speyerer forschungsberichte

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FORSCHUNGSINSTITUT
FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
BEI DER HOCHSCHULE
FÜR VERWALTUNGSWISSENSCHAFTEN SPEYER
Klaus König
ZUR KRITIK EINES NEUEN ÖFFENTLICHEN
MANAGEMENTS
3. Aufl age
SPEYERER
155
FORSCHUNGSBERICHTE
ISSN 0179-2326
Klaus König
Zur Kritik eines neuen öffentlichen Managements
Speyerer Forschungsberichte 155
Klaus König
ZUR KRITIK EINES NEUEN
••
OFFENTLICHEN MANAGEMENTS
3., unveränderte Auflage
FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
BEI DER HOCHSCitOLE
l'ÜK \'~RWAL1·0NG~WISSENSCHAl1T~N SPEl'~R
1998
1. Auflage Dezember 1995
2., unveränderte Auflage Februar 1997
3., unveränderte Auflage Februar 1998
Druck und Verlag:
FORSCiillNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Alle Rechte vorbehalten
V
VORWORT
Die Modernisierungsbewegung eines "New Public Management\ eines ''Reinventing Government" hat auch den deutschsprachigen Raum erreicht, und zwar insbesondere unter dem Vorzeichen eines "Neuen Steuerungsmodells". So hat dieses Modernisierungskonzept in den Kommunalverwaltungen der Bundesrepublik Anhänger nicht nur in der Literatur bis zur Gründung neuer Zeitschriften-, sondern auch in ~r Verwaltungspraxis gefunden. Ich habe mich im Inland und im Ausland der Frage stellen müssen, wie aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht und aus der Ortskenntnis heraus das neue öffentliche Management einzuschätzen ist. Das
veranlaßt mich, einschlägige Studien, die aus unterschiedlichen Anlässen
entstanden und verstreut oder noch nicht veröffentlicht sind, in einem
Forschungsbericht zusammenzufassen. Sie werden damit dem deutschsprachigen Leser zugänglich gemacht. Die vorliegenden Beiträge werden von
verschiedenen Problemstellungen geprägt, knüpfen aber immer wieder bei
der Frage des Paradigmenwechsels vom exekutiven zum unternehmerischen Management in der öffentlichen Verwaltung an. Mit ihrer kritischen
Einstellung unterscheiden sie sich von der publikationsstarken Erneuerungsliteratur. Die Studien bauen aufeinander auf und überlappen sich. So
sind sie in der Zeitfolge ihrer Entstehung abgedruckt. Bei ihrer Ausarbeitung bin ich von meinem wisssenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Dipl.Verwaltungswissenschaftler Joachim Beck unterstützt worden, bei dem ich
mich sehr bedanke.
Speyer, Oktober 1995
Klaus König
VI
VII
INHALTSVERZEICHNIS
L
i
Zur postindustrieiien Verwaitung
Vortrag im Rahmen der internationalen Konferenz "State
and Administration in the Post-Industrial Society des Hellenic Center of Public Administration am 26. bis 30. September 1994 auf Samos. Abgedruckt in: Volker J. Kreyher/Carl Böhret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang, Problemaufrisse und Antizipationen, Baden-Baden 1995, S.
221 - 234
11
2.
"Neue" Verwaltung oder Verwaltungsmodernisierung:
Verwaltungspolitik in den neunziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Vortrag im Rahmen der Jubiläumstagung "Die öffentliche
Verwaltung im Wandel" der Schweizerischen Gesellschaft
für Verwaltungswissenschaften am 19 .1.1995 in Thun.
Abgedruckt in: Die Öffentliche Verwaltung, Mai 1995,
Heft 9, S. 349-358
3.
Unternehmerisches oder exekutives l\tlanagement - die
Perspektive der klassischen öffentlichen Verwaltung .... ...... 49
Vortrag im Rahmen der Arbeitsgruppe "American and European Approaches of Public Management" anläßlich der
Jahreskonferenz der European Group of Public Administration am 6. bis 9. September 1995 in Rotterdam. Abgedruckt in: Verwaltungsarchiv, Heft 1/1996
4.
Öffentliche Verwaltung - nach der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Unveröffentlichtes Manuskriot
.1.
VIII
1
ZUR POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG
1.
ANSÄTZE ZU EINER "NEUEN" VERWALTUNG
Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist deren funktionale Differenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Handelns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils eigenen Prinzipien.1 Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privateigentum, Markt, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit
Prinzipien wie Eigentumsordnung überdeckende öffentliche Zweckbindungen, Regelhaftigkeit, Hierarchie sind signifikante Handlungskomplexe
für einen solchen historischen Wandel. Im realen Sozialismus hatte man
diesen Entwicklungspfad verlassen. Die Gesellschaft wurde der systemischen Ideologie einer Partei unterworfen. Die Wirtschaft wurde faktisch
verstaatlicht. Eine Kaderverwaltung wurde Staat, Wirtschaft, Gesellschaft
übergestülpt.2 Dieser marxistisch-leninistische Modernisierungsversuch ist
gescheitert. Der reale Sozialismus mußte Bankrott anmelden.
vie okzidentale Verwaltung steht damit am Ende des 20. Jahrhunderts
ohne ihren säkularen Gegenpart da. Sie scheint nun selbst die "Basisoptimalität" verschiedener Systemrationalitäten je nach Handlungssphäre beiseite zu schieben. Der "Sieg" der Marktwirtschaft über die Zentralverwaltungswirtschaft scheint in manchen Köpfen zu einem Sieg der Prinzipien
der Wirtschaft gegenüber denen des Staates zu werden. Es mehren sich die
Ideologien und Modelle, in denen Wettbewerb im öffentlichen Sektor,
Unternehmenskultur für die öffentliche Verwaltung, zumindest aber deren
1
Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1985.
2
Vgl. Klaus König, Zum Ver.valtungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Ver-,valT=
tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9 ff.
2
Simuiation gefordert werden.3 Die Erscheinungsformen soicher Postuiate
sind verschieden. Es gibt eine schlichte internationale Vermarktung von
Managementmodellen wie Lean Management4 oder Total Quality Management.5 Es gibt wissenschaftliche Konstrukte wie "Reinventing Government", die Ideen zur freien Marktwirtschaft mit populärer "Business
Motivation"-Literatur mischen.6 Es gibt Regierungsberichte wie den der
National Performance Review in den USA, die meinen, man müsse das
Paradigma administrativen Managements durch das eines unternehmerischen Managements in Staat und Regierung ersetzen. 7 Es gibt Etikettierungen eines New Public Managements, unter denen jüngste Verwaltungsreformen in Ländern wie Großbritannien, Australien, Neuseeland zusammengefaßt werden.9 Es gibt schließlich Forderungskataloge der Verwaltungspolitik, in denen Elemente all dieser Lehren, Modelle, Entwürfe aufgelistet werden, manchmal ohne sich um die innere Kompatibilität zu
kümmern.
3
Vgl. Ronald Moe, Tue "Reinventing Govemment" Exercise: Misinterpreting the
Problem, Misjudging the Consequences, in: Public Administration Review,
March/April 1994, Val. 54, No. 2, S. 111 ff.
4
Vgl. Dirk Bösenberg!Heinz Metzen, Lean Management - Vorsprung durch scWanke Konzepte, 4. Aufl., Landsberg 1993.
5
Vgl. Tom Peters, Jenseits der Hierarchien - Liberation Management, Düsseldorf
1993.
6
Vgl. David Osbome/Ted Gaebler, Reinventing Govemment. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading, 1992.
7
Vgl. Executive Office of the President, National Performance Review (Hrsg.),
Pram Red Tape to Results: Creating a Government that Works Better and Costs
Less, Washington D. C. 1993.
~A;t.dn1irü-
8
Vgl. Clzristopher Hood, J;AJI. Public Ma..112.gement for all seascns? in: Public
stration, Vol. 69, Spring 1991, S. 3-19.
9
Vgl. Reginald C. Mascarenas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor:
Reform of the Pubiic Seetor in Austraiia, Britain and New Zealand, in: Pubiic Administration Review, Heft 4/1993, S. 319 ff.
3
Bezieht man den Begriff des Paradigmenwechsels!O nicht auf die ~„1einungen von Gelehrten, Beratern, Propagandisten, sondern auf die Haltun:gen und Einstellungen der in Politik und Verwaltung praktisch Handelnden, so hat dieser Wechsel wohl in keinem Land flächendeckend stattgefunden. Freilich gibt es im Namen eines "Entrepreneurial Spirit tiefe
Eingriffe in Verwaltungstraditionen wie insbesondere in Großbritannienll
und dann auch Fälle unternehmerischer Simulationen besonders auf der Ebene der Lokalverwaltung.12 Der preisgekrönte Höhepunkt scheint es zu
sein, wenn ein städtischer Betrieb der Abfallentsorgung von sich behaupten kann, mit privaten Anbietern konkurrenzfähig zu sein. Manche werden dann freilich fragen, warum man diesen Betrieb eigentlich nicht privatisiert. Noch schwieriger als mit der Implementation steht es mit der praktischen Erfolgskontrolle - wenn man sich nicht mit der Selbstdarstellung
von Politikern und Spitzenbeai~ten begnügt. Externe Bewertungen haben
bis jetzt allenfalls ausnahmsweise stattgefunden, etwa in Australien durch
Parlamentsausschüsse.13 Insgesamt erscheint die empirische Grundlage für
ein über Einzelreformen und Einzelverwaltungen hinausgehendes wissenschaftliches Urteil im paradigmatischen Sinne eher schmal. Das schließt
eine Ideologiekritik durch die Verwaltungswissenschaft nicht aus. Insofern
fällt auf, daß die Modelle eines unternehmerischen Managements in der
11
10
Vgl. Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 3. Aufl.,
Frankfurt a. M. 1978.
11
Vgl. Frederic Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Hermann
Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der
61. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin
12
1993, S. 251
ff.
Vgl. Gerhard Banner/Christoph Reichard, (Hrsg.), Kommunale Managementkonzepte in Europa. Anregungen für die deutsche Reformdiskussion, Köln 1993.
13
Vgl. Alexander Kouzmin, Tue Di.mensions of Quality i.n Public Management, in:
Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussions-
beiträge der 61. Staats\.vissenschaftlichen Fortbildungstagung 1993 der Hochschule
für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1993, S. 211 ff.
4
öffentlichen Venvaltung deren soziale Umwelt nur unzureichend reflektieren.14
Die öffentliche Verwaltung läßt sich als ein soziales System begreifen,
das einerseits aufgrund der eigenen Ordnung, andererseits aufgrund von
Umweltbedingungen in einer komplexen und veränderlichen Gesellschaft
existiert und funktioniert. Die unternehmerischen Verwaltungskonzepte
haben vor allem die Eigenordnung der Systembildung im Sinn. Es geht
um Verwaltungsleitbilder, Managementinstrumente, Ergebnisorientierung,
Produktionskostenrechnung, Zielvereinbarung, produktionsbezogene Organisationseinheiten, dezentrale Ressourcenverantwortung und vieles
mehr .15 Das ökonomische System als eine der Verwaltungsumwelten ist
insofern interessant, als es Leitbilder für eine Unternehmenskultur der öffentlichen Verwaltung zu liefern geeignet erscheint.
Läßt man die Privatisierungsdiskussion mit ihren vielen Facetten beiseite16, dann bleiben viele Fragen der differenzierten Gesellschaft offen:
vom Primat der Politik über das organisatorische Lernen in einer gerichtlich kontrollierten Verwaltung bis zum Marktversagen in der Güterversorgung. Das reduzierte Weltbild wird insbesondere bei der Umwidmung des
Bürgers zum Kunden deutlich.17 Die vielfältigen Rollendifferenzierungen
zwischen Wählern, Steuerzahlern, Schülern, polizeilichen Störern, Sozialhilfeempfängern, Jugendlichen, Gewerbetreibenden je nach politisch-administrativem Bezug weichen einer Uniformität der Verhaltenserwartung.
Mit Rollen des Kunden mag man sich bei Postdiensten, lokaler Wasserversorgung, Personennahverkehr zufriedengeben. Beim Jugendamt, bei
14
Vgl. Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine neue
Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle -, in:
Der Gemeindehaushalt 8/1994, S. 169 ff.
15
Vgl. Manfred Timmermann, Wirtschaftliches Handeln öffentlicher Verwaltungen.
Grundsätzliches aus ökonomischer und verwaltungspraktischer Sicht, in: VOP,
Heft 2/1993, S. 97 ff.
16
Vgl. Klaus König, Systemimmanente und systemverändernde Privatisierung in
Deutschland, in: VOP, Heft 5/1992, S. 279 ff.
17
Vgl. Ronald Moe, Tue "Reinventing Government" Exercise: Misinterpreting the
Problem, l\1isjudging the Consequences, in: Public Adn1iriistration Revie\v,
March/April 1994, Val. 54, No. 2, S. 111 ff.
5
der Kriminalpolizei, bei der Finanzverwaltung, beim Auswäi-rigen Amt
geht es wohl noch um andere Leistungsmuster.
II.
INDUSTRIALISMUS UND POSTINDUSTRIALISMUS
Die Verkürzungen eines unternehmerischen Esprit de corps der öffentlichen Verwaltung machen hiernach eine Ausweitung der Diskussion zur
Modernisierung des administrativen Systems erforderlich. Man kann die
Umweltbedingungen vom Politischen, vom Rechtlichen, vom Wirtschaftlichen her vorstellen. Wenn wir auf die Theorie der Modeme zurückgreifen, dann um bei den soziokulturellen Zusammenhängen zwischen Gesellschaft, Staat und Verwaltung anzusetzen. Aus der gesellschaftlichen Entwicklung ergeben sich maßgebliche Umweltbedingungen für die Systembildung öffentlicher Verwaltung .18
Auf eine nach wie vor maßgebliche Grundlegung der Modeme wird
mit dem Begriff der industriellen Gesellschaft verwiesen.19 Es geht dabei
um eine Form gesellschaftlicher Existenzsicherung, die über die Wirtschaftssphäre hinausreicht und andere soziale Systembereiche und so auch
die öffentliche Verwaltung erfaßt. Der umfassende Einsatz von Maschinen
als Kern des Industrialisierungsprozesses und neue Muster der Arbeitsteilung erstrecken sich auch auf Bürotätigkeiten. Industrielles Wachstum bedeutet zugleich die Expansion der Staatsaktivitäten. Neue arbeitsteilende
Organisationsformen entstehen nicht nur bei privater Produktion, sondern
auch bei der Erstellung öffentlicher Güter. Soziale Differenzierungen wie
Arbeit und Freizeit, Arbeitsstätte und Wohnung, Familie und soziale Sicherung usw. betreffen auch den öffentlichen Dienst. Vertikal gegliederte
18
Vgl. Carl Röhret, Allgemeine Rahmenbedingungen und Trends des Verwaltungshandelns, in: H. Reinermann/H. Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller
(Hrsg.), Neue Informationstechniken. Neue Verwaltungsstrukturen?, Heidelberg
1988, s. 27
19
ff.
VgL l:lelmut l(lages, Stichwort ttlndustriegesellschaft,\ in: Dietei
Wörterbuch Staat und Politik, Bonn
1991, S. 239 - 241.
1'-~ol'Jen
(Hrsg.),
6
Laufoahngruppen vom w acntmeister 01s zum Regierungsrat, horizontal
hinzukommende Fachrichtungen technisch-naturwissenschaftlicher Professionalisierung geben den Wandel in der sozialen Gliederung und Berufszusammensetzung wieder. Technisch-wissenschaftliche Methoden der Arbeit
kennzeichnen administrative wie ökonomische Handlungssphären. Arbeitsabläufe werden in beiden Bereichen formalisiert und kontrolliert. Institutionen von Wirtschaft wie Verwaltung nehmen in ihrem Rationalisierungsgrad zu.
Die industrielle Formation der Gesellschaft ist unter mannigfachen Gesichtspunkten kritisiert worden. Dabei gibt es überlagernde Auseinandersetzungen, insbesondere durch die breite Kapitalismusdiskussion.20 Allerdings war es dann wiederum der Industrialismus, dem man in Konvergenztheorien mehr prägende Kraft als den politischen Unterschieden zwischen freiheitlicher Demokratie und realsozialistischer Herrschaft zugetraut hatte.21 Die Kritik der industriellen Gesellschaft reicht von frühen
Entfremdungsthesen, die auf die das Alltagsbewußtsein prägenden Fragmentierungen und Spezialisierungen menschlichen Handelns im Produktionsprozeß der Warenwirtschaft hinweisen22 bis zu Theorien der "Risikogesellschaft", die auf die spätindustriellen Selbstgefährdungen und selbstgemachten Katastrophen nuklearer, chemischer, genetischer Produktion
abstellen. 23
Die öffentliche Verwaltung ist bei solchen Zweifeln dabei. Entfremdungsphänomene kann man auf die Staatsbürokratien beziehen, wenn man
ihnen Unpersönlichkeit, Regelformalismus, unverständlichen Jargon, undurchsichtige Zuständigkeitsverteilung, Verfahrensschematismus usw. an-
20
Vgl. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a,
M. 1973.
21
22
23
Vgl. Raymond Aron, Die industrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./Hamburg 1962.
Vgl. Herben Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Darmstadt 1984.
Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme,
Frankfurt a. M. i986; ders. (Hrsg.), Poiitik in der RisikogeseHschaft: Essays und
Analysen, Frankfurt a. M. 1991.
7
lastet.24 in den theoretischen Ansätzen zur industriellen Risikogesellschaft
wird einerseits der öffentlichen Wohlfahrtspolitik nicht zugetraut, Gefahrdungen aufzufangen, andererseits wird befürchtet, daß politisch-administrative Entscheidungen selbst Gefahren auslösen können. Kritische Faktoren betreffen die Verwaltung insbesondere auch dann, wenn eigenständige
Herrschaftsmacht und Funktionsfähigkeit des Staates mit ihnen in Frage
gestellt werden. So viel gilt zumindest für Kontinentaleuropa. Denn die
dortigen klassisch-modernen Verwaltungen sind von der Staatsorientierung geprägt. 25
Entsprechend ist die öffentliche Verwaltung mitbetroffen, wenn der
Staat der Industriegesellschaft skeptisch betrachtet wird.26 Man befürchtet einen Verlust an Staatlichkeit, an Souveränität. Sachzwängen und Eigengesetzlichkeiten der industriellen Verhältnisse könne der Staat weder
ausweichen noch diese beherrschen. Letztlich scheint es die Ratio des
technischen Prozesses zu sein und nicht der staatliche Wille, die Politik
und Verwaltung bestimmt. Von der modernen Verwaltung wird konstatiert, daß sie von der Mentalität des technischen Fortschritts angesteckt
sei. Das wird etwa mit dem Vordringen technisch-naturwissenschaftlicher
Berufe in den öffentlichen Dienst, der Verdrängung des Juristen in seiner
klassischen Generalistenrolle, den Einzug des fachmännischen Geistes belegt.
0
11
Aus anderer Sicht wird auf Gefährdungen verwiesen, die für Staat und
Verwaltung der hochindustrialisierten Gesellschaften aus der Kompensation der technischen, ökonomischen, sozialen Folgen entsteht. Der Staat
übernimmt immer mehr Funktionen der sozialen Sicherung, der Intervention in Märkte und Unternehmen, der Beratung, Unterstützung, Bildung
der Bürger, der Risikovorsorge nicht nur gegenüber natürlichen, sondern
auch technisch-künstlichen Gefährdungen. Hieraus scheint eine Wohl-
24
Vgl. Wolfgang Hoffrna,nn-Riem (Hrsg.), Bürgernahe Verwaltung? Analysen über
das Verhältnis von Bürger und Verwaltung, Neuwied/Darmstadt 1979.
25
Vgl. Ferrel Heady, Public Administration, A comparative Perspective, 3. Aufl.,
New York/Basel 1984.
26
Vgl. Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft - Dargestellt am Beispiel
der Bundesrepublik Deutschland, München 1971.
8
fahrtsbürokratie zu erwachsen, die - einem Sisyphus gleichend - mit einem ständig vergrößerten Einsatz von Kräften immer geringere und problematischere Resultate erzeugt. Staat und Verwaltung erscheinen zu einem Stabilitätsrisiko angesichts der gesellschaftlichen Anspruchsdynamik
zu werden. Kategorien wie Unregierbarkeit, Staatsverdrossenheit, Legitimationskrise kennzeichnen die kritische Auseinandersetzung mit den öffentlichen Angelegenheiten.27 "Überlasteter Staat - verdrossene Bürger? t•
lautet eine Frage zu den Dissonanzen der spätindustriellen Wohlfahrtsgesellschaft. 28
Wo soviel skeptische Diagnosen vorgenommen werden, wird es an der
optimistischen Prognose nicht mangeln. Wir finden sie in der Konzeption
von der postindustriellen Gesellschaft.29 Damit wird gesagt, daß im Anschluß an die Industriegesellschaft eine neue gesellschaftliche Entwicklungsphase angebrochen sei.30 Man muß indessen in solchen nachzeitlichen Extrapolationen keinen historischen Bruch sehen. Vielmehr wird die
Rationalität der Industriegesellschaft über ihren klassischen Definitionsbereich hinaus erweitert. Das Andauern des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts bedeutet insofern steigende Produktivität, mehr Freizeit, Wohlfahrtswirtschaft, hochqualifizierte Berufe, persönlicher Wohlstand. Naturwissenschaften und Technik besorgen, daß die Spannungen
zwischen neuen Bedürfnissen und neuen Knappheiten lösbar sind.31 Die
Zentralität theoretischen Wissens als Quelle von Innovationen und dann
27
Vgl. Helmut Klages, Die unruhige Gesellschaft, München
1975; Wilhelm Hen-
nis!Peter Graf von Kielmannsegg, (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problemarisierung, 2 Bände, Stuttgart 1977179.
28
Vgl. Helmut Klages, Überlasteter Staat - Verdrossene Bürger? Zu den Dissonan-
1981.
Hoffnung des 20. Jahrhunderts,
zen der Wohlfahrtsgesellschaft, Frankfurt a. M.
29
30
Vgl. Jean Fourastie, Die große
Köln-Deutz 1954.
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York
1975.
31
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Falistudien zur mittel- und iangfristigen Vorausschätzung, Regensburg
1987,
S.
82-97.
9
auch Ausgangspunkt der gesellschaftlich-politischen Prograiumatik gilt als
"axiales Prinzip 32
11
•
Die postindustrielle Gesellschaft ist "Dienstleistungsgesellschaft". Man
geht von einem zunehmenden Übergewicht der Dienstleistungswirtschaft
gegenüber der materiellen Güterproduktion aus. Entwicklungen in Bildung und Forschung führen zum Entstehen eines "quartären" Sektors.33
Es kommt zu Änderungen der sozialen Schichtung und des Herrschaftsgefüges.34 Eine Klasse professionalisierter und technisch qualifizierter Berufe bildet sich heraus und löst das alte statusbezogene durch ein leistungsorientiertes Schichtungsprinzip ab. Der zunehmende Machtanspruch dieser
Klasse manifestiert sich im Wege der Verwissenschaftlichung von Politik
und Wirtschaft.35 Solche nachzeitlichen Fortschreibungen der industriellen Gesellschaft reichen dann bis zum Bild von der "Informationsgesellschaft". 36 Dort kommt es zur Dominanz der Informationstechnologien,
zur sozialstrukturellen Verfestigung der Informationsberufe, die dann
Mehrheitspositionen erringen.
32
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York
1975, S. 115.
33
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987, S. 88.
34
Vgl. Helmut Klages, Stichwort "Industriegesellschaft", in: Dieter Nohlen, Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1991, S. 239 ff.
35
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York
1975,
36
s.
247 ff.
Vgl. K. PI. Deutsch!P. Sonntag, From the industrial Society to the L-iformation Society - Crises of Transition in Society, IIVG/dp, 1981, S. 81-113.
10
ID.
ASPEKTE EINER POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG
Die Merkmale der postindustriellen Gesellschaft stellen sich für die öffentliche Verwaltung als soziokulturelle Umweltbedingungen dar, die deren Existenz und Funktionieren als soziales System mitbegründen. Entsprechend verweisen sie auf die Entwicklungslinien der weiteren Systembildung. Wenn der Postindustrialismus nicht den Bruch mit der alten Industriegesellschaft, sondern deren Extrapolation bedeutet, dann kommt es
zunächst nicht und jedenfalls nicht aus soziokulturellen Gründen zum
Bruch mit dem wohlfahrtsstaatlichen System der administrativen Daseinsvorsorge angesichts technischer, ökonomischer, sozialer Folgen. Alte Differenzierungen wie die zwischen Familie und sozialer Sicherung bleiben
bestehen. Neue Differenzen treten hinzu. iviit einem steigenden Wohlstand
steigen auch die Wohlstandserwartungen. Verlängert sich die menschliche
Lebenszeit gerade auch durch die Fortschritte von medizinischer Wissenschaft und Technik, dann wird die materielle Absicherung der Gebrechlichkeit erwartet und solchen Erwartungen mit der Einrichtung einer Pflegeversicherung Rechnung getragen.
Wenn es zu Veränderungen im Gefüge der Industrieproduktion
kommt, also in Richtung auf Informationstechnologien, dann gibt es nicht
nur neue, sondern auch alte Industrien. Nach allen Erfahrungen werden
die Folgen solchen industriellen Wandels nicht, zumindest nicht kurzfristig, durch Marktmechanismen ausgeglichen. Es bedarf einer Kompensation durch staatliche Aktivitäten. Wenn eine andere Qualität technisch-wissenschaftlicher Professionalisierung das Arbeitsleben bestimmt, dann gibt
es nicht nur neue, sondern auch alte Berufe. Wiederum ist es der öffentliche Sektor, in dem die Folgen solcher Veränderungen auszugleichen sind.
So wird auch die Verwaltung des Postindustrialismus nach wie vor von
den Programmen, Organisationen, Dienstkräften, Budgets der Arbeitsund Sozialpolitik geprägt sein.37
37
Vgl. Helmut Klages, Beurteilung der Soziaipolitik vor dem Hintergrund geseUschaftlicher Ent\Vicklungen und sozialpolitischer Gestaltungsmaximen - Aus der
11
PostindustrieUe Veränderungen spitzen die Probleme von Standort und
räumlicher Mobilität zu. Es gibt eben auch alte und neue Standorte. Staat
und Verwaltung sind an beiden Plätzen gefordert. In dem einen Falle geht
es um die Sanierung, Wiederbelebung, Umwidmung veralteter Einrichtungen. Der bloße Verfall wird politisch nicht ertragen.38 In dem anderen
Falle geht es um den Aufbau einer neuen Infrastruktur. Zugleich ist die
postindustrielle Gesellschaft dann nicht nur durch soziale, sondern auch
durch räumliche Mobilitäten gekennzeichnet. Von den Verkehrswegen bis
zu den Kommunikationsnetzen sind entsprechende Anlagen vorzuhalten
und zu regulieren. Ein Versorgungsgefälle zwischen Stadt und ländlichem
Raum erscheint nicht mehr akzeptabel. Von Verwaltungs wegen ist für
vergleichbare Leistungsstandards zu sorgen. 39
Wenn die postindustrielle Gesellschaft im Hinblick auf die technisch
bewirkten Produktivitätssteigerungen zur "Freizeitgesellschaft,, wird,
dann führt das nicht nur zum Ausbau einer neuen Wirtschaftsbranche,
sondern auch zur Freizeitgestaltung als ein neues und expandierendes Feld
öffentlicher Verwaltung. Der Ferienbeginn mag so Urlaubssperre für die
Verkehrspolizisten bedeuten. Von Amts wegen werden Pläne für Fremdenverkehr, Erholungswesen, Sport, Jugendfreizeit erstellt. Eine Infrastruktur von Schwimmbädern, Sportstätten, Spieleinrichtungen, Wanderwegen, Jugendzentren usw. wird angelegt. Freizeit erweist sich als regelungsbedürftiger Lebenssachverhalt, schon um die Natur vor dem Menschen zu schützen. Regulative reichen von staatlichen Erlaubnisvorbehalten für den individuellen Fall bis zum generellen Landschaftsschutz.
Wenn ihr industrieller Grundzug auch die postindustrielle Gesellschaft
zur "Risikogesellschaft" werden läßt, dann fordern soziale Selbstgefah.rdungen und von Menschen herbeigeführte Katastrophen zu verstärkten
Sicht der Wissenschaft, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
(Hrsg.), Sozialstaat im Wandel, Bonn 1994, S. 35 ff.
38
Vgl. Joachim Jerts Hesse (Hrsg.), Die Erneuerung alter Industrieregionen. Ökonomischer Strukturwandel und Regionalpolitik im internationalen Vergleich, BadenBaden 1988.
39
Vgl. Frido Wagener, Neubau der Verwaitung. Gliederung der öffentlichen Aufgaben und ihrer Träger nach Effektivität und Integrationswen, 2. Aufl„ Berlin 1974.
12
staatlichen Aktivitäten auf.40 Die verschiedensten Funktionen der Entsorgung, Überwachung, Sicherung sind zu erfüllen. Es bedarf öffentlicher
Katastrophenpläne, um sich auf große Gefahrenlagen vorzubereiten. Es
bedarf staatlicher Informationssysteme, um Gefährdungen erfassen und
messen zu können. Es bedarf wissenschaftlich-technischen Sachverstands,
um Gefahren sachgemäß bewerten zu können.41 Es bedarf rechtlicher Regulative, um das Verhalten der Bürger verbindlich steuern zu können. Es
bedarf des Einsatzes von Polizei-, Katastrophen- und Rettungsdiensten. Es
bedarf entsprechender öffentlicher Sachmittel, Geräte, Fahrzeuge. Das
Ganze weitet sich aus über die Sicherung und Unterbringung der Betroffenen bis zur Frage ihrer Entschädigung von Amts wegen. Wir haben es mit
einem komplexen Feld des Verwaltungshandelns zu tun.42
Wenn es ein Merkmal der postindustriellen Gesellschaft ist, daß sie eine neue Qualität der wissenschaftlich-technischen Berufe hervorbringt,
dann betrifft das die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und ist zugleich reflexiv für deren Personalstrukturen.43 Universitäten und Technische Hochschulen sind auszubauen, um entsprechende Ausbildungsleistungen vorzuhalten. Freilich geht es nicht einfach um eine Akademisierung
des Arbeitslebens. Ein breites Spektrum von der polytechnischen Schulung bei mittleren Anforderungsprofilen bis zur Computerausbildung bei
Schreibdiensten steht zur Diskussion. Der Ausbau des Bildungsbereichs
wirkt auf das Verwaltungspersonal zurück. Es dringen nicht nur, wie gesagt, neue technisch-wissenschaftliche Berufe in den öffentlichen Dienst
ein und führen zu einer Gruppierung nach Fachrichtungen wie Apotheker,
40
Vgl. Carl Röhret, Folgen. Entwurf einer aktiven Politik gegen schleichende Katastophen, Opladen 1990.
