Zillis – Hängebrücke Viamalaschlucht, 3 Wasserfall in der Roflaschlucht, 4 Splügen – Schweizer Zollstation weg ausgebaut und der alte Säumerpfad durch die Viamala wieder in Stand gestellt. Die gesamte, 65 Kilometer lange Wanderung kann heute als touristisches Paket gebucht werden – mit fünf Übernachtungen, Gepäcktransport von Hotel zu Hotel und weiteren Extras. Dieses Angebot habe zu einer spürbaren Belebung in der Hotellerie geführt, meint Projektleiter Willy Ziltener. Davon würden auch die regionale Landwirtschaft und das Gewerbe profitieren. Die Via Spluga ist beispielhaft für eine Partnerschaft zwischen Landschaftsschutz und Tourismus, die zwar noch am Anfang steht, aber bereits erste Früchte trägt. Die Vielfalt und Einzigar- tigkeit der Landschaft sind denn auch das Kapital des Schweizer Tourismus. 76 Prozent der Einheimischen, die ihre Ferien im Inland verbringen, nennen Natur und Landschaft als Grund für ihre Ortswahl. Von den ausländischen Gästen kommen gar 83 Prozent, weil ihnen die Schweiz landschaftlich besonders gut gefällt. Landschaftliche Schönheit hat ihren Preis Intakte Natur und landschaftliche Schönheit sind keine selbstverständlichen Güter – auch wenn sie heute noch oft als solche betrachtet werden. Unsere Kulturlandschaften sind im Auskunft und Reservierung für Wanderungen entlang der Via Spluga: Freizeit Graubünden, 7208 Malans Tel. 081 300 06 90 [email protected], www.freizeit-graubuenden.ch Laufe der Jahrhunderte durch die Arbeit der ortsansässigen Menschen entstanden, wobei insbesondere die landwirtschaftliche Bewirtschaftung den Charakter vieler Gegenden bis heute prägt. Diese Tätigkeiten der Bäuerinnen und Bauern müssen in angepasster Form weitergeführt werden, weil die Landschaft sonst ihr Gesicht verliert. Nur mit Sorgfalt und Respekt für die vorhandene Vielfalt lassen sich schöne Landschaften auch in Zukunft erhalten UMWELT 2/03 TOURISMUS ➔51 6 5 Von links: 5 Sustenhäuser bei Montespluga, 6 Wegverlauf in der Cardinelloschlucht, 7 Isola, 8 Wegverlauf bei Vho, 9 Ansicht von Chiavenna www.viaspluga.com www.regioplus.ch www.fls-fsp.ch www.ftl.hsr.ch/framesets/f_start.htm und entwickeln. Gelingt dies nicht, so drohen dem inländischen Tourismus – gemäss Berechnungen des Staatssekretariats für Wirtschaft seco – erhebliche Einbussen. Falls sich die landschaftlichen Qualitäten bei uns im Vergleich zu den umliegenden Ländern verschlechtern sollten, wäre mit 20 Prozent weniger einheimischen und gar mit 30 ProLINKS zent weniger ausländischen Feriengästen zu rechnen. Dies käme einem Einnahmenverlust von 2 Milliarden Franken gleich. Das seco schätzt den Unternehmenswert der Landschaft für den Schweizer Tourismus auf 70 Milliarden Franken. Dies entspricht gut 52➔ UMWELT 2/03 TOURISMUS [ DIE SCHONENDE ENTWICKLUNG UND DER SCHUTZ VON LANDSCHAFTEN LEISTEN EINEN WICHTIGEN BEITRAG ZUR LEBENSQUALITÄT IN TOURISMUSORTEN dem vierfachen Unternehmenswert der Schweizer Hotellerie. Der Bund hilft mit BUWAL und seco unterstützen deshalb Tourismusangebote, welche Natur und Landschaft schonen sowie die lokale Kultur und Wirtschaft stärken. Schwerpunkte bilden dabei die touristische Vermarktung, die Unterstützung von guten Angeboten sowie die Schaffung von neuen Natur- und Landschaftsparks. Diese Initiativen sollen zu erlebnisreichen, lebendigen Landschaften führen, welche auch dem Menschen ] zugänglich sind. Die schonende Entwicklung und – wo nötig – auch der Schutz von Landschaften leisten einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität in den Tourismusorten, zur Erholungsfunktion sowie zur dauerhaften Nutzung der natürlichen Ressourcen. Das Segment des naturnahen Tourismus wird gemäss seco dann erfolgreich wachsen, wenn es durch glaubwürdige, engagierte Anbieter getragen wird, auf erlebnisorientierten Angeboten aufbaut und diese den Zielgruppen verständlich vermittelt. Eine unkomplizierte Buchung gehört ebenso dazu wie 7 8 9 Alle Bilder: Photo TIARA, Rothenbrunnen