Vielfalt statt Verlust! - Heinz Sielmann Stiftung

Werbung
Vielfalt statt Verlust!
Biotopverbund – im Dialog mit
Bürgern, Kommunen und Landnutzern.
Sielmann Dialoge 2013
19. September 2013 im Schloss auf der Blumeninsel Mainau am Bodensee
„Seit 1800 geht die Artenvielfalt in Deutschland zurück. Wenn Tiere und
Pflanzen schreien könnten, hätten wir in den letzten Jahrzehnten viel
Geschrei gehört.“ (Prof. Dr. Peter Berthold, Heinz Sielmann Stiftung)
„Wir haben unserer schönen Landschaft viel
zu verdanken. Sie schafft ein attraktives
Lebens- und Arbeitsumfeld und ist das Rückgrad einer positiven Tourismusentwicklung
sowie Existenzgrundlage für die heimische
Landwirtschaft.“ (Frank Hämmerle)
2
„Für die Bewirtschaftung unseres Familienbesitzes, der von Generation
zu Generation weitergegeben wurde, war eine nachhaltige Wirtschaftsweise überlebensnotwendig – schon lange bevor der Begriff Nachhaltigkeit geprägt wurde.“ (Wilderich Graf von und zu Bodmann)
„Ohne Rohstoffe geht es nicht. Eingriffe in
die Natur sind notwendig, aber es muss ein
Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie
geschaffen werden.“ (Dr. Rolf Mohr, Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg)
„Wir dürfen nicht drum herum reden: Unsere bisherigen Naturschutzbemühungen reichen nicht aus. In Baden-Württemberg gibt es keine
großen zusammenhängenden Räume mehr, die nicht von Straßen
zerschnitten sind. Und auch die Erhaltungszustände unserer
FFH-Gebieten sind unzureichend.“ (Werner Franke)
„Natur darf kein abstrakter Begriff
bleiben, sie muss in spannenden und
lehrreichen Projekten für jedermann
erlebbar werden.“ (Manfred Fehrenbach)
www.sielmann-stiftung.de
3
Der Sommer klingt bereits aus, doch die Dahlien
stehen noch in voller Blüte, als die Heinz Sielmann Stiftung am 19. September 2013 zu ihren
Sielmann Dialogen „Vielfalt statt Verlust! Biotopverbund im Dialog mit Bürgern, Kommunen
und Landnutzern“ auf die Insel Mainau lädt.
Die Stiftung, die 1994 vom Naturfilmpionier
Heinz Sielmann und seiner Frau Inge gegründet
wurde, veranstaltet die Dialogreihe bereits seit
2011. Unter dem Motto „Naturschutz als positive Lebensphilosophie“ informiert sie dabei
über aktuelle Naturschutzthemen und zeigt
erfolgversprechende Handlungsmöglichkeiten
auf. Zum Termin auf der Insel Mainau wird
„Sielmanns Biotopverbund Bodensee“ vorgestellt und sein zehnjähriges Bestehen gefeiert.
Die Liebe zur Natur verbindet
Etwa 80 Interessierte versammeln sich im
prunkvollen „Weißen Saal“ des Deutschordensschlosses, der nur für besondere Anlässe
öffentlich zugänglich gemacht wird. Kaum ist
Ruhe im Saal eingekehrt, lenkt Vogelgeschrei
die Aufmerksamkeit der Gäste von den goldenen Verzierungen an der Wand auf die Naturschauspiele im Film „Sielmanns Biotopverbund
Bodensee“, der zur Eröffnung der Veranstaltung
gezeigt wird. „Es ist das gemeinsame Interesse
an der Natur, das die gräfliche Familie Bernadotte mit der Heinz Sielmann Stiftung verbindet“, betont Hausherrin Bettina Gräfin Bernadotte in ihrer Begrüßungsrede (im Bild rechts zu
sehen). „Heinz Sielmann und mein Vater waren
Menschen der Tat.“ Während der berühmte
Tierfilmer vor zehn Jahren den Biotopverbund
am Bodensee ins Leben rief, regte Graf Lennart
Bernadotte bereits 1961 die Unterzeichnung der
„Grünen Charta von der Mainau“ an, die für
www.sielmann-stiftung.de
den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen
und die Wiederherstellung eines gesunden
Naturhaushaltes in Deutschland wirbt. Auch
heute noch ist es der gräflichen Familie ein großes Anliegen, die Besucherinnen und Besucher
der Insel Mainau für die Schönheit der Natur zu
begeistern. Es erstaunt daher nicht, dass sich
Bettina Gräfin Bernadotte als Mitglied im Kuratorium von Sielmanns Biotopverbund Bodensee
zusammen mit der Heinz Sielmann Stiftung für
Naturschutzbelange einsetzt.