41
Vgl. Carl Röhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J. Koiman
(eds.), Managing Public Organisations. Lessons from Contemporary European Experiences, London u. a. 1993, Second Edition, S. 91-95.
42
Vgl. Klaus König, Krisenmanagement: Der Fall Tschernobyl in der Bundesrepublik DeutscliJand, in: A-llt. N. SaYJ.:oulas (Hrsg.), Administration - Politique, Festschrift für Athos G. Tsoutsos, Athen, 1991, S.
43
263-274.
Vgl. Herben König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von morgen. Konzeptionen und Fai1studien zur mittei- und iangfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987.
13
Bauingenieur, Bergfachleute usw. Dort, wo das allgemeine Bildungssystem keine entsprechenden Studien- und Schulungsgänge vorhält, werden
verwaltungsinterne Einrichtungen geschaffen, etwa Fachhochschulen für
die Steuer~ und Zollverwaltung oder für die Arbeitsverwaltung und dann
weiter Akademien für die Fortbildung der öffentlichen Bediensteten.
Wenn es der wissenschaftlich-technische Fortschritt ist, der durch seine Kontinuität die postindustrielle Gesellschaft hervorbringt, dann ist zu
verstehen, daß der Staat wissenschaftliche Forschung und technologische
Entwicklung fördert. Das geschieht innerhalb wie außerhalb der Universitäten. Außeruniversitäre Großforschungseinrichtungen der Nuklearforschung, der Weltraumforschung, der gentechnischen Forschung usw. werden von Staats wegen eingerichtet und verwaltet. Eine eigene Forschungsverwaltung, etwa ein Ministerium für Forschung, koordiniert die nationalen und internationalen Aktivitäten. Insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung vertraut man nicht darauf, daß Unternehmen, Markt, Wettbewerb die Dinge richten. Darüberhinaus wird aber immer wieder der Ruf
laut, anwendungsorientierte Forschung zu fördern. Die Grenzen zur Industriepolitik verwischen sich, bis zum japanischen Fall, in dem Forschungspolitik und Industriepolitik in konzertierter Aktion mit der Wirtschaft gesteuert werden.
Wenn schließlich der Postindustrialismus sich als Dienstleistungsgesellschaft darstellt, dann muß es ohnehin zu einer Ausweitung der öffentlichen Verwaltung kommen.44 Denn in Gesellschaften mit marktwirtschaftlich ausdifferenziertem ökonomischem System haben sich Staat und Verwaltung immer mehr aus der materiellen Güterproduktion zurückgezogen,
wobei selbst Fälle wie die Wasserversorgung zur Diskussion stehen. Der
überwiegende Teil der öffentlich erbrachten Leistungen läßt sich als
Dienstleistungen charakterisieren: vom Bildungswesen bis zum Gesundheitswesen, vom Verkehrswesen bis zur Gefahrenabwehr. Der Wohlfahrtsstaat wird geradezu als vorbildlich angesehen, wenn er sich wie im
44
Vgl. Carl Böhret, Allgemeine Rahmenbedingungen und Trends des Verwaltungshandelns, in: H. Reinermann/H. Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller
(Hrsg.), Neue
30.
Informationstecr.1.n.iken~ ~1eue Ver~valt11I1gsstri1ktu.ren?
Heidelberg, S.
14
skandinavischen rv1odell als dienstleistungsintensiv erweist. 45 So betonen
dann auch die Theoretiker des Postindustrialismus das Anwachsen des öffentlichen Sektors und die Ausweitung der öffentlichen Verwaltung. 46
IV.
ZUR SYSTEMRATIONALITÄT DER VERWALTUNG
Wenden wir uns von den Umweltbedingungen des Postindustrialismus
und deren Relevanz für die öffentliche Verwaltung wieder der Frage zu,
ob wir vor einem Paradigmenwechsel vom administrativen Management
zum unternehmerischen Management in der Staatsexekutive stehen, dann
wird eine Vorbemerkung erforderlich. Über die epistemologische Eigenart
des Konzepts von der postindustriellen Gesellschaft kann man streiten.
Die einen werden die idealistischen Annahmen, die anderen die Realitätsbezüge einer solchen Typenbildung betonen. So ist es auch der Überschuß
der Ideen über das real Beobachtbare, bei dem weniger optimistische
Theorien anknüpfen können. Kritisch wird auf Arbeitslosigkeit und Leistungsverweigerung, Normenlosigkeit und Militanz, Anspruchsmentalität
und Massenmanipulation, ökologische Begrenzung und Selbstgefährdung
und nicht zuletzt auf die sozialpsychische Diskrepanz zwischen Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten hingewiesen. 47
In der Tat gibt es eine Vielfalt von Lebenssachverhalten, für die in der
Konzeption von der postindustriellen Gesellschaft kein Platz ist. Für die
öffentliche Verwaltung sind zum Beispiel relevant: der Regionalismus mit
dezentralen, aktionsräumlichen Organisationsmustern, die Subsidiarität
45
Vgl. Detlef Jahn, Schweden - Kontinuität und Wandel einer postindustriellen Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/92, 16. Oktober 1992, S. 22.
46
Vgl. Helmut Klages, Stichwort "Post-industrielle Gesellschaft'', in: Dieter Nohlen
(Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn, S. 556.
47
Vgl. Helmut Klages, Selbstentfaltung und soziale Verantwortung. Eine Verteidigung der Gesellschaft gegen ihre Selbstmißverständnisse, in: Manfred Hennen/Mi-
chael Jäckel (Hrsg.)=- Privat11eit und soziale
\Terant"~tortung.
Geburtstag von Friedrich Landwehrmann, München 1994.
Festschrift
zi1m
60.
15
mit dem Vorrang eigenverantwortlicher unterer Einheiten, die Selbstbeteiligung der Bürger in kulturellen, sozialen, sogar gefahrenabwehrenden
Angelegenheiten, die Partizipation an öffentlicher Planung und Entscheidung und vieles mehr. Dennoch werden im postindustriellen Typus soviel
erfahrbare soziokulturelle Umweltbedingungen der öffentlichen Verwaltung wiedergegeben, daß wir es mit einem signifikanten Realitätsausschnitt zu tun haben. Dies ist zudem derjenige Realitätsausschnitt, der für
die Frage nach dem unternehmerischen Management im öffentlichen Sektor ergiebig ist. Denn von der postindustriellen Gesellschaft wird konstatiert, daß sie vom ökonomischen Kalkül beherrscht, Effektivitäts- wie Effizienzerwägungen unterworfen sei. 48
Schauen wir dazu auf die Einschätzungen der Theoretiker des Postindustrialismus selbst, so gehen sie dennoch, und zwar bei anwachsendem
öffentlichen Sektor von der zunehmenden Bürokratisierung des öffentlichen Lebens und insbesondere der technokratischen Eliten aus.49 Selbst
für die Wissenschaft wird festgehalten, daß in Anbetracht ihres umfassenden Ausbaus, ihrer zentralen Stellung in der postindustriellen Gesellschaft, der riesigen Zahl an Beteiligten und der Höhe der benötigten Gelder die Bürokratisierung der Wissenschaft nicht zu umgehen sei. Darin
werden durchaus Gefahren gesehen: Abwürgen der Forschungsfreiheit,
Verzerrung der Leistungsbewertung, Verkennung der charismatischen Dimension der Wissenschaft usw. 50 Dem mag man Gegeninstitutionen wie
ein "Wissenschaftsparlament gegenüberstellen oder gar in einer Gegenkultur widerstehen. Nur ist eben die Bürokratisierung der Kopfarbeit" zu
konstatieren.
11
11
48
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York
1975.
49
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.); Anforderungen an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987, S. 88.
50
Vgl~
Daniel Bell, Dle nachindustrielle Gesellschaft, Fnulkfurt
1975, S. 295-299.
a~ 1vf~/t{ew
York
16
Nun darf man keinen schiichten Gegensatz zwischen Bürokratie und
Wirtschaftlichkeit behaupten. Wenn von der Höhe der benötigten Gelder
die Rede ist, dann wird deutlich, daß Geld ein Kommunikationsmedium
auch in der bürokratischen Verwaltung ist und dann in der Geldwirtschaft
wirtschaftlicher V mgang mit Geld auch zum Handlungsmaßstab wird, wie
man zum Beispiel in den Gesetzen zum Budget nachlesen kann. Aber dieser Handlungsmaßstab steht neben anderen: der Regelbindung von Gesetz
und Recht, dem Autoritätsmuster der Hierarchie und anderem. Diese Nebenordnung und in vielen Situationen Unterordnung des wirtschaftlichen
Handlungsmaßstabs in der bürokratischen Verwaltung schließt ein bloßes
unternehmerisches Management bei diesem Verwaltungstypus aus.
Aber auch die soziokulturellen Grundzüge des Postindustrialismus lassen nicht auf eine Übernahme der Prinzipien von Markt, Wettbewerb, Unternehmertum schließen. Wenn die Verwaltung in der postindustriellen
Gesellschaft nach wie vor die eines Wohlfahrtsstaates bleibt, dann wird
diese Verwaltung zu einem beträchtlichen Umfang eine der Transferzahlungen, also im Bereich im Bereich privater Haushalte von Kindergeld,
Wohngeld, Sozialhilfe, Bildungshilfe usw. Sieht man darauf, daß solchen
Leistungen keine ökonomischen Gegenleistungen gleichen Marktwerts gegenüberstehen, dann ist ein unternehmerisches Kalkül von vornherein begrenzt. Betrachtet man sodann den Staat als einen Garanten der Menschenrechte, dann ist die Verwaltung von Sozialleistungen nicht im Wege einer
Almosenwirtschaft zu betreiben.51 Sie können jedoch auch nicht je nach
wirtschaftlicher Situation, Konjunktur, Krise einer ebenso situativen Unternehmensrechnung von Verwaltungs wegen unterworfen werden. Solche
Leistungen gelten der Existenzsicherung von Menschen, müssen Verhaltenssicherheit verschaffen, verstetigt werden und finden demgemäß in Gesetz und Rechtsansprüchen ihren Ausdruck. Die Verwaltung ist insoweit
nicht der Platz transferökonomischen Unternehmertums.
51
Vgl. Helmut Klages, Beurteilung der Sozialpolitik vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen und sozialpolitischer Gestaltungsmaximen - Aus der
Sicht der Wissenschaft, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
(Hrsg.), Sozialstaat im Wandel, Bonn 1994, S. 75 ff.
17
wenden wir uns der zenrraten Steliung von Wissenschaft und Forschung im Postindustrialismus zu52, dann ist festzuhalten, daß selbst in
Gesellschaften mit politisch-mehrheitlicher Präferenz für die Nutzenstiftungen des Marktes die schlichte Privatisierung von öffentlichen Universitäten, Akademien, Forschungsinstituten nicht zur Diskussion steht. Hier
fehlt dann doch das Vertrauen auf die Marktkräfte. Das schließt es freilich
nicht aus, daß man angesichts knapper öffentlicher Mittel auf eine stärkere
ökonomische Steuerung eben dieser Einrichtung drängt.53 Nur gehört es
zur politischen Klugheit einzusehen, daß - selbst reduziert auf den gesellschaftlichen Nutzen - wissenschaftliche Erkenntnis so viel Intangibles enthält, daß die Wirtschaftlichkeitsüberlegung nicht den Ausschlag geben
kann. Politiker können die von ihnen zu treffenden wissenschaftspolitischen Entscheidungen nicht einfach ökonomisch wegdiskutieren. Die Rolie des Rektors einer öffentiichen Universität ist mit der eines Untemehmers allenfalls partial beschrieben.
Solche Verweisungen ökonomischer Kalküle in nebenrangige oder niederrangige Bewertungsbereiche werden noch deutlicher, wenn man Postindustrialismus und Risikogesellschaft verknüpft. Nimmt man den Fall der
Gentechnologie, so zeigt sich zumindest in den großen Industrien eine solche Dynamik der Marktkräfte, daß eine staatliche Subventionierung der
Industrieforschung wohl zurücktritt. Bei solchen Transferzahlungen an
private Unternehmen für angewandte Forschung und Entwicklung wäre
eine Evaluation nach monetären Größen und eine entsprechende Subventionsverwaltung durchaus angebracht. Indessen steht hier die Gefahrenvorsorge im Vordergrund. Durch staatliche Regulation - Gentechnikgesetze müssen entsprechende naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen in
52
Vgl. Carl Röhret, Verwalrung und Universität in der Bundesrepublik Deutschland
vor den Herausforderungen der neunziger Jahre, in: A. Frey/J. Bellers (Hrsg.},
Lateinamerika - Westeuropa. Annäherung oder Distanzierung, Münster 1988189,
s.
53
11 ff.
Vgl. l1lalter Kemmler, Controlling
f~r
Hochschulen - Daigestellt am Beispiel dei
Universität Zürich, Bern 1990; Heinrich Reinernumn, Ein zweieinhalbmal "Hoch"
für Controlling, in: DUZ, Heft 20/1992, S. 16-17; Barbara Seidenschwarz, Entwicklung eines Controllingkonzepts für öffentliche Institutionen - dargestellt am
Beispiel einer Universität, München 1992.
18
einen Sicherheits- und Ordnungsrahmen gebracht werden, 111 dem die
Selbstgefährdung der Gesellschaft mit Entscheidungsmöglichkeiten verknüpft werden, so daß Gefahren zu Risiken werden. Die Verwaltung hat
dann die gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren, etwa bei der Genehmigung gentechnischer Anlagen, und dies jenseits des "Entrepreneurial Spirit". Ähnliches gilt für die "Informationsgesellschaft". Man kann fragen,
ob es Sache des Staates ist, t!Datenautobahnen" einzurichten und unternehmerisch zu verwalten. Aber jedenfalls gehört es zu den öffentlichen Aufgaben, einen Datenschutz im Interesse des Bürgers gesetzgeberisch wie
administrativ zu gewährleisten.
Modelle einer "neuen" Verwaltung haben eine hohe Präferenz für den
Begriff der Dienstleistung. Das reicht von der Definition der Stadtverwaltung als eines Dienstleistungsuntemehmens54 bis zu der Umwidmung des
Bürgers zum Kunden, der dann staatliche Leistungen als "Dienstleistungen" erwartet.55 Es gibt dann wohl Perzeptionsprobleme, wenn gesagt
wird, daß eine polizeiliche Verhaftung eine Dienstleistung sei, die aber
von den Betroffenen als solche nicht empfunden werde.56 Jedoch entsteht
insgesamt der Eindruck, daß in die Kategorie der Dienstleistung das Unternehmerische gleichsam eingeschlossen ist. Dann wäre allerdings der
Postindustrialismus mit seinem Grundzug der Dienstleistungsgesellschaft
eine sozialkulturelle Umweltbedingung öffentlicher Verwaltung, die ein
Paradigmenwechsel zum Unternehmertum nahelegen würde.
54
Vgl. Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen
und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 61. Staatswissenschaftlichen
Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer,
Berlin 1993, S. 57.
55
Vgl. Erhard Klotz/Siegfried Mauch, Personalmanagement in Baden-Württemberg.
Die Implementierung einer Konzeption in der Landesverwaltung (Teil 1), in: VOP,
Heft 4/1994, S. 236.
56
Vgl. Hermann Bill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 61. Staatswissenschafüichen Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1993, S. 103.
19
Der Dienstieistungsbegriff kann manches für Staat und Verwaltung ieisten. So eben auch eine soziokulturelle Interpretation. Oder man kann der
Frage nachgehen, ob der schwedische Wohlfahrtsstaat sich durch eine Präferenz der Dienstleistungen, der deutsche Sozialstaat aber durch eine Präferenz der Transferleistungen auszeichnet, und dies mit Konsequenzen für
die öffentliche Beschäftigung. Damit wird indessen schon deutlich, daß
ein Dienstleistungsbegriff der bloß auf den Gegensatz zur materiellen Güterproduktion abstellt, im öffentlichen Sektor nur begrenzt hilft. Der Kern
der Bewilligung von Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe ist doch nicht die
immaterielle Leistung, sondern das öffentliche Gut. Solche Transfers werden - jedenfalls im Grunde - vom Markt eben nicht bereitgestellt. Sie lassen sich nach bestimmten ökonomischen Kriterien und Prinzipien bewerten. Aber letztlich muß über die Erstellung öffentlicher Güter politisch-administrativ entschieden werden.57 Und die autoritativ-verbindiiche Entscheidung über Bewilligung oder Nichtbewilligung ist dann der Kern der
Verwaltungstätigkeit. Wir diskutieren öffentliche Dienstleistungen und
von diesen ist der Schluß auf ein unternehmerisches Management im öffentlichen Sektor nicht ohne weiteres möglich.
Nun wird es Stimmen geben, die meinen, daß wir das Schlagwort vom
unternehmerischen Management zu streng nehmen. In Wirklichkeit ginge
es doch um eine Art dritten Weg zwischen Staat und Markt.58 Hier muß
man sorgfältig zwischen Verbesserung in der Anwendung des Wirtschaftlichkeitsmaßstabs in Politik und Verwaltung und der Rangerhöhung dieses
Maßstabs gegenüber anderen Handlungsmaßstäben unterscheiden. Verbesserungen in der ökonomischen Handhabung öffentlicher Angelegenheiten
sind dem Postindustrialismus geradezu auf den Leib geschrieben. Eine allgemeine Rangerhöhung der ökonomischen Effizienz gegenüber den Maßstäben von Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit würde allerdings
zu einem Paradigmenwechsel führen. Solche neuen V erränge lassen sich
punktuell beobachten. Der berühmteste Fall ist wohl der des Grahamm-
57
Vgl. Richard A. Musgrave!Peggy B. Musgrave!Lore Kullmer, Die öffentlichen Fi-
nanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.
58
Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltungen,
Speyerer Forschungsberichte 139, Speyer 1994, S. 16.
20
Rudman-Hollings Actin den Vereinigten Staaten von Aiuerika.59 Von den
Gedanken einer bestimmten Wirtschaftstheorie her hat man durch Gesetz
einen automatisch-ökonomischen Kürzungsmechanismus in die Budgeterstellung eingebaut, um gewisse Ausgleichsziele zu erreichen. Man hat also
gleichsam eine ökonomisch bestimmte Prozedur über den politische bestimmten Prozeß gestellt. Das Ergebnis war über viele Jahre eine Gaukelei
in der Schätzung staatlicher Einnahmen und Ausgaben, aber nicht die Zurückführung der Staatsverschuldung.
Der Gedanke, die Politik mit der Ökonomie zu überlisten, reicht also
wohl kaum aus. Blicken wir so zum Schluß noch einmal auf das theoretische Wissen als die Achse, um die sich die postuniversitäre Gesellschaft
dreht. Wissenschaft ist auch eine politisch-administrative Veranstaltung.
Im Postindustrialismus wird ihr die Bürokratisierung nachgesagt. Wir haben danach guten Grund, die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsmaßstabs
im Wissenschaftsbetrieb zu stärken. So erscheint es durchaus wünschenswert, ein Controlling zu bestimmten ökonomischen Bewertungen an der
Universität einzuführen.60 Aber es müßte auf die Bewertung von Sekundäreffizienzen61, also Personalausstattung, Infrastruktur, Organisationsgröße, Sachausstattung usw. begrenzt werden. Der ökonomische Wertungsmaßstab darf nicht über den Wertungsmaßstab gestellt werden, der
die wissenschaftliche Qualität selbst meint. Jedenfalls ist das nicht Sinn
des "axialen Prinzips" im Postindustrialismus. Die öffentlichen Universitäten und dann der öffentliche Sektor brauchen anderes als die unternehmerische Handhabung marktgängiger Güter. Die soziokulturellen Umweltbedingungen einer postindustriellen Gesellschaft weisen auf die wirtschaftliche Modernisierung, aber nicht auf einen Paradigmenwechsel zum
"Entrepreneurial Management" in der öffentlichen Verwaltung hin.
59
Vgl. Klaus König, Zur innenpolitischen Agenda - Die amerikanische Bundesregie-
rung am Beginn der neunziger Jahre, Speyerer Forschungsberichte 121, Speyer
1993, S. 33 ff.
60
Vgl. Heinrich Reinermann, Ein zweieinhalhmal "Hoch" für Controlling, in: DUZ,
Heft 20/1992, S. 16-17.
61
Vgl. Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cast Benchmar-
kL-,g als strategische Erweitertlng eines tbeaterspezifischen ControllingT. in: ZögU,
Band 17, Heft 3/1994, S. 293.
21
"NEUE" VERWALTUNG ODER VERWALTUNGSMODERNISIERUNG: VERWALTUNGSPOLITIK IN
DEN NEUNZIGER JAHREN
1.
ÖFFENTLICHE VERWALTUNG: KULTURELL UND UNIVERSELL
Wer aus einem klassischen Verwaltungsstaat wie Frankreich, Österreich und auch Deutschland in die Schweiz reist, muß sich darüber Rechenschaft geben, daß er sich auf den Boden eines Regierungs- und Verwaltungssystems begibt, das in vielem von den kontinentaleuropäischen
Traditionslinien abweicht. Dazu gehört der geringere Grad an Zentralisierung und Vereinheitlichung, die direkteren Möglichkeiten demokratischer
Partizipation, eine flexiblere, mit dem Milizgedanken verbundene Professionalisierung und neben anderem mehr eine höhere Selektivität bei der
Verstaatlichung gesellschaftlicher Aufgaben. Die Schweiz pflegt so auch
am Ende von internationalen Statistiken zu stehen, die für die westiichen
Industrieländer die Relation der staatlichen Gesamtausgaben zum Bruttosozialprodukt ausweisen. Eine Staatsquote in den Dreißigern unterscheidet
nicht nur von der 60 Prozent-Marke des schwedischen Wohlfahrtsstaatesl.
Angesichts der Zweifel an einer so expansiven Aufgaben- und Budgetpolitik mögen manche in den auf elementarere gesellschaftliche Bedürfnisse
hin funktionalisierten Staatseinrichtungen der Schweiz das bereits verwirklicht sehen, was andernorts im Wege der Verwaltungserneuerung noch zu
schaffen ist.
Es wäre indessen zu einfach, sich von der Schweiz ein Bild zu maeben, bei dem auf der einen Seite das ökonomische System vom Bark"7esen bis zur Chemieindustrie unübersehbar transnational-universalistische
1
Vgl. OECD Economic Outlook, Nr. 53, Paris, Juni 1993.
22
Züge trägt, während auf der anderen Seite das pülitisch-administrative System in seinen bodenständigen Institutionen kulturgebunden verharrt. Wer
in amtlicher Stellung mit schweizer Steuer- und Zollbehörden verhandelt,
wer als Reisender die dortige verkehrliche Infrastruktur von Flugplätzen
bis Autobahnen nutzt, wer als Wissenschaftler mit den dortigen Hochschulen Kontakt hat, erfährt, daß die Schweiz im Vergleich zu anderen
kontinentaleuropäischen Länder unterbürokratisiert sein mag2, ihre Verwaltung jedoch im Grunde durch eine moderne Leistungsordnung geprägt
ist, nämlich durch Zuständigkeitsverteilung, Regelgebundenheit, Hierarchie, Professionalismus usw. Diese Rationalisierung funktional ausdifferenzierter Handlungssphären nach eigenen Prinzipien ist das Grundmerkmal der modernen Gesellschaften3. Sie vermittelt bei aller kultureller Bindung an Ort und Zeit einen gewissen universalistischen Grundzug nicht
nur flir das Wirtschaftsleben, sondern auch fiir die öffentliche Verwaltung. Das ermöglicht es, daß Bewegungen der Verwaltungsreform sich
über nationale Grenzen hinweg ausweiten wie z. B. die Privatisierungsbewegung, daß zwischenstaatliche Organisationen nach dem internationalisierten Muster nationaler Verwaltungen aufgebaut werden können, wie z.
B. die Europäische Union, daß Verwaltungsinstitutionen tranferiert werden können, wie etwa von Frankreich nach Deutschland bei der Begründung des modernen Verwaltungsrechts.
Ein solcher Universalismus auch in der kulturell tief geprägten
Schweiz erlaubt es dann, hier die beliebte Frage internationaler verwaltungswissenschaftlicher Kongresse zu stellen: "What is new in public administration". Die aktuelle Antwort lautet vielerorts: "die öffentliche Verwaltung'1. Dabei reichen die Schlagworte für das Neue vom "Neuen Steuerungsmodell" bis zum "Reinventing Government Der Begriff des Paradigmenwechsels wird bemüht, um ein neues Grundverständnis von der öf11
•
2
VgL Leonard Neidhart, Regierungs- und Verwaltungssystem in der Schweiz und
der Bundesrepublik Deutschland - Ein Vergleich, in: Adrienne Windhoff-Heritier
(Hrsg.), Verwaltung und ihre Umwelt. Festschrift für Thomas Ellwein zum 60.
Geburt<;tag, Opladen 1987, S. 170-193 (178).
3
Vgl. nur Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1985.
23
fentiichen Verwaltung vergleichbar einer "Erfindung" der Bürokratie zu
bezeichnen4.
II.
NEW PUBLIC MANAGEMENT
Viele Konzepte und Modelle sind zu besichtigen, wenn es die Welt der
Verwaltungserneuerung zu beschreiben gilt. Will man indessen auch veränderte Realitäten skizzieren, dann ist es wohl zuerst die jüngere Verwaltungspolitik in Großbritannien, Neuseeland und Australien, die beachtet
werden muß. Sie folgt einer ökonomischen Konzeption und bezieht sich
auf System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, also Rationalisierung nach innen und Privatisierung nach außen. Diese Verwaltungspolitik
hat dann auch eine eigene Signatur des "New Public Management" erhalten5.
In der Privatisierungsbewegung, die seit Ende der siebziger Jahre in
Westeuropa, Nordamerika, Ostasien maßgeblich die Kontraktion des öffentlichen Sektors bestimmt hat, nimmt Großbritannien einen prominenten
Platz ein. Im Thatcherismus artikulierte sich das neoliberal-ökonomische
Politikverst~nrlnis von der Überlegenheit marktlicher über die adwinistrative Leistungserbringung. Die umfangreichen Privatisierungsmaßnahmen
von der Autoindustrie bis zum Lufttransport, von der Telekommunikation
bis zur Energieversorgung sind bekannt6. Privatisierungserlöse dienten
der Sanierung öffentlicher Haushalte. Deregulierung und Subventionsabbau sollten zusätzlich für Marktverhältnisse sorgen. Während es hier dem
Grunde nach um materielle Umwidmungen zugunsten des privaten Sektors
4
Vgl. Heinrich Reinermann, Die Chance als Krise: Wege innovativer Verwaltungen,
Speyerer Forschungsberichte 139, Speyer 1994.
5
Vgl. nur Christopher Hood, Public Management for all Seasons, in: Public Arlministration 1991, S. 3-19; Christopher Pollitt, Mangerialism and the Public Services: The Anglo-American Experience, Oxford 1990.
6
Vgl. Andrew Pendleton/Jonaihan Winierian (eds.), Pu.blic Enterprises in. Transition: Industrial Relations in State and Privatized Corporations, London u.a. 1993.
24
ging, standen in Neuseeland die formal-organisatorischen Privatisienmgen
am Anfang. Für die staatseigenen Unternehmen wurden Monopolrechte,
administrative Kontrollmechanismen abgeschafft, Managementautonomie,
ergebnisorientierte Standards eingerichtet usw. 7 Überdies führte ein
"Comprehensive privatization program wirtschaftliche Gesichtspunkte
bei der Arbeit sozialer Einrichtungen wie z. B. Krankenhäuser ein. Ferner
wurde das Prinzip der Nutzungsgebühren für weite Teile der öffentlichen
Dienstleistungen übernommen. Schließlich kam es dann zu Bestrebungen
materieller Privatisierung von Staatsbetrieben durch den Verkauf von Aktien und Nutzungsrechten8.
11
Ähnlich wie in Neuseeland richtete man auch in Australien seit Mitte
der achtziger Jahre das Augenmerk zuerst auf die interne Ökonomisierung
der öffentlichen Verwaltung, wobei es in einem zweiten Schritt in gewissen Bereichen auch zu einer Privatisierung kommen konnte. Unter dem
Stichwort der Kommerzialisierung" ging es vor allem um einen hohen
Kostendeckungsgrad der öffentlichen Leistungserstellung9. Finanzzuschüsse sollten transparent gemacht, Kosten leistungsabhängig berechnet,
Dienstleistungen durch external charging in ihrem Wert sichtbar und
möglichst deckend gestaltet werden. Durch Maßnahmen der Deregulierung sollte Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern gewährleistet werden.
11
11
11
1
In allen drei Ländern des "New Public Management' führte die Ökonomisierungsstrategie zu umfangreichen Reorganisationsmaßnahrnen. Eine
Grundvorstellung war dabei, daß eine Trennung zwischen den politischen
Funktionen einerseits und den Ausführungsfunktionen andererseits zur
Steigerung von Produktivität und Effizienz erforderlich sei. In Großbri-
7
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, State-Owned Enterprises, in: Jonathan Boston/Patrick Walsh/June Pallot/John Martin (eds.), Reshaping the State: New Zealand's
Bureaucratic Revolution, 1991, S. 27-51.
8
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Privatisation: A New Zealand Case Study;
Manuskript 1993.
9
Vgl. Alexander Kouzmi.n, Tue Dimensions of Quality in Public Management. Australian Prespectives and Experiences, in: Hermar1n Hili/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin
1993,
S. 211-249 (225 ff.).
25
tannien w-urden den1zufolge "Executive agencies" geschaffen, die den ?'vfi-
nisterien zwar angegliedert sind, aber weitgehend autonom agieren sollen.
Bis Ende des Jahrzehnts sollen 90 % aller Beamten in solchen Ämtern beschäftigt sein, zu deren aktuellen Bereichen die Arbeitsverwaltung, die
Sozialversicherung, Steuer-, Zoll-, Paßämter gehören. Die Ämter sind mit
den Ministerien durch ein sogenanntes "framework agreement" verbunden, in dem ihr Tätigkeitsbereich, die Finanzierung sowie bestimmte Leistungsstandards definiert sind. Die Leitung ist sonst in Haushalts- sowie
Personal- und Organisationsfragen weitgehend autonom, indessen gegenüber Parlament und Bürger direkt verantwortlich. Im übrigen können die
Agenturen auch halbstaatliche oder nicht-staatliche Organisationsform haben.