die regionale Zusammenarbeit von Gastronomie und Landwirtschaft. Gute Voraussetzungen für solche natur- und landschaftsorientierte Tourismusangebote finden sich nicht zuletzt in Regionen, die durch verschiedene Bundesinventare geschützt sind – so etwa durch Objekte des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). ■ Matthias Stremlow, BUWAL INFOS Matthias Stremlow, Sektion Landschaft und Infrastruktur BUWAL Tel. 031 324 84 01 Fax 031 324 75 79 [email protected] Eine Lebensader für Randregionen Eine von den Bundesstellen BUWAL und seco gemeinsam organisierte Tagung zum naturnahen Tourismus hat Fachleute aus den Bereichen Tourismus, Natur- und Landschaftsschutz, Regionalplanung und Politik zusammengebracht. Als Dialogplattform markierte sie den Beginn einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus unterschiedlichen Gebieten mit gemeinsamen regionalpolitischen Interessen. Wie die Tagung zeigte, ist die Wertschöpfung von landschaftsorientierten Angeboten im Tourismus alles andere als marginal. Auch berühmte Kurorte wie Zermatt, Montana, Gstaad oder St. Moritz hängen entscheidend vom natürlichen Kapital eines landschaftlich intakten Hinterlandes ab. Vermehrt versuchen auch strukturschwache Regionen, ihre spezifischen Eigenheiten zu vermarkten, die früher noch als Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt galten. So hat sich etwa das Luzerner Entlebuch mit seinem alpenweit grössten Anteil an geschützten Moorlandschaften für ein von der Unesco anerkanntes Biosphärenreservat engagiert. Am 4. und 5. Juni 2003 findet in Willisau LU der vom BUWAL unterstützte Kongress «SwissNaTour» statt. Hier will man die Aspekte des Marketings im naturnahen Tourismus vertiefen. www.regioher.ch UMWELT 2/03 TOURISMUS ➔53 WILDTIERE Come-back des Rebhuhns 1993 brütete im Klettgau SH das letzte Paar, jetzt sind es wieder ein bis zwei Dutzend. Eine ökologische Aufwertung der Landschaft und wissenschaftlich begleitete Freilassungen verhalfen dem Rebhuhn in diesem Gebiet zu einem zweiten Leben. Zunächst ist bloss eine amorphe, graue Masse am Heckenrand zu erkennen, so nahe hocken die Vögel beieinander. Doch dann löst sich das Getümmel auf, die Konturen einzelner Rebhühner zeichnen sich ab. 6 Hähne und 3 Hennen zählt die «Kette», wie Rebhuhngruppen recht treffend genannt werden: Einer nach dem anderen treten die Vögel auf die Wiese, emsig im Grünzeug pickend. Plötzlich flattern sie wie auf Kommando auf und streichen im Formationsflug ab. Vögel auf Sendestation Der Biologe Markus Jenny hat die Hühner zuvor mit seinem Peilgerät lokalisiert. Zwei von ihnen tragen oberhalb des Bürzels einen 10 g schweren Sender, der sie nicht im Geringsten stört. Die Kette ist noch vollzählig, kann Karl Baumann, der örtliche Wildhüter, bestätigen. Er hat sie schon in den Wochen zuvor mehrmals hier beobachtet. Gemeinsam sind die beiden zuständig 54➔ UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ für die Überwachung der Rebhühner im schaffhausischen Klettgau, einer Agrarlandschaft mit Getreideäckern in der Ebene, Rebland in den sonnigen Hanglagen und ein paar malerischen Dörfern. Das Kerngebiet der Population bilden die «Widen» nordöstlich von Neunkirch. Der Bestand wurde künstlich angesiedelt. Knapp 300 Hühner aus Polen, Deutschland und Frankreich, rund die Hälfte davon Wildfänge, wurden zwischen 1998 und 2002 ausgesetzt. Sie halten sich wacker. «Der Bruterfolg war im vergangenen Jahr gut, die Sterblichkeit ist erstaunlich gering», berichtet Markus Jenny. Eine Zählung im Herbst 2002 ergab rund hundert Individuen. Das Projekt zur Wiederansiedlung, durchgeführt von der Schweizerischen Vogelwarte im Auftrag des BUWAL, hat eine mehr als zehnjährige Vorgeschichte. Anfangs der 1990er-Jahre lancierte die Vogelwarte je ein Schutzprogramm im Klettgau und in der Champagne genevoise (siehe Kasten). In diesen zwei Gebieten hielten sich damals die beiden letzten hiesigen Vorkommen der einst weit