4
Die Vielfalt schwindet
„Wenn Tiere und Pflanzen schreien könnten,
hätten wir in den letzten Jahrzehnten viel
Geschrei gehört“, so beschreibt Prof. Dr. Peter
Berthold, langjähriger Direktor des MaxPlanck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell,
zu Beginn der Veranstaltung ganz anschaulich
das galoppierende Artensterben, das bereits
im 19. Jahrhundert begann und bisher nicht
aufgehalten werden konnte. Ihn bedrückt,
dass derzeit weltweit jede achte Vogel-, jede
fünfte Säugetier- und jede dritte Amphibienart
gefährdet ist; bei den Pflanzen sind sogar sieben von zehn Arten bedroht. Indikatoren dafür
sind die immer länger werdenden Roten Listen
der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Doch
die Probleme betreffen nicht nur weit entfernte Entwicklungsländer, die wir davon abhalten
wollen, ihre letzten Urwälder zu roden. Nein,
sie betreffen auch uns, die wir in einem reichen
Land mit stark ausgeprägtem Umweltbewusstsein leben. Die zunehmende Intensivierung der
Landwirtschaft sowie der steigende Flächenverbrauch für Siedlungen, Industrieanlagen
und Verkehrswege haben den Artenrückgang in
Deutschland bereits um 1800 eingeleitet. Trotz
vieler Maßnahmen und der grundsätzlichen
Einsicht, die natürlichen Ressourcen erhalten zu
müssen, dominiert vielerorts das Einheitsgrün,
die Monokultur zwischen grauem Beton. Peter
Berthold hat den Artenrückgang an seinem
Wohnort im Billafinger Urstromtal beispielhaft
dokumentiert: In der landwirtschaftlich intensiv genutzten Landschaft verschwanden zwischen 1971 und 2004 insgesamt 14 Brutvogelarten, darunter das Rebhuhn, der Kiebitz und der
Wendehals – drei Arten, die in den 1980er und
90er Jahren auf Grund ihrer Gefährdung jeweils
zum „Vogel des Jahres“ gekürt wurden.
Was geht uns das Artensterben an?
Doch ist es wirklich ein Problem, wenn Arten
aus bestimmten Lebensräumen verschwinden
oder ihre Bestände zurückgehen? Ist nicht das
ganze Leben geprägt von Veränderungen, vom
Werden und Vergehen? Wer heute noch kein
Mobiltelefon besitzt und weiter mit NegativFilm fotografiert, gilt als antiquiert. Warum
sollen bestimmte Naturzustände erhalten bleiben, wenngleich die Gesellschaft einem permanenten Wandel unterworfen ist?
Viele halten es für eine moralische Verpflichtung, unser Naturerbe für nachfolgende Generationen zu bewahren. Denn die Vielfalt der Tierund Pflanzenwelt und der ungestörte Ablauf
der natürlichen Prozesse sind eine, wenn nicht
die wichtigste Lebensgrundlage des Menschen.
Sie bescheren uns Nahrung, Medizin, saubere
Luft, Trinkwasser, fruchtbare Böden und vieles
mehr. Einige sehen im jeweiligen Naturraum
aber auch einen wichtigen Standortfaktor
für Wirtschaft und Tourismus. „Die Bodenseeregion hat ihrer abwechslungsreichen
www.sielmann-stiftung.de
5
Landschaft viel zu verdanken“, weiß Frank
Hämmerle, Landrat des Landkreises Konstanz
und Podiumsgast bei den Sielmann Dialogen
auf der Insel Mainau. „Sie schafft ein attraktives Lebens- und Arbeitsumfeld, bildet das
Rückgrat der positiven Tourismusentwicklung
und ist die Existenzgrundlage für die heimische
Landwirtschaft. Bei uns kann man gut leben,
aber auch gut wirtschaften!“ Ohne die Einbettung in diese besondere Landschaft wäre eine
erfolgreiche Entwicklung der Region also nur
schwer vorstellbar. Aus diesem Grund engagiert
sich der Landkreis Konstanz auch in hohem
Maße für die Pflege und die nachhaltige Entwicklung der Kulturlandschaft am westlichen
Bodensee. Große Bereiche des Landkreises sind
unter Schutz gestellt, etwa als Landschaftsoder Naturschutzgebiet, geschütztes Biotop
oder Natura-2000-Fläche. Doch je attraktiver
die Region für den Menschen wird, umso größer wird auch der Druck auf die Landschaft.