Wie in Großbritannien wurde auch in Neuseeland der Gedanke der
Trennung zwischen Funktionen politischer Beratung, Politikentwicklung
einerseits und Funktionen der Dienstleistung, "Service delivery•• andererseits durch Organisationsmaßnahmen aufgegrifen, sei es durch die Binnendifferenzierung in den Ministerien - Bildung, Transportwesen - sei es
durch Übertragung auf eigene Vollzugseinheiten. Hinzu kam neben anderen Organisationsreformen eine vertikale Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen auf die Ebene der DistriktverwaltungenlO. Für Australien ist hingegen hervorzuheben, daß die Zahl der Agencies im Interesse
von Kohärenz der Leistungserbringung, vereinfachter Budgetierung wie
geringeren Koordinationsaufwandes reduziert wurdel 1 .
11
11
Korrespondierend zu solchen Reorganisationen wurden Verfahrensreformen durchgeführt, die die Steuerung der Verwaltung gemäß einer Regelgebundenheit stärker in Richtung auf den Managementgedanken modifizieren sollten. In Großbritannien wurden zielorientierte Managementsysteme, Kostenzentren mit Globalbudgets und nicht zuletzt Mechanismen
des Wettbewerbs eingeführt. Dieser Wettbewerb soll bei gleichartigen
10
Vgl. Jonathan Boston, Origins and Destillations: New Zealand's Model of Public
Management 3.nd the International Transfer of Ideas, Manuskript, Juni 1994.
11
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Sec-
tor: Reform of t.l:ie Public Seetor in Australia, Britain and
ministration Review 1993, S. 319-328 (324).
~-Jew
Zealand, Pu.blic Ad-
26
Leistllllgen sowühl t.wischen den Ämtern wie mit piivaten Unternehmen
stattfinden, wobei das, was man in den Privatsektor auskontrahieren kann,
weit bestimmt wird, und zwar bis zu Gehaltszahlungen an Beamte und bis
zur Ausarbeitung einer Fachpolitik. Wo indessen keine Wettbewerbssituation geschaffen werden kann, soll diese simuliert werden, und zwar soll
der entsprechende Druck durch ständigen Leistungsvergleich im Sinne eines "Bench-Marking" erzeugt werden. Für die Bürger wurde in ihrer Rolle als Kunde durch die "Citizen Charter" bestimmte Standards garantiert,
zu denen sich die Verwaltungen selbst zu verpflichten haben12. Die Standards beziehen sich auf die inhaltliche Dimension der Verwaltungsleistung
wie auch Form und Verfahren, die in gewissem Sinne über die Rechtsmäßigkeit des Verwaltungshandelns gestellt werden. Durch Berichte über Erfolg und Nichterfolg sollen Vergleichbarkeiten hergestellt und Wettbewerb simuliert werden13.
In Neuseeland wurden die Intentionen eines "New Public Management" im Bereich der Prozußstrukturen durch die Abschaffung des bisher
bestehenden programrnbezogenen Zuteilungssystems zugunsten eines ergebnisorientierten Zuteilungssystems finanzieller Ressourcen auf der
Grundlage von Globalhaushalten verfolgt. Zu Zwecken des Vergleichs
wurden Indikatoren der Leistungsmessung entwickelt und weiter Controllingsysteme eingerichtet14. Auch in Australien wurden prozedurale Vorkehrungen getroffen, um das Finanzmanagement zu verbessern und die
Verwendung der Ressourcen effektiver und effizienter sowie markt- und
kundenorientiert zu gestalten15.
12
Vgl. HMSO (ed.), The Citizen's Charter: Raising the Standard, 1991; ders. (ed.),
The Citizen's Charter: First Report, London 1992.
13
Vgl. Frederick Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management,
Berlin 1993, S.
14
251-257.
Vgl. Graham Scott/Peter Bushnell/Nikitin Sallee, Reform of the Core Public Seetor: New Zealand Experience, Govemance, Vol. 3, No 2 April 1990, S.
(145).
15
138-167
Vgl. Alexander Kouvnin, Tue Dimensions of Quality in Public Management. Australian Prespectives and Experiences, in: Hermarin Hill/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 217.
27
lviit lviaßnahmen der materielien und formellen Pri vätisierung, der Reorganisation und Verfahrensreform verbanden sich Einschnitte in die Traditionsbestände des Beamtentums und der öffentlichen Beschäftigung.
Diese äußert sich zum einen im Personalabbau, der quantitativen Zurückführung des öffentlichen Dienstes im Hinblick auf die Personalkosten.
Waren in Großbritannien zu Beginn der 80er Jahre noch 700.000 Staatsbedienstete beschäftigt, so waren es eine Dekade später nur noch 500.000.
Parallel erfolgte eine Deprivilegierungsstrategie im Hinblick auf die materiellen Entgelte für Beamte. Schließlich wurden leistungsorientierte Mechanismen der Personalsteuerung geschaffen mit Leistungsindikatoren,
Lejstungsprämien, um schließlich durch Arbeitsplatzklassifikation das
Laufbahnprinzip zu überwindenl6.
Auch in Neuseeland wurde unter dem Vorzeichen des Leistungsprinzips in bestehende Personalverhältnisse eingegriffen, etwa durch die Flexibilisierung der Besoldung gemäß den Anforderungen der jeweiligen Tätigkeit, durch Deprivilegierung, durch vertragliche Handlungsspielräume.
Insbesondere nahm man sich der Spitzenpositionen des öffentlichen Dienstes an, und zwar durch neue Einstellungsregeln, Bestellung auf Zeit, Leistungsvereinbarung17. In Australien wurde zunächst der tradierte vierstufige öffentliche Dienst im Interesse von Mobilität, Chancengleichheit,
Leistungsorientierung in eine zweistufige Klassifikation gebracht. Man
strebte die Verschlankung des Personalmanagements an. Später wurden
auch Sonderklassifikationen in eine Einheitsstruktur eingepaßt und eine
Vielfalt von Initiativen eingeleitet, die den öffentlichen Dienst im Hinblick auf Aus- und Fortbildung, Personalrekrutierung und Karriereentwicklung verbessern sollten18.
16
Zum Überblick vgl. Nevil Johnson, Der Civil Service in Großbritannien: Tradition
und Modernisierung, DÖV 1994, S. 196-200.
17
Vgl. Jonathan Boston, Origins and Destinarions: New Zeaiand's Model of Public
Management and the International Transfer of Ideas, Manuskript, Juni 1994, S. 22.
18
Vgl. Alexander Kouzmin, The Dimensions of Quality in Public Management. Australian Prespectives and Experiences, in: Hennann Hill/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 222-225.
28
m.
REINVENTING GOVERNMENT
Schon aus der Signatur "New Public Management n, mit der man die
skizzierte Verwaltungspolitik in Großbritannien, Neuseeland, Australien
bezeichnet hat, wird deutlich, daß nicht nur neoliberale Wirtschaftstheorien, sondern auch zunächst für die privaten Unternehmen entwickelte Managementmodelle die Verwaltungserneuerung beeinflussen. So hat man
auch diese Neubewertung des öffentlichen Sektors als Neo-Taylorismus
beschrieben. Zwei Managementmodelle werden besonders berücksichtigt,
nämlich das des "Lean Management"l9 und das des "Total Quality Managementn20.
Im Gegensatz zum klassischen Taylorismus knüpft "Lean Management" am Grundsatz der Ganzheitlichkeit an. Ziel soll sein, durch die Integration von Aufgaben-, Personal- und Organisationselementen eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Unternehmen zu erreichen. Ansatzpunkt ist dabei ein organisationaler Wandel von der Aufbau- zur Prozeßstruktur, durch den die Informationsverarbeitung intern flexibilisiert und
zugleich auf externe Anforderungen, also Kundenausrichtung, bezogen
werden soll. Als Hauptelemente werden Reduzierung der Arbeitsteilung
und Standardisierung, interne und externe Vernetzung, Gruppenarbeit, dezentrale Ressourcenverantwortung, Verringerung der Fertigungstiefe,
Wettbewerb zwischen den einzelnen Einheiten sowie Kontraktmanagement
zwischen Führung und Mitarbeitern vorgeschlagen21. Hierdurch sollen
mit schlankerem Faktoreinsatz bessere Ergebnisse erzielt werden. Der
Förderung und Anregung der Mitarbeiter zu verstärkt eigenständiger Tätigkeit kommt eine zentrale Bedeutung zu. Man blickt auf das japanische
Vorbild des "Kaizen", also der Verwirklichung eines kontinuierlichen
19
Vgl. nur Dirk Bösenberg!Heinz Metzen, Lean Management - Vorsprung durch
schlanke Konzepte, 4. Aufl., Candsberg
20
Vgl. etwa Tom Peters, Jenseits der Hierarchien, Liberation Management, Düsseldorf
21
1993.
1993.
Vgl. Christoph
Der Städtetag,
1.~eichard't
12/1992,
Kommunales 1'v1a11agement hll interriationalen Veigleich,
S. 844 ff.
29
Verbessenmgsprozesses22. Da..~it ergibt sich auch eine VerbL"ldung mit
dem Konzept einer Verhaltensorientierung an totaler Qualität. Unter Prinzipien wie Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterbeteiligung und dann kontinuierliche Verbesserung geht es in verschiedenen Formen um Qualitätsbestimmung, Qualitätssicherung, Qualitätsmessung, Qualitätsverbesserung.
Bisweilen werden solche Modelle kurzgeschlossen auf den öffentlichen
Sektor übertragen23. Politische Vorlieben für "lean government "24, den
"schlanken Staat "25, beschränken sich dann allerdings manchmal darauf,
Personalabbau für die öffentliche Verwaltung zu fordern.
Eine elaboriertere Mischung von neoliberalem Wirtschaftsverständnis
und jüngsten Managementmodellen stellt demgegenüber das Konzept des
"Reinventing Govemment"26 dar, das inzwischen in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Art verwaltungswissenschaftlichen Schulbildung
geführt hat. Die zehn Grundsätze dieses Konzepts iassen sich wie foigt zusammenfassen: 1.) Die Verwaltung soll nach Alternativen zur eigenen
Leistungserbringung suchen durch contracting out und public-private partnerships sowie durch neue flexible Finanzierungsinstrumente, 2.) Nicht
alle Verwaltungsaufgaben sollen durch Beamte erledigt werden, sondern
verstärkt durch die Integration von Klienten in Ausschüssen und management teams erbracht werden, 3 .) Zwischen einzelnen Verwaltungseinheiten soll Wettbewerb eingeführt werden, 4.) Verwaltungen sollen die Zahl
von Vorschriften und Gesetzen verringern, Jahresbudgets und detallierte
Arbeitsplatzklassifikationen sollen abgeschafft und durch klare Zielvorgaben ersetzt werden, 5.) Die Bewertung administrativer Leistung und die
Verteilung von Mitteln soll sich nach output Kriterien richten, 6.) Die
Klienten der Verwaltung sollen als Kunden betrachtet werden, deren Inter22
23
Vgl. lmai Masaaki, Kaizen, München
1993.
VgL Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Spitzenverwaltungen im Wettbewerb,
Eine Dokumentation des
1. Speyerer Qualitätswettbewerbs 1992, Baden-Baden
1993.
1993, S. 42 ff.
24
Vgl. Heinrich Reinermann, Lean Govemment, Office Management
25
So etwa Heinz Metzen, Schlankheitskur für den Staat. Lean Management in der öffentlichen Verwaltung, Frankfurt a.M.
26
1994.
Vgl. David OsbomelTed C7!lebler, ReL'lventing Goveni_.ment. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading
1992.
30
essen, Werthaitungen und Ansprüche mit einer entsprechenden Qualifikation des Verwaltungspersonals begegnet werden muß, 7 .) Die Verwaltung
solle nicht nur Geld ausgeben, sondern auch zusätzliche Mittel erwirtschaften etwa durch Nutzungsgebühren, Unternehmensfonds, unternehmerische Kreditfonds und profit centers, 8.) Die Verwaltung soll nicht nur
Leistungen erbringen, sondern bereits die Entstehung von neuen Aufgaben
und Ansprüchen durch Prävention verhindern, 9.) Zentralisierte Institutionen sollen dezentralisiert werden, wobei die hierarchische Kontrolle durch
partizipatives Management ersetzt wird, 10.) Die Verwaltung solle ihre
Ziele nicht nur durch Vorgaben und Kontrolle erreichen, sondern durch
die Neustrukturierung von Märkten und Nutzung marktwirtschaftlicher
Instrumente etwa im Umweltschutzbereich oder in der Krankenversicherung27.
Dieser "entrepreneurial spirit" erfaßte auch die demokratische Präsidentschaft der Vereinigten Staaten. Der amtierende amerikanische Vizepräsident legte einen "Report of the National Performance Review: Creating a Government that works better and costs less" vor. Dieser Bericht
enthält unter den Überschriften des Abschneidens von Bürokratismen, der
Kundenorientiertung, der Ermächtigung der Mitarbeiter zu ergebnisorientiertem Handeln und der Rückkehr zum Wesentlichen 800 Änderungsvorschläge, etwa zum Budgetprozeß, zur Personalpolitik, zum Beschaffungswesen usw., zu Stimme und Wahlmöglichkeiten des Kunden sowie Wettbewerb und Marktförmigkeiten usw., zu Entscheidungsdezentralisierung,
Ergebnisverantwortung usw., zu Produktivität, Kostenreduzierung usw.
Diese Vorschläge sind von unterschiedlichem Gewicht, wenn man sich
aber vor Augen führt, daß der Bericht bei den Bundesbediensteten einen
Abbau von 252.000 Personen sowie eine Einsparung von 108 Milliarden
Dollar über fünf Jahre vorsieht28, dann kann man die Wegstrecke ermes-
27
Zur !Critik vgl. Charles T, C7()odsell, Reinvent Govermnent or rediscover it?, Public Administration Review 1993, S. 85-87.
28
Vgl. From Red Tape to Results: Creating a Govemment that works better and costs
less, Report of the National Performance Review, Vice President Ai Gore,
Washington 1992.
31
sen, die zu einem unternehmerischen Staat führen soil, der zufriedenen
Kunden dient.
So ist es dann auch jenseits der Jc_ritischen Auseinandersetznng mit einem Postulat, das den Paradigmenwechsel von der amerikanischen Tradition des "administrative management" zur Neuheit des "entrepreneurial
management" in der öffentlichen Verwaltung beansprucht, die Frage der
Implementation, die Verwaltungswissenschaftler wie Verwaltungspraktiker beschäftigt. In ersten Einschätzungen der "National Performance Review „ wird verzeichnet: die Resonanz im Regierungsapparat, die Vereinfachung von Regeln und Prozeduren insbesondere bei der Verwaltung des
Bundespersonals, die Reform der Beschaffungsverfahren, die Verbesserung der Koordination in Managementfragen der Regierung, die Erzeugung neuer Ideen in "Neuerfindungs-Laboratorien". Als Problem wird eine Präokkupation mit Sparmaßnahmen gegenüber der Leistungsverbesserung genannt29. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Kongreß verändert. Der Präsident hat seine Initiativen weniger denn je in der
Hand. Auf der anderen Seite haben sich alte Gegner der Bundesbürokratie
in der Kongreßmehrheit schon gemeldet. Man muß warten und sehen.
IV.
MANAGEMENTENTWICKLUNG
IN
EUROPÄISCHEN
STAATEN
Kehrt man aus den Vereinigten Staaten nach Europa zurück, so sind
auch hier verbreitete Intentionen einer Umgestaltung des öffentlichen Sektors zu beobachten. Wohlfahrtsstaatliche Aufgabenbestände, reduzierte finanzielle Handlungsspielräume, wirtschaftsstrukturelle Krisen, Internationalisierung öffentlicher Angelegenheiten haben die Staatsverwaltungen unter Reformdruck gesetzt. Eine Zielvorstellung ist dabei, die öffentliche
Verwaltung schlanker und flexibler zu gestalten, um diese so besser auf
29
Vgl. Donald F. Kettl, Reinventing Government? Appraising the National Performance Review. A Repon of the Brookings Instimtion's Center for Pubiic Management, Washington, D.C. 1994, S. 54 ff.
32
die Bedürfnisse von Bürgern und Privatwirtschaft auszurichten. Zum anderen läßt sich die Neigung zu dezentraler Ressourcen- und Ergebnisverantwortung bei gleichzeitiger Stärkung der internen Rationalisierung etwa
durch Managementtechniken feststellen, um hierdurch Qualitätssteigerungen zu erzielen. Zum jüngsten Geschehen liegt ein OECD-Bericht "Public
Management Developments" aus dem Jahre 1993 vor30.
So führten etwa Finnland, Island und Schweden Marktmechanismen
auch innerhalb des öffentlichen Sektors ein, um den Wettbewerbsgedanken zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen zu stärken. Dänemark folgt dem britischen Beispiel durch die Verselbständigung von sieben "Agencies", die durch Verträge vierjährige Budgets zur Eigenbewirtschaftung erhalten, um hierdurch flexiblere Gestaltungsspielräume und höhere Kostendeckungsgrade bei gleichzeitig größerer Qualität der Leistungserbringung selbst realisieren zu können. Ähnliche Tendenzen zeichnen sich diesbezüglich in den Niederlanden und weiteren skandinavischen
Ländern ab. Parallel wird auch in einer Vielzahl von Ländern wie etwa
Portugal, den Niederlanden, Island oder Irland die Privatisierung öffentlicher Unternehmen vorangetrieben oder werden, wie in Belgien, Finnland,
Frankreich oder Schweden öffentliche Unternehmen anhand marktwirtschaftlicher Kriterien umstrukturiert und mit größerer Autonomie versehen. Dem organisatorischen Gesichtspunkt der vertikalen Dezentralisierung kommt in Dänemark, den Niederlanden und in Spanien steigende Bedeutung zu, um hierdurch zugleich eine flexiblere und bürgernahere Erbringung öffentlicher Dienstleistung zu gewährleisten. In Frankreich liegt
eine Priorität auf der Dekonzentration der Behörden. In Deutschland geht
es in der Staatsverwaltung auf Landesebene etwa um Verwaltungscontrolling, Verfahrensbeschleunigung, Privatisierung.
Insgesamt ist zu beobachten, daß Maßnahmen der internen Ökonomisierung der Verwaltung gegenüber der Politik von Privatisierung und Verselbständigung von Aufgabenträgern an Gewicht gewonnen haben. Innerhalb einer stärkeren Managementorientierung liegen zu Beginn der neunziger Jahre die Schwerpunkte auf ergebnisgerichtetem Verwaltungshandein,
30
Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Pubiic Management Deve1opments. Survey i993,
Paris 1993.
33
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auf dezentraler Ressourcenverantwortung, auf Kontraktmanagement, auf
Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften sowie der Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Gegenstände der Verwaltungserneuerung haben auf der innenpolitischen Agenda vieler Länder an
Bedeutung gewonnen31.
V.
MANAGEMENTMODELLEAUFLOKALEREBENE
Wendet man sich der in der Welt der Verwaltungserneuerung schließlich der lokalen Ebene zu, dann sind auch hier Managerismus, Kundenorientierung, Effizienz vielerorts Leitvorstellungen der Reformpolitik. Managementmodelle und Managementexperimente sind so zahlreich, daß man
nur signifikante Beispiele nennen kann. Ein solcher Fall ist der der Stadtverwaltung von Phoenix/ Arizona in den USA32. Dort suchte man dem geringeren finanziellen Handlungsspielraum nicht durch Steuererhöhungen,
sondern durch Rationalisierungsmaßnahmen nach außen wie nach innen zu
begegnen. Durch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, der Kundenbefragung, der Hilfe zur Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe sowie der generellen öffentlichen Ausschreibung aller Leistungen sollten die Bürger für ein
"Joint venture" mit ihrer Stadt gewonnen werden. Auf die Nachbarschaftskonzepte wurden dann städtische Programme, etwa Sozialprogramm, ausgerichtet. Nachbarschafts-Komitees wurden in den Planungsprozeß einbezogen, Erfahrungen der "kundennahen" Dienststellen in die
Entscheidungen integriert. Die Mitarbeiter wurden durch ein innerbetriebliches Vorschlagswesen sowie erfolgsabhängige Gratifikationen mobilisiert. Die Einführung eines Budgetprozesses, bei dem jedes Department 5
31
Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey
Paris
32
1993,
1993, S. 13.
Zit. nach Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Carl Bertelsmann Preis. Demokratie und
nalen Recherche, Gütersloh
1993, S. 129 ff.
34
- 10 % seiner Leistungen gnmdsätzlich überprüfen muß, eine tiefgreifende Programmevaluation sowie die Entwicklung von Leistungs- und Standardindikatoren und hierauf ausgerichteter Controllingsysteme sollten die
interne Rationalisierung voranbringen.
Während in Phoenix/ Arizona der Verwaltungsaufbau weitgehend erhalten blieb, wurde in Christchurch (NZ) eine organisatorische Trennung
in Geschäftsbereiche nach "Client units" - gleichsam beauftragende Geschäftsbereiche-, Provider" - also operative Dienstleistungserbringer und "intern unterstützende Einheiten" durchgeführt. Diese Bereiche sollen
relativ unabhängig voneinander handeln und die jeweils benötigten Leistungen voneinander oder von billigeren privaten Dritten "einkaufen".
Der Kundenperspektive wollte man zudem durch umfassende Beteiligungsrechte der Bevölkerung etwa im Planungs- und Budgetierungsprozeß, durch Kundenbefragung und Service-Zentren Rechnung tragen. Zwischen Rat und Verwaltung wurden "Community Boards" zwischengeschaltet. Kostentransparenz, Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsvergleich, Controlling waren weitere Reformgesichtspunkte33.
11
Demgegenüber wurde in Tilburg (NL) beabsichtigt, die Stadtverwaltung nach dem Modell eines privatwirtschaftlich operierenden Konzern
umzugestalten. Ein Reformschwerpunkt war dabei die zentrale Steuerung
durch das Kollegium von Bürgermeister und Beigeordneten, den Gemeindesekretär und seinen Steuerungsdienst, die Managementkonferenz der
Dienstdirektoren sowie die Controllerkonferenz. Konzernhaushalt einerseits sowie dezentrale Ressourcenverantwortung andererseits sowie ein
umfassendes Controlling- und Berichtswesen sind weitere Merkmale34.
33
Zit. nach Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Carl Bertelsmann Preis. Demokratie und
Effizienz in der Kommunalverwaltung, Bd. 1, Dokumentationsband zur internationalen Recherche, Gütersloh 1993, S. 83 ff.
34
Vgl. Michael Blume; Tilburg: Modemes betriebswirtschaftlich orientiertes Verwaltungsmanagement, in: Christoph Reichard/Gerhard Banner (Hrsg.), Kommunale
Managementkonzepte, Köln 1993, S. 143-160; kritisch hierzu Judith Raupp, Gibt
es das Ti!burger Modell? Tilburg - das Met-..ka der Verwaltungsreformen, Die Gemeinde 1994, S. 665-666.
35
Solche v orsteuungen wurden in ueutschland von der Kommunaien
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung zu einem "neuen
Steuerungsmodell" weiterentwickelt. Bei diesem Modell sind neben der
Konzernstruktur insbesondere die funktionale Trennung zwischen Politik
und Verwaltung, die dezentrale Ressourcenverantwortung, das Kontraktmanagement sowie neue Formen der zentralen und ergebnisgeleiteten
Steuerung zu nennen35.
Auch in der Schweiz wurden Ansätze eines lokalen Verwaltungsmanagements entworfen, so etwa das Projekt "Neue Stadtverwaltung Bern".
Hier unternimmt man es entsprechend der Organisation von Politik und
Verwaltung in der Stadt, Handlungsebenen funktional auszudifferenzieren, nämlich eine normative, eine strategische und eine operative, wobei
letztere neben der Stadtverwaltung auch private und außerstädtische Verwaltungen umfaßt36.
VI.
UNTERNEHMERISCHES MANAGEMENT UND ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
Wenn wir uns von dieser Skizze einer Welt der Verwaltungserneuerung der Frage einer Bewertung ihrer Ansätze zuwenden, dann müssen
wir uns vor Augen halten, daß vieles noch Konzept und Modell ist. Selbst
wo sich Verwaltungspraktiker verhältnismäßig konkret über die Erneuerung ihrer Erfahrungsbereiche auslassen, findet man allgemeine Vorbehalte, die sich insbesondere auf die vorherige Reform des öffentlichen Dienstes und die Neuordnung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung
35
Vgl. KGSt (Hrsg.), Das neue Steuerungsmodell. Begtiindung, Konturen, Umsetzung, Bericht 5/1993.
36
Vgl. Projektteam "Neue Stadtverwaltung Bern" in Zusammenarbeit mit dem Institut für Finanzwissenschaft und Finanzrecht an der Hochschule St. Gallen (Hrsg.),
"Neue Stadtverwaltung Bern". Mögliche Ausgestaitung eines modernen Verwaltungsrnanagements in der Stadt Bern, Bern 1994.
36
beziehen37. Gibt es da.ru1 konkrete Irmovationsprograi1lllle und -projekte,
ist der Stand der Implementation offen. Liegen Hinweise für die Umsetzung neuer Managementansätze vor, dann mangelt es jenseits der Selbstdarstellung von Politikern und Spitzenbeamten an validen Evaluationen.
Der Fall Australiens, wo sich insbesondere Parlamentskommissionen mit
den Wirkungen und Folgen manageralistischer Reformen befaßt haben, ist
die Ausnahme38, Wenn aus dortigen Untersuchungen nahegelegt wird,
daß die Ausrichtung auf die Effizienz zu Lasten der Gleichheit gegangen
sei, dann geht es freilich um relevante Auswirkungen. Denn in der Tat ist
die Gleichheit vor dem Dollar nicht ohne weiteres die Gleichheit, die der
soziale Rechtsstaat meint.
Aber selbst für die nun schon langjährige Verwaltungspolitik des
"New Public Management" gibt es Stimmen, die dieses gut in der Rhetorik, aber unzulänglich in der Sache - "good on rhetoric and short on substance" - bezeichnen. Immerhin kann man nach diesem Güteurteil der
Frage der Erneuerungsrhetorik nachgehen. Denn die Signaturen des Neuen sind für die öffentliche Verwaltung wichtig. Es schadet ihr, wenn Reformvorhaben mit Aufschriften des Nicht-Praktikablen versehen werden.
Als zum Beispiel im Falle einer deutschen Landesregierung postuliert
wurde, die Politikgenerierung nach dem Modell eines Integrierten Planungs-, Entscheidungs-, Kontrollsystems - IPEKS - umzustellen, da war
seine Praktikabilität von vornherein zweifelhaft, weil eben der politische
Prozeß nicht so abläuft. Nach dem Scheitern des Projekts blieb dann freilich die planende Verwaltung mit Vorwürfen der bürokratischen Unfähigkeit, des bürokratischen Widerstandes zurück. So sollte man überlegen,
ob man die Stadt mit der Etikette "Konzern versieht, wenn diese dann
nicht vollbringen kann, was Konzerne unter Rationalisierungsdruck ver11
37
Vgl. etwa Benno Bueble, Brauchen wir "Lean Management" in der öffentlichen
Verwaltung?, VOP 1993, S. 223 ff.; ferner Manfred Timmermann, Wirtschaftliches Handeln öffentlicher Verwaltungen. Grundsätzliches aus ökonomischer und
verwaltungspraktischer Sicht, VOP 1993, S. 97 ff.
38
Vgl. Alexander Kouzmin, The Dimensions of Quality in Public Management. Australian Prespectives aJid. Experiences, in: Hermairn Hili/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 228 ff.
37
mögen, nämlich Teilunternehmen zu veräußern, Produktionsiinien zu
schließen, Standorte zu verlagern, Kosten zu externalisieren usw ,39
Die R_hetorik der "neuen" Verwaltung ist die des Marktes, des Wettbewerbs, des Unternehmens, der Dienstleistung, des Kunden und insbesondere des unternehmerischen Managements, das die Abkehr vom "alten"
administrativen Management symbolisiert. Man muß sich die kulturellen
Prämissen öffentlicher Verwaltung vor Augen führen, um eine solche Redeweise zu beurteilen. Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist deren funktionale Differenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und
Sphären des Handelns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche
nach jeweils eigenen Prinzipien. Das ökonomische System mit Prinzipien
wie Markt, Wettbewerb, Eigentumsrechte und das administrative System
mit Prinzipien wie Regelbindung, Hierarchie, Eigentumsordnung überdeckende öffentliche Zweckbindung sind signifikante Handlungskomplexe einer solchen historischen Beschaffenheit40. Im realen Sozialismus hatte
man diesen Entwicklungspfad verlassen. Die Gesellschaft wurde systemischer Ideologie und dem Willen einer Partei unterworfen. Die Wirtschaft
wurde faktisch verstaatlicht. Eine Kaderverwaltung wurde Staat, Wirtschaft, Gesellschaft übergestülpt. Dieser marxistisch-leninistische Versuch
einer Gegen-Modernisierung ist gescheitert. Er konnte mit der westlichen
Differenzierung von Individualrechten, Pluralismus, Marktwirtschaft, Demokratie, Rechtsstaat, Wohlfahrtsverwaltung nicht Schritt halten. Der reale Sozialismus mußte Bankrott anmelden41.
Die Rhetorik der "neuen" Verwaltung scheint nun die Basisoptimalität
verschiedener Systemrationalitäten beseite schieben zu wollen. Der "Sieg"
der Marktwirtschaft über die Zentralverwaltungswirtschaft scheint in man39
So auch Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine
neue Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle-,
Der Gemeindehaushalt 1994, S. 169 ff.
40
Vgl. nur Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft Bestandsaufnahme und Entwurf, Berlin 1966; ferner Klaus König, Öffentliche Verwaltung als soziales System, in: Remer (Hrsg.), Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S.
3 ff.
41
Vgl. nur Klaus König, Zum Ve.rwaJrungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9-44.
38
eben Reden zu einem Sieg der Prinzipien der Wirtschaft über die des Staates zu werden. Dabei stellt auch der ökonomische Liberalismus den Staat
an sich nicht in Frage. Der Rechtsschutzstaat gilt im Gegenteil als Grundvoraussetzung für die Entstehung und Entwicklung einer Marktwirtschaft.
Zudem ist der Staat gefordert, wenn der Markt versagt. Beides ist in der
historischen Phase der Transformation der realsozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung insbesondere auch im deutschen Falle
deutlich geworden42. Selbst Industriekreise lobten die westdeutsche Verwaltung für die Leistungen der Rechtssicherheit, die sonst ganz selbstverständlich hingenommen wurden. Zudem konnten die Leistungen der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung zur Versorgung der ostdeutschen Bevölkerung mit dem, was die Dynamik des Marktes dort erbrachte, den Vergleich aushalten. Überhaupt sollte der Hinweis aus angelsächsischem
lv1unde nicht unbemerkt bleiben, daß die wirtschaftliche Leistung der Länder, die die unternehmerische Rhetorik für den öffentlichen Sektor pflegen, unter der von Ländern wie Japan und Westdeutschland geblieben
sind, die das "New Public Management" bis jetzt beiseite gelassen haben43.