verbreiteten Vogelart, deren Bestand in der Schweiz von mindestens 10 000 Stück in den 1960er-Jahren auf höchstens ein paar Dutzend zusammengebrochen war. Brachen und Niederhecken Rebhühner leben vorwiegend vegetarisch. Bloss in den ersten Lebenswochen ernähren sie sich von Insekten und Spinnen. Wo Stauden und Kräuter üppig spriessen, finden die Vögel reichlich Grünzeug, Sämereien und tierisches Kükenfutter. Das Nest baut die Henne am liebsten in Brachen, Säumen mit dürrem, verfilztem Altgras oder an den Rand von Hecken und Kleingehölzen. Solche Strukturen werden im Klettgau seit 1991 durch Sonderprämien gezielt gefördert. Die ersten Buntbrachen der Schweiz erblühten hier. Sie prägen Das Klettgau SH ist wieder rebhuhntauglich geworden. Der Lebensraum reicht für etwa 60 Rebhuhnpaare. Wiederansiedlung auch in Genf Markus Jenny heute vor allem in den Widen das Landschaftsbild. Die Brachen wurden hier nicht eingesät, man liess der spontanen Vegetationsentwicklung ihren Lauf. Hochwertige Ökoflächen sind auch die dornigen Niederhecken und Kleingehölze sowie die sehr extensiv genutzten Wiesen, die im Rahmen des Rebhuhnprojekts angelegt wurden. Die ökologische Aufwertung der Landschaft trug rasch Früchte. Die Lerche und andere Vogelarten naturnaher Ackerlandschaften brüten wieder erfolgreicher als auch schon, der Hasenbestand erhöhte sich spürbar. Doch für das Rebhuhn kamen die Massnahmen zu spät. www.vogelwarte.ch Lebensraum für 60 Paare Inzwischen ist das Klettgau jedoch wieder rebhuhntauglich geworden. Die Kapazität des Lebensraums dürfte für etwa 60 Paare reichen, ergab eine Biotopanalyse. Im Sommer 2002 waren es bereits 10 bis 13 Paare. Die regelmässige Peilung der besenderten Vögel ergab, dass die angelegten Ökoflächen inLINK tensiv genutzt werden. Das erste Etappenziel des Wiederansiedlungsprojekts ist damit erfüllt. Zusätzliche Aussetzungen fortpflanzungsfähiger Hühner braucht es vorläufig keine mehr. Hingegen will man der Bestandesvermehrung künstlich nachhelfen: Paare ohne Nachwuchs erhalten Jungvögel aus einer naturnahen Zucht in Frankreich zur Adoption. Letztere werden in einer Volière im Revier des Paars deponiert. Nachts locken sie die Altvögel mit ihren Rufen herbei. Auf den Elterntrieb ist Verlass. Durch eine Reuse schlüpfen Henne und Hahn in die Volière und bleiben darin gefangen. Tags darauf werden Jung und Alt gemeinsam freigelassen – und bleiben fortan beisammen. Neue Chancen dank Öko-Qualitätsverordnung Noch liegt der Bestand im Klettgau deutlich unter dem Niveau, bei dem das Überleben nicht mehr eine Frage von Glück und Pech ist. Ein paar Jahre mit Regenwetter zur Brutzeit könnten das Werk wieder zunichte machen, fürchtet Markus Jenny. Das Rebhuhn wird auch in den kommenden Jahren ein Sorgenkind des Artenschutzes bleiben. Chancen bietet die seit 2002 wirksame ÖkoQualitätsverordnung. Mit ihr werden Mittel frei für agrarökologische Projekte, die den Hühnern auch anderswo wieder zu besseren Lebensbedingungen verhelfen könnten. Ebenfalls auf der Förderung von Buntbrachen basiert das Rebhuhnprojekt in der Champagne genevoise. Es läuft seit gut zehn Jahren, die Landwirte ziehen mit. Bei mehreren Vogelarten vielfältiger Ackerlandschaften, namentlich dem Schwarzkehlchen, der Dorngrasmücke und der Grauammer, bewirkten die Massnahmen auch schon regelrechte Bestandesexplosionen; doch eine Trendwende im Rückgang der Rebhühner erbrachten sie nicht. Der Bestand sank stetig von 17 Paaren Ende der 1980er-Jahre auf ein letztes im Sommer 2002. Woran liegt es? Vielleicht war die Zahl der Hühner bereits zu Beginn des Projekts unter das kritische Limit gerutscht. Deshalb soll nun auch in Genf das Rebhuhn eine zweite Chance erhalten. Vorgegangen wird nach demselben Schema wie im Klettgau. Die erste Aussetzungsrunde ist für 2004 geplant. INFOS Rolf Anderegg Bereich Wildtiere, BUWAL Tel. 031 324 78 33 Fax 031 324 78 66 ■ Hansjakob Baumgartner [email protected] UMWELT 2/03 ARTENSCHUTZ ➔55