Es bleibt daher eine große Herausforderung,
zwischen den verschiedenen, teilweise sehr
konträren Nutzungsinteressen zu vermitteln
und möglichst ausgewogene und tragfähige
Lösungen zu finden.
Handeln, statt reden!
Wie kann es gelingen, die Vielfalt in der Natur
zu erhalten bzw. wiederherzustellen, ohne eine
Käseglocke über die Region zu stülpen und
damit den Wirtschaftsstandort zu schwächen?
www.sielmann-stiftung.de
Peter Berthold war es leid, immer nur die Verluste der Tier- und Pflanzenwelt zu beklagen.
Er wollte handeln – und zwar nicht in den noch
unberührten Wäldern am fernen Amazonas,
sondern zu Hause, in der intensiv genutzten
Kulturlandschaft am Bodensee. 1988 entwickelte er zusammen mit Klaus Töpfer, dem ehemaligen Chef des UN-Umweltprogramms und
aktuellen Leiter des Instituts für angewandte
Nachhaltigkeitsstudien, ein einfaches Konzept, nämlich die Einrichtung von „Wohnräumen“ für Pflanzen und Tiere in jeder Gemeinde.
Durch die Renaturierung von bestimmten Flächen sollte ein dichtes Netzwerk hochwertiger
Lebensräume entstehen, das den meisten Arten
eine Chance bieten würde, zu überleben und
größere Populationen aufzubauen. Statt in den
verdienten Ruhestand zu gehen, fasste Berthold am Ende seiner universitären Laufbahn
den Plan, diese Idee mit einem Pilotprojekt in
der Bodenseeregion in die Tat umzusetzen.
Baggern für die Artenvielfalt
Eine Idee ist schnell geboren, ihre erfolgreiche Umsetzung hängt jedoch entscheidend
davon ab, wie viel Unterstützung sie erfährt.
So wandte sich Peter Berthold im November
2003 an seinen väterlichen Freund Heinz Sielmann, den er seit 1955 kannte und mit dem er
über ein gemeinsames Interesse am Erhalt der
Natur verbunden war. „Sielmann war spontan
von der Idee der Renaturierung begeistert“,
6
erinnert sich Berthold. Also machten sich die
beiden Naturschützer gemeinsam daran,
in der Bodenseeregion wertvolle Biotope zu
schaffen und sie miteinander zu vernetzen.
Bereits im Januar 2004 begannen die Detailplanungen und bald auch die praktische Arbeit.
Zunächst wurden im Billafinger Urstromtal
20.000 Kubikmeter Erde ausgehoben und
ein 1,3 Hektar großer Weiher in der Gemeinde Owingen geschaffen – die Geburtsstunde
des so genannten „Heinz-Sielmann-Weihers“.
Durch Stilllegung von Landwirtschaftsflächen
und Verschluss nutzlos gewordener Drainagen entstand angrenzend an den Weiher ein
Mosaik aus Tümpeln, Gräben, ausgedehnten Schilfflächen, blütenreichen Säumen und
Hecken. Seit 2011 beweiden Wasserbüffel das
Weiherumfeld und schaffen dadurch weitere
wertvolle Kleinstlebensräume für Vögel, Insekten und Pflanzen.
Der Standort des Heinz-Sielmann-Weihers im
Billafinger Urstromtal war gut gewählt, denn
hier waren die Vogelbestände bereits drei
Jahrzehnte lang von Berthold dokumentiert
worden. Auf Grund dieser Daten ist es nun ein
Leichtes, die Wirksamkeit der Renaturierungsmaßnahmen zu überprüfen. „Ich bin glücklich, dass wir so viel erreicht haben“, gesteht
Peter Berthold auf Nachfrage der Journalistin
Shelly Kupferberg, die das Podiumsgespräch
im Weißen Saal moderiert. „Nach Einrichtung
des Weihers stieg die Anzahl der beobachteten Vogelarten um 50 Prozent auf insgesamt
173 Arten. Außerdem siedelten sich elf neue
Brutvogelarten an, 33 von den 75 in Deutschland lebenden Libellenarten wanderten in das
Gebiet ein und die Erdkrötenpopulation stieg
von kleinen Restbeständen auf rund 5.000
Tiere.“ Ein Erfolg, der sich wahrlich sehen
lassen kann!