Die Wirtschaftstheorie liefert eine Fülle von Argumenten zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt bei der Güterversorgung. Charakteristische Merkmale für staatliche Aktivitäten sind zum Beispiel die Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips - also die Nutzung
kann nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden oder nichtrivalisierender Konsum innerhalb von Kapazitätsgrenzen - der
42
Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:
Heilmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bänker (Hrsg.), Transformation sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.
43
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, State Intervention in the Economy: Why is the
United States different from other mixed Economies?, Australian Journal of Public
~A~dmiI1istration,
1992, Vol. 51, No 3, S. 385-397; ferner Christopher Hood„ Public
Management for all Seasons, in: Public Administration 1991, S. 3-19; sowie Regi-
nald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform
of d1e Public Seetor in Australia, Britain and
Review 1993, S. 325.
~~ew
Zealand, Public Adn1irJstiation
39
Konsum eines Individuun1s schließt den anderer nicht aus - \Veitere
Gründe betreffen externe Effekte oder steigende Skalenerträge44.
Überdies zieht die Wirtschaftstheorie Güter als meritorische oder demeritorische in ihre Betrachtung ein, also Güter, deren Bereitstellung die
Gesellschaft unabhängig von den marktlichen Präferenzen zu begünstigen
bzw. zu benachteiligen sucht. Schon die Verfassungen können .eben
Staatszielbestimmungen zum Umweltschutz, zur Beschäftigung, zum
Wohnen jenseits individueller Präferenzen enthalten, die in der Wirtschaftsgesellschaft des Verfassungsstaats respektiert werden müssen45.
Kommt es zur Sache, wie es bei den jüngsten Privatisierungen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan, den Vereinigten Staaten signifikant war, dann kann man beobachten, wie in der offenen Gesellschaft
ökonomische, rechtliche, politische, soziale Gründe in sich und zwischeneinander hochstreitig sind. Es bleibt die Einsicht, dal3 Staatsaktivitäten
zwar historisch gewachsen sind, aber politisch entschieden werden müssen46. Die Wirtschaftstheorie muß entsprechend eine formale Abgrenzung
der öffentlichen Güter vorhalten. Danach wird über Art, Umfang und
Verteilung privater Güter durch die Abstimmung der individuellen Präferenzen über den Marktmechanismus entschieden, während die Entscheidung über die Erstellung öffentlicher Güter das Ergebnis eines kollektiven, hier eben politisch administrativen Willensbildungsprozesses ist47.
In den Ansätzen einer t•neuen" Verwaltung tritt die Gegenüberstellung
von Staat und Wirtschaft nach Art von Privatisierungs- oder Deregulierungsdiskussionen zurück und die Prinzipienfrage wird als Managementproblem gestellt. Es geht mehr um die interne Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung. Der Paradigmenwechsel soll der vom administrativen
44
Vgl. Robin W. Boardway!David E. Wildasin, Public Seetor Economies, 2nd Ed„
Boston/Toronto 1984, S. 83 ff.
45
Vgl. etwa Klaus König, Staatsaufgaben und Verfassungen der neuen Bundesländer,
in: lpsen/Rengeling/Mössner/Weher (Hrsg.): Verfassungsrecht im Wandel. Zum
180jährigen Bestehen der Carl Heymanns Verlag AG, Köln u.a. 1995, S. 109-128.
46
Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1989.
47
Vgl. nur Richard 1..-fusgrave/Peggy }„fusgrave/Lo;e Kullmer, Die öffentlichen Fii.
nanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.
40
zum unternehmerischen Management sein. Dazu muß man freilich darauf
hinweisen, daß der Begriff des Unternehmers untrennbar mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung verbunden ist. Die Marktwirtschaft personalisiert sich gleichsam im Unternehmer. Er kombiniert Produktionsfaktoren
um Güter und Dienste zu produzieren, die er mit Gewinn am Markt absetzen will. Er ist der Motor der marktwirtschaftlichen Entwicklung48. An
dieser Verknüpfung mit der marktwirtschaftlichen Ordnung ändert sich
auch nichts, wenn Eigentumsrechte und Risiken ausdifferenziert werden
und der "angestellte Unternehmer" die dispositiven Funktionen ausübt.
Das unternehmerische Management ist nichts, was man auf eine Binnenstruktur begrenzen kann.
Ist die Rolle des Unternehmers an den Markt gebunden, der Unternehmer ohne Markt nicht denkbar, dann ist die Rhetorik von dem unternehmerischen Geist in der Verwaltung mangels marktförmiger Umwelt widersprüchlich. Wir müßten die Umwelt ändern, den Staat zugunsten des
Marktes aufgeben, wenn ein Paradigmenwechsel vom administrativen Management zum unternehmerischen Management stattfinden sollte. Da aber
niemand auf den Staat, auf öffentliche Güter, kollektive Entscheidungsprozesse zu deren Erstellung verzichten will, brauchen wir ein Management für die öffentliche Verwaltung, das deren Umwelt reflektiert. Und
das ist das exekutive Management, wie es für die Modeme charakteristisch ist. Es reflektiert eine humane Umwelt in der Verpflichtung auf die
Menschenrechte, eine demokratische Umwelt im Primat der Politik, eine
rechtsstaatliche Umwelt in der Bindung an Gesetz und Recht49.
Die grundlegende Differenz zwischen Markt und Staat, unternehmerischem und exekutivem Management läßt sich auch nicht rethorisch überspielen, wie man es mit Begriffen wie Dienstleistung oder Kunde zu ver-
48
Vgl. Peier H. Werhan, Der Unternehmer - Seine ökonomische Funktion und gesellschaftspolitische Verantwortung, Trier 1990.
49
Vgl. etwa Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J.
Koimann (eds.), Managing Public Organizations. Lessons from contemporary European Experiences, 2nd edition, London u.a. 1993, S. 87 ff.
41
suchen scheint50. Es entsteht der hmaruck, aaJj m der K.ategorie der
Dienstleistung das Unternehmerische gleichsam eingeschlossen ist, wenn
etwa die Stadtverwaltung als ein Dienstleistungsunternehmen definiert
wird. Nun kann der Dienstleistungsbegriff manches für Staat und Verwaltung leisten. Man kann etwa der Frage nachgehen, ob der schwedische
Wohlfahrtsstaat sich durch eine Präferenz der Dienstleistungen, der deutsche Sozialstaat aber durch eine Präferenz der Transferleistung auszeichnet
- und das mit Konsequenzen für die öffentliche Beschäftigung51. Damit
wird indessen schon deutlich, daß ein Dienstleistungsbegriff, der bloß auf
den Gegensatz zur materiellen Güterproduktion abstellt, hier nicht hilfreich ist. Der Kern der Bewilligung von Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe ist doch nicht die materiale Leistung, sondern das öffentliche Gut. Solche Transfers werden - jedenfalls im Grunde - vom Markt eben nicht bereitgesteUt. Sie iassen sich nach bestimmten ökonomischen Kriterien und
Prinzipien bewerten. Aber letztlich muß über die Erstellung öffentlicher
Güter politisch-administrativ entschieden werden. Und die autoritativ-verbindliche Entscheidung über Bewilligung oder Nichtbewilligung ist dann
der Kern der Verwaltungstätigkeit. Wir diskutieren nicht private, sondern
öffentliche Dienstleistungen, und von denen ist der Schluß auf das Unternehmerische nicht zutreffend.
Nicht anders verhält es sich mit der U mwidmung des Bürgers zum
Kunden. Selbst die polizeiliche Verhaftung soll dann noch eine Dienstleistung gegenüber dem Betroffenen als Kunden sein52 - der freilich aus gutem Grund dies nicht so empfindet, weil es eben um den Schutz der öffentlichen Sicherheit zugunsten des Publikums geht. Die vielfältigen Rollendifferenzierungen zwischen Steuerpflichtigen, Schüler, polizeilichen
50
So etwa Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 57 ff.; vgl. ferner
ders., Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen: Die Kommunen brau-
chen ein neues Steuerungsmodell, VOP 1991, S. 6 ff; ders., Neue Trends im kommunalen Management, VOP 1994, S. 5 ff.
51
Vgl. Detlef Jahn, Schweden - Kontinuität und Wandlung einer postindustriellen
Gesellschaft, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/92, S. 22-35.
52
Zit. nach Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfoigsorienriertes
Management, Berlin 1993, S. 103.
42
Störer, Soziaihiifeempfänger, Jugendiichen, Gewerbetreibenden usw. werden zugunsten der Uniformität einer Verhaltenserwartung aufgegeben, die
die Erbringung öffentlicher Güter gerade nicht meint53. Denn der Kunde
ist die faktische oder potentielle Marktpartei auf der Nachfrageseite.
Wenn der Arzt vom Patienten, der Rechtsanwalt vom Klienten spricht,
dann liegt darin eben eine feine Distanzierung von marktwirtschaftlichen
Mechanismen.
VII.
FRAGEN DER VERWALTUNGSMODERNISIERUNG
Daß wir auf die Eigenart öffentlicher Güter, eine Rollendifferenzierung beim Bürger und dann auf ein exekutives Management in öffentlichen Angelegenheiten abstellen, bedeutet nicht, daß die Wirtschaftlichkeit
nicht zu den Prinzipien gehört, die die Handlungssphäre der öffentlichen
Verwaltung rationalisieren. Auch über dem Staat leuchtet der "kalte Stern
der Knappheit". Die Verwaltung existiert und funktioniert in einer Umwelt knapper Ressourcen. Entsprechend pflegt das Haushaltsrecht Wirtschaftlichkeit als Maßstab des Verwaltungshandelns vorzuschreiben. Während es im realen Sozialismus die Materialien waren, die das Staatshandeln prägten und trotz behaupteter Einheit von Finanz- und Materialplanung übergewichtig waren54, sind mit der westlichen Verknüpfung von
Staat und Verwaltung mit der Geldwirtschaft Knappheiten von hoher
Transparenz. Die Reflexion der Knappheit kann in der öffentlichen Verwaltung wiederum nicht durch ein unternehmerisches Management erfolgen. Vielmehr müssen eigene Formen, Instrumente, Organisationen der
Staatswirtschaft entwickelt werden. Hierzu zählen Budgetierung, Kameralistik, Rechnungskontrolle usw.
53
Vgl~
et'„va .l?.ainer Pitschas, Die Jugendver.valtu~ng im markt'Nirtscha~Jichen \l./ettbewerb? - Balanceprobleme zwischen Rechonäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und
FacWichkeit -, DÖV 1994, S. 973-986.
54
Vgi. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaitungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9-44.
43
Mit dem Hinweis auf soiche Institutionen erreichen wir das ·1·nema der
Verwaltungsmodernisierung. Man muß die Rethorik des unternehmerischen Geistes, der unternehmerischen Kultur, des unternehmerischen Managements beiseite schieben und sich darüber Rechenschaft geben, daß es
keine Patentrezepte für Innovationen in der öffentlichen Verwaltung gibt.
Es bestehen Gemeinsamkeiten von Reformerfordernissen, Reformbewegungen, Reformstrategien, Reformgegenständen, aber nicht das "general
problem-solving". Dazu sind die historischen Ausgangspunkte und kulturellen Rahmenbedingungen schon zu verschieden, und zwar selbst zwischen Großbritannien, Neuseeland und Australien55 und dann erst recht
zwischen der Civic-Culture-Administation der Vereinigten Staaten von
Amerika und der klassischen Verwaltung Kontinentaleuropas56. Indessen
unterliegen die modernen Verwaltungen dem Imperativ des Wandels. Das
Projekt der Modeme ist nicht am Ende. Modernität bedeutet zugleich Modernisierung. Entsprechend ist in der Bundesrepublik die Budgetierung,
die Kameralistik, die Rechnungshofskontrolle immer wieder modernisiert
worden57.
Im Sinne einer Verwaltungsmodernisierung enthalten die Ansätze zur
"neuen" Verwaltung eine Fülle von Hinweisen, die allerdings weniger als
Antwort denn als Frage interessant sind. Denn vieles, was unter der Aufschrift ' New Public Management "Reinventing Govemment "neues
Steuerungsmodell" usw. diskutiert wird, ist nicht spezifisch für ein marktorientiertes unternehmerisches Management. Nehmen wir zum Beispiel
die Frage der dezentralen Ressourcenverantwortung. Sie ist für private
Unternehmen wie öffentliche Verwaltungen gleichermaßen relevant. Nur
werden die Reformantworten schon im deutschen Falle unterschiedlich
ausfallen, je ob man Probleme von Aufgabengenerierung und Finanzierungsverantwortung zwischen Bund und Ländern, die herausgehobene
1
11
11
,
55
,
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Adniinistration Review 1993, S. 319-328.
56
Vgl. Ferrel Heady, Public Administration, A Comparitive Perspective, 3. Aufl.,
New York/Basel 1984.
57
Vgl. nur Hans Herben von AmimiKlaus Lüder (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit in Staat
und Verwaltung, Berlin 1993.
44
Steliung des Finanzministers auf Regierungsebene oder die Zuständigkeiten von Fachämtern der Kommunalverwaltung erörtert, und zwar von
Ämtern, die für partikularistische Eingriffe der Politik oder gar für Korruption anfällig sind.
Werfen wir hiernach die Frage auf, warum gegenüber solchen verwaltungskonformen Ansätzen der Modernisierung die Rhetorik des "New
Public Management", des ''Reinventing Government" bei den Verwaltungspraktikern selbst so viel Anklang gefunden hat, dann wird gesagt,
daß damit in der Debatte um die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Sektor nach Reagenismus und Thatcherismus eine mittlere Position
eingenommen werde, daß im Grunde nicht weniger, sondern eine bessere
öffentliche Verwaltung gefordert werde58. Insofern ist anzumerken, daß
es eben nicht einfach eine konservativ-liberale Politik ist, sondern daß es
auch Labour-Regierungen sind, die eine Strategie der internen Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung verfolgen59. Auch in Kontinentaleuropa gibt es Stimmen, die auf Bestandswahrung im Hinblick auf die Aufgaben öffentlicher Träger drängen, sich dann aber gegenüber der Rationalisierung von Staat und Verwaltung nach innen als zugänglich bezeichnen.
Insbesondere Gewerkschaften lehnen die Privatisierung ab und gestehen
immer mehr die Modernisierung nach innen zu60.
Die Verwaltungswissenschaft muß demgegenüber auf eine prinzipielle
Weichenstellung hinweisen. Es gibt Güter, über die politisch-administrativ entschieden wird und die damit formal als öffentliche gelten. Aus humanitären, konstitutionellen, sozialen und insbesondere auch ökonomischen Gründen kann aber dieser materielle Status im öffentlichen Sektor
58
So Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Publie Seetor:
Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Administration Review 1993, S. 319.
59
Vgl. etwa Boston, Transforming New Zealand's Publie Seetor: Labour's Quest for
improved Efficiency and Accountability, Public Administration, Vol. 65 1987, S.
423-442; ferner: Enid Wistrich„ Restructuring Goverr1ment
Ne\:11
Zealand Sti;le,
Publie Administration, Val. 70, Spring 1992, S. 119-135.
60
Vgl. etwa das gemeinsame Positionspapier der ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulf-
Mathies und des SPD-Parteivorsitzenden Rudolf Scharping, "iO Eckpunkte zur Innovation im öffentlichen Sektor und zur Reform des Sozialstaates" vom 5 .10 .1994.
45
zweifelhaft sein. Vor allem kann sich erweisen, daß ein soiches Gut doch
marktgängig ist oder auch marktgängig gemacht werden kann. In diesem
Falle ist es privatisierungsfähig, d. h. die gesellschaftliche Problemlösungsverantwortung kann vom öffentlichen auf den privaten Sektor verlagert werden61. Eine solche materielle Privatisierung in den verschiedenen
Formen ist für Länder, deren hohe Staatsquote eine systemische Überlast
anzeigt, mindestens genauso wichtig wie die innere Rationalisierung von
Staat und Verwaltung. Vielerorts läßt sich Kostendruck, Verschuldungsgrad, Investitionsbedarf nur mit Maßnahmen interner Ökonomisierung
nicht begegnen. Das deutsche Haushaltsrecht bestimmt, daß Bund, Länder
und Gemeinden wirtschaftliche Unternehmen nur errichten oder sich an
solchen beteiligen dürfen, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt und der
angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreicht werden kann. Diese Vorschrift seilte man nicht nur dogmatisch interpretieren, sondern in ihr auch eine Regel der Staatsklugheit sehen.
Freilich ist die Klausel vom öffentlichen Interesse so zu verstehen, daß
es nicht nur auf den Charakter des produzierten Gutes, sondern auch auf
die mit der Produktion verbundenen sekundären Funktionen ankommt, also auf Wirtschaftsförderung, Arbeitsplatzsicherung, Standortpolitik usw.
Das führt zu einer Lage, in der die öffentliche Trägerschaft erhalten
bleibt, eine formal-organisatorische Privatisierung der Güterproduktion
aber naheliegt, um die Marktkräfte soweit wie möglich zu nutzen62. Ein
entsprechend im öffentlichen Sektor einzurichtendes unternehmerisches
Management ist dann nicht Konstrukt in einer nicht-marktförmigen Umwelt, sondern binnenorganisatorische Konsequenz aus marktwirtschaftlichen Verhältnissen.
Aus der materiellen Ambivalenz öffentlicher Güter und ihrer sekundären Funktionen ergibt sich, daß neben der materiellen Privatisierung immer auch die interne Ökonomisierung von Staat und Verwaltung stehen
muß. Historische Chancen für interne Rationalisierungen sollte man nicht
61
Vgl. nur Klaus König, Systemimmanente und systemverändemde Privatisierung in
Deutschland, VOP 1992, S. 279-286.
62
Vgl. Achim von Loesch, Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Ein (f'oerbiick
über die Argumente, 2. Aufl., Baden-Baden 1987, S. 41 ff.
46
verstreichen iassen. Das bedeutet Strategien wie eben formal-organisatorische Privatisierung, dann Verselbständigung von Aufgabenträgern, Dezentralisierung von Dekonzentration, Abflachung von Hierarchien und anderes im Organisatorischen, Leistungsstandards, Kosten-Nutzen-Rechnungen, Ergebnisorientierung, Controlling insbesondere im Bereich sekundärer Effizienzen63 - also Personalausstattung, Infrastruktur, Organisationsgröße, Sachmittelausstattung - und anderes mehr im Verfahren, Vereinfachung von Laufbahngruppen, Mobilitätsförderung, Leistungsanreize, Spitzenposüionen auf Zeit und anderes mehr im Personellen.
In der Nachkriegsphase der Bundesrepublik Deutschland ging es für
die öffentliche Verwaltung zunächst darum, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen64. Diese Modernisierungsphase führte zu einer verfassungsrechtlichen Durchdringung der Verwaltung, einer starken Verwaltungsgerichtsbarkeit, einem regeltiefen Legalismus usw. Vom Ende der
sechziger Jahre an versuchte man, die demokratischen Defizite der Verwaltung aufzuarbeiten. In dieser Phase der Modernisierung kam es zur
Stärkung der bürgerlichen Beteiligungsrechte, zu bürgerfreundlichen Organisationsformen, zur politischen Sensibilisierung des Beamtentums
usw.65 Vom Ende der siebziger Jahre an bestimmte eine Ökonomisierungsstrategie die Modernisierung von Staat und Verwaltung, und zwar
im Sinne materieller Privatisierung, also der Verlagerung gesellschaftlicher Problemlösungsverantwortungen von der öffentlichen in die private
Handlungssphäre. Teilstrategien waren Vermögensprivatisierung, Aufgabenprivatisierung, Auskontrahieren von Teilfunktionen, Privatisierung
von Hilfsbetrieben, Marktöffnung, Partnerschaft mit Privaten, Deregulierung, Rechtsvereinfachung, Subventionsabbau, Personalabbau66.
63
Vgl. etwa Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cost-Benchmarking als strategische Erweiterung eines theaterspezifischen Controlling, ZögU
1994, S. 293.
64
Vgl. etwa Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwaltung, Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.
65
Vgl. Wolfgang Seibel, Entbürokratisierung in der Bundesrepublik Deutschland, in:
Die Verwaltung 2/86, S. 137 ff.
66
Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpoiitik der
achtziger Jahre-, VerwArch. 1995, S. 1-31.
47
Nach der Vere1mgung Deutschlands, deren Kosten mit den Auswirkungen einer wirtschaftlichen Strukturkrise zusammenfallen, steht hier
wie andernorts die interne Rationalisierung von Staat und Verwaltung auf
der Tagesordnung. Auch die alten Verwaltungsstaaten Kontinentaleuropas
werden sich Bewegungen der Ökonomisierung nicht entziehen, wie sie in
der angelsächsischen Welt seit längerer Zeit propagiert werden. Eine solche Verwaltungspolitik sollte in den klassischen administrativen Systemen
mit ihrer Wirtschaftsgeschichte bis hin zum Merkantilismus gelingen, ohne einen unternehmerischen Geist beschwören zu müssen. Die Modernisierungsfrage lautet einfacher, nämlich wie der Wirtschaftlichkeit in der
öffentlichen Verwaltung ein höherer Stellenwert gegeben werden kann.
Die Antworten werden aber vielfältiger ausfallen, als es in einem neuen
Steuerungsmodell zum Ausdruck kommt. Denn die alten Werte und Handlungsmaßstäbe des exekutiven ivlanagements wie politisch-demokratischer
Primat oder rechtsstaatliche Regelbindung müssen zugleich erhalten werden. Der Orientierung an einer effizienteren Aufgabenwahrnehmung dann
größeren Raum zu schaffen, braucht allerdings mehr als den guten Willen
der Verwaltungspraktiker. Auch Politik und Recht müssen sich auf stärkere wirtschaftliche Bewertung des Verwaltungshandelns einlassen.
48
49
UNTERNEHMERISCHES ODER EXEKUTIVES
MANAGEMENT - DIE PERSPEKTIVE DER
KLASSISCHEN ÖFFENTLICHEN VERWALTUNG
1.
MODERNE ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
Die öffentliche Verwaltung in Kontinentaleuropa wird seit den Reformbewegungen der sechziger und der siebziger Jahre immer wieder mit
Management-ModeJlen konfrontiert. Solche Modelle des "Management by
... " - by Objectives, by Delegation, by Exception usw. - haben für sich
in vielen Ländern den Verwaltungsalltag wenig beeindruckt. Zwar finden
die mit ihnen transportierten Gedanken wie der einer verstärkten Delegation durchaus Entsprechungen in den kontinentaleuropäischen Verwaltungen. Wenn aber bisher Verwaltungspraktiker eine Management-Rhetorik
pflegten, so mußte man bezweifeln, ob damit Wesentliches bewirkt wurdel. Damit zeigt sich ein Unterschied zu der öffentlichen Verwaltung in
den Vereinigten Staaten von A_merika. Zwar mag auch hier der Managerismus bisweilen Modecharakter annehmen. So fällt dem Beobachter auf,
daß früher die Kategorie der Public Policy, heute indessen gern die des
Public Management herangezogen wird, wenn man sich von einer als altmodisch angesehenen Public Administration-Schule abheben will2. Jedoch
gehört der Management-Gedanke wie die politische und die bürokratische
Orientierung zu den intellektuellen Traditionslinien der amerikanischen
1
Vgl. Eberhard Laux, Management für die öffentliche Ver\lvaltung?, i..11: DVBl.
1972,
2
s.
167 ff.
Vgl. Chester A. Newland, A Field of Strangers in Search of a Discipline: Separatism of Pubiic Management Research from Pubiic Administration, Public Administration Review 1994, S. 486 ff.
50
Verwaltung: mit Anfängen im Taylorismus3 und bis hin zum unteruehmerischen Management eines "Reinventing Government "4.
Die heutige Herausforderung, die sich den Kontinentaleuropäern in der
Konfrontation mit einem New Public Management stellt, reicht freilich
über den Anspruch einer Binnenrationalisierung der öffentlichen Verwaltung durch gutes Management hinaus. Die Sprache des neuen ist die des
Marktes, des Wettbewerbs, des Unternehmens, der Dienstleistung, des
Kunden und eben des unternehmerischen Managements, das die Abkehr
vom alten administrativen Management symbolisiert. Damit sind öffentliche Verwaltung und ihre soziale Umwelt, Beamte wie Bürger und Politiker betroffen. In Großbritannien sprechen manche sogar von einer Revolution, einem neuen Modell des Staates5. Jedenfalls scheint die alte Westminster-Sprache öffentlichen Verwaltens mehr und mehr neuen Sprechweisen, etwa denen eines Kontrakt-Managements zu weichen. In den Berichten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung6 scheinen zumindest implizit die Industrieländer sich auf einem Entwicklungspfad des New Public Management zu befinden, der vom alten
Wohlfahrtsstaat zum schlanken Staat mit funktionierenden Wettbewerbsmärkten führt. Damit werden zugleich Bewertungen der Effektivität verbunden. Eine Art von idealisiertem angelsächsischem Modell wird als effektivster Weg zur Modernisierung des öffentlichen Sektors vorgestellt7.
Beide Implikationen sind unbewiesen. Die Industrieländer beschreiten
durchaus unterschiedliche Entwicklungspfade8. Das gilt sogar im angel3
Vgl. Frederik Winslow Taylor, Tue Principles of Scientific Management, New
York/London (1911) 1915.
4
Vgl. David Osborne!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming to the Public Seetor, Reading, 1992.
5
Vgl. Frederick Ridley, Die Wiedererfindung des Staates - Reinventing British Govemment - Das Modell einer Skelettverwaltung - in: DÖV 1995, S. 569 ff.
6
Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Paris 1993.
7
Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Paris 1993.
8
Vgl. Frieder l{aschold, Ergebnissteuemng, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin 1995, S. 39 ff.
51
sächsischen Raum, so zwischen Großbritannien und Austraiien, den USA
und Kanada. Überdies wird selbst aus New Public Management-Ländern
auf die günstigere ökonomische Lage in Japan und Deutschland hingewiesen, die beide durch die Persistenz der tradierten bürokratischen Steuerungsmuster gekennzeichnet sind9. Es gibt sogar die These, daß alle Länder mit administrativer Steuerung durch Regeln fast immer und in fast allen Dimensionen eine eindeutig bessere ökonomische Performanz als die
der Vergleichsländer aufwiesento. Nun ist es schon schwierig, für eine
einzelne Verwaltungsorganisation aus verschiedenen Steuerungsmechanismen jeweils Leistungsunterschiede abzuleiten. Erst recht ist es problematisch, im nationalen Maßstab den gesellschaftlichen Wohlstand auf die Beschaffenheit von Staat und Verwaltung zurückzuführen.
Auf der anderen Seite muß man auch für das New Public Management
festhalten, daß dort, wo es über die Konzeption hinaus zu Implementationen gekommen ist, es regelmäßig an Evaluationen fehltll. Selbst für fortgeschrittene Fälle wie der Großbritanniens und der Neuseelands ist es zumindest für den Außenstehenden schwierig, die wirklichen Veränderungen
in der Verwaltungskultur und ihre Auswirkungen auf den öffentlichen
Wohlstand nachzuvollziehen. Es genügt jedenfalls nicht, etwa in einem internationalen Leistungswettbewerb der Kommunen für den Entwicklungsstand einer Stadtverwaltung auf die Einführung neuer Steuerungsmecha-
9
Vgl. Christopher Hood, Publie Management for all Seasons?, in: Publie Administration 1991, S. 3 ff.; Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culmre
in the Publie Seetor: Reform of the Publie Seetor in Australia, Britain and New
Zealand, Publie Administration Review 1993, S. 324; Reginald C. Mascarenhas,
Stateiniervention in the Eeonomy: Why is the United States Different from Other
Mixed Eeonomies?, Australian Journal of Public Administration
10
S. 385 ff.
Vgl. Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwieklungspfade des öffentlichen
11
1992,
Sektors~
Berlin 1995, S. 73.
Vgl. Klaus König, "Neue" Verwalrung oder Verwalrungsmodernisierung: Verwaltungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 354; Andrew Gray/Bill
hnkins, From Pubiie Administration to Public Management: Reassessing a Revoiution?, in: Publie Administration 1995, S. 84.
52
nismen abzustellenl2. Man müßte schon erfahren, wie es vor Ort mit Sicherheit und Ordnung, Wohnen und Industrieansiedlung, Gesundheit und
Alter, Wasser und Abfall, Infrastruktur und Nahverkehr, Kultur und Freizeit steht. In dieser Lage noch unzureichender Erfahrungen scheint es aus
kontinentaleuropäischer Sicht nützlich, den Steuerungsmechanismen eines
unternehmerischen Managements die Systemrationalität der modernen öffentlichen Verwaltung den Grundlagen nach gegenüberzustellen. Man mag
mit eng definierten Teilbereichen der öffentlichen Angelegenheiten experimentieren. Aber Staat und Verwaltung sind als solche kein Versuchsfeld.
Wenn sie einen historischen Leistungsstand erreicht haben, wie das in
Kontinentaleuropa der Fall ist, bedarf es schon starker Gründe, wenn man
die Steuerungsmuster der Produktion und Verteilung öffentlicher Güter
und Dienstleistungen allgemein umstellen will.
Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist deren funktionale Differenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Handelns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils eigenen Prinzipien13. Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privateigentum, Markt, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit
Prinzipien wie Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit gehören dazul4. Die Systemrationalität der öffentlichen Verwaltung in der Modeme
hat Max Weber in seinem Typus der Bürokratie charakterisiert: die generell geordneten behördlichen Zuständigkeiten, die Amtshierarchie, der
Amtsbetrieb, die Regelbindung, das Berufsbeamtentum usw .15. Dabei
ging es ihm nicht einfach um ein präskriptives Modell. Das Erfahrungsmaterial dieser Typenbildung wurde aus der historischen Wirklichkeit,
insbesondere der preußischen Verwaltung, entnommen. Die Leistungsord12
Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Karl-Bertelsmann-Preis. Demokratie und Effizienz in der Kommunalverwaltung, Band 1, Dokumentationsband zur internationalen
Recherche, Güters1oh 1993.
13
Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt!Main 1985.
14
Vgl. Klaus König, Öffentliche Venvaltung als soziales System, in: Remer (Hrsg.),
Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.
15
Vgl. Renate Mayntz, Max Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisationssoziologie, in: Politologie und Soziologie, Otto Stammer zum 65. Geburtstag, hrsg.
von Jürgen Fialkowski, Köln und Opladen 1965, S. 91 ff.
53
nung der öffentlichen Verwaltung hat sich als historisch belastbar erwiesen, was Bürokratismus mit Dysfunktionen von Formalismus, Schematismus. Unpersönlichkeit usw. nicht ausschließt.