Vom ersten Baustein zum Biotopverbund
Bodensee
Nachdem der Heinz-Sielmann-Weiher geschaffen worden war, erarbeitete eine kleine Arbeitsgruppe ein Bündel von weiteren Maßnahmen
in der Umgebung, und zwar im Bereich des
„Landschaftsparks Bodensee-Linzgau“. Bei
diesem Gebiet handelt es sich weder um eine
künstlich angelegte Gartenanlage, noch um ein
Schutzgebiet. Der etwa 300 Quadratkilometer
große Landschaftspark umfasst vielmehr elf
www.sielmann-stiftung.de
Gemeinden am Nordufer des Bodensees. Die
Kulturlandschaft ist hier besonders vielfältig
und soll nach Möglichkeit erhalten und belebt
werden. Heinz Sielmann und Peter Berthold
fiel es daher leicht, die am Landschaftspark
beteiligten Gemeinden für die Idee des Biotopverbundes zu gewinnen. Bis heute, zehn Jahre
später, konnten über 80 verschiedene Maßnahmen an 24 Standorten realisiert werden,
darunter die Anlage von Teichen und Weihern,
die Renaturierung von Bächen, die Wiedervernässung entwässerter Gebiete sowie die Pflanzung von Feldgehölzen und Auwäldern. Die
Planung der jeweiligen Maßnahmen übernahm
eine Lenkungsgruppe, die bis heute von Peter
Berthold geleitet wird. Ein hochkarätiges Kuratorium unter dem Vorsitz von Inge Sielmann,
Stiftungsratsvorsitzende der Heinz Sielmann
Stiftung, repräsentiert den Biotopverbund,
hilft bei der Beschaffung von Drittmitteln und
bringt immer wieder wichtige neue Impulse
ein. Musste anfangs noch aktiv nach neuen
Standorten gesucht werden, ist der Biotopverbund inzwischen zum Selbstläufer geworden.
Jede Woche gehen Vorschläge von Kommunen
oder Privatpersonen für neue mögliche „Wohnräume“ ein. Damit wurde der Biotopverbund
Bodensee zu einem allseits bekannten und
geschätzten Bestandteil der Landschaft. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Region
erfreuen sich an den neuen Biotopen, verweilen an den Teichen, beobachten das Treiben
www.sielmann-stiftung.de
der Blesshühner, lauschen den quakenden
Fröschen und bewundern die Flugkünste der
Libellen. Und so manch einer findet dabei seine
innere Zufriedenheit wieder.
Balance zwischen Eingriff und Ausgleich
Wie das Beispiel Biotopverbund zeigt, ist es
nicht notwendig, den Käfern absoluten Vorrang vor dem Menschen zu geben. Bereits
kleine Maßnahmen können oft Großes für
den Erhalt der Artenvielfalt bewirken. Dessen
ist sich auch der Industrieverband Steine und
Erden in Baden-Württemberg bewusst. Dr. Rolf
Mohr, Präsident des Verbandes, sieht den Rohstoffabbau zwar teilweise als massiven Eingriff
in die Natur, gleichzeitig aber auch als Chance
für den Arten- und Biotopschutz. Die in den
Abbaustätten entstehenden Rohböden eignen sich hervorragend für die Besiedlung mit
seltenen Pionierarten. Später läuft auf den Flächen die natürliche Sukzession ab, die in unseren Breitengraden in der Regel eine natürliche
Wiederbewaldung zur Folge hat. Die einzelnen
Stadien sind jeweils durch eine typische Artenzusammensetzung charakterisiert. So können
sich aufgelassene Steinbrüche und Kiesgruben
im Laufe der Zeit zu wertvollen Lebensräumen
für sehr viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten entwickeln. Dies darf natürlich nicht darüber hinweg täuschen, dass durch den Abbau
manch wertvolle Biotope etwa in Flussauen
verloren gehen. Da wir jedoch alle Rohstoffe
7
8
für Wohnungsbau, Verkehrswege und andere
Infrastruktur benötigen, müssen weiterhin Sande, Kiese und Natursteine abgebaut werden.
Eine regionale Gewinnung der Rohstoffe minimiert immerhin die Transportwege und schont
damit die Umwelt. „Nutzungskonflikte können
vermieden werden, wenn bereits im Vorfeld
Ge-spräche mit Naturschutzverbänden wie
etwa dem NABU oder der Heinz Sielmann Stiftung geführt werden“, weiß Mohr aus Erfahrung. Zudem lassen sich Eingriffe durch das
Instrument des Ökokontos frühzeitig ausgleichen. Dies funktioniert so: Eine Gemeinde
renaturiert beispielsweise einen Bach. Die
Maßnahme wird in das Ökokonto eingetragen.
Gegen Bezahlung eines bestimmten Geldbetrags kann der renaturierte Bachlauf als Ausgleichsmaßnahme für unterschiedliche Eingriffe anerkannt werden. Während früher für jeden
kleinen Eingriff ein entsprechender Ausgleich
geschaffen werden musste, können nun mit
der Ökokontierung umfangreichere und daher
effektivere Naturschutzmaßnahmen realisiert
werden.
Naturverträglich wirtschaften
Eingriffe auszugleichen und Natur andernorts
wiederherzustellen ist nur eine der vielen Möglichkeiten, der Ausbeutung unserer natürlichen
Ressourcen entgegenzuwirken. Naturverträglich zu wirtschaften ist ein anderer Ansatz,
über den Wenige so viel zu berichten wissen,
wie Wilderich Graf von und zu Bodman. Über
30 Jahre lang bewirtschaftete er den land- und
forstwirtschaftlichen Besitz der Familie, der
wenige Kilometer von der Insel Mainau entfernt beginnt und um das Ende des Überlinger Sees herumreicht. „Schon lange bevor der
Begriff Nachhaltigkeit geprägt wurde, hat sich
unsere Familie einer nachhaltigen Wirtschaftsweise verschrieben“, erklärt Graf von und zu
Bodman. „Das Stammgut der Familie wurde
ungeteilt von Generation zu Generation weitergegeben. So mussten wir immer abwägen,
was wirtschaftlich vertretbar ist, was gleichzeitig aber auch dazu beiträgt, die Ressourcen
für zukünftige Generationen zu erhalten.“ Die
Familie kam zu der Erkenntnis, dass Vielfalt
der Schlüssel zum Erfolg ist. So entstanden
auf ihrem Besitz Mischwälder mit zahlreichen
verschiedenen Baumarten. Diese Wälder sind
nicht nur Lebensraum für eine besonders artenreiche Tierwelt, sie überstehen auch Stürme
und gewährleisten auch langfristig ein gutes
Einkommen, da immer diejenigen Baumarten
geerntet werden können, die am Markt gerade
besonders gefragt sind. Auch beim Wein- und
Obstanbau verbindet die Familie ökologische
Verantwortung mit wirtschaftlicher Rentabilität: Die Plantagen werden mittlerweile nach
den strengen Öko-Richtlinien des NaturlandVerbandes bewirtschaftet. Die Gäste des Sielmann Dialogs können sich vor Ort vom guten
Geschmack der gräflichen Produkte überzeugen: Zum abendlichen Buffet im Anschluss
an das Podiumsgespräch wird nämlich ein
Weißwein (Müller-Thurgau) der Schloßkellerei
Bodman ausgeschenkt.
www.sielmann-stiftung.de
Alte Sorten wiederentdecken
Einen ähnlichen Weg beschreiten 14 Landwirte, die in der Region des Landschaftsparks
Boden-see-Linzgau zu Hause sind. Für das
Projekt „Linzgau Korn“ erzeugen sie Weizen,
Roggen, Dinkel, Hafer und die alte Getreidesorte Emmer – und das überwiegend in ökologischem Anbau. Das Getreide wird in der Stelzenmühle, die seit 1678 in Familienbesitz ist,
gemahlen und ohne chemische Aufbereitung
zu hochwertigen Mehl- und Backwaren weiter
verarbeitet. So entstehen regionale Lebensmittel aus naturnahem Anbau. Dabei profitieren
alle, die Erzeuger-Verarbeiter-Gemeinschaft,
die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber
auch die Natur. „Wir freuen uns, die Geschäftsidee Linzgau Korn über das Förderprogramm
PLENUM Westlicher Bodensee mit auf den Weg
gebracht zu haben“, meint daher auch Landrat
Hämmerle.