Dementsprechend hat der Marxismus-Leninismus in der Bürokratie
nicht deren Funktionsfehler, sondern die Agentur der Bourgeoisie bekämpft16. Selbst in einem so alten Verwaltungsstaat wie Deutschland wurden die bürokratischen Institutionen zerschlagen und durch eine Kaderverwaltung realsozialistischen Typs ersetzt, die in ihren Aufgaben durch instrumentellen Etatismus, in ihrer Organisation durch Herrschaftszentralismus, in ihren Prozessen von der Transmission des Parteiwillens, in ihrem
Personal von Kadern gekennzeichnet warl7. Dabei waren Kader. die diesem Verwaltungstypus den Namen gegeben haben, zwar berufsmäßige
Verwalter, deren Qualifikation aber politisch-ideologisch definiert war.
Der reale Sozialismus als großer Versuch einer Gegen-Modernisierung
mußte historischen Bankrott anmelden. Wenn indessen von einem "Sieg
der Marktwirtschaft'f über die Zentralverwaltungswirtschaft die Rede ist,
muß man bedenken, daß es um mehr geht. Es haben sich hochdifferenzierte soziale Systeme mit Individualrechten, Demokratie, Marktwirtschaft,
organisiertem Interessenpluralismus, Staatsverwaltung usw. gegenüber sozialen Verhältnissen als überlegen erwiesen, in denen Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft, Verbände, Staat nach einer parteilichen Ideologie kollektiviert wurden.
Die Transformation der realsozialistischen Kaderverwaltung18 hat Verwaltungsexpertise unterschiedlichster Art auf den Beratungsmarkt ge16
Vgl. Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwalrung in eine
klassisch-europäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.
17
Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.
18
Vgl. Klaus König, Administrative Transformation in Eastem Germany, in: Joachim
Jens Hesse (ed.), Public Administration, Vol. 71, 1993, S. 135 ff.; Klaus König,
Die Transformation der öffentlichen Verwaitung: Ein neues Kapitei der Verwaltungswissenschaft, in: VerwArch 1993, S. 311 ff.; Klaus König, Transformation
der realsozialistischen Verwaltung: deutsche Integration und europäische Kooperation, in: DVBL 1993, S. 1292 ff.; Klaus König, Transformation einer reaisoziaiistischen Verwalrung in eine klassisch-europäische Verwaltung, in: Wolfgang Sei-
54
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oracm. u1e emen prasenueren llllt uruversruem AD.sprucn Kanonrumoae.ue
von Management und Verwaltung. Andere beziehen sich auf Verwaltungserfahrungen in ihrem westlichen Heimatland. Und in der Tat wird auch
Ende des 20. Jahrhunderts trotz der Globalisierung von öffentlichen Problemen und der Internationalisierung von öffentlichen Organisationen die
öffentliche Verwaltung vor allem nationalstaatlich begriffen: als französische, U.S.-amerikanische, japanische usw.19. Die Verwaltungszusammenarbeit mit Entwicklungsländern hat überdies die kulturelle Bedeutung der
öffentlichen Verwaltung angesichts der Universalien guten Managements
unübersehbar gemacht20. Entsprechend ist es schwierig, eine Zwischenschicht kultureller Gemeinsamkeiten zwischen nationalstaatlichem Verwaltungskonzept und universaler Managementvorstellung auszumachen. Mit
der Unterscheidung zwischen Civic Culture-Administration und klassischem Verwaltungssystem wird versucht, gewisse Gemeinsamkeiten im
angelsächsischen Raum bzw. in Kontinentaleuropa zu kennzeichnen und
diese dann einander gegenüberzustellen21. Freilich geht es im Vergleich
zum Typus der Kaderverwaltung eher um graduelle Unterschiede. Die Civic Culture-Administration wie das klassische Verwaltungssystem folgen
der gleichen bürokratischen Traditionslinie. Selbst in den USA muß man
wohl von einem bürokratischen Managerialismus sprechen. Freilich hat
manches über viele Modernisierung an altem Profil verloren.
bellArthur Benz/Heinrich Mäding (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden 1993, S. 80 ff.; Klaus Kö-
nig, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch-europäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.
19
V gL Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswir-
kungen auf die Regierung, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.),
Regieren in der Bundesrepublik V, Opladen 1993, S. 234 ff.; Klaus König, Organisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Carl Böhret/Göttrik. Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und
Regionalisierung, Festschrift für Hans-Hermann Hartwich zum 65. Geburtstag,
Opladen 1993, S. 144 ff.
20
Vgl. Klaus König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Baden-Baden 1986.
21
VgL Ferrel Heady, P-ublic Administration - A comparative Perspective, 4. Auflage, New York/Basel 1987.
55
Kontinentaieuropäische v erwairungen wie die ~rankre1cns und
Deutschlands kann man als klassische Verwaltungssysteme bezeichnen,
weil bei Ihnen die mit der Modeme geschaffene bürokratische Leistungsordnung über alle politischen Instabilitäten und Veränderungen hinweg bis
heute erhalten geblieben ist22. Sie haben Regimewechsel von Monarchie,
Republik, Diktatur, Demokratie überstanden und mußten in Zeiten des
Zusammenbruchs die Lasten öffentlichen Handelns tragen. Eine solche eigene Leistungsordnung hat sich in Mitteleuropa wieder bewährt. Die Folgen des Bankrotts der marxistisch-leninistischen Herrschaft und ihrer Kaderverwaltung in der DDR konnten durch einen Transfer klassischer Verwaltungsinstitutionen aus Westdeutschland aufgefangen werden. Es ging
nicht um eine Kollonialisierung nach Art der Bundesrepublik. Vielmehr
konnte bei öffentlichen Aufgaben und öffentlichem Vermögen23, föderativer und kommunaier Organisation, Verwaltungsrecht und öffentiichen Finanzen, öffentlichem Dienst und Personalentwicklung auf Tradition deutscher und damit klassisch-kontinentaleuropäischer Verwaltungs- und
Rechtskultur zurückgegriffen werden24. Die Verwaltung war es, die die
neue demokratische Politik auf ostdeutschem Boden jenseits der friedlichen Revolution aktionsfä.hig machte. Dies war um so notwendiger, als
die Kräfte des Marktes nicht jene wirtschaftliche Dynamik entfalteten, die
22
Vgl. Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine
klassisch-europäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.
23
Vgl. Klaus König!Gunnar Folke Schuppert/Jan Heimann (Hrsg.), Zur Aufgabenund Vermögenstransformation, in: Vermögenszuordnung - Aufgabentransformation in den neuen Bundesländern, Baden-Baden 1994, Band 29 der Schriftenreihe
Venvaltungsorganisarion, Staatsaufgaben und Öffentlicher Dienst, hrsg. von Klaus
Köpjg und Franz l'.roppenstedt
24
Vgl. Klaus König/Volker Meßmann, Organisations- und Personalprobleme der Verwaltungstransformation in Deutschland, Baden-Baden 1995, Band 28 der Schriftenreihe Verwaltungsorganisation, Staatsaufgaben und Öffentlicher Dienst, hrsg. von
Klaus König und Franz Kroppenstedt.
56
man von ihnen erwartet hatte und Transformation wie Vereingung staatszentriert erfolgen mußten25.
Karin man Zl.I den klassischen Ven 1alVJngssystemen sagen, daß die Bürokratie älter als die Demokratie ist, so wurde Entwicklung öffentlicher
Bürokratien in Ländern der Civic Culture-Administration wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten von vornherein durch das politische Regime bestimmt, dessen historische Kontinuität sich bis auf den heutigen
Tag fortgesetzt hat26. Diese Regime ermöglichten öffentliche Verwaltungen, setzten ihre Grenzen und festigten die Beziehung auf die fortdauernde
demokratisch-partizipative Ordnung einer bürgerschaftlichen Kultur. Das
bedeutet nicht, daß die öffentlichen Bürokratien keine Eigendynamik entfaltet hätten. Das amerikanische Bild der "Iron triangle", der Machtkonfiguration von politischen Repräsentanten, Lobbyisten und Ministerialbürokraten, ist ein Beispiel dafür. Die britische Televisualisierung des "Yes,
Minister", in der Spitzenbürokraten den Willen der Politik konterkarieren,
ist eine andere Illustration. Beamte versuchen nun einmal, bürokratische
Werte ins Spiel zu bringen. Aber es gab keine historischen Instabilitäten,
in denen die öffentliche Verwaltung gleichsam auf eigene Rechnung weiter funktionieren mußte. Die parteipolitischen Regierungskonstallationen
wechselten. Das politische Regime behielt die Kontrolle über die öffentliche Verwaltung, wie bürokratisch diese auch jeweils war. Diese permanente Dominanz des Politischen über die öffentlichen Bürokratien entspricht den gesellschaftlichen Wertvorstellungen einer bürgerschaftlichen
Kultur, während der Kontinentaleuropäer durchaus erfahren mußte, daß es
historische Situationen gibt, in denen man von der Verwaltung etwas erwarten kann, was ihm die Politik nicht geben kann, etwa eine Grundversorgung in Zeiten politischer Wirren27.
1
25
Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:
Heilmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bönker (Hrsg.), Transformation sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.
26
Vgl. l?.icha;d J. Stilbr.an, Preface to P11blic Adn1inistration: A Seaich for Themes
and Direction, New York 1991, S. 19 ff.
27
Vgl. Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwaltung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.; Thomas Ellwein, Geschichte der öffentlichen Verwaltung, in: Klaus König/Hans Joachim von Oertzen/Frido Wagener
57
uie angio-amerikanischen Kontinuitäten machen zunächst die Werte
des politischen Regimes zu Identifikationsmustern öffentlicher Bürokratien. Der "Diener der Krone ist eine auch die Gefühle ansprechende Formel hierfür28. In kontinentaleuropäischen Ländern mußte demgegenüber
für eine weiter funktionierende öffentliche Verwaltung eine identitätsstiftende Vorstellung gefunden werden, die über die historische Lage von
Monarchien, Republiken, Diktaturen, Demokratien hinausreichte. Es
mußte eine regulative Idee zur Geltung gebracht werden, in der sich das
politische System jenseits jeweiliger politischer Regime selbst beschreibt.
Diese regulative Idee ist die des Staates. Entsprechend heißt es, daß der
Beamte "Diener des Staates ist. Das ist eine Vorstellung, die in der anglo-amerikanischen Verwaltungskultur nach wie vor auf Verständnisschwierigkeiten stößt, wenn es auch inzwischen in den USA eine Diskussion zur stateiessnes" des amerikanischen Verwaltungskonzepts gibt29.
11
11
10
Das Regulativ des Staates ist zunächst eine öffentlichen Bürokratien
durchaus kongeniale Idee. Auch der Beamte in der Civic Culture-Administration sucht nach Identifikationen jenseits des politischen Regimes. Man
mag rückblickend die Frage nach der Reflexion einer britischen Klassengesellschaft in der Administrative dass stellen30. Man mag heute in einer
anglo-amerikanisierten Welt nach der Selbstbeschreibung einer "global
professional technocracy" Ausschau halten31. Zur regulativen Idee des
Staates muß dann aber festgehalten werden, daß sie nicht unriskant ist.
Der Mißbrauch des Staates ist der seiner Diener. So haben jenseits der
Dysfunktion eines Bürokratismus öffentliche Verwaltungen in Kantinen(Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden
1981, s.
28
37 ff.
Vgl. Frederick Ridley, Die Wiedererfindung des Staates - Reinventing British Go-
1995, S.
vemment - Das Modell einer Skelettverwalnmg - in: DÖV
29
Vgl. Richard J. Stillman, Preface to Public Administration: A Search for Themes
and Direcrion, New York
30
Vgl. l\fevil
Jo~lznson,
sienmg, in: DÖV
1991, S.
19 ff.
Der Civil Service i...'l
1994,
Großbri~n....'lien:
Tradition und Modenij„
S. 196 ff.; Robin Butler, The Evolution of the Civil Ser-
vice - a Progress Report, in: Public Administration
3i
574.
1993,
S.
395 ff.
Vgl. Richard J. Stillman, Preface to Public Administration: A Search for T'nemes
and Direction, New York
1991, S. 77 ff.
58
taieuropa auch historisch versagt. So hat zum Beispiei die Verwaitungsbürokratie im Deutschland der Weimarer Republik nicht zu den Verteidigern
der Demokratie gehört.
Die regulative Idee des Staates bedarf daher einer schützenden Ergänzung. Sie wurde in der Kategorie des Rechtsstaates gefunden. Bei der Entwicklung des Rechtsstaates kann man in Kontinentaleuropa wieder auf
vordemokratische Erfahrungen zurückgreifen. Heute sind Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eng verknüpft. Rechtsstaatlichkeit bedeutet nicht nur,
daß eine für die öffentliche Verwaltung verpflichtende Rechtsordnung besteht. Ganz bestimmte, auch verfassungsrechtlich garantierte Prinzipien
gelten für die öffentliche Verwaltung. Menschenrechte sind zu respektieren. Die Verwaltung ist an Gesetz und Recht gebunden. Die Verwaltung
muß die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck achten. Der Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Verwaltung ist gewährleistet usw. Von
hier aus ließen sich weitere Eigenarten der kontinentaleuropäischen Verwaltung gegenüber der Civic Culture-Administration spezifizieren: das
hochdifferenzierte Verwaltungsrecht, ein besonderer Legalismus, ein eigenes System der Verwaltungsgerichtsbarkeit usw.32. Indessen ist hinreichend deutlich geworden, daß die Frage eines New Public Management
für die öffentliche Verwaltung in Ländern wie Frankreich und Deutschland auf andere kulturelle Prämissen stößt als dies im angle-amerikanischen Raum der Fall ist. Wir wenden und daher einer Gegenüberstellung
von Steuerungsmustern des unternehmerischen Managements mit denen
des klassischen Verwaltungssystems zu.
II.
UNTERNEHMERISCHE STEUERUNGSMUSTER
Mit dem New Public Management wird eine interne Ökonomisierung
der öffentlichen Verwaltung, ein "entrepreneurial spirit ein "entrepren11
,
32
Vgi. Klaus König, Offentliche Verwaltung ais soziaies System, in: Remer (Hrsg.),
Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.
59
eunar managemenC für die Verwaltung seibst intendiert33. Das unterscheidet von Strategien der externen Rationalisierung wie Privatisierung
oder Deregulierung34. Freilich geht es nur um den Ansatzpunkt. Denn die
öffentliche Verwaltung konstituiert sich als offenes System nicht nur
durch ihre innere Ordnung, sondern auch durch ihre soziale Umwelt35. So
bedeutet das Gesetz für die Verwaltung Regelbindung nach innen und
Rechtsgrundlage nach außen. Man kann nicht intern die politische Hierarchie über die Rechtsbindung stellen, wenn man rechtsstaatliche Verhältnisse hat. Entsprechend müssen die Steuerungsmuster eines neuen öffentlichen Managements mit der Res publica kompatibel sein. Hier wirkt es
sich als problematisch aus, daß jene Reformbewegung recht diffus ist.
Von den intellektuellen Grundlagen her mischen sich in popularisierter
Weise Managementlehren, Business Motivation-Psychologie und neoliberaie Okonomie36. In der Sache mischen sich staatskonforme Reformvorschläge - wie zum Beispiel dezentrale Ressourcenverantwortung - mit
marktkonformen Ideen - wie zum Beispiel Kundenorientierung -. Bisweilen endet man im Plakativum, wenn etwa die Verwaltung einer Stadt als
Dienstleistungskonzern bezeichnet wird37. Freilich bedeutet das dann
33
Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltung,
Speyerer Forschungsbericht 139, Speyer 1995; Gerhard Banner/Christoph Rei-
chard (Hrsg.), Kommunale Managementkonzepte in Europa, Köln 1993; Reginald
C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of
the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Administration Review 1993, S. 319 ff.
34
Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1990; Klaus König,
Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der achtziger Jahre -,
in: VerwArch 1995, S. 1 ff.
35
Vgl. Klaus König, System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, in:
ders./Hans Joachim von OertzentFrido Wagener (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung
in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1981, S. 13 ff.
36
Vgl. Andrew Gray/Bill Jenldns, From Public Administration to Public Manage-
ment: Reassessi..11g a Revolution?, in: Pu.blic
37
~A~dministration
1995, S. 75 ff.
Vgl. Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.),
Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen
und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 6i. Staatswissenschaftlichen
Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer,
60
nicht, daß die Stadt das tun soU, was Konzerne unter Rationaiisierungsdruck vermögen, nämlich Teilunternehmen zu veräußern, Produktionslinien zu schließen, Standorte zu verlegen, Kosten zu externalisieren usw .38.
Nimmt man das Konzept vom unternehmerischen Management in der
öffentlichen Verwaltung beim Wort, dann muß man darauf hinweisen, daß
der Begriff des U ntemehmers untrennbar mit einer marktwirtschaftlichen
Ordnung verbunden ist. Die Marktwirtschaft personalisiert sich gleichsam
im Unternehmer39. Er kombiniert Produktionsfaktoren, um Güter und
Dienste herzustellen, die er mit Gewinn am Markt absetzen will. An der
Verknüpfung mit der marktwirtschaftlichen Ordnung ändert sich auch
nichts, wenn Eigentumsrechte und Risiken ausdifferenziert werden und
der "angestellte Unternehmer" die dispositive Funktion ausübt. Ein solches unternehmerisches Management besteht auch nicht vollständig, wenn
gewisse Betriebe in Staat und Verwaltung als öffentliche Unternehmen bezeichnet werden, weil sie einerseits im Eigentum der öffentlichen Hand
sind und andererseits über selbständige Handlungsspielräume verfügen40.
Es ist~erade mangelndes Unternehmertum, das man solchen öffentlichen
Betrieben immer wieder vorwirft, sei es, daß es sich um staatliche Bahn
oder Post, öffentlichen Rundfunk oder Verkehrsbetrieb, kommunales Versorgungs- oder Wohnungsunternehmen handelt. Dabei tut man diesen Organisationen Unrecht, wenn die Orientierung am Gewinn als Maßstab un-
Berlin
1993, S. 57
ff.; Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsun-
ternehmen: Die Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP 1991,
s.
38
6 ff.
Vgl. Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine neue
Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle - , in:
Der Gemeindehaushalt 1994, S. 169 ff.
39
sellschaftspolitische Verantwonung, Trier 1990.
40
Vgl. Günter Püttner, Die öffentlichen Unternehmen. Ein Handbuch zu Verfassungs- und Rechtsfragen der öffentlichen Wirtschaft, 2. Aufl., Stuttgart!MünchenJHannover
1985.
61
temehmerischen Erfoiges durch öffentliche Zwecke des Gemeinwohis und
der Gemeinnützigkeit überlagert sind41.
Wer aJso unternehmerisches Management für die öffentliche Verwaltung fordert, muß demgemäß eine kompatible Umwelt schaffen, und das
sind Markt und Wettbewerb. Hier erweist sich die britische Verwaltungs"Revolution mit Markettesting, Compulsory Competitive Tendering usw.
als am konsequentesten42. Zwei Strategien sind denkbar: der Eintritt in einen realen Wettbewerbsmarkt oder die Herstellung eines virtuellen Organisationswettbewerbs als dessen funktionales Äquivalent. Aus der Sicht
der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft zeichnen sich
Staat und Markt durch je eigene Steuerungsmuster der Güterversorgung
aus. Über Art, Umfang und Verteilung privater Güter wird durch die Abstimmung der individuellen Präferenzen im Marktmechanismus entschieden, während die Entscheidung über die Erstellung öffentlicher Güter das
Ergebnis eines kollektiven, eben politisch-administrativen Willensbildungsprozesses ist. Die Wirtschaftstheorie hat eine Fülle von Argumenten
hervorgebracht, warum die gese1Jschaftliche Arbeitsteilung zwischen Staat
und Markt nicht aufgegeben werden kann, der Bürger mit öffentlichen
Gütern versorgt werden muß43. Charakteristische Merkmale für staatliche
Aktivitäten sind zum Beispiel die Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips - also die Nutzung kann nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden - oder nicht rivalisierender Konsum innerhalb von
Kapazitätsgrenzen - der Konsum eines Individuums schließt den anderer
pj
41
Vgl. Heinz Dürr, Kann der Staat als Unternehmer erfolgreich sein? in: Verwaltung
und Management 1995, S. 4 ff.
42
Vgl. Frederick Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientienes Verwaltungs-
management. "'~tuelle Tendenzen und Ent'\'\.T„:irfe, Berlin 1993, S. 251 ff.; Barry J.
O'Toole/Grant Jordan (eds.), Next steps. Improving Management in Govemment?
Aldershot u. a. 1995.
43
Vgl. Richard MusgraveiPeggy Musgrave/Lore Kullmer, Die öffentlichen Finanzen
in Theorie und Praxis, Band 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.
62
mcnt aus. Weitere Gründe betreffen externe nffekte oder steigende Skalenerträge44.
D:iher stellt auch der ökonomJsche Liberalismus den Staat an sich nicht
in Frage. Der Rechtsschutzstaat gilt im Gegenteil als Grundvoraussetzung
für die Entstehung und Entwicklung einer Marktwirtschaft. Zudem ist der
Staat gefordert, wenn der Markt versagt. Beides ist in der historischen
Phase der Transformation der realsozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, insbesondere auch im deutschen Falle, deutlich geworden. Selbst Industriekreise lobten die westdeutsche Verwaltung für die
Leistungen der Rechtssicherheit, die sonst ganz selbstverständlich hingenommen wurden. Zudem konnten die Leistungen der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung zur Versorgung der ostdeutschen Bevölkerung mit dem,
was die J?ynamik des Marktes dort erbracht hatte, den Vergleich aushalten45. Aber auch in der Sicht der Anhänger des New Public Management
geht es prinzipiell nicht um den Eintritt in reale Wettbewerbsmärkte, also
um Privatisierung. Diese Innovationsstrategie ist für viele Verwaltungspraktiker deswegen so attraktiv, weil - nach Reaganismus und Thatcherismus - im Grunde nicht weniger, sondern eine bessere öffentliche Verwaltung gefordert wird46. So werden dann die in Kontinentaleuropa vertretenen sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Positionen verständlich,
mit denen eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben abgelehnt, eine interne Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung jedoch zugestanden
wird47.
44
Vgl. Robin W. Boardway/David E. Wildasin, Public Seetor Economics, 2nd ed.,
Boston/Toronto 1984.
45
Vgl. Klaus König/Angelika Benz, Staatszentrierte Transformation, Manuskript,
Speyer, 1995.
46
Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Administration Review 1993, S. 319.
47
Vgl. Friede;- Nascholdllrfarga Pröhl (Hrsg.), Produk.i:ivität öffentlicher Dienstleistungen, Gütersloh 1994; Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors, _Berlin 1995; OECD/PUMA (Hrsg.), Pubiic Management Developrnents. Survey i993, Paris 1993; Werner
Jann, Moderner Staat und effiziente Verwaltung. Zur Reform des öffentlichen Sek-
63
Virtueiier Organisationswettbewerb als funktionales Äquivalent im
Hinblick auf ausgebliebene Markteintritte und Privatisierungen zu konstruieren, ist zunächst eine intellektuell reizvolle Idee. Es ist in diesem
Zusammenhang daran zu erinnern, daß es auch in Kontinentaleuropa eine
nicht so präskriptive, mehr empirisch orientierte Innovationsbewegung
gibt, die die Ablösung legalistisch-hierarchischer Steuerungsmodi durch
Formen kooperativen Staatshandelns, Verhandlungen und Kontrakte - formal wie informal - hervorhebt48. Man kann dazu die Frage aufwerfen, ob
nicht dabei der kollektiv-autoritative Hintergrund des Verwaltungshandelns übersehen wird, ob nicht hinter den "weichen" Formen administrativer Vorgehensweisen latent die Souveränitat des Staates nach innen steht.
Jedenfalls wird auch in der Kooperations- und Kontrakt-Bewegung die Intension weiterer Innovationen für die öffentliche Verwaltung deutlich49.
Das Ende des alten Gegenspielers auf dem Kontinent, des realsozialistischen Staates und seiner Kaderverwaltung, scheint den Modernisierungsdruck auf den westlichen Staat eher verstärkt, denn weggenommen zu habenso.
Hier ist es dann das Konzept des Wettbewerbs, das diejenigen, die anderen Ideen der aktuellen Modernisierungsdebatte skeptisch gegenüberstehen, für eigentlich attraktiv halten: Wenn die Ineffizienzen im öffentlichen
Sektor nicht über die klassischen politischen Steuerungsinstrumente abgebaut werden könnten, sondern durch diese im Gegenteil verstärkt würden,
dann liege es nahe, solche Rahmenbedingungen zu institutionalisieren,
welche wirtschaftliches Verhalten belohnen und unwirtschaftliches Verhalten bestrafen. Hierfür gebe es nichts Besseres als das Wettbewerbsmodell,
tors in Deutschland, Gutachten erstattet für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
1994; Monika Wulf-Mathies/Rudolf Scharping, Positionspapier "10 Eckpunkte zur
Innovation im öffentlichen Sektor und zur Reform des Sozialstaates" vom
5.10.1994.
48
Vgl. Arthur Benz, Kooperative Verwaltung, Baden-Baden 1994.
49
VgL Klaus König!Nicolai Dose, Referenzen staatlicher Steuerung, m: dies.
(Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, Köln u. a. 1993, S. 519 ff.
50
Vgl. Klaus König, Public Seetor Reform - Tue Case of Germany, in: Joachim Jens
Hesse (ed.), European Yearbook of Comparative Government and Public Administration, 1995 (im Erscheinen).
64
wobei dann auch Wettbewerbssurrogate wie Quasi-ivfärkte zu institutionalisieren seien51. In der Tat ist Wettbewerb eine Grundkonstellation gesellschaftlichen Zusammenlebens, und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Politik, Sport, Bildung usw. Im Wettbewerb liegen Leistungsanreize, die ihn zu einer prinzipiell erwünschten sozialen Beziehung
machen. Jedoch kommt es auf die jeweilige soziale Konstruktion an, und
zwar nicht nur wegen der "Vollkommenheit" der Konkurrenz, sondern
auch im Hinblick auf das Marktversagen insbesondere bei menschlichen
Grundbedürfnissen52.
Eine interessante etatistische Variante konstruierter Konkurrenz ist der
sozialistische Wettbewerb des Leninismus: Der Sozialismus ersticke keineswegs den Wettbewerb, im Gegenteil, er schaffe erstmalig die Möglichkeit, ihn auf breiter Grundlage wirklich in Massenumfang anzuwenden.
Zu den ideologischen und organisatorischen Grundlagen solchen Wettbewerbs gehörten unter anderem: gesellschaftliches Bewußtsein, Interessenübereinstimmung, demokratischer Zentralismus", parteiliches Führungsmonopol, Massenorganisation, um schließlich über die sozialistische Moral nicht in einem Leistungsvorsprung einzelner Beschäftigter oder Kollektive, sondern in der optimalen Übererfüllung des Plans zu münden53.
Scheinbar so harmlose Prinzipien wie Öffentlichkeit des Wettbewerbs,
Vergleich der Ergebnisse, Wiederholung der besten Leistungen im Massenumfang, Intensivierung und Rationalisierung, moralische und materielle Anerkennung haben sich in höchst problematischen Bewegungen konkretisiert: Aktivistenbewegung, sozialistische Gemeinschaftsarbeit, Neuererbewegung, Produktionspropaganda, Mach-Mit-Wettbewerb usw. bis hin
zum Wettbewerb um den Titel "Bereich vorbildlicher Ordnung, Disziplin
und Sicherheit".
11
51
Vgl. Manfred Röber, Über einige Mißverständnisse in der vetwaltungswissenschaftlichen Modernisierungsdebatte: Ein Zwischenruf, Manuskript, erscheint in:
Helmut Wollmann/Christoph Reichard (Hrsg.}, Kommunalverwaltung im Modernisierungsschub, 1995, S. 4.
52
Vgl. Klaus König, "Neue" Vetwaltung oder Verwaltungsmodernisierung: Verwaltungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 355.
53
Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.
65
Relativiert sich hiernach die Attrakiiviiät dessen, was Jviarx "Wetteifer" nannte, so liegen die Schwierigkeiten für Staat und Verwaltung hochdifferenzierter Gesellschaften schon in der Problematik, Rivalität in einem
sozialen System zu konstruieren, dessen Rationalität anderen Prinzipien
folgt. In der klassischen öffentlichen Verwaltung handelt nicht jeder, sondern der Zuständige. Es gibt eine feste Zuständigkeitsordnung und des
weiteren das Prinzip, daß Mehrfachzuständigkeiten zu vermeiden sind.
Kommt es dann doch zu Doppelzuständigkeiten, dann gibt es Regeln wie
die, daß diejenige Behörde handelt, die zuerst mit der Sache befaßt worden ist. Entsprechend sind Zuständigkeitskonflikte geregelt, etwa dadurch, daß die Aufsichtsbehörde den Zuständigen bestimmt. Die Steuerungsmuster der klassischen öffentlichen Verwaltung intendieren also, Rivalitäten zu vermeiden oder durch Regeln aufzulösen. Überträgt man diese
Normaisituaiion auf die Konstrukiion eines Quasi-iviarktes, dann hat man
einen Akteur auf der Angebotsseite öffentlicher Güter, das heißt ein Monopol. Aus dem virtuellen Organisationswettbewerb wird nichts. Stellt
man auf die_ört!ic:;he_?uständig_kei!_ aq_!_d'@l 1-!_~t ID'!fl _Q~b_i~sl!lono,129le.__
Was bleibt, ist der Leistungsvergleich etwa zwischen der Zulassung eines
Kraftfahrzeuges durch die Stadtverwaltung NW und der durch die Stadtverwaltung SP: eine durchaus nützliche, leider in der öffentlichen Verwaltung noch zu wenig praktizierte Vorgehensweise54. Aber ein solcher Leistungsvergleich ist noch nicht Rivalität.
Der Gedanke virtuellen Organisationswettbewerbs ist kein zureichender Grund dafür, daß sich die klassische öffentliche Verwaltung vom Prinzip der festen Zuständigkeitsordnung und der Vermeidung von Mehrfachzuständigkeiten trennt. Das ist für den Verwaltungsbereich, bei dem in die
Rechtssphäre des Bürgers eingegriffen wird, ohnehin einsichtig. Der Bürger sollte mit der einen zuständigen Polizeibehörde, dem einen zuständigen Bauamt, dem einen zuständigen Gewerbeamt zu tun haben. So viel
Rechtssicherheit muß bestehen. Aber auch in weiten Bereichen der Leistungsverwaltung - beim Sozialamt, beim Wohnungsamt, beim Arbeits-
54
Vgl. Roben C. Camp, Benchmarking, München/Wien 1994; Hermann Hill/Helmut
Klages (Hrsg.), Spitzenverwaltungen im Wettbewerb. Eine Dokumentation des 1.
Speyerer Qualitätswettbewerbs 1992, Baden-Baden 1993.