Was aber tun, wenn naturverträgliche Bewirtschaftungsweisen auszusterben drohen, weil
sie wenig rentabel sind? Im Fall von Streuobstwiesen hat Graf von und zu Bodmann
die Erfahrung gemacht: „Sie sind zwar schön,
aber nicht wirtschaftlich. Denn Streuobstbäume sind schwer zu pflegen und verbreiten im
schlimmsten Fall auch noch Feuerbrand“. In der
Tat werden Streuobstwiesen zwar von Naturschutzverbänden propagiert, da sie über 5.000
Tier- und Pflanzenarten beherbergen und mit
etwa 3.000 Obstsorten auch zum Erhalt der
Sortenvielfalt beitragen. Dennoch verwildern
www.sielmann-stiftung.de
viele der Wiesen, weil sie von ihren Besitzerinnen und Besitzern nicht mehr bewirtschaftet werden. Die Arbeit ist zu mühsam. Doch
bei direkter Vermarktung der Produkte kann
dieser naturnahe Obstanbau vergleichsweise
rentabel sein. Denn viele Menschen sind dazu
bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn sie sicher
sein können, dass bei der Erzeugung der Früchte keine Pestizide und Dünger eingesetzt werden und gleichzeitig die Artenvielfalt gefördert
wird. Daher unterstützt der Landkreis Konstanz die Vermarktung von Apfelsaft aus Streuobstanbau. Gleichzeitig wurde mit PLENUMGeldern eine Streuobstbörse etabliert, welche
die Eigentümerinnen und Eigentümer der Wiesengrundstücke mit Interessenten zusammenbringt, die eine fachgerechte Bewirtschaftung
der Obstbäume übernehmen können. „So tragen wir mit kleinen Maßnahmen zum Erhalt
der natürlichen Vielfalt bei, ohne eine Käseglocke über das Land zu stülpen“, berichtet Frank
Hämmerle stolz.
Naturschutz in allen Planungen mitdenken
Auch Werner Franke, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Naturschutz bei der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz
Baden-Württemberg, plädiert für eine möglichst naturverträgliche Bewirtschaftungsweise. Er sieht jedoch nicht nur Land- und Forstwirte in der Pflicht, sondern auch Firmen. Daher
hat seine Behörde in diesem Jahr beispielsweise
einen Leitfaden für die Begrünung von Firmengeländen herausgegeben. Denn Naturschutz
9
10
braucht Fläche und viele kleine Trittsteine,
um naturnahe Lebensräume miteinander zu
verbinden und die Wanderung von Arten zu
ermöglichen. „In Baden-Württemberg gibt
es keine großen zusammenhängenden Räume mehr, die nicht von Straßen zerschnitten
sind“, mahnt Franke, „und der Erhaltungszustand unserer Arten und Lebensräume in FFHGebieten ist unzureichend“. Er muss es wissen, denn sein Arbeitgeber betreibt landesweit
Messnetze für Luft, Wasser und Boden und
beobachtet die Entwicklung der Fauna und
Flora. Baden-Württemberg ist ein hoch industrialisiertes Land, entsprechend viele Nutzungsansprüche treffen aufeinander. Franke plädiert
dafür, die Balance zu halten zwischen Entwicklung auf der einen und Naturschutz auf der
anderen Seite. „Die Gewichte müssen gleich
verteilt sein“, fordert er, „der Naturschutzgedanke soll bei allen Planungen mitgedacht
werden“. Demzufolge müssen beispielsweise
Grünbrücken angelegt werden, um bestimmten Arten die gefahrlose Querung von Autobahnen und Bundesstraßen zu ermöglichen
und im Rahmen kommunaler Planungen sind
ökologische Belange über das Zielartenkonzept systematisch zu berücksichtigen.
Schlüsselfaktoren für den Erfolg
Krötenzähler, Ökobauern, Industrielle: Was
sind die Schlüsselfaktoren für den Erfolg von
Naturschutzmaßnahmen in einer immer
intensiver genutzten Welt? Grundsätzlich entscheidend ist natürlich die Verfügbarkeit und
dauerhafte Sicherung von Flächen, auf denen
sich die Natur frei entfalten darf. Bei der Entwicklung des Biotopverbundes Bodensee hat
Peter Berthold gelernt, dass es am einfachsten
ist, mit denjenigen Flächen zu arbeiten, die
für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte
weniger geeignet sind. „Denn je geringer der
Nutzungskonflikt, umso höher die Akzeptanz
für Naturschutzmaßnahmen.“ Dem stimmt
auch Manfred Fehrenbach von der Stiftung
Naturschutzfonds Baden-Württemberg grundsätzlich zu. Doch er gibt zu bedenken, dass die
Landnutzungskonkurrenz weiter zunimmt.