66
amt - empteruen sich Einmai-z.uständigkeiten, zumai Eingriffe und Leistungen - etwa beim Jugendamt - eng beieinander liegen können55. Ein
Wohlfahrtsstaat der Transferleistungen wie die Bundesrepublik Deutschland könnte sich Doppelarbeit und dann möglicherweise Doppelzahlung
nicht leisten. Aktuelle Mißbrauchsfälle machen das immer wieder deutlich. Im übrigen würde virtueller Organisationswettbewerb bedeuten, daß
die ganze Organisationslandschaft umgestellt werden müßte. Das stößt
insbesondere dort auf Grenzen, wo Dezentralität, Föderalismus, Regionalsimus und kommunale Selbstverwaltung konstitutionell gewährleistet sind.
Bundesländer, autonome Regionen, selbstverwaltete Städte und Gemeinden werden kaum auf ihre Gebietsmonopole verzichten56.
Es bleibt jener Bereich öffentlicher Güter und Aufgaben, bei denen die
Bürger Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen öffentlichen Leistungsträgern haben oder solche Wahlmöglichkeiten unbeschadet der Organisationswerte klassischer Verwaltung geschaffen werden können. Solche Politik- und Aufgabenfelder mögen nicht den Kernbereich der öffentlichen Verwaltung betreffen, sie sind indessen zahlreich, und zwar auf
dem Gebiete der Kultur: Museen, Theater, Bibliotheken usw., auf dem
Gebiete der Bildung: Universitäten, Volkshochschulen, auch Einrichtungen der höheren Bildung - während Grundschulen an Bezirke gebunden
zu sein pflegen-, auf dem Gebiete des Sozialen: Altersheime, Kindergärten, Sozialstationen usw. Freilich gibt es auch hier wieder Schwierigkeiten. Man darf den Spezialisierungsgrad öffentlicher Güter nicht unterschätzen. So hat ein modernes Universitätskrankenhaus neben der allgemeinen Chirurgie heute Abteilungen für Unfallchirurgie, Urologie, Kopfchirurgie und anderes mehr. Es liegt also nicht ein homogenes Produkt,
sondern ein "differenziertes Sortiment" vor. Man wird sich kaum wünschen, solche Produktdifferenzierung aufzugeben, alle Abteilungen in all-
55
Vgl. Rainer Pitschas, Die Jugendverwaltung LT. marktwirtschaftlichen Wettbewerb? - Balanceprobleme zwischen Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Fachlichkeit - , in: DÖV 1994, S. 973 ff.
56
Vgi. Eberhard Laux, Über kommunaie Orgarusatmnspolitik, in: ArtC, Heft 2/95,
s. 229 ff.
67
gemeine Chirurgien umzuorganisieren, nur um vollständige Konkurrenz in
einem virtuellen Organisationswettbewerb zu ermöglichen57.
WePJ1 \vir aber einmal unterstellen, einen solchen Wettbewerb hergestellt zu haben, müssen weitere Anforderungen für einen Quasi-Markt erfüllt werden. Erstens müssen möglichst freie Wettbewerbsbedingungen
geschaffen werden, so daß nicht zu hohe Barrieren Markteintritt bzw.
Marktaustritt hemmen. Zweitens müssen beide Marktparteien leichten Zugang zu Informationen über Kosten und Qualität haben. Drittens dürfen
die mit dem Markttausch verbundenen Transaktionskosten - Verhandlungen, Verträge, Rechnungswesen, Zahlungssystem, Kontrolle usw. - die
Effizienzgewinne, die durch das Wettbewerbsverhalten erlangt werden,
nicht überschreiten. Viertens müssen Anbieter mindestens zum Teil finanzielle Anreize erhalten, um auf preisliche Signale zu reagieren. Fünftens
muß im Interesse der Gleichbehandlung verhindert werden, daß Anbieter
oder Nachfrager nur "absahnen"58. Wenn man solche Anforderungen mit
der erfahrbaren öffentlichen Verwaltung zusammenhält, dann wird deutlich, wie schwierig es sein wird, einen Rationalitätsgewinn aus dem Gebrauch von Quasi-Märkten zu ziehen. Der Zugang zur Verwaltung ist
nicht einfach wegen eines Bürokratismus, sondern wegen ihrer Komplexität nicht einfach. Die Transparenz der Verwaltung bleibt wegen ihrer hohen sozialen Technizität ein Problem. Jede organisatorische Verselbständigung zieht hohe Kontrollkosten nach sich59. Die Einräumung eines monetären Selbstinteresses stößt auf schwierige budgetäre und finanzpolitische
Fragen60. Auch Verwaltungen mögen das geringe Risiko, leichte Fälle,
gutzahlende Kunden und Mitnahmeeffekte bei begünstigten Bürgern oder
Organisationen sind nicht selten zu beobachten.
57
Vgl. Klaus König, "Neue" Verwaltung oder Verwaltungsmodernisierung: Verwaltungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 356.
58
Vgl. Wendy Ranade, The theory and practice of managed competition in the National Hea!t.11 Service, in: Public Adp-1inistration 1995, S. 243 ff.
59
Vgl. Günter Püttner, Verwaltungslehre, Stuttgart 1989, S. 45.
60
Vgl. Reinhard Müller, Neue finanzwirtschaftliche Steuerungsmodelle im kommunalen Bereich - Stand der Entwicklung und haushaltsrechtlicher Änderungsbedarf,
in: VR 1995, S. 217 ff.
68
Günstiger sieht es wohi für Rationaiitätsgewinne aus, wenn wir Marktmechanismen nicht im virtuellen Organisationswettbewerb zwischen Verwaltungseinheiten konstruieren, sondern in der Rivalität zwischen öffentlicher Güterversorgung und privatem Güterangebot nutzen. Ein solcher
Dualismus der Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen hat Tradition, etwa im Bankwesen mit nationaler Notenbank, kommunaler Sparkasse usw. auf der einen Seite, Privatbankhaus, Genossenschaftsbank usw. auf der anderen Seite61. In unserer Zeit des überlasteten
Wohlfahrtsstaates besteht eine Strategie kontraktiver Aufgabenpolitik darin, entsprechende Marktöffnungen einzuführen, wo der Schritt zur materiellen Privatisierung nicht gewagt wird. So hat man zum Beispiel auch in
Kontinentaleuropa neben dem tradierten öffentlichen Rundfunk privates
Fernsehen und privaten Hörfunk zugelassen. Das Nebeneinander von öffemiicher Versorgung und privatem Angebot schafft noch keinen vollkommenen Markt, wenn der öffentliche Leistungsträger seine Verluste aus
Steuermitteln finanziert erhält, wenn er von vornherein mit staatlichen Zuschüssen operiert, wenn er ein gesichertes Gebührenbudget hat, während
das private Unternehmen auf Gewinn angewiesen ist, oder wenn der eine
an Zwecke gemeinnütziger Versorgung gebunden ist, während der andere
prinzipiell sich an der Gewinnmaxime orientieren kann. Aber zumindest
Quasi-Märkte lassen sich einrichten, da der eine Teilnehmer mit seiner
Abhängigkeit vom Markt rivalisieren muß und damit eine Herausforderung für den anderen Teilnehmer darstellen kann. Wiederum bietet das
duale Rundfunksystem interessantes Anschauungsmaterial. Wenn nämlich
der öffentliche Rundfunk nicht nur aus Gebühren, sondern auch aus Werbeeinnahmen finanziert wird, dann wird er in eine Konkurrenzlage um
Einschaltquoten gebracht, nach denen sich Werbeeinnahmen richten. Das
hat im deutschen Falle eine tiefreichende Rationalisierungsdiskussion ausgelöst. Damit wird der Intendant einer öffentlichen Rundfunkanstalt nicht
einfach zum Unternehmer~ die Verwaltung eines Rundfunkhauses nicht
einfach zum unternehmerischen Management. Aber unternehmerische
Teilrollen und partiale unternehmerische Managementleistungen werden
61
Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1990.
69
unvermeidbar. Insofern soHten Kosten und Nutzen dualer Versorgungs-
und Angebotssysteme noch gründlicher studiert werden.
Wir haben die Probleme des öffentlichen Sektors auf der Angebotsseite
skizziert. Staat und Verwaltung sind aber auch Selbstversorger und Nachfrager. Sieht man vom Eintreiben von Steuern und Abgaben, der Rekrutierung von Wehrpflichtigen und einigen anderen öffentlichen Inanspruchnahmen ab, so haben es soziale Differenzierung und funktionierende Geldwirtschaft in der Modeme im Gegensatz zu den Zuständen im realen Sozialismus mit sich gebracht, daß der Bedarf der öffentlichen Hand weitgehend durch Nachfrage auf dem Markt befriedigt wird. Das ist ein eigenes
Thema. Wir beschränken uns angesichts der Reformvorhaben des amerikanischen "Reinventing Government" zum Beschaffungswesen62 auf zwei
Anmerkungen. Erstens leiden die kontinentaleuropäischen Verwaltungen
immer mehr unter einschlägigen Mißbräuchen. Zweitens steckt wohl im
Beschaffungswesen nach wie vor eine beachtliche Rationalisierungs- und
Einsparungsreserve.
ill.
ZUM EXEKUTIVEN MANAGEMENT
Die öffentliche Verwaltung ist im gewaltenteilenden Staat in ihrem
Kernbereich Exekutive. Sie vollzieht in ihrer Regelbindung die Gesetze
der demokratischen Legislative. Sie folgt in ihrer hierarchischen Ordnung
den Weisungen der politischen Exekutivspitze. In der klassischen öffentlichen Verwaltung überlagert ein gewisser Legalismus das öffentliche Handeln. Er hat viele historische Gründe. Dazu gehört eine Rechtsnormativität, die etwa vom Präjudizienrecht unterscheidet. Nicht zu übersehen ist,
daß der Anteil der Juristen nicht nur an der Verwaltungselite, sondern
62
Vgl. Vice President Al Gore, Report of the National Performance Review, From
Red Tape to Resuits: Creating a Government that works better and costs iess, Washington 1993, S. 26 ff.
70
äuch äil der politischen Elite beträchtlich zu sein pflegt63. Iw Grunde wird
dieser Legalismus aber durch einen vemunftrechtlichen Anspruch geprägt.
"Rationaler Staat" und rationales Verwaltungsrecht gehören zusammen.
Der Beamte rationalisiert öffentliches Handeln, indem er Lebenssachverhalte unter Rechtsnormen subsumiert. Dieses Selbstverständis wird durch
einen umfassenden Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte gestärkt64. In
Hunderten und Tausenden von verwaltungsgerichtlichen Verfahren führt
der Richter mit Bürger und Verwaltung ein Rechtsgespräch, in dem nach
dem Vernünftigen, eben die rechtlich richtige Lösung gesucht wird. Ein
Satz, wie der eines amerikanischen Verwaltungslehrbuchs: "Law is a barrier of rationality", ist mit einer solchen Verwaltungs- und Rechtskultur
unvereinbar.
Im kontinentaleuropäischen Legalismus ist es gelungen, die konditionelle Programmierung des Verwaltungshandelns durch Gesetz und Recht
von den Ordnungsaufgaben des liberalen Staates auf die Leistungsaufgaben des sozialen Staates zu übertragen. Da aber der Wohlfahrtsstaat immer
mehr Güter zu gewährleisten hat, die sich nicht auf einzelne Adressaten
hin spezifizieren lassen, mußten noch andere Kommunikationsformen entwickelt werden. Heute steht neben der Steuerung des Verwaltungshandelns durch gesetzliche Tatbestände und Rechtsfolgen die finale Programmierung, das heißt die Festlegung von Zielen und Mitteln als Entscheidungsprämissen65: neben dem Schulgesetz stehen Schulpläne, neben dem
Gesundheitsgesetz Krankenhauspläne usw. Hier wird deutlich, daß die
W ebersche Bürokratie in Kontinentaleuropa etwas einseitig geraten ist. Er
hat von der bürokratischen Verwaltung gesagt, daß hinter jeder ihrer
Handlungen ein Zusammenhang rational diskutierbarer Gründe stehe,
nämlich entweder die Subsumtion unter Narmen oder die Abwägung von
Zwecken und Mitteln.
63
Vgl. Hans-Ulrich Derlien, Die Staatsaffinität der Exekutivpolitik.er der Bundesrepublik - Zur Bedeutung der Bürokratie als Sozialisationsfeld, in: Hans-Hermann
Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik II, Opladen
1991,
64
s.
171 ff.
Vgl. Karl-Peter Sommermann, Die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, Speyerer
Forschungsberichte 106, Speyer 1991.
65
Vgl. Werner Thieme, Einführung in die Verwaltungslehre, Köln 1995, S. 139 ff.
71
Der kontinentaieuropäische Legaiismus hat die Zweck-Mittei-Rationalisierung öffentlichen Handelns in seine Begründungszusammenhänge eingebaut66. Das reicht von der teleologischen Auslegung der Gesetze bis zur
Verhältnismäßigkeit der Mittel bei deren Vollzug. Die öffentlichen Pläne
und Transferleistungsgesetze sind an das Budget angebunden. Es gelten
die Prinzipien von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Rechnungshöfe
überwachen die Einhaltung dieser Handlungsmaßstäbe. Das Verwaltungshandeln steht nicht außerhalb von Effektivität und Effizienz67. Aber die
Alltagskultur hat auf diesem Gebiet nicht jenes sozialtechnologische Niveau erreicht, wie es der genuine Zugang zur Arbeit am Recht ermöglicht
hat. Die Evaluation von Wirkungen und Erfolgen, die Analyse von Kosten und Nutzen stehen hinter dem zurück, was die rechtliche Argumentation leistet. Im deutschen Falle bieten die Kabinettsvermerke dafür ein interessantes Anschauungsmaterial: das sind die Sachverhaitsschiiderungen
und Bewertungen, die die Beamten der Regierungszentrale dem Regierungschef für die Tagesordnung der Kabinettsberatungen mitzugeben haben. Man kann davon ausgehen, daß ein solcher Vermerk einen hohen
Stand rechtlicher Abwägungen enthält, selbst wenn ein Volkswirt für ihn
verantwortlich zeichnet. Die Beamten zeigen zufriedenstellende Sensibilität, wenn es um die Bewertung politischer Kriterien geht. Gesamtwirtschaftliche Einschätzungen fallen nicht schwer. Wenn es sich aber um Effektivität und Effizienz der administrativen Umsetzung handelt, werden
die Urteile dünner.
"That the study of administration should start from the base of Management rather than the foundation of law"68, ist eine für die amerikanische öffentliche Verwaltung verbreitete Sichtweise. Nun sollte man den
Gegensatz zwischen managerialer Bürokratie in den Vereinigten Staaten
und legalistische Bürokratie in Kontinentaleuropa nicht überstrapazieren.
66
Vgl. Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970,
S. 112 ff.
67
Vgl. Hans Herbert von Amim!Klaus Lüder (Hrsg.}, Wirtschaftlichkeit in Staat und
Verwaltung, Berlin 1993.
68
VgL Leonard D. w"hite, Introduction to the study of pubiic administration, 4. Auflage, New York 1955, S. XVI.
72
Auf dem Kontinent sitzen inzwischen in Wissenschaft und Praxis engagierte Anhänger des öffentlichen Managements. In den USA haben gerade
die Zuspitzungen eines "Reinventing Government'1 auf den "entrepreneurial spirit" die auf den Plan gerufen, die die Gründung der amerikanischen
Verwaltung auf dem öffentlichen Recht betonen69. Und in der Tat ist die
Verwaltung dort der "rule of law" unterworfen. Jedoch haben mit der Management-Orientierung, die die Politik auch immer von der Verwaltung
verlangt, Kriterien von Effektivität und Effizienz einen genuinen Eingang
in die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten gefunden und sich über
Kritik und Reform zu einem beachtlichen sozialtechnologischen Stand entwickelt70.
Mancher, der in Wissenschaft und Praxis in Kontinentaleuropa auf
dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung arbeitet, hat in den verschiedenen
Sprachen Schwierigkeiten mit der Kategorie des Managements. Der eine
mag schon Vorbehalte der sprachlichen Ästhetik haben. Der andere mag
einen Managerialismus befürchten, der für öffentliche Angelegenheiten
unangemessen erscheint. Man muß jedoch einräumen, daß Management
das Wort einer Lingua franca in der sich immer mehr internationalisierenden Verwaltungswelt geworden ist. Es signalisiert, daß in der öffentlichen
Verwaltung geplant und koordiniert, Personal rekrutiert und entwickelt,
geleitet und kontrolliert, organisiert usw. werden muß und daß es dabei
auf knappe Ressourcen ankommt. Man muß nicht jede Management-Mode
mitmachen. Wie zwischen Bürokratie und Bürokratismus unterschieden
werden kann, so kann man auch die Dysfunktionen des Management als
Managerialismus kritisieren71.
69
Vgl. Ronald C. Moe/Robert S. Gilmore, Rediscovering principles of public administration: Tue neglected foundation of public law, in: Public Administration Review
1995, S. 135 ff.; Charles T. Goodsell, Reinvent Government or rediscover it?,
Public Administration Review 1993, S. 85 ff.
70
Vgl. Barry Bozeman (ed.), Public Management: Tue State of the An, San Francisco
ii
1993.
Vgl. Christopher Hood, Pubiic Management for ail Seasons?, in: Public Administration 1991, S. 3 ff.
73
So bedeutet es dann, wenn hier von exekutivem Management die Rede
ist, nicht mehr, als daß in der kontinentaleuropäischen Verwaltung Effektivität und Effizienz in ihrer sozialtechnologischen Ausformung mehr
Platz geschaffen werden muß, ohne die Werte der klassischen Exekutive
einfach aufzugeben72. Die Stärkung solcher Handlungsmaßstäbe ist aus
zwei Gründen unabweisbar. Erstens leuchtet der "kalte Stern der Knappheit" den öffentlichen Sektor immer schärfer aus. Wenn wir uns die drei
klassischen Produzentenfragen vorlegen - nämlich: Was wird produziert?
Wie wird produziert? Für wen wird produziert? - , dann wird man die
Frage des "Was" dem Primat der Politik zuweisen. Die Definition öffentlicher Aufgaben liegt so in den Händen der Legislative und der politischen
Exekutivspitze73. Es bleiben gewisse autonome Bereiche, insbesondere in
Wissenschaft und Kunst. Aber es ist weder Sache einer Universitätsverwaltung noch einer Museumsverwaltung, wissenschaftiiche bzw. künsiierische Inhalte vorzugeben. Was die Frage der Zielgruppen anlangt, so
wird man normativ wiederum auf die Politik abstellen, aber eingestehen
müssen, daß die Verwaltung im Vollzug faktische Auswahlspielräume hat.
Sie kann auf Antragsteller warten, aber auch aufldärend für den Bürger
wirken. Ob hier Quasi-Märkte helfen, mag der bezweifeln, der befürchtet,
daß die Gleichheit vor dem Gesetz durch die vor Dollar, Deutscher Mark,
Yen ersetzt wird7 4.
Es bleibt das "Wie" der Güterproduktion. Hier sollte man nicht zu einfach zwischen Modus und Substanz unterscheiden. Vieles ist der Verwaltung auch in der Vorgehensweise sachspezifisch vorgegeben: von den Regeln des Budgetvollzugs bis zum Verwaltungsverfahrensrecht. Aber Massenhaftigkeit, Technizität, Professionalität usw. machen die Antwort auf
diese Frage zu einer Domäne der öffentlichen Verwaltung. Wir bewegen
uns hier auf dem Gebiete sekundärer Effizienzen, nämlich der Personal72
VgL Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J. Kaiman
(eds.), Managing Public Organisations. Lessons from contemporary European Experiences, London u. a. 1993, 2nd. ed., S. 87 ff.
73
Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität- Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der
achtziger Jahre-, in: VerwArch 1995, S. 1 ff.
74
Vgi. Klaus König, "Neue" Verwaimng oder Verwaitungsmodernisierung: Verwaitungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 354.
74
ausstattung, der Infrasiruktur, der Organisation, der Sachmitteiausstattung
usw. 75 Solche sekundären Effizienzen - nicht die Effizienzsteigerung
durch Privatisierung - stehen dann auch im Mittelpunkt von Modernisierungsansätzen zur öffentlichen Verwaltung in Europa. Bei von Land zu
Land verschiedenen Strategien geht es um Ergebnissteuerung - Management by Results - , Flexibilisierung beim öffentlichen Personal - neues
Personalmanagement - , Konzentration auf Gewährleistungsfunktion Kontraktmanagement - , dezentrale Ressourcenverantwortung - neues
Budgetmanagement - , usw. bis hin zum Einbau von Marktmechanismen
in das Verwaltungshandeln76.
Zweitens bleibt die Verteilung der Güterproduktion zwischen Staat
und Markt ambivalent. Es gibt kein Apriori, wonach bei der Gewährleistung individueller Rechte und gesellschaftlicher Wohlfahrt, Humanität
und Lebensqualität der Markt besser als der Staat, der Staat besser als der
Markt funktioniert. Rechts-, Wirtschafts- und Sozialtheorien haben ihre
Präferenzen. Einschlägige Ideologien sind nicht nur links, sondern auch
rechts stark. Der Merkantilismus des 18. Jahrhunderts war ein wichtiger
Motor der sozioökonomischen Entwicklung in Europa, der parteigeleitete
Etatismus im Osteuropa des 20. Jahrhunderts am Ende das Gegenteil.
Staatsversagen wie Marktversagen sind beidermaßen bekannt77. Wir haben historische Erfahrung. Aber im Grunde muß in der jeweiligen historischen Situation entschieden werden, was des Staates und was des Marktes
ist. Dazu bedarf es im modernen Rationalismus der Gründe. Hier gerät
der europäische Wohlfahrtsstaat, der sich in historisch gewachsenen Ringen öffentliche Aufgabe um öffentliche Aufgabe zugelegt und eine Staatsquote nahe der 50%-Marke, teilweise darüber erreicht hat, in Argumentationszwänge. Entsprechend stehen Privatisierungen in vielen europäischen
75
Vgl. Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cost-Benchmarking als strategische Erweiterung eines theaterspezifischen Controlling, ZöGU
1994,
76
s. 292 ff.
VgL Frieder Naschold, Ergebrüssteuerung, Wettbewerb, Qualitätspoliti.k. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin 1995; OECD/PUMA (Hrsg.), Public
Management Developments. Survey 1993, Paris 1993.
77
Vgl. Wilhelm Hennis/Peter Graf von Kielmannsegg (Hrsg.), Regierbarkeit, Studien
zu ihrer Problematisierung, Stuttgart, 2 Bände, 1977179.
75
Ländern auf der Tagesordnung. Aber es gibt auch viele Bereiche - öffentliche Banken, Gesundheitswesen, Postdienste - bei denen die Politik auch
guten ökonomischen Gründen nicht nachgibt. Wenn also im deutschen
Falle die städtischen Sparkassen nicht privatisiert werden, weil die Politik
sie der kommunalen Selbstverwaltung erhalten will, dann wird wenigstens
ein Sparkassenmanagement einzurichten sein, das den Kriterien von Effektivität und Effizienz folgt. Dazu trägt dann freilich die Konkurrenz geöffneter Märkte mit privaten Anbietern mehr bei, als die Selbstdisziplin von
Politik und Verwaltung.
Die Ambivalenz öffentlicher Güter und die Knappheit staatlicher Ressourcen bieten Grund, die Binnenmodernisierung der Kontinentaleuropäischen Verwaltung heute vor allem ökonomisch zu begreifen, da politischdemokratisches Primat und Rechtsstaatlichkeit gesichert scheinen78. Dies
soll mit dem Konzept des exekutiven Management bezeichnet werden.
Hingegen erscheint das Modell des unternehmerischen Managements zwar
für öffentliche Betriebe, die auf geöffneten Märkten konkurrieren können,
nicht aber für den Kernbereich des klassischen Verwaltungssystems adäquat. Das liegt nicht an der Intelligenz der Bürokratie. Sie wird in formalistischer Weise Marktmechanismen inkorperieren können. Die Frage ist
aber, ob über Transferkosten hinaus eine bessere Kosten/Nutzen-Relation
für den Bürger gestiftet wird. Hier empfiehlt sich im übrigen das Studium
von Erfahrungen von privaten Großunternehmen zur Einführung von internen Marktmechanismen79.
Die Selbstbeschreibung der klassischen öffentlichen Verwaltung durch
das Regulativ des Rechtsstaates bietet eine über das Professionell-Technokratische hinausweisende Qualität. Es bindet die öffentliche Verwaltung in
ihren Konkretisierungen an Menschen- und Bürgerrechte, an die Meßbarkeit ihrer Handlungen, an die Verhältnismäßigkeit von Mitteln und Zwecken, an die Gewährleistung von Rechtsschutz usw. Es geht mithin nicht
78
Vgl. Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin
79
1995.
Vgl. Charles Heckseher, Defining the Post-Bureaucratic Type, in: ders./Anne
Dor~'lellon
(eds.}, Tue Post=Bureaucratic Organization.
nizational Change, Thousand Oaks u. a.
1994, S. 14 ff.
~~ew
Perspectives on orga-
76
einfach därum, dru) der öffentliche Dienst eine Identitätsformel gefunden
hat, sondern daß die Suche nach Gerechtigkeit zugunsten der Bürger gesichert wird. Das rechtsstaatliche Regulativ wendet sich auch nicht gegen
das demokratisch-partizipatorische Regime, wie es für die Civic CultureAdministration des anglo-amerikanischen Raums historische Kontinuität
entfaltet hat. Auch im deutschen Falle ist der Beamte auf die freiheitliche
demokratische Grundordnung der Verfassung verpflichtet und er hat sich
in der Nachkriegsgeschichte bis auf wenige Ausnahmefälle mit ihr identifiziert80, Anders verhält es sich mit den Turbulenzen des politischen Alltags, mit der Parteipolitisierung des öffentlichen Lebens, mit den Interventionen partikularer Interessen, mit der Verflechtung persönlicher Beziehungen usw. Hier bedeutet die Selbstbeschreibung der klassischen öffentlichen Verwaltung durch das Regulativ des Rechtsstaates Gewinn an
sozialer Stabilität.
80
Vgl. Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwaltung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.
77
ÖFFENTLICHE VERWALTUNG
- NACH DER MODERNE
1.
ZUR MODERNEN VERWALTUNG
Veränderungen der öffentlichen Verwaltung werden üblicherweise mit
dem Begriff der Reform verbunden.1 So läßt sich die Verwaltungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989 als Reformgeschichte
schreiben: zur territorialen Verwaltungsreform, zur Reform der inneren
Verwaltungsorganisation, zur Reform des öffendichen Dienstes, zur Reform von Budgetierung und Planung, zur Reform bürgerschaftlicher Beziehungen, zum "Zeitalter der Reform" in den öffentlichen Aufgaben
usw.2 Mit dem Stichwort "administrative reform", "reforme administrative" usw. in den okzidentalen Sprachen lassen sich in vielen Ländern weite
Felder öffentlicher Verwaltung erschließen. Die Vorliebe für den Reformbegriff geht in Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis soweit,
daß man mit ihm historische Vorgänge bezeichnet, die einen viel tieferen
sozialen Wandel betreffen, als man ihn mit dieser Kategorie charakterisieren kann. So spricht man in der Dritten Welt oft von Verwaltungsreformen in Fällen, wo es überhaupt darum geht, sich von der traditionalen
Herrschaft zu lösen und ausdifferenzierte politisch-administrative Institutionen zu schaffen. Oder man spricht im Postsozialismus von ReformLändern, wo die Transformation einer gesamten Staats-, Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung zu vollziehen ist.
1
Vgl. Gerald E. Caiden!Heinrich Siedentopf (eds.), Strategies for Administrative
Reform, Lexington/Toronto, 1982.
2
Vgl. Klaus König, Die Transformation der öffentlichen Verwaltung: Ein neues Kapitel der Ver.valtungsvY'issenschaft,
L~:
Rainer Pitschas
(Hrsg~),
gration in den neuen Bundesländern, Berlin 1993, S. 29 ff.
VerNaltu.ngsinte--
78
In den westiichen Industrieländern, wie s1e in der Organisation ftir
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossen sind, scheint heute demgegenüber der Begriff der Modernisierung den der Reform in Verwaltungsangelegenheiten zu verdrängen.3
Mancherorts scheint ein Wettbewerb um den Modernisierungsbegriff ausgebrochen zu sein. Dabei kann der Eindruck entstehen, daß das Konzept
der Modeme für die öffentliche Verwaltung nicht verstanden, Modernisierung als etwas betrachtet wird, was die moderne Verwaltung überhaupt
erst hervorbringen soll. Demgegenüber ist auf das Grundmerkmal moderner Gesellschaften hinzuweisen, nämlich deren funktionale Differenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Handelns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils eigenen Prinzipien. 4 Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privateigentum,
~iarkr, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit Prinzipien wie Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit gehören dazu. Die Systemrationalität der öffentlichen Verwaltung in der Modeme hat Max Weber in seinem Typus der Bürokratie charakterisiert: die generell geordneten behördlichen Zuständigkeiten, die Amtshierarchie, der Amtsbetrieb,
die Regelbindung, das Berufsbeamtentum usw. Dabei ging es ihm nicht
einfach um ein präskriptives Modell. Das Erfahrungsmaterial dieser Typenbildung wurde aus der historischen Wirklichkeit, insbesondere der
preußischen Verwaltung, entnommen. Aber man könnte sich zu entsprechenden empirischen Befunden auch auf Bayern, Österreich oder Frankreich beziehen.
Ist die moderne Verwaltung die bürokratische, so sind die Konkretisierungen ihrer Strukturmerkmale auch am Ende des 20. Jahrhunderts vor allem auf nationalstaatlicher Ebene zu suchen. Zwar haben die klassischen
inneren Angelegenheiten von öffentlicher Sicherheit, Verkehr, Gesundheit
usw. immer mehr transnationalen Charakter angenommen und internationale wie supranationale Organisationen sind mit der Lösung einschlägiger
3
Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Pa-
ris 1993.
4
Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt/Main 1985.
79
Probleme befaßt.5 Jedoch sind solche Organisationen nach dem internationalisierten Muster nationaler Staatsbürokratien gebildet worden. Die öffentliche Verwaltung wird primär als französische, polnische) US-amerikanische und dann auch als deutsche verstanden. Das schließt nicht aus,
daß es regionale Eigenarten öffentlicher Verwaltung gibt. Gerade in den
deutschen Ländern ist die Verwaltung nicht uniform. Trotz vielfacher und
sich in den letzten Jahrzehnten verstärkender sachlicher Anpassungszwänge haben auf Landesebene die geschichtlich gewordenen Organisationsformen nach wie vor maßgebliche Bedeutung. Das hat sich bei der Wiedervereinigung gezeigt, als die neuen ostdeutschen Länder mit konkurrierenden Leitbildern aus dem Westen, etwa unterschiedlichen Kommunalverfassungen konfrontiert worden sind. 6 Insgesamt wird man aber die nationalstaatliche Ebene betrachten, wenn man sich zum Beispiel vergewissern
will, wie sich der bürokratische Professionalismus jeweils im Berufsbeamtentum und seinen Prinzipien konkretisiert.
Solche Orientierungen machen es schwierig, zwischen den präskriptiven Modellen eines vermeintlich universellen öffentlichen Managements
und der Erfahrungswelt nationaler Verwaltungen eine Zwischenebene von
Gemeinsamkeiten und dann Unterscheidbarkeiten zu identifizieren. Bei
näherem Zusehen wird aber deutlich, daß das, was kontinentaleuropäische
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union insbesondere von Großbritannien trennt, nicht einfach der tägliche Streit um die Integrationspolitik ist,
sondern eine kulturelle Differenz in Staat, Recht und Verwaltung reflektiert. Umgekehrt müßte auffallen, daß das New Public Management7 -
5
VgL Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswirkungen auf die Regierung, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.),
Regieren in der Bundesrepublik V, Opladen 1993, S. 234 ff.; Klaus König, Organisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Carl BöhreUGöttrik Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und
Regionalisierung, Festschrift für Hans-Hermann Hartwich zum 65. Geburtstag,
Opladen 1993, S. 144 ff.
6
Vgl. Klaus König/Volker Meßmann, Organisations- und Personalprobleme der Verwaltungstransformation in Deutschland, Baden-Baden 1995, S. 90 ff.
7
Vgl. nur Christopher Hood, Public Management for all Seasons, Public Administration 1991, S. 3-19; Chn'stopher Po/litt, Managerialism and the Public Services:
80
einschließlich des "Reinventing Govemiuent" der Vereinigten Staaten8 eine angloamerikanische Bewegung ist, die wegen entsprechender Differenz nicht einfach auf Kontinentaleuropa ausgedehnt werden kann. Sieht
man auf den Beitrag von Verwaltungsstaaten wie Deutschland, Frankreich, Japan zur nationalen Wohlfahrt, dann könnte es in Übersee vielleicht darum gehen, Modernisierungsrückstände aufzuholen.
Jedenfalls empfiehlt es sich im Auge zu behalten, daß zwischen den
mehr managerialistischen Bürokratien der USA und jetzt auch Großbritanniens, Kanadas, Australiens, Neuseelands und den mehr legalistischen Bürokratien Frankreichs, Österreichs, Deutschlands, Italiens usw. ein historischer Unterschied besteht, der zwar gemessen an der Kaderverwaltung
des realen Sozialismus9 oder der Entwicklungsverwaltung der Dritten
WeltlO eher graduell erscheint, dennoch relevant ist. Kontinentaleuropäische Verwaltungen kann man als klassische Verwaltungssysteme bezeichnen, weil bei ihnen die mit der Modeme geschaffene bürokratische Leistungsordnung über alle politischen Instabilitäten und Veränderungen hinweg bis heute erhalten geblieben ist.11 Sie haben Regimewechsel von
Monarchie, Republik, Diktatur, Demokratie überstanden und mußten in
Tue Anglo-American Experience, Oxford 1990; Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of the Public Seetor in Austraiia, Britain and New Zeaiand, Pubiic Administration Review 1993, S. 319 328 (324).
8
Vgl. David Osbome!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Seetor, New York u.a., 1992; zur Kritik vgl.
Charles T. Goodsell, Reinvent Government or rediscover ist?, Public Administration Review 1993, S. 85-87; Vice President Al Gore, Report of the National Performance Review, From Red Tape to Results: Creating a Government that works better and costs less, Washington 1993.
9
Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.
10
Vgl. Klaus König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Baden-Baden 1986.
11
Vgl. Ferrel Heady, Public Administration - A comparative Perspective, 4. Auflage, New York/Basel 1987; Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialisti-
sehen Ver,valt1,.ing in eine klassisch--europäische
berichte 99, 3. Aufl. Speyer 1992.
Ver"'>altu.ng~
Speyerer Forschungs--
81
Zeiten des Zusa.i1u11enbn1chs die Lasten öffentlichen Handelns tragen.12
Kann man insoweit sagen, daß die Bürokratie älter als die Demokratie ist,
so wurde die Entwicklung öffentlicher Bürokratien in Ländern der Civic
Culture-Administration wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten
von vornherein durch das politische Regime bestimmt, dessen historische
Kontinuität sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt hat. Diese Regime
ermöglichten öffentliche Verwaltungen, setzten ihre Grenzen und festigten
die Beziehung auf die fortdauernde demokratisch-partizipative Ordnung
einer bürgerschaftlichen Kultur.13 Während so die permanente Dominanz
des Politischen über die öffentliche Verwaltung, wie bürokratisch diese
auch immer war, gewährleistet wurde, mußten die Kontinentaleuropäer
durchaus erfahren, daß es historische Situationen gibt, in denen man von
der Verwaltung etwas erwarten kann, was die Politik nicht zu geben in der
Lage ist, etwa eine Gn.it1dversorgung in Zeiten politischer \Virren.
Die angloamerikanischen Kontinuitäten machen die Werte des politischen Regimes zu Identifikationsmustern öffentlicher Bürokratien. In kontinentaleuropäischen Ländern mußte demgegenüber für eine weiter funktionierende öffentliche Verwaltung eine identitätsstiftende Vorstellung gefunden werden, die über die historische Lage von Monarchien, Republiken, Diktaturen, Demokratien hinausreichte. Es mußte eine regulative
Idee zur Geltung gebracht werden, in der sich das politische System jenseits jeweiliger politischer Regime selbst beschreibt. Diese regulative Idee
ist die des Staates. Entsprechend heißt es, daß der Beamte "Diener des
Staates" ist. Dieses Regulativ des Staates ist zunächst eine den öffentlichen
Bürokratien durchaus kongeniale Idee. Auch der Beamte in der Civic Culture-Administration sucht nach Identifikation jenseits des politischen Regimes. Man mag rückblickend die Frage nach der Reflexion einer briti-
12
Vgl. Werner Ihieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwaltung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.; Thomas Eilwein, Geschichte der öffentlichen Verwaltung, in: Klaus König/Hans Joachim von Oertzen/Frido Wagener
(Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden
1981, S. 37 ff.
13
Vgl . .1.-q__ichard J. Stillrnan, Preface to Public Adrr1irüstration: A Search for Themes
and Direction, New York 1991, S. 19 ff.
82
sehen Klassengesellschaft in der "Administrative dass" stellen.14 l'y1an
mag heute in einer anglo-amerikanisierten Welt nach der Selbstbeschreibung einer "global professional technocracy" Ausschau halten.15 Zurregulativen Idee des Staates muß dann aber festgehalten werden, daß sie
nicht unriskant ist. Der Mißbrauch des Staates ist der seiner Diener. Die
regulative Idee des Staates bedurfte daher einer schützenden Ergänzung.
Sie wurde in der Kategorie des Rechtsstaates gefunden. Bei der Entwicklung des Rechtsstaates kann man in Kontinentaleuropa wieder auf vordemokratische Erfahrung zurückgreifen. Heute sind Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie eng verknüpft. Die Differenz zwischen klassischem Verwaltungssystem und Civic Culture-Administration äußert sich dementsprechend zunächst in der Verwaltungsrechtskultur: 16 in einem hochdifferenzierten Verwaltungsrecht, einem besonderen Legalismus, einer eigenen
Venvaltungsgerichtsbarkeit usw .17 Hinzu kommen vielfältige Unterschiede bei anderen Verwaltungsinstitutionen wie etwa bei der Kontrolle durch
Rechnungshöfe, insbesondere aber in Kontinentaleuropa eine wohl tieferreichende Beruflichkeit der Beamten, die mit der Selbstbeschreibung der
öffentlichen Verwaltung durch das Regulativ des Rechtsstaates eine über
das Professionell-Technokratische hinausreichende Qualität erhält.
14
Vgl. Nevil Johnson, Der Civil Service in Großbritannien: Tradition und Modernisierung, in: DÖV 1994, S. 196 ff.; Robin Butler, Tue Evolution of the Civil Service - a Progress Report, in: Public Administration 1993, S. 395 ff.
15
Vgl. Richard J. Stil/man, Preface to Public Administration: A Search for Themes
and Direction, New York 1991, S. 77 ff.
16
Vgl. Karl-Peter Sommermann, Die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, Speyerer
Forschungsberichte 106, Speyer 1991.
17
Vgt. Klaus König, Öffentliche VeIVtaltu.ng als soziales System, in: Remer (Hrsg~) „
Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.
83
II.
ZUR POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG
Die öffentliche Verwaltung hat in ihrer Modernität nicht das Ende der
Geschichte18 erreicht. Sie bleibt dem "Imperativ des Wandels" unterworfen. Daß sie mit dem Bankrott des realen Sozialismus ihren historischen
Widerpart, die marxistisch-leninistische Kaderverwaltungl9, verloren hat,
scheint den Modernisierungsdruck auf die managerialistischen und legalistischen Bürokratien eher erhöht zu haben. Begreift man die öffentliche
Verwaltung als ein soziales System20, das einerseits aufgrund der eigenen
Ordnung, andererseits aufgrund von Umweltbedingungen ill einer komplexen und veränderlichen Gesellschaft existiert und funktioniert, dann wird
man von dem über Reformen hinausgehenden Wandel der Verwaltungsverhältnisse zunächst a..."lllehmen, daß er durch eine dynan1ische Umwelt
herbeigeführt sei. Solchen Bewegungskräften könnte die Verwaltung im
Überg'ang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft ausgesetzt sein. 21
Der lndustrialismus22 als eine maßgebliche Grundlegung der Modeme
hat nicht nur das Wirtschaftssystem, sondern neben anderen sozialen Bereichen auch die Staatssphäre geprägt. Einsatz von Maschinen, arbeitsteilige Organisationsformen, Wachstum der Produktion, Abtrennung von
Freizeit, Wohnung usw., Ausdifferenzierung von Fachrichtungen, technische Professionalisierung, methodisches Arbeiten sind auch für die öffentliche Verwaltung charakteristisch. Die Kritik der industriellen Gesell-
1993.
18
Vgl. Martin Meyer, Ende der Geschichte?, München
19
Vgl. Klaus König, Kaderverwaltung und Verwaltungsrecht, in: Verwaltungsarchiv
Heft
20
111982, S. 37 ff.
Vgl. Klaus König, Öffentliche Verwaltung als soziales System, in: Remer (Hrsg.),
Verwaltungsführung, Berlin/New York
21
1982, S. 3 ff.
Vgl. Klaus König, Zur postindustriellen Verwaltung, in: Volker J. Kreyher/Carl
Böhret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang. Problemaufrisse und Antizipationen,
Baden-Baden
22
1995, S. 221 ff.
Vgl. Hel.111.ut Klages, Stichwort "Industriegesellschaft", in: Dieter Nol:üen (Hrsg.),
Wörterbuch Staat und Politik, Bonn
1991, S. 239 ff.
84
schaft trifft damit gleichermaßen Staat ünd Venvaltung23: von den Souveränitätsverlusten angesichts technischer Sachzwänge24 über die politischadministrativen Selbstgefährdungen einer "Risikogesellschaft"25 bis zu
den Überlastungen eines hochbeanspruchten Wohlfahrtsstaates. Besonders
ist die öffentliche Verwaltung von Entfremdungsvorwürfen betroffen,
wenn den Staatsbürokratien Unpersönlichkeit, Regelformalismus, unverständlicher Jargon, undurchsichtige Zuständigkeitsverteilung, Verfahrens.schematisnms usw. angelastet wird.26
Der Postindustrialismus27 sieht demgegenüber die weitere gesellschaftliche Entwicklung in einem günstigeren Licht. Die Rationalität der Industriegesellschaft wird über ihren klassischen Definitionsbereich hinaus erweitert.28 Das Andauern des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts
bedeutet insofern steigende Produktivität, mehr Freizeit, Wohlfahrtswirtschaft, hochqualifizierte Berufe, persönlicher Wohlstand. Naturwissenschaften und Technik besorgen, daß die Spannungen zwischen neuen Bedürfnissen und neuen Knappheiten lösbar sind.29 Die Zentralität theoretischen Wissens als Quelle von Innovation und dann auch Ausgangspunkt
der gesellschaftlich-politischen Programmatik gilt als "axiales Prinzip" .30
23
Vgl. Ernst Forsthofj, Der Staat der Industriegesellschaft - dargestellt am Beispiel
der Bundesrepublik Deutschland, München 1971 .
24
25
Vgl. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Darmstadt 1984.
Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme,
Frankfurt/Main 1986; ders. (Hrsg.), Politik in der Risikogesellschaft: Essays und
Analysen, Frankfurt/Main 1991.
26
Vgl. Wolfgang Hoffman-Riem, Bürgernabe Verwaltung? Analysen über das Verhältnis von Bürger und Verwaltung, Neuwied und Darmstadt 1979.
27
Vgl. Jean Fourastie, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln-Deutz 1954.
28
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York
1975.
29
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987, S. 82-97 (S. 88).
30
Vgl. Daniel Bell, Die nacl'...industrielle Gesellschaft, Frankfurt
1975, s. 115.
a.1-.-1./~Iew
York
85
Die postindustrielle Gesellschaft ist "Dienstleistungsgesellschaft". Entwicklungen in Bildung und Forschung führen zum Entstehen eines "quartären" Sektors. 31 Eine Klasse professionalisierter und technisch qualifizierter Berufe bildet sich heraus. Politik und Wirtschaft werden verwissenschaftlicht. 32
Die Auswirkungen des Postindustrialismus auf die öffentliche Verwaltung bedeuten nicht den Bruch mit dem Wohlfahrtsstaat der Industriegesellschaft, sondern die Ausweitung der administrativen Daseinsvorsorge
angesichts neuer sozialer, ökonomischer und insbesondere technischer
Folgen, etwa die materielle Absicherung von Gebrechlichkeit angesichts
medizinisch-technischer Lebensverlängerungen. Veränderungen der Industrieproduktion, der Wandel zu den Dienstleistungen, neue Professionen
im Arbeitsleben, Umwidmung von Wirtschaftsstandorten, gesteigerte
räumliche Mobilität, veränderte Kommunikationsmöglichkeiten führen zur
Ausweitung staatlicher Interventionen und gleichzeitig zur Fortschreibung
der Arbeits- und Sozialpolitik. Mit Kategorien wie "Freizeitgesellschaft",
"Informationsgesellschaft", "Risikogesellschaft" wird auf soziale und
technische Probleme hingewiesen, die zugleich durch staatliche Förderungsprogramme wie Regulationen ausgeglichen werden müssen. Dies alles muß verwaltet werden, wie eben der wissenschaftlich-technische Fortschritt mit seinen Gewährleistungen und Gefährdungen der Lebensqualität
überhaupt. Die öffentliche Verwaltung weitet sich aus, und zwar nicht nur
weil sie Teil der den Postindustrialismus kennzeichnenden Dienstleistungsgesellschaft ist, sondern auch, weil man gesellschaftliche Defizite
nicht einfach durch Märkte und private Güter, vielmehr durch politischadministrative Prozesse und öffentliche Güter kompensieren muß.33
31
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987, S. 88.
32
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York
1975,
33
s. 247
ff.
Vgl. Klaus König, Zur postindustriellen Verwaltung, in: Volker J. Kreyher/Carl
Böhret (Hrsg.), Gesells~haft L-rn L1bergang ~ Problemaufrisse und Antizipationen,
Baden-Baden 1995, S. 225-227.
86
m.
ZUR POSTMODERNEN VERWALTUNG
Die Postmoderne könnte man als ein Szenarium alternativer Gesellschaftsentwicklung zum Postindustrialismus begreifen.34 Das würde die
Unterordnung des technologischen Fortschritts unter die Interessen und
Belange des Menschen, die Orientierung von Wissenschaft und Forschung
an den Bedürfnissen der Gemeinschaft, die Organisation von "angepaßten"
Technologien bedeuten. Nichtmaterielle Bedürfnisse genössen Vorrang.
Materielles Wachstum wäre zu begrenzen. Ressourcen würden gepflegt,
wiederverwendet, durch Nutzung langlebiger Güter geschont, jedenfalls
sparsam verbraucht. Grundversorgung, Gesundheitsvorsorge, natürliche
Ernährung würden auch durch Alternativensuche gesichert. Die Natur
"''"~iide als Lebensbasis anerkannt und geschützt; Eingriffe in die natürliche
Umwelt würden gering gehalten. Die Lebensführung wäre durch Natürlichkeit und Naturbindung gekennzeichnet. Menschliche Aktivitäten würden in eine intakte Umwelt integriert.
Es bestünde ein Recht auf Arbeit für alle und die Arbeitswelt wäre human organisiert. Entlohnung und Gestaltung von Arbeitsvorgängen wären
von Möglichkeiten der Selbstregulierung geprägt. Für das Eigentum bestünde konsequente Sozialbindung. Soziale Dienstleistungen würden durch
individuelle Leistung nach eigenem Willen in der freiwerdenden Zeit erbracht. "Soziale Netze" fungierten als Träger solidarischer Unterstützung
und Hilfe. Die engere soziale Gemeinschaft würde zum Bezugspunkt individuellen und kollektiven Handelns. Minderheitsinteressen würden bewußt berücksichtigt. Konflikte wären gewaltfrei zu lösen. Bedürftigkeit
und Betroffenheit wären entscheidend. Es erfolgte eine umfassende Interessenberücksichtigung und Beteiligung. Die Betroffenen hätten Mitspracherechte und zugleich wären die Interessen von Allgemeinheit, Mitwelt
34
Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert
König/Walter A. Oechsler (Hrsg.),
.A~llfordemngen
an den öffentlichen Dienst von
morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschätzung, Regensburg 1987, S. 82-97; Peter Koslowski!Robert Spaemann/Reinhard
Wl .J (Hrsg.), }. .1oderne oder Postmoderne? Zur Signatur des gegenwärtigen Zeital=
ters, Weinheim 1986.
4
87
und Nachwelt vertreten. Es ginge um Selbstbestirni'!lung, Selbstvenvirklichung, Selbstentfaltung und zugleich um intakte Sozialbeziehungen.35
Auf die Systembildung öffentlicher Verwaltung würde eine solche Beschaffenheit ihrer sozialen Umwelt nicht ohne Auswirkungen bleiben.36
Bei so viel gesellschaftlicher Selbstgewährleistung im individuellen und
kollektiven Handeln wäre die administrative Produktion und Distribution
öffentlicher Güter reduziert: quantitativ wie qualitativ. Der Staat bliebe
Träger spezifischer, eng definierter Versorgungs- und Dienstleistungen
wie Grundlagenforschung oder Katastrophenschutz. Aber selbst bei der
Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung würde er aufgrund
der sich durchsetzenden "Konvivialität" weniger in Anspruch genommen.
Der Umweltschutz wäre die besondere Überwachungsaufgabe. Verbleibende soziale Dienstleistungen wären von unteren Verwaltungseinheiten
zu erbringen. Entwickiung von Kleintechnoiogien, Ansiediung von umweltfreundlichen Betrieben usw. wären zu fördern. Im öffentlichen Kulturleben blieben dem Staatsbereich neben der "Alltagskultur" nur teuere
Ausnahmeveranstaltungen, im Freizeitverhalten nur Koordination und Absicherung basisgetragener Entfaltungen.
Öffentliche Sachgüter und Dienstleistungen wären hiernach dezentral,
nachfrage- und betroffenennahe vorzuhalten. Die vorherrschende territoriale Organisation wäre dezentral, klein- und aktionsräumlich gestaltet.
Kompetenzen öffentlicher Regelung und Planung wären schon um der
größtmöglichen Partizipation und Basisbeteiligung willen auf den unteren
35
Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Modeme
zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 172 ff.
36
Vgl. Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Elisasen/J. Kooiman (eds.), Managing Public Organizations. Lessons from Contemporary European Experience, London u. a. 1993, S. 87 ff. (S. 89 ff.); ders., Allgemeine Rahmenbedingungen und Trends des Verwaltungshandelns, in: H. Reinermann/H.
Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller (Hrsg.), Neue Informationstechni-
ken. Neue Verwaltungsstrukturen?, Heidelberg 1988; S. 27 ff; Werner Hugger;
Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert König/Walter A.
Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von morgen. Konzep-
tionen U...'1d Fallstt1dien
1987,
s.
82-97.
z11r
mittel- und langfristigen Vorausschätzilng, F„egensburg
88
Venvaltungsebenen zu bündeln. Höher aggregierte Planungen Vw Jrden den
kleineren Siedlungs- und Lebensheiten als freiwillig abnehmbare Dienstleistungen angeboten. Im Grunde ginge es nur noch um die Koordinierung
von Einzelaktivitäten. In den Verwaltungsverfahren stünden Information,
Diskurs, kreative Teilhabe im Vordergrund. Käme es letztlich auf den
Konsens an, dann wären Partizipation, Beratung, Aushandlung, Überzeugung usw. die maßgeblichen Prozeßmomente. Die Arbeitsorganisation in
der öffentlichen Verwaltung wäre wie sonst durch negative Auswirkungen
vermeidende Rationalisierungen, Arbeitszeitverkürzungen, Mehrfachbesetzungen von Arbeitsplätzen, wohnraumnahe Gestaltungen der Erwerbstätigkeit usw. gekennzeichnet.
11
Die Kategorie der Postmoderne greift über ein solches Szenarium indessen hinaus und bleibt zugleich diffuser. Das beginnt bereits mit der
Frage nach Epochen und Zäsuren auf dem Wege von der Modeme zur
Postmodeme.37 Der Postindustrialismus sieht zwar eine neue Entwicklungsphase heraufkommen, erblickt aber in den nachzeitlichen Extrapolationen keinen historischen Bruch, sondern die Erweiterung der industriegesellschaftlichen Rationalität.38 Demgegenüber erscheint es eher unklar,
was den Umschlag in die Postmoderne ausmacht. Vieles aus der Vergangenheit wird verworfen, Manches in Anspruch genommen. So beruft man
sieht auf diskurstheoretische oder systemtheoretische Einsichten39, wo gerade aufklärerische Intentionen oder funktionale Differenzierungen für die
Modeme stehen. Auch für die Verwaltungswissenschaft werden im Namen einer "Postmodem Public Administration" nicht nur Managementdoktrinen verworfen, Konstitutionalismus und Kommunitarismus als überholt angesehen, sondern auch eine Diskurstheorie entworfen40, während
37
Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert, Von der Modeme
zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 147.
38
Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York
1975; Helmut Klages, Stichwort: Post-industrielle Gesellschaft", in: Dieter Noblen
(Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn, S. 555 f.
39
Vgl. Karl-Heinz La.deur, Postmoderne Rechtstheorie. Selbstreferenz - Selbtsorganisation - Prozeduralisierung, Berlin 1992.
40
Vgl. Charles J. Fox!Hugh T. Miller, Postmodem Public Adwillistration. Towa.rd
Discourse, Thousand Oaks/London/New Delhi
1995.
89
Diskurstheoretiker selbst den Postmodernismus mit einem Neokonservatismus gleichsetzen41, was dann das Eintreten für die Modeme als progressiv erscheinen läßt.
Weiter ist problematisch, ob mit dem Begriff der Postmoderne auf eine
theoretische Perspektive, wissenschaftliche Methoden, Erkenntnisgewinnung oder auf das soziale Leben, Realitäten, die Erfahrungswelt abgestellt
wird, das heißt, ob es um eine postmoderne Analyse von Organisationen
oder eine Analyse postmoderner Organisationen geht. 42 Ersteres finden
wir in Begriffen wie Repräsentation43 oder Dekonstruktion44 Letzteres
führt zu der Frage, ob es eine postmoderne Gesellschaft gibt oder ob es
sich jenseits des Gesellschaftsbegriffs nur noch um ein Konstrukt relationaler Beziehungen handelt, und zwar mit Multikulturalismus, Lokalismus,
charismatischer Politik, Kommerzialismus usw. und in der organisierten
Welt mit Diffusion statt Spezialisierung, Märkten statt Hierarchien, innerorganisatorischer statt außerorganisatorischer Verantwortlichkeit usw. 45
Rekurriert man auf das postmoderne Denken als eine Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst überwölbende Kategorie, dann sind für Lebensbereiche wie Politik und Recht, Staat und Verwaltung keine inkorporierenden Entwürfe, sondern allenfalls Fragmente auszumachen - freilich
dann im Sinne des fragmentierenden Denkens der Postmoderne. 46 Dazu
könnte man zum Beispiel eine Entsubstantialisierung der Macht rechnen.
41
Vgl. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Modeme. FrankfurtlMain
1988, 4. Aufl.
42
Vgl. Stuan R. Clegg, Modem Organizations. Organization Studies in the Postmodem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 15.
43
Vgl. Paul Jeffcutt, From Interpretation to Representation, in: John Hassard/Martin
Parker (eds.), Postmodemism and Organizations, London/Newberry Park/New
Delhi 1993, S. 25 ff.
44
Vgl. Steve Linstead, Deconstruction in the Study of Organizations, in: John Hassard/Martin Parker (eds.), Postmodemism and Organizations, London/Newberry
ParkfNew Delhi 1993, S. 49 ff.
45
Vgl. Stuan R. Clegg, Modem Organizations. Organization Studies in the Postmodem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 203.
46
Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Ja11rhundert. Von.der
zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 330 ff.
~y1odeme
90
Der Staat ist "entzaubert" .47 A.uch die öffentliche Verwaltung muß ~1acht
durch Verhandlungen ersetzen. Macht ist nicht an Institutionen gebunden,
sondern eine "komplexe strategische Situation". Sie konstituiert sich im
Spiel ungleich-beweglicher Beziehungen. In der Tat konnte der Staat der
alten Bundesrepublik den Eindruck hinterlassen, daß es bei ihm um die
politisch-administrative Moderation von Selbststeuerungen der Gesellschaft und dann Koordinations- und Kompensationsleistungen gegangen
sei. Die Vereinigung Deutschlands und die Transformation der realsozialistischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf ostdeutschem
Boden haben freilich die staatliche Souveränität auch nach innen offengelegt. Innenpolitisch konnte man sich nicht einfach in korporatistische
Handlungsmuster oder Verhandlungssysteme zwischen Verwaltung und
Bürger zurückziehen, die in ihren weichen Formen staatlichen Handelns
rückblickend die alte Bundesrepublik für manche so angenehm erscheinen
lassen. Westdeutsche Wirtschaftskreise mochten durchaus die besseren
Einsichten in die ökonomischen Konsequenzen der Vereinigung gehabt
haben. Entschieden wurde angesichts einer alle Lebensbereiche umfassenden Lage woanders, nämlich in den staatlichen Institutionen. 48 Ostdeutsche Bürgerbewegungen mochten durchaus die besseren Informationen
über soziokulturelle Bedingungen der Transformation gehabt haben. Ordnung wurde angesichts der Verhaltensunsicherheit des Übergangs in anderer \Veise geschaffen, närrJich durch staatlich gesetztes Recht. 49 Es geht
dabei eben nicht einfach um eine situationsgerechte Führerschaft, sondern
darum, daß es keine Instanz außerhalb des Staates gibt, die solche Entscheidungs- und Ordnungsleistungen verbindlich für jedermann hervorbringen kann.
47
Vgl. Helmut Wilke, Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer gesellschaftlichen Steuerungstheorie, Königstein/Taunus 1983; ders., Ironie des Staates.
Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt/Main 1992.
48
Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:
Hellmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bönker (Hrsg.), Transformation sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.
49
VgL Helmut Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, Verwaltungsarchiv, 1992, S. 314 ff.
91
Unter den \Veiteren Fragmenten postmodernen Denkens sind für die
Verwaltung etwa von Relevanz: die prozedurale Legitimation öffentlichen
Handelns, die Aufwertung von Minderheiten mit der Zurückstellung des
Mehrheitsprinzips - eher faktisch denn normativ, wo Plebiszite die Minderheitenmacht stärken - die Popularisierung der Informationstechnologien, vor allem aber: ein zugespitzter Pluralismus und Eklektizismus, Inkommensurabilitäten, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Nun sind
Staat, Gesetzgebung, Regierung, öffentliche Verwaltung keine Lebensbereiche, die ein "neues" Denken nach einer postmodernen Devise des
"Anything goes" gleichsam herausfordern. Architektur, Kommerz, Sozialphilosophie, die Lebensführung nach einer Geschmackskultur von Wohnen, Kleidung, Essen usw. sind da interessanter.50 Dennoch gewinnt man
den Eindruck, daß auch in der nüchternen Gedankenwelt politisch-administrativen Handelns die Vorliebe für Unvereinbarkeiten v;ächst.
Es fällt auf, daß aus einem Munde die Abschaffung des Stadtdirektors
m einigen Kommunalverfassungen zugunsten eines direkt-demokratisch
gewählten und damit eminent politischen Bürgermeisters gefordert51 und
übergangslos ein "neues Steuerungsmodell" propagiert werden kann, zu
dessen Merkmalen die Trennung von Politik und Verwaltung52 und damit
eigentlich der Dualismus von politischem Bürgermeister und administrativem City Manager gehört. Oder es wird verlangt, daß die Ministerpräsidenten der Länder direkt durch das Volk, nicht durch das Parlament gewählt werden, die Minister dann aber der Bestätigung durch den Landtag
bedürfen sollen53, wobei die Widerspruche eines "divided government"
dann nicht bloß wie in den Vereinigten Staaten von Amerika in unter50
51
Vgl. Horst W. Opaschowski, Freizeit, Konsum und Lebensstil, Köln
1990.
Vgl. Gerhard Banner, Der (Ober-)Bürgermeister als Verwaltungschef - ein mögliches Modell?, in: Dietrich Fischer/Rainer Frey /Peter Paziorek (Hrsg.), Kommunalverfassung in Nordrhein-Westfalen. Sind unsere Städte noch zu regieren?, Beckumer Hochschultage 1988, S. 59 ff.
52
Vgl. Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen. Die
Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP, Heft 1/1991, S. 6 ff.
53
Vgl. Wege aus der Krise des Paneienstaates. Thesen der "Frankfurter Interventi~
on", Abgedruckt in: RuP 1995, S. 16-26; Hans Herbert von Amim, Demolcrarie
vor neuen Herausforderungen, in: ZRP 1995, Heft 9, S. 340 ff. (351).