Standen dem Naturschutz früher noch viele,
für die Landwirtschaft unergiebige Brachflächen zur Verfügung, entstehen heutzutage
neue Begehrlichkeiten. Daher ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Interessensgruppen und Partnern unerlässlich. Starken Persönlichkeiten, wie Heinz
Sielmann und Graf Lennart Bernadotte es
waren und wie Peter Berthold es heute noch
ist, gelingt, woran viele scheitern: Sie bringen
Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten, Nutzungsinteressen und Wertesystemen
zusammen und motivieren dazu, Kompromisse einzugehen, an einem Strang zu ziehen
und sich ohne Vorurteile gemeinsam für die
Belange der Natur einzusetzen.
Ohne Moos nichts los
Doch auch wenn Flächen zur Verfügung stehen
und Partnerschaften geschmiedet sind: Naturschutz geschieht nicht allein und kostenlos,
sondern muss gezielt betrieben und auch
finanziert werden. Aus diesem Bewusstsein
heraus wurde 1976 die Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg gegründet. Unter
dem Motto „Wir fördern Vielfalt“ regt die Stiftung bereits seit vielen Jahren innovative Wege
im Naturschutz an und unterstützt Projekte mit
Modellcharakter. Der Biotopverbund Bodensee
der Heinz Sielmann Stiftung ist eines der geförderten Projekte, die beispielgebend für weitere Regionen sein können. „Mit über 200.000
Euro beteiligte sich unsere Stiftung bisher an
der Realisierung des Biotopverbundes – und
wir wollen die Zusammenarbeit gerne auch in
den kommenden Jahren fortsetzen“, verspricht
Manfred Fehrenbach auf der Insel Mainau.
Begeisterung für die Natur wecken
Fehrenbach weiß, dass die Natur wie am HeinzSielmann-Weiher erlebbar sein muss, um
Begeisterung zu wecken. Denn Naturschutz
funktioniert nicht allein mit Vorschriften und
Verboten. Es kommt auf engagierte Menschen
an, die Ideen haben und gewillt sind, diese in
die Tat umzusetzen. Daher gilt es vor allem
Kinder und Jugendliche an die Natur heranzuführen, egal ob sie nun in der Stadt oder auf
dem Land aufwachsen. Die Heinz Sielmann
Stiftung geht hier mit gutem Beispiel voran.
Seit 1996 bietet das Heinz Sielmann NaturErlebniszentrum Gut Herbigshagen bei Duderstadt unterschiedliche Angebote für Jung
und Alt an, unter anderem einen interaktiven
Naturlehrpfad mit Bauerngarten, ein ReptilienFreigehege, ein Feuchtbiotop sowie einen
Ökobauernhof mit seltenen Haus- und Nutztierrassen. Auch auf der Insel Mainau können die Besucherinnen und Besucher seit
neuestem nicht mehr nur die Blütenpracht
diverser Zuchtarten bewundern, sondern in
einem speziell bepflanzten Insektengarten
dem Summen und Brummen verschiedenster
www.sielmann-stiftung.de
11
Krabbeltiere lauschen. Sie lernen verschiedene Trachtpflanzen für unsere heimischen
Wild- und Honigbienen kennen und können
aus nächster Nähe ein Bienenvolk beobachten,
das in einem ausgehöhlten, begehbaren Baumstumpf wohnt. Es bedarf jedoch nicht zwingend ausgefeilter Umweltbildungsangebote,
um die Liebe zur Natur zu wecken. „Jede und
jeder von uns kann dazu beitragen, indem wir
unsere eigenen Kinder und Enkelkinder an die
Hand nehmen und ihnen beim nächsten Spaziergang die Natur erklären“, meint eine Frau
aus dem Publikum. Dem stimmt Peter Berthold
uneingeschränkt zu. „Man muss auch nicht
alle Arten kennen – das kann ohnehin keiner. Es
reicht, einige Schlüsselarten und deren Lebensraum kennen und vor allem lieben zu lernen.“
etwa zehn Kilometern wären in ganz Deutschland etwa 3.000 Biotope à la Heinz-SielmannWeiher mit angrenzenden Feuchtgebieten zu
schaffen“, rechnet Peter Berthold vor. „Dafür
würden wir grob geschätzt eine Milliarde Euro
brauchen.“ Es wird sich zeigen, ob bald im ganzen Land die Bagger anrücken, um Tausende
von Weihern zu schaffen oder ob das Konzept
zunächst von interessierten Regionen wie etwa
dem Schwarzwald oder der Schwäbischen Alb
übernommen wird. Klar ist jedenfalls, dass
zehn Jahre nach Beginn der ersten Arbeiten am
Bodensee viel erreicht worden ist. Und doch
gibt es noch sehr viel zu tun!
Jeder Gemeinde ihr Biotop!
Sielmanns Biotopverbund Bodensee schafft
Wohnräume für Tier- und Pflanzenarten, bietet
aber vor allem auch die Chance, Menschen in
ausgeräumten Kulturlandschaften wieder an
die Natur heranzuführen. „Wir würden es sehr
begrüßen, das Konzept des Biotopverbundes
auf ganz Baden-Württemberg oder gar auf ganz
Deutschland auszudehnen“, erläutert Michael
Beier, geschäftsführender Vorstand der Heinz
Sielmann Stiftung, die langfristige Vision der
Stiftung, die unter dem Motto ‚Jeder Gemeinde ihr Biotop‘ steht. „Bei einem Abstand von
www.sielmann-stiftung.de
Ein herzliches Dankeschön!
Die Heinz Sielmann Stiftung möchte sich
an dieser Stelle für die Unterstützung ihrer
zahlreichen Spenderinnen und Spender
bedanken. Wir freuen uns, auch in Zukunft
mit Ihnen gemeinsam zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen beizutragen – am
Bodensee und andernorts.
Impressum
Herausgeber
12
Heinz Sielmann Stiftung
Gut Herbigshagen, 37115 Duderstadt
Email: [email protected]
http://www.sielmann-stiftung.de
Mitwirkende der Sielmann Dialoge auf der Blumeninsel Mainau
• Michael Beier (Heinz Sielmann Stiftung)
• Bettina Gräfin Bernadotte (Geschäftsführerin Mainau GmbH)
• Prof. Dr. Peter Berthold (Heinz Sielmann Stiftung)
• Wilderich Graf von und zu Bodman (Kuratorium Sielmanns Biotopverbund Bodensee)
• Sindy Bublitz (Heinz Sielmann Stiftung)
• Kerstin Engelhardt (Heinz Sielmann Stiftung)
• Manfred Fehrenbach (Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg)
• Werner Franke (Landesanstalt für Umwelt, Messungen & Naturschutz Baden-Württemberg)
• Frank Hämmerle (Landrat Landkreis Konstanz)
• Shelly Kupferberg (Journalistin und Moderatorin)
• Dr. Rolf Mohr (Industrieverband Steine und Erden in Baden-Württemberg e.V.)
• Dr. Nicole Schrader (Heinz Sielmann Stiftung)
Bildnachweise
• Titel: Spinnnennetz in Sielmanns Biotopverbund Bodensee: Heinz Sielmann Stiftung
• S. 2: Podiumsgäste der Sielmann Dialoge 2013: Heinz Sielmann Stiftung und Sigrun Lange
• S. 3: Insel Mainau (oben) und Dahlienpracht (unten): Mainau GmbH
• S. 3: Bettina Gräfin Bernadotte bei ihrer Begrüßungsrede (Mitte): Sigrun Lange
• S. 4: Männlicher Bergmolch im Heinz-Sielmann-Weiher: Heinz Sielmann Stiftung
• S. 5: Üppige Hochstaudenfluren bieten Insekten Nahrung: Heinz Sielmann Stiftung
• S. 6: Weißstorch (oben) auf Futtersuche in den Feuchtwiesen am Heinz-Sielmann-Weiher
(unten): Heinz Sielmann Stiftung
• S. 7: Laubfrosch in Sielmanns Biotopverbund Bodensee: Stefan Ott / piclease
• S. 8: Anbaufläche des Linzgau Korns: Linzgau Korn®
• S. 9: Streuobstwiese am Hödinger Berg bei Überlingen: Jochen Kübler
• S. 11: Peter Berthold im Gespräch mit Spenderinnen und Spendern der Heinz Sielmann Stiftung:
Heinz Sielmann Stiftung
Text und Layout
Sigrun Lange, E.C.O. Deutschland GmbH
http://www.e-c-o-deutschland.de
© November 2013
www.sielmann-stiftung.de
Herunterladen