92
schiedlichen pa..rteipolitischen Konstellationen zwischen Exekutivspitze
und legislativer Mehrheit, sondern wohl in der Regierung selbst auszuhalten sind. Oder zum "Gesetz der Zukunft" hält man zwar einerseits an Stabilität und Verbindlichkeit fest, andererseits soll aus dem gesetzten Recht
zunehmend "fließendes Recht" werden, sollen an die Stelle von Handlungsgeboten Informationsangebote treten, die die Nutzer mit bedarfsbzw. nachfrageorientierten, gestuften Informationen nach Art eines Computermenus versorgen und mit beispielhaften Szenarien zum Dialog bzw.
zur Interaktion einladen.54 Charakteristisch sind die Forderungskataloge,
die zur Einrichtung eines "neuen" öffentlichen Managements, eines "neuen Steuerungsmodells" in der Verwaltung aufgestellt werden.55 Hier stellt
sich nicht nur die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Bestehenden,
sondern auch nach der Kompatibilität einzelner Modellkomponenten,
weruTI Zlltn
Beispiel auf der einen Seite eine dezentrale Ressourcenverant ~
wortung, auf der anderen Seite eine Stärkung der "Konzernzentrale" - gemeint ist die Kommunalverwaltung - postuliert wird.56 Dezentralität bedeutet nun einmal Autonomie. Freilich kann man eine so gewährte Eigenständigkeit durch sekundäre Mechanismen oder auf informalem Wege
wegsteuem. Dann kann Dezentralität allerdings zur Rhetorik werden.
Sieht man in der Postmoderne einen Gegensatz zur Modeme, dann
müßten die neuzeitlichen funktionalen Differenzierungen der Gesellschaft
und die Rationalisierungen jeweils eigener sozialer Handlungssphären
durch Dedifferenzierung und Demontage bestehender Formen von Arbeitsteilung, Zuständigkeitsverteilung, Machttrennung abgelöst werden57,
und zwar in der Realität, nicht im präskriptiven Modell. Nach solchen
postmodernen Organisationen in Produktion, Distribution, Konsumption
hat man von Japan bis Schweden Ausschau gehalten. Und in der Tat wer54
Vgl. Hermann Hili, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, in: ZG,
Heft 111995, S. 82 ff.
55
Vgl. Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe, Berlin 1993.
56
Vgl. Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen. Die
Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP, Heft 1/1991, S. 8.
57
Vgl. StI.lart R. Clegg, Modem Organizati.ons, Orgaitization Studies in the Postmodem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 15 f.
93
den von Ort
z11
Ort FlexibilisieriJDgen beobachtet, die Fließbandarbeit ab-
lösen, vielseitige Arbeitsqualifikationen vermitteln, wählbare Informationstechniken zugänglich machen usw. Indessen wird man für die öffentliche Verwaltung, will man sie als postmodern bezeichnen, mehr verlangen
müssen, als daß neben Linieneinheiten Projektgruppen, neben Fachämtern
Bürgerbüros, neben Spezialisten Generalisten stehen. Es müßte jenseits
von Flexibilisierung durch nicht hierarchische Organisationsformen, dezentrale Computertechniken, breite Mitarbeiterqualifikation zu einer Art
neuen Diffusion kommen. Dem stehen allerdings drei organisatorische Imperative entgegen, wie man sie auch für die privatwirtschaftlichen Organisationen festgestellt hat58 und wie sie erst recht für die Staatsorganisation
gelten.
Erstens kann die öffentliche Verwaltung nicht auf Systemgrenzen, insbesondere auf eine Abgrenwng zum P-ublikum und politischen Bereich
verzichten. Noch so viele Symbole der Kundenorientierung in einem Wirtschaftsunternehmen bedeuten nicht, daß die Grenzen zwischen Produktions- oder Distributionssystem und Konsumentenumwelt aufgegeben werden. Genau so wenig bedeutet Bürgerfreundlichkeit, das Publikum über
Mitgliedschaftsrollen in die öffentliche Verwaltung einzubeziehen. Zwar
gibt es durchaus Fälle von sozialen Mehrfachbeziehungen, wenn etwa ein
und dieselbe Person ehrenamtlich in der kommunalen Selbstverwaltung
mitarbeitet und dann als Gewerbetreibender, Bauherr, Strai3enbahnbenutzer usw. der Verwaltungsumwelt zuzurechnen ist. Aber dafür bestehen
spezifische Differenzierungsregeln. Eine "overlapping membership wird
nicht zum Prinzip erhoben. Die Identität von Verwalter und Verwalteten
ist demnach zuerst vom rätedemokratischen Modell der Erledigung sozialer Angelegenheiten propagiert worden.59 Es hat in der Arbeiterselbstverwaltung Jugoslawiens, in der Kibbuzbewegung Israels, in der Kulturrevolution Chinas nicht so viele historische Erfolge vorzuweisen, daß es zum
11
58
Vgl. Stefan Kühl, Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien, Frankfurt a.M./New York
59
1995.
Vgl. Carl Böhret!Wemer Jann!Eva Kronenwett, Innenpolitik und politische Theorie. Ein Studienbuch, Opladen
1988, S. 379 ff.
94
Leitbild öffentlicher Venvalt1.mg geworden ist.60 Auch paßt sein humaner
Faktor, der "neue" Mensch hohen kollektiven Engagements wohl nicht
ohne weiteres in eine postmoderne Lebensführung. Wir können uns eine
Zukunft ohne berufsmäßige Verwalter kaum vorstellen. Die Abgrenzung
zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft in einer Organisation ist
nach wie vor eine Prämisse sozialen Handelns in Wirtschaft wie Staat61
und für einen professionellen öffentlichen Dienst existentiell.
Zweitens muß ein Verwaltungssystem in einer hochkomplexen Umwelt
eine angemessene Eigenkomplexität aufweisen. Betrachtet man Bereiche
wie Steuerverwaltung, Gesundheitsverwaltung, Umweltverwaltung usw.,
dann hat man es mit jeweils so historischen Handlungssituationen zu tun,
daß es schwer vorstellbar ist, daß die administrative Arbeits- und Zuständigkeitsteilung grundlegend demontiert werden könnte. Die "Überkomplexität" der Organisation ist eine verbreitete Kritik an privaten wie öffentiichen Einrichtungen. Indessen darf man bezweifeln, ob Modelle eines "Lean Managements" und dann eines "Lean Government" über interne Rationalisierungen wirklich zu einer Reduktion von Komplexität führen. Zwischen Innenwelt und Außenwelt darf kein dysfunktionales Komplexitätsgefälle entstehen. 62 Organisationen werden bei entsprechenden Eingriffen
sekundäre Mechanismen der Problemlösung entwickeln und so eine angemessene Komplexität wiederherstellen, oder sie werden versagen. 63 Steuerrecht, Gesundheitsrecht, Umweltrecht symbolisieren hochdifferenzierte
Lebensverhältnisse in Gesellschaft und Staat und indizieren, was in der
Binnenorganisation der Verwaltung möglich ist.
60
Vgl. Klaus König, System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, in: König/von
Oertzen!Wagener (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1981, S. 13 ff. (S. 32 f.)
61
Vgl. Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 4. Aufl.,
Berlin 1995, S. 395.
62
Vgl. Klaus König, Das Bundeskanzleramt als komplexe Organisation, in: Rudolf
Fisch/Margarete Boos (Hrsg.), Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen,
Konstanz 1990, S. 149 ff.
63
Vgl. Klaus-Eckan Gebauer, Zur Opti....Tie1·l1ng von Koordination und Pla..Tl.ung in einer Regierungszentrale, in: Verwaltungsarchiv Heft 4/1994, S. 485 ff.
95
Drittens müssen die ~y1achtverhältnisse für die öffentliche Venvaltung
geordnet sein. Das ist gerade der Vorzug richtig verstandener Staatsbürokratien, daß mit ihnen der Herrschaftscharakter der öffentlichen Verwaltung nicht ignoriert wird, sondern - wenn auch in vielen Variationen der Grundgedanke Max Webers zur Geltung kommt, daß jedenfalls die
bürokratische Verwaltung nach allen Erfahrungen die an "Verläßlichkeit,
also: Berechenbarkeit für den Herren wie die Interessenten" formal rationalste Form der Herrschaftsausübung sei.64 Die öffentliche Verwaltung ist
nicht der Platz für interne Machtkämpfe. Es kann nicht einmal akzeptiert
werden, daß die Mitarbeiter aufgrund ihrer Sachqualifikation die letzte
Entscheidung in öffentlichen Angelegenheiten haben. Diffusion, in der die
Mitarbeiter zu den "neuen Machthabern" werden, widerspricht erst recht
dem politischen Primat in der Demokratie, der auch im Innenbereich der
VervValtung abgesichert werden muß. Eine Dedifferenzienmg der ~y1achtordnung hat sich historisch immer wieder als problematisch erwiesen, und
zwar bis hin zu diffusen Definitionen der Mitgliedschaft: im großen Maßstab, wenn in der marxistisch-leninistischen Kaderverwaltung über Berufszugang und Berufsweg für die Mitarbeiter im Staatsapparat nach Kriterien
der politisch-ideologischen Qualifikation entschieden wird65, im kleinen
Maßstab, wenn, wie etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika, professionelles Laufbahnbeamtentum und politisches Nicht-Karriere-Personal
in einem Senior Executive Service zusaiTu-nengefiihrt werden. 66
64
Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, S. 124 ff., S.
823 ff.
65
Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9 ff. (S. 19).
66
Vgl. Leadership for lt„rnerica. Rebuilding the Public Service, Tue Volcker Com-
mission Report, Lexington/Toronto 1990.
96
IV.
ZUR POSTBÜROKRATISCHEN VERWALTUNG
Postindustrielles Konzept und postmodernes Szenarium zeigen in ihrem Realitätsgehalt soviel Plausibilität, daß wir die öffentliche Verwaltung als ein soziales System verstehen können, welches nicht nur in seinen
jeweils aktuellen Funktionen, sondern auch in seiner institutionellen Fortentwicklung höchst widersprüchlichen gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt ist. Wenn es aber nicht nur die Umwelt von Gesellschaft, Wirtschaft,
Staat, sondern auch die eigene Ordnung ist, die das Verwaltungshandeln
bestimmt, dann ist für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung
ebenfalls deren Selbstreferenz in Rechnung zu stellen. Aus gutem Grund
wird im Zusammenhang von Verwaltungsreformen gern das Thema des
bürokratischen \1/idersta..'ldes diskutiert. Denn jenseits von Theorien der
Selbstorganisation von Systemen - Autopoiesis - gibt es wohl kaum eine
Institution, die man als so in sich selbst kreisend - und unsterblich - ansieht, wie das bei der Staatsbürokratie der Fall ist. Überdies ist die bürokratische Verwaltung in ihrer funktionalen Ausdifferenzierung und Rationalisierung nach eigenen Prinzipien eine der Grundsäulen der Modeme.
Man muß einmal die "unbürokratische Erledigung" eines Falles erleben,
wie sie gern von populistischen Exekutivpolitikern zugesagt und ausnahm.sweise beim Wort genommen wird - näiTJich ohne Zuständigkeit,
ohne Professionalität, ohne Akten, ohne Regeln usw. -, um zu erfahren,
daß die negativen Folgen weniger in der Verwaltung, mehr beim Bürger
eintreten. So müssen denn auch soziale Veränderungen um der Verwaltung wie der Gesellschaft willen von der bürokratischen Ordnung her
überdacht werden.
Die Suche nach Alternativen zu den Staatsbürokratien ist alt; die Gegenmodelle sind zahlreich. Die beiden großen sozialen Gegenexperimente
- Kaderverwaltung und rätedemokratische Verwaltung - konnten den
Vergleich mit der bürokratischen Leistungsordnung nicht aushalten. In
westlichen Modernisierungsbewegungen pflegen sich die am leichtesten zu
tun, die in der Bürokratie ein präskriptiv-rationales Modell sehen, dem es
angesichts von Dysfunktionen wie Formalismus, Unpersönlichkeit, Geheimniskrämerei usw. ein Gegenmodeil entgegenzuhahen gih, dessen Ra-
97
tionalität eben solche Fehler vermeiden soll. Angesichts der \Vechselwir~
kungen von System und Umwelt gibt es dann in der Gedankenwelt von
Postmoderne und Postbürokratie vielfache Überschneidungen. Schon die
Gedankenarbeit scheint postmoderne Züge aufzuweisen. Man scheint Verwaltungspolitik nach Art einer "Konzeptkunst"67 anzugehen, einer Kunstrichtung, bei der der Künstler auf die Ausführung seines Projektes verzichtet, sich auf Entwürfe beschränkt, mit dem Konzept das fertige Kunstwerk ersetzt und so die bisher gesetzten Grenzen, die durch die Realisierung gegeben sind, übersteigt.
Ist das Postbürokratische die Abwendung vom Bürokratischen, dann
stellt man der festen Zuständigkeitsordnung der Bürokratie fließende
Kompetenzen der postbürokratischen Organisation gegenüber, und zwar in
Richtung auf Personen, die die Fähigkeit haben, das Problem zu lösen.
JJie geschriebenen Formairegein soiien durch eine ' diaiektische" Organisation abgelöst werden, die sich an die jeweilige Situation anpaßt. Die
Entfremdung eines Handelns ohne Ansehen der Person soll aufgehoben
werden, indem der Klient der Verwaltung als Ebenbürtiger, nicht als Untergebener behandelt wird. Die Hierarchie der Ämter soll durch eine flache Organisation ersetzt werden, die nicht hierarchisch strukturiert ist und
ohne Aufsichtsführung auskommt. Spezialisierung hat der Problemlösung
im Team und der kollektiven Entscheidung zu weichen. An die Stelle des
Berufsbeamtentums sollen mobile Fachleute treten. Die Permanenz der Institution soll durch zeitlich begrenzte Organisationen aufgehoben werden.
Das Dienstgeheimnis soll durch offene Kommunikation abgelöst werden. 68
1
Es hat soziale Experimente mit solchen und vergleichbaren Komponenten der Verwaltungsorganisation gegeben. Über Bestandskräftiges wird
indessen nicht berichtet. Zum Beispiel ist man damit erfolglos geblieben,
durch die Integration von Klienten in die Organisation die Grenzen zwischen System und Umwelt außer Kraft zu setzen. Im Falle einer Sozialver-
67
Vgl. Niklas Luhmann, Konzeptkunst. Brent Spar oder: Können Unternehmen von
der Öffentlichkeit lernen?, FAZ, 19. 2 .1995.
68
Vgl. Howard E. McCurdy, Public i\dmL'listrarion:
1977, s. 349.
JCA.
Synthesis, Me11loe Park,
98
waltung ist man gescheitert, weil man nicht mehr mit knappen öffentlichen Mitteln umgehen konnte. Das lag nicht einfach daran, daß die Dotierungsinstanz Finanzmittel nur an eine Sozialbehörde mit solidem Programm zuweisen wollte. Die Behörde selbst mußte sich vor unbegründeten Sozialansprüchen schützen können. Die einschlägigen Mechanismen
versagten, weil die Differenzierung zwischen Geber- und Nehmerseite
aufgegeben war. 69
Heute kommt die Herausforderung an die bürokratische Leistungsordnung der öffentlichen Verwaltung aus einer anderen Richtung. Eine Erneuerungsbewegung des "New Public Management", des "Reinventing
Goverrunent" hat auch den deutschsprachigen Raum erreicht und findet
insbesondere mit dem Vorzeichen eines Neuen Steuerungsmodells" auf
der Ebene der Kommunalverwaltung seine Anhänger. Die Sprache des
Neuen ist die von Markt, von Wettbewerb, von Unternehmen, vom Kunden. Manche sehen in Kategorien wie Ergebnisorientierung, Qualität, Produktion, Dienstleistung, Kundenorientierung, Anreiz, Konsumentenwahl,
Wertleistung usw. den Paradigmenwechsel vom Bürokratischen zum Postbürokratischen. 70 Nun muß man bei dieser Erneuerungsbewegung zwischen Komponenten unterscheiden, die mit der bürokratischen Verwaltung, und zwar auch in ihrer klassisch-kontinentaleuropäischen Ausprägung, kompatibel sind, und solchen, die über die neuzeitlichen Ausdifferenzierungen von Staat und Verwaltung hinausreichen. Zum Beispiel ist
der Gedanke der dezentralen Ressourcenverantwortung in einer öffentlichen Organisationslandschaft mit Föderalismus, kommunaler Selbstverwaltung, Ressortverantwortung, privatrechtlich verfaßten Formalorganisationen, herausverlagerten Aufgabenträgern usw. durchaus vertraut. Eine
neue Kosten-Nutzen-Orientierung des Budgetkreislaufes, eine neue Differenzierung zwischen Politik und Verwaltung, eine neue Zuständigkeitsverteilung zwischen Ministerien und "Agencies", eine neue Arbeitsteilung
zwischen politisch-administrativer Kontrolle und öffentlicher Dienstlei11
69
Vgl. Orion White, Tue Dialectical Organization: An Alternative to Bureaucracy,
in: Public Administration Review 1969, S. 35 ff.
70
Vgl. Michael Barzelay, Breaking through Bureaucracy. A New Vision for Managing in Goverrunent, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1992, S. 115 ff.
99
stung, neue Leistungsanreize fiir den öffentlichen Dienst usw. bedeuten
nicht gerade den Umsturz bürokratischer Verhältnisse. Vielmehr geht es
gegebenenfalls darum, vernünftig ausbalancierte Verwaltungsreformen
durchzuführen. Anders wäre es, wenn wir uns von den tradierten exekutiven Verhältnissen in der öffentlichen Verwaltung in Richtung auf Markt
und Wettbewerb im öffentlichen Sektor verabschieden würden. Damit
würde man in eine Zeit nach der bürokratischen Leistungsordnung eintreten.
Aus der Sicht der managerialen Bürokratien des anglo-amerikanischen
Raums läßt sich ein solcher Paradigmenwechsel auf die Formel vom administrativen Management zum unternehmerischen Management bringen. 71 Diese Kürze macht eine Reihe von Klarstellungen erforderlich. Erstens ist der Begriff des Unternehmerischen untrennbar mit einer marktwirtschafdichen Ordnung verbunden.72 Im Unternehmen werden Produktionsfaktoren kombiniert, um Güter und Dienste zu produzieren, die mit
Gewinn auf dem Markt abgesetzt werden sollen. Zweitens muß dann für
ein unternehmerisches Management eine kompatible Umwelt bestehen und
damit eben eine Umwelt von Markt und Wettbewerb. Drittens liegen im
Wettbewerb Leistungsanreize, die ihn als sozial prinzipiell erwünscht ansehen lassen. Es gibt aber durchaus Erscheinungsformen des Wettbewerbs
in Wirtschaft, Politik, Sport usw. - vom Manchestertum über den sozialistischen Wettbewerb bis zum Kinderleistungssport - , die man sozial mißbilligen kann. Viertens besteht kein Apriori, nach dem der Markt dem
Staate in der Wohlfahrtsstiftung grundsätzlich überlegen ist und umgekehrt. Auch eine strikt liberale Wirtschaftstheorie gibt zu, daß der Staat
die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Marktwirtschaft schaffen und gewährleisten muß und daß es überdies Güter gibt, bei denen
schon nach ihrem ökonomischen Charakter der Markt versagen kann. Das
bedeutet fünftens, daß private Güter, über deren Art, Umfang und Verteilung durch die Abstimmung individueller Präferenzen im Marktmechanis11
11
71
Vgl. David Osbome!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading 1992.
72
Vgl. Peter H. Werhahn, Der Unternehmer - seine ökonomische FurJction und
gesellschaftspolitische Verantwortung, Trier 1990.
100
mus entschieden \11ird, und öffentliche Güter, über deren Erstellung in einem politisch-administrativen Willensbildungsprozeß zu entscheiden ist,
getrennt werden müssen. 73 Sechstens bindet uns kein naturrechtliches
Subsidiaritätsprinzip, nach dem bei Privatisierungsfähigkeit öffentlicher
Güterproduktion eben dann auch zu privatisieren ist. Die prinzipielle Verteilung von Produktion, Distribution, Konsumtion zwischen öffentlichem
und privatem Sektor ist wiederum eine Frage der Entscheidung, freilich
von der Vor-Entscheidung der Verfassung an.74 Siebentens können Gründe für entsprechende Zuordnungsentscheidungen im Politischen, im
Rechtlichen, im Ökonomischen, im Sozialen, im Kulturellen, im Humanen, liegen. 75 Das hat achtens zur Folge, daß gute ökonomische Gründe
für eine Privatisierung trotz sorgfältiger Güterabwägung nicht zum Zuge
kommen.
Diese Möglichkeit veraniaßt uns, den formal an s1cn w10ersinnigen
Gedanken, über Güter und Dienste politisch-administrativ und dann doch
markt- und wettbewerblich zu entscheiden, weiter nachzugehen. Es bleibt
die Frage, ob wir einen virtuellen Wettbewerb und Quasi-Märkte im Hinblick auf ausgebliebene reale Markteintritte und Privatisierung sozial konstruieren können. 76 Ein Sonderfall ist dabei die Dualität von öffentlicher
Leistung und privatem Angebot: wie beim Rundfunk, im Bankwesen, im
Gesundheitsbereich und anderen Sparten mehr. Hier fließen von Fall zu
Fall Realitäten des Marktes ein, obwohl die Lebensversicherung des Staa-
73
Vgl. Richard Musgrave!Peggy Musgrave!Lore Kullmer, Die öffentlichen Finanzen
in Theorie und Praxis, Band 1, 5. Aufl, Tübingen 1990, S. 60 ff.
74
Vgl. Robin W. Boardway!David E. Wildasin, Public Seetor Economics, 2nd ed.,
Boston/Toronto 1984; Klaus König, Staatsaufgaben und Verfassungen der neuen
Bundesländer, in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im
Wandel. Zum 180jährigen Bestehen der Carl Heymanns Verlags KG, Köln u. a.
1995,
75
s.
109 ff.
Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der
80er Jahre-, in: Verwaltungsarchiv, Heft 1/1995, S. 1 ff.
76
Vgl. Manfred Röber, Über einige Mißverständnisse in der verwaltungswissenschaftlichen Modernisierungsdebatte: Ein Zwischenruf. Manuskript, erscheint in:
Helmut Wollmai'1..'1/Christoph Reichard (Hrsg.), Kommunalver11altung im
sierungsschub, 1995, S. 4.
~„1oderni--
101
tes es nicht zum existentiellen Wettbewerb auf der öffentlichen Seite kommen läßt. Zum virtuellen Wettbewerb öffentlicher Verwaltungen ist noch
anzumerken, daß er Organisationswettbewerb ist. Der Wettbewerb schlägt
nicht bis zum individuellen Verwaltungsmitarbeiter durch, wie dann auch
in der privaten Unternehmung die durchgehende Begleitung der Betriebsprozesse mit Geldpreisen als problematisch angesehen wird. 77 Das ist Anlaß bei organisatorischen Zurechnungen, beispielsweise im Falle des Profit-Center, dem als eigenständige Organisationseinheit eines Unternehmens Gewinnverantwortung übertragen ist.
Grundproblem eines virtuellen Organisationswettbewerbs ist die Herstellung von Rivalität. Hier stehen auf der einen Seite jene Bereiche von
öffentlichen Gütern und Aufgaben, bei denen die Bürger Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen öffentlichen Leistungsträgern haben oder sich
solche Wahlmöglichkeiten unbeschadet der Organisationswerte klassischer
Verwaltung schaffen lassen. Solche Möglichkeiten bestehen zahlreich, und
zwar auf dem Gebiete der Kultur: Museen, Theater; der Bildung: Universitäten, Volkshochschulen; des Sozialen: Altenheime, Kindergärten; der
Gesundheit: Krankenhäuser, Pflegeheime usw. Sie lassen sich auch von
Fall zu Fall bei angemessener Güterabwägung herstellen, etwa im Falle
öffentlicher Versicherungsmonopole. Jedoch beruht der Kernbereich von
Verwaltungsangelegenheiten auf den Prinzipien der festen Zuständigkeitsordnung und der Vermeidung von Mehrfachzuständigkeiten. Das ist für
die Eingriffsverwaltung, da es um den Schutz der Rechtssphäre des Bürgers geht, ohnehin einsichtig. Aber auch für die Leistungsverwaltung gilt
die Einmal-Zuständigkeit, und zwar wiederum aus guten Gründen, wenn
man nur an die Informationsschwierigkeiten eines Wohlfahrtsstaates der
Transferleistungen denkt. Man wird auf gewichtige Gegengründe stoßen,
wenn man Wahlmöglichkeiten zwischen Polizeibehörden, Jugendämtern,
Gewerbebehörden, Bauämtern, Sozialämtern usw. schaffen will.
Selbst wenn aber Wahlmöglichkeiten bestehen, müssen weitere Anforderungen für virtuellen Organisationswettbewerb und Quasi-Märkte erfüllt
77
Vgl. Wil Martens, Entwurf einer Kommunikationstheorie der Unternehmung. Akzeptanz, Geld und Macht in Wirtschaftsorganisationen, Frankfurt a.M./New York
1989,
s.
150 ff.
102
werden. Es müssen möglichst freie \Vettbewerbsbedingungen geschaffen
werden, so daß nicht zu hohe Barrieren Markteintritt bzw. Marktaustritt
hemmen. Es müssen beide Marktparteien leichten Zugang zu Informationen über Kosten und Qualität haben. Es dürfen die mit dem Markttausch
verbundenen Transaktionskosten - Verhandlungen, Verträge, Rechnungswesen, Zahlungssystem, Kontrolle usw. - die Effizienzgewinne, die durch
das Wettbewerbsverhalten erlangt werden, nicht überschreiten. Es müssen
Anbieter mindestens zum Teil finanzielle Anreize erhalten, um auf preisliche Signale zu reagieren. Es muß im Interesse der Gleichbehandlung verhindert werden, daß Anbieter oder Nachfrager nur "absahnen", daß Verwaltungen geringe Risiken, leichte Fälle, gut zahlende Kunden bevorzugen und bei begünstigten Bürgern oder Organisationen es sich nur um
Mitnahmeeffekte handelt. 78
Es gibt bisher wenig belastbare Erfahrungen mit virtueiiem Organisationswettbewerb und Quasi-Märkten in der öffentlichen Verwaltung. Selbst
der wohl signifikante Anschauungsfall, nämlich das verstaatlichte Gesundheitswesen in Großbritannien79 wirft wohl mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Eine Frage wäre, ob nicht hinter den vielfältigen öffentlichen
Akteuren, deren vielfältiger Konfiguration und den vielfältigen für sie geltenden Spielregeln ein neuer bürokratischer Formalismus steht. Eine andere Frage würde lauten, ob man nicht mehr erreicht hätte, wenn man Teilbereiche des National Health Service privatisiert bzw. reprivatisiert hätte,
um Effizienzgewinne aus einem gemischt öffentlich/privaten Gesundheitswesen zu ziehen. Überhaupt wird man in Gesprächen mit britischen Verwaltungsexperten mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert. Während
der eine hinter "Citizen Charter
einer Art neuer Geschäftsbedingungen
zwischen Behörden und Bürger - eine Staatsrevolution sieht, sagt der andere: "just paperwork". Man hört sogar die Meinung, daß es darum gin11
-
78
Vgl.
Wen~y
Ranade, Tue theory and practice of managed competition in the Natio-
nal Health Service, in: Public Administration 1995, S. 243 ff.
79
Vgl. !an Tilley (ed.), Managing the Interna! Market, London 1993; Julian Le
Grand/Wil Bartlet
1993.
(eds~),
Quasi-Markets and Social Policy, Hound Mills u. a.,
103
ge, den :f-„1oderriisienmgsrackstand einer alten klassengesellschaftlich geprägten Verwaltung aufzuholen.
Ein Paradigmenwechsel von der bürokratischen zur postbürokratischen
Verwaltung reicht so tief in die Kultur von Gesellschaft und arbeitendem
Staat hinein, daß Einzelbelege, die über Modelle und Szenarien hinaus in
die Erfahrungswelt führen, für sich noch nicht ausreichen. Man müßte
z. B. wissen, ob sich die Erwartungshaltungen der Bürger gegenüber der
öffentlichen Verwaltung grundlegend geändert haben. Vom Postmodernismus wird gesagt, daß er auf dem Boden des Konsumerismus gediehen sei,
daß nach dem Ende umfassender Ideologie der Markt das einzige Band
sei, das alles umfaßt. 80 Auf der anderen Seite wird für die Konsumtion
keine Dedifferenzierung, sondern ein höherer Grad von Differenzierung
festgestellt.81 Gerade für das Gesundheitswesen - mit dem Bild von der
reiativen Gesundheit, nicht der Abwesenheit von Krankheit - kann man
auf hochdifferenzierte Bedürfnisse zwischen Prävention und chronischem
Siechtum, Pharmazeutika und gesunden Ernährungsmitteln, Sanitärhilfsmitteln und ergonomischen Geräten verweisen, so daß es eher unwahrscheinlich erscheint, solche Vielfalt durch ein uniformes Steuerungsmuster
zu befriedigen. Entsprechend fällt es schwer, sich den Steuerzahler, den
Sozialhilfeempfänger, den Polizeipflichtigen, den Pflegebedürftigen, den
Schüler, den Konzessionär usw. als ein und denselben Kunden, nämlich
als die Marktpartei auf der Nachfrageseite, vorzustellen.
Vielleicht muß man aus der Vereinigung Deutschlands etwas ganz anderes lernen, nämlich daß je weniger verläßlich sich Familie, Siedlungsgemeinschaft, Ruf, Milieu, Ideologie erweisen, um so existentieller die Verläßlichkeit legalistisch-bürokratischer Ordnungs-, Transfer- und Dienstleistungen wird. War in den Vereinigten Staaten noch vor kurzer Zeit vom
"Reinventing GovernmenC die Rede, so trägt der vom amerikanischen Vizepräsidenten vorgelegte Dritte Bericht der National Performance Review
den Titel "Common Sense Government". Nunmehr heißt es, daß man ver-
80
Vgl. Zygmunt Bauman, Legislatures and Interpreters. On Modernity, Post-modernity and Intellectuals, Oxford 1987, S. 188 ff.
81
Vgl. Stuart R. Clegg, Modem Orgai1izations. Organization Studies in the Postmodem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 18.
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stünde, daß der Staat kein Geschäft sei, da.'! er eine Vielzahl von Dingen
zu tun habe, die Geschäfte nicht zu tun hätten. Dies würde nicht bedeuten,
daß er nicht in einer "businesslike manort• operieren könne - effizient, effektiv, mit einem Minimum an Verschwendung.82 Nachdem in der deutschen öffentlichen Verwaltung Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit verbürgt sind, mögen wir in eine Modernisierungsphase eintreten, in
der Effizienz und Effektivität der öffentlichen Angelegenheiten gestärkt
werden müssen. 83 Auch mag aus den Erfahrungen der Privatwirtschaft
manches für Staat und Verwaltung zu lernen sein. Letztlich ist aber wohl
vom Staat der Alltagsvernunft mehr als von der Wiedererfindung von Regierung und Verwaltung zu erwarten.
82
Zit. nach PA Times, Vol. 18 No. 10, 1. Oktober 1995, S. 20; vgl. auch Vice President Al Gore, Common Sense Government. Works Better and Costs Less. Third
Report of the National Performance Review, Washington, D.C., September 1995.
83
Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege irl.novativer Verwaltungen,
Speyerer Forschungsberichte 193, Speyer 1995.
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